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  „Die Puppenspieler” von Sy'la und Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Oktober 2003
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorinnen.
 
Thema:  Die Anreise zum von Fremden okkupierten Salzplaneten ist gleichzeitig eine Reise in die frühe taelonische und jaridianische Geschichte. Angekommen, muss die Crew feststellen, dass eine alte Bekannte von den Fremden unter schrecklichen Bedingungen gefangengehalten wird.
Zeitpunkt:  das Jahr 2334
Charaktere:  Cornelia Katz, Peter J. Combe, Andre M. Andersen; Sy'la mit ihrer Tochter Alexa, Ariel, die Taelons Da'an, Ko'lan, Mur'ru, Ka'sar, Ken'tau und Dar'den; die Historiker Wu'lai und Fo'sor und alte Taelon-Berichte; die Jaridians Je'dir, Rj'lev und Palwyr, Korn't und Trestim; die jugendlichen Taelons; die künstliche Schiffsintelligenz Roleta; die Dunkelmächte und eine gute alte Bekannte in incognito.
 

 

DIE PUPPENSPIELER

Kapitel 6

 

Teil 2

(Gegenwart, auf dem Zefirschiff:)
Roleta hatte „zur Anhebung der guten Laune und Zusammenarbeit” einen Maskenball mit Tanzwettbewerb, Spielen und eigens für die Jaridians auch einem sportlichen Wettkampf anberaumt. Eigentlich „befohlen”. Es konnte sich keiner drücken: Das künstliche Bordgehirn verschob einfach ein paar Wände und schuf auf einem Deck einen großen Pool, ein Volleyballfeld mit Sand und eine künstliche Strandszenerie mit Getränke- und Nahrungsständen. Einige als Musiker verkleidete Roboter spielten karibische Musik; im nächsten Saal kam man in die Welt eines fiktiven Opernballs und danach zog in einem Saal eine Mischung aus Carneval von Rio und New Orleans vorbei. Die Jaridians oder auch Menschen, die sich gerne messen mochten, konnten sich in verschiedenen Mehrkampfszenerien austoben, mit Kletterwand, Wildwasserpaddeln, Bullenreiten und Mutproben. Die Taelons mussten genauso wie die anderen ein Kostüm bei ihrem Butler-Robot bestellen und anziehen und sich danach bei speziellen Spielen die Zeit vertreiben.

Mur'ru und Ka'sar erschienen tapfer als die Karten Pik Ass und Karo-Bube. Ihr rechteckiges steifes Gewand mit der grünen Rückseite sah seltsam aus, wie es so mit ihnen am künstlichen Strand stand. Das Pärchen probierte diverse alkoholische Drinks der Menschen durch.

Sy'la begleitete Je'dir (im Cowboy-Kostüm) in einem Nixen-Kostüm zum Bullenreiten und musste ständig auf Alexis (als Fee) aufpassen. Sie tat sich dabei schwer, denn das Kostüm war so eng, dass sie kaum hinterherlaufen konnte. Die anderen Jaridians waren schon da und bald ging das typische Wett-Spiel-Kämpfen zwischen ihnen los mit allerlei rituellen Sätzen und Beschwichtigungsgesten dazwischen, die nur ein Insider verstand. Zwei mutige große starke Menschenmänner wagten es, wenigstens mitzumachen und hielten sich ganz gut - mit ihren letzten Plätzen. Sy'la setzte sich irgendwann zum Strand hin ab und sah Ariel (als Hawaiianerin) zu, wie sie den Limbo versuchte, solange, bis sie auf ihr Gesäß fiel. Ko'lan als römischer Kaiser mit Toga und goldenem Lorbeerkranz half ihr mitfühlend wieder auf. Einige Leutchen freuten sich einstweilen in freizügigen Kostümen am Pool und beim Volleyball.

Sy'la sah sich suchend um. Wo steckte eigentlich Da'an? Vorbei an einigen Hexen, Zauberern und einem Pinguin schlenderte sie in den Ballsaal. Aha, dahinten stand der Taelon im grauem Mönchsgewand, begleitet von zwei Nonnen - ebenfalls Taelons. Nicht gerade mutig! Robots liefen auch hier umher, verkleidet als Eis-, Zuckerwatte- und Hot-Dog-Verkäufer, die auch in Schokolade getauchte Maden - eine Spezialität - an den Mann oder die Frau zu bringen versuchten, wie sie in Paris angeboten wurden. Die jüngeren Taelons und einige Menschen waren fleißig am Tanzen - Ringtänze mit modischem Gesäßwackeln , Aufstampfen und rhythmischen Händeklatschen zwischendurch. Zum allgemeinem Gaudium wurde auch ein uralter Tango und ein mehr als verstaubter Walzer zwischendurch gespielt.

Als Einlage ließ Roleta eine Schar schwirrende kleine bunte Vögel auftauchen, die laut trällerten und eine Weile alle Anwesenden an ihren Kleidern zupften und an den Haaren zogen, um sie zu necken. Dann gab es einen Gravitationswettbewerb - 2 Minuten unerwartete Schwerelosigkeit und dabei auf den Beinen und am Platz mit allen Getränken und Brötchen bleiben... Die Schwimmer fielen unter allgemeinem Gelächter anschießend mit einem lauten Platschen in den Pool zurück. Der Wettbewerb um das schönste Kostüm wurde von Cornelia Katz ( als Peter Pan) und ihrem Partner Andre Markus Andersen (als Pirat) gewonnen. Mit einigen weiteren Tricks wurde die Stimmung weiter angeheizt, und als das Fest schließlich zu Ende ging, waren die meisten stark angeheitert, aber auch erheitert, lustig und quietschvergnügt. Sie hatten Glück - sie mussten hinterher nicht aufräumen, dass machten die Reinigungsroboter.

Alle? Nun einer war zwischendurch bei Roleta auf der Brücke. Während die anderen feierten und die künstliche Intelligenz sie nicht stören und beunruhigen wollte, hatte das große Walzenschiff alle Tarnvorrichtungen hochgeschaltet und war in die Korona einer Sonne geflüchtet. Dann bat sie Da'an auf die Brücke.

„Siehst du, diese Ortungen? Ich habe so etwas noch nie gesehen”, sagte Roleta. „Und plötzlich habe ich wieder einige Daten mehr in meinem Gedächtnisspeicher - irgend jemand hat mir wieder etwas eingeflösst, jemand von den Alten Völkern, wette ich. Demnach besteht höchste Gefahr beim Auftauchen solcher Schiffe. Wir dürfen uns keinesfalls von diesen Schiffen erwischen lassen, denn sie sind uns weit überlegen.”

