Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Die Puppenspieler” von Sy'la, Predator und Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   August 2003
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorinnen.
 
Thema:  Während auf der Erde merkwürdige Gangs ihr Unwesen treiben, halten die rachsüchtigen Eingeborenen von Wanaban die von Bord entführten Kinder unter schlimmen Bedingungen gefangen, und die Crew sucht sie verzweifelt. Werden sie die Kleinen rechtzeitig befreien oder sie verlieren?
Zeitpunkt:  das Jahr 2333
Charaktere:  Audre, Fingers und Colt auf der Erde; der Kriminalagent Konrad Stoller, Cornelia Katz, Peter J. Combe; Sy'la mit ihrer Tochter Alexa, Ariel mit Tochter Bethany; die Taelons Da'an, Ko'lan, Mur'ru, Ka'sar, Ken'tau und Dar'den; die Jaridians Je'dir, Rj'lev und Palwyr, Korn't und Trestim, ihre Kinder Wanjak und Hakar; die jugendlichen Taelons; die künstliche Schiffsintelligenz Roleta; unsichtbare Existenzen; der Vrenne Bremzen Asse, Eingeborene von Wanaban; Queen Camilla, Prinzessin Anne und Premierminister Lord Blair in einer Nebenrolle.
 

 

DIE PUPPENSPIELER

Kapitel 3

 

Teil 1

(An Bord der Roleta, vor Wanaban:)
Nun, sie waren in Schwierigkeiten geraten. Die Entführung der Kinder am Bord hatte für große Aufregung gesorgt. Dieser Bremzen Asse war nur reine Ablenkung gewesen, damit heimlich Portale installiert werden konnten. Die Situation war äußerst besorgniserregend. Roleta hatte dafür gesorgt, dass sie die Richtung der Interdimensionswelle bestimmen konnten, und binnen weniger Minuten hatte das Schiff die ungefähren Daten des Zielortes: Wanaban wurde ihre nächste Etappe heißen.

Sy'la schlug zornig mit ihrer rechten Hand gegen eine Konsole des Schiffes, die in der Zentrale stand. Niemals hatte sie Je'dir so wütend erlebt, auch die anderen staunten ein wenig. Die, die eigentlich als eine der ersten immer einen kühlen Kopf behielt, war nun so aufgebracht, dass sie sämtliche Geräte hätte zusammenschlagen können. „Ich muss dich bitten dies zu unterlassen, oder ich werde dich in einer Zelle unterbringen müssen, bis du dich wieder beruhigt hast,” sagte Roleta, die nun als Hologramm im Raume zu sehen war. „Du verletzt dich noch.”

„Das kann doch einfach nicht wahr sein!” schimpfte sie, ihre Augen funkelten dabei gefährlich, als hätte sie Lava im Blut. „Diese Bestien werden nicht ungestraft davonkommen! Nicht solange ich noch lebe!” Mit einem traurig-zornigen Blick sah sie zu Da'an rüber, der nervös begonnen hatte, mit seinen Armen zu sprechen. Er unterhielt sich wohl gerade geistig mit den anderen Taelons. „Und ich habe sie in die Kantine geschickt, wie konnte ich nur so dumm sein und...”

„Emotionen bringen uns nicht weiter. Du kannst nichts dafür, Sy'la, dieser Bremzen Asse hat uns einfach getäuscht,” versuchte Da'an sie zu beruhigen. Als die Mutter diesen Namen hörte, bekam sie Gänsehaut, aber nicht vor Angst und Schrecken gegenüber diesen Wesen. Nein! Vielmehr aus Hass und Zorn. Hätte sie diesen Typen gerade jetzt zu Gesicht bekommen, hätte sie ihn eigenhändig zerfetzt. Als wäre sie ein Jaridian. Heftig schüttelte sie vor innerem Schmerz den Kopf und verließ ohne ein Wort die Zentrale. Sie konnte einfach nicht mehr, sie musste raus aus diesem Raum und sich irgendwo abreagieren. Je'dir eilte ihr mit schnellem Schritt nach.

Mur'ru erblaute, als sie den doch sehr heftigen Wutausbruch der Hybridin mit ansehen musste. „Ich wünschte, das wäre niemals geschehen,” sagte sie mitfühlend, den Kopf nach unten senkend.

