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  „Aus den Tiefen der Zeit” von Sujen   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen gehören den Eigentümern von Mission Erde/Earth: Final Conflict. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Das Schicksal eines südamerikanisches Straßenmädchen wird zum Streitpunkt zwischen Da'an und Zo'or
Zeitpunkt:  Die Story spielt in der dritten Staffel, nach der Episode „Das Königsgrab”
Charaktere:  Arkana, Sandoval, Zo'or, Da'an, [Liam, Renee, Augur]
 
Widmung:  Für Jasmin!
 

 

AUS DEN TIEFEN DER ZEIT

 

„Im Gegensatz zu Dir möchte ich die Menschheit nicht versklaven.”
(Da'an zu Zo'or in „Der Selbstversuch”)

 

Prolog
 

In den engen Straßen von Bahia herrschte eine fröhliche, ausgelassene Stimmung. Es war Karneval, und die Stadt platzte förmlich unter dem Andrang der Touristen, die sich das Erlebnis, an einer der traditionellen südamerikanischen Feiern anläßlich des Karnevals teilzunehmen, nicht entgehen lassen wollten. Der Tequilla floß in Strömen. Bunt geschmückte Wagen, auf denen kaffeebraune, spärlich bekleidete Schönheiten zu Samba-Rhythmen die Hüften schwangen und Konfetti in die Menge warfen, durchzogen in einem schier endlosen Korso die Straßen. Die Stimmung war übermütig, und das Geld saß locker.
Niemand achtete auf das junge Indiomädchen, das sich flink und zielstrebig seinen Weg durch die Leiber der Männer und Frauen bahnte, die trunken von Alkohol im Rausch der heißen Musik, die von überall aus riesigen Lautsprechern dröhnte, in den Gassen tanzten. Wer hatte inmitten all dieses Glanzes und Glimmers schon Augen für eine magere Halbwüchsige in einem fadenscheinigen Kleid aus grobem Leinen, das abgetragen und an etlichen Stellen zerrissen war? Das Gesicht und die Arme des Mädchen waren ebenso schmutzig wie ihre nackten Füße und das lange Haar, das ihr bis hinab auf die schmalen Hüften reichte. Sie war so dünn, daß ein flüchtiger Beobachter sie leicht für einen Jungen hätte halten können. Ihr vom ständigen Hunger ausgezehrtes Gesicht wurde von großen, schwarzen Augen beherrscht, deren Ausdruck viel zu reif für ihr Alter war.
Mit schlangengleichen Bewegungen, die viel Übung auf diesem Gebiet verrieten, näherte das Mädchen sich einem untersetzten, hellhäutigen Mann, der vergeblich versuchte, sich vor der Hitze mit einem riesigen Strohhut mit ausgefranster Krempe zu schützen, auf dem in grellbunten Lettern I love Bahia aufgedruckt war. Der Schweiß strömte ihm in Bächen über das sonnenverbrannte Gesicht, und in regelmäßigen Abständen wischte er sich mit einem blau-weiß-karierten Taschentuch über die Stirn und das Doppelkinn, unter dem sein Hals fast vollständig verschwand.
Das Mädchen paßte einen dieser Momente ab. Dann beugte es sich blitzschnell vor und griff zu. Wie die meisten Touristen bildete auch dieser Mann sich ein durch die Verwendung eines Brustbeutels, den er unter seinem Hemd trug, hinreichend gegen Taschendiebstahl geschützt zu sein. Doch diese Sicherheitsmaßnahme stellte keine Herausforderung für jemanden dar, der vom Stehlen lebte. Gerade, als das Mädchen sich mit ihrer Beute zurückziehen wollte, kam hinter ihr eine Frau mit einer verspiegelten Sonnenbrille und protzigen Ohrringen ins Stolpern. Sie rang um ihr Gleichgewicht und prallte dabei gegen das Mädchen, was ihr die Aufmerksamkeit des schwitzenden Mannes bescherte. Sein Blick fiel auf die Geldbörse in der schmalen, braunen Hand - auf seine Geldbörse - und mit einer für seine Körperfülle erstaunlichen Geschwindigkeit packte er die Handgelenke des Mädchens.
Er hatte schlechte Laune. Es war heiß. Er schwitzte. Die halbnackten Schönheiten ignorierten ihn und flirteten lieber mit den glutäugigen Gigolos. Hätte er bessere Laune gehabt, hätte er gelacht und die Kleine, nachdem sie ihm seine Geldbörse zurückgegeben hatte, mit einem Klaps auf die Finger laufen lassen. Doch in der Stimmung, in der er sich befand, kam sie ihm gerade recht, um seinen Zorn auf diesen Urlaub, der nicht so verlief, wie er gehofft hatte, abzureagieren.
Sein Griff war grob, und an der Art, wie er sich umsah und den Hals verrenkte, erkannte das Mädchen, daß er nach einem Hüter der Obrigkeit suchte, um sie ihm zu übergeben. Doch sie wollte der Polizei nicht in die Hände fallen. In diesem Land galten für die Menschen keine gleichen Rechte. Kriminelle waren polizeilicher Willkür völlig wehrlos ausgeliefert. Sie wurden geschlagen, und wenn sie jung und hübsch waren, dann konnte ihnen noch schlimmeres passieren, ohne daß sich jemand für das, was ihnen angetan wurde, interessiert hätte.
Das Mädchen wehrte sich mit der Verzweiflung eines Tieres, das in die Falle eines Wilderers geraten war. Sie kratzte, biß und traktierte die Schienbeine des Mannes mit Tritten, erreichte jedoch nur, daß er immer aufgebrachter wurde.
„Du kleines Biest!” Wütend begann er sie so heftig zu schütteln, daß ihr Kopf von links nach rechts flog.
Keiner der Umstehenden nahm Notiz von der Szene. Ein Tourist hatte eine Diebin erwischt, als sie versucht hatte, ihm die Taschen zu leeren. Das kam hier an jeder Ecke vor, es war nichts, was Beachtung verdiente.
Die Panik des Mädchens steigerte sich, brachte jede Faser seines Körpers zum Beben, und in einer Aufwallung von Kraft gelang es ihm, sich loszureißen. Das rote, verzerrte Gesicht des Mannes glich einer der Teufelsmasken, hinter denen sich etliche Besucher des Karnevals versteckten.
Furcht und Entsetzen schwollen an, bis beide Emotionen sich in gleißenden Energieblitzen kanalisierten, die ohne Vorwarnung aus den Handflächen des Mädchen herausbrachen, wie Lava aus einem Vulkan.
Sie trafen den Mann und verbrannten ihn innerhalb von Sekunden zu Asche.

