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  „Ka'ar'mash” von Ro'an   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Juni 2003
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Trotz seines Scheiterns ist das Ka'ar'mash-Projekt nicht vergessen. Verschiedene Beteiligte bekommen unangenehme Nachwirkungen zu spüren und die Ankunft eines Taelons auf dem Mutterschiff bringt einiges durcheinander.
Charaktere:  Da'an, Zo'or, Mit'gai, T'than, Ta'sen, Si'ir, Liam, Doktor Beagle, Agent Sandoval, Anja O'Neill
 

 

KA'AR'MASH

Kapitel 2: Erwachen

 

Teil 2

Tage später, irgendwo an einem unbekannten Ort

Es war schon mitten in der Nacht, aber Anja konnte nicht einschlafen. Zu viele Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Am meisten Sorgen bereitete ihr Ta'sen. Nicht, dass er unfreundlich wäre; es war etwas anderes, schwer zu beschreibendes.
Er war ständig bemüht, wie ein Wissenschaftler und Diplomat zu wirken - zugleich ernst und förmlich aber auch höflich und freundlich. Doch es schien ihm nicht zu gelingen. Anja hätte nie gedacht, dass Taelons Humor haben, zumindest nicht so einen, wie er bei Ta'sen ab und zu zum Vorschein kam. - Aber jedes Mal versuchte er, das Lächeln so schnell wie möglich von seinem Gesicht verschwinden zu lassen.
Außerdem kam es Anja manchmal so vor, als würde Ta'sen mit Absicht Abstand zu ihr halten, als würde er ihr etwas verschweigen und hätte Angst, dass er es nicht länger für sich behalten könnte, würden sie sich nur ein kleines bisschen näher kommen - an Freundschaft schließen war wohl nicht zu denken, obwohl er ihr doch das Leben gerettet hatte.
Apropos Leben - wie gerne hätte sie denen, die versucht haben ihr zu helfen, also Da'an, Liam und auch T'than gesagt, dass sie nicht tot ist. Sie hätte sich gerne bei ihnen für ihre Hilfe bedankt, denn ohne die hätte sie mit Sicherheit nicht überlebt.
Gut, sie konnte verstehen, warum Ta'sen nicht wollte, dass sie diese Räumlichkeiten verließ. Würde Zo'or erfahren, dass sie noch am Leben ist, würde er höchstwahrscheinlich alles daran setzten, sie in seine Hände zu bekommen. Und je mehr Personen davon wussten, desto gefährdeter war sie.
Natürlich wäre Anja gerne nach draußen gegangen, aber sie verstand die Gründe, die dagegen sprachen und hier drinnen war es alles andere als unbequem. Sie wusste zwar nicht genau, wo sich diese Anlage befand, aber es war eine Art unterirdischer Bunker und Ta'sen hatte ihn äußerst wohnlich eingerichtet.
Direkt neben dem Labor in dem sie aufgewacht war befand sich ein Raum, den Ta'sen für sie eingerichtet hatte. Anja wusste nicht, wie der Taelon es geschafft hatte, aber er hatte genau ihren Geschmack getroffen. Außer dem Bett im hinteren Teil des Raumes gab es noch ein äußerst bequemes Sofa, vor dem ein niedriger, kleiner, runder Glastisch stand. An einer Wand stand ein weiterer Tisch mit zwei Stühlen und direkt daneben standen der Kühlschrank und ein Schränkchen mit der Mikrowelle obendrauf. - Gott weiß, wie Ta'sen letzteres allein vom Labor hierher transportiert hatte.
Auf der anderen Seite des Labors schien der Taelon seinen eigenen privaten Raum und eine Art Büro zu haben, aber Anja hatte noch keines von beidem betreten.
Nun lag sie in ‚ihrem’ Bett, starrte die Decke an und hoffte, dass sie bald einschlafen würde. Als sie nach einer Weile immer noch hellwach war stand sie auf, tastete sich durch den dunklem Raum und ging zum Kühlschrank.
Sie liebte Erdbeerjoghurt - woher Ta'sen das wusste war ihr ein Rätsel. Jedenfalls hatte er für einen reichlichen Vorrat gesorgt. Also nahm Anja sich einen Joghurtbecher aus dem Kühlschrank, einen Löffel aus dem Schränkchen daneben und begab sich damit zurück ins Bett.
Auf der Matratze sitzend und halb zugedeckt löffelte sie den Becher genüsslich leer und versuchte, an nichts bestimmtes zu denken. Natürlich gelang ihr das nicht und sie fragte sich, ob Taelons überhaupt Nahrung zu sich nehmen. Jedenfalls hatte sie noch keinen gesehen, der das tat. Na ja, Energiewesen brauchten wohl auch keine Nahrung im herkömmlichen Sinne...
Unwillkürlich musste sie grinsen, als sie erneut an Ta'sen dachte - oder genauer gesagt an seine Art zu gehen. Sein hüftbetonter Gang und seine spärliche Gestik erinnerten sie stark an T'than und auch sein Grinsen kam mitunter dem des Taelon-Kriegsministers sehr nahe. Ob die beiden wohl verwandt waren?


Zur gleichen Zeit, Erdorbit, Mutterschiff der Taelons, T'thans Quartier

Wie konnte Da'an es nur wagen? Er hätte alles für Da'an getan.
T'than hatte sich zuerst verraten gefühlt, doch dieses Gefühl war nun einem anderen gewichen: Zorn. Seine Wut wurde immer größer, je mehr er über die Situation nachdachte und je mehr ihm klar wurde, dass er sich von Gefühlen hatte leiten lassen.
Da'an würde für das büßen, was er getan hatte. Vielleicht wäre es die letzte Tat in T'thans Leben, aber das war es wert.


Zur gleichen Zeit, Washington, Botschaft des nordamerikanischen Companion

Da'an war gerade in seinem Stuhl eingeschlafen, als er mit weit aufgerissenen Augen hoch schreckte und seine Fassade verlor.
Im Gemeinwesen war ihm eine Woge von Wut und Zorn entgegengeschlagen, die direkt über ihm zusammenbrechen wollte. Er hatte zwar den Ursprung nicht genau ausmachen können, dazu war er viel zu überrascht gewesen, aber er vermutete, dass T'than der Auslöser war - schließlich war er nicht umsonst zum Kriegsminister ernannt worden.
Der Companion zitterte auf einmal am ganzen Körper. Er machte sich einerseits Sorgen um T'than - aber er hatte auch Angst. Schon einmal hatte sich T'than seiner Wut rückhaltlos hingegeben und dabei beinahe den Verstand verloren. Er war unberechenbar und würde alles tun, um sein Ziel zu erreichen.
Beinahe automatisch und ohne zu überlegen öffnete Da'an die Armlehne seines Stuhls und entnahm dem kleinen Fach eine Phiole mit Kryss. Es war zwar nur das synthetische Kryss, aber es tat seinen Dienst indem es den Taelons längere Aufenthalte in der Erdatmosphäre ermöglichte - und es schwächte Da'ans Entzugserscheinungen ab ohne ihm weiter zu schaden.