„Keine festen Konturen - alles scheint in einem flackernden undefinierbaren Schatten zu verschwimmen,” sagte Da'an nachdenklich. „Etwa 200 Meter groß, wie ein Beiboot. Und diese Schiffe - oder was immer es sind - sind so derartig gefährlich?”

„Schatten - eher ein Nicht-Licht, ein Fehlen von jeglicher Ausstrahlung, Da'an”, erläuterte Roleta. „Als wären das Mini-Black-Holes, ohne dass sie es wären. Total fremdartig. Dunkelmaterie.”

Die drei aufgetauchten Dunkelschiffe waren plötzlich verschwunden - wie, konnte nicht festgestellt werden.

„Sehr merkwürdig. Auch ich habe diese Schiffe noch nie gesehen”, betonte Da'an. „Ob sie etwas mit unserer Mission zu tun haben?”

„Nein, das heißt nicht direkt; ich wollte nur nichts sagen, aber schon jetzt nehme ich viele andere seltsame fremde Schiffe in der Gegend um den Salzplaneten wahr. Weniger gefährlich. Die dazugehörige Spezies ist mir nicht bekannt.”

„Gut, warten wir bis morgen und rufen dann eine allgemeine Besprechung ein”, empfahl Da'an, und begab sich wieder zurück zum Fest.

 
* * *
 

„Ich betone nochmals, diese Dunkelschiffe sind eine sehr große Gefahr für uns”, erläuterte Roleta den etwas verschlafenen und zerknautschten Anwesenden in der großen Zentrale mit den vielen bequemen bunten Sofas und Tischchen. Ein Holofilm spielte nochmals die Aufnahmen von den gespenstischen Schiffen ein. „Da diese Fremden hier in derselben galaktischen Region wie wir zu tun haben. Das Zefirschiff darf sich somit nicht direkt dem Planeten nähern - auf keinem Fall!”

„Wir müssen davon ausgehen, dass wir es auf dem Salzplaneten mit einem hochgerüsteten Hilfsvolk dieser unbekannten Fremden zu tun haben,” erläuterte Da'an. „Die sind gefährlich genug: hunderte ihrer Schiffe befinden sich im System - seht ihr? - Wir müssen einen Weg finden, Spione dahin einzuschleusen und dann geeignete Maßnahmen ergreifen. Der Planet selbst ist nicht sonderlich attraktiv, etwas größer als Erde, 1/3 mehr Schwerkraft als diese. Die Atmosphäre ist nicht die beste, aber da keiner sich durch das Salz mit einer Sucht konfrontieren möchte, sind ohnehin für alle Teilnehmer Raumanzüge angebracht.”

„Wir sollten jaridianische Sonden einsetzen”, empfahl Rj'lev. „Sie können zufällig wie Kometen auf die Oberfläche eintreffen und dann darangehen, aus Oberflächenmaterial Replikanten herzustellen, die für uns, unsichtbar, spionieren können.”

„Ich hoffe, dass dieses Hilfsvolk da nichts mit jaridianische oder taelonische Technik und Daten anfangen kann,” erwiderte Roleta spöttisch. „Denn dann könnten wir gleich öffentlich anklopfen. - Was meint ihr? Glaubt ihr nicht, dass diese Wesen die Vorbesitzer der Anlagen ganz gut kennen?”

„Nicht unbedingt”, antwortete Je'dir ernsthaft. „Die Jaridians waren nicht auf diesem Planeten - die Taelons hatten uns nie die Koordinaten übermittelt. Wir könnten zuerst Sonden einsetzen zur Spionage und dann uns mit einem Interdimensionsportal hinabstrahlen lassen. Wenn das Portal gut abgeschirmt wird... Auch das ist eine Erfindung, die relativ neu ist; als die Taelons noch hier waren, hatten sie diese Technik noch nicht.”

„Interdimensionsportale scheiden aus; es gibt zu viele störende Energiefelder”, gab das Bordgehirn bekannt.

„Wenn die Feinde die Geschichte der Erde kennen und die (Milchstraße) bereits schon länger ausspioniert haben, kennen sie vielleicht doch Jaridia-Technik,” warnte die Taelon-Generalin Mur'ru. „Andererseits kennen sie nicht unbedingt dieses Schiff der ausgestorbenen Zefir. Sie wissen nicht, wie schnell es ist. Das ist ein Vorteil. Selbst wenn sie uns erwarten, dann doch nicht jetzt. Aber ein Restrisiko bleibt.”

„Ich könnte Jaridian-Sonden so modifizieren, dass sie noch weniger verräterische Strahlung abgeben”, schlug Roleta vor. „Dann sehen wir erst mal, was auf dem Planeten so los ist.”

„Warum wird neuerdings so getan, als ob man sich von Blue „infizieren” könnte”, fragte Agent Stoller nach. „Ich dachte, es wäre eine Sucht? Niemand von uns hat vor, dieses zu konsumieren - die Taelons wohl ausgenommen.”

„Wir sind in den vergangenen Wochen mit zwei ganz neuen Lebensformen konfrontiert worden”, gab der Taelon Ken'tau zu bedenken. „Mit einer halbmateriellen Lebensform in der Größe von winzigen Atomteilchen - von Quarks. Und mit einer Intelligenz, die behauptete, den gesamten Planeten Wawa zu umfassen; vielleicht einer kollektiven Intelligenz. Ich habe mich an einige historische Dinge aus unserer taelonischen Geschichte erinnert. Wie ihr wisst, haben wir noch eine Energiedusche an Bord, nämlich die von Ko'lan, noch mit einigen blauen Kristallen. Ich habe die Kristalle untersucht und festgestellt, dass das Salz ebenfalls eine Art kollektive Quarkintelligenz von der Art ist, die uns unlängst so schwer krank gemacht hat. Es war nie tote Materie, sondern immer belebter Stoff. Diese Lebensform hat uns Taelons all die Zeit über getäuscht! - Irgendwie scheint mir, ist dieser ganze Galaxien-Cluster-Abschnitt hier mit diesen unbekannten Lebensformen verseucht.
Es scheint mehrere Sorten von Kristallen zu geben. Die blauen Kristalle, die wir besaßen, hatten auf Menschen kaum einen Effekt - oder fast keinen.” Ken'tau lauschte kurz. „Da'an sagt mir gerade, dass das Mutterschiff einmal über der Ostküste der Erde Strahlung freigesetzt hat. Die Menschenfrauen wurden dadurch vorübergehend unfruchtbar. Süchtig wurden sie nicht.”

