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  „Der gespiegelte Blick” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Entstehungszeitraum: Dezember 2002/Januar 2003
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Frederic Cockburn muss erfahren, dass die Welt, in die ihn die Taelon verschleppt haben, ihm mehr als fremd ist. Stella gerät während dessen an den Rande eines Zusammenbruchs.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde, kurz nach dem Unfall bei Silent Falls
Charaktere:  Frederic Cockburn, Stella, Sa'el
 

 

DER GESPIEGELTE BLICK

Kapitel 5: Fremde Welt

 

Teil 1

Er war nun allein.
Frederic Cockburn verließ seinen Platz neben dem Eingang seines Zimmers, von wo aus er dem Gespräch des Taelons mit Stratton gelauscht hatte und trat vorsichtig in den großen Raum. Tatsächlich war er leer.
Vielleicht...
Eine plötzliche Hoffnung blitzte in ihm auf. Diesem Impuls folgend schlich er leise und doch so schnell wie möglich zum Ausgang. In einiger Entfernung hörte er Schritte. Aufgeregt folgte er ihnen, sorgsam darauf bedacht, keinen Laut von sich zu geben. Er war diesen Rundgang unzählige Male entlanggegangen, ohne dass es ihn jemals irgendwohin geführt hätte. Es hatte ihn fast wahnsinnig gemacht, derart orientierungslos zu sein und nicht einmal zu wissen, wo sich der Ausgang seines Gefängnisses befand...
Die Schritte entfernten sich zunehmend. Hastig streifte Fred sich die Schuhe von den Füßen, um leiser gehen zu können und beschleunigte seinen Schritt. - Und kurz darauf sah er gut zehn Meter vor ihm, in der linken, äußeren Wand des Rundganges eine dunkle Öffnung. Ein Ausgang!
Die Schritte waren kaum mehr zu hören, doch er hatte unabhängig davon alle Vorsicht vergessen. Er rannte so schnell, er es in Socken auf dem rutschigen Boden vermochte, darauf zu. - Erst kurz vor dem Ausgang besann er sich.
Wollte er hier heraus, dann durfte ihn niemand sehen!
Gerade noch rechtzeitig gelang es ihm zu stoppen. Er presste sich vor der Öffnung an die seltsame Wand, schloss kurz die Augen und hielt den Atem an.
Bitte! Lass sie nicht gerade in diesem Augenblick zurück sehen...
Er nahm seinen Mut zusammen und schob ganz vorsichtig seinen Kopf um die Ecke. Was er vor sich sah, ließ seine Augen weit werden. Nur fünf Meter vor ihm bewegte sich die Wand als würde sie aus flüssigem Wachs bestehen und verschloss - irisförmig von außen nach innen - den Durchgang.
Nein!
Fred wusste nicht, ob er seine Enttäuschung laut herausschrie und es war ihm auch egal. Verzweifelt rannte er auf die Wand zu. Doch als er sie erreichte, war sie so wie alle Wände hier: Uneben, lauwarm und vor allem - undurchdringlich. Fieberhaft tastete er sie ab. Es musste doch einen Mechanismus geben, irgendwie musste er...
Nein, es gab nichts.
Resigniert ließ er die Hände sinken. Er hatte es schon unzählige Male versucht, hatte an allen möglichen Stellen die Wände abgesucht und mit seinen Händen die glatte, feste und doch leicht nachgiebige Oberfläche abgetastet und dabei jede der unsystematisch geformten Ausbuchtungen untersucht, so dass er bereits im Schlaf davon träumte, wie sie sich anfühlten.
Wie benebelt vor Enttäuschung wollte er zurück in sein Zimmer, doch seine Beine versagten ihm den Dienst.
Und warum sollte er sich die Mühe auch machen. Er wusste, was ihn dort erwartete und er konnte diesen öden Raum, seine Gefängniszelle, nicht mehr ertragen!

