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  „Black Out” von Ma'ri   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen außer Liana, Melanie Harris und To'ar gehören den Eigentümern von Mission Erde/Earth: Final Conflict. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Da'an gerät unter Verdacht einen Wissenschaftler ermordet zu haben.
Zeitpunkt:  dritte Staffel, Fortsetzung zu „With or without you”
Charaktere:  Da'an, Boone, Lili, Augur, Liam, Zo'or, Re'sha, Melanie/Liana, [Sandoval, To'ar]
 

 

BLACK OUT

 

Teil 2

Die Journalisten und Fotografen drängten sich bereits vor dem Eingang, als das Shuttle landete. Boone und Liam bewegten sich darauf zu, um Zo'or willkommen zu heißen, während die vorderen Teile der Hülle elegant zurückklappten und den Blick auf die Insassen freigaben. Agent Harris erhob sich vom Pilotensitz, nickte Boone kurz zu und wandte sich dann ihren Passagieren zu. Agent Sandoval verließ als erster das Shuttle, ihm folgte Zo'or und hinter ihm ... ein Taelon, den sie vorher noch nie gesehen hatten. Er war etwas kleiner als Zo'or und trug einen dunkelblauen Anzug. Seine Bewegungen hatten die für einen Taelon typische Anmut und sein Blick war verhältnismäßig offen und freundlich, als er auf die beiden Beschützer fiel. Er zögerte einen Moment, kam dann auf sie zu und formte den Taelon-Gruß.
„Mein Name ist Re'sha. Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Commander Boone, Major Kincaid.”
Sie erwiderten den Gruß etwas ratlos. Agent Sandoval trat neben sie und erbarmte sich ihrer. „Re'sha wird von nun an Da'ans Amt ausführen. Zo'or wird ihn gleich der Presse vorstellen. Wir sollten gehen.” Damit folgte er Zo'or, der sich bereits durch einen von Freiwilligen bewachten Nebeneingang in das Gebäude begeben hatte. Auch Re'sha wandte sich um und Boone begleitete ihn, während Liam ein Stück zurückblieb.
„Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen. Ich bin Liam Kincaid”, sagte er freundlich und gab der Companion-Agentin die Hand.
Sie schüttelte sie kurz. „Melanie Harris. Angenehm.”
Während sie den anderen in das Innere des Gebäudes folgten, fragte er: „Agent Sandoval hat mir nicht erzählt, dass er eine neue Assistentin hat. Seit wann arbeiten Sie für die Companions?”
„Noch nicht sehr lange. Knapp zwei Wochen.”
„Dann herzlich willkommen im Club.”
„Danke.” Sie sah kurz zu ihm auf. „Wie ich hörte sind Sie nicht implantiert. Darf ich fragen, wie Sie es geschafft haben, Da'an bis jetzt zu beschützen?”
Er musste fast lachen über diese etwas unhöfliche Frage. ‚Implantanten’, dachte er. „Meinen Sie, die Fähigkeit einen Taelon zu beschützen hinge von einem Cyber-Virus ab?”
„Das nicht, aber manchmal von einem Skrill.”
„Es gibt auch andere Waffen.”
„Das Potential einer Energiewaffe ist um einiges geringer als das eines Skrills.”
„Sie scheinen ja ganz schön stolz auf das Ding zu sein.”
„Nein, Major, das sind nur die Fakten.”
„Natürlich”, meinte er mit einem spöttischen Lächeln.
Inzwischen hatten Sie die anderen eingeholt und folgten ihnen in einem Blitzlichtgewitter auf die Bühne. Liam klappte sein Global auf und kontaktierte die Sicherheitsleute, die in dem Gebäude und an den Eingängen stationiert waren. Leise forderte er einen Bericht an. Kurz darauf ließ er zufrieden sein Global zuschnappen. Zo'or und Re'sha ließen sich inzwischen an dem Tisch nieder, den man für sie aufgestellt hatte. Darauf waren zwei kleine Mikrophone angebracht. Die Beschützer hielten sich etwas abseits, nur Sandoval hatte schräg hinter Zo'or Stellung bezogen.
„Sinaui Euhura”, begrüßte Zo'or die Presseleute. „Zuerst möchte ich mein tiefstes Bedauern für den Verlust Ihres Companions ausdrücken.” Sofort wollte man ihn mit Fragen bestürmen, doch er hob die Hand und es wurde wieder ruhig. „Doch da das Amt neu besetzt werden muss, möchte ich Ihnen nun Re'sha vorstellen. Er wird in Kürze Da'ans Nachfolge antreten.”
Diesmal ließen sich die Journalisten nicht halten. „Was ist mit Da'an?”- „Hat er tatsächlich einen Mord begangen?”- „Wo ist er?”- „Wird es eine Gerichtsverhandlung geben?”- „Wann werden Sie Ihr neues Amt antreten, Re'sha?”
Zo'or beantwortete fast alle Fragen, doch er nannte keine Details. Die Kunst, mit vielen Worten nichts zu sagen, beherrschte er offenbar perfekt. Danach hielt Re'sha eine kleine Rede, in der er ebenfalls sein Bedauern über Da'ans Entlassung und seine Freude ausdrückte, dem amerikanischen Volk von nun an als Companion dienen zu dürfen.
Die Pressekonferenz verlief ohne Zwischenfälle. Nach einer Stunde verließen Sie das Gebäude wieder und kehrten zum Shuttle zurück.

 
* * *
 

Lili beobachtete, wie das Computergenie den Taelonstuhl an eine Art Energiequelle anschloss, die ebenfalls sehr außerirdisch aussah.
„Wo hast du das Ding her?”, fragte sie immer noch ungläubig.
„Tja, das hat mich einiges gekostet. Ich musste mehrere alte Bekannte kontaktieren, die mir noch einen Gefallen schuldeten. Und jetzt schuldet ihr mir was!”
„Augur, WO hast du es her?”
„Ich verrate doch nicht meine Quellen, Lili!”, meinte er augenzwinkernd.
Sie seufzte. War ja eigentlich auch egal. Hauptsache, das Ding funktionierte. „Wann ist es einsatzbereit?”
„In einer halben Stunde. Ich muss noch ein paar Einstellungen machen. Du willst doch nicht, dass unserem blau leuchtenden Freund beim Essen schlecht wird”, erwiderte er grinsend. „Reichst du mir mal das Kabel da drüben?”
Lili starrte ihn an. „Was hast du gerade gesagt?”
„Ich sagte: Reichst du mir bitte mal das Kabel da drüben!”
„Nein, davor.”
Verständnislos sah er sie an.
„Du sagtest, du müsstest noch ein paar Einstellungen machen, damit Da'an beim ‚Essen’ nicht schlecht wird.”
„Ja, und?” Augur verstand immer noch nicht.
„Du meinst also, man könnte den Stuhl so manipulieren, dass es einem Taelon schaden könnte?”
„Wenn man die Sequenz nicht richtig anpasst, könnte man es einem Taelon in seinem Bettchen ziemlich ungemütlich machen.”
„Sag mal, woher weißt du das?”
Er zuckte die Achseln. „Doors hat mich mal mit der Forschung auf diesem Gebiet beauftragt. Aber da man einen Taelon damit nicht umbringen kann, waren die Ergebnisse für ihn wertlos.”
Lili begann, unruhig auf und ab zu laufen. „Könnte es nicht eine Form von Energie geben, die Taelons schadet wie Gift den Menschen?”
Der Hacker sah ihr nachdenklich beim Hin- und Herlaufen zu. „Möglich. Aber es müsste nicht einmal Energie sein. Denk doch mal an Bliss.”
„Bliss kann es nicht sein. Die Symptome sind anders, glaub mir”, meinte sie mit bitterem Unterton.
„Naja, dann eben irgendein anderer Stoff, der solche Black Outs hervorruft.”
Nun war Lili nicht mehr zu halten. Sie rannte beinahe zu Da'ans Zimmer, klopfte an die Tür, wartete nicht einmal eine Antwort ab, sondern trat einfach ein. Einen Moment lang blieb sie wie erstarrt in der Tür stehen.
Da'an lag reglos auf dem Bett, den Rücken ihr zugewandt, die menschliche Hülle längst verloren. Die Beine hatte er leicht angezogen, die Arme um den Leib geschlungen. Ihr drehte sich der Magen um, als ihr bewusst wurde, dass er sie angelogen hatte. Er konnte die Stille wahrscheinlich keine Minute ertragen, geschweige denn mehrere Stunden. Und sie hatte sich vor den Konsequenzen der Errichtung einer dauerhaften mentalen Verbindung mit ihm gefürchtet!
Mit wenigen Schritten ging sie um das Bett herum und kniete neben ihm. Sanft löste sie seine Hände aus der Umklammerung, nahm ihn vorsichtig in den Arm und rief ihn leise.
Irgendwann öffnete er müde die Augen und sah sie an, doch brauchte er eine Weile, sie zu erkennen.
„Lili ... bitte ...” Es war kaum zu hören.
„Schhh, ist schon gut”, sagte sie leise. Dann spürte sie, wie er die Verbindung herstellte. Sie übertrug beruhigende Gedanken auf ihn, versuchte, ihm Trost zu spenden, ihn in eine Decke aus warmen, freundschaftlichen Gefühlen zu hüllen.
Fast augenblicklich ging es ihm besser, doch diesmal klammerte er sich auch physisch an sie, als hätte er Angst, den Halt zu verlieren und in einen tiefen Abgrund zu stürzen. Erst nach einer ganzen Weile kam sie dazu, ihm die entscheidende Frage zu stellen:
*Da'an? Gibt es Stoffe, mit dem man einen Taelon ‚vergiften’ könnte?*
*Ich bin kein Heiler, Lili. Aber es gibt Stoffe, die Einfluss auf unser Wohlbefinden nehmen können.*
*Könnte das die Ursache für deine ... Krankheit sein?*
*Ich ... weiß es nicht. Wie gesagt, ich bin kein Heiler.*
So würde sie nicht weiterkommen, daher wechselte sie das Thema. *Augur hat einen Energiestrom für dich besorgt. Kannst du aufstehen?*
Er nickte nur erschöpft und ließ sich von ihr beim Aufstehen helfen. Vorsichtig stützte sie ihn auf dem Weg in Augurs Wohnbereich, wo der Hacker den Stuhl in einer Ecke montiert hatte. Das Computergenie hatte sich offenbar beeilt mit den Einstellungen, denn nun deutete er mit einer weit ausholenden Geste und einer angedeuteten Verbeugung auf den Stuhl.
Lili half dem Taelon, sich darauf zu setzen. Da'an sah zu Augur hinüber und neigte den Kopf. „Ich danke Ihnen”, sagte er leise. Dann vollführte er einen anmutige Geste und lehnte sich zurück, während ein Regen aus bläulichen Funken auf ihn nieder fiel.

