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  „Die Puppenspieler” von Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Oktober 2003
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Ein unglaublicher Verrat an Bord der Roleta führt zum Tod einiger Crew-Mitglieder, währenddessen Zo'or aus seiner furchtbaren Gefangenschaft zu fliehen versucht. Auf der Erde gehen indessen „Augur” und Haggis kimerischen und taelonischen Spuren nach.
Zeitpunkt:  das Jahr 2334
Charaktere:  Alex J. Chevelleau, genannt „Augur”, Haggis; Zo'or, Ha'gel, der Pentadux als einer der Anführer der Fricks; der Kriminalagent Konrad Stoller, Sy'la mit ihrer Tochter Alexa; die Taelons Da'an, Mur'ru, Ka'sar, Ken'tau und Dar'den; die Jaridians Je'dir, Rj'lev und Palwyr, Korn't und Trestim, ihre Kinder Wanjak und Hakar; die jugendlichen Taelons - namentlich Blo'or , Mi'nou, Zo'nan und Pa'lol; die künstliche Schiffsintelligenz Roleta.
 

 

DIE PUPPENSPIELER

Kapitel 8

 

Teil 1

(Ein paar Tage später, an einem anderen Ort auf der Erde:)
Alex schob Haggis beiseite und öffnete mit dem Abdruck seiner Fingerspitzen die Tür des Privatmuseums.

„Bemerkenswert”, ächzte sie giftig. „Für ein paar rosa Brillen schleppst du mich hierher!”
Sie hob das antiquierte Ding vom Podest hoch und sah prüfend und respektlos hindurch.

„He, Vorsicht!” maulte der Farbige, nahm ihr das Unikat ab, legte es behutsam wieder auf das rote Samtkissen auf dem weißen Podest am Eingang und schaltete das virtuelle Glas, welches die „Kostbarkeit” als Box umhüllte, wieder ein. „Das ist etwas von meinem geschätzten Vorfahr'!” Das Bildnis des „geschätzten Vorfahren” hing direkt auf Öl groß darüber: ein frech drein blickender Farbiger im bunten dünnen altertümlichen Dress, wie es offenbar Mode Anfang des 21. Jahrhunderts gewesen war, glatzköpfig mit einem Zopf am Hinterhaupt, dessen Ende rechts über seiner Schulter lag. Sein Gesicht sah aus, als ob Weiße, Schwarze, Chinesen und Kreolen mit zu seinem Genpool beigesteuert hatten. „Augur”, stand in großen Lettern darunter. „Größter Erfinder des 21. Jahrhunderts.”

Haggis las den Untertitel und fing an, schallend zu lachen. „Größenwahn liegt wohl in eurer Familie! - Größter Erfinder!” Sie hielt sich den Bauch. „Und ein Museum voller Familienartefakte!” Sie prustete erneut wieder los.

Alex ärgerte sich jetzt darüber, Haggis mitgenommen zu haben. „Ja - und was?” meinte er zornig, „Er war im Widerstand, hat ganz wichtige Geräte für die damalige Zeit erfunden und taelonische Technik weiterentwickelt. Hat er dafür nicht ein Denkmal verdient?”

Haggis beruhigte sich etwas und schritt zur nächsten Vitrine mit virtuellem Glas weiter. Darin hing eine schwarze Damenlederjacke, darunter lag ein uraltes „Global”, eine Anstecknadel und eine eiserne Armeeplakette. Seitlich der Jacke hingen Fotografien einer schwarzhaarigen hübschen Frau.„Captain Lili Marquette” stand auf einem Schildchen darin.

In einer anderen Vitrine sah man das Foto eines jungen schlanken großen Mannes in schwarzer Lederjacke, mit nach oben frisierter gegelter brauner Haarpracht mit blonder Tönung, mit Zahnpastalächeln, umringt von ihn anschmachtenden Damen verschiedenen Alters und Körperformen, die sich an ihn zu schmiegen versuchten:
„Liam Kincaid, mit drei Jahren, im Kreise einige seiner wärmsten Freundinnen: Angela, Anneliese...” standen darunter mindestens 16 Namen alphabetisch gelistet. [1] Daneben lag eine alte Waffe.

„Selbstmord aus sexueller Erschöpfung. Zwei bis drei für jeden Tag der Woche. Du meine Güte”, sagte Haggis nur dazu lästernd, das Alter des Feschaks besehend. „Augur, da fehlt eine Null!”