Erschöpft ließ er sich an der eben vor seinen Augen entstandenen Wand zu Boden gleiten und stützte sein Gesicht in die Hände, um seine Umgebung wenigstens nicht mehr sehen zu müssen.
Dies war ein einziger Alptraum! Dabei hatte er nach dem Verhör durch diesen Sandoval gedacht, dass es schlimmer nicht mehr kommen konnte. Seine Erinnerung an diese endlosen Stunden waren nur noch schemenhaft, dennoch fühlte er sich elend, wenn er daran dachte.
Es war der reinste Psychoterror gewesen: Der unheimliche dunkle Raum, die Drohungen und der Schlafentzug hatten ihn zermürbt, bis er nur noch wollte, dass dieser Mann endlich aufhörte, ihm abwechselnd ruhig zu drohen und ihn anzuschreien.
Fred merkte wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Verdammt! Er hatte alles verraten. Er hatte Robert erst in die ganze Sache hineingezogen und ihn dann verraten. Und nun war Rob tot...
Das Schuldgefühl griff nach seinem Hals und schnürte ihm die Kehle zu. Er schluckte schwer. Er konnte sich nicht mal damit herausreden, dass er geschlagen oder gar gefoltert worden war. Selbst die legalen Mittel verbunden mit einigen Drohungen hatten gereicht, dass er zusammen brach. Er fühlte sich wie ein elender Feigling... Am liebsten wäre er vor sich selbst davon gelaufen! Doch er kam ja nicht einmal aus diesem Gang heraus...

Ohne die Augen zu öffnen, lehnte er sich zurück, bis sein Kopf an der Wand ruhte und ließ seine Beine in eine ausgestreckte Position rutschen. Langsam atmete er ein und aus, um sich wieder zu beruhigen. Es half nichts sich verrückt zu machen. Immerhin das hatte ihm Stratton klar gemacht.
Stratton. Zunächst war ihm dieser Unsympath, als den er ihn schon bei ihrer ersten Begegnung vor zwei Jahren auf einem Kongress empfunden hatte, wie ein Hoffnungsschimmer erschienen. Er war das erste in diesem Alptraum gewesen, das real wirkte. Endlich ein Mensch, mit dem er sprechen konnte und zudem einer, der im Gegensatz zu ihm die Nerven behielt.
Seitdem er aber von Strattons Beteiligung bei den Experimenten wusste, war die Erleichterung über dessen Anwesenheit einem gewisses Grauen gewichen. Dabei war es nicht so, dass er sich Stratton leicht als Mörder vorstellen konnte. Vielmehr schien er ihm dazu viel zu konventionell, viel zu rational zu sein. Er war ihm unsympathisch und er war ehrgeizig, aber letztlich doch nur ein ganz normaler Wissenschaftler wie so viele andere auch. Erschreckend war gerade, auf welch undramatische Weise er anscheinend zum Mörder geworden war. Und es dabei noch nicht einmal so sah! Vielmehr war Stratton sogar bereit, Sa'el abermals zu helfen!
Das Schlimmste an alledem war jedoch, dass Fred gegen seinen Willen an seiner eigenen Überzeugung zu zweifeln begann. Er merkte, wie Strattons Argumente in seinem Kopf umherspukten und die Überzeugung, in der dieser sie vorgetragen hatte, versuchte, ihm vorzumachen, dass es doch eigentlich nicht so schlimm wäre, ja, dass es im Gegenteil höchst albern war, sich jetzt in dieser Situation zu verweigern. Die gleiche Stimme sagte ihm, dass es eine lächerliche Idee sei, mit Sa'el reden und ihn überzeugen zu wollen. Zumal Sa'el sich seit ihrer letzten Begegnung nicht wieder hatte blicken lassen - außer um Stratton zu holen.
Fred atmete tief aus und öffnete wieder die Augen, um sich endlich aufzurappeln. Er wünschte Rob wäre da und würde ihn bestärken. Er würde ihm sagen, er solle den Mut nicht verlieren und Stratton ebenso wie Sa'el zum Teufel schicken. Ja, sein Freund hatte überaus feste moralischen Prinzipen! Gehabt - korrigierte er sich und weigerte sich, sich abermals von den Schuldgefühlen überfluten zu lassen.

Resolut stand er auf – und stockte mitten in der Bewegung.
Rechts von ihm, direkt im Anschluss an die Wand, die sich vor seinen Augen geschlossen hatte, befand sich mit einem Mal eine Öffnung und dahinter ein dunkler Gang! Völlig verwirrt sah er sich um. Doch sonst war alles unverändert – außer eben jenem neuen Gang. Das konnte er doch unmöglich übersehen haben...
Fred spürte ein leises Frösteln langsam sein Rückgrat empor kriechen. Doch er ignorierte das mulmige Gefühl und trat vorsichtig ins Neuland.