Zur gleichen Zeit, Anjas Zimmer

Sie hatte den Joghurtbecher vollständig geleert und machte sich auf den Weg zum Mülleimer, der nur wenige Schritte entfernt auf dem Fußboden stand. Doch auf einmal schwankte Anja und musste sich mit einer Hand an der Wand abstützen, um nicht hinzufallen. Alles schien sich plötzlich zu drehen und der Boden unter ihren Füßen schwankte wie bei einem Erdbeben.
Das ganze dauerte nur wenige Sekunden, dann war es vorbei.


Zur gleichen Zeit, Erdorbit, Mutterschiff der Taelons, Si'irs Quartier

Si'ir schlief noch nicht, sondern lag wach in seinem Stuhl als er auf einmal etwas spürte, dass das ganze Gemeinwesen zu erschüttern schien. Er spürte es trotz der geistigen Blockade, durch die er sich von der anderen abkapselte so gut es ging.
„Rache...” Noch nicht einmal geflüstert, nur gehaucht; und trotzdem hatte dieses Wort eine Intensität, die jedem Zuhörer einen Schauer über den Rücken hätte laufen lassen. Si'ir wusste, was geschehen würde.


Am nächsten Morgen, Ta'sens und Anjas unterirdisches Versteck

Ta'sen verließ den Raum, den er zu seinem Quartier gemacht hatte und folgte dem Gang. Während er sich Anjas Zimmer näherte ließ er noch einmal seine Gedankengänge der letzten Tage Revue passieren.
Er würde heute mit diesem Doktor Beagle sprechen müssen. Die Analyse von Anjas DNS hatte einen äußerst erstaunlichen Umstand ans Licht gebracht und Ta'sen war sich noch nicht sicher, wie er mit dieser Erkenntnis umgehen sollte. Vielleicht sollte er erst einmal abwarten und diese mögliche Chance näher untersuchen.
Als er die Tür zu Anjas Zimmer öffnete und eintrat, fiel sein Blick sofort auf das Bett. Er brachte das übliche ‚Guten Morgen’ nicht über die Lippen.
Normalerweise frühstückte Anja um diese Zeit oder war bereits damit fertig. Heute saß sie jedoch auf dem Bett, umschlang ihre Knie mit den Armen und zitterte am ganzen Körper.
„Anja?” Als die junge Frau nicht reagierte beschleunigte der Taelon seine Schritte und blieb vor dem Bett stehen. „Was ist mit Ihnen?”
Die Angesprochene hob langsam den Kopf und schaute Ta'sen verwirrt und verängstigt an. „Sie sollen endlich still sein...” flüsterte sie so leise, dass er ihre Worte nur mit Mühe verstand.
„Wer soll still sein?” fragte Ta'sen mit sanfter Stimme und setzte sich auf die Bettkante.
„Die Stimmen... sie reden die ganze Zeit...”
„Welche Stimmen? Was sagen sie?” Er vermutete zuerst, dass Anja einen Alptraum gehabt hatte, aber ihr flehender Blick sagte ihm, dass dem mit Sicherheit nicht so war.
Es schien, als würde Anja einen Moment lang lauschen, dann meinte sie „Ich weiß nicht... Es ist nur ein Wispern und Murmeln... Sie wissen nicht, dass ich zuhöre.... Hilf mir...”
Ein Verdacht keimte in Ta'sen auf. Aber das konnte doch nicht sein...
Als Ta'sen den Raum verlassen hatte dachte Anja zuerst, sie hätte nur eine Halluzination gehabt. Aber er kam wenige Augenblicke später zurück uns ließ sich wieder neben ihr auf dem Bett nieder. Dabei hielt er etwas in der Hand, aber Anja konnte nicht erkennen, was es war. Ein paar Sekunden später wurde ihr schwarz vor Augen und sie verlor das Bewusstsein.
Ta'sen hoffte, dass der Neuralhemmer Anja half. Diese Art von Droge konnte bestimmte Rezeptoren im Gehirn für einige Zeit ausschalten - und mit etwas Glück würde er sie weniger empfänglich für die ‚Stimmen’ machen.


Wenig später, Erdorbit, Mutterschiff der Taelons

Äußerlich ließ er sich nichts anmerken, aber seine Ungeduld wuchs mit jeder Sekunde, die er wartete. Schon seit fünf Minuten stand er hier und starrte das ID-Portal an. Dieser Arzt könnte sich wirklich ein bisschen beeilen.
Als das Portal endlich aktiviert wurde mussten sich die Freiwilligen, die Wache standen, zusammenreißen, um sich ihr Aufatmen nicht anmerken zu lassen. Das Temperament dieses Taelons ähnelte dem von T'than zu sehr, als dass sie sich gerne noch länger in seiner Nähe aufgehalten hätten.
Ta'sen verlor keine Zeit. „Doktor Beagle, folgen Sie mir bitte.”
Der Arzt kam sich ein wenig überrumpelt vor, aber so etwas hatte er nach Ta'sens Aufforderung herzukommen schon geahnt. Also folgte er dem Taelon in eine Art Besprechungsraum und ließ sich auf eine Geste hin auf einem Stuhl nieder. Nur ein Tisch trennte ihn von dem Taelon, der sich ebenfalls setzte.
„Sie waren der behandelnde Arzt von Anja O'Neill, stimmt das?” kam Ta'sen ohne Umschweife zum Thema.
„Ja, das ist richtig.” Der Mann hatte keine Ahnung, worauf sein Gegenüber hinaus wollte.
„Dann haben Sie mit Sicherheit sämtliche medizinischen Daten über Miss O'Neill gespeichert.”
Das war keine Frage, eher eine Feststellung. Trotzdem nickte Doktor Beagle. Er fühlte sich überhaupt nicht wohl in dieser Situation. Ob dieser Taelon wohl etwas ahnte?
„Nun, dann möchte ich Sie bitten, mir diese Daten uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen.” Diese Forderung ließ keinen Widerspruch zu, aber trotzdem ließ es der Arzt auf einen Versuch ankommen.
„Ta'sen, ich bin Arzt. Und als solcher unterliege ich der Schweigepflicht, das müssen Sie verstehen.”
„Doktor Beagle, soweit ich weiß haben sie längst anderen Taelons im Rahmen eines gewissen Projektes diese Informationen zur Verfügung gestellt. Außerdem habe ich Sie bereits auf meine Befugnis hingewiesen.”
Der Arzt resignierte. Er konnte nicht noch mehr Schwierigkeiten gebrauchen. Gut, sollte dieser Taelon eben die Daten bekommen, die er wollte. „In Ordnung. Ich gebe Ihnen die Daten.”
„Da wäre noch etwas, Doktor. Ich bezweifle, dass die medizinischen Daten bezüglich Miss O'Neill bei diesem Projekt vollständig waren. Ich bestehe darauf, alle Daten zu erhalten.”
„Ich verstehe nicht...”
„Vielleicht sollte ich noch etwas deutlicher werden, Doktor. Die Fälschung von Daten, vor allem von DNS-Signaturen, ist strafbar. Sie sollten sich also kooperativ zeigen und überdies Stillschweigen bezüglich dieses Gespräches bewahren.”