Zwischen den einzeln stehenden Vitrinen hingen alte teure Gemälde oder standen ein paar kostbare Skulpturen. Die erotische Plastik eines nackten Pärchens. Eine modern aussehende weißliche Skulptur, die man als Spielzeug auseinanderschieben und kunstfertig wieder zu einer Art Raumschiff zusammenstecken konnte. Diverse Dias, Hologramme und Berichte des echten „Augurs” Marcus R. Chevolleau, wie er damals gerade hieß - so genau nahm der Mann das mit dem Namen nicht, er hatte 10 gefälschte ID-Cards.

Alex J. „Augur” Chevolleau hatte sich vor ein paar Jahren, nachdem die Roleta mit den Kämpfern gegen die Voks zur Erde zurückgekehrt war, mit Haggis angefreundet, die inzwischen an der hiesigen Universität mehrdimensionale Mathematik und Logik unterrichtete. Im Gegensatz zu den anderen der Crew wollte sie nicht mehr in das Weltall, sondern auf der Erde bleiben und ein „normales Leben” führen. Ihre Erinnerungen an die Zeit vor dem Stasis-Schlaf in der Raumstation konnten nur bruchstückhaft rekonstruiert werden. Aber wenn sie schon kein vergangenes Leben mehr hatte, wollte sie wenigstens ein zukünftiges Leben haben. Gemeinsam teilten Haggis und „Augur” das Interesse an der taelonischen Technik und experimenteller Mathematik.

Aber manchmal hatte er nicht übel Lust, die Frau zu knebeln.

„Phantastisch, was man so alles zusammenstehlen kann”, meinte sie zynisch, als sie einige Bilder betrachtete. „Und manchmal kauft man sich in einem Nightclub auch noch eine Frau.”

„Der alte Augur hat Maja nicht „gekauft”, sondern sie hatte einen schwachen Moment, als sie in seiner Bar „Flat Planet” gearbeitet hat. Pass auf, was du über meine Familie sagst! Maja Isobel war keine Prostituierte, sondern eine Anthropologin! Sie musste dann wegen diesem Sandoval unter falscher Identität nach Lateinamerika zurück, brachte ein Kind zur Welt und irgendwann später hat Augur sie heimlich geheiratet, hauptsächlich damit das Kind sein Erbe antreten könne, falls ihm etwas zustünde. So ist es jedenfalls aufgezeichnet. Damals war es in einigen Staaten noch so, dass uneheliche Kinder nichts galten. Wir sprechen schließlich vom primitiven 21. Jahrhundert!”

„Von mir aus,” meinte Haggis. „Bin ich hierher gekommen, nur damit du mir dein Familienalbum zeigst? Wo sind die Sachen, die du kürzlich erworben hast?”

Augur führte sie über eine Marmortreppe tiefer in den Keller hinunter und durch einen Gang in den Taelon-Sektor des Privatmuseums. Hier hingen große alte Bilder von einigen Taelons. In einer Ecke leuchtete das kleine Hologramm des damals noch intakten Mutterschiffs im Weltraum vor der inzwischen großteils vernichteten Taelon-Stadt auf dem Mond.

„Du hast doch tatsächlich die Orginal-Tagebuchaufzeichnungen von Ronald Sandoval erworben”, wunderte sich Haggis über ihre Entdeckung. „Mann, musst du überflüssiges Geld haben! Die waren sicher sündteuer.” Sie ging weiter und kam vor ein Bildnis Zo'ors zum Stehen. „Und was passierte wirklich mit Zo'or? Hast du die Aufzeichnungen durchgesehen?”

„Die in den unterirdischen alpinen Höhlen gefundenen Sachen, die Sandoval dort versteckt hatte, wurden vor einem Monat im Paket versteigert. Meine Familie fand es richtig, sie für das Museum und die Universität zu ersteigern. Als historische Artefakte. Doch da sind ganz interessante Daten und Konstruktionspläne dabei, die ich dir zeigen möchte. Eine Sammlung von Dingen, die Sandoval während seiner Zeit als rechte Hand des Synodenführers beiseite schaffte. Was Zo'or betrifft - Sandoval hatte Zo'or die Flucht vor den Atavus vom Mutterschiff ermöglicht, Zo'or durch einen Androiden ersetzt und Howlyn getäuscht. Er dachte, er wäre mit Zo'or, die auch die Befehlscodes für das Schiff hatte, einfach besser dran als mit diesem Irren. Ein Glück, dass die Atavus bald verschwanden! Sandoval brachte Zo'or nach Frankreich und versteckte sie bei einem Juwelier. Doch als er nachkam, war sie verschwunden und alle seine Hinterleute waren tot. Sandoval fand nur eine kleine Goldplatte mit Gravur. Da Zo'or nie mehr auftauchte, wird sie wohl ebenfalls ermordet worden sein.”