„Davon weiß ich nichts,” meinte Stoller dazu. „Deine Schilderung lässt vermuten, dass jetzt eine ähnliche Sorte dieses Salzes auf der Erde kursiert. Eine jedoch, die auch Menschen angreift.”

„Und wer weiß, wie dieses Zeug auf die Erde gekommen ist!” rief Anderson. „Von den Taelons stammt es wohl nicht, die hätten, wenn schon, alles für sich zu verwenden versucht. Womöglich kam es als Komet oder Meteoritenschauer!”

„Ganz recht, und zwar gezielt abgeschickt, an uns adressiert!” schimpfte Peter Combe. „Wie war es doch friedlich, solange wir Menschen nur für uns waren.”

Das führte zu einem lauten Herumgerufe, bis Rj'lev endlich mit seiner tiefen Stimme für Ruhe sorgte. „Da'an”, forderte er den Taelon auf, „glaubst du nicht, dass die Menschen etwas von der Geschichte der Taelons hören sollten? Wenn du nicht sprichst, erzähle ich...!”

So genötigt, erfuhren alle Anwesenden endlich mehr aus der nicht eben glorreichen Geschichte der Spezies der Taelons und der Jaridians.

„Ich weiß nicht, wer eigentlich vergleichsweise schlimmer für das Universum ist - Euresgleichen oder die Pest,” konnte Cornelia darauf nur sagen.

 
* * *
 

„Ich bin der Meinung, die Menschen hätten genauso gehandelt wenn sie so weit entwickelt gewesen wären, wie die Taelons damals.” Sy'la versuchte auf die Antwort, die Cornelia so eiskalt in den Raum geworfen hatte, contra zu geben. Doch die andere Frau beachtete die Hybridin keines Blickes und warf ihre Augen zurück zum Bildschirm.
Einerseits hatte Katz ja recht, die Taelons und die Jaridians waren sich nicht immer einer Meinung, im Gegenteil, sie hatten sich bis aufs Tiefste gehasst, dass ging soweit, das Kriege begonnen wurden. Hunderttausende von Jahren zog sich dieser Kampf hin, der Tausenden von fremden Spezies das Leben gekostet hatte. Die Taelons, wie die Jaridians, beide Parteien hatten Verluste zu beklagen. Am Schluss waren von den langlebigen Taelons nur noch wenige übrig geblieben. Die Jaridians dagegen hatten vom Schicksal immer weniger Lebenszeitspanne erhalten, sie begannen, immer früher zu sterben.
Familien, Freunde und Bekannte wurden auseinander gerissen, getötet, missbraucht und nicht selten für Experimente jeglicher Art benutzt. Es war ein schreckliches Zeitalter gewesen, das Gott sei dank, durch das Auftauchen des Menschen, abgelöst worden war.
Doch es gab auch Gründe, warum dies alles begann. Wut, Hass der stets aufeinander prallte, die Trauer um die Verlorenen jedes Volkes antworteten zurück. Und je mehr sich die zwei Völker bekämpfen, um so mehr Individuen der jeweiligen Spezies kamen um und der Hass stieg weiter die Skala hoch, die sie hätte alle umbringen können, wäre da nicht der Mensch aufgetreten, der ihre bisherigen Wege durchkreuzt und ihre Streitsucht geheilt hatte. Ohne Menschen würden Taelons und Jaridians seit langem nicht mehr existieren.

Roleta hatte den vornehmlich gelblich weiß schimmernden Planeten erfasst, gescannt, auf riskante Strahlung untersucht, die für Jaridians, Taelons oder Menschen gefährlich wirken könnte. Die Sauerstoffatmosphäre war sehr dünn, daher war es notwendig Raum- beziehungsweise Schutzanzüge zu tragen, wenn sie den Planeten besuchen wollten. Außerdem war da noch die leicht erhöhte Schwerkraft, die den Beteiligten einen Besuch auf dem Salzplaneten ohne Geräte erschweren würde.
Das Zefir-Schiff glitt noch etwas näher an den Planeten heran, nach allen Seiten nach schwarzen Schiffen ortend, und lud gleichzeitig ihre gefährlichsten Waffen auf. Zwar wurden diese nicht oft gebraucht, genauer gesagt so gut wie nie - , aber sie konnten im Fall des Falles sehr effektiv sein, wenn es als nötig angesehen werden würde, einen Planeten zu durchlöchern und zu sprengen.
Roleta erinnerte sich an einer weit zurückliegenden Zeit. In dieser vergangenen Zeit bewohnten noch die Zefir das Schiff, großgewachsene schlanke Wesen, mit glänzend silberner Haut und schwarzen Haaren, die an Roletas Projektion erinnerten. Ihre Erschaffer hatten viel Arbeit in sie gesteckt. Sie sollte leider das letzte Schiff sein, das jemals von ihnen gebaut wurde, denn als Roleta die Umlaufbahn ihrer Heimatwelt verließ, waren die letzten überlebenden Zefir am Bord. Ihre Entstehungsstätte wurde, mit nur einem Schuss, von einem Volk zerstört, dass größer und mächtiger war als die Taelons, Kimera und Jaridians zusammen. Wie sehr sich Szenarien gleichen konnten!
Die Zefir durchstreiften einige Jahrhunderte den Weltraum, auf der Suche nach einem neuen Planeten, den sie bevölkern konnten, doch als sie endlich eine neue Heimatwelt entdeckt hatten und sich darauf niederließen, wurden sie von einer unbekannten Krankheit angesteckt, und trotz aller Bemühungen, es wurde kein Heilmittel dagegen gefunden.
Das war das Ende der Letzten der Zefir.