Wenig später

Ta'sen war zufrieden. Dieser Mensch hatte sich wirklich einfach einschüchtern lassen. Hoffentlich waren nicht die meisten Menschen so, denn wenn Anja nur eine Ausnahme war, konnte er seine Forschung auch gleich sein lassen - dann konnten die Menschen ihnen keine Hilfe sein.
Doktor Beagle war schon gegangen und nun verließ auch der Taelon den Raum. Er war gerade auf den Gang hinausgetreten, als ihm T'than entgegen kam.
„Ta'sen, du bist erstaunlich selten auf dem Mutterschiff anzutreffen”, bemerkte der Kriegminister spitz. „Es würde mich interessieren, wo du dich die restliche Zeit über aufhältst.”
„Ich bin dir über meine Tätigkeiten keine Rechenschaft schuldig, T'than.”
T'than stutzte. Er hätte alles erwartet, aber Ta'sens Antwort klang noch nicht einmal verärgert. Es war, als würde er ihn nur vollkommen sachlich auf etwas hinweisen. Es lag ihm fern, sich Sorgen um Ta'sen zu machen, aber er fragte sich dennoch, was wohl geschehen sein mochte.


Doktor Beagles Büro

„...öffneten uns die Augen und befreiten uns von den falschen Propheten. Sie vermögen wahrlich große Wunder zu vollbringen. Sie machten die Wüste fruchtbar und vernichteten die großen Krankheiten, an denen so viele Menschen einst starben. Also lasset uns sie ehren und ihnen danken für ihre Barmherzigkeit. Lasset uns-”
Doktor Beagle schaltete das Radio aus. Glaubten diese Prediger wirklich an das, was sie da sagten? Es stimmt, die Taelons haben den Menschen mit ihrer Technologie geholfen, aber warum sahen so viele nicht, wie sie wirklich sind? Sie waren keine Götter...
‚Entweder sind diese Prediger verrückt und glauben wirklich an das, was sie da erzählen, oder sie gehören auch zu denen, die nur Anhänger um sich sammeln um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen.’
Er selbst wusste nur zu gut, zu was die Taelons fähig waren und wie wenig ihnen ein Menschenleben wert war. Einige ihrer sogenannten Projekte - der Begriff Experimente hätte es wohl besser getroffen - entbehrten jeglicher Moral und traten die Menschenwürde geradezu mit Füßen.
Deshalb hatte er Anjas Mutter auch dieses Versprechen gegeben. Sie hatten beide gewusst, dass die Taelons Anja nicht in Ruhe lassen würden. Warum hatten sie sich gerade Anja als Testperson für das Ka'ar'mash-Implantat ausgesucht? Er hatte ihnen nichts verraten - obwohl sie ihn gezwungen haben, an dem Projekt teilzunehmen.
Doktor Beagle konnte sich nicht erklären, was Ta'sen mit Anjas medizinischen Daten wollte und wie er von der Sache mit der DNS erfahren hatte. Aber jetzt war es letztendlich auch egal, Anja war tot - auch wenn Zo'or das immer noch nicht glauben wollte.


