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  „Eine neue Welt, ein neues Leben?” von Ceng   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Dezember 2006
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Diese Geschichte ist gewissermaßen ein Sequel zu „Bis dann im Unbekannten...” und nimmt am Ende auch Bezug auf „Willkommen im Unbekannten” Dyro ist glücklich mit seinem neuen Job. Doch dann wird er entführt, was sein Leben für immer verändert.
Zeitpunkt:  spielt im Zeitraum von 1 1/2 Jahren bis 1/2 Jahr vor dem Rollenspiel „Operation Massenorgie”.
Charaktere:  Dyro Sovrano, Mesua Rikinole, Michaela Kathen, Anna, Simon, Max, Tom, Herr Kadzu, Frau Knerk, zwielichtiger Typ, einige Freiwillige
 

 

EINE NEUE WELT, EIN NEUES LEBEN?

 

Welt D72 21EFC, Planet Erde

Ein junger Mann lief fröhlich pfeifend die Straße entlang. Dies war ein schöner Tag, was vermutlich daran lag, dass er endlich seinen Kellnerjob hatte aufgeben können. Zugegeben war beim Portalpersonal zu arbeiten sicher kein Traumberuf, aber hier hatte er wenigstens die Möglichkeit Kontakt mit vielen verschiedenen Menschen zu haben.
Und dass ihm das wichtig war, lag nicht nur daran, dass er eben dies besonders gerne tat, sondern vielmehr auch, dass er nicht ganz das war, was er zu sein schien.
Sein Name war Dyro Sovrano, ursprünglich entstammte er einer parallelen Dimension und war hierher gekommen mit dem Auftrag diese Welt zu erforschen.
Doch nebenher musste er schließlich auch von irgendetwas leben und somit ein ganz neues Leben hier anfangen.
Doch seine Erinnerungen konnten warten. Jetzt war er glücklich und die Abendsonne schien auf ihn herab, was sein blondes Haar besonders gut zur Geltung brachte. Da es noch nicht so spät war, entschied er sich noch einen kleinen Spaziergang durch den Park zu machen. Er überquerte die Straße und lief in den Park.
Noch nie hatte er es hier so schön gefunden, aber heute musste er einfach bewundern, wie herrlich es hier war. Mesua hätte das alles sicher gefallen. Dyro seufzte lächelnd. Da waren sie wieder - die Erinnerungen. Doch diesmal schob er sie nicht weg. Es war seltsam der Einzige seiner Art auf der Welt zu sein. Hier hatte noch nie jemand etwas von den Vedians gehört. Doch wenn Mesua kam, würde er endlich wieder jemanden haben, mit dem er wirklich über sein früheres Leben reden konnte. Er schüttelte grinsend den Kopf. Wurde er jetzt etwa melancholisch? Er hatte sich das hier schließlich ausgesucht, auch wenn das vergangene halbe Jahr nun wahrlich nicht immer leicht gewesen war. Trotzdem brachte es nichts sich vorzuhalten, dass es noch ein und ein halbes Jahr dauern würde, bis Mesua so weit war, dass sie zum ihm stoßen konnte.

Schließlich blickte er auf und bemerkte, dass es schon langsam dunkel wurde. So in seine Gedanken versunken, hatte er davon nichts bemerkt. Doch jetzt zuckte er mit den Schultern und wandte sich in Richtung Ausgang des Parks. Von dorther kamen einige etwas wild aussehende Gestalten, doch Dyro ignorierte sie einfach. Sicher waren sie hier, um im Park ihr Unwesen zu treiben oder was auch immer solche Leute taten. Die fünf Menschen, die ihm da entgegen kamen, nahmen auch tatsächlich keine nähere Notiz von ihm. Doch da ihm diese Menschen nicht besonders geheuer schienen, wollte er schnell an ihnen vorbei und übersah dabei einen herumliegenden Ast. Er stolperte und fiel der Länge nach hin. Er schrammte sich leicht das Knie auf, aber irgendwie war ihm klar, dass das nicht sein eigentliches Problem sein sollte. Vorsichtig sah er auf und sah einen der Menschen, der sich nun über ihn beugte und eingehend zu mustern schien. Er wollte aufstehen, aber der Mensch drückte ihn wieder zu Boden, wobei er ihm einen kalten Blick zuwarf.
„Sag mal, Kleiner, versuchst du uns zu bespitzeln?” fragte er in scharfem Tonfall.
„Nein!” versicherte Dyro prompt, aber mit zittriger Stimme. Warum sollte er das versuchen? Wer waren diese Leute denn, dass sie vor so etwas Angst haben mussten?
„Ach ja?” höhnte ein anderer, der daneben stand. „Dann kannst du mir wohl auch erklären, warum du im Dunkeln hier herum schleichst, dich so nah an uns vorbeidrückst und dich auch noch direkt neben uns auf den Boden wirfst?”
„Was? Aber ich wollte doch nur da lang und bin gefallen…” Dyro wusste nicht, was er sagen sollte. Es war verdächtig hinzufallen? Das konnte er sich wirklich nicht vorstellen und doch schienen diese Menschen absolut ernst zu meinen, was sie sagten.
„Was meinst du, Simon?” fragte der Mensch, der sich über Dyro beugte, den anderen. „Das ist doch verdächtig, oder irre ich mich?”
„Ja.” antwortete der Angesprochene nachdenklich nickend. „Tom, du hast Recht, wir können ihn nicht laufen lassen. Selbst wenn er die Wahrheit sagt, sind wir ihm spätestens jetzt verdächtig geworden.”
Dann drehte er sich zu den anderen drei Verbliebenen um.
„Max, Anna, Michaela, los kommt her! Umrundet ihn!”
Die drei kreisten ihn ein und auch seine schreckgeweiteten Augen hielten sie nicht davon ab.
„Los, hoch mit dir!” rief eine der Frauen und zerrte ihn grob auf die Füße.
„Oder soll Michaela dich auch noch festhalten?” fragte sie drohend.
Dyro schüttelte energisch den Kopf. Er würde alles tun, was diese Fremden wollten, dann würden sie sicher bald bemerken, dass er nichts Böses im Sinn gehabt hatte und ihn wieder gehen lassen. Doch momentan sah es noch nicht danach aus, also ließ er sich willenlos durch die halbe Stadt schleifen. Seine Gedanken kreisten, so dass ihm regelrecht schwindelig wurde. Was hatten sie nur jetzt mit ihm vor? Und wer waren diese Leute?
Er konnte nicht sagen, was genau passierte oder wie sie vorwärts kamen, aber als er wieder etwas gezielt wahrnahm, erkannte er, dass sie gerade so etwas wie einen Kellerraum betraten.
Anna, die ihn noch immer gehalten hatte, ließ ihn los, worauf er in sich zusammensackte. Im Hintergrund hörte er nun dumpf ihre Stimmen, spürte dann etwas Stechendes an seinem Hals und sank schließlich in tiefe Bewusstlosigkeit.

 
* * *
 

Als Dyro die Augen langsam wieder öffnete, wusste er noch immer nicht, wie ihm geschehen war. Er lag nun in einem dunklen Zimmer mit kalten Wänden auf einer Art Pritsche, die reichlich unbequem war. Offenbar hatte man ihm seine Kleidung genommen und jetzt trug er einen dunkelgrauen Jogginganzug, der zwar warm, aber auch etwas zu weit war. Seine Füße dagegen waren vollkommen nackt.
Er befühlte die Stelle an seinem Hals, an der er das Stechen gespürt hatte. Dort befand sich eine kleine Einstichstelle. Offenbar hatten sie ihn mit irgendetwas betäubt. Doch wozu? Er hatte sich ohnehin kaum wehren können und warum hatten sie ihm seine Kleidung nicht gelassen? Verängstigt kauerte er sich auf der Pritsche zusammen, als er schließlich ein Geräusch von der Tür hörte. Blendend helles Licht fiel hinein und jemand betrat das Zimmer.
„Vielleicht möchtest du jetzt mit uns reden?” fragte eine Stimme, die ganz und gar nicht freundlich klang. Zwei Arme packten ihn an den Schultern und zogen ihn aus seinem Gefängnis heraus. Zurück in dem Raum, den er als den erkannte, in dem er zuerst gewesen war, wurde er auf einen Stuhl gesetzt. Außer den fünf Menschen, die ihn gefangen genommen hatten, befand sich nur noch ein anderer Mann im Raum. Dieser erschien dem Vedian jedoch ein wenig zwielichtig, da er fast ausschließlich auf seine Gerätschaften konzentriert war, die Dyro nicht genau erkennen konnte. Nur ab und zu warf er einen nervösen Blick um sich und verzog sich dann schnellstmöglich in eine dunklere Ecke, als man den Gefangenen hereinführte.
Der Mann, der gesprochen hatte und den Dyro jetzt als Simon identifizieren konnte, ging um den Stuhl herum und stellte sich vor ihn.
„Wir haben ein paar kleine Untersuchungen angestellt und wie mir scheint zeigen die Röntgenbilder ganz eindeutig, dass du ein Implantat trägst!” blaffte er den verschreckten Vedian an.
Dyro riss nun erschreckt die Augen auf. Sie hatten einen Hinweis auf seine Herkunft gefunden! Das durfte nicht passieren, aber jetzt war das alles egal. Seine Sicherheit ging in jedem Fall vor.
Doch die anderen hatten seinen Gesichtsausdruck wohl ebenfalls gesehen und Anna, die jetzt ebenfalls vor Dyro getreten war, sah ihn hämisch lächelnd an.
„Tja, dann raus mit der Sprache!” höhnte sie.
Dyro blickte nun wieder auf.
„Das… das Implantat reguliert meine… meine Haarfarbe. Die ist sehr auffällig… rot… und grün.” versuchte er verzweifelt mit zittriger Stimme zu erklären.
Er schrak zusammen, als Anna in schrilles Gelächter ausbrach.
„Richtiger Komiker bist du ja!” sagte sie dann, als sie sich wieder gefasst hatte.
„Aber leider wissen wir, dass du das Implantat von den Taelons hast und für sie spionierst.”
„W… was?” fragte Dyro zitternd vor Angst.
„Das… ich hab wirklich nichts mit denen zu tun!”
Anna verdrehte genervt die Augen.
„Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe?” fragte sie zornig. „Das wollen sie dem Widerstand immer erzählen.”
„Ihr… ihr seid vom Widerstand?” fragte Dyro verwirrt.
„Natürlich und du brauchst nicht so zu tun, als wüsstest du das nicht!” donnerte Simon.
„Also, ich hoffe ich bekomme jetzt ein paar Antworten!” forderte Anna.
„Okay… okay, ich arbeite bei der Portalbehörde, aber ich spioniere wirklich niemandem nach, ehrlich.” versuchte Dyro noch ein weiteres Mal seine Entführer zu überzeugen.
Anna trat einen Schritt nach vorne und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Dyro schrie auf, als er den brennenden Schmerz in seiner linken Wange spürte. Dann schwieg er und wagte es nicht mehr seinen Gegenübern ins Gesicht zu sehen. Von der Seite bemerkte er eine schnelle Bewegung, aber nichts geschah.
„Also gut.” hörte er wieder Annas Stimme. „Bringt ihn zurück in die Zelle!”
Daraufhin wurde er wieder hochgerissen und von den beiden Männern zurück in den dunklen Raum gestoßen.
Was war hier bloß los? Warum glaubten diese Menschen er hätte etwas mit den Taelons zu tun? Sie mussten doch erkennen können, dass es keine Technologie der Taelons war, die er in seinem Kopf trug. Warum begriffen diese Menschen denn einfach nicht, dass ihnen hier ein Missverständnis unterlaufen war? Verstört kauerte sich Dyro schließlich auf der Pritsche zusammen und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf.

