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  „Der gespiegelte Blick” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Entstehungszeitraum: Frühjahr 2003
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Elaine sucht Stellas ehemalige Chefin Attwood auf, doch das läuft in mehr als einer Hinsicht nicht wie gedacht.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde, kurz nach dem Unfall bei Silent Falls
Charaktere:  Elaine Lorber [Carol, Celine, David, Attwood, drei Männer, Allan, Nicco]
 

 

DER GESPIEGELTE BLICK

Kapitel 6: Im Untergrund

 

Teil 1

„Elaine!”
Carols Ruf holte sie aus ihren Tagträumen.
„Elaine! Komm schnell!”
Die angehenden Widerstandskämpfer unten in der Halle gruppierten sich in heller Aufregung um einen der Bildschirme. Eher unwillig stand sie auf und ging die metallene Treppe hinunter.
Als sie zu den anderen trat, zügelten diese ihre Aufregung etwas und machten Elaine die Sicht frei auf eine wohlfrisierte Nachrichtensprecherin. Mit professioneller Betroffenheit teilte diese ihnen mit, dass die Rettungskräfte bereits vor Ort wären. Das Hintergrundbild zeigte eine zerrissene Häuserwand und der Nachrichtenticker vermeldete: „Attentat auf Freiwilligenrekrutierungscenter”
„...noch ist unbekannt, wer hinter diesem Anschlag steckt. Laut Polizei gingen im Vorfeld keinerlei Warnungen ein. Ebenso unklar ist, ob und wenn ja wie viele Menschen verletzt wurden, doch wenn man sich das Bild der Verwüstung ansieht, muss man wohl mit dem Schlimmsten rechnen. Momentan ist ein Team unseres Senders auf dem Weg zur Unglücksstelle, so dass wir Sie in Kürze mit Vor-Ort-Berichten informieren können...”
Die Moderatorin sprach weiter, doch Elaine hörte nicht mehr zu. Sie spürte in sich hinein, ob sie dort etwas wie Entsetzung oder Mitleid wahrnehmen konnte. Einen Funken, vielleicht, doch das mochte Einbildung sein, eine Widerspiegelung dessen, was sie meinte, empfinden zu müssen. Es blieb eine Nachricht und auch die Aufregung, um sich herum teilte sie nicht.
Statt dessen sah sie auf die Uhr und stellte fest, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, gerade genug, um einen Blick in die Daten auf Doors Disk zu werfen...
„Elaine? Wo willst du hin?” Carols Stimme klang empört und als sie sich umdrehte, stellte sie fest, dass auch die anderen sie verblüfft anstarrten.
„Wo ich hin will?”, meinte Elaine etwas verärgert, ob des impliziten Vorwurfs. „Ich habe etwas zu erledigen.”
„Aber der Anschlag? Was ist mit den Nachrichten?” Einer der jungen Männer, David, wies eindringlich in Richtung Bildschirm.
„Willst du denn gar nicht wissen, was los ist? Das ist doch wichtig!” Die neben ihm stehende Celine starrte sie an, als wäre sie nicht ganz bei Trost.
„Alles Interessante weiß ich bereits!”, erwiderte sie kühl. „Was hinter der Sache steckt, ist frühestens in ein paar Stunden klar und auch dann hat es keinen Einfluss darauf, was ich jetzt zu tun gedenke. Ich werde daher meine Zeit nicht mit Sensationsberichten vergeuden!” Keiner traute sich, ihr zu widersprechen und ein betretenes Schweigen breitete sich aus.
„Es kann spät werden!”, informierte Elaine sie knapp und ging in ihr Quartier.

Dort angekommen versuchte sie sich zu beruhigen. Es gelang ihr nicht. Die Wut ließ sich nicht einfach herunterschlucken, auch wenn sie wusste, dass sie sich nicht gegen die jungen Leute richtete. Sie war unspezifisch, gegen alles und jeden. Gegen diese ganze verdammte Situation, in die sie geraten war und zu der jetzt auch noch dieser Anschlag gekommen war. Als wäre es nicht bereits mehr genug! Doors war sicher der Meinung, dass das etwas war, mit dem sie sich auseinander zu setzen hatte. Aber sie hatte keine Lust! Sie war es leid.
Verärgert wie sie war, beschloss sie, sich nicht mit der Disk aufzuhalten, wie wichtig die Informationen darauf Doors auch immer sein mochten. Sollte er seine Spielchen mit jemand anderem treiben. Jetzt war es Zeit etwas Licht in eine Angelegenheit zu bringen, die sie viel mehr interessierte, als seine alberne Widerstandsbewegung.
Die Disk achtlos auf dem Bett liegenlassend sammelte sie die Sachen zusammen und machte sich auf den Weg.