 

Teil 1
 

Augur warf Renée Palmer, die sich interessiert in seinem unterirdischen Domizil umsah, wobei sie den Bildern an den Wänden besondere Aufmerksamkeit widmete, einen schrägen Blick zu.
„Als ich dich eingeladen habe, Liam, war keine Rede davon, daß du jemanden mitbringst.”
„Liam hielt es für eine geeignete Gelegenheit, mir das einstige Hauptquartier der Bewegung zu zeigen”, bemerkte Renée.
„Tatsächlich? Nun, die Betonung liegt auf einstiges Hauptquartier. Das ist meine Wohnung, kein Museum, und ich allein entscheide, wem ich Zutritt gewähre.”
„Sie haben mich hereingelassen”, erinnerte Renée.
„Weil ich Sie schlecht draußen stehen lassen konnte, da Liam Sie mitgebracht hat. Doch das ändert nichts daran, daß meine Wohnung kein öffentliches Gebäude ist, in dem man nach Belieben ein und aus geht.”
„Früher hat dich das nicht gestört.”
„Wenn du von Lili sprichst, das war eine Ausnahme. Lili war ... ”, Augur zögerte kurz, eher er fortfuhr, „etwas ganz Besonderes.”
„Ja, das war sie”, bestätigte Liam. „Mir fehlt sie auch.”
Für eine Weile blieb es still zwischen ihnen, während sie Erinnerungen nachhingen, von Renée beobachtet, die sich einmal mehr wünschte, Captain Marquette kennengelernt zu haben. Nach der Art und Weise zu urteilen, wie jene, die sie gekannt hatten, von ihr sprachen, mußte sie ein wirklich außergewöhnlicher Mensch gewesen sein. Ein Mensch, dessen Leben die Taelons auf dem Gewissen hatten. Hinter Renées kühlen, maskenhaften Zügen brodelte Haß auf die außerirdischen Companions auf, die sich der Menschheit so überlegen fühlten, daß sie keine Skrupel hatten, sie für ihre Zwecke auszubeuten. Es hatte eine Zeit gegeben, da war Renée Palmer weit von der Selbstdisziplin entfernt gewesen, die heute ihr Handeln bestimmte. Sie war unter den ersten gewesen, die aufgestanden und sich gegen die Taelons aufgelehnt hatte, und damals war sie alles andere als zimperlich gewesen. Sie hatte gemeinsam mit ihrer Gruppe Schwarzer Mittwoch wie eine Partisanin gekämpft, bewaffnet und radikal, bereit ohne zu zögern für ihre Ziele zu töten oder zu sterben. Wäre sie nicht Jonathan Doors begegnet, wäre sie irgendwann in einer dunklen Ecke bei einem Feuergefecht umgekommen. Eine Heldin des Widerstands. Eine Märtyrerin, deren Tod den Kampfgeist der Überlebenden und den Haß auf die Taelons weiter angestachelt hätte. Seit jenen Tagen hatte sie einen langen Weg zurückgelegt. Sie hatte gelernt, ihre Emotionen zu beherrschen, das Feuer ihrer Gefühle hinter einer Maske aus Eis zu verbergen. Sie hatte ihre Selbstkontrolle perfektioniert, bis sie zu ihrer zweiten Natur geworden war, und inzwischen fiel es ihr schwer, sich vorzustellen, wie sie einmal gewesen war.