Jahrelang flog Roleta einsam um die Umlaufbahn des Planeten herum, ohne Mannschaft, ohne ein Lebewesen am Bord, bis sie dann letztendlich die Zazas fanden und in die STADT aufnahmen. Sie war mehr als nur ein Schiff. Wenn man nicht wusste, was Roleta überhaupt war, so hätte man denken können, sie wäre mehr ein Lebewesen als eine Maschine. In ihr steckte die Technologie der alten Zefir, und dieses Volk glaubte daran, dass jeder Gegenstand, sei es ein Schiff oder ein Stein, jede Lebensform, egal wie klein sie auch war, ja selbst die Luft und das Wasser eine Seele in sich trugen. Roleta wusste nicht, ob man das, was sie war, als „beseelt” bezeichnen durfte, wie es die Organischen gerne getan hätten, doch war sich die Bordintelligenz ihrer Existenz bewusst, ohne jedoch solche Dinge wie biologische Instinkte oder irrationale Triebe zu besitzen; darin war sie ganz Maschine. Sie folgte Gesetzmäßigkeiten und Programmen, aber taten dies nicht auch die Organischen? Was war das denn, die „Seele”? Unvergängliche Energie? Ein ewiggültiges ideales Programm? - Roleta seufze innerlich, - sie war der mickrige Rest, der von den Zefir übrig geblieben war und sie hatte den Auftrag erhalten, diese Spezies hier zu retten, das tat sie gern und wenn sie mit ihnen untergehen sollte, so wusste sie wenigstens, dass sie etwas Nützliches getan hatte.

Sy'la hatte es sich auf einem der Stühle bequem gemacht und guckte auf den Bildschirm. Einen derart seltsamen Planeten hatte sie noch nie innerlich gespürt, obwohl sie inzwischen schon viel im Universum rumgekommen war, auf ihrer letzten Reise in der Roleta. Es fühlte sich an, als wollte etwas suchen, tasten. Oder bildete sie sich das nur ein? - Bizarre dunkel und hellgrüne, weißrote, graublaue, kleine Schiffe flogen um den Planeten herum, wie lästige Fliegen um einem Misthaufen.

Ein lautes Piepsen war im Raume zu hören.

„Jaridiansonden modifiziert, sie werden in wenigen Sekunden auf Mission geschickt.” erklang es aus allen Richtungen.

Da'an stöhnte auf, blickte zu den anderen seiner Art und schaute sie ernst und unruhig an. War Roleta zu nahe an diesen Planeten geflogen? Vielleicht hatte es fremdartige Auswirkungen auf den Taelon. Sy'la schaute nun lauschend in die Luft. Selbst sie spürte es immer deutlicher, es war von ihr zwar weit entfernt, aber irgend etwas existierte dort draußen. Etwas, was sehr vertraut war.

„Zo'or!” sprach Da'an überraschend aus, seine Augen weiteten sich und hätte er ein Herz besessen, wäre es zum Stillstand gekommen. „Wie kann das sein? Es... es... ist nicht möglich...” Der Taelon erblaute wenige Augenblicke lang und verlor seine menschenähnliche Fassade, die er als Energiewesen sonst immer trug, wandte sich unwillkürlich von den Leuten in der Zentrale ab, fuhr nervös mit seinen Händen durch die Luft und schaute dann verzweifelt zu Mur'ru, die genauso sprachlos zu sein schien, wie er selbst.

„Wer bitte schön ist Zo'or?” hakte Katz vom Nebentisch aus nach, dann fiel es ihr wieder ein: sie hatte von diesen Taelon nur einmal gehört, er soll Anfang des 21. Jahrhundert der Synodenführer gewesen sein, der die Taelons ins Verderben gestürzt hatte. Trotzdem wusste sie fast nichts über ihn. Warum begann Da'an jetzt...?

Da'an drehte sich nach hinten um und sah den Menschen in ihre fragenden Gesichter. Der Taelon zwang sich, zu antworten:

„Er vor Jahrhunderten unser Synodenführer. Als wir auf die Erde kamen und Quo'on unglücklicherweise starb, haben wir unseren Jüngsten als Synodenführer gewählt, weil er konsequent dachte und handelte,” Da'an beugte sein Kopf und sah traurig auf den Boden. „Es war ein Fehler gewesen, mein Kind soviel Verantwortung zu übergeben. Er war noch zu jung, zu unerfahren....Aber ich hätte nie geglaubt das...” Er erblaute noch einmal, diesmal aber verlor er einige Sekunden länger seine Fassade. Mur'ru kam Da'an entgegen, der vor viel innerer Bewegtheit hatte begonnen zu schwanken. Sie stützte den Älteren und hielt ihn am Arm fest.

„Er ist auf diesem Planeten!” rief Ka'sar und eilte hinüber zur Eingabekonsole. „Vielleicht können wir sein Energiemuster erfassen.”

„Hört ihr? Er ruft mich, ich muss zu ihm, es geht ihm schlecht, er ist gefangen...” Da'an versuchte sich aus dem Griff von Mur'ru zu befreien, doch es gelang ihm nicht.

„Da'an! Du solltest dich fassen! Wir werden diesen Taelon schon finden,” sagte Rj'lev, mit seiner arttypischen dunklen tiefen Stimme.

Sy'la erhob sich in Da'ans Nähe von ihrem dunkelroten, weichen Sessel, kam Mur'ru entgegen und bat Da'an sich auf dem Stuhl zu setzen. Er tat dies erschüttert, ohne Widerstand zu leisten.

 
* * *
 

(Weit in der Vergangenheit, auf der Erde: )
Zo'or taumelte aus dem Portal. Das Interdimensionsportal explodierte hinter ihr so rasch, dass ihre struppige Haarmähne fast Feuer gefangen hätte. Von der Wucht der Explosion flog sie nach vorne in einen Stapel von leeren, schmutzigen Holzkisten und schlug sich die Lippen blutig. Sie wischte sich mit der staubigen Hand das bisschen Blut ab und entfernte den Holzspann, den sie sich in die Hand eingezogen hatte. Der ungewohnte Schmerz irritierte sie noch immer. Ihre Augen, die nachsichtiger waren als die von Menschen, sahen, dass sie sich offenbar in einem engen Kellerabteil eines Menschenhauses befinden musste. Weiter vorne war ein halboffenes Holzgatter. Wer weiß, wie sicher dieses Portal wirklich gewesen war. Sie musste schnell fort.