 
* * *
 

Dyro hockte weinend in der Ecke und versuchte sich nur irgendwie klar zu werden, was hier bloß falsch gelaufen war. Die Menschen hatten ihn erneut aus dem Raum geholt und die Frau, die Anna hieß, hatte dieses Mal erst aufgegeben ihm Fragen zu stellen, nachdem sie ihm bereits mehrere Ohrfeigen verpasst hatte.
Es gab keinen Grund, der ihnen das Recht gab, ihn so zu behandeln! Er hasste diese Menschen! Er war ihnen völlig hilflos ausgeliefert und trotzdem hielt sie das nicht davon ab ihn weiter einzuschüchtern und zu schlagen! Am liebsten hätte er ihnen gesagt, was er von ihnen hielt, aber er hatte Angst. Überwältigende Angst, mehr als er jemals in seinem Leben erfahren hatte.
Die Tür öffnete sich und Dyro schrak zusammen. Würden sie erneut kommen, um ihn zu holen? Doch herein kam nur eine einzelne Person. Die Frau, die Michaela hieß und bis jetzt immer nur daneben gestanden hatte, während Tom und Max ihn festhielten und Anna und Simon ihn verhörten.
Der Vedian zitterte vor Angst, aber die Frau machte keine Anstalten jemanden herbei zu rufen. Auch wirkte sie nicht einschüchternd auf ihn wie die anderen. Sie kam näher und blieb schließlich in kurzer Entfernung vor ihm stehen, bevor sie eine Bewegung machte. Dyro zuckte erneut zusammen, doch dann fiel ihm auf, dass die Frau ihm etwas entgegenhielt. Da er sie nicht provozieren wollte, nahm er es und stellte schließlich fest, dass es eine Flasche war. Er wusste nicht wie lange es her war, dass er etwas getrunken hatte und so schraubte er die Flasche schnell auf und begann gierig zu trinken. Es war schlichtes, ganz normales Wasser, aber in seiner aktuellen Situation erschien es ihm himmlisch gut zu schmecken. Er blickte schließlich wieder auf, um zu sehen, warum diese Frau ihm Wasser gebracht hatte, doch sie hatte sich bereits wieder abgewandt und trat eben durch die Tür.
Dyro fragte sich, was er davon halten sollte. Diese Frau war nicht sinnlos aggressiv gewesen wie die anderen und doch gehörte sie zu ihnen.
Nur Minuten später hörte der Vedian jedoch erneut das Öffnen der Tür und diesmal war es wieder Simon, der begleitet von Max und Tom herein kam. Erneut wurde er in den anderen Raum geführt. Anna stand auch da, in einschüchternder Haltung, wie immer.
„Also.” begann sie offenbar triumphierend. „Ich denke du warst jetzt lange genug da drin. Also sag uns jetzt, was du mit den Taelons zu tun hast. Du musst einer ihrer Freiwilligen sein. Also erzähl uns etwas über ihre Strategie!”
Dyro senkte den Kopf. Er hatte bereits mehrfach versucht zu erklären, dass er kein Freiwilliger war und mit den Taelons nichts zu tun hatte. Sie würden ihm auch jetzt nicht glauben, warum also sollte er antworten?
„Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche!” blaffte Anna ihn nun an, doch Dyro ignorierte sie. In ihm brodelte die Wut auf diese Menschen, die sämtliche Grundregeln im Umgang mit bewussten Lebensformen missachteten. Und sie dachten schließlich, er wäre ein Mitglied ihrer eigenen Spezies! So gingen sie also auch mit ihren eigenen Artgenossen um?!
Diese Menschen hier waren wirklich verachtenswert!
In seine Überlegungen vertieft, hatte er nicht mitbekommen, dass nun auch Simon näher gekommen war. Erst als dieser ihm einen schmerzhaften Schlag in den Magen versetzte, wurde er sich der Gegenwart des Menschen bewusst. Schreiend zog der Vedian seine Beine zu sich heran und aus seinen Augen strömten Tränen vor Wut und Schmerz.
Die Menschen warteten offenbar ab, bis er aufhörte sich vor Schmerzen zu winden, doch die Hände, die ihn hielten, lockerten ihren Griff kein bisschen. Doch seine Beine waren frei. Dyro kam der Gedanke, dass er sich aufrappeln und aus dem Griff der beiden Männer reißen sollte. Doch wohin sollte das führen? Da standen immerhin noch zwei weitere Menschen direkt vor ihm und gegen vier Gegner hatte er nun wirklich keine Chance.
Entmutigt ließ er den Kopf sinken, aber die Menschen dachten gar nicht daran ihn in Ruhe zu lassen.
„Also, wie kamst du zu deinem Implantat und wie funktioniert es?” fragte Anna jetzt in gespielt freundlichem Tonfall. Doch für Dyro klang es nur falsch und er schwieg weiterhin. Was für einen Sinn sollte es noch haben zu antworten?
Doch offensichtlich machte das Anna nur noch wütender. Sie trat nun selbst vor und versetzte ihm einen weiteren Schlag in den Magen. Als ihr Opfer erneut verzweifelt und hilflos aufschrie, begann sie ihm noch weitere Ohrfeigen zu verpassen.
„Nein! Hör auf! Was tust du denn da?!” hörte Dyro verschwommen eine ihm unbekannte, weiblich klingende Stimme schreien.
Anna ließ von ihm ab und wandte sich der Besitzerin der Stimme zu.
„Halt dich da raus!” fauchte sie. „Wir brauchen Informationen, verdammt noch mal!”
Dann schien sich irgendjemand erinnert zu haben, dass Dyro noch immer da saß und alles mithören konnte, denn urplötzlich traf ihn ein heftiger Schlag im Gesicht, der ihm das Bewusstsein raubte.

 
* * *
 

Sehr langsam öffnete Dyro seine Augen. Was er sah, war wieder der dunkle Raum, aber er war nicht allein. Überrascht bemerkte er, dass sich Michaela ebenfalls im Zimmer befand. Er wollte sich aufsetzen, doch ihn durchfuhr sofort ein heftiger Schmerz in seinem Kopf, worauf er sich stöhnend wieder zurücksinken ließ.
„Vorsichtig! Bleiben Sie liegen!” tadelte die menschliche Frau sanft.
Überrascht sah Dyro sie an und irrsinnigerweise war das Einzige, woran er gerade denken konnte, dass sie ihn gesiezt hatte. Als er jedoch nichts sagte, fing sie wieder an zu sprechen.
„Ich habe versucht mich um Ihre... Verletzung zu kümmern.” ließ sie ihn wissen und sah dann zu Boden. Der Vedian versuchte zu verstehen und fasste sich an die noch immer heftig schmerzende Stirn, an der ihn irgendetwas oder irgendjemand getroffen haben musste. Trotz der Schmerzen nahm er wahr, dass sein Kopf sich kühl anfühlte. Michaela hatte offenbar seine Bewegung bemerkt und hob einen nassen Waschlappen in die Höhe, den sie in der Hand hielt. Dann legte sie diesen auf seine Stirn, was sie offensichtlich auch vorher schon getan hatte. Die Kühle tat gut, aber trotzdem fühlte er sich schrecklich. Sein Körper rebellierte aufgrund der Schläge, die er hatte einstecken müssen und außerdem begann er langsam wirklich Hunger zu haben.
„Tut mir leid.” ergriff Michaela wieder das Wort, als ob sie seinem Gedankengang gefolgt wäre. „Ich soll Ihnen nichts zu essen bringen.” Dann schwieg sie wieder.
„Warum helfen Sie mir?” brachte Dyro schließlich hervor. Diese Frau war ihm ein Rätsel. Wenn sie nichts davon hielt, dass man ihm nichts zu essen gab, warum gehörte sie dann zu diesen Leuten?
Beschämt senkte Michaela den Kopf.
„Ich habe gesehen wie brutal Sie behandelt werden. Das hat niemand verdient. Können Sie ihnen denn nicht einfach sagen, was sie wissen wollen? Sind Ihnen die Taelons wirklich so wichtig?”
Dyro sah die Frau überrascht an, denn obwohl sie ihren Blick gesenkt hielt, bemerkte er, dass sie mit den Tränen kämpfte. Doch er schüttelte nur den Kopf.
„Nein, sind sie nicht.” antwortete er dann leise. Und auch wenn er nicht wusste, ob es überhaupt Sinn ergab, machte er doch einen weiteren Erklärungsversuch.
„Glauben Sie wirklich ich wüsste irgendetwas? Ich war nie bei den Freiwilligen und auch meinen Job bei der Portalbehörde habe ich noch nicht lange. Und mein Implantat ist Teil meiner Vergangenheit, aber Taelon-Technologie hat damit nichts zu tun. Aber Ihre Untersuchungen müssten das doch gezeigt haben.”
Michaela sah ihn nur stumm an. Sie schien nicht zu wissen, was sie sagen sollte.
„Ich glaube Ihnen.” sagte sie dann schlicht.
Dyro sah sie überrascht an.
„Werden Sie das den anderen klarmachen? Kann ich dann gehen?” fragte er hoffnungsvoll.
Michaelas Miene verdüsterte sich.
„Ich werde es versuchen, aber ich glaube nicht recht daran, dass sie mir zustimmen. Sie haben nicht besonders viel Vertrauen in mich und sagen ich würde diese ganze Sache viel zu persönlich nehmen.”
„Warum sind Sie dann überhaupt hier bei diesen Leuten?” fragte Dyro, was er sie schon beim letzten Mal hatte fragen wollen.
„Anna war einmal meine beste Freundin. Sie hat mich davon überzeugt, dass die Taelons üble Machenschaften auf der Erde mit den Menschen treiben. Doch dann traf sie diesen Simon und seine beiden Idioten. Sie gründeten eine Widerstandszelle und schon hing ich ebenfalls mit drin.” Michaela lachte bitter.
„Ich glaube nicht, dass irgendjemand von ihnen jemals Kontakt zum organisierten Widerstand hatte. Wir machen einfach immer unser eigenes Ding.”
Sie schraken beide zusammen, als plötzlich ein lautes Klopfen an der Tür zu vernehmen war.
„Michaela, komm jetzt endlich wieder da raus!” rief eine Stimme von draußen.
„Tut mir leid, aber ich muss gehen.” wandte sie sich dann leise an Dyro, bevor sie aufstand und den Raum verließ.
* * *

Dyro lag erneut weinend auf seiner Pritsche. Michaela war offenbar nicht erfolgreich gewesen die anderen zu überzeugen, dass er die Wahrheit sagte. Sie hatten ihn nur ein weiteres Mal geholt und versucht ihm irgendwelche Informationen über sein Implantat zu entlocken. Er hatte vergeblich versucht ihnen zu erklären, dass es keine Taelon-Technologie enthielt, aber sie hatten ihm kein Wort geglaubt.
Er fühlte sich elend, denn sein Körper schmerzte nun durch und durch und es gab nichts, was die Schmerzen hätte lindern können.
Sein verdammtes Implantat! Hatte da überhaupt jemand aus seiner Welt mal drüber nachgedacht, dass es gefährlich sein konnte, wenn einer der ihren mit einem Implantat aufgegriffen wurde? Rote Haare wären hier vermutlich nicht mal besonders aufgefallen. Nein, es war das Implantat, das ihm den ganzen Ärger und die Schmerzen eingebracht hatte.
Dyro hatte das eigenartige Gefühl plötzlich in der wirklichen Welt zu leben, während er vorher in einer extrem beschützten und behüteten Welt aufgewachsen war. Aus seiner jetzigen Sicht wirkte seine eigene Welt wie eine voller naiver Idioten. Dort machte man sich keine Gedanken, dass jemand in Gefangenschaft geraten könnte, wenn man ihn in eine fremde Welt reisen ließ. Verbrechen gab es natürlich auch in seiner Welt, aber es war seltener. Woran das lag, konnte er nicht sagen, aber dort hatte es seit über drei Jahren keinen Mord gegeben, wogegen das hier auf diesem Planeten zum Alltäglichen zu gehören schien.
Doch war es nicht das, was er sich immer gewünscht hatte? Etwas zu erleben, eine echte Herausforderung bewältigen zu müssen?
Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sich die Tür erneut öffnete. Der Vedian hatte inzwischen aufgehört zu weinen und nun sah er der Tür ziemlich gleichgültig entgegen. Angst zu zeigen, stachelte diese Leute immer nur noch mehr auf.
Zu seiner Überraschung war es jedoch Michaela, die den Raum betrat.
„Es tut mir so leid.” sagte sie und kam auf ihn zu. „Ich konnte sie nicht überzeugen und es machte sie wütend. Sie haben Sie noch einmal geholt, weil sie Sie dafür bestrafen wollten, dass Sie mich von der Wahrheit überzeugt haben.”
Er sah sie an. Ihretwegen also hatte er das eben also erleiden müssen? Doch es war nicht ihre Schuld. Sie hatte versucht ihm zu helfen und er war derjenige gewesen, der sie darum gebeten hatte.
„Also glauben Sie mir immer noch.” stellte er fest.
„Natürlich. Sie wirken überhaupt nicht wie ein Freiwilliger und es ergäbe keinen Sinn, wenn Sie schweigen würden, wenn Sie keiner sind.” versicherte sie in mitleidigem Tonfall.
„Danke.” sagte er leise.
Michaela sah ihm nun in die Augen und er konnte nun erkennen, dass darin Tränen schimmerten. Vorsichtig begann er sich aufzusetzen.
„Sie sind wirklich ein guter Mensch und haben es nicht verdient so behandelt zu werden.” sagte Michaela dann mit fast so etwas wie Trotz in der Stimme.
Dyro schenkte ihr ein mattes Lächeln.
„Ich bin froh, dass Sie da sind. Allein würde ich hier wahnsinnig werden.” gestand der Vedian.
Michaela schluchzte und fiel ihm dann um den Hals. Dyro war zwar überrascht und sein geschundener Körper protestierte heftig, aber er erwiderte die Umarmung dennoch.
„Ich hatte schon befürchtet Sie würden mich auch hassen!” sagte sie noch immer schluchzend.
Sie verweilten noch einige Zeit auf diese Weise, bevor Michaela wieder von ihm abließ.
„Was ist eigentlich mit den anderen?” fragte Dyro vorsichtig. „Dürfen Sie überhaupt wieder hier rein?”
Michaela schüttelte den Kopf.
„Ich war die Einzige, die sich bereit erklärt hat, Ihnen etwas zu trinken zu bringen und Ihre Verletzungen zu versorgen. Daher war ich sonst manchmal hier. Aber Simon hat es mir ab jetzt verboten. Allerdings braucht es nicht viel Tom von irgendetwas zu überzeugen, der gerade vor der Tür Wache hält.”
Dyro nickte verhalten.
„Ich denke wir sollten aufhören uns zu siezen.” bemerkte er dann unvermittelt.
Dementsprechend verblüfft sah Michaela ihn an.
„Natürlich.” sagte sie. „Dein Name ist Dyro, richtig?”
Der Vedian nickte. „Dein Name ist Michaela, aber woher kennst du meinen überhaupt?”
Die Frau nickte.
„Dein Ausweis.” sagte sie dann.
Dyro nickte verstehend. Schließlich hatte man ihm sämtliche Dinge abgenommen.
„Mein vollständiger Name ist Michaela Kathen.” erklärte sie.
Dann sah sie wieder zu Boden.
„Der Grund, warum niemand zu bemerken scheint, dass dein Implantat keine Taelon-Technologie ist, ist der, dass wir überhaupt keine Möglichkeiten haben das festzustellen. Alles, was wir mit unseren begrenzten Möglichkeiten herausfinden konnten, war, dass du ein Implantat trägst.”
Dyro hörte ihrer Erzählung aufmerksam zu. Das erklärte so Einiges, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen, warum sie ihm das erzählte.
„Worauf willst du hinaus?” fragte er also nach.
Sie blickte wieder auf und ihre Blicke trafen sich.
„Sie werden dich hier nicht mehr raus lassen, weil sie niemals einen Beweis haben werden, dass du die Wahrheit sagst.” begann sie, dann schluckte sie, sah ihn nun aber entschlossen an.
„Ich werde dich hier irgendwie herausbekommen.” sagte sie feststellend.
„Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde einen Weg finden. Es tut mir leid, aber du musst verstehen, dass ich nicht einfach zur Polizei gehen kann.”
Der Vedian sah sie verständnislos an.
„Warum denn nicht? Denk dir doch einfach etwas aus, wie du herausgefunden hast, dass hier jemand ist. Ich werde leugnen, dass du zu diesen Leuten dazu gehört hast.”
Traurig schüttelte sie den Kopf.
„Um mich mache ich mir keine Gedanken. Ich hätte es sogar verdient bestraft zu werden, aber Anna war einmal meine beste Freundin. Ich würde Simon und die anderen beiden problemlos verraten, aber ich kenne Anna zu gut.”
Dyro sah sie verzweifelt an. Sah sie denn nicht, dass ihre sogenannte 'Freundin' ihr nichts als Ärger gebracht hatte?
„Wie kannst du sie verteidigen?” fragte er bitter.
„Sie war einmal ganz anders. Doch als sie Simon kennen lernte, hat sie sich verändert. Er ist Schuld daran.” stieß sie hervor.
Dyro seufzte. Diese Frau war seine einzige Chance hier wieder heraus zu kommen. Was blieb ihm also anderes übrig, als zu hoffen?
„Ich hoffe du findest einen Weg.” sagte er also. „Aber geh jetzt besser wieder.”
Sie nickte kurz und wollte dann den Raum verlassen. Jedoch drehte sie sich zuvor noch einmal kurz um.
„Das sollte ich dir zwar nicht sagen, aber sie haben dein Implantat entfernen lassen, als du am Anfang bewusstlos warst.” sagte sie.
Dyro sah sie verdutzt an. Was sagte sie da? Doch dann fiel ihm etwas ein.
„Richtig, dieser merkwürdige Kerl, den ich nur ein einziges Mal bei euch gesehen habe...” überlegte er laut.
Michaela sah sich hektisch um, als fürchtete sie, dass sie von jemandem belauscht werden könnte und nickte dann.
„Ja, er soll sich gut mit dem Entfernen von allem Möglichen auskennen, aber kümmert sich normalerweise wohl um Schussverletzungen von Leuten, die nicht ins Krankenhaus wollen.” fügte sie noch hinzu.
Der Vedian sah sie mit großen Augen an, nickte dann jedoch nur langsam, was Michaela zum Anlass nahm, aus dem Raum zu verschwinden.