Ein farbiges Flackern lenkte Renées Aufmerksamkeit auf eine Röhre aus Glas, in welcher sich das holografische Bild eines Mannes mit Tolle, Fransendress, Sonnenbrille und Gitarre manifestierte.
„Hey, Kumpel, Interesse daran, was ich bei der letzten Sause aufgeschnappt habe?”
„Laß hören, King”, sagte Augur.
„King?” Renée hob eine Braue.
Die Holografie schob die Sonnenbrille mit zwei Fingern runter und zwinkerte Renée zu.
„Hi, Babe, heute Abend schon was vor?”
„Vergiß es”, kam Augur Renée zuvor. „Verrate mir lieber, was du erfahren hast.”
„Wie ich um die Häuserblocks gezogen bin, haben die Leute überall getuschelt. Da hat eine abgerockte Braut einen Kerl umgenietet. Hat angeblich einfach so mit ihren Händen geballert. Wow, ich sag dir, Mann, das ist eine irre Story. Vielleicht sollte ich einen Song drüber schreiben? The Lady with lighting Hands. Was denkst du, Kumpel? Ich hätte auch schon einen starken Sound. Baddadam, Baddadim ...”
„Toll, King. Spiel's mir später vor, okay. Im Moment interessiert es mich mehr, wann und wo das passiert ist, und wer die Lady ist.”
„Südamerika, in einem Kaff namens Bahia. Die Kleine heißt Arkana Diaz. Sie hat ein wildes Leben hinter sich, klaut alles, das nicht niet- und nagelfest ist. Aber es ist das erste Mal, daß sie einen umgebracht hat. Vor zwei Stunden. Auf einer Karnevalsparty.”
„Kannst du uns ein Bild zeigen?”
„Klar, Mann. Wurde nach ihrer Verhaftung geschossen.”
Anstelle der Holografie erschien das Gesicht eines jungen Mädchens, das mit großen Augen, furchtsam und schwarz wie Kohle, in die Kamera starrte.
„Was hältst du davon, Liam?” fragte Augur.
Kincaid studierte die Daten, die neben dem Gesicht aufgeführt waren.
„Laut Aussagen von Zeugen soll sie einen Mann mit Energieblitzen aus ihren Händen getötet haben. Ich denke, wir sollten dieser Sache unbedingt nachgehen. Bevor Zo'or davon erfährt.”
„Zu spät.” Augur deutete auf den Monitor, der mit dem System verbunden war, mit dem er seit einigen Monaten die Flugkontrolle des Taelon-Mutterschiffs überwachte. „Gerade ist ein Shuttle gestartet, und dreimal dürft ihr raten, mit welchem Kurs.”
„Bahia”, sagte Liam.
„Sandoval”, ergänzte Renée.
„Die Dame ist eine richtige Schnelldenkerin”, bemerkte Augur in Liams Richtung. „Was tust du?” fragte er, als Kincaid sein Global aktivierte.
„Ich informiere Da'an.”
„Sollten wir uns nicht selbst darum kümmern?” erkundigte Renée sich. „Wie Sie wissen, hat Doors International ausgezeichnete Kontakte nach Südamerika.”
„Ausgezeichnet genug, um Sandoval zuvorzukommen? In jedem Fall ist es besser, Da'an zu informieren. Denn sobald Zo'or das Mädchen erst einmal in seinen Fingern hat, ist Da'an der einzige, der verhindern kann, daß sie spurlos verschwindet.”