 
* * *
 

Fast konnte man meinen, es hätte sich nichts verändert. Wieder stand eine Gestalt am Fenster, die Hände in stetiger Bewegung, den Blick auf die Monumente Washingtons gerichtet. Doch es war nicht wie sonst. Der Taelon, der dort stand, war nicht Da'an.
Re'sha wandte sich um, als er Boones Anwesenheit spürte. Er formte den Taelongruß und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Commander Boone.”
„Sie wollten mich sprechen, Re'sha?”
„Ja.” Der Taelon begab sich zu seinem Stuhl und ließ sich darauf nieder. Dann musterte er den Implantanten eingehend. „Ich habe gehört, die Beziehung zwischen Ihnen und Da'an sei enger gewesen als es gewöhnlich zwischen einem Beschützer und seinem Companion der Fall ist. Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte mich nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen ... aber ich habe mich gefragt ...”
Boone sah ihn erwartungsvoll an.
„Nun, ich bin sicher, Sie sind nicht besonders glücklich darüber, jetzt mich beschützen zu müssen.”
„Es ist meine Aufgabe, den Taelons zu dienen, und wenn das beinhaltet, Sie statt Da'an zu beschützen, so bin ich damit zufrieden.”
Re'sha erhob sich, stieg von dem kleinen Podest herunter, auf dem der Stuhl stand, und ging langsam um den Beschützer herum. Schließlich blieb er direkt vor ihm stehen. „Ihr Motivations-Imperativ mag keinen Unterschied machen, wem Sie dienen, doch er verhindert nicht, dass Sie besondere Sympathie für einen einzelnen Taelon empfinden.”
Boone hielt dem durchdringenden Blick der blauen Augen stand. „Trauen Sie mir so wenig Professionalität zu, dass ich mich von meinen Sympathien leiten lasse?”
„Im Gegenteil, Commander. Ich halte Sie für überaus kompetent.”
Dieser Taelon schien Gefallen daran zu finden, ihn zu verwirren. „Worauf wollen Sie hinaus?”
Re'sha kehrte wieder auf seinen Stuhl zurück und sah ihn wieder auf diese seltsame Weise an. „Sagen wir es so: Ich bin zwar sehr erfreut über meine Ernennung zum nordamerikanischen Companion ... allerdings wäre ich ebenso erfreut darüber, wenn Da'an zurückkehrte ...”
Der Beschützer starrte den Companion ungläubig an. Er hatte ihm gerade praktisch den Auftrag erteilt, nach Beweisen für Da'ans Unschuld zu suchen. „Darf ich Ihnen eine Frage stellen?”, brachte er schließlich heraus.
Der Taelon machte eine auffordernde Geste.
„Weiß Zo'or von Ihrer Sympathie für Da'an?”
Ein leichtes Zucken um seine Mundwinkel verriet die Belustigung des Companions. „Selbst wenn er es wüsste, so kann er doch nicht gegen den Wunsch der Synode handeln. Und ich war nach Da'an der nächste in der Rangfolge.”
Boone verneigte sich leicht, formte den Taelongruß und verließ das Büro des Companions. Die Zusammenarbeit mit Re'sha würde bestimmt nicht langweilig werden.

 
* * *
 

Agent Harris sah ziemlich erschöpft aus, als sie sich in dem Stuhl vor seinem Schreibtisch niederließ und ihm eine kleine Datendisk reichte. „Es war nicht leicht, da heran zu kommen.”
„Danke”, sagte er und warf ihr einen besorgten Blick zu. „Sie sehen ziemlich fertig aus. Geht es Ihnen gut?”
„Ja. Sandoval und Zo'or finden leider großen Gefallen daran, ihre Untergebenen herum zu scheuchen”, erwiderte sie müde und massierte sich die Schläfen.
Boone betrachtete die Daten von der Disk auf einem seiner Monitore. Sie zeigten die Energiesignatur, die man am Opfer gefunden hatte. Darunter war zum Vergleich Da'ans Energiesequenz abgebildet. Sie waren nahezu identisch.
„Wenn jemand Da'an die Schuld unterschieben wollte, hat er gute Arbeit geleistet”, meinte er nachdenklich. „Und er muss nahe an ihn herangekommen sein ...”
„Haben eigentlich die Leute, die Mrs. Fielding überwachen sollten, irgend etwas gemeldet?”
„Nichts”, antwortete er in resigniertem Tonfall. „Wir haben sowohl ihr Telefon als auch ihr Global abhören lassen. Sogar ihre Post haben wir überprüft. Nichts. Sie ist einkaufen und zur Arbeit gegangen, aber sie scheint niemanden getroffen zu haben, der ihr Anweisungen hätte geben können.”
„Was ist mit ihrem Mann?”
„Dasselbe: Nichts Ungewöhnliches.”
„Vielleicht haben sie ja auch gar nichts damit zu tun ...”
„Vielleicht ... aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass da etwas faul ist.”
Gedankenverloren sah sie an ihm vorbei aus dem Fenster in die Schwärze der Nacht. Eigentlich hatten sie beide längst Feierabend. „Machen wir Schluss für heute”, schlug er vor.
Sie nickte müde, stand auf und wartete, bis er seinen Mantel angezogen hatte. Schweigend bestiegen sie den Fahrstuhl. Er betrachtete sie von der Seite, während sie zum Stockwerk mit dem Shuttle-Landeplatz hinauf fuhren. Sie sah nicht schlecht aus, auch wenn es einem im ersten Moment nicht auffiel. Die feinen Gesichtszüge ließen sie ein wenig verletzlich erscheinen, obwohl sie meistens versteinert wirkten, wie bei fast allen Implantanten.
Der Fahrstuhl hielt an und sie traten in die kleine Shuttle-Bucht hinaus. Während sie sich auf den Pilotensitz setzte und die Checkliste durchging, nahm er in einem der Sessel Platz.
„Soll ich Sie nach Hause fliegen oder möchten Sie noch irgendwo anders hin?”, fragte sie ihn über die Schulter hinweg.
„Moment, ich überspiele Ihnen die Koordinaten, wo Sie mich absetzen können”, meinte er und zog sein Global aus der Tasche.
„St. Michaels?”, fragte sie verwundert, als sie die Koordinaten sah.
„Ich mag die Atmosphäre in dieser Kirche. Man kann dort wunderbar nachdenken”, log er.
Sie warf ihm ein spöttisches Lächeln zu und zuckte die Achseln. „Wenn Sie meinen ...”
Sanft ließ sie das Shuttle abheben.