 
* * *
 

Dyro saß nur so da. Noch nie war ihm seine eigene Welt so fern gewesen wie jetzt. Aber zum ersten Mal war ihm das auch völlig egal. Sollte er tatsächlich hier rauskommen, würde er sich der Aufgabe stellen, die ein echtes Leben in dieser Welt forderte. Mit seinen Erfahrungen, die er hier gemacht hatte, konnte er unmöglich zurückkehren. Es wäre nicht mehr das selbe und es würde ihm dort nur fad und langweilig vorkommen. Damit war auch seine gesamte Mission hinfällig. Warum diese Welt erforschen, wenn aus seiner Heimat sowieso niemand begreifen konnte, wie es war hier zu leben?
In diesem Moment fasste er den Entschluss sein altes Leben zurückzulassen. Kurz dachte er noch an Mesua. Sie würde sich wohl alleine zurechtfinden müssen, aber noch mal jemanden treffen zu müssen, der diese Naivität ausstrahlte, schien ihm unmöglich.
Die Tür öffnete sich wieder und er wusste, dass er jetzt nur noch versuchen würde auf eine Chance für ein Leben hier zu hoffen. Er war jetzt ein Mensch.
Herein kam Simon, der ihn grob wegzerrte. Dyro kannte das bereits zur Genüge und leistete keinen Widerstand. Täte er das, wären die anderen beiden sofort zur Stelle. Schon traten sie herbei, als er in den Hauptraum geführt wurde, und hielten ihn auf dem Stuhl fest.
Anna kam ebenfalls hinzu und ein kurzer Blick nach rechts verriet ihm, dass auch Michaela da war. Obwohl sie sich um einen ausdruckslosen Gesichtsausdruck bemühte, erkannte er, dass sie schwer mit sich zu kämpfen hatte.
Die große Frau namens Anna schritt nun wieder auf ihn zu.
„Also, du kennst das Spielchen doch mittlerweile. Wird es dir nicht langsam mal langweilig?” sagte sie offenbar ziemlich gereizt, wobei sie ihm bedrohlich nahe kam.
Dyro versuchte den Kopf wegzudrehen, aber Anna packte ihn blitzschnell am Kinn, was Dyros Ausweichmöglichkeiten stark einschränkte.
„Du wirst uns jetzt eine Antwort geben!” schrie sie ihn ungehalten an. Offenbar verlor sie langsam ihre Geduld und das gab Dyro wieder ein wenig Mut. Diese Leute waren unprofessionell, denn selbst er wusste, dass es keine gute Strategie war dem Opfer gegenüber Schwäche zu zeigen. Vermutlich hatte er also doch eine Chance hier wieder heraus zu kommen. Einem plötzlichen Impuls folgend riss er seine Beine hoch und trat Anna gegen den Brustkorb, so dass sie rücklings hinfiel. Er versuchte sich freizukämpfen, aber die beiden stämmigeren Männer hielten ihn fest. Anna schien keine größeren Verletzungen davongetragen zu haben, denn sie saß bereits wieder. Simon stürmte auf sie zu, um offenbar nach ihr zu sehen. Als er sich versichert hatte, dass nichts Schlimmes passiert war, drehte er sich wieder zu Dyro um. Seine Augen glühten dabei vor Zorn. Er kam auf den Vedian zu und schlug ihm kräftig mit der Faust ins Gesicht, so dass seine Lippe zu bluten begann. Doch das schien ihm nicht zu reichen, denn er setzte direkt noch drei weitere Schläge in den Magen nach. Erst dann ließ er wieder von seinem Opfer ab und lief zurück zu Anna. Michaela stand noch immer stocksteif da und wusste nicht, wem sie helfen sollte.
Doch Simon hatte nun Anna auf die Beine geholfen, auch wenn sie so aussah, als hätte sie das auch gut allein hinbekommen. Die beiden kamen nun näher und Panik machte sich schnell in Dyro breit. Diese beiden hatten definitiv nichts Gutes im Sinn. Die Schmerzen der gerade eben erst zugefügten Schläge waren vergessen und er versuchte nun in blinder Panik sich dem Griff der beiden Männer zu entwinden.
„Wie kannst du es wagen, meine Freundin zu treten?!", donnerte Simon angriffslustig. Dyro schwieg, denn etwas zu sagen, würde den Menschen vermutlich noch mehr reizen.
„Ich werde dich lehren, was es heißt sich mit meiner Freundin anzulegen!” brüllte er dann und begann dann mehrere heftige Schläge gegen Dyro auszuführen. Als dieser sich vor Schmerzen krümmte, ließen schließlich auch die beiden Männer die Arme ihres Gefangenen los und er sank zu Boden. Dass er auch dort nicht sicher war, bemerkte er bald, als ihn ein Fußtritt traf. Er schrie auf vor Schmerz, aber das stachelte nicht nur Simon, sondern nun auch Anna an, weiter zuzutreten.
„Aufhören! Ihr bringt ihn ja um!” schrie eine hysterische Stimme, die der Vedian nun eindeutig Michaela zuordnen konnte.
„Blödsinn! Hau doch ab, du Heulsuse!” hörte er dann Anna brüllen, bevor auch sie weiter zutrat. Dyro wusste nicht mehr wie ihm geschah. Alles schien unter einem Schleier aus Schmerzen zu versinken, bis es schließlich tatsächlich schwarz um ihn wurde.

 
* * *
 

Dyro erwachte wieder und öffnete langsam seine Augen. Sein Körper schien nur aus Schmerzen zu bestehen und ihm wurde klar, dass er das alles nicht mehr lange würde aushalten können. Doch was sollte er tun?
Michaela war die Einzige gewesen, die versucht hatte ihm zu helfen. Doch offensichtlich hatte jemand dafür gesorgt, dass sie ihn nicht mehr besuchen kam. Und sie hatte klar gemacht, dass sie ihre beste Freundin nicht gefährden wollte. Ob es Dyro gefiel oder nicht, Michaela schien diese brutale, aggressive und unnachgiebige Frau immer noch als ihre Freundin anzusehen.
Doch was war mit Michaela selbst? Hatte diese bereits einen Plan ihn hier rauszuholen? Dyro musste sich eingestehen, dass das nicht sehr wahrscheinlich war, denn was konnte sie schon tun, was sie nicht direkt den anderen gegenüber verdächtig machte?
Langsam versuchte Dyro sich aufzusetzen, was ihm jedoch nur schwerlich gelang. Jetzt, da Michaela nicht mehr kam, bekam er auch kein neues Wasser mehr, was seinen Körper noch zusätzlich schwächte.
Mit schmerzverzogenem Gesicht zog er schließlich seine Beine zu sich heran und kauerte dann in einer Art Hockstellung sich so klein wie irgend möglich machend auf der Pritsche.
Auch psychisch würde er das hier nicht mehr lange aushalten. Verzweifelt musste er anerkennen, wie hilflos er war. Tränen rannen aus seinen Augen. Warum mussten sie ihm das nur antun? Hatten sie wirklich kein Gewissen? Empfanden sie keinerlei Mitgefühl für ihre Mitmenschen? War dies womöglich keine normale Eigenschaft bei Menschen?
Er hatte immer geglaubt, dass das die Grundzüge einer jeden Gesellschaft sein müssten, die aus bewussten, intelligenten Wesen bestand. Doch offenbar hatte er sich geirrt. Michaela empfand zweifelfrei Mitgefühl für ihn, sonst wäre sie nicht auch nach dem Verbot noch zu ihm gekommen und hätte sich nicht ständig entschuldigt. Sie hatte ihm fast nie in die Augen sehen können, also musste ihr Gewissen sie geplagt haben. Doch den anderen schien das alles herzlich egal zu sein, so lange sie ihr Ziel weiter verfolgen konnten.
Trübselig saß er da, als er aus dem Hauptraum jemanden herumbrüllen hörte. Jedoch konnte der Vedian durch die Tür die Stimme nicht näher identifizieren, aber es schien irgendetwas vor sich zu gehen. Doch das konnte ihm egal sein, solange er hier in seiner Zelle saß. Er hatte keine Möglichkeit von hier aus irgendetwas zu beeinflussen.
Plötzlich schwang seine Tür jedoch mit einem Knall auf und grelles Licht ließ ihn zusammenzucken und seine Augen zukneifen. Er zitterte, auch wenn er sich dessen nicht bewusst war. Was würde ihn wohl jetzt erwarten?

