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  „Die Puppenspieler” von von Sy'la und Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Oktober 2003
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorinnen.
 
Thema:  Die Anreise zum von Fremden okkupierten Salzplaneten ist gleichzeitig eine Reise in die frühe taelonische und jaridianische Geschichte. Angekommen, muss die Crew feststellen, dass eine alte Bekannte von den Fremden unter schrecklichen Bedingungen gefangengehalten wird.
Zeitpunkt:  das Jahr 2334
Charaktere:  Cornelia Katz, Peter J. Combe, Andre M. Andersen; Sy'la mit ihrer Tochter Alexa, Ariel , die Taelons Da'an, Ko'lan, Mur'ru, Ka'sar, Ken'tau und Dar'den; die Historiker Wu'lai und Fo'sor und alte Taelon-Berichte; die Jaridians Je'dir, Rj'lev und Palwyr, Korn't und Trestim; die jugendlichen Taelons; die künstliche Schiffsintelligenz Roleta; die Dunkelmächte und eine gute alte Bekannte in incognito.
 

 

DIE PUPPENSPIELER

Kapitel 6

 

Teil 1

(Auf dem Schiff:)
„Hör endlich auf!...Hör auf!” schrie Sy'la, die sich auf ihrem Bett drehte und wand. Je'dir war von ihrem Geschrei aufgewacht. Er schüttelte sie solange an den Schultern, bis sie, wie ein aufgescheuchtes Huhn, erschrocken hochfuhr. Das altmodische Betttuch war schweißnass und Sy'las aufblitzenden blauen Augen verrieten die abklingende Panik, die sich in ihr aufgestaut hatte.

„Ist alles OK?” fragte der Jaridian, dessen Stimme die Sorge um seine Gefährtin nicht unterdrücken konnte.

„J...ja”, sagte Sy'la etwas stotternd und fuhr sich mit der Hand über ihre feuchten Haare, die ungebändigt auf dem Kopf lagen. „Es war nur wieder ein Traum...nichts weiter.”

Der Aufenthalt auf dem seltsamen Planeten hatte sie sichtlich durcheinander gebracht. Jede Nacht wachte sie auf und manchmal zitterte sie dabei am ganzen Leib. Je'dir machte sich ernsthafte Sorgen. Er hatte ihr schon seit langem geraten, zu einem Heiler zu gehen, doch sie hatte jedes Mal abgelehnt. Denn die hatte sie in letzter Zeit oft genug gesehen. Sie schüttelte sich kurz und streckte die Arme im Gähnen nach oben, sie konnte und wollte einfach nicht weiterschlafen. Flink warf sie die Bettdecke plötzlich über Je'dir, huschte, nur mit einem halblangen Hauch von Nachthemd bekleidet aus dem Bett und tapselte ins Bad. Der Jaridian befreite sich währenddessen aus den Fängen des Bettzeugs, das ihm seine Gefährtin spaßhalber über den Kopf geworfen hatte.

Aus der halb geöffneten Türe des Badezimmers hörte man, wie das Wasser in die Wanne floss, der Dampf des heißen Wassers breitete sich im Nu im kühlen Raum aus, so dass es durch die Türe hindurch in das Schlafzimmer kroch. Der Computerteil des Schiffes, der mit der Versorgung des Schiffes beschäftigt war, bemerkte anhand der Sensoren die ansteigende Feuchtigkeit in den Räumen und saugte automatisch die feuchte Luft auf. Eine praktische Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass noch vor ein paar Jahrhunderten die Menschen allein nur von feuchten Räumen krank wurden, weil sich Schimmelpilze bilden konnten. Im schlimmsten Fall konnte es sogar passieren, dass sie durch diese Pilzinfektionen starben. Aber heute war das undenkbar, vor allem nicht auf einem Schiff wie dieses. - Warum nur fielen ihr solche Banalitäten jetzt ein?

Sy'la zog, ohne sich noch weiter viele Gedanken über die Systeme des Schiffes zu machen, ihr Negligé aus, stieg in die soeben vollgelaufene breite Wanne mit dem wärmenden entspannenden Wasser, das nach ihrem Geschmack reichlich mit Schaum bedeckt war, und machte es sich bei einer digitalen Buchplatte gemütlich, welches einen bekannten Roman des 22. Jahrhunderts ablaufen ließ.