„Wie Da'an eben erwähnt hat, wir können nichts für diesen Zwischenfall,” sagte Ka'sar ruhig und hielt Mur'ru im Gemeinwesen mental fest.

„Dennoch schrecklich. Das hätte unseren jungen Taelons auch passieren können, warum ausgerechnet die Kinder mit Jaridian-Genen?”

„Ich habe keine Ahnung,” erwiderte Ka'sar, stützte seine Partnerin gedanklich sanft und hüllte sie in wohltuende Wärme ein. Er fühlte ihre Schuld, als wäre es seine eigene. „Wanaban ist in Sicht,” sprach es aus sämtlichen Lautsprechern der Zentrale. „Durchmessungen, Lage und Sektor werden gerade überprüft. Schutzschild ist aktiviert. Scannung des Gebietes, auf Waffen und Schutzvorrichtungen erfolgt.”

Nun lag dieser so berüchtigte Planet vor den Augen der Jaridians, Taelons und Menschen.
Mit etwa 14. 023 km Durchmesser war diese Welt etwas größer als die Erde. Die fast überall kahle graue Oberfläche war größtenteils mit schwarzen Flecken überzogen. Bevor die Jaridians hier ihre Waffen auf dem Planeten gefeuert und da und dort die Ozonschicht zerstört hatten, ähnelte dieser Planet auch äußerlich der Erde. Doch jetzt war es ein elendes Stück des Weltraums, die überlebenden Bewohner waren zudem lange versklavt worden. Als die Jaridians endlich fort flogen, ohne wiederzukommen, spalteten sich die freien Bewohner in zwei Schichten: Die einen besaßen jetzt die noch intakten Gerätschaften der Jaridians, die anderen standen vor dem Nichts. Die ganze Gesellschaft spaltete sich in „unzählige Arme” und „wenige Reiche und Mächtige”.

„Laut meinen Aufzeichnungen befinden sich hier im Raum etwa 10.356.849 Millionen Sprengsätze, dieser Sektor ist somit extrem vermint. Wir sollten aufpassen, wohin wir fliegen,” gab Roleta zu bedenken.

 
* * *
 

(Eine Botschaft:)
„Wir auf Wanaban haben erfahren, dass wider erwarten noch Todfeinde existieren - nämlich an Bord eures Schiffes! Wir haben den Götter damals gedankt, dass deren Ausrottung beschlossen worden ist. Nun kooperieren diese Taelons bei euch schändlicherweise noch mit dieser Pest des Universums, den Jaridians. Ihr Fremden an Bord - mischt euch nicht ein, falls ihr noch irgendwo Ehre im Leib habt!

Die Jaridians haben unseren Planeten zerstört, mit unseren lieblichen Wäldern und Teichen, unserer unvergleichlichen Flora und Fauna. Alles ist heute Asche, in der wir Überlebenden dahinsiechen, zum Teil krank, zum Teil mutiert. Nicht genug damit, haben sie die Überlebenden versklavt. Wir waren nur Kanonenfutter und Vieh, und nur weil wir vorher dem Imperium der Taelons angehört hatten.

Unsere Väter und Mütter haben auch geweint um uns, ihre Kinder. Sie haben geweint um unseren Verstand, denn die Jaridians gebrochen haben, um die Schläge, die wir erhalten haben, um die Toten der Hinrichtungen. Wir sagen daher den Jaridians: Der Tod ist nicht genug für euch! Ihr sollt weinen, wie wir geweint haben, und leiden, wie wir gelitten haben.

Wir haben eure Kinder über den ganzen staubigen Planeten verteilt: ihr findet sie nie! Sie sind gut abgeschirmt! Dort werden wir sie langsam zu Tode quälen, Stück für Stück, sie sollen nicht essen und nicht schlafen, und ihr sollt dabei zusehen. Weint wenn ihr könnt! Euch zu zerbrechen, das soll unsere Rache sein.

Wir sind ein totes Volk. Tötet uns, wenn ihr wollt. Aber eure Kinder nehmen wir mit uns.”

Das Bordgehirn blendete nun die Nachricht, welches sich auf dem Informationskristall von Bremzen Asse befunden hatte, aus. Alle Anwesenden waren zutiefst betroffen.