Herein gestürmt kamen zwei Menschen, die sich in dem Raum umsahen und dann je auf einer Seite Stellung bezogen. Verwirrt blickte der Vedian auf die offene Tür, in der immer noch zwei Personen standen.
„Dyro!” hörte er einen Schrei und dann kam Michaela auf ihn zugelaufen und fiel um seinen Hals.
„Die Frage, ob dies der Richtige ist, erübrigt sich dann wohl.” stellte der Mann vor der Tür sachlich fest. Dann trat er vor und musterte den Eingesperrten genauer.
„Geht es Ihnen physisch soweit gut oder benötigen Sie ärztlichen Beistand?” fragte er dann.
Dyro war einen Moment zu verblüfft, um zu antworten. Dann begann er langsam die Situation zu realisieren. Hatte Michaela es tatsächlich geschafft? Doch wo waren dann die Mitglieder ihrer Widerstandszelle?
„Äh, ich denke es geht.” sagte er dann. Trotz all des Durcheinanders, das sein Leben in den letzten Tagen geworden war und dieser nun für ihn so überraschenden Wendung, war offensichtlich der Teil seines Gehirns intakt geblieben, der ihm sagte, dass er als Nicht-Mensch sich so wenig wie möglich in ärztliche Behandlung begeben sollte.
„Wie Sie meinen, aber bitte vereinbaren Sie einen Termin mit unserem Psychologen.” erwiderte er prompt.
„Das werde ich übernehmen.” ließ ihn Michaela wissen. Der Mann nickte knapp.
„In Ordnung. Einer unserer Ärzte wird sie dennoch noch durchchecken. Begeben Sie sich bitte zum Eingangsbereich dieser Einrichtung. Dort wird man Sie erwarten.” fügte er noch hinzu und entfernte sich dann.
„Du hast es geschafft.” flüsterte Dyro überglücklich.
„Ja.” war nun Michaelas einzige Antwort, wobei Dyro nicht bemerkte, dass sie nicht besonders glücklich klang.
„Ich bringe dich zu mir nach Hause. Da wirst du alle Ruhe haben, die du brauchst.” meinte sie dann. „Kannst du laufen?”
Dyro sah sie ratlos an. Wann war er das letzte Mal gelaufen, als man ihn nicht dazu gezwungen hatte?
Schließlich versuchte er seine nackten Füße vorsichtig auf den Boden zu setzen. Seine Beine waren wacklig und sein in Mitleidenschaft gezogener Körper protestierte heftig, aber es ging. Mit Michaela, die ihn stützte, an seiner Seite verließ er schließlich den dunklen Raum. Im Hauptraum erkannte er nun auch, wer ihn da gerettet hatte. Die silber-schwarzen Uniformen waren ihm längst aus dem Fernsehen bekannt. Zwischen den geschäftig herumlaufenden Freiwilligen, sah er nun auch, dass etwas wie eine Computerkonsole gebrannt zu haben schien, denn sie schwelte nun schwarz qualmend vor sich hin. Doch von den Widerständlern gab es keine Spur.

 
* * *
 

12 Stunden später

Dyro öffnete langsam die Augen. Das erste, was ihm durch den Kopf ging, war, dass es nicht dunkel war. Stattdessen strömte Tageslicht durch die Fenster hinein. Außerdem lag er nicht auf seiner Pritsche, sondern in einem weichen Bett. Er seufzte zufrieden, als er sich wieder bewusst machte, dass alles vorbei war. Hier war er bei Michaela und sicher. Doch dann fiel ihm schlagartig wieder ein, dass er gar nicht wusste, was mit den Widerständlern geschehen war. Er sprang aus dem Bett, was ihm erstaunlicherweise gelang und lief zur Tür hinaus. Er brauchte einen Moment, um sich orientieren zu können, denn viel hatte er zuvor noch nicht von der Wohnung gesehen. Er hatte bisher nur kurz etwas getrunken und ein wenig gegessen, hatte dann kurz geduscht, sich umgezogen und war dann völlig übermüdet ins Bett gesunken.
Er stand nun auf einer Art Flur, doch sein Gedächtnis sagte ihm nun doch noch, welche Tür ins Wohnzimmer führte. Er öffnete die Tür und fand Michaela, die an einem Computerbildschirm arbeitete. Überrascht drehte diese sich um.
„Michaela, bitte erzähl mir, was passiert ist.” platzte es sofort aus Dyro heraus.
Michaela sah ihn streng an.
„In Ordnung. Wenn du wieder zurück ins Bett gehst, erzähle ich dir alles.” sagte sie. Dyro wollte zwar jetzt sofort wissen, ob Michaela oder er noch irgendwie in Gefahr waren, aber er sah, dass sie sich nur Sorgen um ihn machte. Also gab er nach und trottete ins Schlafzimmer zurück, wo er sich wieder ins Bett begab.
Nach einiger Zeit, die ihm ewig vorkam, kam Michaela ebenfalls hinzu. Sie lächelte nun leicht, sah jedoch nicht besonders glücklich aus.
„Was ist mit den anderen passiert?” fragte Dyro, nachdem sich seine Gastgeberin gesetzt hatte. Diese jedoch biss sich auf die Lippe und sah traurig zu Boden, so dass Dyro klar wurde, dass dies der Grund ihrer Traurigkeit sein musste. Doch er musste die Antwort darauf wissen.
„Auf dem Mutterschiff nehme ich an.” antwortete sie dann etwas zittrig. „Die Freiwilligen haben sie verhaftet.”
„Haben sie alle verhaftet?” fragte er nach.
Michaela nickte stumm, doch Dyro hatte verstanden. Ihr war nichts Neues eingefallen, wie sie ihre Freundin heraushalten konnte und somit hatte sie eben auch sie verraten.
„Danke.” sagte Dyro nun schlicht, denn ihm wurde klar, dass Michaela damit ein Opfer gebracht hatte.
Doch nun schüttelte sie den Kopf.
„Du hattest Recht, dass ich Anna nicht schützen sollte. Das ist mir allerdings erst klar geworden, als sie mir überdeutlich gezeigt hatte, wie wenig ich ihr noch als Freundin wert war. Ich weiß nicht, wie gut du dich daran erinnerst...” begann sie, brach dann aber ab.
Dyro war klar, dass sie etwas meinen musste, während sie ihn getreten und geschlagen hatten, aber er nickte ihr zu fortzufahren.
„Sie hat mich nur noch beschimpft, wenn ich versucht habe zu sagen, dass sie nicht so mit dir umgehen dürfen. Außerdem hätte ich das nicht mehr länger ertragen können es mitanzusehen.”
Dyro nickte langsam.
„Vielen Dank, dass du das für mich getan hast.” bedankte er sich erneut.
Michaela schenkte ihm nun ein warmes Lächeln.
„Ich hatte gehofft, dass du eine Weile hier bleibst.” sagte sie dann.
Dyro erwiderte ihren Blick verblüfft.
„Warum sollte ich das denn nicht?”
Michaela sah ihn noch immer lächelnd an.
„Ich würde mich gerne um dich kümmern, aber auch ich war dabei, als sie dir das antaten. Dieser Psychologe wird dich sicher ausfragen und wenn du sagen willst, dass ich in Wirklichkeit auch dabei war, werde ich dich nicht davon abhalten.”
Der Vedian sah sie erschreckt an.
„Was hast du ihnen denn erzählt? Wenn sie das nicht wissen, werde ich ihnen natürlich nichts davon sagen!” empörte er sich dann. „Du hast mich schließlich gerettet!”
„Danke.” sagte Michaela nun ihrerseits. „Ich habe ihnen erzählt du seiest mein Freund und sie hätten dich vor meinen Augen im Park entführt, mir jedoch gedroht, dass ich ihnen nicht folgen und die Polizei nicht einschalten dürfte. Ich hätte dich danach jedoch trotzdem überall gesucht und schließlich ein Armband von dir gefunden und dann in der Nähe Wache gehalten, bis einer der Entführer sich gezeigt hätte, wodurch ich dann gewusst hätte, wo das Versteck ist. Leider kamen direkt auch die Freiwilligen an, weil ich dummerweise gesagt hatte, dass die Entführer offensichtlich etwas mit dem Widerstand zu tun hatten.”
Dyro sah sie verwirrt an. Was war ihr Problem mit den Freiwilligen? Sie hatten ihn doch immerhin gerettet!
„Das mit dem Implantat wird wohl auch keiner erfahren, denn die brennende Computerkonsole in unserem Hauptquartier enthielt alle Daten, die wir darüber hatten und das Implantat selbst habe ich mitgenommen, bevor ich zur Polizei ging. Die anderen werden jetzt wohl über ihre Aktivitäten im Widerstand befragt, jedoch schien es mir nicht so, als wäre es den Freiwilligen besonders wichtig etwas über uns beide heraus zu bekommen und in dem Fall hoffe ich auch, dass das auch so bleibt.” erklärte Michaela, wobei Dyro nun zum ersten Mal auffiel, dass sie langes dunkelbraunes Haar hatte, das elegant um ihre Schultern fiel.
Er versuchte diesen Gedanken zu verscheuchen, da er ihm gerade ziemlich unpassend erschien, bemerkte dann aber, dass er bereits begonnen hatte sein Gegenüber anzulächeln.
Michaela lächelte nun zufrieden zurück.
„Das ist das erste Mal, das ich dich lächeln sehe.” bemerkte sie dann.

 
* * *
 

24 Stunden später

Dyro saß am Fenster und sah hinab auf die Menschen, die hektisch und scheinbar planlos durch die Gegend rannten. Es hatte inzwischen eine beruhigende Wirkung auf ihn, auch wenn ihm das etwas seltsam vorkam. Vermutlich hatte er einfach zu lange in einem dunklen Keller gesessen, so dass nun alles, was hell, warm und nicht völlig still war, eine beruhigende Wirkung auf ihn hatte.
Auch wenn seine Verletzungen noch nicht völlig verheilt waren, fühlte er sich doch viel besser als noch vor einem Tag. Er hatte nun wieder ein Leben. Dieser Psychologe hatte ihn zu dem genauen Hergang befragt und der Vedian hatte sich Mühe gegeben das Implantat nicht zu erwähnen. Michaela herauszuhalten war nicht schwer gewesen, denn sie hatte ihm niemals etwas getan. Sie hatte ihn gerettet und war die einzige Person, die wirklich verstand, wie es gewesen war, dort zu sein.
In diesem Moment hörte Dyro ein Geräusch von Schlüsseln und dann kam Michaela herein.
„Alles in Ordnung.” sagte sie dann. „Die Freiwilligen und die Polizei werden uns von nun an in Ruhe lassen. Offenbar hast du sie überzeugt, dass es genau so abgelaufen ist, wie du es beschrieben hast.”
Dyro kam auf sie zu und fiel ihr schließlich um den Hals. Michaela wirkte zwar überrascht, doch sie erwiderte die Umarmung glücklich.
Als sie sich schließlich wieder voneinander lösten, lächelten beide zufrieden.
Dyro sah ein wenig beschämt zu Boden, so dass Michaela ihm schließlich einen Arm um die Schultern legte.
„Komm, setzen wir uns doch irgendwo hin.” schlug sie vor. Dyro nickte nur und ging dann mit ihr auf das Sofa zu, worauf sich die beiden niederließen.
„Was wirst du jetzt tun?” fragte Dyro schließlich.
Michaela sah ihn an.
„Was? Oh, ich bin Technikerin bei einer Partnerfirma von Doors International. Die anderen hatten wohl insgeheim gehofft ich könnte darüber vielleicht Kontakt mit Doors aufnehmen. Aber das ist natürlich Unsinn, denn Jonathan Doors selbst werde ich vermutlich nie zu Gesicht bekommen.” erklärte sie.
Dyro sah sie verdutzt an. Es war ihm bisher nie in den Sinn gekommen, dass Michaela auch noch so etwas wie ein normales Leben in dieser Welt haben könnte, wenn sie im Widerstand tätig war. Allerdings brauchten sie wohl Geld, denn sonst konnten sie hier nicht überleben.
„Und ich denke nicht, dass ich meinen Job aufgeben sollte.” fuhr Michaela unterdessen fort.
„Nein, natürlich nicht.” meinte Dyro entschuldigend. „Wie lange würdest du mich denn hier bei dir aufnehmen?”
Zu seiner Überraschung lachte seine Gastgeberin belustigt auf.
„Ich denke darüber solltest du dir jetzt keine Gedanken machen. Ich werde dich nicht einfach so vor die Tür setzen, oder was dachtest du?” fragte sie grinsend.
„Äh... na ja, also würdest du mich als Mitbewohner aufnehmen?” fragte er noch etwas unsicher.
„Klar, aber nur wenn du dich als nützlich erweist.” antwortete sie mit einer, wie der Vedian glaubte, leicht schelmisch nach oben gezogenen Augenbraue.
Zunächst war Dyro verwirrt, doch dann erinnerte er sich wieder, dass die Menschen manchmal Dinge sagten, die sie gar nicht meinten. Er konnte sich zwar nicht erklären, warum sie das taten, doch glaubte er es inzwischen zumindest zu erkennen.
Kopfschüttelnd fing er dann schließlich doch leicht an zu grinsen. Er hatte die Menschen bis heute nie ganz begreifen können. Einmal waren sie so und dann zeigten sie wieder eine ganz andere Seite. Michaela hatte sich dieser Widerstandsgruppe angeschlossen und doch immer traurig gewirkt. Zu ihm war sie jedoch immer freundlich gewesen, aber jetzt war sie wie ausgewechselt. Sie schien beinahe durchgehend fröhlich zu sein und ihn wie einen ganz normalen Menschen zu behandeln, als wäre nie etwas geschehen.
Dabei musste er gestehen, dass ihm das irgendwie gut tat. Es lenkte ab von all dem, was geschehen war und zeigte ihm, dass sein Leben nun weiterging.
Mit einem schiefen Grinsen beobachtete er nun auch Michaela genauer, die sich über seine anfängliche Verwirrung zu amüsieren schien. Er fand, dass ihr das Lächeln wirklich gut stand und ihr Gesicht lebendig machte. Umrahmt wurde es dazu noch von ihrem wunderschönen langen dunkelbraunen Haar, das besonders gut zu ihren ebenfalls braunen Augen passte.
Er wollte jetzt nichts sagen, was ihre Stimmung verschlechtern würde, doch er musste es jetzt einfach wissen.
„Was ist mit Anna? Du musstest sie opfern, um mich zu retten.” sagte er dann schuldbewusst.
Michaela verstummte und ihr Gesicht nahm nun wieder einen ernsten Ausdruck an. Dann nickte sie langsam.
„Ja, das musste ich leider.” sagte sie, aber sie klang nicht niedergeschlagen.
„Doch ich weiß jetzt, dass das die richtige Entscheidung war. Wenn ich es nicht getan hätte, wäre vielleicht alles noch böse geendet. Ich bin nicht stolz auf meine Taten, aber ich bin froh, dass du jetzt hier bist.” erklärte Michaela, wobei sie näher an Dyro heranrückte und ihm wieder die Arme um die Schultern legte.
Dyro fühlte sich erleichtert, da er nun wusste, wie sie über den Ausgang dieser Sache dachte. Er näherte sich ebenfalls seinem Gegenüber, bis sich ihrer beider Lippen zu berühren begannen.