Der Jaridian stieß unhörbar die Schwingtüre mit einer Fingerspitze auf und lugte mit seinem Streifengesicht in das Badezimmer, das mit einem dunkelblauweißen Schachboden belegt war. Die Wände waren mit einer glitzernden Oberfläche bedeckt, die als Hintergrund eine Unterwasserwelt der Menschen zeigte. Haie, Delfine, bunte Fische verschiedenster Arten und Größen tummelten sich auf den Wänden. Von der Decke hing ein schöner Stein herunter, der fast wie ein nach oben aufgehängter Vulkan aussah, der in blaugrünen Farben schwach leuchtete. Lampen und verschiedene Becken harmonierten stilistisch mit dem Raum. Links und Rechts um die Wanne herum, die vor ihm mitten im Raum stand, hatte die Hybridin altertümliche Kerzen aufgestellt, so dass die Atmosphäre ruhig und gemütlich wirkte.
Leise, wie eine Raubkatze, die sich ihrer Beute nährt, schlich der Jaridian in Richtung Wanne. Sy'la war ganz vertieft im Lesen. „Buh!”

Seine Frau kreischte vor Schreck auf, die Buchplatte wurde ganz nass, doch als sie das bekannte Gesicht erkannte, legte sie das Buch zur Seite auf die Ablage und spritzte einen Platsch des nassen Elementes zum Störenfried hinüber, der nicht mehr ausweichen konnte. Nass, wie ein Pudel, würden die Menschen sagen, stand er seitlich der Wanne da und guckte dumm aus dem leichten Kühlanzug, von dem der Schaum abtropfte, während seine Gefährtin schallend anfing zu lachen und sich in der Wanne vor Freude kringelte. „Das hast du nun davon!” stieß die junge Frau herzhaft lachend hervor und kicherte anschließend amüsiert und neckisch aus den Bergen von Schaum hervor, die sie vor sich aufstapelte.

„Na warte, du!” knurrte der junge Jaridian fast so heiter wie seine Gefährtin zurück und kniete sich auf den nassen Boden neben das große Becken, dessen warmes Wasser Rosmarin- und Lavendeldüfte freigab. Sanft streifte er mit seiner Hand die langen nassen dunkelbraunen Haarsträhnchen seiner Gefährtin auf die Seite und schaute in ihr schönes Gesicht. Sie hatte sich verändert, sie war nicht mehr das junge unsichere Mädchen, dass er damals noch kennen gelernt hatte. Ihre Züge waren seit damals reifer und fester geworden, das Leben war hart und ist hart und so hatte sie sich ebenfalls weiterentwickelt. Nicht umsonst gab es diesen berüchtigten menschlichen Spruch: Nur der Stärkere überlebt! Sie hatte an Kraft gewonnen, an Erfahrung. Das einzige, was sie aber niemals verloren hatte, war dieser Ausdruck in den himmelblauen Augen, diesen unerklärlichen Ausdruck, den jeder Taelon in sich trug. Man konnte nie definieren, ob es sich dabei um Trauer handelte, oder um Freude, aber es war da. Sy'la begegnete seinen betrachtenden Blicken mit einem Lächeln im Gesicht, das zeigte, wie sehr sie sich über seine Zuneigung freute.

„Mammi, ich kann nicht schlafen.” Die kleine aufgewachte Alexa spitzelte verschlafen mit ihrem Kopf durch die halb geöffnete Türe.

„Ich komme gleich, Liebes.” Und mit diesen Worten stieg die junge Frau aus der Wanne. Der wässrige Schaum glitt sanft über ihre weiße Haut herab, die im Licht des Raumes ein wenig schimmerte. Ihre Haare klebten ihr an Schultern und Rücken und ihr Lächeln galt immer noch Je'dir.