Am Holzgatter lauschte Zo'or etwas. Niemand war zu hören. Sie ging den engen dunklen Kellergang entlang bis zur Treppe, und eilte hinauf, in einen Flur. Ja, das musste eine alte „Mietskaserne” in einem nicht gerade vornehmen Viertel einer Stadt sein. Der Verputz im Flur war schäbig und bröckelte zum Teil schon herab, das ehemalige klare Weiß war nun grau und fleckig. Papierfetzen und Dreck lagen in den Winkeln des Flurs, und die Postkästen sahen zerkratzt und verbeult aus. So hatte sie es schon in irdischen Filmen gesehen. Zo'or beutelte den Staub ab, strich sich den kurzen dunkelgrünen Mantel glatt, den sie über ihrer Kleidung trug, und griff kurz in die Manteltaschen. Plastikkarten verschiedener Banken, ein gefälschter Ausweis, eine Wegkarte, eine Adresse und ein paar Worte auf einem Zettel. Eine wollene beige Mütze. Und ein Kamm. Dieser...!

Sie versuchte sich hastig ihre halblangen blond-braun-gemäschten Haare auf den kaum sichtbaren, streifig nach hinten verlaufenden, flachen Hornwülsten der Kopfhaut zurechtzufrisieren, damit sie draußen nicht so sehr auffalle. Aber dieser fremdartige „Haarpelz” war ihr noch immer ein Grausen. Wie konnte man es mit diesen „Haaren” überhaupt aushalten? Sie zog sich die Mütze weit in die Stirn und schritt auf die Straße hinaus. Der dunkelgraue Asphalt war nass vom kalten Nieselregen. Sie schlug die Augen nieder und vermied den Blickkontakt. Offenbar fiel sie den Passanten nicht weiter auf. Mit ihrem scharfen Gehör lauschte sie den französischen Satzfetzen. Die ungewohnte raue menschliche Kleidung scheuerte an ihrer Haut, und die Schuhe mit den niederen Absätzen waren sehr unbequem. Taelons trugen gewöhnlich hohe Absätze.

Es war ja nicht so, dass sie das erste Mal körperlich war. Sie hatte früher, als Synodenführer, ihren Geist mehrmals auf andere Komapatienten übertragen und solcherart als „Mensch” heimliche Ausflüge auf die Erde gemacht. Meistens als Mann. Das war auf der Erde einfach leichter, da dieses Geschlecht auf diesem primitiven Planeten dominierte. Das weibliche Geschlecht hatte in den meisten Bereichen und Regionen nur gesellschaftliche Nachteile. Wild waren diese Menschen, ungebildet, leidenschaftlich, gepeitscht von Emotionen, die sie kaum im Zaum zu halten vermochten. Mit einem Willen, zu überleben und zu genießen. Mit einem Willen, zu kämpfen und zu töten. Mit einem Willen, zu lieben und sich fortzupflanzen. Sie hatte das fühlen können. Es hatte im fremden Blut gesteckt. Die anderen degenerierten Taelons hatten davon keine Ahnung mehr. Es war einfach überwältigend, körperlich zu sein!
Ja, und so war sie ins Ka'atham gelangt, in die Geschlechtsreife. Oder war es doch Boones Bluttransfer? Hassenswerter Boone! Damit hat alles angefangen. Ein absoluter Witz des Schicksals - ein pubertierender Anführer der Synode! Mit einem ewig bewachenden, besser wissenden, nörgelndem, scheltenden, frotzelnden und Intrigen spinnenden Da'an an der Seite, der sie als Anführer nicht anerkannte, den sie nicht loswerden konnte - dafür wusste der zuviel. In früheren Zeiten hätten sie einen weiblichen Taelon in ihrer Pubertät ins Kloster gesteckt, wo die Triebe und Instinkte in der fruchtbaren Phase im Sinne von Ra'maz kontrolliert werden konnten. Aber ohne Taelona... alles war nun anders. Mit ihr konnten sie das nicht machen!
Die anderen Taelons hatten jedenfalls begonnen, sie mit ihrer emotionalen Unberechenbarkeit auszugrenzen, sie als wahnsinnig und unfähig hinzustellen. In gewisser Weise war sie auch wahnsinnig gewesen. Alles in ihr hatte danach geschrieen, aus dem Gemeinwesen auszubrechen, ein Geschlecht zu entwickeln, ein Individuum zu sein, sich fortzupflanzen. Doch da war die Macht des Gemeinwesens wie ein eiserner, unüberwindbarer Ring, der sie ankettete, einbremste, ihr seinen Willen aufzwang. Zo'or gegen das Gemeinwesen - das Gemeinwesen gegen Zo'or! Zo'or gegen den Wahnsinn, die Gefühlskälte, die überholten Skrupel und den Rest der Tradition! Zo'or auf verlorenem Posten im Bemühen, die Erde vor dem Ansturm der Jaridians zu befestigen. Damit die Erde nicht ein weiterer verbrannter Planet wurde wie tausende Welten zuvor. Das undankbare menschliche Volk hatte jeden Schritt dahin hintertrieben! Ihre Härte hatte nur Furcht erzeugt, keinen Respekt, keine Loyalität. Überall war nur noch Verrat gewesen.

Zo'or nun ganz allein, auf einer fremden Welt, gejagt von den Menschen und den Atavus! - Zo'or schritt weiter die Straße entlang, und während sie einen Teil des Bewusstseins auf die Stadt richtete, stiegen weitere Erinnerungen auf. Sie taten weh, sie kränkten.

Hatten die Taelons nicht SIE in das Amt gewählt? Weil sie mutig und stark war? Wer hatte denn mehr Recht, zu leben, als sie? Die anderen Taelons waren kosmischer unflexibler Müll, zum Aussterben verdammt, ohne Lebenskraft, zu feige um zu kämpfen. Bereit, aufzugeben, zu verlöschen. Also hatte sie am Ende das Relikt genommen und das Gemeinwesen verlassen, nicht ohne noch die letzten Lebensenergien von Taelons auf dem Stasisdeck zu stehlen. Ihre unsachgemäße Anwendung des Relikts schleuderte sie in die 8. Dimension und hätte sie fast ausgelöscht... Nur ihr Geist war noch übrig gewesen... Und als sie erwachte, von diesem grauen Ort zurückgeholt, waren die Taelons fort, und sie, endgültig getrennt vom Gemeinwesen, ein körperlicher weiblicher Atavus. Man hatte sie aus der dunklen Leere befreit, denn nur sie hatte die Möglichkeit, das mächtige Mutterschiff zu befehligen.