 
* * *
 

Er materialisierte sich im Portal auf dem Mutterschiff, nickte dem Freiwilligen, der die Portalfunktionen überwachte, höflich zu und machte sich auf den Weg zur Brücke. Es war bestimmt kein angenehmer Grund, aus dem er hier war, doch letztendlich hatte es keinen Sinn, es aufzuschieben.
Als er auf der Brücke eintraf, sprach Zo'or gerade leise mit To'ar, brach das Gespräch jedoch sofort ab, als er ihn sah.
„Kann ich irgend etwas für dich tun, Re'sha?”, fragte der Synodenführer kühl, während To'ar ihn mit einem abfälligen Blick maß.
„Ich möchte mit dir reden ... allein.”
Zo'or warf To'ar einen unbestimmbaren Blick zu, erhob sich jedoch dann und verließ zusammen mit Re'sha die Brücke. Kurz darauf betraten sie einen abgeschiedenen Raum, von dem man durch große Fenster einen wunderschönen Ausblick auf die Erde hatte. Re'sha trat an das virtuelle Glas heran und betrachtete den blauen Planeten.
„Was wolltest du mit mir besprechen?”, fragte der Synodenführer etwas ungeduldig.
„Ich bin erst vor kurzem hierher gekommen und schon scheinst du meiner Gesellschaft überdrüssig”, erwiderte der kleinere Taelon, wobei ein spöttisches Lächeln um seine Mundwinkel zuckte. Sofort wurde er wieder ernst, drehte sich zu Zo'or um und sah ihn mit leicht zur Seite geneigtem Kopf an. „Ehrlich gesagt, mir gefällt die Gesellschaft nicht, in der du dich befindest.”
„To'ar? Warum?”
Re'sha sah an ihm vorbei ins Leere. „Ich weiß nicht ... ich vertraue ihm nicht.”
Zo'or trat einen Schritt auf ihn zu und versuchte, seinen Blick aufzufangen. „Bist du eifersüchtig?”
„Eifersucht? Zo'or, ich bin gerade erst auf die Erde gekommen und so schnell passe ich mich der Spezies, mit der wir uns befassen, nun auch nicht an”, antwortete er sarkastisch. Noch immer wich er dem Blick seines Gegenübers aus.
Der größere Taelon kam noch einen Schritt näher, hob die Hand und ließ seine Finger sanft über Re'shas Wange streichen. Dieser jedoch wich einen Schritt zurück und sah ihn traurig an. „Wir haben uns so lange nicht gesehen und du hast dir bisher nicht einmal die Zeit für ein privates Gespräch genommen.” Bevor der Angesprochene etwas erwidern konnte, fuhr er fort: „Ich glaube, wir haben uns zu weit voneinander entfernt in den letzten Jahren. Damals hätte ich dir nicht zugetraut, deinen eigenen Chi'ma'hé in die Leere zu schicken, doch heute ...”
Zo'or blickte starr aus dem Fenster. „Glaubst du, es hätte mir gefallen, dieses Urteil aussprechen zu müssen?”
„Das nicht, aber du hast es getan ... und ich nehme an, du würdest dieses Urteil auch über mich verhängen”, sagte der kleinere Taelon mit einer Kälte in der Stimme, die Zo'or für einen Moment die Kontrolle über seine Fassade verlieren ließ. „Spar dir die Lüge, mein Freund.” Damit wandte Re'sha sich ab und verließ den Raum.

 
* * *
 

Er sah dem Shuttle nach, als es im ID-Raum verschwand. Es wehte ein kühler Nachtwind, der den Geruch von Regen mit sich trug. Kein einziger Stern war am Himmel zu sehen ... nur das unnatürliche Leuchten, das nachts über den Städten lag. Vom Weltraum sahen die kleinen Lichtflecken so unbedeutend aus ... man konnte sich kaum vorstellen, dass hier Millionen von Menschen lebten.
Er betrat die Kirche und setzte sich in eine der Bankreihen. Auch wenn er kein sonderlich gläubiger Mensch war, empfand er die Ruhe dieser Gebäude tatsächlich als wohltuend. Einen Moment lang presste er die Hände gegen die Schläfen. Warum gelang es ihm nicht, Ordnung in dieses Chaos zu bringen? Da'an konnte einfach nicht diesen Mord begangen haben, also warum fand er keinen Fehler ... keine Bruchstelle in diesem Gefüge aus Lügen und Täuschung? Wo war der Schwachpunkt des Planes? Offenbar nicht bei Josey Fielding ... aber wo dann? Vielleicht sollte er mal mit dem Taelon-Wissenschaftler sprechen, der Da'ans Energiesequenz an der Leiche entdeckt hatte.
Er zog sein Global aus der Tasche und kontaktierte Liam.
„Haben Sie sich mal in den einzelnen Widerstandszellen umgehört, ob einer von denen seine Finger im Spiel hatte bei dem Fall?”
„Habe ich. Sie haben nichts damit zu tun.”
„Sicher?”
„Ziemlich. Aber der Widerstand ist schwer zu überblicken seit dem Ausnahmezustand. Vielleicht gibt es Splittergruppen, von denen wir nichts wissen.”
„Okay, aber hören Sie sich bitte weiter um, Major.”
„Mache ich. Kincaid Ende.”
Resigniert klappte Boone sein Global zu. Wer hatte außer dem Widerstand noch ein Interesse, Da'an aus dem Weg zu räumen? Nach Liams Berichten: Zo'or. Aber warum gerade jetzt? Was war vorgefallen, dass Zo'or eine aufwendige Intrige spann, um Da'an los zu werden?
Er sah sich um und überprüfte, ob ihm jemand gefolgt war. Dann erhob er sich und schlenderte zu dem Nebenraum, in dem sich der Zugang zu Augurs unterirdischer Wohnung befand. Die Sorge um seinen Companion ... nein, seinen ehemaligen Companion ... die er bis jetzt versucht hatte zu verdrängen, kehrte zurück. Was, wenn er es nicht schaffte?