In der Tat war das überlebende Volk auf Wanaban mutiert. Ursprünglich lebten da Vierhufer, die ein wenig an kleine Zentaur aus der irdischen griechischen Mythologie erinnert hätten. Mit einem fast humanoiden oberen Körperteil und klauenartigen Armen. Sie waren, noch unter dem Imperium der Taelons, etwas weiter entwickelt gewesen wie die Menschen auf der Erde. Die meisten Wanabans waren jetzt jedoch steril, und wenn doch Kinder geboren worden, so waren sie häufig entstellt. Der eine Teil der Bevölkerung hauste noch aus Angst unter der Erde, obwohl die Zerstörung Wanabans schon so lange her war, aber diese kollektive Angst hatte sich sogar im Erbgut niedergeschlagen. Der andere Teil hatte mit den Jaridians, ihren Sklavenhaltern, begonnen, zusammenzuarbeiten und am Ende nach deren Verschwinden deren Technologie annektiert. Ohne Zweifel steckten die dahinter - oder doch nicht? Woher kam die ominöse dritte fremde Komponente der benutzten Technologie?

„Wir haben keine andere Wahl!” rief die Jaridianerin Trestim verzweifelt. „Wer weiß, was sie schon jetzt unseren Kleinen angetan haben! Wir werden sie niemals rechtzeitig finden. Wir müssen sie erlösen, den Planeten vollkommen zerstören. Besser das, als sie zu Tode quälen zu lassen!”

„Besser ein ehrenvoller Tod als so ein Schicksal”, gab Korn't, ihr Mann, ihr Recht. „Der Tod ist nicht schrecklich, nur das Leben.”

„Wir sollten auf die Oberfläche und jeden verdammten Einwohner verhören, denn wie finden. Ich kenne da alle mögliche wirksame Mittel dafür”, schlug der ältere Jaridian Rj'lev vor. „Es ist eine Frechheit von Sklaven, sich das anzumaßen!”

„Ich darf daran erinnern, dass die Jaridians die Situation auf dem früher so blühenden Planeten Wanaban verursacht haben”, meinte Ko'lan kühl. „Ich frage mich nur, wieso mein Kind mit Ariel dafür büßen soll.”

„Überhaupt wäre es zuerst sinnvoll, einen Weg zur Oberfläche zu finden. Und dann müssen wir mit der Bevölkerung SPRECHEN. Vielleicht sind sie uns Taelons gegenüber aufgeschlossener”, sagte Da'an. Er deutete mit einer eleganten Handbewegung auf einen 3D-Schirm. „Das gesamte Gebiet ist zwar vermint, dennoch können Schiffe starten und landen. Also muss es Intervalle geben und gewisse Flugweisen zur Passage. Und möglicherweise können wir ein Interdimensionsportal hinunterschicken. Oder eine Teleportation versuchen - Roleta, kannst du das?”

„Nein, bedauere, nicht in dieser Weise wie die Zazas”, antwortete die künstliche Intelligenz sofort. „Aber ich werde mir diese Minenfelder ansehen. Sie beseitigen dauert zulange. Vielleicht finde ich tatsächlich eine Passage für ein Portal. Mit dem könnten wir dann zur Oberfläche hinunter. Sofern es nicht Kraftfelder gibt, die sie unwirksam machen. Das glaube ich allerdings nicht - die taelonische Interdimensionstechnologie wurde den Jaridians erst im letzten Augenblick vor ihrem Verschwinden verraten, soweit ich informiert bin.”

Auf jedem Fall lief die Zeit davon.

 
* * *
 

(Irgendwo in Mitteleuropa:)
Der Himmel öffnete seine Schleusen.
Missmutig stapfte Audre durch den strömenden Regen. Ihre schweren, unförmigen Wanderschuhe, die sie tagtäglich getragen hatte, sogen sich nun voll mir der Nässe, genauso wie sie ihre Kleidung unerbittlich durchdrang, was ihre Laune nicht gerade besserte.

‚Hättest du dem Hund nicht helfen können, du Dingsbums du!’ In ihre Trauer kroch unaufhaltsam immer mehr Wut, ‚Immerhin hast du mich zwar davor gerettet, aufgefressen zu werden, doch mein Hund hätte wahrscheinlich nicht sterben müssen! Warum hast du ihm nicht geholfen?’ Trauer und Wut vermischten sich zur reinen Anklage, ,Ich bin sicher, dass du das gekonnt hättest! Warum hast du ihm nicht geholfen?’

‚Alles hat seine Zeit.’