Etwa zwei Stunden später, Ta'sens und Anjas unterirdisches Versteck

Vorsichtig öffnete Anja die Augen. Sie war sich nicht sicher, ob sie das alles vielleicht nur geträumt hatte. Zumindest war das Flüstern in ihrem Kopf erst einmal weg. Also beschloss sie, aufzustehen und zu Ta'sen zu gehen.
Sie fand den Taelon im Labor am Computer arbeiten. Er schien sie zuerst nicht zu bemerken und als sie langsam näher kam warf sie einen Blick auf den virtuellen Bildschirm. Sie erkannte nur Taelon-Schriftzeichen und wollte schon wieder wegsehen, als ihr plötzlich eine Art Geistesblitz durch den Kopf schoss. Die Zeichen schienen auf einmal einen Sinn zu ergeben und Worte zu formen...
In diesem Moment ließ Ta'sen den Bildschirm mit einer eleganten Geste verschwinden und drehte sich zu Anja herum. „Es scheint Ihnen besser zu gehen.” Als er Anjas erstaunten Blick sah, stutzte er kurz. „Ist etwas nicht in Ordnung?”
„Nein... Ich dachte nur... Ach, egal.” Sie wollte es als Einbildung abtun, aber Ta'sens fragender Blick forderte sie zum Weiterreden auf. „Die Schriftzeichen auf dem Bildschirm... Ich dachte für einen Moment, ich könnte sie lesen.” Es kam ihr reichlich lächerlich vor, aber der Taelon hatte es ja unbedingt hören wollen.
Ta'sen schien jedoch ernsthaft zu überlegen. Minutenlang stand er einfach nur da und dachte über irgend etwas nach.
Nach einer Weile wurde die Stille unangenehm und Anja brach das Schweigen. „Ta'sen, Sie wissen genau, was mit mir los ist. Was verheimlichen Sie mir?”
Der Taelon senkte den Blick. Was sollte er machen? Sollte er ihr wirklich sagen, was er bisher herausgefunden hatte? Oder sollte er vielleicht noch warten, bis er genau wusste, woran er war? Zumindest eins wusste er: Er brachte es einfach nicht über sich, sie noch länger im Ungewissen zu lassen. - Was war nur mit ihm los?
„Anja, ich...” Er seufzte.
Sie schaute ihn verwundert an. Noch nie hatte sie erlebt, dass ein Taelon sprachlos war.
Sollte er ihr wirklich alles erzählen? Wie würde sie reagieren? Vielleicht würde es ausreichen, ihr erst einmal einen Teil der Wahrheit mitzuteilen...
„Wollen Sie sich nicht setzen?” fragte er und deutete ein wenig unkoordiniert in den Raum.
Anja erwartete das Schlimmste. Sie wusste zwar nicht, was das sein konnte, aber vielleicht sollte sie das Angebot annehmen. Also ging sie ein paar Schritte und setzte sich auf den Rand der Liege.
Ta'sen folgte ihr langsam und blieb vor ihr stehen. Als er endlich sprach, sah er sie nicht an, er konnte es nicht. Sein Blick verweilte irgendwo an der Wand hinter Anja.
„Das Ka'ar'mash-Implantat, Sie erinnern sich?”
Anja nickte.
„Es hat... Es hat einige unvorhersehbare Nebenwirkungen gegeben - von denen außer mir niemand etwas weiß.” Er legte eine kurze Pause ein und überlegte, wie er es am besten formulieren sollte.
Sie schaute ihn fragend an.
„Dieses Implantat ... Ich kann nicht genau sagen, was passiert ist, aber es hat wohl ein paar Ihrer neuralen Strukturen verändert.”
„Und das heißt?” Anja verstand nicht genau, worauf der Taelon hinaus wollte.
„Nun, das heißt, dass Sie... in der Lage sind, ähnlich wie ein Taelon zu denken...”
Sie sah ihn aus großen Augen an. Das klang irgendwie... in Gedanken suchte sie nach einem passenden Wort. Es klang irgendwie verrückt. Ok, in letzter Zeit war alles, was um sie herum geschah verrückt. Aber was Ta'sen ihr da erzählte... Irgendwie stimmte daran etwas nicht. Anja kannte ihn zwar noch nicht lange, aber seltsamerweise konnte sie geradezu spüren, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Verdammt, sie hatte ein Recht darauf, zu erfahren, was mit ihr los war!
Es dauerte einen Moment bis Ta'sen Anjas abwartenden Blick bemerkte, der auf ihm ruhte. Der Taelon riss sich zusammen und schaute der jungen Frau in die Augen. Was er dort sah, gefiel ihm nicht, ganz und gar nicht. Anja schien ihm nicht zu glauben.
Eine ganze Weile sahen sie sich so an, dann meinte Anja endlich mit leiser Stimme „Warum erzählen Sie mir nicht einfach, was wirklich geschehen ist?”
Ta'sen seufzte und ließ seinen Blick unstet durch den Raum wandern. Er fühlte sich ausgesprochen unwohl in dieser Situation. Er spürte Anjas Blick auf sich ruhen und kämpfte mit dem Impuls, sich einfach umzudrehen und den Raum zu verlassen. Er hatte in ihren fragenden Augen kaum Misstrauen gesehen, eigentlich nur Traurigkeit - und Angst. Er musste ihr einfach die Wahrheit sagen. - Sha'bra! Warum mochte er diese Frau? Er kannte sie doch gar nicht! - Nun gut, das stimmte nicht so ganz... Ta'sen war äußerst wütend auf sich. Warum war er nur so ungeduldig gewesen in seinem Bestreben, die Menschen kennen zu lernen und zu verstehen?

Wenig später

Anja saß auf ihrem Bett und ließ das Gespräch mit Ta'sen noch einmal Revue passieren. Sie konnte es immer noch nicht glauben.
Gesprächsfetzen schossen ihr durch den Kopf: ‚Ein Teil ihrer DNS ist nicht menschlich... Durch das Implantat wurden die Gene aktiviert... Taelon-Gene...’
Sie war sprachlos gewesen und erst jetzt wurde ihr bewusst, was Ta'sen ihr erzählt hatte. Sie war teilweise außerirdisch - ein Hybrid. So viele Jahre hatte sie als normaler Mensch gelebt und jetzt... Und Zo'or war daran Schuld, denn ohne das Implantat wäre es wohl nie soweit gekommen.
‚...Fähigkeiten werden sich wahrscheinlich langsam entwickeln... Teile eines genetischen Gedächtnisses in Ihrer DNS...’
Sie würde offenbar bald in der Lage sein, die Sprache und Schrift der Taelons zu verstehen. Ta'sen hatte auch versucht, ihr die Vorkommnisse der letzten Tage zu erklären. Das Flüstern, das sie fast wahnsinnig gemacht hatte, war vom Gemeinwesen der Taelons ausgegangen. Durch die erwachenden Taelon-Gene war sie dafür empfänglich geworden - aber noch nicht so sehr, als dass die Taelons ihre Anwesenheit bemerkt hätten.
Die Situation hatte etwas beängstigendes an sich. Wenn sie sich vorstellte, immer diese Stimmen im Kopf zu haben und alle ihre Gedanken mit Wesen zu teilen, von denen sie die meisten noch nicht einmal kannte... Und was wäre, wenn die anderen Taelons herausfinden würden, wer sie war - oder besser was sie war?