 
* * *
 

Es sah schön aus, wenn er schlief. Nun ja, eigentlich war es kein richtiges Schlafen ... aber wie sollte man es sonst bezeichnen?
Seine Augen waren geschlossen, sein ganzer Körper nahm die Energie auf, die sich über ihn ergoss. Doch auch während er schlief, umklammerte seine Hand die ihre, ließ den geistigen Kontakt nicht abbrechen. Sie strich sanft mit ihrem Daumen über seinen Handrücken ... eine tröstende Berührung, die jedoch nichts war im Vergleich zu dem Trost, den sie ihm über die geistige Verbindung zu spenden versuchte.
Momentan war er ruhig ... schien ein wenig Ruhe gefunden zu haben in ihren Gedanken. Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht, als sie darüber nachdachte, wie hoch er ihre Gedanken, ihre Gefühle ... das, was sie im Inneren ausmachte, schätzte. Sofort verbarg sie es wieder, als Augur aus einer anderen Ecke seiner Wohnung herüberkam.
„Wie geht es ihm?”, fragte er leise.
„Ein bisschen besser”, antwortete sie ebenfalls im Flüsterton. „Er ist nur sehr erschöpft.”
Der Hacker ließ seinen Blick einen Moment lang auf Lili ruhen, dann wandte er sich um und ging in Richtung seiner Küche. Bevor er jedoch dort eintraf, glitten die Türen des Aufzugs auseinander und Boone trat ein. Er nickte dem Hacker zu und fragte leise: „Wo ist er?”
Augur antwortete nur mit einer weit ausholenden Geste in Richtung des Energiestroms, den er installiert hatte. Boone nickte noch einmal und ging zu Da'an und Lili hinüber.
Fragend sah er sie an und deutete auf Da'ans Hand, die in ihrer lag.
„Er braucht die geistige Verbindung. Sie haben ihn vom Gemeinwesen isoliert, Boone”, antwortete sie leise auf die stumme Frage.
Der Companion-Beschützer starrte sie an und schüttelte dann ungläubig den Kopf. „Dass Zo'or zu solchen Mitteln greifen würde ...”
„Es ist grausam”, sagte sie fast tonlos. Dann hob sie den Blick von dem Gesicht des Taelons und sah Boone an. „Hast du irgend etwas herausgefunden?”
„Bisher leider nichts.”
„Könntest du irgendwie in Erfahrung bringen, ob es ein Gift gibt, das bei Taelons Schwächeanfälle und Black Outs bewirkt?”
„Ein Gift?”
„Ja. So ähnlich wie Bliss.”
Er dachte über das nach, was er über die vorübergehende Abhängigkeit vieler Menschen von dieser Droge gelesen hatte. „Okay, ich werde versuchen, etwas herauszufinden. Ich wollte sowieso mit dem Taelon-Wissenschaftler sprechen, der Da'ans Energiesequenz an der Leiche gefunden hat.”
„Gerade den würde ich nicht danach fragen.”
„Du meinst, er habe seine Finger im Spiel?”
Sie zögerte. „Ich weiß nicht, aber ich wäre lieber vorsichtig.”
Boone nickte nur und ging dann leise zu Augur in die Küche. Der Hacker machte sich gerade irgend etwas undefinierbares zum Essen.
„Und? Gehen die Ermittlungen voran?”
„Nicht sonderlich gut. Aber ich habe unerwartete Hilfe bekommen.”
„Von wem?”
„Sandovals neuer Assistentin.”
Der Hacker, der gerade einen Schluck Wein getrunken hatte, prustete die Hälfte wieder heraus. „Sandovals neue Assistentin? Bist du verrückt?”
„Ich denke nicht, dass sie mich verraten wird.”
„Weiß Liam davon?”
„Nein. Und er braucht es auch nicht zu wissen.” Die Reaktion des jüngeren Beschützers konnte er sich lebhaft vorstellen.
„Dachte ich mir. Sonst hätte er ja was gesagt.”
„Er war hier?”
„Ja, er wollte Da'an nach einem Taelon namens Re'sha fragen.”
„Der neue nordamerikanische Companion. Ja, eine wirklich interessante Persönlichkeit. Er hat mir praktisch den Auftrag gegeben, nach Beweisen für Da'ans Unschuld zu suchen.”
Augur sah ihn ernst an. „Du solltest ihm nicht vertrauen, wenn du nicht hundertprozentig sicher bist, wo seine Loyalitäten liegen.”
„Keine Sorge ... ich vertraue niemandem.” Mit einem spöttischen Lächeln wandte Boone sich zum Gehen.

 
* * *
 

Wie hatte sich nur alles so verändern können? Dass es jemals eine Zeit gegeben hatte, in der er Zufriedenheit und Glück verspürt hatte, erschien ihm jetzt wie ein alter, halb vergessener Traum ... verschwommene Erinnerungen an glücklichere Zeiten. Aber vielleicht war es gut so. Die klare Erinnerung hätte ihn nur wehmütig gemacht. Veränderungen hatte er nie gefürchtet, doch nun, da sie geschehen waren ...
Seine sich stetig bewegenden Hände ballten sich kurz zu Fäusten und seine menschliche Fassade wurde für einen Moment durchsichtig. Er war zu lange fort gewesen. Wie hatte er glauben können, dass alles beim Alten bleiben würde? Nein, das hatte er auch nicht geglaubt ... aber er hatte nicht erwartet, dass alles in seinen Händen zu Staub zerfallen würde, den der Wind davontrieb. Nun, Zo'ors Ambitionen waren ihm schon vor dieser Mission bekannt gewesen, doch die große Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete, hatte ihn verändert ... zu sehr verändert. Wie konnte er seinen eigenen Chi'ma'hé ...
Wieder verlor er die Kontrolle über seine Fassade. Warum verstand Zo'or nicht, dass der Verlust des Taelons, der einen geboren hatte, auch den Verlust eines Teiles des eigenen Selbst bedeutete? Nun, vielleicht musste man es selbst erlebt haben, um es zu verstehen.
Er war so in seine Erinnerungen vertieft, dass er die Anwesenheit des Menschen erst spürte, als dieser sich räusperte. Ein wenig erschrocken wandte er sich um.
„Commander Boone ...”
„Entschuldigen Sie bitte.” Er formte den Taelongruß und verneigte sich leicht. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.”
Re'sha erwiderte den Gruß und sah den Beschützer mit leicht zur Seite geneigtem Kopf an. „Haben Sie etwas Neues herausgefunden?” Langsam ging er zu seinem Stuhl hinüber und ließ sich darauf nieder.
„Leider noch nicht, doch ich habe eine Bitte.”
Der Companion vollführte eine auffordernde Geste.
„Könnten Sie mir Zugang zu Daten über Stoffe verschaffen, die auf das Wohlbefinden ihrer Spezies Einfluss nehmen?”
„Ich nehme an, Sie haben bereits in den Datenbanken gesucht?”
„Das habe ich, allerdings wurde mir ab einem bestimmten Punkt der Zugriff auf die Daten verweigert.”
„Und nun bitten Sie mich, Ihnen Informationen zu beschaffen, die unter Geheimhaltung stehen?”, fragte Re'sha in schärferem Tonfall als er eigentlich beabsichtigt hatte.
„Es würde mir helfen einen Anhaltspunkt dafür zu finden, was es mit dieser geheimnisvollen Krankheit auf sich hat, an der Da'an leiden soll.”
Der Taelon sah ihn eine ganze Weile lang schweigend an. Da'an hatte diesem Individuum vertraut ... doch konnte er sich auf Da'ans Urteil verlassen? Konnte er sich überhaupt noch auf irgend etwas verlassen? Wer konnte schon mit Sicherheit sagen, ob sein Vertrauen enttäuscht oder gar missbraucht würde? Er gab sich einen Ruck und stand auf.
„Gut. Ich werde Ihnen die Daten beschaffen, die sie brauchen. Kommen Sie in einer Stunde wieder.” Mit einer Geste entließ er den Menschen.
Sobald die Schritte des Commanders verklungen waren, öffnete Re'sha mit einer grazilen Armbewegung den Datenstrom und begab sich auf die Suche nach den Dateien über Giftstoffe ...