Audre ließ diese Äußerung ohne Erwiderung stehen. Sie war jetzt nur noch müde.
In diesem Vorhang aus Wasser konnte sie nur verschwommen ihr Umfeld erkennen. Doch verbissen stapfte sie weiter. Sie wusste, dass in wenigen Stunden die Nacht hereinbrechen würde, und sie wollte noch davor das Dorf erreichen.

Der Regen ging in ein leises stetes Nieseln über. Während eine diffuse Dunkelheit langsam mehr und mehr an Raum gewann, erkannte sie eine Ansammlung dunklen Dächern verschwommen durch die Bäume schimmern.
Hoffnung auf einen Schutz vor dem Regen und den Schrecken in der Dunkelheit beflügelte ihren Schritt. Sie fror in ihrer nassen Kleidung, Müdigkeit und Hunger nagten an ihr.

Was für ein Schock, als sie aus den Bäumen trat und die Häuser im Zwielicht deutlicher erkennen konnte.
Kaum eines dieser wenigen Gebäude war noch unversehrt. Dächer waren zum Teil eingestürzt, anderen Häuser waren in sich zusammengesunken, wie von einer Faust niedergedrückt. Die Straße aufgewühlt, ganze Platten des ehemaligen Asphaltbelages lagen aufgebrochen und wirr überall zerstreut, vermischt mit dem Glas ausgebrochener Glasscheiben.

Sprachlos und fassungslos nahm Audre das Chaos in sich auf. Hier konnte unmöglich noch irgend jemand leben.

Schaudernd und zögernd ging sie in dieses Chaos hinein. Vielleicht fand sie wenigsten einen kleinen Raum, indem sie sich ein Feuer machen konnte, um sich zu wärmen und zu trocken und nicht vom Regen aufgeweichtes Essen zu sich nehmen zu müssen.
Sie stapfte müde auf ein Haus zu, das tatsächlich noch aus einem Dach und drei Wänden bestand. Äußerst vorsichtig kletterte sie über den Schutt der eingebrochenen Wand. In der zunehmenden Dunkelheit konnte sie erst nur wenig von dem Raum erkennen, doch dann spürte sie eine zwar nicht wahrnehmbare Veränderung. Sie konnte tatsächlich in alles in aller Deutlichkeit sehen und erkennen. ‚Machst du das?’ fragte sie ihre innere Begleitung. Sie erhielt keine Antwort.

„Zum Teufel, wer bist du und was machst du hier!” fauchte eine wütende keifende Stimme hinter ihr. Audre wirbelte herum und starrte die schmale gebeugte Gestalt fassungslos an.

„He, kannst du nicht reden? Los, was machst du hier? Du hast hier nichts zu suchen!”

Audre starrte in den Lauf einer abgesägten Schrotflinte, die auf vier Metern hektisch vor ihr hin und her hüpfte, dabei immer entweder ihr Gesicht oder ihre Brust bedrohend. „Immer ruhig, immer langsam, Mann. Ich suche nur eine Schlafmöglichkeit für die Nacht hier. Ich bin nicht bewaffnet. Aber ich habe einen langen Weg hinter mir und bin nass und hungrig und verdammt schlecht gelaunt. Lass mich hier einfach pennen und morgen bin ich wieder weg.”

Das Kichern des Alten wirkte auf Audre irgendwie nicht so ganz normal und sie richtete sich innerlich darauf ein, es mit einem Verrückten zu tun zu haben. „Du willst hier pennen?” kicherte es boshaft in ihren Ohren.

„Ja, wenn du nichts dagegen haben solltest!” Die Schrotflinte senkte den Lauf auf den Boden. „Wenn ich nichts dagegen haben sollte? Nö, habe ich nicht. Aber, falls du es nicht weißt, es gibt hier in der Gegend ein Löwenrudel. Die haben natürlich auch nichts dagegen,” er lachte jetzt hämisch, „wärst zwar eine etwas magere Beute, aber immerhin etwas zwischen die Zähne.”

Er trat jetzt näher und starrte sie aus kurzsichtigen, hell schimmernden Augen an. Audre musterte das alte faltige Gesicht, die gebeugte Haltung und die gichtigen Finger, die diese Schrotflinte nur mit Mühen zu halten schienen. Irgend etwas in Gesicht und Haltung ließ ihre Erinnerung an Fingers lebendig werden. „Fingers?” fragte sie leise.