„Ah, das hier ist zweifellos interessant”, sagte die etwas pummelig gewordene Frau mit den momentan weinroten Haaren. Sie betrachtete einige Konstruktionspläne, um sie dann beiseite zu legen. - „Du hast von einem Code gesprochen, der in den Aufzeichnungen war?”

„Ja, offenbar hat irgendein unbekanntes Geschöpf die Koordinaten zu Wissensspeicher der alten Kimera mehrdimensional-mathematisch verschlüsselt. Sie gelangten in die Hände der Taelons, die mit der Verschlüsselung nichts anfangen konnten. Vielleicht wussten sie nicht mal, was sie da gefunden hatten. Sandoval hat diese Daten trotzdem kopiert. Dank Liam Kincaids kleiner Abhandlung für den alten Augur kennen wir Rudimente der kimerischen Sprache. Der Computer konnte so den Beginn der Botschaft entziffern. Bevor die Kimera ausstarben, scheinen sie 12 Wissensspeicher im Universum verteilt zu haben, davon drei irgendwo in dieser Galaxis. Eines der drei zerstörte sich selbst, nachdem es von Liam Kincaid, Marquette und einem Jaridian besucht worden ist. Bleiben noch zwei. Wäre es nicht ein Ding, wenn die Menschen so einen Speicher knacken könnten? Mit deinem Talent für diese Art Mathematik? Vielleicht fänden wir dort ein Mittel, um die kranken Süchtigen zu heilen?”

„Blabla”, spottete Haggis. „Du bist doch vor allem auf Nervenkitzel und Gewinn aus, tritt nicht als Mutter Teresa auf. Und die Sache mit der mehrdimensionalen Verschlüsselung und einem lebenswichtigen Code hatten wir schon, lies doch in den Memoiren von Juliette B. Street nach.”

„J.B. ist seit langem tot und wegen der Verschlüsselung kann ich nichts. Hilfst du mir oder nicht?”

„'Professorin Haggis X, größte Entdeckerin des 24. Jahrhunderts'”, spann Haggis vor sich hin, „das in allen Medien, wenn wir tatsächlich den Speicher finden - das hat was, finde ich. Klaro helfe ich dir, ist ja ein lustiges Puzzle. Aber wie sollten wir je zum Speicher fliegen? Die irdischen Schiffe kann man vergessen. - Oh, nein!”

„Oh doch”, grinste Augur. „Ich wollte schon immer die Roleta und die Taelons näher kennenlernen. Das Schiff kennt dich. Diesen Trip wird uns sicher niemand abschlagen - besonders, wenn soviel auf dem Spiel steht.”

 
* * *
 

(In der Vergangenheit, auf dem Salzplaneten:)
„Du darfst nicht sterben! Du kannst mich hier nicht total alleine zurücklassen!”

Zo'or war völlig verzweifelt. William Boone lag da am Boden, den Kopf auf ihren Knien gelehnt, ausgezerrt, verbraucht, alt. Sein runzeliges Gesicht mit den Bartstoppeln sah bleich und krank aus. Die zahlreichen Joinings mit Zo'or hatte die Alterung nur verzögert, aber der Tod war nun einmal jedem Menschen bestimmt. Auch Zo'or würde nicht ewig leben, doch langlebiger als Menschen war sie selbst als Atavus noch.

Viermal hatten sie versucht, auszubrechen. Ja, aus dem Gefängnis waren sie rausgekommen, doch den Planeten hatten sie nicht vermocht, zu verlassen. Verdammtes Gefängnis! Eins nach dem anderen waren im Laufe der Jahre die gefangenen Menschen gestorben, an Krankheit, Auszerrung, an Kälte, an den Menschenversuchen. Die Fricks, diese großen Wesen mit braunen Zottelfell, hatten nur ihre Maul-Hauer vor Vergnügen gewetzt und Wetten abgeschlossen, wer am längsten durchhält. Ihre großen gelben Raubtieraugen zeigten niemals Mitleid. Mitleid war in ihrer Kriegerkultur Schwäche. Und außer um zu verhören sprachen sie niemals mit den Gefangenen. Sie klappten einfach ihre Ohren zu, wenn man sie ansprach.