 
* * *
 

Es war eines jener für Südamerika typischen Gefängnisse, wie Agent Ronald Sandoval sie im Dienst des FBI schon früher gelegentlich aufgesucht hatte. Dreck, brütende Hitze, Fliegen und eine Luft, die einem schier den Atem nahm. Die Zellen glichen Käfigen, in denen die Gefangenen apathisch auf Pritschen aus rohem Holz oder auf dem grauen Steinboden hockten. Verbeulte Eimer aus Blech, aus denen üble Gerüche entströmten, dienten als Toiletten. Waschbecken gab es nicht, doch das spielte bei dem Schmutz in diesem Loch keine Rolle. Hier und da huschte eine Ratte durch die Gitterstäbe von einer Zelle in die nächste, und Sandoval war sicher, daß das Knirschen unter seinen Schuhen nur zum Teil vom Sand stammte. Ungeziefer gehörte zu dieser Art von Gefängnis wie Drogen, die mit Billigung der bestochenen Wachmannschaften gehandelt wurden.
Der hagere Wärter in der braunen Uniform blieb vor einer der Zellen stehen.
„Das ist sie. Arkana Diaz.” Er nickte in Richtung des Mädchens, das mit angezogenen Knien in einer Ecke kauerte, die Stirn auf die Unterarme gebettet. Seine Hände steckten in einer Art flachen Kasten. „Eine reine Vorsichtsmaßnahme”, erklärte der Wärter, als er Sandovals Blick bemerkte. „Es erschien uns sicherer, ihre Hände zu isolieren, solange wir nicht wissen, wie sie das gemacht hat.”
Als Sandoval neben den Wärter an das Gitter trat, hob das Mädchen den Kopf und sah ihn an.
Aus ihrem Blick sprachen Furcht, Mißtrauen und Resignation. Sie war älter, als er erwartet hatte. Er schätzte sie auf sechzehn oder siebzehn, vielleicht auch neunzehn, wenn man bedachte, daß sie unterernährt war, wodurch sie jünger und kindlicher wirkte.
„Wer sind Sie?” Ihre Stimme war klar und melodisch.
„Companion-Beschützer Agent Sandoval”, stellte er sich vor.
„Companion-Beschützer?” wiederholte sie verwirrt. Es war offensichtlich, daß sie mit dieser Bezeichnung nichts anzufangen wußte.
Konnte es wirklich möglich sein, daß es nach drei Jahren immer noch Menschen gab, denen die Companions kein Begriff waren?
„Ich arbeite für die Taelons”, ergänzte er.
„Sie meinen diese Außerirdischen? Ich habe Bilder von ihnen gesehen, auf Plakaten. Es heißt, sie hätten dafür gesorgt, daß kein Kind auf der Erde mit leerem Magen schlafen gehen muß. Aber das stimmt nicht”, ergänzte sie bitter. „In Bahia verhungern immer noch Menschen in den Straßen.”
„In dem Bericht heißt es, Sie hätten einen Mann getötet, Miss Diaz.”
„Nein!” Sie schüttelte den Kopf.
„Laut den Aussagen der Zeugen sollen aus Ihren Händen Energieblitze gedrungen sein.”
„Ich kann mich nicht daran erinnern. Es ging alles so schnell. Ich wollte niemanden verletzen, das müssen Sie mir glauben, bitte!”
„Ist Ihnen etwas Derartiges schon öfter passiert?”
„Ich ... ich weiß es nicht.” Ihre Augen starrten ihn an, groß und flehend. „Bitte, ich habe ihm nichts antun wollen. Die haben gesagt, ich würde wegen Mordes angeklagt werden, und daß sie mich aufhängen würden. Aber ich bin keine Mörderin, ich wollte doch nur sein Geld. Deshalb können die mich doch nicht wirklich aufhängen, oder?”
„Ich denke, das können sie, Miss Diaz.” Sandoval lächelte leicht. „Doch ich versichere Ihnen, daß niemand Ihnen ein Leid zufügen wird. Öffnen Sie die Zelle”, wandte er sich an den Wärter. „Ich werde die Gefangene mitnehmen.”
„Wohin, wenn ich fragen darf?”
„Sie dürfen nicht.”
„In diesem Fall haben Sie sicher nichts dagegen, wenn ich meinen Vorgesetzten informiere.”
„Ihr Vorgesetzter wurde bereits informiert.” Sandoval zog ein gefaltetes Blatt Papier aus der Tasche. „Die Gefangene Arkana Diaz wird mit sofortiger Wirkung der Zuständigkeit der Regierung der Vereinigten Staaten und des FBI überstellt.”