„Hm?” knurrte es unsicher zurück

„Ich bin Audre, Fingers.”

„Audre?”

„Ja, erinnerst du dich? 'Die Sonne küsst den Scheitel des Mondes’ ?”

Er trat noch näher, so dass sich ihre Nasen fast berührten. Audre wurde bewusst, dass er sie, kurzsichtig wie er war, in dieser Dunkelheit überhaupt nicht erkennen konnte, er sah sie nur als dunkleren Schemen, einen Schatten ähnlicher, als einem Menschen. „Warte, Frau. Das geht so nicht. Ich erkenne dich nicht. Komm mit. Ich lebe nicht weit von hier. Dort habe ich Licht und dann schau ich mir dich genauer an. Komm.” Er drehte sich um und ging auf krummen Beinen, gestützt auf seine Flinte, die er wie eine Krücke benutze, langsam humpelnd vor.

Audre folgte ihm. Tief in sich spürte sie eine tiefe Enttäuschung. Wie konnte ein derart alter Mann, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, geschweige den richtig sehen konnte, und schon gar nichts mehr fest anfassen konnte, ihr auf diesem Weg Hilfe geben können, selbst wenn er es gewollt hätte? Wie konnte sie nur geglaubt haben, dass die Zeit an ihm spurlos vorüber gegangen war? Er hatte früher immer so stark gewirkt, so als ob nichts ihn jemals berühren würde können, auch nicht die Zeit.
Sie seufze tief vor Hoffnungslosigkeit.

 
* * *
 

In der zunehmenden Dunkelheit, begleitet von einem ständigen Nieselregen, der ihr furchtbar auf die Nerven ging, da er ihre Sicht verschleierte, folgte sie Fingers heller aus der Dunkelheit leuchtenden Glatze aus dem Dorf heraus in Richtung steil abfallender zerklüfteter Berghänge. Mit dem Näherkommen erkannte sie ein unregelmäßiges Rechteck senkrecht in der Bergwand, auf die der alte Mann jetzt zuhielt. Es hob sich merkwürdig glatt gegen die sonst bizarre, von Stein und Wurzeln gebildete Wand ab. Fingers schnaufte jetzt wie ein Streckenläufer nach 1000 Meter.

In Audre zuckte tiefes Mitgefühl auf. Es musste für Fingers eine furchtbare Anstrengung darstellen, mit derartiger körperlicher Hinfälligkeit diesen doch recht weiten und beschwerlichen Weg zu bewältigen. Sie ahnte auch seine Schmerzen bei jedem Schritt. Gerne hätte sie ihn gestützt und geholfen, doch noch waren sie sich nicht mehr so vertraut, wie es einmal war. Und selbst damals, sie seufze, nahm er nicht gerne Hilfe für sich an. Sie hatte sie ihm immer regelrecht aufzwingen müssen.

Fingers trat nun vor dieses Rechteck, das Audre jetzt als eine recht große Tür aus Metall erkannte, und stieß sie mühsam nach innen auf. „Herein mit dir, Frau,” keuchte er atemlos. Sie betrat nach ihm einen grob in den Berg gehauenen, vom Kerzenschein warm erleuchteten Raum, von dem mehrere unregelmäßige schwarze Öffnungen tiefer in den Berg hineinführten. In der Mitte des Raumes erkannte sie eine weitere Person, eine junge blasse, kurzhaarige Frau, die an einem roh gezimmerten Tisch auf einer Bank saß und mit irgend etwas darauf beschäftigt war. Diese hob erschreckt den Kopf und musterte Audre, wobei sie aus ihrem Misstrauen keinen Hehl machte. „Wer ist das, Fingers?” Ihre Stimme kam schneidend und abweisend.

„Haben wir gleich raus, Kleines,” brummte Fingers zurück. Er packte Audre an den Schultern und drehte sie zum Licht. Ruhig ließ sie seine forschenden Augen über sich ergehen.

„Audre,” murmelte er leise und betroffen, „du bist es wirklich. Ich fasse es nicht. Ich hatte nicht mehr mit dir gerechnet, nach allem was passiert ist. Und wie gut du ausschaust, als ob du nicht älter geworden wärst!” Er wandte sich der jungen Frau zu: „Das ist Audre, Colt. - Audre, das ist Colt, die Nachfolgerin von Knife.” „Hi,” murmelte die junge Frau zögernd. Audre nickte ihr kurz zu.