 
* * *
 

10 Monate später

Dyro sah vom Computer auf, als er hörte, dass jemand die Wohnung betrat. Mit einem kurzen Lächeln begrüßte er seine Freundin, die soeben das Wohnzimmer betrat. Michaela lächelte ebenfalls zurück, doch fiel dem Vedian auf, dass es ein wenig verhalten wirkte. Offensichtlich war ihr Arbeitstag wohl nicht ganz so gut gelaufen. Er selbst arbeitete meistens zu Hause. Nachdem ihm sein damaliger Job bei der Portalbehörde gekündigt worden war, da sie offenbar niemanden nehmen wollten, der einmal Gefangener des Widerstands gewesen war, hatte er sich einen etwas zurückgezogeneren Beruf suchen müssen. Er war nun als Angestellter eines Betriebs für die Übersetzung von Bedienungsanleitungen zuständig. Als er damals vor seiner Reise hierher angefangen hatte Deutsch zu lernen, um sich hier auch entsprechend mit den Menschen verständigen zu können, war ihm aufgefallen, wie leicht ihm dies gefallen war. Sprachbegabtheit wurde in seiner Welt so gut wie nie erkannt, denn es gab schlicht und ergreifend kaum einen Grund eine Fremdsprache zu erlernen. Jedoch kam ihm dies jetzt zugute, besonders weil er die hier gesprochene Sprache inzwischen nahezu perfekt beherrschte. Durch den Verlust seines Implantats hatte er sich auch etwas für seine Haarfarbe einfallen lassen müssen. Jedoch gab es hier genug Produkte, die von den Menschen zur Änderung der Haarfarbe genutzt wurden. So war es eigentlich relativ einfach gewesen sein Haar damit konstant blond zu halten, auch wenn es teilweise ein wenig aufwendig war.
„Kann ich vielleicht gleich mal mit dir sprechen?” riss Michaela ihn nun aus seinen Gedanken. Dyro sah sie erstaunt an. Sie klang ernst, also schien es um etwas Wichtiges zu gehen.
„Ist gut, lass mir nur noch zehn Minuten Zeit.” gab er zur Antwort. Michaela nickte nur stumm und verließ den Raum. Das machte Dyro Sorgen. Sie beide waren jetzt seit fast zehn Monaten ein Paar, so dass Dyro nicht umhin kam zu bemerken, dass sie sich gerade äußerst distanziert verhielt. Ohne sich recht konzentrieren zu können, machte er sich schließlich wieder an die Arbeit. Nach zehn Minuten hatte er zwar nicht geschafft, was er vorgehabt hatte, doch musste er einsehen, dass es so auch keinen Sinn hatte. Er beeilte sich also den Computer abzuschalten und folgte dann Michaela ins Schlafzimmer. Sie saß bereits auf der Bettkante und schien nur auf ihn gewartet zu haben. Langsam trat er ein und setzte sich zu ihr.
„Was ist los?” fragte er sanft.
„Ich muss dir etwas sagen, Dyro.” begann sie, als wüsste sie nicht so recht, wie er darauf reagieren würde.
Er sah sie aufmerksam an, schwieg jedoch, damit sie weiterreden konnte.
„Du weißt doch, dass ich in gewisser Weise einmal zum Widerstand gehört habe.” begann sie ausweichend. Dyro nickte nur, denn ihm war klar, dass dies keine Frage gewesen war. Selbstverständlich war Michaela bewusst, dass er das wusste. Er wünschte sich nur seine Freundin würde endlich sagen, was sie ihm mitteilen wollte.
„Also... na ja, damals hatte mich Anna überzeugt, dass die Taelons nicht die Wohltäter sind, die sie vorgeben zu sein. Nachdem ich sie und die anderen den Freiwilligen ausgeliefert hatte, ...” sie stockte kurz, als sie bei diesen Worten schlucken musste, bevor sie schließlich fortfuhr. „... hab ich sämtliche Gedanken an die Taelons beiseite geschoben, um für dich da zu sein. Ich habe geglaubt das wäre so einfach, aber die Wahrheit ist, dass ich immer noch daran glaube, was sie mir über die Taelons gesagt hat.”
Dyro sah sie ungläubig an.
„Was willst du damit sagen? Dass du sie aus dem Gefängnis befreien willst?” fragte er entgeistert. Das konnte es nicht sein, was sie wollte, oder?
Doch Michaela schüttelte heftig den Kopf.
„Nein, natürlich nicht. Das wäre Wahnsinn und außerdem bin ich mir nicht mal sicher, ob sie noch irgendetwas mit mir...” sie unterbrach sich erneut und sah Dyro nun in die blauen Augen.
„Ich möchte nicht rechtfertigen, was sie und die anderen getan haben, aber ich kann nicht anders - ich werde dem Widerstand wieder beitreten.”
Dyro sah sie entgeistert an und meinte sich verhört zu haben.
„Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein! Du hast gesehen, wie der Widerstand vorgeht und das kann es nicht sein, was du willst!” erwiderte er.
„Nicht der ganze Widerstand ist so, wie du dir das vorstellst!” sagte sie nun auch mit leicht erhobener Stimme.
„Ach ja? Und woher weißt du das?” fragte Dyro aufgebracht.
„Weil... weil ich bereits Kontakt mit ihnen habe und der organisierte Widerstand ist wirklich etwas vollkommen anderes.” versuchte sie ihm nun wieder etwas sachlicher ihre Entscheidung vorzulegen.
Doch Dyro sprang schließlich vom Bett auf und stellte sich vor sie.
„Du hast bereits Kontakt mit ihnen? Wie lange verheimlichst du mir das denn schon?” rief er aufgebracht.
Michaela sah ihn unglücklich an.
„Dyro, bitte...” sagte sie, während sie aufstand und versuchte ihm die Hände auf die Schultern zu legen. Doch er machte einen Schritt zurück.
„Nein!” schrie er nun. „Du weißt, dass der Widerstand mir nichts als Ärger eingebracht hat!”
„Ach? So denkst du also auch über mich?” schrie sie ebenfalls zurück.
Das war zu viel. Dyro stürmte aus dem Raum und warf die Tür hinter sich zu. Wie konnte sie so etwas nur behaupten? Und überhaupt, sah sie denn nicht, dass er sie nur beschützen wollte? Wenn er eines wusste, dann, dass er sie nicht erneut in den Händen des Widerstandes wissen wollte. So viel hatte dieser nicht nur ihm, sondern auch ihr angetan!
Wutentbrannt rannte er zurück ins Wohnzimmer, wo er sich auf das Sofa warf. Letztendlich konnte er nicht verhindern, dass Tränen seine Wangen hinabrannen.

Als Dyro wieder aufsah und zur Tür blickte, konnte er erkennen, dass Michaela gerade zögerlich hereinkam. Hastig versuchte er seine Tränen wegzuwischen, doch es war ihm klar, dass sie es gesehen haben musste. Als er keine Anstalten machte davon zu laufen oder sie aus dem Raum zu werfen, trat sie schnell näher an ihn heran und setzte sich zu ihm.
„Ich weiß doch, was du mit dem Widerstand durchmachen musstest.” sagte sie verständnisvoll und legte dabei eine Hand beruhigend auf seine Schulter.
„Und genau deshalb musst du doch verstehen, dass ich niemals wieder einer solchen Gruppe beitreten würde.”
„Aber genau das tust du doch damit.” sagte Dyro verständnislos, jetzt jedoch wieder etwas milder gestimmt.
Michaela schüttelte langsam den Kopf.
„Nein, ich werde mich dem organisierten Widerstand anschließen. Dazu werde ich in die Vereinigten Staaten gehen, aber ich will wenigstens helfen etwas zu bewirken, wo die Taelons den meisten Einfluss haben.”
Alarmiert sah Dyro sie nun an.
„Du willst auswandern?” fragte er entrüstet. „Und was wird dann aus uns?”
Michaela sah kurz zu Boden.
„Ich würde mich natürlich freuen, wenn du mit mir kommen würdest.” sagte sie dann leise.
„Du hast das doch alles schon entschieden, richtig?” sagte der Vedian nun wieder mit der Wut kämpfend. Sie hatte ihm ihre Zukunftspläne verschwiegen und jetzt erwartete sie, dass er einfach so mit ihr in die USA auswanderte?
„Bitte, mach es doch nicht so schwer. Ich kann einfach nicht so tun, als wären die Taelons die Wohltäter der Menschheit, als die sie sich präsentieren.”
Dyro sah sie hilflos an.
„Ich glaube aber nicht, das sie irgendetwas im Schilde führen. Schlimmer als die Politiker werden sie schließlich auch nicht sein.”
„Du würdest dich wundern.” erwiderte Michaela. „Außerdem scheint die allgemeine Lage mir eher schlimmer zu werden, je länger die Taelons auf der Erde sind. Ich will einfach nicht, dass eines Tages doch noch jemand auf die Idee kommt, dass da noch ein paar selbsternannte Widerständler irgendwo im Gefängnis sind, die man vielleicht doch noch mal befragen sollte. Du hast mir nie gesagt, was es mit deinem Implantat auf sich hatte und du musst es auch jetzt nicht, aber wenn die Freiwilligen davon erfahren, werden sie es herausfinden wollen. Außerdem glaube ich nicht, dass sie die Tatsache ignorieren würden, dass ich ebenfalls dazugehört habe. Wir sollten lieber untertauchen, solange es noch geht.”
„Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?” rief Dyro nun wieder aufgebracht und sprang vom Sofa auf.
„Niemand wird uns verhaften oder einen der vier befragen, die jetzt schon vor zehn Monaten vom Mutterschiff in ein normales Gefängnis überführt wurden! Nach dem Prozess damals hat doch nie jemand mehr etwas von denen gehört! Und wir sind doch überhaupt keine Gefahr!” ereiferte er sich.
Michaela biss sich auf die Lippe und schwieg.
„Was?” schrie Dyro aufgebracht.
„Manchmal bist du wirklich so naiv!” entfuhr ihr die Bemerkung, die sie sich offenbar vorher verkniffen hatte.
Dyro starrte sie wütend an. Es fiel ihm jedoch nichts ein, was er hätte erwidern können, weil er wusste, dass sie Recht hatte. Und ihr zu sagen, dass er von seiner Spezies noch der am wenigsten Naive war, wäre wohl auch nicht besonders sinnvoll gewesen. Er hatte nicht all die Monate sein Geheimnis für sich behalten, um es jetzt so unüberlegt preiszugeben. Außerdem würde sie die Wahrheit weder glauben, noch würde das irgendeinen Unterschied machen.
„Ich kann nicht mit dir kommen.” sagte er schließlich entschlossen.
Sie sah ihn sorgenvoll an.
„Ich möchte aber, dass du mit mir kommst. Du bist wahrscheinlich noch mehr in Gefahr als ich und ich will dich nicht hier lassen.” ließ sie ihn wissen.
„Aber du würdest auch ohne mich gehen, ja?” fragte er wütend.
Sie sprang nun ebenfalls auf.
„Ja, das würde ich, weil... weil... weil ich nicht mitansehen kann wie du und ich schließlich hier verhaftet werden!” rief sie ebenfalls wütend. Doch nun erschien es Dyro, als würde sie ihm irgendetwas verschweigen. Sie hatte etwas anderes sagen wollen.
„Ist das wirklich der Grund?” hakte er nach.
Sie wirkte ein wenig verunsichert, doch beeilte sich dann zu antworten.
„Natürlich, du bist für mich der wichtigste Mensch und ich will nicht, dass dir so etwas zustößt!”
Dyro fand allerdings, dass sie sich hier etwas widersprach. Denn, wenn sie wirklich daran glaubte, würde sie es ja nicht verhindern, wenn sie ohne ihn ginge. Doch offensichtlich hatte sie ja nicht vor ihm die Wahrheit zu sagen.
„Ach, tatsächlich?” meinte er verächtlich. „Dann frage ich mich wirklich, warum ich der Letzte bin, der davon erfährt.”
„Ich wusste wohl, dass du so reagieren würdest!” schrie sie erbost.
„Na, dann geh doch nach Amerika!” brüllte er und verließ erneut den Raum, um sich diesmal im Schlafzimmer zu verkriechen.