 
* * *
 

Flimmernde Energie umgab Zo'ors Gestalt, schien sie einzuhüllen wie ein durchsichtiger Schleier aus Licht und Farben, ein hauchzartes Gebilde, das sich unaufhörlich bewegte, als würde es im lauen Wind flattern. Der Führer der Taelon Synode hatte die Augen geschlossen, und seine Gesichtszüge waren von Ruhe geprägt.
Seine Erholungsphase zählte zu den seltenen Momenten, in denen Zo'or völlig entspannt war. In all seinen körperlichen Aktivitäten auf Null reduziert, trieb sein Geist auf den sanften Schwingen des Gemeinwesens, wie ein Blatt im Wind, wurde eins mit den anderen Stimmen. Ein Tropfen im Ozean, getragen von der Brandung, die ihn hoch emporhob, dem Himmel entgegen.
Abrupt fiel die Welle, deren Teil er war, in sich zusammen. Die Tropfen stoben auseinander, wurden zu Gicht, die zerfaserte, als der Brecher an der Klippe des störenden Geräusches zerschellte, das die Schichten aus Energie durchdrang und zu Zo'ors Bewußtsein vorstieß.
Das Flimmern erlosch.
Der Taelon schlug die Augen auf und setzte sich mit einem Ruck auf.
Da'an stand neben der Liege.
„Es tut mir leid, deine Ruhephase zu unterbrechen”, meinte er.
„Warum tust du es dann?” Zo'or fixierte den anderen Taelon scharf. „Was ist so wichtig, daß es dein unziemliches Verhalten rechtfertigt?”
„Arkana Diaz.”
„Sollte mir dieser Name etwas sagen?”
„Ich denke, ja. Immerhin hast du Agent Sandoval beauftragt, sie zu dir zu bringen.”
„Weshalb hätte ich das tun sollen?”
„Aus dem selben Grund, aus dem du ihre Existenz vor der Synode verheimlicht hast.”
„Ich habe der Synode nichts verheimlicht.”
„Nun, als was würdest du es dann bezeichnen, daß du der Synode diese Information über das Mädchen verschwiegen hast, obwohl du weißt, welche Bedeutung es haben kann?”
„Ich hätte die Synode informiert. Doch vorher wollte ich Genaueres in Erfahrung bringen. Es könnte schließlich sein, daß es sich hier lediglich um ein Gerücht handelt, ein Mißverständnis. Bevor ich die Synode damit behelligen wollte, wollte ich mir sicher sein.”
„Du hast recht”, stimmte Da'an zu. „Wir sollten gewiß sein, daß wir uns nicht irren. Es wäre übereilt, Hoffnungen zu wecken, die möglicherweise unberechtigt sind. Daher habe ich beschlossen, dich zu unterstützen, um Irrtümer auszuschließen.”
„Das ist nicht nötig.”
„Doch. Denn ich verfüge über weitaus umfassendere Erfahrungen auf diesem Gebiet, was du sicher nicht beabsichtigst zu leugnen, oder?”
„Nein”, räumte Zo'or widerstrebend ein.
„Dann sind wir uns einig. Ich habe Major Kincaid bereits nach Bahia geschickt.”
„Wozu?”
„Falls das, was wir vermuten, zutrifft, wäre die Anwesenheit eines zweiten Companion-Agenten von Vorteil”, erwiderte Da'an ruhig. „Agent Sandoval ist zweifellos überaus fähig. Doch er allein ist vielleicht nicht in der Lage, jene mächtigen Kräfte zu bändigen, welche hier am Werk sind.”