 
* * *
 

Es wurde empfindlich kalt in dem Auto, das sie in einer kleinen Seitenstraße in der Nähe von Margret Attwoods Wohnung abgestellt hatte. Seit knapp einer Stunde wartete sie darauf, dass die Digitalanzeige der im Armaturenbrett eingebauten Uhr endlich auf 22.00 sprang. Die Zeit schlich quälend langsam voran und so checkte sie noch mal alle Daten - wohl zum hundertsten Mal!
Aber auch jetzt wieder deutete alles darauf hin, dass Attwood bereits seit 21 Uhr zuhause war und seitdem ihre Wohnung auch nicht wieder verlassen hatte. Und der Mann, der für heute Abend und die darauffolgende Nacht im Dienstplan für die Überwachung von Stellas Ex-Chefin eingesetzt war, hatte um 22 Uhr eine Verabredung mit seiner Geliebten. So stand es sowohl in seinem, wie auch in deren Terminkalender. Keiner von ihnen hatte via Global abgesagt. Blieb die Gefahr, dass es eine Falle war...
Elaine schob den Gedanken beiseite. Sie hatte sich längst entschlossen, es zu riskieren. Sie wollte wissen, wofür Stella sich in Gefahr gebracht hatte!

22.00
Endlich! - Doch Elaine zögerte.
Sie überraschte sich selbst damit. So ein Zaudern war sie von sich nicht gewöhnt. Dazu hatte sie zu viel Erfahrung. Dennoch drohte sich ein ungutes Gefühl in ihrem Bauch einzunisten. Verdammt! Sonst stand sie auch nicht auf der Fandungsliste der Polizei...
Elaine holte tief Luft und stieg dann - das ungute Gefühl ignorierend - aus dem Wagen.
Um die ablenkende Unruhe zu vertreiben, ging sie schneller als notwendig und erreichte schon nach wenigen Minuten den angepeilten Ort. Auf der anderen Straßenseite lag, angestrahlt von zwei hellen und auf hohen Masten angebrachten Lampen, die Einfahrt zur Tiefgarage des Appartementhauses, in dem Stellas Exchefin wohnte. Sich in den Schatten zurückziehend, durchströmte Elaine endlich die angenehme Erregung, die sie von ihren sonstigen Einsätzen kannte und die ihr zur vollen Konzentration verhalf.
Sie zog ihr Global aus der Jackentasche und aktivierte eine zuvor programmierte Befehlskette. Wenige Sekunden später erhielt sie Meldung, dass die Umprogrammierung erfolgreich gewesen war. Der Portier erhielt nun auf seinem Monitor nicht mehr die Bilder der Kamera, die die Tiefgarage überwachte, sondern eine über Satellit eingespielte Aufzeichnung. Nach einem prüfenden Blick um sich, ging Elaine zügig über die Straße und die Einfahrt hinunter. Ein kurzer Funkbefehl ihres Globals an die Schließanlage öffnete ihr den Weg in das Gebäude.