„Könnte ich bitte das Handtuch haben?” fragte sie ihn grinsend. Der Jaridian war für einen Moment wie festgefroren gewesen. Er hatte die letzten paar Monate fast vergessen, wie hübsch sie ohne ihre menschliche Uniform, die sie sonst immer trug, aussah. Die vielen Probleme, die ihnen begegnet waren, hatten ihn zu sehr zum Nachdenken gebracht. Es gab wenig Zeit für Gefühle, was allein zählte war ihre Mission. Er drehte sich um und nahm das weiße Handtuch, das neben dem großen Waschbecken an einem Haken hing, und übergab es Sy'la. Sie nahm das weiche Tuch in die Hand, trocknete sich ab und wickelte es sich um. Dann ging sie wie auf leisen Pfoten an ihrem Gefährten vorbei und streifte ihn mit der Hand sanft über die Schulter, die mit der kühlenden Freizeitkombination der Jaridians bedeckt war, dabei ihren „ Du-fängst-mich-sowieso-nicht-Blick” nicht von ihm ablassend.

Alexa war natürlich längst wieder eingeschlafen, als ihre Mutter das Schlafzimmer leise betrat. Das kleine Mädchen hatte sich im großen Bett der Eltern breit gemacht, ihren hellbraunen Teddy, den sie meist beim Schlafen dabei hatte, hielt sie dabei fest im Arm. Sy'la legte sich neben das kleine Geschöpf nieder, beobachtete, wie sie sich während des Schlafes verhielt.

Alexa war mittlerweile sieben Jahre alt, sie lernte viel von ihren taelonischen Lehrern und hatte es nicht schwer, das zu begreifen, was die Lehrer von ihr abverlangten. Sie war eben ein verspieltes, neugieriges und kluges Mädchen, das sich von ihren Zielen selten abbringen ließ. Sy'la fragte sich im Stillen, wie sie selbst so als Mädchen, in Alexas Alter, wohl gewesen sein mag. Ihr Leben hatte in ihrer Erinnerung erst begonnen, als sie schon fast erwachsen gewesen war.

Als sich der Jaridian gerade neben das Bett gestellt hatte, und leise anfragen wollte, ob sie nicht in Alexas Zimmer gehen sollten, piepste es von einem der Lautsprecher, die so geschickt installiert waren, dass man nicht erkennen konnte, aus welcher Richtung der Ton kam.

„Guten Morgen meine lieben Crewmitglieder. Falls ihr es noch nicht mitbekommen habt, wir werden bald am Ziel unseres Auftrags sein.” Ein Bildschirm hatte sich selbständig angeschaltet und Andre grinste ihnen wie ein Honigkuchenpferd entgegen.

„Andre! Könntest du es unterlassen, andauernd auf Bildmitteilung zu schalten!” zischte Sy'la ihn nicht begeistert entgegen. Die junge Frau lag noch im Bett neben Alexa, immer noch nur mit einem Handtuch bekleidet. Eilig zog sie es fester.

„Ach... mach dir doch keine Umstände Süße, von mir aus könntest du auch nackt rumlaufen.”

„Du wirst dich nie ändern, Andre!” Sy'la schnappte sich ein Kissen, das in ihrer Nähe lag und warf damit Richtung Monitor.

Der Mensch unterbrach lachend die Verbindung. Hatte er das Bordsystem wieder ausgetrickst! Der Jaridian schmunzelte. Andre war, wie alle Männer in seinem Alter, auf der Suche nach einem Weibchen, dass seinen Ansprüchen gerecht wird. Bei Sy'la hatte er jedoch keine Chancen.

 
* * *
 

Als das Pärchen die Zentrale betrat, stand Andre direkt neben Peter Combe und unterhielt sich mit diesem. Als der junge Wissenschaftler die Anwesenheit der beiden bemerkte, war Sy'la schon neben ihnen.

„Gibt es etwas zu berichten, seit unserer letzten Unterhaltung?” fragte ihn Sy'la mit einer schon fast kalten abweisenden Stimme. Frecher Kerl!

„Hey, wo hast du denn dein Handtuch gelassen? Mit dem gefielst du mir aber viel besser.” Andre hatte dieses hemmungslose Grinsen wieder aufgesetzt.

„Junge, such dir endlich mal ne anständige Frau, die mit dir deine Triebe auslebt,” gab Sy'la es ihm spröde zurück. Peter, der hinter Andre an einem Pult hantierte, musste wirklich lachen.. Wenn diese zwei Personen in einem Raum standen, flogen bald die Fetzen. Der Jaridian-Ehemann war auch schon da, und wunderlicherweise überhaupt nicht böse über Andres Faxen. Er kam nach vorne, wo Peter stand.