 
* * *
 

Die Luft flimmerte vor Hitze. Der staubige Platz vor dem Gefängnis war leer. Niemand hielt sich in der Mitte eines Sommertages, wenn die Sonne über Bahia im Zenit stand, freiwillig außerhalb der kühlen Mauern eines Hauses auf.
Sandoval hatte das Shuttle mitten auf dem Platz neben einem Springbrunnen abgestellt, der in hohem Bogen dünne Fontänen ausstieß. Die Sonnenstrahlen brachen sich glitzernd in den wirbelnden Tropfen, die zum größten Teil verdunsteten, bevor sie wieder zurück in das flache Becken fielen, auf dessen breiten Rand Vögel aus Stein saßen, die ihre Schnäbel ins Wasser hielten, um sich bis in alle Ewigkeit an diesem Quell des Lebens zu laben.
Arkana, die schweigend und mit gesenktem Kopf neben Sandoval ging, blieb plötzlich stehen.
Im ersten Moment glaubte er, der Anblick des Shuttles, das wie ein überdimensionaler Käfer auf dem Platz stand, hätte sie erschreckt. Doch dann bemerkte er, daß ihre Aufmerksamkeit weniger dem Shuttle, denn dem plätschernden Brunnen galt. Sie lief zum Becken und beugte sich über den Rand. Ihre Hände steckten nach wie vor in dem schmalen Metallkasten, den die Wärter ihr umgelegt hatten. Die Art, wie sie mitten in der Bewegung verharrte, als wäre ihr erst jetzt bewußt geworden, daß sie ihre Hände nicht einsetzen konnte, hatte etwas Mitleiderregendes. Sie hob den Blick und sah Sandoval bittend an.
„Können Sie dieses Ding nicht entfernen?” Sie streckte ihm ihre Arme in einer flehentlichen Gebärde entgegen. „Ich werde nicht weglaufen. Bitte!”
Sandoval zögerte. Gegen seinen Willen berührten ihre Jugend und ihre Verletzlichkeit ihn. Er hatte keinen Schlüssel für das Schloß. Angeblich hatte der Wärter total vergessen, wo er ihn gelassen hatte. Doch Sandoval besaß ein spezielles Taelon-Werkzeug, das sich jedem Schloß anpassen konnte, er brauchte keinen Schlüssel.
„Sie sollten nicht versuchen, meine Nachsicht auszunutzen, Miss Diaz”, warnte Sandoval das Mädchen, während er den Kasten entfernte. Dabei rutschte der rechte Ärmel seines Jacketts hoch.
Arkanas Blick saugte sich förmlich an dem Skrill fest. „Was ist das?”
„Ein Geschenk der Taelons.”
„Es sieht gefährlich aus. Es ist eine Waffe, nicht wahr?”
„Sie stellen zu viele Fragen, Miss Diaz.” Sandoval warf den Kasten achtlos zu Boden.
Die grob ausgesägten Löcher, in denen Arkanas Hände gesteckt hatten, hatten häßliche, rote Spuren auf ihrer zarten Haut hinterlassen. Sie bewegte die Gelenke, wobei sie leise aufstöhnte. Dann hielt sie Hände und Unterarme in das Brunnenbecken.
„Danke.” Sie lächelte Sandoval zaghaft an. „Sie sind sehr nett.”
Unvermittelt sprang sie auf, schlang beide Arme um den überraschten Companion-Agenten und küßte ihn ungestüm auf die Wange. „Ich mag Sie.”
„Lassen Sie das, Miss Diaz.” Sandoval griff nach Arkanas Handgelenken, bemüht, nicht allzu fest zuzupacken, und schob sie von sich.