Dyro war den Rest des Tages nicht mehr aus dem Schlafzimmer gekommen und Michaela auch nicht zu ihm hinein. Letztlich schlief er allein ein, darauf hoffend, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Doch auch am nächsten Morgen wachte der Vedian noch alleine auf. Er beschloss jedoch, dass es jetzt Zeit war, dass er wieder herauskam. Vielleicht gab es ja einen Weg wie sie beide damit umgehen konnten. Entschlossen öffnete Dyro die Tür und trat hinaus. Wo war Michaela wohl? Er warf zunächst einen Blick ins Wohnzimmer, wo er sie vermutet hätte, doch dort war sie nicht zu finden. Nach und nach suchte er in allen Räumen der Wohnung, musste jedoch schließlich wieder ins Wohnzimmer zurückkehren, ohne sie gefunden zu haben. Er ließ sich seufzend auf das Sofa niedersinken. Anscheinend war Michaela schon früher hinaus gegangen, vielleicht um ihm nicht begegnen zu müssen.
Doch dann fiel dem Vedian ein Zettel ins Auge, der auf dem Tisch lag. Schnell griff er danach und begann zu lesen.

Lieber Dyro,
ich möchte dir keine Vorwürfe dafür machen, dass du den Widerstand hasst und deshalb nicht mit mir kommen willst. Niemand könnte das besser verstehen als ich.
Doch ich kann nicht einfach abwarten, bis sie dich und mich schnappen. Ich möchte das nicht miterleben und außerdem muss ich einfach dem Widerstand helfen.
Es tut mir leid, dass ich nun so einfach verschwunden bin, doch hätte ein weiterer Streit auch nichts geändert, sondern alles nur schwerer gemacht. Hier trennen sich nun also unsere Wege.
Leb wohl
Michaela

Die Hände des Vedian hatten beim Lesen zu zittern begonnen. Als ihm schließlich bewusst wurde, was es bedeutete, liefen Tränen aus seinen Augen. Michaela war weg und sie würde nicht mehr zurückkommen. Aber wieso war sie so einfach gegangen ohne noch einmal einen Versuch zu machen ihn zu überzeugen mit ihr zu kommen? Und war sie wirklich so fest vom Widerstand überzeugt, dass sie nichts von ihrem Vorhaben hätte abbringen können?
Fest umklammerte Dyro mit seiner Hand das Stück Papier. Sie hatte ihm noch nicht einmal eine Stadt genannt, in die sie gehen würde. Er würde sie niemals finden, vor allem, weil sie vermutlich untertauchen würde.
Weinend vergrub der junge Vedian sein Gesicht in eins der Kissen. Michaela war fort.

 
* * *
 

9 Monate später

Dyro öffnete mit seinem Schlüssel die Wohnungstür. Ärgerlich warf er seine Jacke zur Seite. Warum mussten die anderen Bewohner des Hauses auch solche blödsinnigen Bemerkungen machen? Vor zwei Wochen war Mesua für eine Nacht hier gewesen und noch immer schien dies das Hauptgesprächsthema hier im Haus zu sein. Dabei hatte er noch nicht einmal mitbekommen, dass jemand seine Kollegin gesehen hatte. Er ärgerte sich. Wenn er sie doch nur früher am Morgen geweckt hätte, um sie nach Amerika zu schicken! Doch das war ihm dann doch zu unfair erschienen. Das war ihr erster Tag in einer neuen Welt gewesen und ihm war bewusst, dass er keine besondere Hilfe dabei gewesen war.
Doch eigentlich hatte er sich vor etwa 1 ˝ Jahren geschworen nie mehr etwas mit seiner Welt zu tun haben zu wollen. Doch er hätte wissen müssen, dass sie ihn wieder einholen würde. Schließlich war das seine Herkunft. Vielleicht war das auch der Grund, warum er Mesuas Globalnummer gespeichert hatte. Brauchte er unterbewusst etwa so etwas wie Kontakt zu jemandem seiner eigenen Spezies? Dyro schüttelte energisch den Kopf. Das war ja völlig verrückt! Er hatte doch niemanden mehr sehen wollen, der so naiv war wie Mesua oder der Rest seiner Spezies, weil er das nicht ertragen konnte. Warum also sollte er den Kontakt zu ihr suchen? Seufzend lehnte er sich an die Wand und versuchte nachzudenken.
Nachdem Michaela wortwörtlich über Nacht verschwunden war, hatte sich sein Leben erneut schlagartig völlig verändert. Er wohnte jetzt nicht mehr in ihrer früheren gemeinsamen Wohnung, sondern in einer kleineren am anderen Ende der Stadt. Hier hatte er jedoch auch neue Freunde gefunden. Diese waren zwar ein wenig fanatisch was die Taelons betraf, aber vielleicht war es dieser Gegensatz zu Michaela, den er unbewusst gesucht hatte. Außerdem würde er so kaum in den Verdacht geraten, er hätte in irgendeiner Form Kontakt mit dem Widerstand oder auch nur eine schlechte Meinung von den Taelons. Einige aus seinem Freundeskreis schlossen sich irgendwann den Freiwilligen an, was bei den meisten die Verwirklichung eines Lebenstraums zu sein schien. Danach bekam er diejenigen zwar nicht mehr besonders häufig zu Gesicht, jedoch zeigte es ihm auch, dass seine Freunde damit offensichtlich gefunden hatten, was sie suchten. Er selbst spielte auch seit längerem mit dem Gedanken zu den Freiwilligen zu gehen. Das wäre wenigstens eine Aufgabe und vielleicht hatten die anderen tatsächlich Recht, dass es besser war, sein vergangenes Leben hinter sich zu lassen.
Er wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Seine Gedanken zur Seite wischend öffnete er die Tür - und erstarrte wie vom Donner gerührt.

Vor der Tür stand Michaela, so wie er sie in Erinnerung hatte. Ihr dunkelbraunes Haar hatte sie hochgesteckt und sie schenkte ihm ein vorsichtiges Lächeln. Bevor der Vedian wusste, wie ihm geschah, war er ihr bereits um den Hals gefallen.
„Wie ich sehe, kennst du mich wohl noch.” bemerkte Michaela überflüssigerweise.
„Natürlich!” rief Dyro aus. „Komm rein!”
Als die beiden sich wieder voneinander lösten, folgte Michaela seiner Aufforderung und schloss hinter sich die Tür.
„Was hast du bloß all die Zeit gemacht? Ich hab dich ja neun Monate nicht gesehen!” begann der Vedian beinahe euphorisch.
Doch bevor die menschliche Frau antworten konnte, klopfte es erneut an der Tür. Wer war denn das jetzt? Er öffnete die Tür und erkannte vor sich Herrn Kadzu. Dieser war ein älterer Herr, der hier ebenfalls im Haus wohnte. Er war dafür bekannt, dass sich durch ihn Gerüchte besonders schnell verbreiteten, weshalb Dyro auch ganz und gar nicht froh war ihn zu sehen. Schließlich war er hauptsächlich an den Gerüchten um ihn und Mesua schuld.
„Was wollen Sie?” fragte der Vedian also etwas unwirsch.
„Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir etwas Mehl leihen könnten, Junge.” meinte der Alte gut gelaunt. Dyro verdrehte genervt die Augen. Als ob er der einzige in diesem Haus wäre, der Mehl hatte! Vermutlich hatte dieser neugierige Mensch mitbekommen, dass jemand bei ihm war und war direkt mal vorbei gekommen.
„Ja, natürlich.” sagte Dyro knapp und ging dann in die Küche, um das Gewünschte zu holen. Als er wiederkam, wunderte er sich eigentlich nicht, dass die Tür nun weiter geöffnet war, so dass der Mann Michaela sehen konnte.
„Hier.” sagte er knapp, drückte dem Menschen das Mehl in die Hand und wollte die Tür zuschieben. Doch dieser lehnte sich dagegen.
„Wie ich sehe, werden Sie wohl erwachsen.” bemerkte der Mann mit einem anzüglichen Zwinkern.
„Ich möchte Sie jedoch darauf hinweisen, dass die meisten Frauen solche Beziehungen für eine Nacht nicht besonders schätzen.” meinte er freundlich.
„Ja, ich weiß!” sagte Dyro lauter, als er eigentlich vorgehabt hatte. Ratschläge dieser Art konnte er jetzt gerade überhaupt nicht brauchen.
„Ach, dann soll es dieses Mal mehr als eine Nacht werden?” fragte der Mann, dem das offensichtlich Spaß machte.
„Was? Hey, jetzt gehen Sie doch endlich und kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten!” sagte Dyro mit erhobener Stimme, während ihm bei der Bedeutung der Worte das Blut ins Gesicht schoss. Na toll! Das ganze Haus glaubte also schon, dass er...
Konnte dieser Mann seine Geschichten nicht einfach für sich behalten?
Zu allem Unglück trat nun auch noch Michaela zu ihm heran, die ja schließlich gehört haben musste, dass er mit jemandem eine Auseinandersetzung führte. Als der Mann sie bemerkte, wandte er sich sofort ihr zu.
„Sie sind doch sicher seine neue Freundin?” fragte der Alte und Michaela machte ein Gesicht als wüsste sie nicht so recht, was sie davon halten sollte.
„Sie sollten jedenfalls wissen, dass Sie nicht die Einzige sind, meine Teure. Aber das letzte Mädchen ist nicht lange geblieben.”
„Würden Sie jetzt vielleicht endlich mal gehen?” rief Dyro, bevor der Mann noch irgendetwas hinzufügen konnte.
„Na klar.” antwortete dieser immer noch freundlich und wandte sich dann mit einem Grinsen ab, offenbar froh wieder neues Material für Gerüchte gefunden zu haben. Dyro schloss inzwischen ziemlich entnervt die Tür. Michaela sah ihn mit großen Augen an.
„Was war denn das?” fragte sie verwirrt.
„Einer meiner Nachbarn. Er liebt es Gerüchte in die Welt zu setzen und kann ziemlich nervtötend sein.” gab er zur Antwort.
Michaela lächelte leicht.
„Ja, das ist mir aufgefallen. Aber was redet er... ich meine, kennt ihr euch gut?”
„Nein, eben nicht.” ließ Dyro sie wissen. „Aber das hält ihn nicht davon ab sich in alles einzumischen.”
„Oh.” machte Michaela.
Dyro lief wieder rot an, als ihm klar wurde, was sie denken musste.
„Er erzählt ziemlich viel Unsinn. Das andere Mädchen war eine Kollegin von mir, die eine Nacht hier übernachtet hat.” beeilte er sich zu sagen und stellte fest, dass das noch nicht einmal gelogen war.
Doch Michaela machte eine abweisende Geste. „Schon gut. Du musst dich ja nicht rechtfertigen.”
Doch das Rot in Dyros Gesicht intensivierte sich nur noch weiter. Natürlich, das klang ja wie eine völlig bescheuerte Ausrede! Jedoch machten weitere Versuche sie zu überzeugen alles womöglich nur noch schlimmer. Also ließ er das Thema fallen.
„Also, warum bist du hier?” fragte Dyro, während es erneut an der Tür klopfte.
Der Vedian stöhnte genervt, aber ging trotzdem zur Tür, um diese zu öffnen.