Interessanterweise hatten sie Boone am Leben gelassen, wohl weil sie dachten, dass Zo'or ohne Boone den Verstand verlieren würde. Sie hatten Zo'or nicht zurückverwandelt, was entweder bedeutete, dass es nirgendwo einen geistig erreichbaren Taelon für ein zu bildendes Gemeinwesen gab, nicht einmal einen Outlaw, oder weil sie sich dachten, dass ein Prä-Taelon leichter zu quälen war als ein Taelon. Und man brauchte sie offenbar noch. Manchmal trieben sie eigens für Zo'or ein größeres Tier in die Höhlen, damit sie es nach Art eines prä-taelonischen Vampirs selbst jagen und sich an seiner Lebensenergie ernähren konnte. Es war einfach demütigend, so leben zu müssen. Seit ein paar Jahren waren sie alleine, der alte Mann und die unfruchtbare Prä-Taelon, ehemals Synodenführer. Dem Schicksal gebührte Dank für die Unfruchtbarkeit! Zo'or hätte womöglich mitansehen müssen, wie sie auch noch ein Kind malträtiert hätten. Klonen hatten sie nur anfangs bei einigen Menschen versucht, dann aber damit aufgehört.

„Bitte William, vielleicht wenn wir uns wieder vereinigen - ich könnte dir weitere Energie abgeben...” Zo'or rannen die Tränen über das Gesicht. Sie wischte sich über die Augen und strich sich den zerzausten Haarschopf zurück.

Der alte Mann lächelte mit seinem fast zahnlosen Mund. „Nein, Zo'or, diesmal nicht.” Boone atmete nur noch mühsam. Er fasste nach Zo'ors Hand und drückte sie fest. „Ich weiß, du hast Angst. Du warst niemals alleine. Im Kollektiv hattest du alle Stimmen der Taelons im Kopf, die dein Leben teilten, und hast sie verloren. Und jetzt hast du nicht einmal menschliche Leidensgefährten mehr. Und doch weiß ich, dass du im Inneren eine große Stärke besitzt. - Nein, nicht weinen! Hör zu. Die brauchen dich, sie warten auf etwas. Ich könnte wetten, dass es noch irgendwo da draußen Taelons gibt, und sie werden kommen. Taelons oder Menschen. Du musst durchhalten.”

Zo'or schluchzte auf. „Das kann ich nicht” sagte sie todtraurig. „Ich kann nicht ohne dich leben, kann nicht alleine leben. Verlass mich bitte, bitte nicht!” Sie beugte sich vornüber, berührte seine Gesicht mit ihrer Wange, auf die ihre Tränen rannen, und richtete sich dann gequält wieder auf. „Ach, wäre ich doch tot, wie all die anderen!”

„Erinnerst du dich, wie du damals als Taelon warst? Du wusstest immer, was du wolltest und hast es durchgesetzt. Du warst stark -, zwar nicht immer im Recht, aber unglaublich stark. Selbstsicher. Mutig. Tausend Jahre, - oder mehr? - warst du so. Du wirst doch jetzt nicht so einfach aufgeben, nach diesen paar Jahren hier?” versuchte Boone sie aufzumuntern.

„Ich war unglaublich arrogant und dumm. Ich habe alles falsch gemacht”, sagte sie kläglich. „Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und es besser machen. Ich wünschte, ich hätte dich damals besser behandelt. Ich wünschte, ich hätte mich eher vom Gemeinwesen befreien können. Und ich wünschte, wieder rein zu sein und kein Leben ausgelöscht zu haben. Mein Elter hat mich zu recht verdammt.”

„Wir alle wünschen uns, im Leben eine zweite Chance zu bekommen und Vergebung zu erhalten. Du hast es nicht besser gewusst. Es ist gut... versprich mir, nicht aufzugeben... .” Der alte Mann hustete und bekam keine Luft. Es war das Herz, der Schmerz stach in seiner Brust, als ob etwas entzwei risse, flutete über seinen linken Arm, die Außenwelt wich zurück, Schritt für Schritt schwanden seine Sinne, er bemerkte noch, dass Zo'or irgendwie zu helfen versuchte, und flüsterte: „Zo'or, ich liebe...” Dann war es vorbei, der Satz, unvollendet, klang flüsternd nach.

„dich...,” vollendete Zo'or den Satz. „Ja, ja, ja!” Sie umarmte den Leichnam verzweifelt, als könnte sie den Tod aufhalten, die Seele irgendwie zurückholen, und legte ihn dann auf den Boden. Sie kniete noch lange über ihn, den Kopf auf seine erkaltende Brust gelegt, bis die Fricks kamen, um den Leichnam abzuholen.