„Wie sieht die Lage im Moment aus? Irgendwelche Ungereimtheiten? Fremde Schiffe?” fragte der Jaridian den Wissenschaftler mit seiner tiefen Stimme. Es war nur wenigen bekannt, dass Je'dir auch ein fundierte technische Ausbildung hatte und sich mit Wellenmessungen aller Art exzellent auskannte.

„Soweit scheint die Lage noch ruhig zu sein. Ich habe nirgendwo Strahlung oder sonstige Merkwürdigkeiten erfassen können. Roleta scannt automatisch alle Augenblicke die Umgebung, in der wir uns befinden.” Der ältere Herr rief ein paar Daten ab, die sich binnen weniger Sekunden auf dem Monitor über ihnen zeigten. „Ich habe auch schon eine Statistik über die Strahlungswerte des Sektors aufstellen lassen. Alles ist normal. Ab und zu mal ein fremdes Schiff. In 25 Minuten Flugzeit müssten wir auf diese berüchtigte Salzgegend stoßen.”

„Fliegen wir getarnt?” hakte der Je'dir nach.

„Seit einer ganzen Weile, Roleta ist seit Stunden auf Tarnmodus,” antwortete der Wissenschaftler und fügte misstrauisch hinzu: „Ich weiß nicht, aber dieser Sektor ist meinen Ansicht nach schon zu ruhig. Es könnte natürlich sein, dass die Rauschgifthändler ihre Schiffe ebenfalls getarnt haben.”

 
* * *
 

(Weit in der Vergangenheit, Planet Taelona: )
„Ra'maz! Ra'maz! Ra-da-maz!” Die Bevölkerung zeigte Begeisterung. Es hallte geistig wieder, war geradezu körperlich zu spüren. Immer wieder riefen die Anwesenden den Namen des Priesterkönigs. Ra'maz der Große - man fügte ihm den Ehrentitel „-da” in seinen Namen ein, machte ihn damit einzigartig, dreisilbrig, machte den Namensträger zum Halbgott, zum Heroen. Ra'maz - der, der das Volk erlöste und erhob. Der dem Volk das Salz des Lebens brachte. Der große Revolutionär.

„Wir sind alle Teil des Gemeinwesens und im Gemeinwesen leben wir ewig. Das Gemeinwesen sind WIR und wir gehören dem Gemeinwesen. Es wird für immer für uns Sorge tragen, und uns für immer geistig vereinen! Es gibt ab heute keine Individualität mehr, keinen privaten Besitz gleich welcher Art, keine individuellen Unterschiede, nicht einmal biologische Unterschiede. Innerhalb des Gemeinwesens sind wir alle gleich uns EINS, verschieden nur in unseren Berufungen zu einem Amt. Diese Einheit manifestiert sich in der Synode und ihrem jeweiligen Anführer, die dem Gemeinwesen gänzlich dienen. Ihre Stimme allein werdet ihr für immer hören! - Das Gemeinwesen ist alles! - Ein jeder diene dem Gemeinwesen an seinem zugewiesenen Platz! - Außerhalb des Gemeinwesens gibt es nichts als nur Irrtum, Verderbnis und Rückständigkeit. Innerhalb des Gemeinwesens gibt es keinen Hunger, keine Not, kein Leid, keinen Schmerz, keine Torheit - nur grenzenlose Bewusstheit!”

Die berühmten Reden Ra'maz leiteten eine revolutionäre Entwicklung in der taelonischen Geschichte ein und waren jedem Taelon von klein auf bekannt. Der Historiker der Taelons legte den Kristall beiseite und untersuchte die anderen uralten Aufnahmen auf den Speicherkristallen. Eigentlich suchte er nach erhaltenen Daten über die Kimera. Es existierte die Hoffnung, dass vielleicht irgendwo noch Kimera-Technik im Universum erhalten sein könnte. Waffen, um die Jaridians abzuhalten. Irgendwo war das Gerücht entstanden, dass es da und dort noch immer erhaltene Vorrichtungen geben sollte, eine Art Bibliothek oder Museum der Kimera.