Neonröhren flackerten und tauchten die Tiefgarage in grelles Licht, während sich hinter ihr das Tor beinahe geräuschlos wieder schloss.
Das hier war ein abweisender, unfreundlicher Ort, klar erkennbar für Maschinen und nicht für Menschen geschaffen - auch wenn es Menschen gab, die schlechter untergebracht waren und weniger Platz für sich hatten als diese Autos!
Allein an ihnen erkannte man, dass hier reiche Leute wohnten. Sportwagen, Limousinen, Cabrios - vorzugsweise von ausländischen Edelmarken. Stella würde schimpfen wie ein Rohrspatz, doch Elaine konnte ihren Besitzern keinen Vorwurf machen. Sie war bis vor kurzem selbst solche Wagen gefahren...
Den Weg zum Aufzug zu finden, war kein Problem, ebenso wenig, die gesicherte Tür davor zu öffnen. Auch früher hätte sie das hinbekommen, doch seit sie für Doors die Guerillaführerin gab, war all dies das reinste Kinderspiel. Als führender Hersteller für Elektroniklösungen steckte in so gut wie jedem Sicherheitssystem, jedem Global und jedem Server Programme von Doors International und zwar auch in solche, die gar nicht direkt von dieser Firma oder ihren Tochterunternehmen produziert wurden. Die Grundmodule waren beinahe allgegenwärtig und Doors hatte sich nicht geschämt, unter dem Vorwand der Kundenbetreuung und des Reparaturservices überall Programmteile einzubauen, die es ermöglichten ohne den jeweils spezifischen Zugangscode an die Steuerung heranzukommen.

Der Aufzug war ebenso edel ausgestattet wie die Autos in der Garage. Ein Spiegel nahm die gesamte Rückfront ein und zeigte ihr, dass sie blass war und vom Wind zerzaust, doch sonst unverändert. Wieder wunderte sie das. Alles hatte sich verändert und doch sie sah aus wie immer...
Sich zur Ordnung rufend strich sie sich die Haare glatt und prüfte ihre Kleidung. Nein, niemand würde ihr ansehen, dass sie keine normale Besucherin dieses Hauses war. Entschlossen drückte sie auf den Knopf mit der Nummer 11 und beobachtete wie die rotleuchtende Anzeige die Etagen zählte. Schließlich glitten die Türen auseinander.
Der Gang, in den Elaine trat, hatte die Atmosphäre eines gediegenen Hotels, nicht das eines profanen Wohnhochhauses. Die Wände waren in sanftem Gelb gestrichen und mit Bildern geschmückt, die Lampen verbreiteten ein warmes Licht und Teppichböden dämpften die Schritte. Sogar frische Blumen dekorierten die Ecken und an den Enden der Gange.
So nobel war das Haus in dem Elaine wohnte - gewohnt hatte - nicht, obwohl auch ihre Wohnung für die meisten Menschen unerschwinglich war, was ihr Stella oft genug unter die Nase gerieben hatte. Stella hatte damit durchaus auch auf ihre eigenen finanziellen Verhältnisse angespielt, die deutlich bescheidener waren als Elaines. Eingedenk dessen, fragte sich Elaine einmal mehr, was Stella an Attwood gefunden hatte. Diese Frau war offensichtlich reich und einflussreich und dennoch hatte Stella nicht nur für sie gearbeitet, sondern auch niemals schlecht über sie gesprochen. - Im Grunde hatte sie überhaupt nie über Attwood gesprochen, was Elaines Neugierde auf diese Person noch steigerte.

Vor der Eingangstür zu ihrer Wohnung angekommen, zögerte Elaine.
Klingeln oder leise die Türe öffnen und einfach hineingehen? Nach einem Moment entschloss sie sich zu ersterem. Der Portier hatte Attwood zwar keinen Besuch gemeldet, doch sie konnte immer noch ein Nachbar sein - hoffte sie. Gut möglich, dass Attwood keinen Kontakt zu den Nachbarn pflegte oder das diese nie so unvornehm sein würden, sich nicht vorher telefonisch anzumelden. Elaine riskierte das, minimierte es doch die Chance, dass die Frau sie entdeckte und Hilfe rief, bevor sie es verhindern konnte.
Also drückte sie einmal resolut die Klingel und hielt den Atem an.
Es dauerte, doch dann hörte sie Schritte, ein Klicken und die Tür wurde geöffnet. Eine Frau erschien, gut einen Kopf kleiner als sie und mit einem verärgerten Zug um den Mund.
„Was wollen Sie...”, begann die Frau, bevor sich ihre Augen erschrocken weiteten. Elaine nahm an, dass sie erkannt hatte, wen sie vor sich hatte. Ihr Foto war oft genug in den Nachrichten gezeigt worden.
Die Schrecksekunde ausnützend, schob sich Elaine durch die Türe, so dass die andere Frau die Wahl hatte, ob sie sie einlassen wollte oder nicht. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie störe, aber es geht um Stella.”
Unwillig trat Attwood zurück. Sie musterte Elaine misstrauisch, als diese die Tür hinter sich wieder schloss. Es lag keine Angst in ihrem Blick, allerdings auch keine Freundlichkeit. Ohne ein Wort, bedeutete sie Elaine ihr zu folgen und führte sie durch die überaus geräumige Diele das noch großzügigere Wohnzimmer.
Elaine nützte die Zeit, um sich umzusehen. Attwood hatte nicht nur das Geld, um sich dieses Appartement leisten zu können, sie hatte auch genug, um es entsprechend einzurichten. Dabei war sie erstaunlich geschmackvoll zu Werke gegangen. Die Grundfarbe war Weiß, doch es wurde gewärmt durch viele zurückhaltend platzierte und gut ausgewählte Kunstwerke und weitgehend unverschnörkelte Möbelstücke. Attwood gehörte tatsächlich - wie Stella einmal gesagt hatte - zu jenen Reichen, die sich ihre Wohnungen nicht mit einem wahllosen Sammelsurium aus Designerstücken und Antiquitäten zustellten.