„Fingers, was ist passiert? Wieso liegt hier alles in Trümmern. - Ich war wohl zu lange fort -”

„Ja, um genau zu sein: 23 Jahre, 5 Monate, 6 Tage, 7 Stunden und ca. 45 Minuten...! - Ohne genaue Uhr kann ich dir die Minuten und Sekunden nicht mehr sagen, Audre. Aber du warst so lange weg, dass ich dich tot geglaubt habe. Egal. Jetzt bist du da. Du brauchst trockene Kleidung und du hast sicher Hunger und Durst. - Colt, gib ihr was Frisches zum Anziehen, ich koch’ uns was und danach reden wir, Audre.” In seinen Augen, die sie immer noch musterten, als ob sie nicht glauben könnten, was sie sahen, schimmerte es feuchter: „Danach reden wir, Audre! Es gibt viel zu erzählen!” Er nickte jetzt geistesabwesend vor sich hin und humpelte zu einer offenen Feuerstelle im linken hinteren Teil der Höhle, die Audre noch nicht bemerkt hatte.

Colt nickte ihr zu und führte sie in einen angrenzenden kleinen Raum. Dort öffnete sie eine größere Truhe: „Bedien’ dich, Audre. - Alles ist sauber, ich hab die Sachen selbst gewaschen,” betonte sie, als ob sie mögliche Kritik im Keim ersticken wollte. Audre schmunzelte darüber, selbst verdreckte Kleider hätte sie den nassen, die sie am Leib trug, vorgezogen. Colt ließ sie wieder allein, und Audre entledigte sich endlich ihrer durchweichten Sachen.

Als sie kurze Zeit später, sich so richtig wohlig und warm fühlend in den trockenen Kleidern, den Wohnraum betrat, deckte Colt gerade den Tisch. Das Geschirr war sauber, doch kein Stück mehr unversehrt. Audre ließ sich auf der wackeligen Bank nieder und sah sich aufmerksam um. Ihre Blicke streiften über roh ausgeschlagenen Fels, zu Nischen, in denen verbeulte Töpfe und Pfannen standen, angeschlagene Tassen und Gläser, verbogenes Besteck lag auf einem ordentlich getrennten Haufen. Angeschwärzte Truhen und Schränke standen an den Wänden. Fingers hantierte mit einem großen Topf, der über der Feuerstelle an einem sichtbar zusammengebastelten Dreifuss hing. Colt folgte ihren Blicken: ”Das haben wir alles aus den Häusern rausgeholt...” „Lass mal, Colt,” unterbrach Fingers sie, ”nachher haben wir genug Zeit ihr alles zu erklären.”

Wieder bewies Fingers seine Kochkunst. Die heiße Suppe verscheuchte den Rest von Kältegefühl in Audre und der Geschmack verwöhnte ihren Gaumen. Sie hatte wirklich vergessen, wie gut etwas schmecken konnte.
Colt räumte die Sachen auf ein notdürftig an der Wand befestigtes Brett und brachte Gläser und eine Weinflasche mit zurück. Sie schenkte gekonnt ein und setzte sich wieder zu ihnen.
Und Fingers erzählte.

Er erzählte davon, wie die Welt plötzlich und unvorhersehbar von den Tzeks angegriffen worden war. Von den Schiffen dieser Außenweltler, deren Anzahl den Himmel verdunkelt hatte, die alles töteten, was sie sahen. Von der Ohnmacht der Menschen, der Flucht der letzten Taelons Da'an und Ho'shin und dem Kampf gegen die Vernichter. Er erzählte vom Verschwinden von London. Und er erzählte, wie er selbst, mehr aus Glück, denn aus Voraussicht, den Angriff der Tzeks in seinem Bergwerk, in dem er sich zufällig aufgehalten hatte, überlebte. Er erzählte, dass es keine Toten gegeben hatte, die zu beerdigen waren, es gab damals nur Trümmer und sonst nichts und niemanden mehr. Alle Menschen waren einfach weg, verschwunden, als ob sie nie existiert hätten. Alle Bäume, sogar jeder Wurm. Dafür haufenweise Asche überall. Er erzählte, dass Colt in dieser Zeit von Hamburg bis hierher geflohen war, mit den wenigen Batterien für ihr Fluggerät, die noch übriggeblieben waren, und die noch die einzige Verbindung zur anderen Welt dargestellt hatten, bevor auch sie ihren Geist aufgegeben hatten. Er erzählte von seiner und Colts Suche nach Kleidung und Geschirr und Essen in den Trümmern der Häuser, um selbst zu überleben, wobei er nie so recht gewusst hatte, wozu er überleben sollte. Er erzählte von seiner und Colts Trauer und Hoffnungslosigkeit.