Ja, so sah Paris aus: die alten fünfstöckigen Häuser entlang der breiten Boulevards, mit den türgroßen Fenstern und den kleinen schmiedeeisernen Balkongeländern. Alle im gleichen Stil, alle steingrau bis gelbbeige. Zo'or blieb stehen und besah sich endlich die Karte. Wie in Europa üblich, trugen die Straßen Namen. Wo musste sie hin? - Nein, das war entschieden zu weit. Taelons waren das Laufen nicht gewohnt, schon gar nicht in unbequemer Kleidung. Portale, sofern noch vorhanden, waren aber zu gefährlich. Sie würden bestimmt ihre Energiesignatur messen. Menschen fuhren in diesem Fall mit dem Auto. Oder einem Taxi. Ein Global hatte sie nicht - wohl weil auch das nicht sicher genug war. Wie kommt man in Paris zu einem Taxi?

Da war ein kleines einfaches Fischrestaurant an der Straße. Zo'or ging hinein. Sie wusste nicht, was sie mehr hungrig machte, der Fischgeruch oder die Lebensenergie der Menschenmassen... Am besten tat sie das, was alle taten. Also zog sie den Mantel aus, setzte sich an einen Tisch und las die Karte. Mit ihrer Hose und dem Pullover fiel sie nicht weiter auf. Die Mütze, unter der die Haare hervorlugten, behielt sie auf. Mit zwiespältigen Gefühlen beobachtete sie dann die Umgebung und die Menschen mit ihren Gerüchen und Aurasignaturen, die da im Restaurant aßen. In ihrer Vorstellung malte sie sich aus, woraus die Zutaten für die einzelnen Gerichte gewonnen wurden und würgte fast vor Ekel.

Der Kellner mit seiner langen weißen Schürze wollte ihre Bestellung aufnehmen. „Ein Glas Wasser”, bat Zo'or und rekapitulierte ihre Französischkenntnisse.

„Madame - möchten Sie etwas essen?” fragte er nach.

„Vielleicht einen Fisch?” sagte Zo'or unsicher.

„Wir haben ausgezeichnete frische Forellen. Ich empfehle sie gedünstet, mit frischem zarten Gemüse und Kräuterbutter. Und Kartoffel. Oder hätten Sie vielleicht lieber von unserem Fischeintopf? Oder...”

„Nein, die gekochte Forelle wird es schon tun.”

„Einen weißen Wein dazu?” - Zo'or erinnerte sich: das ist Traubensaft aus halbverwesten, zermatschten vergorenen Trauben. Sie schluckte. „Meinetwegen, ein Glas Wein dazu. Ich überlasse die Auswahl Ihnen.” Der Geruch und die Ausdünstungen im Lokal waren kaum auszuhalten. Andererseits - es sah so aus, als müsste sie es noch eine ganze Weile auf dem Planeten aushalten. Sie fragte sich, wann sie sich wohl das erste Mal durch die irdische Nahrung vergiften würde, und beobachtete inzwischen die Leute weiter. Der Ober brachte Besteck und den Wein, und Zo'or nippte zum ersten Mal in ihrem Leben an diesem Getränk. Es war kühl und schmeckte nach Alkohol und ... es war undefinierbar. Ihr Instinkt sagte ihr, dass es genießbar war. Der Fisch, den die Küche gerade frisch aus dem Bassin geholt und im Wassersud gekocht hatte, bevor er vom Kellner fachkundig vor ihr filetiert worden war, war auch sehr fremd, aber nicht schlecht. Die kleinen Blumenkohlröschen im Gemüse rührte sie instinktiv nicht an. Den ungewohnten Kampf mit Messer und Gabel gab sie aber auf, sie nahm die Gabel in die Rechte und stocherte damit ihm Essen.

„Regarde, une Americaine,” hörte sie es vom Paar vom Nebentisch raunen. Zo'or bemühte sich höflich zu lächeln wie ein Mensch. Der Kellner kam, um ihr nachzureichen. „Monsieur, die Haut bitte auch”, bat sie.

„Die Haut?” Der Kellner war sichtlich irritiert. „Ja, wie Sie meinen, Madame!” Offenbar aß man gekochten Fisch nicht mit Haut. Zo'or war das aber egal. Sie hatte mit einem Mal ein starkes Verlangen danach. Am Nebentisch war man amüsiert.

„Möchten Sie noch ein Dessert? Oder einen Kaffee?” fragte der Kellner beim Abräumen.

„Nein, ich denke, ich muss hier bezahlen. Ja, das macht man so. Und danach rufen Sie mir ein Taxi hierher.”

Zo'or musste aber zuerst in die Waschräume. Sie wusste nicht, ob sie sich erleichtern musste oder erbrechen sollte. Dann wusch sie sich die glühenden Wangen mit kaltem Wasser und trocknete sich mit Papier. Sie zupfte sich die Haare unter der Haube zurecht, die ihre typische Stirnzeichnung mit den nach oben gerichteten dreieckig geformten Augenhöhlen verdeckte.

Seit sie aus der 8. Dimension des Nirgendwo erwachte war, befand sie sich in diesem Körper, der so aussah wie die der anderen auch, die so plötzlich auf der Erde erwacht waren - eine Bande von Prä-Taelons jüngeren Datums. „Atavus” nannte man in der irdischen Übersetzung diese Erwachten, und Zo'or selbst hatte den verächtlichen Ausdruck „Atavus” seinerzeit für alle altertümlichen Formen der moderneren Taelons eingebürgert. Nur war Da'ans vorübergehende Erscheinungsform eine weit frühere Variante gewesen. Diese vampiristischen Prä-Taelons sahen fast wie die Vorläufer der Menschen aus, wären da nicht die oberen Stirnmarkierungen gewesen. Diese Bande hatte ein nicht funktionsfähiges Schiff und war Jahrhunderttausende im Tiefschlaf gewesen, bevor die Vulkaneruptionen sie aufgeweckt hatte. Die Prä-Taelons hatten, wie sie erfahren musste, Zo'or nur zurückgeholt, um sich mit ihren Kommando-Codes in Besitz des Taelon-Mutterschiffes zu setzen. Und es war ihnen auch gelungen! Und sie terrorisierten nun die Menschen, die sich inzwischen auf der Erde entwickelt hatten, nahmen ihre Lebensenergie, machten sie zu geistlosen halbtoten Sklaven. Für die Prä-Taelons waren die inzwischen vergeistigten Taelons mit ihrer Kultur selbstverständlich degenerierte Kreaturen, und wenn sie, die zurückgelassene Zo'or, jemals bei ihnen Aufnahme finden wollte, musste sie schon so bösartig sein wie sie. Also hatte sie ihr Bestes darin versucht. Und war gescheitert. Sie mochte zwar so aussehen wie sie, aber Jahrhunderttausende Zivilisation standen zwischen Zo'or und den primitiveren Prä-Taelons. Da hätte sie sich gleich für die Menschen entscheiden können. Folgerichtig hatte Howlyn, der Chef - oder König - dieser Bande, sie zum Tode verurteilt. Sie war unter seiner Herrschaft überflüssig! Sie hatte das von ihm erwartet.