Erdorbit, Mutterschiff der Taelons

Ta'sen hatte es einfach nicht mehr dort unten ausgehalten. Er wusste, dass er Anja in dieser Situation nicht hätte allein lassen sollen, aber er konnte nicht anders.
Vor einer Tür blieb er stehen. Unbewusst hatte er seine Schritte hierher gelenkt und realisierte erst jetzt, vor wessen Quartier er stand.
Im Allgemeinen wurde Si'ir als geisteskrank bezeichnet und niemand - abgesehen von Mit'gai und Ta'sen - hatte sich in den letzten Jahrhunderten die Mühe gemacht zu versuchen, Si'ir zu verstehen und ihm das Gefühl zu geben, nicht nutzlos zu sein. Im Laufe der Zeit hatte sich etwas zwischen Ta'sen und Si'ir entwickelt, was bei den Menschen wohl als Freundschaft bezeichnet worden wäre - aber niemand außer ihnen beiden wusste etwas davon, noch nicht einmal Mit'gai.
Als sich die Tür öffnete, trat Ta'sen langsam ein. Dämmerlicht umhüllte ihn und die ruhige, friedvolle Atmosphäre nahm ihn auf. So war es immer gewesen, wenn er Si'irs Quartier betrat - egal ob hier oder anderswo.
Er nahm ein sanftes Leuchten an der anderen Seite des Raumes wahr. Anscheinend hatte Si'ir ihn noch nicht bemerkt, denn er stand bewegungslos da und schaute in den Weltraum hinaus.
Ta'sen wusste, warum Zo'or Si'ir hatte herkommen lassen, aber offenbar hatte er ihn bisher nur passiv als Druckmittel gegen Mit'gai eingesetzt und Ta'sen war froh darüber.
Beinahe zögernd durchquerte Ta'sen den Raum und blieb neben dem anderen Taelon stehen. Minutenlang sahen sie so aus dem Fenster während das schwache Licht der Sterne auf ihre Gesichter schien. Er empfand allein Si'irs Anwesenheit unerklärlicherweise schon als beruhigend - im Gegensatz zu vielen anderen Taelons, die die Tatsache beunruhigte, dass sie Si'irs Gedanken nicht im Gemeinwesen hören konnten. Man spürte Si'irs Anwesenheit, mehr aber auch nicht.
Nach einer kleinen Ewigkeit drehte Si'ir langsam seinen Kopf. Wie immer hielt er sich nicht mit Belanglosigkeiten auf und ein Außenstehender hätte keinen Zusammenhang in seinen Worten erkannt als er schließlich sagte „T'than ist wütend.”
Ta'sen stutzte. „Warum und auf wen?” Er wusste, dass Si'ir besonders sensibel für die Gedanken und Gefühle anderer war - es gab nur wenige Taelons, die so stark empathisch veranlagt waren wie er.
„Da'an hat ihn verärgert”, meinte er in der für ihn typischen ruhigen und melodischen Tonlage. Meist hatte es den Anschein, als wäre Si'ir nur eine Art Bote, als würde ihn das alles nicht tangieren - und oft war es auch so.
Ta'sen überlegte. Was war nun schon wieder zwischen T'than und Da'an vorgefallen? Die beiden hatten sich in der Vergangenheit wahrlich oft genug gestritten - und jedes Mal wieder versöhnt. T'than war oft genauso ungeduldig und impulsiv wie Ta'sen - nur das Ta'sen stets bemüht war, das durch sorgfältiges Nachdenken zu kompensieren, auch wenn es ihm nicht immer gelang.
Si'ir sah sein Gegenüber eindringlich an. „Du kennst ihn. Er will Rache und er wird sie bekommen.”
Beinahe wäre Ta'sen erschrocken zurückgewichen. Für einen Moment hatte er in Si'irs Augen so etwas wie Furcht gesehen. Er schien genau zu wissen, wovon er sprach. Aber es stimmte, Ta'sen kannte T'than nur zu gut und er wusste, was geschehen konnte. Es war schon einmal zu einer solchen Situation gekommen - und obwohl niemand wusste, was damals wirklich geschehen war vermutete Ta'sen, dass es einen Zusammenhang zwischen T'thans Verhalten und Si'irs ‚Krankheit’ gab.


Zur gleichen Zeit, Kommandodeck

Agent Sandoval wandte sich von dem Computerterminal ab und ging ein paar Schritte auf Zo'or zu.
„Was gibt es, Agent?”
„Doktor Beagle hat vor ein paar Stunden auf bestimmte Daten zugegriffen.”
Der Taelon nickte. „Ich verstehe. Agent Sandoval, statten Sie ihm einen Besuch ab und fragen Sie ihn, warum er erneut diese Daten aufgerufen hat.”


Si'irs Quartier

„Was bedrückt dich?” Si'irs sanfte Stimme durchbrach die Stille. Er spürte genau, dass Ta'sen Probleme hatte und einen inneren Konflikt ausfocht.
Der Angesprochene drehte seinen Kopf und ließ seinen Blick nach draußen schweifen. Es gab so viel, über das er mit Si'ir reden wollte, aber er konnte es nicht. Er fand einfach keine Worte für das, was geschehen war - und die Sache mit Anja konnte er Si'ir nicht anvertrauen, das würde Mit'gais Geschwister nur unnötig in Gefahr bringen.
Besorgt sah Si'ir mit an, wie Ta'sen langsam aber sicher seine Fassade verlor.
Zu spät erkannte Ta'sen, dass Verdrängen nichts nützte. Er hatte versucht so zu tun, als wäre nichts geschehen, er hatte niemandem erzählt, was mit Se'on geschehen war. Aber jetzt drängten alle Erinnerungen an die Oberfläche und auch die Trauer, die er so erfolgreich unterdrückt hatte, kehrte zurück.
Auf einmal spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Im ersten Moment wollte er zurückweichen, dann fragte er sich jedoch, warum er eigentlich auf dem Fußboden saß. Als er seinen Kopf hob, schaute er direkt in Si'irs sorgenvolles Gesicht.
Dieser nahm seine Hand von Ta'sens Schulter, ergriff vorsichtig Ta'sens Hand und nahm es ihm ab, weiter nach Worten für etwas zu suchen, dass durch Sprache nur ungenügend zu beschreiben war.