Vor der Tür stand Frau Knerk, die in der Wohnung gegenüber wohnte. Was war denn heute los? Wie viele seiner Nachbarn wollten denn noch hier antanzen? Dyro versuchte es dennoch mit einem Lächeln.
„Guten Tag.” grüßte er.
Doch die Frau warf ihm nur einen skeptischen Blick zu.
„Ich habe gerade mit dem netten Herrn Kadzu gesprochen.” fing sie das Gespräch an.
Dyro stöhnte gequält. Die neuen Gerüchte machten also bereits die Runde und diese Frau war sehr leichtgläubig.
„Sie sollten sich aber wirklich schämen. Die jungen Mädchen so auszunutzen.” sagte sie tadelnd. Dyro sah sie sprachlos an. Am liebsten hätte er ihr gesagt, dass er jünger als die 'Mädchen' war, ließ es aber bleiben. Hatten denn alle plötzlich beschlossen ihn in den Wahnsinn zu treiben?
„Darf ich wenigstens mit dem Mädchen sprechen?” fragte sie dann.
„Sie ist erwachsen.” rutschte es Dyro heraus, wobei er dennoch die Frau in seine Wohnung eintreten ließ, auch wenn er keine Ahnung hatte, worauf das hinauslaufen sollte.
Sie ignorierte ihn und ging durch zu Michaela ins Wohnzimmer.
„Oh, Kindchen, sind Sie sich denn im Klaren darüber, was sie da tun?” fragte sie als wäre irgendetwas furchtbar Schlimmes im Begriff zu passieren. Michaela jedoch musterte die Frau argwöhnisch. Offenbar war ihr die Frau ebenfalls einen Schritt zu weit gegangen.
„Wer sind Sie denn, wenn ich fragen darf?” versuchte sie einigermaßen freundlich zu bleiben.
„Oh, ich bin nur eine alte Frau, die hier wohnt. Sie brauchen sich vor mir nicht zu fürchten und glauben Sie mir Sie können mir wirklich alles sagen.” entgegnete die Frau breit lächelnd.
„Na schön, könnten Sie dann vielleicht wieder gehen? Ich würde gerne mit Dyro allein sprechen.” antwortete die junge Frau prompt.
Frau Knerk sah überrascht aus. Anscheinend hatte sie nicht damit gerechnet so mehr oder minder direkt zum Gehen aufgefordert zu werden.
„Oh, aber meine Liebe. Ich möchte Ihnen wenigstens noch mitteilen, was mir der nette Herr Kadzu über ihren 'Freund' erzählt hat.” sagte die Alte dann jedoch und fuhr dann im Flüsterton fort. „Es war vor zwei Wochen ein Mädchen hier. Der nette Herr hat sie jedoch nur gesehen, als sie am nächsten Morgen fortging.”
Dyro lehnte im Türrahmen des Wohnzimmers und hatte trotz Flüsterton gehört, was die alte Dame berichtet hatte.
„Schön, würden Sie jetzt bitte gehen?” insistierte er. „Und ich denke Herr Kadzu zieht häufig voreilige Schlüsse.”
„Oh, ach wirklich? Ich habe doch selbst gesehen wie Sie mit einem dieser Mädchen auf dem Flur herumgeknutscht haben.” sagte sie ziemlich aufgebracht. Dyro seufzte schwer und sah zu Boden. Diese Frau musste jetzt endlich gehen! Andernfalls würde er noch durchdrehen.
„Meinetwegen, aber würden Sie mir bitte die Möglichkeit geben meine Angelegenheiten selbst zu regeln?” sagte er schnell und schob sie regelrecht zur Tür hinaus.
„Oh, aber wenn Sie Hilfe brauchen, kommen Sie jederzeit vorbei!” rief sie noch Michaela zu, bevor sie sich endgültig zur Tür hinausschieben ließ.
„Deine Nachbarn scheinen ja sehr nett zu sein.” merkte Michaela ein wenig sarkastisch an.
Dyro rollte nur mit den Augen und nickte.
„Heute werde ich die Tür einfach nicht mehr aufmachen.” sagte er dann.

„Es ist wirklich schön dich zu sehen.” fing Dyro das Gespräch erneut an.
Michaela lächelte nun wieder leicht.
„Ja, ich musste dich einfach wiedersehen.”
Dyro sah zu Boden und stellte dann die eigentliche Frage.
„Wirst du bleiben oder wieder fortgehen?”
Michaela sah ihn lange an, so dass er sich die Antwort denken konnte.
„Ich kann nicht bleiben. Ich gehöre jetzt zum Widerstand und genau dort ist mein Platz. Du kannst jederzeit gerne mit mir kommen, aber ich verstehe auch, wenn du weiterhin hier bleibst.”
Dyro nickte langsam. Das hatte er befürchtet.
„In Ordnung, dann werde ich das wohl akzeptieren müssen. Aber dass du dahin zurück willst, deute ich als positives Zeichen für den Widerstand.”
In Michaelas Zügen lag Erleichterung.
„Ja, mir geht es dort sehr gut und die Leute sind freundlich. Wir sind übrigens in New York, für den Fall, dass du mich einmal suchen solltest. Wo genau wir uns aufhalten, kann ich dir leider nicht sagen.”
Dyro schüttelte verständnisvoll den Kopf.
„Nein, schon gut. Wenn es dir da gut geht, ist es okay. Dann bin ich froh, wenn ihr euch gut versteckt.”
„Oh, ich hab dich so vermisst!” rief Michaela dann aus und schloss Dyro in ihre Arme. Dieser ließ sich das glücklich gefallen. Michaela war nicht fort für immer wie er gedacht hatte und nun wusste er auch, dass es ihr gut ging.
„Wirst du mich nun öfter besuchen?” fragte er dann.
Michaela löste sich von ihm und sah ihn lange an.
„Ich werde es versuchen, aber um hierher zu kommen, brauchte ich erst einmal eine falsche Identität und alles. Naja, und das ist ziemlich viel Aufwand für eine kurze Reise durchs Portal. Aber ich werde nicht erneut 'Leb wohl' sagen.”
Dyro nickte lächelnd. Dass er sie ab und an sehen würde, war mehr, als er vor einer halben Stunde gehabt hatte.
„Was hast du denn all die Zeit gemacht?” fragte er dann.
„Das kann ich doch nicht sagen.” erwiderte sie gespielt empört. „Geheime Aktionen des Widerstands.”
Dyro grinste.
„Du machst doch auch sicher mal was Normales, oder nicht? Immerhin bist du jetzt schon seit neun Monaten da.”
Michaela blickte versonnen zu Boden und seufzte leicht.
„Naja, was man halt so tut...” gab sie zur Antwort. Doch da war es wieder. Das Gefühl, dass sie ihm irgendetwas verschwieg. Jedoch war das wohl kaum der richtige Zeitpunkt darauf einzugehen. Er war froh, dass sie überhaupt gekommen war.
„Du siehst ja, dass ich umgezogen bin.” fing er dann wieder an zu sprechen.
„Ich hoffe nicht alle deine Nachbarn sind so neugierig.” meinte sie mit einem zaghaften Lächeln.
Dyro schüttelte lachend den Kopf.
„Nein, es gibt auch Leute, die hier einfach nur wohnen und sich nicht primär für das Privatleben anderer interessieren. Aber ich denke ich sollte dir vielleicht erzählen, worüber die beiden gesprochen haben.” entgegnete der Vedian.
„Nein, wirklich. Ich bin diejenige, die einfach gegangen ist. Wenn du jetzt eine neue Freundin hast, ist das völlig in Ordnung.”
Doch Dyro schüttelte den Kopf. Jetzt musste er es erst recht erzählen. Allein schon um ihre Vermutungen richtig zu stellen.
„Ich hatte eine Freundin, ja, aber das ist schon seit Monaten vorbei.” ließ er sie wissen. Dass diese ihn verlassen hatte, nachdem sie zu den Freiwilligen gegangen war, behielt er jedoch für sich. Das hatten Christa und Michaela gemein. Sie waren gegangen, um sich ihrer Bestimmung zu fügen. Nur standen sie leider auf entgegengesetzten Seiten.
„Oh.” war Michaelas Reaktion. Offenbar hatte sie doch nicht erwartet ihre Vermutung bestätigt zu sehen.
Dyro sah seufzend zu Boden.
„Es war nicht länger als drei Wochen oder so und wahrscheinlich hab ich mich einfach nur einsam gefühlt.” erklärte er dann. Doch was tat er hier eigentlich? Michaela würde wieder weggehen und er hatte nicht die Absicht mitzukommen. Sicher, er würde sie vielleicht ab und zu sehen, aber wie oft würde sie wohl dieses Risiko eingehen hierher zu kommen? Also was versuchte er hier zu tun? Wollte er sie zurückgewinnen? Ja, aber das stand anscheinend außer Frage. Er versuchte sich darauf zu konzentrieren, dass sie jetzt hier war, auch wenn er sie vermutlich in nächster Zeit nicht mehr besonders oft zu Gesicht bekommen würde.
„Naja, jedenfalls war das diejenige, mit der mich die alte Frau gesehen hat. Der Rest sind irgendwelche Hirngespinste von dem alten Mann, der davor hier war.”
Michaela sah ihn verblüfft an.
„Ich bewundere, dass du so offen zu mir bist. Ich weiß nicht, ob ich dir alles erzählen würde. Naja, jedenfalls gibt es bei mir ja auch nichts zu erzählen. Ich bin schließlich im Widerstand und da wäre schon der freundschaftliche Kontakt zu Menschen außerhalb des Widerstands gefährlich und ich hab auch kaum Zeit.” sagte Michaela ziemlich schnell und wurde dann rot. Dyro lächelte leicht. Ihm war sehr wohl bewusst, dass es auch Menschen innerhalb des Widerstands geben musste, die Michaela kannten. Er glaubte zwar nicht daran, dass Michaela ihn belog, jedoch musste es da irgendetwas geben, was sie ihm verheimlichte. Jedes Mal, wenn sie auf ihr Leben zu sprechen kamen, schien sie ihm auszuweichen. Doch er hatte ja eigentlich kein Recht sie auszufragen. Ihre Privatangelegenheiten gingen ihn ja schließlich nichts an. Trotzdem ließ ihn der Gedanke nicht los, dass es etwas sein musste, worüber er lieber informiert wäre, wenn es so wichtig war, wie es zu sein schien.
„Schon gut, ich glaube dir ja.” sagte er dann immer noch lächelnd.
Michaela nickte erleichtert.

 
* * *
 

Am nächsten Morgen

„Ich bring dich noch zum Portal.” sagte Dyro, der Michaela zusah, wie sie sich zum Aufbruch rüstete. Die Menschenfrau schien einen Moment zu überlegen, entschied sich dann aber doch mit einem kurzen Nicken nicht abzulehnen.
„Na gut. Ist ja nicht so, dass wir uns besonders oft sehen würden.” meinte sie.
Dyro lächelte sie dankbar an, zog sich dann schnell Schuhe und Jacke an und trat hinter Michaela auf den Flur hinaus.
„Eigentlich solltest du ja lieber hier bleiben...” fing Michaela nun doch an ihren Entschluss anzuzweifeln.
„Ach was, wer soll denn wissen, dass du hier bist? Hier wird niemand nach dir Ausschau halten. Bitte, ich habe gesagt, dass ich dich zum Portal bringe, also mache ich das jetzt auch.” erwiderte der Vedian, wobei er versuchte überzeugt, aber auch nicht befehlend zu klingen. Michaela blieb auf dem Treppenabsatz stehen und drehte sich zu ihm herum.
„Danke.” flüsterte sie leise und beugte sich zu ihm vor, um ihn zu küssen. Kurz kam Dyro das falsch vor, denn auch das würde ihre Beziehung nun nicht wieder zurückbringen, doch was tat das aus genau diesem Grund überhaupt zur Sache? Also war er froh nach so langer Zeit ohne sie, hier zu stehen und ihren Kuss erwidern zu können.
Schließlich lösten sich die beiden wieder voneinander und setzten ihren Weg nach draußen fort. Zum nächsten Portal war es nicht besonders weit, also gingen sie zu Fuß.
„Ich weiß, ich habe dich das nie gefragt, weil mir schien, dass du nicht darüber reden wolltest, aber was hatte es eigentlich mit deinem Implantat auf sich?” fragte Michaela schließlich.
Dyro seufzte. Warum wollte sie das nach all der Zeit nun wissen? Hatte das irgendetwas mit der Widerstandsgruppe zu tun, der sie nun angehörte? Etwas an dieser Frage ließ ihn sehr skeptisch werden.
„Du hast doch mal gesagt deine Haare wären sonst rot oder so etwas?” fügte Michaela ihrer Frage noch hinzu.
Der Vedian zuckte zusammen. Dass sie sich daran erinnern konnte, hätte er nicht gedacht. Das hatte er gesagt, als er zum ersten Mal befragt worden war, was ihm aber natürlich niemand geglaubt hatte.
„Wozu willst du das denn jetzt auf einmal wissen?” fragte er skeptisch.
Michaela wandte ihren Blick ab, als suche sie nach einem Argument.
„Du musst es mir natürlich nicht sagen. Es ist nur, dass du nie versucht hast dieses Geheimnis mit mir zu teilen, also gehe ich davon aus, dass es etwas ist, dass persönlich wichtig für dich ist.” antwortete sie etwas unsicher.
Dyro musste zugeben, dass dies ein Argument war, dennoch blieb der Eindruck, dass sie ihm den wahren Grund für ihr plötzliches Interesse daran verschwieg. Er senkte den Blick und schüttelte den Kopf.
„Dann verstehst du vielleicht auch, dass ich es lieber weiterhin für mich behalten würde.” sagte er traurig. In Momenten wie diesem hätte er ihr gerne seine ganze Geschichte erzählt, doch dies war ein denkbar schlechter Augenblick sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen. Michaela würde fortgehen und sich weiterhin mit irgendwelchen Widerständlern umgeben, die er noch nie gesehen hatte. Er wusste nicht was diese über ihn wussten und was Michaela ihnen erzählen würde, wüsste sie die Wahrheit. Ehrlichkeit darüber, wer er war, stand also augenblicklich nicht zur Debatte.
Er sah Michaela an, die ebenso traurig nickte.
„Ich kann dich nicht dazu zwingen.” war ihre Antwort. Dyro nickte. Es war besser so.
Michaela rang sich ein Lächeln ab.
„Ich muss dann jetzt gehen.” sagte sie.
Dyro sah sie an, dann umarmten sie sich beide zum Abschied.
„Vergiss mich nicht wieder.” sagte Dyro mit einem schiefen Lächeln.
„Werd ich sicher nicht.” gab sie ebenfalls lächelnd zurück.
Dann trennten sie sich wieder voneinander und Michaela trat auf das Portal zu. Es war gerade niemand da, der es sonst benutzen wollte, also gab sie schnell die Koordinaten ein und stellte sich zwischen die Streben.
„Auf Wiedersehen.” sagte sie, bevor sie die Interdimension fortriss.
„Wiedersehen.” murmelte Dyro.