Sie ging in das Lokal zurück, bezahlte mit der Kreditkarte und stieg draußen ins Taxi, das schon wartete. Dem Fahrer gab Sie die Adresse. Der fuhr auch mit diesem altertümlichen Ding los. - Dieser Sandoval ...

Zo'or erinnerte sich. Dass sie noch am Leben war, verdankte sie eigentlich ihm. Was für ein Täuschungsmanöver! Eine Flucht durch eine ganze Reihe von Interdimensionsportalen, die es eigentlich gar nicht mehr gab. Ihre Rolle nahm kurzfristig ein Replikant ein. Howlyn, die Menschen, alle waren getäuscht worden. Agent Sandoval betrog Howlyn genauso, wie er sie früher immer betrogen hatte. Aber irgendwie war sie nicht mehr der Synodenführer Zo'or, kein Teil des Gemeinwesens mehr, sondern ein weiblicher Prä-Taelon. Und Ronald Sandoval schuldete Zo'or soviel... „Banales Monster” hatte er sie einmal genannt. Sie hätte ihn mehrmals töten lassen können, doch hatte sie es vorgezogen, sich unwissend zu stellen, solange er noch irgendwie in ihrem Sinne handelte. Sie hatte nicht umhin können, ihm eine gute Intelligenz zu bescheinigen; nur hätte sie ihm das NIE gesagt! Und jetzt... Wahrscheinlich wollte er sie als Trumpfkarte gegen Howlyn benützen, der noch schlimmer war als sie je hätte sein können.

Das Taxi hielt. Zo'or bezahlte und stieg aus. Das war eins der von Paris entfernteren Vororte. Eigentlich eine Wohngegend, mit kleineren Geschäften hie und da. Sie wollte zum Juwelierladen an der Ecke. Dort sollte sie vorerst als entfernte Verwandte im Haus bleiben. Sie pochte an die geschlossene Ladentür. Hier auf dem Land waren die Läden, im Gegensatz zu Amerika, nicht am Wochenende offen. Der Besitzer hatte offenbar auf sie gewartet. Er kam zur Tür und lugte durch das Panzerglas hinaus.

„Onkel Pierre, ich bin es, Anna. Ich komme zu Besuch, Onkel Pierre”, rief sie laut, wie verabredet.

Der ältere kleine rundliche Mann mit der Halbglatze geleitete sie freundlich in den Laden. „Ich wusste, dass du kommst. Ich hab' schon gehört von deinen Schwierigkeiten. Ich helfe dir gerne! Warte hier, ich habe noch Freunde zu Besuch. Ich schicke sie weg, dann komme ich zurück und zeige dir dein Zimmer.” Der Mann hatte offenbar keine Ahnung, wer sie wirklich war; er war vermutlich zusätzlich stark konditioniert.

Während er zu seinen Gästen ging, besichtigte Zo'or die Vitrinen mit dem Schmuck. Sie konnte nicht an sich halten und legte ein schweres Goldband an. Gold! Geld! Damit war man mächtig unter den Menschen. - Nach einer Stunde war er immer noch nicht zurück. Zo'or ging nach nebenan. Da war eine kleine Goldschmiede untergebracht. Kleine Goldplättchen lagen da, ein Gravurstift.

Ein Mann und eine Frau kamen plötzlich unbefangen hinten herein. „Ah, da ist ja unser Gast!” rief die Frau. „Hallo Anna Schönauge! - Sandoval hat uns gesagt, dass du leider weiter musst. Die Polizei hat Verdacht geschöpft. Sie wird bald hier sein. Aber sei unbesorgt. Da hinten ist die leere Halle einer aufgelassenen Fabrik. Sandoval hat dort ein Shuttle versteckt.”

„Ich weiß nicht”, zögerte Zo'or. „Das Versteck sei völlig sicher, hieß es.”

„Leider nicht sicher genug! Wir sollen mit dir in die kosmische Richtung fliegen, in der ihr früher die blaue Essenz gewonnen habt. Sagt Sandoval. Denn Howlyn habe an Bord die Koordinaten gefunden. Er will für die Atavus ebenfalls die Unsterblichkeit! Sandoval hat ihnen das eingeredet. Irgendwo unterwegs sollen die Atavus in eine Falle tappen und „verloren gehen”, und wir mit Hilfe von Replikanten wieder das Schiff übernehmen.”

Zo'or überlegte noch immer. Irgendwie... Aber diese zwei kannten vereinbarungsgemäß ihren Codenamen. „Was ist?” meinte der Mann. „Die Jaridians existieren nicht mehr, der Weg zur blauen Essenz ist jetzt frei. Du solltest doch glücklich sein. Oder willst du vielleicht körperlich bleiben, schnell altern und sterben?”

„Gut”, sagte Zo'or zu. „Ich komme mit. Aber holt mir andere Kleidung; ich denke, im Zimmer ist alles für mich vorbereitet. Und hat das Shuttle genügend Vorräte und Energie für so eine lange Reise?” Die zwei maulten, aber gingen dann doch einige Sachen im Haus holen. Zo'or wartete die paar Minuten in der Werkstatt. Irgendwie... hatte sie eine merkwürdige Ahnung. Sie griff sich wie unter Zwang ein Goldplättchen - was konnte es denn für einen ehemaligen Imperator Besseres als Notiz für die minderwertige menschliche Nachwelt geben als eine Notiz auf purem Gold? - und gravierte darin spielerisch ein: „Die Waffen werden euch nützlich sein. Ich aber muss fort, werde weggebracht. Sucht mich im Salz! Zo'or.” Sie hoffte, dass Sandoval die Nachricht finden würde, sollte das eine Falle sein. Dann ging sie wieder in den Laden zurück. - ‚Merkwürdig’, dachte sie bei sich, ‚wie komme ich auf Waffen?’ Es war ihr, sie hätte etwas Wichtiges vergessen, aber es fiel ihr einfach nicht ein.