 
* * *
 

Sie hatten sie in Koma-Schlaf versetzt, irgendwann, bevor sie ebenfalls zu altern und sterben begann, bevor sie den Verstand verlor. Die mehrmaligen Versuche der Fricks zu Zo'ors Rückverwandlung hatten nicht geklappt. Und jetzt war sie erwacht. Als Taelon? Als unglaublich geschwächter Taelon? Sie setzte sich verwirrt auf. Ein Frick stand über ihr, doch irgend etwas stimmte nicht. Er leuchtete weißlich. Dann sah sie den Kimera deutlicher, der als Geist Besitz vom Frick genommen hatte. Er trat einfach aus diesem hervor.

„Still, Taelon!” hauchte der Kimera. „Es hat etwas gedauert, bis wir entdeckt hatten, was geschehen ist. Schließlich hat dich niemand ernsthaft vermisst, nach allem, was du angestellt hattest. Immerhin, ich muss zugeben, die Gedächtnisblockade hat gehalten und du hast deine Aufgabe so gut erfüllt, wie du konntest. Leicht wahnsinnig, aber doch. Die Voks ist beendet, die Tzeks besiegt, die Menschheit lebt noch. Das mindeste, was ich dafür tun kann, ist, dir wieder deinen Taelon-Zustand zurückzugeben. Ein Schiff ist hierher unterwegs, vermutlich wird es dich befreien können.”

„Ha'gel!” fluchte Zo'or. „Kannst du nicht einfach tot sein und es bleiben? Verschwinde endlich in die große Leere! Du verfolgst mich wie ein böser Geist! Du und deinesgleichen, die ihr euch so mächtig und überlegen fühlt, macht mit den Völkern, was ihr wollt. Sind wir alle nur eure Puppen, mit denen ihr spielen könnt?”

„Da redet mir die Richtige in Fragen der Ethik. Wir sorgen uns eben um unsere Nachkommen aus den fremden Habitaten. Glaubst du ernsthaft, nur weil ihr die Kimera auf dieser Existenz-Ebene ausrotten konntet, dass wir nicht mehr existieren? Was soll ich sagen - ihr tatet uns einen Gefallen. Wir konnten uns weiterentwickeln. Es gibt im Universum viele Existenzebenen. Nehmen wir nur das neu entstandene Taelon-Jaridian-Kimera-Mensch-Kollektiv. Das entstanden ist, kurz nachdem du aus Gier nach dem Energiepool gegriffen hast und eingefroren wurdest in Zeit und Raum, um dann als Atavus zu erwachen. Du erinnerst dich? Natürlich tust du das. Eigentlich eine Ironie, du konntest Primitivität nicht ausstehen, und retardierst dann selbst. Nicht mitanzusehen. Nun, jetzt bist du wiederum ein fruchtbarer Taelon. - Ja, es gibt noch ein paar!”

„Shabra! Verflucht!” schimpfte Zo'or. Sie versuchte, nach dem Geist zu schlagen, doch griff sie ins Leere. „Wollte ich das überhaupt? Ich will meine Individualität und meine Gefühle behalten!”

„Keine Sorge, Zo'or”, hauchte es verwehend, „diesmal wird alles anders...” Und dann war Ha'gel verschwunden, und der erwachte Frick stand plötzlich an besagter Stelle da, sie blöde anstarrend.

 
* * *
 

Da'an fuhr vom Lager hoch. Irgend etwas war nicht in Ordnung. Da waren nicht nur die Impulse von Zo'or, derentwegen er in der Zentrale vor Entsetzen und Schreck zusammengefallen war. Offenbar hatte der Medicus ihn daraufhin in sein Quartier gebracht.

Irgend etwas an Bord war nicht so, wie es sein sollte.

‚Mur'ru? Ka'sar?’ rief er geistig. ‚Ken'tau? Dar'den?’

‚Du hast dich vom Schreck erholt? Mach dir keine Sorgen, wir werden dein Kind befreien. Wir überlegen uns bereits etwas’, versuchte Mur'ru zu beruhigen. ‚Die Jaridian-Sonden sind bereits auf der Oberfläche.’

‚Dar'den?’ rief Da'an nochmals. ‚Mi'nou? Mein Kind?’

Da'an erhielt keine Antwort. Er lauschte in sich. Da waren die dünnen Impulse von den Taelon-Kindern. Und die speziellen von Sy'la. - Nein, von sechs Taelon-Kindern. Mur'ru, Ka'sar und Ken'tau begannen nun ebenfalls geistig zu rufen. Wieso schirmten sich die restlichen vier Taelons auf diese Weise ab?