Im Wohnzimmer - Salon war die treffendere Bezeichnung - trat Attwood an den Kamin, in dem ein künstliches Feuer loderte und bot ihr an, auf einem weißen Ledersofa Platz zu nehmen. Elaine war nicht so dumm, das Angebot anzunehmen, sondern blieb zwei Meter von der Frau entfernt stehen und musterte sie ihrerseits.
Attwood war der Typ Frau, der zeitlos erschien. Sie war bestimmt schon an die Sechzig, aber man sah ihr das kaum an. Die Haare waren blond gefärbt und wohlfrisiert, ihr Gesicht trotz der Abendstunde noch tadellos geschminkt. Ihr Körper war schlank und passte in den eleganten weißen Hausanzug, den sie trug. Nur an der Haut, vor allem um ihre Augen und an ihren Händen, erkannte man ihr Alter. Sonst hätte sie alles sein können, von Mitte zwanzig bis Ende sechzig.
„Was also wollen Sie?”, unterbrach Attwood schließlich ihre Betrachtung. „Nennen Sie mir einen Grund, warum ich nicht den Wachdienst rufen sollte.”
Elaine ignorierte die Drohung. „Prof. Attwood, es freut mich, Sie kennen zu lernen, da ich weiß, dass Sie wie ich eine Freundin von Stella Morel sind oder doch zumindest lange mit ihr zusammengearbeitet haben. Wie Sie vermutlich auch, will ich Stella helfen und dazu muss ich wissen, für welche Daten Stella ihr Leben riskiert hat.”
„Bitte?” Die Frau sah sie verwirrt an, doch Elaine sah an ihren Augen, dass sie es nicht wirklich war. Alarmiert ja, aber nicht verwirrt.
Elaine trat verschwörerisch näher. „Mrs. Attwood, ich weiß von der Organisation von Wissenschaftlern, die die Taelons ausspionieren sollte und dass Stella ebenso wie Stratton, Wolf und Cockburn für diese gearbeitet haben. Und ich weiß auch, dass Sie in dieser Organisation federführend waren!”
Attwood sah sie weiter unverwandt an und auch ihrer Mimik war nichts zu entnehmen. Sie wartete und zwang Elaine so weiterzusprechen.
„Wie Sie wissen, sind alle diese Personen entweder tot oder verschwunden. Ich frage mich, warum? Was haben sie herausgefunden und warum hat man mir diesen Diebstahl angehängt? Bevor Sie nun denken, es geht mir darum, meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen: Nein, so ist es nicht! Das wird mir so oder so nicht gelingen. Ich will Stella helfen und dazu brauche ich jede Information, die ich bekommen kann!”
Neben die kühle Zurückweisung trat nun Interesse in Attwoods Blick. „Was ist in Silent Falls geschehen?”
Abermals hatte sie ihr den Ball zurückgespielt. Was sollte sie antworten? Elaine hatte nicht vor, in einem von sicherlich mehr als einer Überwachungskamera gespickten Raum mehr zu berichten, als Attwoods Bewacher bereits wussten. - Doch wie sollte sie sonst das Vertrauen dieser Frau erlangen?
„Das weiß ich nicht”, log sie. „Ich weiß nur, dass mir eine von Wolfs Studentinnen Informationen über dessen Kontakt zu der Organisation gegeben hat. Gemeinsam haben wir versucht Stella zu retten, aber es gelang uns nicht. Man hatte ihre Tätigkeit für Ihre Organisation bereits aufgedeckt und sie gefangen gesetzt. Also mussten wir alleine fliehen. Den Diebstahl, von dem die Medien berichtet haben, hat es nie gegeben!”
„Tatsächlich nicht?” Attwoods Stimme klang skeptisch und sie wandte sich demonstrativ ab.
„Bitte glauben Sie mir, es geht mir um Stella! Ich weiß, dass Ihnen etwas an ihr liegt und Sie wissen, dass Stella auch meine Freundin war. Stella hat Ihnen vertraut, Sie können sie jetzt nicht einfach im Stich lassen. Sie selbst können ihr nicht helfen, aber ich kann es. Ich habe die Mittel und die notwendigen Fähigkeiten! Bitte geben Sie mir die Daten, die Sie über die Taelons gesammelt haben!”
Attwood drehte sich ihr wieder zu und musterte sie abschätzig.