Mit einem Seufzen wandte Dyro sich vom Portal ab. Jetzt war Michaela schon wieder fort gegangen und er wusste nicht, wann er sie wieder einmal würde sehen können. Doch er fühlte sich auch erleichtert, dass sie zu ihm zurückgekommen war. Hieß das nicht auch, dass sie ebenfalls noch etwas für ihn empfand? Dass sie nicht einfach nur gegangen war, weil sie ihn nicht mehr hatte ertragen können? Er bemerkte, dass ihn dies zuversichtlich stimmte, auch wenn ihm sein Verstand sagte, dass sie auf diese Weise nie wieder zusammen sein konnten. Doch trübe Gedanken konnte er sich schließlich immer noch machen.
Nein, Michaela war dieses Mal nicht einfach verschwunden und an diesem Gedanken konnte er sich festhalten.
Und er war nicht allein in dieser Welt. Nachdem Michaela weg gewesen war, hatte er sich erstmals wieder so allein gefühlt wie einst nach seiner Ankunft. Nein, eigentlich einsamer. Damals hatte er noch seine Welt vermisst und jemanden, mit dem er reden konnte. Er hatte sehnsüchtig darauf gewartet, dass Mesua endlich kam. Doch als sie vor zwei Wochen nun tatsächlich hier eingetroffen war, war er nicht mehr derselbe gewesen. Anstatt sich bei ihr über ihre gemeinsame Heimatwelt zu erkunden, hatte er sie abweisend und unfreundlich behandelt, um sie so schnell wie möglich wieder los zu werden. Sicher, es war schwer sich mit der einzigen Verbindung zu seinem Ursprung auseinanderzusetzen, doch Mesua war jetzt hier und vermutlich genauso allein wie er.
Dyro seufzte. Er konnte seine Kollegin nicht um sich haben, entschied er, doch mit ihr sprechen musste er.
Er zog sein Global hervor und wählte ihre Nummer. Doch niemand nahm ab. Dyro schüttelte verwirrt den Kopf. Natürlich, es war da drüben vermutlich mitten in der Nacht. Verärgert über sich selbst steckte er das Global wieder weg und machte sich auf den Heimweg.
Gerade als er das Treppenhaus betrat, meldete sich das kleine Gerät jedoch lautstark. Gedankenverloren nahm er das Gespräch an.
Doch tatsächlich Mesua zu sehen, hatte er nicht erwartet. Seine Augen weiteten sich überrascht.
„Äh... tut mir leid, falls ich dich geweckt hab.” sagte er etwas überrumpelt.
Doch Mesua auf dem Bildschirm schüttelte den Kopf.
„Nein, schon gut. Ich nehme an, dann hatte ich Recht, dass das Global einen Anruf von dir angezeigt hat. Was ist denn los?” fragte sie mit aufmerksamem Blick. Offenbar hatte sie ihre letzte Begegnung auch noch im Gedächtnis, die ja nun mal wenig erfreulich gewesen war.
„Naja...” begann er etwas zögerlich. Da er jetzt schon mit seiner Kollegin sprach, sollte er sich wenigstens entschuldigen.
„Ich wollte sagen, dass es mir leid tut. Ich meine, dass ich dich nicht abgeholt hab und die ganze Sache.”
Mesua sah ihn überrascht an. Das hatte sie offenbar nicht erwartet.
„Was... aber? Ich meine, wieso jetzt auf einmal? Was war denn los?” fragte sie und er meinte in ihrer Stimme auch Besorgnis hören zu können.
„Was? Nichts, ich hatte eine schlechte Woche und die Nachbarn spionieren überall rum.”
„Was?” fragte Mesua nun offenbar belustigt. „Die Nachbarn? Bist du verrückt?”
Dyro sah sie entrüstet an. Da wollte er sich bei ihr entschuldigen und sie machte sich über ihn lustig!
„Nein, ich krieg das immer noch vorgehalten, dass du vor zwei Wochen mal eine Nacht hier warst.” entgegnete er.
„Oh.” sagte Mesua und lachte. „Wieso? Gibt das denn Ärger mit jemandem?”
„Das geht dich gar nichts an!” stieß Dyro verärgert hervor. Mesua musterte ihn nun wieder besorgt.
„Schon gut, ich will mich ja nicht einmischen.” sagte sie beschwichtigend. „Aber ich freue mich, dass du angerufen hast.”
Dyro nickte wieder ruhiger.
„Trotzdem bedeutet das jetzt nicht, dass wir Freunde wären oder ich mit dir zusammenarbeiten wollte.” fügte Dyro noch schnell hinzu. Er wollte die Verhältnisse lieber jetzt direkt klarstellen.
Mesua seufzte.
„Ich würde dich ja fragen, was dich bewogen hat, dich von unserer Welt loszusagen, aber das geht mich vermutlich auch nichts an. Also gut, trotzdem danke für den Anruf. Wenn du es dir anders überlegst; du hast ja meine Nummer.”
Dyro nickte.
„Na klar, auf Wiedersehen.”
„Auf Wiedersehen.” antwortete Mesua, bevor sie auflegte.
Dyro atmete tief durch, dann ging er zurück in seine Wohnung, nachdem ihm klargeworden war, dass er das ganze Gespräch im Treppenhaus geführt hatte.

Erschöpft lehnte sich Dyro an die nun geschlossene Tür. Das Gespräch war nicht ganz so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Dennoch schien Mesua ihm sein Verhalten wohl nicht weiter übel zu nehmen. Wenigstens etwas hatte er also wohl erreicht. Doch was war mit den Nachbarn? Wenn Herr Kadzu im Haus gewesen war, hatte der das ganze doch sicher mit gespitzten Ohren belauscht. Der Vedian versuchte das Gespräch Revue passieren zu lassen. Hatte er irgendetwas gesagt, woraus man schließen konnte, dass er ein Außerirdischer war und aus einer parallelen Dimension kam? Nein, hatte er nicht. Die Einzige, die von einer anderen Welt gesprochen hatte, war Mesua gewesen. Hatte man das hören können? Vielleicht wenn man versuchte auf kurze Entfernung zu lauschen, doch nein, in der Nähe war niemand gewesen - da war sich Dyro sicher. Er musste sich also nur Gedanken darüber machen, was er selbst gesagt hatte. Na toll! Hatte er nicht gesagt die Nachbarn würden ihm nachspionieren?
Wie auf Kommando klopfte es plötzlich an der Tür, so dass Dyro vor Schreck beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Der Vedian versuchte sich wieder zu sammeln. Alles, was ihm jemand vorhalten konnte, war nur der übliche Mist. Also hatte er nichts zu befürchten. Er öffnete die Tür und versuchte nicht einmal überrascht zu tun, als er Herrn Kadzu erkannte.
„Oh, der junge Herr Estorn.” begrüßte ihn der Alte. Wen hatte er denn erwartet, wenn er an seiner Wohnungstür klopfte?
„Das Mädchen ist also wieder weg, wie?” fragte er tatsächlich irgendwie betrübt wirkend.
„Sie sollten sich endlich wirklich eine Freundin anschaffen oder ganz die Finger von den jungen Damen lassen.” fügte er noch hinzu. Dyro schnappte nach Luft. Was wollte ihm dieser alte Mensch nun schon wieder erzählen? Woher nahm er sich denn das Recht ihm derartige Ratschläge zu erteilen? Dazu hätte er zumindest erst einmal die Situation kennen müssen und die würde Dyro ihm sicher nicht erzählen!
„Ich habe übrigens Ihr Gespräch gehört.” fuhr Kadzu unbeirrt fort. „Das war das Mädchen von vor zwei Wochen, stimmt's?”
Dyro brummte etwas Unverständliches. Das hatte er ziemlich genau wörtlich gesagt, also half Abstreiten wohl auch nicht weiter.
„Naja, die haben Sie ja abgewiesen. Vielleicht sollten Sie sich das nächste Mal vorher darüber klar werden, bevor... etwas passiert, wenn Sie verstehen, was ich meine.” erklärte der alte Mann.
„Ja, ich verstehe, was Sie meinen.” erwiderte Dyro hitzig. „Jedoch denke ich nicht, dass Sie den richtigen Eindruck von mir und meinem Leben haben!”
Herr Kadzu blieb gelassen.
„Dann sagen Sie mir doch, wer das Mädchen war, dass die letzte Nacht bei Ihnen verbracht hat.” wollte er forsch wissen.
Dyro senkte den Blick. Würde dieser Mensch ihn vielleicht endlich in Ruhe lassen, wenn er diesem seine Frage beantwortete? Es ging ihn nun wirklich überhaupt rein gar nichts an, aber vielleicht war es leichter zu ertragen, wenn wenigstens etwas Wahres daran war, was hier die Runde machte.
„Sie war meine Freundin, bis sie mich vor neun Monaten verlassen hat. Sind Sie jetzt zufrieden?” brachte er schließlich heraus.
Der Mann ihm gegenüber zog überrascht eine Augenbraue nach oben.
„Was? Vor neun Monaten? Und da taucht sie erst gestern wieder auf?” fragte er scheinbar tatsächlich verwirrt.
Dyro sah ihn verständnislos an. Was war denn vor neun Monaten?
Er sah den alten Mann nun völlig perplex an, als dieser ihm offenbar tatsächlich mitfühlend mit der Hand auf die Schulter klopfte, ihm verständnisvoll zunickte und sich dann ohne ein weiteres Wort abwandte.

Immer noch ziemlich abwesend schloss Dyro wieder die Tür. So eine merkwürdige Reaktion hatte er von dem Alten noch nie gesehen. Was hatte er denn gesagt, was dem alten Mann tatsächlich so etwas wie Mitgefühl entlockt hatte?
Er versuchte sich seine eigenen Worte ins Gedächtnis zu rufen und wurde von der Erkenntnis wie von einem Schlag getroffen. Nein, das konnte nicht sein!
Bleich im Gesicht ließ er sich an der Wand zu Boden sinken. Das war doch nur die Vermutung eines alten Mannes, der auch schon ganz andere haarsträubende Dinge aufgrund von mangelhaften Informationen vermutet hatte. Und doch... Wenn man davon ausging, erschien alles auf einmal viel mehr Sinn zu ergeben. Michaela hatte es damals ziemlich eilig gehabt ihn zu verlassen - vor neun Monaten. Und das Gefühl, dass sie ihm etwas verschwieg - die ganze Zeit über hatte er keinen Anhaltspunkt dahingehend gefunden, worum es dabei gehen konnte. Es schien sich um etwas Persönliches gehandelt zu haben und dafür sprach außerdem, dass sie ihm nichts darüber hatte erzählen wollen, was sie außer der Arbeit für den Widerstand tat.
Doch war das überhaupt möglich? Dyro erinnerte sich, dass es auf einer der drei Welten, auf denen Vedians lebten, mehrere Siedlungen gab, in denen Menschen mit Vedians zusammenlebten und die hatten auch Kinder. Natürlich, das hätte er sich auch denken können.
Und was war das mit dem Implantat und seiner Haarfarbe gewesen? Dyro schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Was sollte es sonst für einen Grund geben, weshalb sie danach gefragt hatte? Und sie wusste noch nicht einmal, wer er war! Warum hatte sie bloß nichts gesagt? Dyro rollte mit den Augen. Die eigentlich Frage war doch, warum er nie etwas gesagt hatte. Sie wusste von dem Implantat, also hätte er zumindest versuchen können ihr die Wahrheit zu sagen.
Dyro schüttelte den Kopf und versuchte sich ein Lachen zu verbeißen. Diese Situation war nun wirklich nicht lustig, doch die Erkenntnis, dass sie so dermaßen gekonnt aneinander vorbeigeredet hatten, war einfach unfreiwillig erheiternd.
Oje, das war ja völlig verrückt! Leise lachend erhob sich der Vedian und ging ins Wohnzimmer, wo er sich auf dem Sofa niederließ. Sollte er vielleicht Mesua anrufen, um mit jemandem darüber zu reden?
Um Himmels Willen! Wie war er bloß auf diesen Gedanken gekommen? Nein, er war sich ja noch nicht einmal wirklich sicher und bis dahin würde diese Vermutung nun mal eine Vermutung bleiben. Aber wenn Michaela eines Tages wieder vorbeikam, würden sie wohl einiges zu bereden haben.

 

ENDE

 

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