Als die zwei mit ein paar Taschen zurückkamen, ging sie mit ihnen mit zur Lagerhalle. Da stand tatsächlich ein gestohlenes Shuttle! Aber die zwei - ihre Gestalten verschwammen plötzlich und wichen einem schwarzen Wabbern und Flirren. Das war auch kein Shuttle, sondern etwas anderes aus Dunkelmaterie! Zo'or spürte es durch und durch. Die verschüttete Erinnerung riß auf. Ha'gel! Der Blick in die Zukunft!

„Nein!!!” schrie Zo'or entsetzt. ‚Bloss nicht in die Hände dieser schwarzen fürchterlichen Feinde!’ „Bitte!”

Sie wandte sich um und versuchte zu fliehen, als sie ein giftgrüner Strahl von hinten traf und sie am Rücken verbrannte. Sie verlor das Bewusstsein und schlug hart auf dem Betonboden der Halle auf. Und plötzlich waren auch andere schwarze wabbelnde Erscheinungen da, gestaltlos, schemenhaft, die Zo'or brutal an den Beinen und Haaren packten und wegschleiften. Und dann waren sie alle ins Nichts verschwunden. Zurück blieben nur die Haube und ein Schuh.

 
* * *
 

(322 Jahre in der Vergangenheit, auf dem Salzplaneten:)
Die schwarze Gestalt waberte und flimmerte ohne erkennbare feste Kontur. - Wieviele schwarzen Farbnuancen gibt es? - Es gab nichts als Schwärze. Wesen, die ohne Licht existierten. Ein „Schiff” oder Kontinuum ohne Licht. Dunkelmaterie.

„Unsere Hilfsvölker haben Zo'or streng verhört. Die Taelonartige war nicht in der Lage, auf Dauer der Tortur zu widerstehen. Sie hätte sich in den letzten (Jahren) gewünscht, sterben zu können, aber natürlich wurde das verhindert. Die Hilfsvölker achteten darauf, dass ihre Verletzungen nicht soweit gingen, dass sie an der Folter stirbt oder das Gehirn permanent geschädigt wird. Insofern war die auf der Erde stattgefundene Transformation in einen Prä-Taelon für uns ausgesprochen nützlich. In der weiterentwickelten Taelon-Form wäre das Verhör nicht so gut gediehen.”

„Das sind angenehme Nachrichten”, antwortete der Anführer nach Art der Dunklen. „Nichts weist daraufhin, dass dieser lästige Bund der Alten Völker von der Entführung Wind bekommen hat. Wir konnten sie perfekt täuschen! Die glauben bestimmt, Zo'or ist tot. Dieser Mensch Sandoval wird genug mit den Atavus zu tun haben, die die Menschen sich auf den Hals geladen haben. Es wird keine Möglichkeit für ihn geben, Zo'or zu suchen, geschweige denn zu finden!” Der Anführer schnaufte und ließ vor kalter Freude schwarze Blitze aus seiner Aura zucken. „Das erste, was wir machen, ist diesen Zeitsprung in die Zukunft durch die Menschen zu hintertreiben. Wir wissen jetzt genug von ihnen. Und mit den Zugangscodes zum Taelon-Mutterschiff werden wir auch irgend etwas anfangen können. Zum Beispiel die alten Taelon-Dateien einsehen. Historische Dinge suchen, um die allgemeine kosmische Ordnung, wie sie die Alten Völker verstehen, kräftig zu stören. Nach den Jaridians, die ganz nach unserem Geschmack ihre Arbeit geleistet haben, könnten wir so vielleicht bald das neue Taelon-Jaridian-Kimera-Mensch-Kollektiv für unsere Zwecke benützen oder es auslöschen. Das wird den Bund mitten ins Herz treffen!”

„Wunderbar.” Die zweite schattenhafte Gestalt erschauerte vor Wohlbehagen. „Zuerst das Salz, dann die wahnsinnigen Prä-Taelons und dann die rachsüchtigen Jaridians. Und bald die Menschen. Die Weisheit und Grausamkeit der Anführer ist anbetungswürdig! Das (Blut) dieser niederen Völker wird weiterhin in Strömen fließen und die Konzepte der Alten Völker durcheinanderbringen. Wir werden eine reiche Ernte einbringen!”

„Wo ist diese Kreatur Zo'or jetzt? Auf dem Minen-Planeten?”

„Sie ist dort und wird weiter gequält. Die Menschen, die wir gekidnappt haben, sind bereits solche mentalen und biologischen Wracks, dass sie es nicht wagen, ihr viel zu helfen. Sie liegt da angekettet, fast nackt in der Kälte, im Blut und im Schmutz, wie es sich für unsere Feinde geziemt. Ärgerlicherweise stießen wir bei Zo'or auf Reste eines Gedächtnis- und Verhaltensmanipulations-Blocks unserer geistigen kimerischen Feinde. Bestimmt haben sie wieder damit unsere mühsam arrangierten kosmischen Machenschaften durchkreuzt. Statt tot zu sein, greifen diese immer wieder als Geistwesen auf Seiten der Alten Völker ein. Solcherart unterstützt, darf einem das bisherige Überleben der Menschen auf der Erde nicht wundern. Die Frage ist, was wir mit Zo'or tun sollen. Benötigen wir sie überhaupt noch?”

„Befiehl dem Hilfsvolk, sie noch ein wenig leiden zu lassen, vielleicht noch für ein paar Jahre”, befahl der Anführer. „Als Demonstration, was wir mit Feinden unseres Konzeptes zu tun pflegen und zur Einschüchterung der Gefangenen. Und dann gebt der Taelon blaue Essenz. Wir werden dafür sorgen, dass sie sich wieder in die weiterentwickelte Taelonform verwandelt. Sonst stirbt sie uns womöglich weg. Wir brauchen sie vielleicht irgendwann in der Zukunft noch einmal, zum Beispiel als Lockvogel. Früher oder später wird selbst der Bund der Alten Völker irgendein Volk hierher schicken, dann könnte sie noch nützlich sein. Aber sorgt dafür, dass sie kaum Core-Energie bekommt. Sie soll wissen, dass sie nur durch unsere grenzenlose Gnade lebt.”

 

Ende von Kapitel 6

 

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