„Hören Sie! Sie sind eine gesuchte Verbrecherin, die nach allem, was ich weiß, für eine ernste Verletzung meiner ehemaligen Untergeben und Vertrauten verantwortlich ist. Ich habe absolut keinen Grund Ihnen zu glauben und Ihnen die Daten zu geben, selbst wenn solche existierten.” Die ältere Frau sah sie hart an. „Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen!”
Elaine erwiderte den Blick. Alles was sie darin las, war Härte.
Elaine wurde klar, dass sie unter falschen Voraussetzungen gekommen war. Diese Frau würde nichts für Stella tun, selbst wenn sie ihr glaubte. Sie dachte an sich und hatte höchstens Interesse an den Informationen, die sie ihr geben konnte. Sie begann zu ahnen, was Stella an ihr gefunden hatte. Schwer vorzustellen, dass diese Frau die Kontrolle verlor und emotional reagierte. Krank wie Stella war, hatte sie an Attwood bewundert, dass sie sie im Zweifelsfall bedenkenlos zu ihrem eigenen Vorteil verraten würde.
Attwood hatte ihren Irrtum mit Geschick ausgenützt und Elaine in eine Situation manövriert, in der sie eigentlich nur noch unverrichteter Dinge wieder gehen konnte oder ihr alles berichtete, was sie wusste. Diese Frau war ein Profi, ganz wie sie selbst - aber auf einem anderen Parkett. Und deshalb hatte Attwood übersehen, dass Elaine der Situation eine andere Wendung geben konnte, ja, im Grunde gar keine andere Wahl hatte, als genau dies zu tun.
Elaine ließ das Flehende aus ihrem Blick verschwinden und ließ ihn ihrerseits hart werden. In zwei Schritten war sie bei Attwood und packte sie am Arm.
„Ich glaube, Ihnen ist Ihre Lage nicht ganz klar!”, zischte sie und spürte wie die Frau zusammenzuckte, nicht aus Angst, wie sie in ihren Augen las, sondern vor Überraschung.
Elaine packte sie noch etwas härter, um sie ihre Kraft spüren zu lassen und sah drohend auf sie herab. „Ich habe nicht vor, ohne die Daten zu gehen. Hilft bitten nichts, so muss es eben anders gehen. Sie haben die Wahl!”
„Was soll das?” Attwood versuchte instinktiv zurückzuweichen, was jedoch Elaines fester Griff verhinderte. Langsam trat Furcht in Attwoods Blick, vermischt mit Unglauben, dass es ihr tatsächlich passieren konnte, körperlicher Gewalt ausgesetzt zu sein.
Elaine spürte grimmige Befriedigung in sich aufsteigen. Wie oft hatte sie an diesem Punkt gestanden und hatte nachgeben müssen? Nachgeben vor der Stellung und der Macht der Person, von der sie Informationen wollte und die ihr zwar körperlich nicht gewachsen war, sie aber später als Reaktion auf jede unüberlegte Handlung vernichten konnte. Jetzt hatte sie nicht zu verlieren.
„Was ich von Ihnen will, wissen Sie bereits!”
Ohne auf eine Antwort zu warten, schob sie die ältere Frau in den Nachbarraum, von dem sie durch eine halboffene Tür erkennen konnte, dass es sich um ein Arbeitszimmer handelte. Sie gab Attwood einen Stoß, so dass sie auf einen Stuhl fiel und beugte sich dann drohend im Halbdunkel über sie.
„Wo sind die Daten?” Elaine legte die ganze Wut und Frustration der letzten Tage in ihre Stimme.
„Ich habe sie nicht...” Attwood Stimme war nur mehr ein Flüstern. Sie hatte nun wirklich Angst, was Elaine verwirrte und gleichzeitig ein sonderbar berauschendes Gefühl in ihr aufsteigen ließ.
„Das ist Pech für Sie, denn der Zeitraum, bis ich Ihnen das glaube, wird sehr schmerzhaft für Sie sein.”
Elaine fragte sich, ob sie es wirklich in sich hatte, diese Frau zu schlagen, doch ihre Hand holte wie von selbst dazu aus.
„Halt! Warten Sie!”
Elaines Hand blieb in der Luft hängen. Für einen Moment schien die Zeit stehen zu bleiben. „In der Kommode, im Schlafzimmer! Die zweite Schublade von oben.”
Attwoods Stimme überschlug sich.
Elaines Hand hing immer noch in der Luft, für einen endlosen Augeblick verkrallten sich ihre Blicke ineinander. Blanke Panik spiegelte sich in Attwoods Blick und die Erkenntnis, ausgeliefert zu sein, während Elaine nicht wirklich wissen wollte, was sich in ihrem eigenen Blick widerspiegelte. Wut kochte in ihr hoch und drohte ihr den Hals abzuschnüren. Attwoods Blick besänftigte sie nicht, sondern machte sie nur noch aggressiver. Sie wollte...