Doktor Beagles Büro

Doktor Beagle war tief in Gedanken versunken und starrte schon seit einigen Minuten auf die weiße Wand gegenüber seinem Schreibtisch. Eigentlich ging es ihn nichts an - jetzt nicht mehr. Aber trotzdem ging es ihm nicht aus dem Kopf: Warum war dieser Ta'sen so versessen hinter Anjas Daten her? Lebte sie vielleicht doch noch? War ihr Tod nur inszeniert worden, um ihn dazu zu bringen, keine Daten über die junge Frau zurückzuhalten?
Ein Klopfen an der hellen Holztür riss ihn aus seinen Gedanken.
„Ja, bitte?”
Grußlos trat Agent Sandoval ein und näherte sich Doktor Beagles Schreibtisch. Neben dem Stuhl blieb er stehen und sah mit einem schwer zu deutenden Blick auf den Arzt herab. Er stand einfach nur da, die Hände hinter dem Rücken, und machte keine Anstalten, etwas zu sagen oder überhaupt irgendetwas zu tun.
„Agent Sandoval... Was für eine Überraschung.” Es gelang Doktor Beagle nicht, die Unsicherheit in seiner Stimme zu verbergen und die Grimasse, die wohl ein Lächeln werden sollte, trug auch nicht gerade dazu bei, ihn selbstsicher erscheinen zu lassen.
Weitere endlose Sekunden des Schweigens folgten. Dann, so unvermittelt, dass der Arzt zusammenzuckte, meinte Agent Sandoval „Sie wissen genau, warum ich hier bin, Doktor.”
Als Antwort erhielt er zuerst nur einen fassungslosen Blick; dann, Augenblicke später, reagierte der Arzt. „Ich... Ich weiß nicht, was Sie meinen, Agent Sandoval.” Ein strafender Blick seines Gegenübers zeigte ihm, dass diese Antwort nicht sehr glaubwürdig klang.
„Doktor Beagle...” Langsam kam der Agent um den Schreibtisch herum und umkreiste den Arzt. „Zo'or fragt sich, warum Sie auf Daten zugreifen, die für Sie keineswegs relevant sein dürften. - Oder gibt es da vielleicht etwas, das Sie uns verschwiegen haben?” Bei den letzten Worten hatte Sandoval seine Stimme erhoben und sah Doktor Beagle nun direkt in die Augen.
Ein paar Sekunden hielt der Arzt dem Blick des FBI-Agenten stand, dann hielt er es nicht mehr aus und starrte stattdessen die Tischplatte an. Leugnen würde wohl nichts nützen... Aber hatte er eigentlich etwas zu befürchten? Schließlich war es nicht seine Schuld - Trotzdem, obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, er hatte Angst. Er wusste genau, dass Zo'or immer noch nach einem Schuldigen für das Misslingen seines Experimentes suchte...
Beagle spürte den ungeduldigen Blick des Asiaten auf sich ruhen und sein Herz schlug so heftig, dass er glaubte, selbst die Sekretärin im Nebenzimmer müsste das stetige Pochen hören können.
„Nun, Agent Sandoval, es ist so...” Er räusperte sich und versuchte, seiner Stimme einen sicheren Klang zu verleihen.
Als der Arzt zögerte, zog Sandoval eine Augenbraue hoch. „Ja?”
„Nun ja, ähm, ich weiß nicht so recht, wie ich es sagen soll... Ja, ich habe erneut auf die Daten von Miss O'Neill zugegriffen.”
Der Agent war währenddessen erneut vor den Schreibtisch getreten und stand Doktor Beagle nun wieder gegenüber, der immer noch in seinem Stuhl saß und unsicher zu ihm hochschaute. Er gab sich jetzt keine Mühe mehr, seine Ungeduld zu verbergen und fragte „Und aus welchem Grund?”
„Ähm, tja... Das war so.... Dieser Taelon hat mich kontaktiert und da er Bescheid wusste habe ich mir gedacht, es ist wohl in Ordnung und -” Weiter kam er nicht, da er von Sandoval jäh unterbrochen wurde.
Welcher Taelon?”
„Sein Name war Ta'sen.”
Überraschung zeichnete sich auf Sandovals Gesicht ab. „Ta'sen? Hat er Ihnen gesagt, dass er so heißt?” fragte er nach, um wirklich ganz sicher zu gehen. Als der Arzt nickte, zog er sein Global aus der Tasche. Zo'ors Befehl war eindeutig gewesen. „Sie können reinkommen, Captain. Bringen Sie diesen Mann auf's Mutterschiff.”
Doktor Beagle sprang unvermittelt auf und sah sein Gegenüber ungläubig an. „Was soll das, Sandoval? Sie können mich doch nicht einfach festnehmen lassen...”
Unbeeindruckt steckte Sandoval sein Global wieder ein und holte seine Taschenuhr hervor, um einen kurzen Blick darauf zu werfen.


Erdorbit, Mutterschiff der Taelons, Kommandodeck

„Ta'sen?” Zo'or stand auf und ging unschlüssig auf der Brücke umher. Nach einer Weile wandte er sich wieder seinem Beschützer zu. „Agent Sandoval, woher weiß Ta'sen von der Existenz dieses Projektes?”
„Es tut mir leid, Zo'or, aber diese Frage kann ich Ihnen leider nicht beantworten.”
„Dann bringen Sie ihn her! Sofort!” Zo'or bemühte sich, seinen Zorn unter Kontrolle zu behalten, aber es gelang ihm nicht. Er konnte es sich nicht leisten, dass noch ein Taelon von diesem Projekt wusste, das er ohne Zustimmung der Synode durchgeführt hatte.


Ta'sens und Anjas unterirdisches Versteck

Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Ta'sen benahm sich seltsam - nicht, dass sich nicht alle Taelons irgendwie seltsam benehmen würden, aber er schien sich nicht sicher zu sein, welches Verhalten richtig war. Und es schien ihm äußerst schwer gefallen zu sein, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber warum? Und warum bemühte er sich so sehr um ihr Wohlergehen, obwohl er sie doch gar nicht kannte? Anfangs war Anja misstrauisch gewesen, aber mittlerweile glaubte sie wirklich, dass Ta'sen ihr helfen wollte. Vielleicht sollte sie es ihm ersparen, all ihre Fragen beantworten zu müssen.
Er hatte in seinem Computer eine Datei auf Englisch angelegt und ihr angeboten, dass sie diese lesen könnte, um sich weiter zu informieren. Wahrscheinlich hatte er eigentlich vorgesehen, dabei anwesend zu sein - sonst hätte er sie mit der Bedienung des Taelon-Computers vertraut gemacht - aber er war nun einmal nicht da.
Zuerst stand Anja ein wenig ratlos vor dem Computer, aber dank ihrer Taelon-Gene, die immer mehr zum Vorschein kamen, hatte sie schon nach wenigen Minuten den Dreh raus. Nur leider fand sie die entsprechende Datei auch nach längerem Suchen nicht. Stattdessen stieß sie auf ein Dokument, dass in Eunoia verfasst war und offensichtlich stichpunktartige Angaben über alles Wichtige seit ihrer Rettung beinhaltete. Zuerst ergaben die fremdartigen Zeichen keinen Sinn, aber je länger Anja auf den Bildschirm sah, desto mehr konnte sie lesen. Sie verstand zwar nicht die Bedeutung aller Wörter, aber genug, um den Text zu verstehen.


Erdorbit, Mutterschiff der Taelons, Si'irs Quartier

Ta'sen stellte fest, dass es ihm gut getan hatte, seine Erlebnisse mit jemandem zu teilen. Allein wäre er wohl nie damit fertig geworden und auch sein Wissen, dass er Se'on auf der nächsten Ebene wiedertreffen würde, hätte ihm nicht geholfen.
Aber trotz allem war er verwirrt. Was war nur mit ihm los? Erst dieser Zustand der Trauer, der doch so taelon-untypisch war und dann sein unerklärbar seltsames Verhalten Anja gegenüber. Es gelang ihm einfach nicht, sie als das zu sehen, was er anfangs sehen wollte: ein Objekt, um die Menschen zu erforschen.
Nach einiger Zeit kehrten seine Gedanken wieder von ihren Reisen zurück und er besann sich auf das Hier und Jetzt. Er hatte eigentlich nicht beabsichtigt, dass Si'ir von Anja erfuhr, aber nun konnte er es nicht mehr ungeschehen machen...
Si'irs sanfte Stimme unterbrach seine Gedankengänge. „Ta'sen, sorge dich nicht.”
Ein wenig verwirrt sah Ta'sen den anderen Taelon an. Worauf sollte er diesen Satz beziehen? Sollte er sich nicht um Si'ir sorgen, der nun - mit dem Wissen um Anja O'Neill - für Zo'or von noch größerem Wert wäre? Oder um Se'on?
„Du kommst der Lösung des Großen Rätsels immer näher. Denke an die Legende.” Mit diesen Worten drehte Si'ir sich zu dem großen Fenster um.
Ta'sens Gedanken überschlugen sich beinahe. Welches Rätsel meinte Si'ir und auf welche Legende bezog er sich? Er glaubte, dass Si'irs Worte einen Sinn ergaben, aber er konnte ihn nicht erfassen; er hatte jedoch den Verdacht, dass es etwas mit Anja zu tun haben musste.
Schließlich drehte er sich beinahe resignierend um und verließ Si'irs Quartier. Er sollte Anja nicht allzu lange allein lassen...