 
* * *
 

Als sie die Augen aufschlug, wusste sie nicht, wie viele Stunden sie nun schon neben ihm gesessen hatte. Augur hatte ihr einen seiner Liegestühle und eine Decke gebracht und sie war irgendwann eingedöst. Der Raum war nur erhellt durch das sanfte blaue Glühen. Immer noch berührten sich ihre Hände ...
Als sie in sein Gesicht sah, bemerkte sie, dass er die Augen geöffnet hatte.
„Da'an? ... Da'an!”, rief sie ihn leise.
Er wandte leicht den Kopf und sah sie an. *Lili ...* Er richtete sich ein wenig auf und sein Blick glitt über den Liegestuhl, auf dem sie geschlafen hatte. *Es tut mir leid, dass du das auf dich nehmen musst.*
Sie schüttelte leicht den Kopf. *Schon in Ordnung.*
Er sah sie besorgt an. *Du bist erschöpft. Du solltest ein wenig schlafen.*
*Das habe ich eben.*
*Ich meine, du solltest in einem Bett schlafen, nicht auf so einem unbequemen Liegestuhl.*
*Ich bin Schlimmeres gewöhnt.*
*Lili ...*
*Deine Rücksichtnahme ist wirklich rührend, aber du brauchst sowohl die Energie als auch die geistige Verbindung, also bleibe ich hier!*
Er senkte den Blick und eine ganze Weile lang hingen sie beide ihren eigenen Gedanken nach.
*Ist schon seltsam ...*
*Was?*
*Die Vorstellung, ständig in geistigem Kontakt zu allen anderen Individuen seiner Spezies zu stehen.*
Er lächelt leicht. *Ihr Menschen hütet lieber eure Geheimnisse.*
*Habt ihr Taelons überhaupt keine Geheimnisse voreinander?*
*Doch ... manchmal. In den letzten Jahren haben wir uns immer weiter voneinander entfernt. Wir verschweigen einander mehr. Und dennoch halten wir an der geistigen Verbindung fest.*
*Seltsam ... wir Menschen genießen es oft, mit unseren Gedanken allein zu sein, während es für euch offenbar kaum etwas Schlimmeres geben kann.*
Wieder senkte er den Blick als wäre es ihm unangenehm über diese „Schwäche” zu reden. Immer noch hielt er große Teile seines Geistes vor ihr verschlossen, so dass sie nicht mit absoluter Sicherheit sagen konnte, was er gerade dachte. Sie begann es als ein wenig verletzend zu empfinden. Hatte er so wenig Vertrauen zu ihr, dass er ihr keinen tieferen Einblick in seinen Geist gestatten wollte? Andererseits, mit welchem Recht konnte sie von ihm verlangen, ihr Zugang zu seinen Gedanken und Erinnerungen zu gestatten? Immerhin war sie ein Mitglied des Widerstands ... hatte sogar versucht, das Mutterschiff zu zerstören. Und genau das stand immer noch unausgesprochen zwischen ihnen. Einerseits wünschte sie sich ja, dieses Thema endlich abhaken zu können, ihm endlich zu erklären, warum sie getan hatte, was sie getan hatte, und dass sie nicht mehr wusste, ob sie in derselben Situation wieder so handeln würde ... andererseits hatte sie Angst davor, dass er es nicht verstehen, es ihr nicht vergeben würde. Vorher hatte ein gewisses Vertrauen, ja fast Freundschaft zwischen ihnen bestanden, doch sie war nicht sicher, ob es immer noch so war. Wenn sie die Barrieren fühlte, mit denen er seinen Geist vor ihr abschottete, war sie eher geneigt diese Frage mit ‚Nein’ zu beantworten. Sie hatte sein Vertrauen enttäuscht, hatte versucht, seine Artgenossen umzubringen. Aber was, wenn er es ihr vergab und sie sein Vertrauen zurückerlangte? Wie lange würde es dauern, bis sie es wieder enttäuschen musste? Tat sie dies nicht schon in diesem Augenblick, indem sie ihm verschwieg, was Sandoval und Crewsdon ihr erzählt hatten? Andererseits, wenn sie es ihm erzählte, würde sie damit den Widerstand verraten, da Sandovals eigene Pläne ihnen durchaus nützen konnte. Wenn er genügend Material besaß, die Taelons vor der Öffentlichkeit bloßzustellen, war dies eine einmalige Chance.
‚Was ich auch tue, ich begehe einen Verrat und enttäusche Vertrauen’, dachte sie, wobei sie ihren kompletten Gedankengang sorgfältig vor Da'an abschottete. Eigentlich sollte sie dankbar sein, dass Da'an ihr seinen Geist nicht öffnete. So ersparte er ihr wenigstens, Boone und Liam etwas verschweigen zu müssen. Es würde immer eine gewisse Distanz zwischen ihnen bleiben. Lügen und Geheimnisse. Konnte man das überhaupt noch als Freundschaft bezeichnen? War Freundschaft zwischen ihnen überhaupt möglich? Sie standen auf zwei unterschiedlichen Seiten und zwischen ihnen ein ganzer Berg von Anforderungen und Erwartungen derer, die ihr Vertrauen entweder in den einen oder den anderen von ihnen beiden setzten.
Der Refrain eines Liedes fiel ihr ein:
„You go there you're gone forever
I go there I'll lose my way
if we stay here we're not together
Anywhere is”

 
* * *
 

Es hatte nicht lange gedauert, die Symptome der Krankheit, die To'ar bei Da'an diagnostiziert hatte, mit der Wirkung verschiedener Gifte zu vergleichen. Doch die Dateien, auf die er Zugriff hatte, lieferten keine Informationen über ein Gift, das zu den Sympatomen passte. Zu Daten über stärkere Gifte hatten nur Mitglieder der Synode Zugang.
Mit einer ärgerlichen Handbewegung deaktivierte er den Datenstrom, erhob sich von seinem Stuhl und ging zu dem Portal hinüber. Nachdem er den Zielort eingegeben hatte, deaktivierte er es und fand sich wenige Sekunden später auf dem Mutterschiff wieder. Ohne den Freiwilligen zu beachten, schlug er den Weg zur Brücke ein. Zwar wurden seine Gefühle vom Gemeinwesen gedämpft, doch schottete er sich so weit von den anderen ab, dass sie seine Gedanken nicht lesen konnten.
Zumindest war To'ar nicht bei Zo'or, als er auf der Brücke eintraf. Nur Agent Sandoval und seine Assistentin arbeiteten an verschiedenen Konsolen, ebenso einige Freiwillige.
Als der Synodenführer ihn bemerkte, erhob er sich sofort und kam ihm einige Schritte entgegen, hielt jedoch inne, als er seinen Blick sah.
„Ich muss leider noch einmal deine Zeit in Anspruch nehmen, Zo'or”, sagte Re'sha kalt. Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er die Brücke wieder, wobei der jüngere Taelon ihm folgte und versuchte, ihn einzuholen.
„Ist etwas passiert, Re'sha?”, fragte er besorgt. Er erhielt keine Antwort, bis sie in einem abgeschlossenen Nebenraum waren. Kaum hatte sich der Durchgang in der Wand hinter ihnen geschlossen, drehte der kleinere Taelon sich um und kam bedrohlich auf Zo'or zu. „Das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Du hast nicht nur das Todesurteil über deinen Chi'ma'hé verhängt, du hast sogar selbst die Ursache dafür geliefert!”
„Ich ... ich weiß nicht, was du meinst.”
„Das weißt du ganz genau! Ich frage mich nur, warum ich nicht gleich darauf gekommen bin. Nun ja, vielleicht habe ich in dir immer noch den Taelon gesehen, den ich einst kannte.”
Zo'or sah ihn schweigend an. Nur seine Hände verrieten seine Erregung.
„Zu den Informationen, die unsere Vorfahren über Giftstoffe gesammelt haben, haben nur die Mitgliedern der Synode Zugang und nur sie können einem Wissenschaftler gestatten, sich damit näher zu befassen.” Er trat so dicht an Zo'or heran, dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Beende das! Gib mir das Gegengift für Da'an und hebe das Urteil auf, oder ...”
„Oder was?”
„Oder ich werde der Synode einen Hinweis geben, sich noch einmal unter diesem Aspekt mit dem Fall zu beschäftigen.” Mit einem eiskalten Blick ging er zur Wand und öffnete einen Durchgang. Bevor er hindurchtrat, wandte er sich noch einmal um. „Ich erwarte deine Entscheidung innerhalb der nächsten halben Stunde in meiner Botschaft.” Damit ließ er den Synodenführer endgültig stehen und begab sich wieder zum Portal.

 
* * *
 

„Du willst dich doch nicht etwa von ihm erpressen lassen, oder?” To'ars Stimme klang schneidend und Zo'or bereute fast schon wieder, ihm von dem Gespräch mit Re'sha erzählt zu haben.
„Was soll ich denn tun?”
„Er hat keine Beweise ...”
„Er braucht der Synode nur ein Tipp zu geben und er hat sie bald!”, unterbrach Zo'or ihn wütend. „Damit wäre alles umsonst.”
„Ich könnte Re'sha immer noch zum Schweigen bringen.”
Zo'or fuhr zu ihm herum und sah ihn so zornig an, dass To'ar unmerklich in sich zusammen schrumpfte. „Wage es ja nicht!”
Mit einer Geste versuchte der Wissenschaftler den jüngeren Taelon zu beschwichtigen. „Dann versuche du, ihn umzustimmen.”
„Ich bitte dich, wir sprechen hier von Re'sha. Er kann stur sein wie ein Path'mar!”
„Mir scheint, du hast die Entscheidung schon getroffen.”
„Es bleibt mir keine Wahl! Ich kann nur versuchen, die Sache mit dem Hybriden zu vertuschen und hoffen, dass die Synode niemals etwas davon erfährt.”
„Und Da'an?”
„Da'an hat der Synode bisher nichts davon berichtet, warum sollte er es jetzt tun? Auch wenn ihn wahrscheinlich nicht mehr interessiert, welche Stellung er in seinem Volk genießt, dürfte er doch darauf bedacht sein, es geheim zu halten.”
„Du verlangst also von mir, dass ich eine Fehldiagnose konstatiere?”
„Es wäre nicht die erste, mein Freund”, meinte Zo'or giftig.
To'ar ging nicht darauf ein, doch seine Stimme klang kalt, als er antwortete: „Dann solltest du Re'sha jetzt deine Entscheidung mitteilen, bevor er dich doch noch vor der Synode bloßstellt.” Damit wandte er sich ab und verließ erhobenen Hauptes das Besprechungszimmer.
Mit einer Bewegung seines Arms aktivierte Zo'or den Datenstrom. „Agent Harris? Kommen Sie bitte umgehend zu mir!”