Mit Mühe bekam sie sich wieder unter Kontrolle und zwar sich, ihren Arm zu senken.
Von einem Augenblick auf den anderen fühlte sie sich leer und ausgebrannt. Wortlos zog sie ein Paar Handschellen aus ihrer Jacke und sah sich um. An der Heizung gab es ein Rohr, das für ihre Zwecke geeignet war.
„Kommen Sie her!”, befahl sie.
Attwood gehorchte zögernd mit immer noch schreckgeweiteten Augen.
Elaine schoss sie fest und achtete darauf, dass sie an nichts kommen konnte, das sie gegen sie verwenden konnte. Dann machte sie sich auf die Suche nach dem Schlafzimmer.
Sie stellte fest, dass sie sich regelrecht dazu zwingen musste. Sie wollte nur noch weg von hier! Aber sie gab dem nicht nach. Nach kurzer Suche, hatte sie das Schlafzimmer gefunden. Sie nahm nur noch beiläufig wahr, dass es im Stil exakt zum Rest der Wohnung passte. Sie wollte nichts mehr wissen von dieser Frau. Nicht wie sie lebte, nicht was sie tat, nicht wie sie war. Sie zog die Schublade heraus und warf die Kleidungsstücke darin - Seidentücher und Schals - einfach auf den Boden, bis sie schließlich eine unbeschriftete Disk in Händen hielt.
Wieder hielt Elaine der Versuchung stand, einfach die Wohnung zu verlassen.
Statt dessen kehrte sie ins Arbeitszimmer zurück und schaltete - ohne Attwood auch nur anzusehen - den Computer an. Sie glaubte nicht, dass die andere Frau sie angelogen hatte, aber es nicht zu überprüfen, wäre dumm gewesen.
Während der Rechner hochfuhr, wanderte ihr Blick gegen ihren Willen doch zu ihrem Opfer. Attwood beobachtete sie, sah jedoch sofort weg als sich ihre Blicke trafen. Es stand etwas Undefiniertes darin. Angst? Scham? Hass? Elaine konnte es nicht sagen, doch eine Welle von Schuldgefühlen durchflutete sie.
Warum? Diese Frau hatte ihr nicht helfen wollen. Natürlich hatte sie nicht viel Grund ihr zu glauben, aber hätte sie nicht einmal nach Stella fragen können? Hätte sie nicht wenigstens versuchen können, herauszufinden, ob Elaine wirklich etwas an der Frau lag, die so lange und mit so viel Begeisterung für sie gearbeitet hatte? Statt dessen hatte sie taktiert und versucht ihr Informationen zu entlocken! Unter anderen Umständen, hätte sich die Frau anders verhalten, wäre Elaine zu diesem Austausch bereit gewesen. - Oder machte sie sich etwas vor?
Elaine schon den Gedanken weg und legte die CD ein.
Wahllos öffnete sie einige Dateien und war bald sicher, dass sie gefunden hatte, weswegen sie gekommen war. Sie lud den zugehörigen Dechiffriercode auf ihr Global, steckte die CD ein und schaltete dann den Rechner wieder aus.
Für einen Moment stand sie unschlüssig im Raum und sah auf Attwood herab. Was sollte sie mit ihr machen? Sie war allem Anschein zum Trotz eine ältere Frau. Sie konnte sie nicht einfach so angekettet sitzen lassen.
„Wo ist Ihr Global?”, fragte Elaine schließlich schroff.
Attwood sah sie wieder mit diesem sonderbaren Blick an, bevor sie mit etwas Verzögerung antwortete. „In meiner Tasche, beim Eingang.”
Elaine ging zurück in den Vorraum und fand nach kurzer Suche das Global. Sie nahm es mit zurück, programmierte eine Zeitsperre und gab es dann der Frau.
„In zwei Stunden können Sie damit Hilfe rufen. Den Schlüssel mit den Handschellen lege ich auf den Schreibtisch.”
Sie stellte Attwood einen Stuhl an die Heizung, doch die andere Frau setzte sich nicht. Sie stand unverändert da und sah an ihr vorbei. Etwas verloren sah sie aus, aber gleichzeitig auch stolz. Die Frau hatte jetzt keine akute Angst mehr, sondern war vor allem wütend und vermutlich auch tief verletzt.
Elaine fühlte sich unbehaglich. Sollte sie sich entschuldigen? Sie hatte das Bedürfnis, wusste aber auch, dass es schal klingen würde. Also drehte sie sich um und ging.