Da waren die uralten, schon fehlerhaften Berichte aus den Urzeiten der Ur-Taelons, als das Volk noch keine Kimera-Gene besessen hatte. Die Ur-Taelons hatten sich innerhalb eines langen Zeitraums quer über ihre Galaxie verbreitet und darüber hinaus. Damals hatten sich Raumfahrer auf einem weit entfernten Planeten, auf der Suche nach lohnenden Schürfstellen, mit einem fremdartigen Material „angesteckt” und ihn nach Taelona gebracht. Die Folgen waren damals verheerend: Der Großteil der Bevölkerung ging elendiglich zugrunde. Die infizierten Überlebenden mutierten zu „Überwesen”, die sich blitzschnell bewegen konnten, über große Kräfte verfügten und einem kollektivistischen seelischen Zusammenhalt besaßen. Die heutigen Taelons nannten diese prähistorischen Vorfahren von damals mitunter verächtlich („Atavus”, rückständige, nicht vollwertige) Prä-Taelons. Die Königlichen und die Priesterschaft konnten damals dem Prozess nicht Einhalt gebieten. Genau zu diesem Zeitpunkt des großen Sterbens hatten die Ur-Taelons das Interesse der Kimera erregt.

Die nachfolgenden Generationen der Prä-Taelons hatten die Kimera als Urheber allen Übels bezeichnet und die Kimera in einer Serie von Kriegen ausgerottet; der letzte der Kimera, ihr gefangen genommene Anführer Ha'gel, wurde zur grausamen Strafe in eine Kapsel gesetzt und für immer und allein in die Weiten des Alls geschossen, obwohl die Könige genau gewusst hatten, wie langlebig diese Energiewesen waren und wie schrecklich daher diese Strafe. Und nun (wohl eine Million Erdenjahre oder noch mehr später) wären viele Taelons glücklich, gäbe es noch irgendwelche Überbleibsel dieser Kultur, die man verwenden könnte.

Die damaligen Ur-Taelons hatten nicht nur die Gabe der Mimikry entwickelt, sondern waren auch sonst recht experimentierfreudig und überhaupt nicht abgeneigt, sich mit geeigneten fremden Spezies zu kreuzen, so um etwa leichter fremde Welten zu besiedeln. Diese Eigenschaft hatten sie mit den Energiewesen, den gefühlvollen Kimera, gemeinsam, die sich aus „Forschungszwecken” - oder als eine Art Entwicklungshelfer ? - mitunter offen oder heimlich in andere Spezies einkreuzten, mit den Fremden Kinder zeugten. Diese (Kuckucks-)Kinder waren äußerst sensibel und begabt und konnten der fremden Spezies wertvolle Hilfen zu ihrer Entwicklung geben.

Der Historiker wusste natürlich, wie schon viele vor ihm, dass die genetische Vermischung mit den Kimera nicht verantwortungslos oder gar aus Bosheit erfolgt war, obwohl gerade dies die offizielle Darlegung der Synode war: Dadurch erschien die Bestrafung der Kimera nachträglich für die entstandenen Mutationen als gerechte Tat. Die Rolle des Salzes dabei wurde verschwiegen. Nein - die Wahrheit war vielmehr, dass die Kimera offenbar den Ur-Taelons helfen hatten wollen. Die Ur-Taelons waren dabei gewesen, zu sterben. Offenbar war es so geplant gewesen, dass die fremden Gene der Kimera der Verseuchung und dem Massensterben der Ur-Taelons durch die eingeschleppten Kristalle Einhalt gebieten sollten. Ja, in der Tat - , die Sucht und der Einfluss der Kristalle wurden gestoppt. Die überlebenden Ur-Taelons starben tatsächlich nicht aus, sondern mutierten dank der Kimera zu den atavistischen Prä-Taelons, einer neuen Mischspezies. Eine verhängnisvolle Kreuzung: Das nunmehriges Erbe der Kimera war ein energetisch erweitertes Nervensystem, das „Shakaravah”. Dieses spezielle Erbe verlangte nicht nur eine biologische Fortpflanzung wie bisher, sondern auch die Mitbeteiligung der Energien des Shakaravahs dabei.