 
* * *
 

Der Companion saß auf seinem thronartigen Stuhl und starrte gedankenverloren auf etwas, das er in der Hand hielt. Erst als Boone direkt vor ihm stand, hob er den Blick. Der Beschützer erwiderte ihn fragend.
„Die Daten, die Sie wollten, habe ich Ihnen nicht besorgt ...”
Boone sah enttäuscht zu Boden.
„...dafür habe ich etwas anderes für Sie.” Damit hob Re'sha die Hand und bot ihm auf seiner Handfläche eine kleine, blau-violett schimmernde Kugel dar. Zögernd streckte der Commander die Hand aus und nahm sie entgegen.
„Bringen Sie das zu Da'an. Er wird wissen, wie es zu benutzen ist.”
„Was ist das?”
„Es wird ihm helfen, wieder gesund zu werden.”
Boone starrte den Companion ungläubig an. „Warum tun Sie das alles?”
Re'sha senkte den Blick und ein leichter, blauer Schimmer glitt über seine Züge. „Sagen wir einfach, ich stehe in Da'ans Schuld.” Mit einer sanften Geste entließ er den Beschützer und sah ihm nach, als er sein Büro verließ. Dann blickte er gedankenverloren zum Fenster hinüber. Nun war es also endgültig vorbei. Zo'or und er waren Gegner. Warum verlor er alle, die ihm etwas bedeuteten, auf die eine oder andere Weise? Es schien unabwendbar zu sein ... vielleicht war es vom Schicksal vorherbestimmt. Eine einsame Existenz.
Trostsuchend ließ er seinen Geist durch das Gemeinwesen streifen ... ruhelos wanderten seine Gedanken von einem Taelon zum nächsten und wieder zum nächsten ... doch nirgends war die Wärme und Geborgenheit, die ihn früher aufgefangen hatte. Sie waren fort ... sein Chi'ma'hé, sein Mentor, seine Freunde ... und Zo'or verschloss sich vor ihm. Es war als würde er alleine durch das Mutterschiff laufen auf der Suche nach den anderen ... doch konnte er sie nicht finden und alle Durchgänge waren versperrt.
Das Geräusch von Schritten schreckte ihn aus seinem Gedankengang. Er hatte völlig vergessen, dass die junge Frau, die das Gegengift gebracht hatte, sich noch in der Botschaft befand. Sie war zu einer Routineuntersuchung ihres Skrills in die medizinische Abteilung gegangen, während er mit Commander Boone sprach. Nun verließ sie die Rampe und trat näher.
„Kann ich Ihnen noch irgendwie helfen?”, fragte sie leise als hätte sie Angst, die Ruhe dieses Raumes zu stören.
Er musterte sie mit leicht zur Seite geneigtem Kopf und überlegte. Dann fasst er einen Entschluss. „Würden Sie mir bei einem Spaziergang im Garten Gesellschaft leisten? Ich hatte bis jetzt noch nicht die Gelegenheit, ihn mir aus der Nähe anzusehen.”
Sie schien erst ein wenig überrascht, nickte dann jedoch.

 
* * *
 

Obwohl sie seit Stunden nichts gegessen hatte, war sie nicht hungrig. Statt dessen fühlte sie sich seltsam leicht ... vielleicht nährte der Energiestrom sie ja durch ihre geistige Verbindung zu Da'an.
*Wahrscheinlich mutiere ich demnächst zum Taelon*, meinte sie scherzhaft.
*Ich denke nicht, dass diese Gefahr besteht*, erwiderte er, wobei ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkel zuckte. *Dein Körper lässt nur den Zwischenschritt der Nahrungsaufnahme und Verdauung weg und absorbiert die Energie direkt.*
*Sehr praktisch. Aber auf die Freuden des Essens möchte ich doch nicht ganz verzichten.*
*Bitte ... würdest du es mir erklären?*, bat er sie mit einer sanften Geste seiner freien Hand.
*Naja, die biologischen Vorgänge kennst du wahrscheinlich, aber das Beste am Essen ist immer noch der Geschmack.*
*Wir Taelons können nicht schmecken ... diesen Sinn haben wir vor langer Zeit verloren.*
*Hm, wie kann man Schmecken beschreiben? ...Oh, ich weiß was. Komm mit.* Damit erhob sie sich und wartete, bis auch der Companion aufgestanden war. Vorsichtig, um die geistige Verbindung nicht zu unterbrechen, führte sie ihn in Augurs Küche. Da der Hacker gerade im Flat Planet war, musste sie sich selbst auf die Suche nach etwas Essbarem begeben ... was sich als etwas schwierig herausstellte durch die Tatsache, dass sie nur eine Hand gebrauchen konnte.
Den Inhalt des Kühlschranks ließ sie bald links liegen. Es sah ihr dann doch zu seltsam aus, was Augur da hortete. Jedenfalls war es bestimmt nichts, was man einem Außerirdischen antun konnte, der das erste Mal in seinem Leben Geschmack erlebte.
Schließlich fand sie ein Bündel Orangen in der Speisekammer und legte es auf den Küchentisch. Als sie auch noch ein Messer gefunden hatte, bemerkte sie das nächste Problem: Wie schälte man eine Orange mit nur einer Hand? Etwas ratlos sah sie Da'an an, der neben ihr auf dem zweiten Küchenstuhl platzgenommen und ihr bis jetzt interessiert zugesehen hatte.
*Kein Problem*, meinte er mit einem sanften Lächeln, schob vorsichtig ihren Ärmel ein Stück zurück und ergriff ihr Handgelenk, so dass sie ihre Hand relativ frei gebrauchen konnte.
Ihre geistige Verbindung öffnete sich ein wenig weiter und Lili hob die Frucht an die Nase, um den Geruch aufzunehmen. Da'ans Energielinien leuchteten einen Augenblick lang heller auf.
*Den Geruchssinn habt ihr also auch verloren*, stellte sie ein wenig bedrückt fest. Es war eine traurige Vorstellung, nie etwas riechen, nie etwas schmecken zu können.
*Wir kennen nichts Anderes, Lili, und unsere anderen Sinne kompensieren den Mangel mehr als ausreichend.* Wie um es ihr zu beweisen, vermittelte er ihr einen Eindruck davon, wie er die Welt wahrnahm. Seine Sinne waren tatsächlich um einiges schärfer als ihre ... und er besaß einige, die den Menschen fehlten. So schien alles, was Energie abstrahlte, eine Art Aura zu besitzen, die sie durch die geistige Verbindung wahrnahm. Auch glaubte sie, Wärmeabstufungen viel intensiver fühlen zu können .. zum Beispiel meinte sie, einen kühlen Luftzug vom Kühlschrank her zu spüren.
Für eine Weile verlor sie sich in dieser fremden, doch faszinierenden Wahrnehmung, so dass sie das Gefühl hatte, aus einem unwirklichen Traum aufzuwachen, als er sie in Gedanken ansprach. *Möchtest du sie nicht essen?*
Sie blinzelte und bemerkte, dass sie die Orange immer noch in der Hand hielt. Langsam begann sie, sie zu schälen. Streifen um Streifen der porösen Schale zog sie ab. Immer noch waren auch ihre eigenen Sinne geschärft, so dass sie sich mehr Zeit ließ als sonst, um die Struktur zwischen ihren Fingern bewusst wahrzunehmen.
*Schon seltsam, wie sich die Perspektive wandelt, wenn man alles aus der Sicht eines Außerirdischen betrachtet.*
*Unsere Spezies unterscheiden sich in vielem.*
*Ja ... aber man könnte es fast vergessen. Ihr habt euch gut angepasst.*
*Wir haben versucht, eine gemeinsame Basis zu finden.*
*Es scheint euch gelungen zu sein.* Sie zog den letzten Rest der Schale von der Frucht ab, brach die Stücke auseinander und hielt feierlich eines davon hoch. *Deine erste Orange, mein Freund*, meinte sie lächelnd und schob sich das Stück in den Mund. Sofort breitete sich dieser unverwechselbare Geschmack auf ihrer Zunge aus ... irgendwo zwischen süß und sauer, dass es einem einen Schauder den Rücken hinunterjagen konnte. In diesem Moment hätte Da'an mit Sicherheit seine Fassade verloren, wäre sie nicht schon lange fort gewesen. Seine Energielinien leuchteten hell auf und schienen zu pulsieren, während er den Sinneseindruck von ihr empfing.
Sie kostete jedes Stück der Frucht voll aus und er schien es zu genießen. Allerdings zeigte er bald Zeichen der Erschöpfung, so dass sie es vorerst bei der einen Kostprobe beließ und ihn zu der Energiedusche zurück brachte. Bevor er sie jedoch aktivierte und in den Zustand hinüberglitt, den man vielleicht mit dem menschlichen Schlaf vergleichen konnte, drückte er kurz ihre Hand, die wieder in der seinen lag, und sagte leise: „Danke, Lili.”