„Roleta”, rief er die Bordintelligenz. Er stand dabei auf und machte sich auf den Weg zurück zur Zentrale. „Wo befinden sich Dar'den, Min'ou, Pa'lol und Zo'nan?”

„Dar'den wollte den drei Teenagern den Gebrauch der Beiboote demonstrieren. Er hatte ihnen in den letzten Wochen vieles über Astrophysik und Astronautik beigebracht, und ihre Aufgaben hatten die Kinder auch hervorragend im Griff, da war eine Belohnung angesagt.”

„Du hast sie mit dem Beiboot ausfliegen lassen?” fragte Da'an entsetzt. „Hier? In dieser feindlichen Umgebung?”

„Nun reg’ dich nicht so auf”, beschwichtigte Roleta, die nun geruhte, selbst im Gang zu erscheinen. „Das Beiboot umkreist mit (500 Meter) Abstand, noch innerhalb unseres Tarnfeldes, meinen Körper. Bei der geringsten Gefahr wäre das Beiboot sofort wieder in der Tonne. Ich weiß, wie ängstlich ihr Taelons seid. Es schadet nicht, beizeiten Courage zu lernen. Ich weiß, dass alle vier noch an Bord sind. Die Kinder versuchen gerade, das Fliegen zu erlernen.”

„Ich möchte sofort mit Dar'den sprechen”, verlangte Da'an, gerade in der Zentrale angekommen. Rj'lev und seine erneut schwangere Frau Palwyr waren dort, Sy'la, Andre und Jean-Marie.

„Ich versuche bereits die ganze Zeit zu erklären, dass ich den Eindruck habe, dass ein Verräter an Bord ist”, beschwerte sich Marclay bei Da'an. „Ich habe so ein Gefühl. Aber die da wollen nicht zuhören!”

„Du nervst!” sagte Andersen. „Wir haben alle Leute an Bord überprüft, wieder und wieder. Keiner unter der menschlichen Crew ist ein Verräter. Keiner der Polizisten. Und einen von uns wirst du wohl nicht verdächtigen, du kennst uns seit Jahren, seit der Sache mit der Voks. Wenn wir uns nicht mehr vertrauen, wer sollte es dann!”

„Ich hoffe, du meinst nicht uns!” grollte der Jaridian mit seiner tiefen Stimme. „Sollen diese Verdächtigungen immer so weitergehen?”

„Du sagst das, seit wir Wawa verlassen haben!” bestätigte Sy'la, die lässig auf der pinkfarbigen Couch saß, die Beine hochgelagert, eine „Bibliothek” in der linken Hand. Die Bibliothek war nicht viel größer als eine Schreibtafel. doch konnte Sy'la auf Knopfdruck ein paar Millionen Bücher an Belletristik, Fachliteratur bis hin zu Journalen abrufen und lesen. Oder bei Bedarf einen Film ablaufen lassen. Oder Musik. Da im Grunde Roleta alle Arbeit verrichtete, beschränkte sich die „Arbeit” in der Zentrale ohnehin nur auf Kontrolle, eventuelle Entscheidungen treffen und Informationsaustausch. Sy'la sah etwas müde aus, aber das war kein Wunder, sie hatte absolut schlecht geschlafen, nachdem sie gehört hatte, dass Zo'or noch am Leben war. Der ehemalige Synodenanführer verursachte ihr Alpträume. Als das letzte Mal einschlief, war es ihr, als müsste sie ersticken oder ertrinken.

„Ich kann keine Verbindung mit Dar'den und den Kindern aufnehmen, obwohl die Anzeigen sagen, dass sie noch im Beiboot sind”, gab die silberfarbene Roleta bekannt, machte weich fließende Gestikulationen - die Taelons nachahmend - und zog ein beunruhigtes Gesicht. „Und ich kann mich nicht hinüberprojezieren. Sie haben die Automatik abgeschaltet. Dar'den hatte gemeint, sonst können sie keine Fehler beim Fliegen machen und aus ihnen lernen.”

„Dann zieh das Beiboot mit einem Fesselfeld heran!” befahl Da'an. „Das Boot soll zurück an Bord, sofort!”

„Ich glaube wirklich, ihr solltet meine Ahnungen nicht so abtun”, beschwerte sich Marclay. „Sie werden immer drängender. Irgend jemand wird sterben!”