Und vor allem: die Prä-Taelons (Atavus) waren eine mißglückte neue Spezies. Diese überlebende „Atavus”-Form hatte einerseits durch die Infizierung und Mutation überlegene Kräfte gewonnen, andererseits durch die immunisierenden neuen dreisträngigen Gene einen viel zu hohen Energieumsatz und sie ging darausfolgend dazu über, überschüssige Energie entweder als Waffe abzustrahlen oder sich den fehlenden Energiebedarf zusätzlich zur Ernährung vampiristisch zu stehlen, etwas, was die Ur-Taelons nur ganz selten getan und im geringen Umfang vermocht hatten.

Die folgenden Jahrtausende waren geprägt von einer Welle des Abschlachtens ganzer Völker. Wer hätte denn ahnen können, dass die Gefühle, die bei den Kimera-Energiewesen „Liebe” ausdrückten, bei den weit niederer entwickelten mutierten Prä-Taelons sich als pure Leidenschaft und Wildheit erweisen würden. Liebe, doch viel mehr Leidenschaften, Krieg und Gier prägten die Shakaravah-Jahrtausende.

Bis Ra'maz der Große kam - der Erleuchtete oder der Teufel, je nachdem, auf welcher Seite man gerade stand. Und mit ihm kam das wiederentdeckte Salz, das Substrat, zurück. Inzwischen hatte sich die Prä-Taelon-Gesellschaft wieder in gemäßigtere Bahnen weiterentwickelt, und selbst das Aussehen der Prä-Taelons hatte sich in den vielen Jahrtausenden geändert. Dass Essen der Kryssenta, der Kryss-Pflanze, hatte sich inzwischen eingebürgert als eine Art Ersatz-Energiespender, und es unterdrückte irgendwie den fatalen dritten Erbgutstrang. Die religiöse Synode dagegen wollte ganz neue Wege beschreiten.

Das Salz, zu blauen Kristallen komprimiert und als bearbeitetes Substrat oder Energiedusche genossen, hob die Auswirkungen des erworbenen Shakaravahs und damit des dritten kimerianischen Erbgutstrangs auf. Das Volk vertrug nun das Substrat, und starb nicht mehr dran. Das Substrat erweiterte das Bewusstsein in schwindelnde Höhen, fügte die Taelons zu einem kollektiv denkenden Block zusammen, erhöhte ihr Energieniveau und verlängerte die Lebensdauer um ein Vielfaches. Die neue symbiotische Erscheinungsform der Taelons näherte sich dabei durch die Unterdrückung der materiellen Erscheinungsform frequenzmäßg denen eines Energiewesens an. - Aber: sie beseitigte ebenfalls alle Gefühle und auf lange Sicht auch die Zweigeschlechtlichkeit und alle Bindungen an die Materie. So, wie es die Mönche immer schon angestrebt hatten.

Des einen Freud’, des anderen Leid: nicht alle aus der Bevölkerung wollten oder konnten diesen Kurs mitmachen; sie wollten ihre Individualität, ihre Leidenschaft, ihre Sexualität und ihre Aggression behalten; unter ihnen viele aus der genetisch gezüchteten Kriegerkaste. Und während die neuentstandenen Taelons eine gesteigerte Lebenserwartung aufwiesen, wurden diese Lebenszeit (Lebensenergie) den Nicht-Abhängigen geraubt - wohl durch das seelen-kollektivistische Erbe! Die Auswirkungen der Folgen für das Kollektiv wurden ignoriert. Offenbar hatten die Taelons sich per Substrat die Vorteile geholt und alle Nachteile des dritten Genstrangs kollektiv irgendwie an die Außenseiter übertragen. Das harmonische seelische Gleichgewicht wurde solcherart zerstört. Hatten die einen jetzt viel zuviel kaltes Bewusstsein, hatten die anderen wegen des dritten Genstrangs heftige fiebrige und aggressive Leidenschaften.

Letztere Außenseiter in der Bevölkerung widersetzten sich dennoch Ra'maz' neuer Ideologie und der alles dominierenden Synode und flohen, blutig verfolgt von den neuen Taelons. Dabei hätten auch sie die Kristalle dringend zur Stabilisierung und Kühlung benötigt! Das ganze Ausmaß der fatalen Vorgänge wurde erst im Laufe der Zeit offenbar: und seitdem suchten die nach Jaridia Geflohenen in einem neuen übergalaktischen Krieg die Welten der Taelons heim, mit dem Argument - wenn erst genügend Taelons tot wären, würde das Kollektiv von sich aus zusammenbrechen und die Jaridians wären wieder stabilisiert.