 
* * *
 

Nachdenklich starrte er auf das kleine, kugelförmige Objekt in seiner Hand. Er hatte etwas darüber in einer Reportage über die Bliss-Sucht gelesen. Die Taelons verwendeten also immer noch diese Kugeln, um verschiedene Stoffe zu absorbieren ... Medikamente, Drogen ... wahrscheinlich war Da'an auch auf diese Weise das Gift verabreicht worden. Blieb nur zu hoffen, dass dies hier wirklich das Gegengift war. Wie weit konnte man Re'sha vertrauen? Er hatte gesagt, er stünde in Da'ans Schuld ... aber was war zwischen den beiden vorgefallen? Das Netz aus Sympathie und Antipathie, Bündnissen und Zerwürfnissen zwischen den Taelons hatte er noch nicht durchschaut und würde es wahrscheinlich nie durchschauen.
Der Fahrstuhl hielt an und die Türen glitten auf. Lili begrüßte ihn mit einem Kopfnicken. Da'an lag unter der aktivierten Energiedusche und schien zu schlafen ... jedenfalls hatte er die Augen geschlossen.
„Kannst du ihn wecken?”, bat er Lili im Flüsterton. Sie nickte noch einmal und sah dann wieder auf sein Gesicht. Kurz darauf öffnete der Taelon die Augen, richtete sich auf und deaktivierte den Energiestrom. Offenbar hatte Lili ihn über ihre geistige Verbindung in die Realität zurückgeholt ...
Nachdem Da'an mit einiger Mühe eine menschliche Fassade gebildet hatte, neigte er leicht den Kopf zur Seite und sah seinen Beschützer fragend an. Boone formte den Taelon-Gruß und hielt dem Companion dann die kleine, blau-violette Kugel hin. „Re'sha hat mir das für Sie gegeben”, erklärte er ruhig.
Langsam, fast zögerlich griff der Angesprochene nach dem Objekt und starrte einige Zeit schweigend darauf.
„Da'an, vertrauen Sie Re'sha?”, fragte der Companion-Beschützer leise.
Der Taelon hob langsam den Blick und sah ihn auf seltsame Weise an. „Ich weiß es nicht mehr ... ich weiß nicht mehr, wem ich vertrauen kann und wem nicht.”
Lili wandte den Blick ab, während Boone einen leichten Stich verspürte. Das hatte ja irgendwann kommen müssen ... „Re'sha sprach davon, dass er in Ihrer Schuld steht ... was hat er damit gemeint?”
Der Companion antwortete erst nach einer kurzen Pause. „Es ist lange her und spielt im Grunde keine Rolle für Sie ...”
Boone unterdrückte ein resigniertes Seufzen. Nun, er würde ihn nicht drängen, ihm davon zu erzählen. Wenn Da'an es ihm sagen wollte, würde er es früher oder später tun.
Der Taelon sah Lili an und beide schienen in Gedanken versunken zu sein. Wahrscheinlich kommunizierten sie lautlos. Dann nickte Lili leicht und ihre Hände lösten sich voneinander. Sofort nahm Da'an die kleine Kugel in beide Hände, ließ seine Fassade fallen und schloss die Augen. Zuerst geschah nichts, doch plötzlich begann etwas in der Kugel in grünem Licht zu strahlen. Das Leuchten wurde immer stärker und wanderte dann langsam Da'ans Arme entlang ... sein Körper erzitterte und er krümmte sich ... wahrscheinlich vor Schmerzen.
‚Verdammt!’, dachte Boone und ging wie Lili neben dem Taelon in die Hocke. Doch helfen konnten sie ihm beide nicht mehr ...

 
* * *
 

Langsam gingen Sie nebeneinander her über die Kieswege des Gartens. Es war kühl und der Himmel bewölkt. Nicht gerade ein idealer Tag, um hier draußen spazieren zu gehen. Sie zog die Jacke enger um sich. Wahrscheinlich würde es bald anfangen zu regnen. Aber Re'sha würde wahrscheinlich nicht mehr viel Gelegenheit haben, diesen Garten zu besuchen, wenn Da'an wieder sein altes Amt innehatte.
Der Taelon schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein und sie begann sich zu fragen, ob er seine Umgebung überhaupt wahrnahm.
„Sie haben Ihre Eltern verloren, nicht wahr?”, fragte er leise.
Sie zuckte unwillkürlich zusammen und biss sich auf die Lippe. „Warum fragen Sie?”
„Es tut mir leid, wenn ich Ihnen damit zu nahe trete, aber ich habe Ihre Akte gelesen.”
Sie verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. „Die zwei Jahre in der Nervenklinik sehen nicht besonders schön aus, ich weiß.”
„Warum?”
Hilflos zuckte sie die Achseln. „Nun, man ... wird als verrückt abgestempelt und die wenigsten fragen nach, warum ich dort war.”
„Dann erklären Sie es mir”, bat er ruhig.
Sie legte den Kopf in den Nacken und sah einem Schwarm Vögel nach, der über den Himmel zog. Freiheit ... „Wahrscheinlich ist es auch so einfach: Ich bin damals vor Trauer verrückt geworden.” Sie senkte den Blick und sah ihn traurig an. „Sie können sich wahrscheinlich nicht vorstellen, wie das ist, wenn man auf einmal jeden Halt im Leben verliert und feststellt, dass man allein ist.”
Er schloss für einen Moment die Augen und drehte den Kopf zur Seite. Dann blickte auch er dem Vogelschwarm nach, der langsam in der Ferne verschwand. „Können Sie sich vorstellen, dass jemand den, der ihn hervorgebracht hat, umbringen wollte?”, fragte er leise.
Unmerklich ballte sie die Hände zu Fäusten. „Das Leben scheint manchmal ein einziges Spiel um Macht zu sein ... und manchmal scheint alles an Wert zu verlieren und völlig bedeutungslos zu werden.”
Er warf ihr einen prüfenden Seitenblick zu. Einen Moment lang hätte er beinahe vergessen, dass es sich hier um einen Menschen handelte, eine völlig andere Spezies. Doch was sie gerade gesagt hatte, erinnerte ihn sehr an das, was er selbst seit einiger Zeit empfand. Alles, was früher Wert hatte, schien ihm nun durch die Finger zu rinnen wie Sand.
„Es tut mir leid, dass ich Sie so lange aufgehalten habe”, meinte er nun wieder in einem sachlichen Tonfall und formte den Taelon-Abschiedsgruß.
Sie erwiderte ihn mit einer leichten Verbeugung und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Was hatte er damit bezweckt, sie nach ihren Eltern zu fragen? Ahnte er etwas? Nein, woher denn. Er wusste wahrscheinlich nicht einmal etwas von dieser Sache ... nichts von dem Transfer, nichts von dem Körper, der auf der Mondbasis in Kryostase lag.
Draußen auf der Straße, winkte sie einem Taxi und stieg ein, als es vor ihr anhielt. Sie nannte dem Fahrer ihre Adresse und lehnte sich dann mit geschlossenen Augen in dem Sitz zurück. Die Geschehnisse der letzten Tage gingen ihr durch den Kopf und sie musste einiges an Kraft aufwenden, um zu verhindern, dass ihr CVI es in ein Flashback verwandelte.