Ihre Hände schlossen sich um seine, und plötzlich hatte er das Gefühl, als würde Energie ihn durchströmen. Sie starrte ihn an. In den Tiefen ihrer Augen flackerte es.
„Sie wissen es”, hauchte sie.
„Wie bitte?” Sandoval starrte sie an. „Was weiß ich?”
„Was es heißt, ein solches Leben zu führen. So wie ich. Sie wissen es ganz genau! Sie haben früher einmal auch so gelebt.”
„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.” Mit einem Ruck machte Sandoval sich frei. „Sie sind offenbar verwirrt. Das ist verständlich. Immerhin haben Sie einiges durchgemacht.”
„Nicht mehr als Sie.”
„Wie ich bereits sagte, ich weiß nicht, wovon Sie reden.”
„Sie lügen!” Ohne Vorwarnung riß Arkana ihre Hände hoch.
Der Energieblitz traf Sandovals Brust, und eine ungeheure Kraft schleuderte ihn rückwärts gegen das Shuttle.
Arkana hatte sich bereits umgedreht und angefangen zu rennen.
Sandoval kämpfte gegen die Bewußtlosigkeit, die ihn zu umfangen drohte. Er spürte keinen Schmerz. Arkana hätte ihn vermutlich töten können, aber sie hatte ihn nicht einmal verletzt. Er schalt sich für seine Naivität und seinen Leichtsinn. Seine linke Hand umklammerte die Kufe des Shuttles, während er inmitten der Nebel, die in enger werdenden Kreisen um seinen Geist strichen, versuchte, Arkanas schlanke Gestalt mit seinem Skrill anzuvisieren. Er kniff die Augen zusammen. Erlag er einer Sinnestäuschung oder hatte das Mädchen plötzlich an Breite und Masse gewonnen? Sie verschmolz mit einem Schatten, und als sie sich wieder von ihm löste, lagen ihre Hände verschränkt auf ihrem Rücken, zusammengehalten von einem Paar Metallschellen, die im Sonnenlicht funkelten.
„Das nenne ich perfektes Timing”, bemerkte eine amüsierte Stimme.
„Was machen Sie hier, Major?” empfing Sandoval Liam Kincaid, der nun gemeinsam mit dem Mädchen, das er an der Schulter festhielt, in sein Gesichtsfeld trat.
„Keine Ursache”, sagte Liam. „Es war mir eine Freude, Ihnen behilflich zu sein. Nicht nötig, mir dafür zu danken, daß ich Miss Diaz daran gehindert habe, Ihnen zu entwischen.”
Sandoval ignorierte die Bemerkung. „Was machen Sie hier?” wiederholte er.
„Da'an schickt mich. Ich soll Sie unterstützen.”
„Weiß Zo'or davon?”
„Gibt es einen Grund, weshalb er es nicht wissen sollte?”
Sandoval gab Liam keine Antwort und richtete seine Aufmerksamkeit statt dessen auf Arkana, die seinen Blick trotzig erwiderte.
„Undankbarkeit gehört zu den Dingen, die ich nicht sonderlich schätze, Miss Diaz.”
„Sie können diesen Punkt später klären, Sandoval”, meinte Liam. „Da'an und Zo'or erwarten uns auf dem Mutterschiff. Ach, und ehe ich es vergesse.” Mit einem spöttischen Grinsen griff Kincaid in die ausgebeulte Rocktasche von Arkanas verwaschenem Kleid und brachte eine Brieftasche aus schwarzem Leder sowie eine goldene Taschenuhr zum Vorschein. „Ich glaube, das gehört Ihnen.”