Inzwischen waren auch die älteren Taelons in die Zentrale gekommen und Je'dir. Wortlos setzte er sich zu Sy'la, die die Beine zurück auf den Boden stellte, die Tafel weglegte und sich an Je'dir anlehnte. Der Jaridian legte seinen Arm um seine Frau und drückte sie kurz etwas an sich.

„Was genau hast du gesehen?” fragte Da'an den Hellseher. „Deine Worte sind viel zu vage!”
Marclay schüttelte den Kopf. Da'an hob daraufhin seine rechte Hand hoch und forderte den Schweizer damit auf, es ihm nachzutun. Die beiden Hände berührten sich, und Da'an sah „Bilder”, Schemen. Der Planet. Die drei Kinder. Blo'or. Dar'den. Eine Flutwelle. Zo'or? Blaue Kristalle und die drei Kinder. Und dann....”

„Wir müssen sofort mit Blo'or sprechen”, verlangte Da'an. Und mit einem scharfen geistigen Befehl orderte er den jungen Taelon zu sich in die Zentrale, obwohl Roleta ihn sicher in diesem Moment per Kommunikator herbefohlen hatte.

 
* * *
 

Das grünliche leichte Feld, das die Frickkörper normalerweise vor körperlichen Angriffen der Gefangenen schützend umgab, war bei diesem Exemplar offenbar deaktiviert. Zo'or, obwohl noch ganz benommen von der Stasis, nahm alle Kraft zusammen, sprang auf und rammte dem Frick die Faust in die Stelle, bei der bei Menschen der Magen saß, so wie sie es bei William gesehen hatte. Bei den Fricks war da die empfindliche Atemöffnung unter dem Pelz verborgen. Der desorientierte Frick krümmte sich vor Schmerz, während Zo'or sich ihre Hände besah: da leuchteten zwei bläuliche Shakaravahs mitten auf den Handflächen, doch die Energieklauen konnte sie nicht mehr richtig ausfahren, wie bisher gewohnt. Auch gut. Sie fasste nach den Kopf des Wesens, legte blitzschnell die Hände an dessen Ohren und schickte einen Energiestoß durch. Das Wesen stürzte tot oder zumindest schwer verletzt vornüber. Eilig riss Zo'or ihm den Impulsgeber aus dem Gürtel, nahm sich noch ein paar Mini-Bomben dazu, die sie in die Tasche ihres Fetzengewandes stopfte, holte sich die Waffe und rannte barfüssig los. Oder was man dazu sagen mochte, sie war noch ziemlich erschöpft.

Erstes Portal - na wunderbar! Der Schirm war deaktiviert. Danke, Ha'gel. Sie hastete weiter, um dann erschöpft inne zu halten und sich an die Wand zu lehnen. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Haare, an die sie sich gewöhnt hatte, abgefallen waren. - Und da, in dem kleinen Moment der Erholung, da spürte sie sie. Sie waren tatsächlich da! Taelons! Irgendwo da draußen! Sie schrie geistig auf und schickte einen qualvollen Impuls, voller unglücklicher Bilder, voll mit erfahrenem Leid und Verzweiflung, zu ihnen. Einen Augenblick danach spürte sie die erschrockene Signatur Da'ans. Ihr Elter lebte noch?

Sie hatte keine Zeit, um zu antworten, sondern rannte wieder los. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die Soldaten vermissen würden. Und dann würde sie aus dem Bergwerk nicht mehr heraus können. Zweites Portal - sie schoss, noch während sie um die Ecke bog. Sie hatten sie nicht gehört - man hört halbmaterielle Taelons nicht. Zo'or kümmerte sich nicht um die zwei Toten, sondern versuchte mit dem Impulsgeber das geschlossene Tor zu öffnen. Es klappte. Sie rannte weiter, bis sie zu der Stelle kam, die sie beim vierten Ausbruchsversuch entdeckt hatten. Ein alter enger Bauschacht, steil nach oben führend, irgendwie verschlossen, aber nicht genügend. Zo'or verzichtete darauf, das dritte Portal zu stürmen und dann in den Hof zu laufen, wie beim letzten Mal mit Boone, wo eine kleine schwerbewachte Burg jeden Fluchtversuch aus der Mine vereiteln würde. Sie riss hastig die provisorische Verkleidung weg und kletterte in den Schacht, der entstanden war, als die Fricks den ganzen Wasserfall mit den Strafgefangenen gebaut hatten. Sie versuchte, das Loch irgendwie hastig zu verschließen und begann, im Schacht hochzuklettern. Wieviel Zeit war inzwischen vergangen? (20 Minuten)? Wie lange durfte ein Frick einen wertvollen Gefangenen in Stasis untersuchen ohne das es auffiel? Wann fielen die Toten beim zweiten Portal auf?