 
* * *
 

Das grüne Leuchten breitete sich langsam in seinem Körper aus, und je weiter es sich ausdehnte, desto dunkler wurde es. Da'an war in sich zusammengesunken und regte sich nicht. Furchtbare Angst stieg in Lili auf. Was war mit ihm? Was war in der Kugel gewesen? Hilflos ballte sie die Hände zu Fäusten und schloss die Augen. Warum mussten so viele sterben, die ihr etwas bedeuteten? Ihr Bruder, ihr Vater, Paul, Boone ... gut, Boone war zurückgekehrt, aber das verbannte nicht den Verlust, den sie gefühlt hatte, aus ihrer Erinnerung. Und nun Da'an ...
Sie hatte ihm so misstrauisch gegenüber gestanden, hatte ihn nur als einen Vertreter der Spezies gesehen, die sie und die Bewegung, der sie angehörte, von der Erde vertreiben wollten. Jedes Mal, wenn sie ihn im Shuttle irgendwo hin geflogen hatte, hatte sie sich bemühen müssen, ihn nur als ihren Arbeitgeber zu betrachten und sich nicht anmerken zu lassen, welches Misstrauen, ja welche Abneigung sie ihm gegenüber empfunden hatte ... doch nun ...
Das Leben verlief manchmal auf seltsamen Bahnen. Als sie vor über einem Jahr Doors’ Befehl ausgeführt und den Virus in die Datenbanken der Taelons geladen hatte, hatte sie damit unbewusst den Anfangspunkt gesetzt. Alles hatte damals begonnen. Wann war ihr bewusst geworden, dass es nicht so einfach war? Dass man ein Individuum nicht verurteilen konnte für die Spezies, zu der es gehörte? Vielleicht als er bei ihr geblieben war und sie aus den Trümmern gezogen hatte, obwohl der Antrieb kurz vor der Explosion stand? Oder in dem Moment, in dem er sie mit seinem Körper vor der Explosion abgeschirmt hatte? Als sich ihre Hände ... ihre Seelen berührten, war es endgültig vorbei gewesen. Sie konnte ihn nicht mehr als Feind betrachten. Dieses Gefühl der vollkommenen Akzeptanz dessen, was sie war, dieses Vertrauen, das er ihr entgegen gebracht hatte ... und sie hatte es enttäuscht. Nun würde sie nicht einmal mehr die Chance haben, es wieder gut zu machen, ihn um Verzeihung zu bitten. Es wurde ihr eiskalt bei diesem Gedanken ...
Sie fühlte eine Träne ihre Wange hinunterlaufen und hob schnell die Hand, um sie weg zu wischen. Als sie die Augen endlich wieder öffnete, strahlte Da'ans Körper in einem sanften Blaugrün. Das Leuchten pulsierte in ihm, wurde aber allmählich schwächer. Als sie zu Boone hinübersah, erkannte sie dieselbe Angst in seinen Augen, die auch sie empfand. Angst um das Leben des Taelons, der zwischen ihnen auf dem Stuhl zusammengesunken war.

 
* * *
 

Da'an lag reglos ... wie schlafend ... ein wunderschönes Wesen, dessen Licht zu verlöschen drohte. Was hatte er nur getan? Warum hatte er Re'sha vertraut? War er zu unvorsichtig gewesen? ‚Ich vertraue niemandem.’ Hatte er damit nicht sich selbst belogen? Und wenn, warum musste das erste Mal, dass er jemandem blind vertraute, gleich alles so verdammt schief gehen!? Am liebsten hätte er sich geohrfeigt für seine Blauäugigkeit. Er kannte Re'sha doch überhaupt nicht, hatte sich nur auf seine Intuition verlassen ... und nun musste Da'an dafür büßen. Das war einfach nicht fair!
Vielleicht war Re'sha sogar derjenige gewesen, der Da'an das Gift verabreicht hatte. Und nun würde er sein Werk vollenden. ‚Sagen wir, ich stehe in Da'ans Schuld.’ Konnte damit nicht auch Rache gemeint sein? Wer wusste schon, was in den Tausenden von Jahren, die Da'ans Leben nun schon währte, alles geschehen war? Vielleicht war er einmal ein anderer gewesen, hatte andere Ansichten, andere Methoden gehabt. Oder vielleicht hatte er sich in den ewigen Machtspielchen seiner Spezies Feinde gemacht, die nun das Ende dieses Kampfes herbeiführen wollten.
Er schüttelte leicht den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Es brachte nichts, wenn er sich in Spekulationen verlor. Traurig sah er auf das sanft leuchtende Gesicht seines Companions hinab. Die Freundschaft mit Da'an hatte ihn immer mit einem gewissen Stolz erfüllt. Sie waren einander so verschieden und hatten doch eine gemeinsame Basis gefunden, auf der sie eine Freundschaft aufgebaut hatten. Trotz aller Schwierigkeiten war es ihnen gelungen, eine Brücke zu bauen zwischen ihren beiden Spezies ... ein gegenseitiges Verstehen zu erreichen. Verständnis, Akzeptanz, Freundschaft ... all dies hatte der Taelon bei ihm gesucht. Doch nun? Nun brach eine Hälfte der Brücke ein, verlor den Halt und ging unwiederbringlich verloren. Nie wieder ... nie wieder würde es eine solche Verbindung zwischen den Spezies der Taelons und der Menschen geben.
Das grüne Leuchten verschwand allmählich und der Körper des Außerirdischen strahlte in einem immer intensiver werdenden Blau. Boone wunderte sich, dass sich seine Energie nicht verflüchtigte, wie damals, als er seinen eigenen Tod herbeizuführen versucht hatte. Konnte es sein, dass ...
Da'an regte sich ein wenig und Boone begann wieder zu hoffen. Mit angehaltenem Atem sah er in das Gesicht seines Companions und wartete. Kurz darauf öffnete dieser die Augen. Langsam und vorsichtig richtete er sich auf, schien seine Kräfte wieder zu sammeln, um dann mit einem kaum sichtbaren Lächeln den Blick der beiden Menschen zu erwidern. Am liebsten hätte Boone ihn vor Freude umarmt, doch der Taelon sah noch so geschwächt und zerbrechlich aus, dass er fast Angst hatte, er könnte sich doch noch verflüchtigen, wenn er ihn berührte.
Lili schien es ebenso zu gehen, denn sie griff sehr behutsam nach seiner Hand und langsam ... sehr langsam kehrte das Lächeln in ihr Gesicht zurück.
Der Companion wollte etwas sagen, brauchte jedoch mehrere Anläufe, bis er hörbare Worte herausbrachte. „Ich ... danke Ihnen.”
„Ist alles wieder in Ordnung?”, fragte Boone, der es immer noch nicht ganz glauben konnte, was eben geschehen war.
„Ja. Ich ... werde noch einige Zeit unter der Energiedusche benötigen ... doch das Gift ist fort.”
Erleichtert atmete der Companion-Beschützer auf und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie sich Lili schnell eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Es war also wirklich ausgestanden? Sollte es so einfach gewesen sein? Er konnte es immer noch nicht fassen.
Nun ja, es galt immer noch, diesen Mordfall aufzuklären. Viele Fragen waren noch offen geblieben und die nächsten paar Tage wollte er damit verbringen, einige Antworten zu finden.
Im Geiste entschuldigte er sich bei Re'sha für die Verdächtigungen. Er würde sich bei diesem Taelon bedanken müssen. Auch wenn er rätselhaft für ihn blieb, schien er doch mehr auf Da'ans Seite zu stehen ... wenn überhaupt einmal zwei Taelons auf derselben Seite standen. Wahrscheinlich hatte auch Re'sha verborgene Pläne und dunkle Geheimnisse, aber fürs Erste hatte er sein Vertrauen nicht enttäuscht. Da'an lebte ...

 

 

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