„Doch gestern haben Colt und ich beschlossen, meinen Berg zu verlassen, Audre. Wir sind schon am Packen. In den nächsten Tagen wollen wir aufbrechen. Wir wollen sehen, ob noch andere von unsere „Familie” überlebt haben. Wir wollen herausfinden, wie unsere Welt jetzt aussieht, was in ihr vorgeht. Und ob uns jemand brauchen kann.” Er zwinkerte Audre zu. Offenbar hatte er bereits etwas geplant.

Colt, der dies nicht entging, grinste. „Du bist gerade noch zur rechten Zeit aufgetaucht, Audre. Kommst du mit uns?”

Fingers Blick hing erwartungsvoll an ihrem Gesicht. „Ja, Fingers, ja, ich komme mit.” Fingers nickte und lächelte erleichtert: „Doch eines wüsste ich schon noch gerne, Audre.” - „Hm?” - „Warum bist du zurück gekommen?”

Audre wich den fragenden Blicken Fingers und Colts aus: „Ich weiß es nicht,” knurrte sie unbehaglich.

Fingers Augen taxierten sie: „Ich kann mich erinnern, dass du immer gesagt hast: du weißt nicht, warum du was tust, und es gab immer irgendeinen Ärger und danach hast du es immer sehr genau gewusst, Audre. Sind wir nicht beide langsam zu alt für dieses Spielchen?”

Audre musterte die zwei sie gespannt beobachtende Gesichter. Innerlich wand sie sich. Wie sollte sie ihnen erklären, dass sich in ihr eine Energie eingenistet hatte, für die sie etwas in Erfahrung bringen musste? Nein, sie würden es nicht verstehen, geschweige denn glauben. Es war einfach zu verrückt.
Sie lenkte ab: „Wie wollt ihr denn hier wegkommen? Du bist viel zu gebrechlich um lange zu wandern, Fingers.”

Fingers zuckte leicht unter diesem deutlichen Hinweis auf seine Gebrechlichkeit zusammen.

„Wir haben ein Taelon-Shuttle, Audre. Es ist zwar insoweit beschädigt, dass wir nicht sehr hoch fliegen können, aber es fliegt noch. Damit kommen wir hier weg,” antwortete ihr Colt.

Audre nickte zustimmend. Es interessierte sie nicht, wie dieses Shuttle hierher kam, noch nicht, im Augenblick interessierte sie nur noch eine Möglichkeit zu schlafen. „Ich bin so müde, Leute. Wo kann ich schlafen?”

Colt führte sie ohne Umstände in einen anderen Raum, auf dessen Boden Matratzen und Decken lagen. Audre warf sich erleichtert auf die erstbeste Matratze, die knarrend unter ihr nachgab, kuschelte sich in die Decken und schloss erschöpft die Augen.

 
* * *
 

(Auf Wanaban:)
Zusammengekauert saß das kleine Stückchen Elend in einer stinkenden Ecke ihrer Zelle, sagte kein Wort, rührte sich nicht. Das einzige, was an ihr noch zu leben schien, waren ihre großen Kinderaugen, die wissensdurstig alles ansahen, was ihr in der Zelle alles begegnete. Zum größten Teil waren es die verschiedensten Insektenarten. Aber auch Kriechtiere hatten keine Scheu vor dem kleinen Hybridenmädchen.

Die Türe wurde plötzlich aufgerissen, eine vierhufige Kreatur trampelte nicht ganz so lautlos hinein, ließ ihren Blick einmal in der dunklen stickigen Zelle schweifen und entdeckte die kleine Alexis, die versuchte, einen Ausweg zu finden, leider vergebens. Die dicke kalte Mauer hinter ihr gab keinen Ausgang frei. Sie nahm ihren Kopf zwischen ihren Beinen und fing langsam an, vor Angst zu weinen. Das kümmerte die Kreatur aber kein bisschen. Mit ihren klauenartigen Händen hievte er das kleine Ding hoch und schleppte sie neben sich her. Alexis schloss im Laufen schweißgebadet ihre Augen und versuchte an daheim zu denken, an ihre Mutter und an ihren Vater, an die Taelons und an ihre Freunde. Das half zumindest etwas, die Angst und den Durst zu vertreiben. Leise vor sich hin wimmernd fragte sie sich, wohin sie erneut verschleppt wurde.