Zur gleichen Zeit, Ta'sens Quartier

Agent Sandoval betrat Ta'sens privaten Raum und schaltete das Licht ein. Der Taelon war nicht hier. Das war, seiner Meinung nach, auch nicht weiter verwunderlich, denn Ta'sen war nur selten auf dem Mutterschiff anzutreffen und noch seltener in seinem Quartier.
Nach kurzem Überlegen kam der Agent zu dem Schluss, nun doch die Hilfe des Schiffscomputers in Anspruch nehmen zu müssen. Das nächste Terminal befand sich nicht weit von den Quartieren entfernt. Als er Ta'sens Quartier verließ, kam ihm jedoch T'than entgegen. Sandoval zögerte kurz, beschloss dann aber, ihn nach Ta'sens Verbleib zu fragen.
„T'than, können Sie mir vielleicht sagen, wo ich Ta'sen finden kann?” Hätte er einen Wunsch frei gehabt, wäre Sandoval jetzt am liebsten weit weg von T'than gewesen, denn der Blick des Kriegsministers war alles andere als freundlich.
„Agent Sandoval, Sie sollten über ausreichende Informationsquellen zu diesem Zweck verfügen.” Einen Augenblick lang genoss er den beinahe ängstlichen Blick des Menschen, dann meinte er „Als ich ihn zuletzt gesehen habe, war er auf dem Weg zu Si'ir. Vielleicht sollten Sie dort einmal nachsehen? - Und wenn Sie ihn finden, dann können Sie ihm gleich sagen, dass ich unverzüglich mit ihm reden möchte.”
„Das würde ich gerne, T'than, aber Zo'or hat bereits angeordnet, dass Ta'sen sofort zu ihm kommen soll.” Während er das sagte dachte er sich ‚Wenn Blicke töten könnten...’
„Gut, dann werde ich mich diesem Treffen anschließen.”
Sandoval musste sich auf die Zunge beißen, um nicht zu protestieren. Widerspruch wäre in diesem Moment mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ungesund für ihn gewesen. Sollte Zo'or doch sehen, wie er T'than wieder loswurde.
Auf dem Weg zu Si'irs Quartier kam er an einem Portal vorbei, auf das er einen flüchtigen Blick warf - und wie angewurzelt stehen blieb. „Ta'sen, warten Sie bitte.” Doch der Taelon war bereits verschwunden. Sandoval fluchte leise und als er bemerkte, dass Ta'sen seine Zielkoordinaten gelöscht hatte, fluchte er noch einmal. „Zo'or wird begeistert sein...”


Washington, Botschaft des nordamerikanischen Companion

Da'an hatte ihm gestern frei gegeben und hatte niemanden sprechen wollen. Zuerst hatte Liam sich über die unerwartete Freizeit gefreut, sich dann aber doch Sorgen um Da'an gemacht.
Als er den Taelon das letzte Mal gesehen hatte, hatte er gedankenversunken und abwesend gewirkt. Als würde er sich um irgendetwas Sorgen machen. Und seine beinahe fahrigen Bewegungen ließen ihn irgendwie... krank erscheinen.
Nachdem Da'an sich auch heute nicht bei ihm gemeldet hatte, hatte sich Liam kurzerhand auf den Weg zur Botschaft gemacht. Es war zwar schon relativ spät - halb acht, um genau zu sein - aber er hielt diese Ungewissheit einfach nicht mehr aus. Erst jetzt, als er vor dem Eingang der Botschaft stand, fiel ihm ein, woran ihn Da'ans Zustand erinnerte. Aber er hatte ihm doch versprochen, kein Kryss mehr zu nehmen...
Entschlossen betrat er das Gebäude und machte sich auf eine Debatte mit der Sekretärin am Empfang gefasst, die ihn mit Sicherheit nicht durchlassen würde. - Da'an möchte nicht gestört werden. Er hat angeordnet, dass ich niemanden durchlassen soll. - Zu seinem Erstaunen war sie jedoch nicht da, das Gebäude wirkte irgendwie verlassen... Und es war dunkel.
„Autsch!” Fluchend rieb sich Liam den Kopf. Aufgrund der fehlenden Beleuchtung war er gegen den Türrahmen - falls man es in einem Taelon-Gebäude so nennen konnte - gelaufen. Mit deutlich mehr Vorsicht tastete sich der Mann durch die Gänge. Als er in die Nähe von Da'ans Büro kam, bemerkte er einen schwachen Lichtschimmer. Da'an hatte also zumindest in einem Raum die Beleuchtung eingeschaltet, wenn auch nur minimal.
Leise näherte sich Liam dem Durchgang und schaute vorsichtig um die Ecke: Da'an lag in seinem Stuhl unter der Energiedusche. Alles wirkte normal. Er wollte sich gerade wieder abwenden und gehen, um Da'an nicht zu stören, als sich der Taelon ruckartig aufrichtete.
Liam hielt die Luft an. Hatte Da'an ihn etwa bemerkt? Dem schien nicht so zu sein, denn der Companion stand zwar auf, ging dann aber auf das große Fenster zu und warf einen Blick hinaus. Ein wenig unschlüssig ließ er seinen Blick über die Lichter der Stadt schweifen, dann wandte er sich wieder ab und machte ein paar Schritte in Richtung Ausgang. Er war keine zwei Meter gegangen, als er sich doch wieder umentschied und sich erneut zum Fenster umdrehte.
Was war mit Da'an los? Liam war äußerst besorgt, aber er wusste nicht genau, ob es richtig wäre, ihn jetzt zu stören. Als er wieder einen Blick riskierte, stand der Taelon dicht vor dem virtuellen Glas. Das Zittern seiner Hände war kaum zu übersehen, obwohl er sich bemühte, es zu unterdrücken.