Tatsächlich degenerierten die Taelons, und das Kollektiv schrumpfte durch den Krieg mit den kurzlebigen Außengebliebenen. Immer weniger Taelons waren fruchtbar, und wenn, so nur mit ausgefeilten Techniken und Gerätschaften. Immer weniger waren kreativ oder bemühten sich um eine wissenschaftliche Erfindung. Die gesamte Gesellschaft, so ohne Tod, so ohne Geburt, so alle ganz gleich, stagnierte, stand still, fiel zurück. Die Gesellschaft lag in Agonie, der Anflug der Jaridian-Flotte war nur der Schlusspunkt in einem Prozess des Dahinsiechens.

Die momentane Musik, zuletzt komponierte Werke, die nun aus dem Mini-Übertragungsgerät des Historikers zu hören war, dieses wehmütige Singsang mit den ziehenden, langen Tönen, passte zur verzweifelten allgemeinen Stimmung. Wenn Wu'lai aus seinen Fenstern aus virtuellem Glas blickte, auf die pink- , gelb- und blaufarbig leuchtenden Wolken, auf die vielen in verwischten Farben leuchtenden Inseln im Blütenmeer, mit den spitzen Steindolmen, den grazilen, aus bläulichem Samen gewachsenen typisch-bizarren hohen Gebäuden und dem Nebel auf den warm-feuchten Gewässern, so sah er fast keine jungen Taelons mehr unten im Wasser schwimmen. Die Klöster, wo die empfängnisbereiten aggressiv gewordenen Taelons, rituell gebändigt, warten sollten, schienen so gut wie leer zu sein; niemand kam mehr zur Zeugung und Energieweitergabe. Die drei Monde, der kleinste in weiß, der mittlere in blau und der große in rot, wanderten über dem Himmel, und kaum einer beachtete mehr die religiösen und meditativen Riten und Traditionen.

Wu'lai spürte wie alle die drückende resignative Stimmung auf Taelona. Die im Kastenwesen erstarrten Taelons hatten kaum eigene Kriegsschiffe, und wenn, waren die Taelons zu vergeistigt, um selbst zu kämpfen und zu töten. Sie hatten versucht, Hilfsvölker einzusetzen und bezahlte Söldner - doch die Jaridians hatten sie hinweggefegt und einen Planeten nach dem anderen zerstört. Die jaridianischen Schiffe waren dabei relativ langsam; aber wohin sie schon selbst nicht kommen konnten, hatten sie die Galaxien mit gefährlichen automatischen „Minen” und Sonden in großer Zahl versorgt. Die Sonden sollten fremde Welten vor jeder Kollaboration mit den Taelons warnen oder eine sinnvolle Zusammenarbeit mit ihnen durch künstliche Replikanten unterbinden. Seine, Wu'lai's Aufgabe, war, die wichtigsten verfügbaren Daten zu sichten und auf das soeben fertiggestellte riesige Überlebensschiff der Taelons, mit seinem neuartigen Interdimensionsantrieb, zu überspielen. Demnächst würden die rangmäßig höchsten Vertreter der Taelons an Bord gehen. Nicht alle Taelons fanden darauf Platz - einige würden noch auf die kleineren Schiffe ausweichen können, der größte Teil der Bevölkerung aber musste bleiben - und untergehen.

Der Historiker rief das Mutterschiff. Ein Taelon, Fo'sor, meldete sich und materialisierte als blaues Holo-Abbild.

„Ich habe alle erforderlichen Daten zusammengestellt. Leider konnte ich in den Archiven keine Hinweise auf Kimera entdecken. Ich übertrage jetzt die Daten”, teilte er mit.

„Wir danken dir im Namen der Synode”, erwiderte Fo'sor.

„Wann wird die Flotte hier sein?” erkundigte sich Wu'lai reglos.