 
* * *
 

Je'dir nahm seine Gefährtin in den Arm, versuchte sie zu trösten, ihr Halt zu geben, obwohl er selbst aus lauter Wut hätte Bäume ausreißen können. Man hatte ihnen das Liebste, das Wichtigste genommen, was sie hatten. Sy'la konnte nur noch heulen, selbst in den Armen ihres Gefährten konnte sie nur an ihre Tochter denken. Sie fühlte, dass es ihr schlecht ging, sie fühlte wie man sie quälte, obwohl sie nicht bei ihr war, aber irgend etwas Unerklärliches ließ sie das spüren, was ihre Kleine erlebte.

„Wir werden sie wieder bekommen, sie ist ein starkes und mutiges Mädchen, sie wird das überstehen,” sagte Je'dir so leise, dass man seine Worte kaum verstand.

Sy'la ließ den Jaridian los, ihren Kopf schüttelnd versuchte sie eine Erklärung zu finden. Warum denn ausgerechnet diese Kinder? Es war schlicht und einfach feige von den Wanabanern, dies zu tun. „Ich glaube nicht, dass es ihr gut geht, im Moment steht sie gerade unter Angstattacken, ist hungrig und durstig. Ich muss zu diesem Planeten, koste es was es wolle!” Sy'la verließ, ohne sich auch nur umzudrehen, mit Windeseile das Quartier. Je'dir, dem Bedenken wegen Sy'la kamen, versuchte kurz darauf ihren Schritten im Flur zu folgen, die sich nach einer Weile irgendwo verloren. Er esperte mit der Hand nach dem Klang der Schritte am Boden, doch sie war schon zu weit weg. Er vermutete, dass sie wieder zurück zur Zentrale gelaufen sei, um Neues zu hören. Schnell machte er sich auf den Weg dorthin.

Lautlos, wie immer, öffnete sich die Türe der Zentrale. Je'dir stürmte mit „einem Affenzahn” in den Raum, und versuchte seine Gefährtin zu entdecken. Sie war nicht da.

„Wo ist Sy'la? Hab ihr sie gesehen?” fragte er aufgeregt und mit schnaufendem Atem in die Runde.

„Sie war noch nicht hier, seit sie das letzte Mal mit dir die Zentrale verlassen hat,” antwortete Da'an von einem Sofa aus und drehte sich zu dem jungen Jaridian um, der ziemlich aufgelöst den Raum betreten hatte. „Was ist passiert?” Beruhigend bewegte er sanft seine Hände.

Ohne dem Taelon zu antworten, trat Je'dir bis nach vorne zur sich manifestierenden Roleta: „Ich würde gerne die Position meine Gefährtin erfahren.” Die elfenartige große Gestalt nickte kurz, sah einen Moment lang nachdenkend in der Luft, dann weiteten sich ihre Augen schlagartig. „Sy'la ist im Shuttlehangar. Ich habe die Vermutung, dass sie unüberlegt auf eigene Faust handeln will. Ich schalte alle Funktionen, die für eine Startvorbereitung notwendig sind, auf off.” Sie machte eine symbolische Geste, und das Shuttlehangar war außer Funktion gestellt.

„Sy'la wollte vermutlich die vor uns liegende Strecke mit einem kleineren Schiff überwinden. Ihre Chancen, in eine Mine zu geraten wären zwar deutlich vermindert gewesen, ihre Schutzschilde jedoch ebenso. Ohne meine Erlaubnis kommt hier keiner momentan raus, es ist besser so,” zischte Roleta ein wenig aufgebracht über soviel Dummheit von Seiten der Besatzung. Ohne auf sie zu hören rannte Je'dir aus der Zentrale in Richtung Shuttlehangar los.

 

 

Zurück zur Hauptseite von Susanne

Zurück zur Hauptseite von Sy'la

 

Zum Seitenanfang