 
* * *
 

Zo'ors schenkte weder seinem Beschützer noch Liam Kincaid Beachtung. Der durchdringende Blick seiner hellen Augen war auf Arkana gerichtet, die stumm zu Boden sah.
Die Haltung des Mädchens war angespannt, ihre schmalen Schultern verkrampft. Ihre ganze Körpersprache drückte Furcht aus, den Drang zu fliehen.
Seit die beiden Companion-Beschützer sie in Bahia in das Shuttle verfrachtet hatten, hatte sie kein einziges Wort mehr gesagt. Sie war in einen agonieähnlichen Zustand verfallen, wie eine Puppe, die blieb, wo man sie hinsetzte, und die nur dann mit den Augen klapperte, wenn sie bewegt wurde. Sie hatte schweigend vor sich hingestarrt, und war nur einmal kaum merklich zusammengezuckt, als das Shuttle die Erdatmosphäre verlassen hatte, und ein zweites Mal, als das Mutterschiff riesig und schillernd in Sichtweite geraten war. Dies waren die einzigen Reaktionen gewesen, die bewiesen, daß sie überhaupt am Leben war, einmal abgesehen davon, daß sie atmete und einen Fuß vor den anderen setzte. Willenlos hatte sie sich von Sandoval und Kincaid vom Shuttle-Hangar durch das Mutterschiff zur Brücke führen lassen, wo sie von Zo'or und Da'an erwartet wurde.
„Das wäre alles, Agent Sandoval”, sagte Zo'or, ohne seinen Beschützer anzusehen.
Sandoval drehte sich um und bedeutete Liam, ihm zu folgen.
„Einen Moment”, hielt Da'an sie auf. „Bevor Sie gehen, Agent Sandoval, befreien Sie Miss Diaz bitte von ihren Fesseln.”
Sandoval sah Zo'or an. Nach dem mißglückten Fluchtversuch des Mädchens, hatte er Liams Einwänden zum Trotz darauf bestanden, ihre Hände mit Handschellen auf den Rücken zu binden, um weiterer Gegenwehr entgegenzuwirken.
Zo'or nickte.
Sandoval zog den Schlüssel hervor und öffnete die Handschellen.
Arkana hob ihren Blick zu Da'an, während hinter ihr Sandoval und Liam Kincaid die Brücke verließen.
„Danke”, flüsterte sie. „Sind Sie ein Taelon?” ergänzte sie scheu.
„Ja.” Er lächelte. „Mein Name ist Da'an.”
„Da'an”, wiederholte Arkana, wie um sich das Wort einer Vokabel gleich einzuprägen.
„Ich bin Zo'or”, ließ Zo'or sich vernehmen. „Der Führer der Taelon-Synode.”
Diesmal erwiderte sie seinen Blick. Da'ans Lächeln und die Freundlichkeit in seiner Stimme hatten ihr einen Teil ihres Selbstvertrauens zurückgegeben. Was immer diese beiden Fremden mit der blassen Haut von ihr wollten, konnte nicht schlimmer sein als das, was ihr im Gefängnis von Bahia gedroht hatte.
„Der Führer der Synode, Sie meinen, Sie herrschen über die Taelons? Wie ein Präsident?”
„In gewisser Weise”, bestätigte Zo'or. „Doch ich habe Sie nicht herbringen lassen, um über die Taelons zu reden, sondern über Sie, Miss Diaz.”
„Über mich?”
„Über das, was Sie in Bahia mit Ihren Händen getan haben, um genau zu sein, oder vielmehr darüber, wie Sie es getan haben”, ergänzte Da'an.
„Ich wollte diesen Mann nicht töten, bitte glauben Sie mir, ich ...”
„Das ist ohne Belang”, wurde sie von Zo'or unterbrochen. „Es interessiert mich nicht, ob Sie die Absicht hatten, ihn zu töten. Alles, was ich wissen will, ist wie.”
Arkanas Blick irrte unsicher zwischen den beiden Taelons hin und her.
„Ich ... ich weiß es nicht genau. Er hat mich geschüttelt, und ich hatte Angst, daß er mich der Polizei übergibt, und ... „ Das Mädchen brach hilflos ab.
„Was ist mit Agent Sandoval?” erkundigte Zo'or sich, eingedenk des Berichtes, den er noch während des Fluges erhalten hatte.
Arkana starrte ihn an. Ihre Lippen zitterten, und in den Winkeln ihrer Augen glänzten Tränen.
„Ich .. weiß es nicht”, stammelte sie. Ihr Blick glitt zu den Innenflächen ihrer Hände, die sie in einer Gebärde verzweifelten Flehens den beiden Taelons entgegenstreckte. „Da ist diese ... seltsame Energie ... es passiert einfach ... ich kann es nicht kontrollieren.”
„Doch”, widersprach Da'an sanft. „Sie können es. Sie hätten Agent Sandoval töten können, aber Sie haben ihn nicht einmal verletzt. Sie beherrschen die Energie in Ihnen, wenn auch unbewußt. Wir können Ihnen helfen, zu lernen, Ihre Kräfte bewußt zu kontrollieren. Vertrauen Sie mir.”
„Warum sollte ich das tun?”
„Weil du eine von uns bist, Arkana. Zumindest zum Teil.”
„Da'an!”
Der nordamerikanischen Companion ignorierte Zo'or. Er ging langsam auf das Mädchen zu, und als er es erreicht hatte, streckte er die Arme aus und umschloß ihre Hände mit seinen eigenen.
Bläuliche Energie hüllte die beiden Gestalten ein, umfloß sie wie die Strömung eines Flusses.
Für den Bruchteil einer Sekunde schien es so, als würden der Taelon und das Indiomädchen miteinander verschmelzen, eins werden inmitten der wirbelnden Energie.
Dann löste Da'an sich von Arkana und trat einen Schritt zurück.
„Ich wußte es”, verkündete er.
„Wie kannst Du sicher sein, bevor ...”, begann Zo'or.
„Ich bin sicher.” Da'an sah den Führer der Synode an. „Dieses Mädchen trägt das genetische Erbe Ma'els in sich. Sie ist sein Vermächtnis an die Menschheit. Und an die Taelons.”

 

 

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