„In etwa (drei Stunden). - Möge das Schicksal euch gewogen sein, möget ihr in Frieden in die Leere gehen.” Der Taelon legte seine linke Hand auf das Herz und streckte seine gestreckte Rechte, die Handfläche nach oben, zum letzten Gruß aus, und neigte den Kopf. Wu'lai erwiderte den Gruß. Das Abbild verlosch.

Wu'lai blickte noch eine Zeitlang sinnend aus dem Fenster, um sich dann in seinen Schlafraum zurück zu ziehen. Er legte sich den goldfarbenen Brokatumhang seiner Vorfahren um, den sie nur zu besonderen Anlässen getragen hatten, und legte sich auf die Liege. Als der Feuerstoss der Jaridians den Planeten erfasste, stiegen Abermillionen glitzernde seelische Lichtfunken in den Sternenhimmel der Leere empor.

Viele, viele hunderttausende Taelons starben auf Taelona. Und mit ihnen die Natur, die Tiere und Pflanzen, die Steine, das Wasser, der schöne Himmel. Die Jaridians hatten mit ihrer eigenen alten Heimat keinerlei Erbarmen. Es gab bei ihnen keinen Mittelweg - ein Krieg bedeutete immer vollkommene Vernichtung. Zurück blieb ein völlig verbrannter, zerstörter , atmosphäreloser Planet, so öde wie ein Mond. Die Taelons hatten ihre Heimatwelt militärisch genauso wenig halten können wie die anderen zerstörten Welten. Die Erschütterung im Kollektiv war ungeheuerlich und schnitt mit einem scharfen Schmerz mitten in die Seele der Taelons. Sie flüchteten sich in das Substrat und löschten die letzten noch erhaltenen Gefühle aus. Nie mehr daran denken! Vergessen! Flucht!

‚Rache!’ brannte es in einem jüngeren, noch gefühlvollen Taelon. Verhältnismäßig jung, doch bereits Synodenmitglied. ‚Wir werden uns in Zukunft MIT ALLEN MITTELN verteidigen, koste es was es wolle! Und wenn es das Leben von tausenden Hilfsvölkern kostet. Aber die Jaridians WERDEN für diesen Frevel zur Verantwortung gezogen werden.’ Und so wie Da'an sprach auch mit der Zeit die Synode gesamt. Auch als sie alle schon lange keine Gefühle mehr besaßen.

 
* * *
 

(Noch immer weit zurück in der Vergangenheit über Taelona, im dunklen kühlen Flaggschiff der feindlichen Flotte:)
„Das Evakuierungsschiff ist entkommen”, grollte der militärische Oberkommandierende der Jaridianflotte über Taelona hitzig. „Sie werden das Substrat und damit die Infizierung weiter durch alle Galaxien tragen, als ob es nicht genügt, dass die blauen Kristalle uns süchtig und abhängig gemacht haben. Und dieser Pest folgt ihre Gemeinwesen-Doktrin!”

„Wir brauchen die Kristalle zur Energiegewinnung und Kühlung, und gleichzeitig ist es unser größtes Unglück”, erwiderte sein Stellvertreter. „Wie tragisch.”

„Mit jedem Taelon, der am Leben bleibt, schwindet unsere Lebensdauer! Fluch den Taelons”, sagte der Oberkommandierende. „Wir können ihnen nur hinterherjagen, weitere Planeten verbrennen und daneben unseren vielen Kindern beim Sterben zusehen.”

„Ober-General!” rief ein Jaridian, der die Ortungsgeräte überwachte. „Sieh doch!”

Der Oberkommandierende wandte sich zum Schirm und wurde, mit der gesamten Zentrale, Zeuge eines seltsamen Phänomens: ein verschwommenes dunkles Irgendetwas, ein flackernder Schatten ohne rechte Kontur, tauchte hinter der Sonne hervorkommend auf. Es wurde nur sichtbar durch die mangelnde Reflexion des Sonnenlichtes.

„Was ist denn das?” wunderte sich der Stellvertreter. „Kein Sonnenfleck, keine Eruption, kein Asteroid! Sieh dir den Kurs an - das muss ein getarntes Raumschiff sein. Ein fremder Beobachter?”

Und schon war das gespenstische „Ding” weg, so rasch wie es aufgetaucht war.

 

 

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