Ihre schäbige Kleidung behinderte sie bei der Kletterei. Sie war auch viel zu erschöpft, um mit den Taelons Kontakt zu halten, sondern konnte nur hoffen, dass sie Mittel und Wege fanden, sie durch ein Hilfsvolk zu befreien, obwohl sie sich nicht einmal vorstellen konnte, woher sie kamen und wie Da'an an Bord gekommen war. Und ob sie sie überhaupt noch haben wollten. Sie konnte das Rasseln hören, das Pendant zur menschlichen Alarmsirene, und wusste dadurch, dass ihre Flucht entdeckt worden war. Sie stemmte sich hoch und hastete weiter nach oben. Da war eine Stelle mit kleinen blauen Kristallen. Gierig hielt sie inne und entzog ihnen die Energie, soviel diese nicht angereicherten Dinger eben hergaben. Soviel Zeit musste sein. Überrascht musste sie feststellen, wie schwer ihr das fiel.

Sie schloss kurz die Augen, atmete tief durch, packte schnell ein paar Kristalle als „Proviant” in die andere Hosentasche und kletterte weiter. Unter ihr rumorte es bereits. Der Fels fühlte sich inzwischen kalt und kühl an, man hörte das Getöse aufsteigen, spürte bereits die zitternde Wucht der Naturgewalt. Zo'or fluchte, schwang sich nach oben, zwängte sich durch die enge Öffnung und stand im Freien. Auf einem (25 Zentimeter) breiten Sockel, auf der wohl irgendeine Verankerung ehemals angebracht worden war, und die ein paar (Meter) weg von der Öffnung offenbar hin zur Klippe führte, unter der der geschaffene Wasserfall mit gewaltigem Donner in die Tiefe stürzte.

Zo'or stöhnte verzweifelt auf, dann schob sie sich, mit dem Rücken an die Felswand gepresst, die (paar Meter weiter) hin zu zur Klippe, umrundete eine Biegung, in der Hoffnung, einen Weg zu finden, zu entkommen. Und dann.... Das konnte doch nicht sein, dass schon wieder alles umsonst gewesen war...!

Und dann stand sie da und sah hinab, es ging senkrecht etwa (30 Meter) hinab zum Wasserfall. Und der mächtige Wasserfall, der künstlich von den Fricks aus den Boden gepresst und angelegt worden war, um das feuchte nebelige Klima weit unten im Tal zu erzeugen, ein Klima, das sie so liebten, stürzte sich seinerseits vom Gebirge senkrecht (400 Meter) hinab. Das Wasser spritzte bis herauf. Und Zo'or stand auf dem kleinen Sockel, sah hinab, schloss dann die Augen und weinte verzweifelt auf. Der Weg war zu Ende.

Sie konnte sich entweder festsetzen und sich als Strafe wieder schwer foltern lassen, um dann, gebrochen, die Taelons in eine Falle zu locken, oder aber sich in die Tiefe stürzen. Eine Tiefe, die kein Lebewesen mit einem sterblichen Körper überleben konnte. Nein, sie würde nicht wieder in das Bergwerk gehen! Und wer weiß ... Sie dachte an ihre vergangene Heimatwelt mit den vielen bläulichen Inseln und Meeren, mit den rosafarbigen Nebeln, die Heimat mit den drei schönen Monden. Eintauchen in das Wasser, nach Hause gehen.... Gemeinsam mit William. Mit den Erinnerungen.

Zo'or schloss die Augen und konzentrierte sich, um sich in die Energiegestalt zu verwandeln. Warum dauerte es nur solange? Bestimmt war die ihrer Rasse eigene Mimikry-Fähigkeit schuld daran, die sie im Laufe der Gefangenschaft und den Joinings mit William menschlicher gemacht hatten. Da hinten hörte sie bereits trotz des Donners die klirrenden Laute der Fricks an der Öffnung, hinter der Felsbiegung.. Verteidigen? Keine Chance. Aber sie war jetzt soweit. Sie würde springen, eintauchen .... in die Tiefe gezogen werden ... wo das zermalmende Wasser wartete... und vielleicht nach Hause gelangen, nach so langer Zeit der Wanderschaft. Und dann ließ sich sich vornüber fallen.

 

[1] Wegen angeblicher Schüchternheit der Beteiligten an der Party von Berlin 2003 mit Robert Leeshock fielen die Namen leider unter die Zensur!

 

 

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