Da'an war unschlüssig. Er sah die Lichter draußen, sah die Stadt, die unter einer Decke von weißem Schnee lag, der jedoch keineswegs weiß wirkte. Der ohnehin schon mondlose Himmel war von Nebelschleiern verhüllt. Es musste kalt draußen sein, der Mann, den er einsam die Straße entlanggehen sah, trug einen langen, dicken Mantel, dazu einen Schal und Handschuhe.
Er spürte, wie seine Hände wieder zu zittern begannen, wusste, wonach sein Körper verlangte. Aber sollte er dem nachgeben, so wie immer? Nur ein paar Schritte, ein Handgriff, es wäre so einfach - aber es wäre ein erneutes Zugeständnis an seine Schwäche. Wollte er das? Es wäre nur von kurzer Dauer, die Entzugserscheinungen würden wieder kommen. Und wenn er es nicht tat? Es war ihm egal. - Warum eigentlich? Wegen T'than? Vielleicht.

Liam trat von einem Fuß auf den anderen. Was sollte er machen? Irgendwie verstand er, dass in letzter Zeit vielleicht ein wenig zu viel geschehen war. Es ging nicht alles spurlos an Da'an vorbei, die Ereignisse hatten ihn berührt. Der Tod von Anja, das Zerwürfnis mit T'than, der erneute Streit mit Zo'or... das Kryss...


Ta'sens und Anjas unterirdisches Versteck

Ta'sen klopfte an Anjas Tür. Als er keine Antwort erhielt, öffnete er sie langsam und trat ein. Anja war nicht da. Wahrscheinlich war sie im Labor. Doch auch dort war keine Spur von ihr, abgesehen von einer geöffneten Computerdatei. Dabei war er sich sicher, alle Dateien geschlossen zu haben...
„Anja?” Stille. „Anja, wo sind Sie?” Keine Reaktion. Langsam machte sich Ta'sen Sorgen. Vielleicht sollte er in den anderen Räumen dieses ehemaligen Bunkers nachsehen? Doch Anja war nirgends zu finden. Und auch das Portal war während seiner Abwesenheit nicht benutzt worden.
„Sha'bra!” So schnell er konnte, machte sich der Taelon auf den Weg zum Ausgang. Und tatsächlich, die Tür stand offen. Er eilte die Treppen hinauf und bemerkte, dass auch die Außentür geöffnet war. Draußen zogen sich Fußspuren durch den Schnee, Anjas Spuren.


Washington, Botschaft des nordamerikanischen Companion

Da'an zuckte erschrocken zusammen, als ein Signalton seines Computers die Stille durchbrach. Langsam drehte er sich um und öffnete den Datenstrom.
„Ja? - Agent Sandoval?”
„Entschuldigen Sie die späte Störung, Da'an.” Der Taelon bedeutete ihm mit einer Geste, weiterzureden. Es schien Da'an nicht gut zu gehen... „Ist Ta'sen bei Ihnen?”
„Nein.”
„Falls er Sie aufsuchen sollte sagen Sie Ihm bitte, dass Zo'or ihn zu sprechen wünscht.”
„Natürlich.”
Nachdem die Verbindung beendet war, stand Da'an noch eine Weile vor dem virtuellen Bildschirm. Ein wenig erstaunt stellte er fest, dass seine Hände nicht mehr zitterten. Dafür schien sich jedoch der Raum zu bewegen... Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, gar kein Kryss mehr nehmen zu wollen...
Vorsichtig ging er zu seinem Stuhl und entnahm dem Fach unter der Armlehne eine kleine, durchsichtige Ampulle. Zögernd drehte er sie eine Weile hin und her, fasziniert von dem Spiel des Lichts auf der Glasoberfläche und den kleinen blauen Körnchen.
Der Raum um ihn herum schien immer stärker zu schwanken, sich in alle Richtungen zu bewegen. Warum zögerte er? Der synthetisch gewonnene Inhalt dieser Ampulle würde ihm nicht schaden.

Hin und her gerissen zwischen Sorge und Neugier beobachtete Liam den Taelon. Er hatte eine Phiole in der Hand, aber war es echtes Kryss oder nicht? Liam zweifelte daran, dass Da'an sein Versprechen halten würde, aber warum sollte er das Risiko eingehen? Der Taelon wusste doch, welche Auswirkungen es haben könnte - im schlimmsten Fall tödliche.
Plötzlich war es Liam egal, wie Da'an auf diesen späten Besuch - und die Missachtung eines ausdrücklichen Befehls - reagieren würde. Was, wenn er doch mit dem Gedanken spielte...
Mit einem entschlossenen Schritt betrat Liam den Raum. „Da'an?”
Beinahe unmerklich zuckte der Taelon zusammen und hob ruckartig den Kopf. „Liam? Was... Warum sind Sie hier?” Als ihm auffiel, wie erschrocken diese Frage geklungen haben musste fügte er hinzu „Haben Sie etwas hier vergessen?”
„Nein, Da'an. Ich...” Eigentlich wollte er sagen Ich habe mir Sorgen gemacht, aber seine Stimme streikte auf einmal, er brachte es einfach nicht über sich, das zu sagen.
Als sein Beschützer keine Anstalten machte weiterzureden, wollte Da'an zu einer weiteren Frage ansetzen, doch da fiel ihm Liams Blick auf: Er starrte auf Da'ans Hand, in der sich immer noch das Kryss befand.
Langsam wurde das Schweigen unangenehm und zudem fiel Liam auch erst jetzt auf, dass er die ganze Zeit Da'ans Hand angestarrt hatte. Beinahe hastig hob er den Kopf ein wenig und schaute dem Taelon ins Gesicht. „Da'an, ich habe... ich habe mich gefragt, ob mit Ihnen alles in Ordnung ist.” Jetzt war es raus.
Da'an war sichtlich überrascht. Nach kurzem Überlegen meinte er schließlich „Danke.” Es schien ihm an der Zeit, sich nicht immer zu verstellen; vielleicht sollte er endlich einmal das tun, was ihm - ihm ganz allein - richtig erschien; ohne anderen vor den Kopf zu stoßen nur um die Ziele zu verfolgen, die ihm von anderen auferlegt wurden.
Liam stutzte. Danke?
Da'an konnte das Fragezeichen im Gesicht seines Beschützers geradezu sehen. „Es ist gut zu wissen, dass sich jemand um mich sorgt.” Und nach einem erneuten Blick auf das Kryss fügte er hinzu „Es ist nur das synthetische.”
Erleichtert atmete Liam auf. Und für einen kurzen Moment spürte er das gleiche Gefühl in sich aufsteigen, dass er früher einmal für Da'an empfunden hatte.

 

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