Während des Rückwegs zur Tiefgarage hatte Elaine das Gefühl, nicht ganz bei sich zu sein. Sie fasste nicht ganz, was sie da getan hatte und vor allem nicht, wie sie sich dabei gefühlt hatte.
Woher war diese unbändige Wut gekommen, woher dieser Wunsch diese Frau zu verletzen? Jemanden, der ihr körperlich nichts entgegen zu setzen hatte? Die Angst und die Hilflosigkeit in Attwoods Augen hatten sie nicht etwa besänftigt, sondern aufgestachelt!
Elaine wollte nicht darüber nachdenken aus welchen Untiefen ihrer Seele diese Gefühle kamen. Sie hatte sich letztlich beherrschen können. Es war nichts geschehen. Zumindest nichts wirklich Schlimmes. Und sie hatte die Daten! Sie sollte sich keine Gedanken machen...
Elaine durchqueret die dunkle Tiefgarage und öffnete das Tor. Sie wusste, dass sie sich etwas vormachte. In der eigenen Wohnung bedroht, ja, überfallen zu werden, war keine Lappalie, sondern ein Alptraum.

Es war ein kritischer Moment, als sich das Tor öffnete. Wenn jetzt jemand kam... Doch es war still draußen. Das Tor schloss sich hinter ihr und sie gelangte unbemerkt auf die andere Straßenseite, von wo aus sie die Kamera, die die Einfahrt überwachte, wieder aktivierte.
Elaine warf noch einen letzten Blick auf das Gebäude und ging dann schnell davon. Sie hatte heute Nacht eine gewisse Grenze überschritten. Sie wusste noch nicht, was das bedeutete, aber sie fühlte es deutlich - und es machte ihr Angst! Angst vor sich selbst...

 

 

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