Schon nach wenigen Schritten stellte er überrascht fest, dass es abwärts ging. Nicht sehr steil, aber stetig und zudem beschrieb der Gang einen leichten Linksbogen. Es war ziemlich dunkel und Fred tastete sich vorsichtig an der Wand entlang. Nicht, weil es wirklich nötig gewesen wäre, um den Weg zu finden, doch die Berührung gab ihm ein gewisses Realitätsgefühl. - Wenn er wenigstens seine Schuhe hätte! Doch es war ausgeschlossen jetzt umzukehren und sie zu holen. Das Risiko, dass sich dies hier nur als ein Traum herausstellte und er wieder in einem ausweglosen Rundgang stand, war viel zu groß.
Ihm kam in den Sinn, dass jemand den Zugang geöffnet haben mochte, um ihn zu befreien. Er wurde mit Sicherheit vermisst. Seine Eltern, seine Geschwister und seine Freunde würden sein Verschwinden doch nicht einfach hinnehmen. Vielleicht hatten sie die Polizei eingeschaltet und...
Ein Lichtschein, den er mit einem Mal von weiter unten im Gang zu erkennen meinte, unterbrach seine Gedanken. Schon nach einigen weiteren Metern war Fred sich sicher, dass es dort unten einen Ausgang geben musste. Wohin auch immer...
Jetzt war er wieder froh, dass er keine Schuhe trug. So leise, wie er es mit ihnen nicht vermocht hätte, schlich er voran, bis er schließlich wenige Meter von einer Öffnung entfernt stand, die sich links in der Wand befand. Das Licht, dass von dort hereinschien, kam ihm nun nicht mehr so hell vor wie eben, als er noch weiter in dem dunklen Gang gestanden hatte. Der Gang selbst führte an der Öffnung vorbei und - nach wie vor in einer Linkskurve - wieder nach oben.
Mit angehaltenem Atem schob sich Fred auf die Öffnung zu, bis er schließlich direkt daneben stand. Er bezwang seine Angst ebenso wie seine aufkeimende Hoffnung und schob den Kopf um die Öffnung. Dort befand sich ein weiterer Gang, der parallel zu dem zu verlaufen schien, aus dem er gerade kam. Doch dieser neue Gang war nicht nur ohne Steigung, sondern auch völlig anders gestaltet. Die Wände waren hier wesentlich unebener, geradezu zerklüftet, und die Decke, die sich wie ein Höhlengang über ihn wölbte, war ebenso gestaltet. Ja, sogar der Boden war gewellt, wenn auch nicht so, dass er nicht mehr bequem drauf hätte gehen können. Die Verblüffung nahm ihm etwas die Angst und er ging einen Schritt vorwärts, um sich umschauen zu können.
Unweit von ihm, in Außenwand gab es eine vielleicht zwei Meter breite und ein Meter hohe Vertiefung. Die dahinterliegende Fläche war so zerklüftet, rau und uneben, dass das Licht bizarre Schatten darin warf, die sich veränderten, während er fasziniert darauf zu ging. Das Licht spielte mit dem Material und reflektierte die unterschiedlichsten Grüntöne, vermischt mit Lila und Grau. Er konnte nicht anders, als die Hand auszustrecken und das gut einen halben Meter in der Vertiefung liegende Material zu berühren. Es war kühl und so rau wie es aussah. Es fühlte sich an wie Stein...
Überrascht musterte Fred den Übergang zwischen der blau-violetten Wand und dem vermeintlichen Stein. Tatsächlich sah es so aus, als schmiege sich das Material der Wand eng an eine dahinterliegende Felswand und strahlte diese aus einem feinmaschigen Netz weiß leuchtender Fäden so kunstvoll an, dass er nur staunen konnte.
Vielleicht fünf Meter weiter fand er abermals eine solche Vertiefung, in der das Spiel aus Licht, Farbe und Form genauso schön und doch ganz anders war. Er hatte das Gefühl eine Reihe von Aquarien aus Stein zu betrachten, denn der Effekt war ähnlich: Beruhigen, faszinierend und erstaunlicherweise auch voller Bewegung durch die Veränderung von Licht und Schatten.
Vollkommen versunken in diese Betrachtung wanderte er weiter, zu einer weiteren Öffnung und von dieser weiter zur nächsten und es dauerte eine ganze Weile bis er merkte, dass er ganz vergessen hatte, in was für einer Situation er sich befand.
Mehr zögernd als erschrocken wandte er sich von seiner Entdeckung ab und sah sich um. Es überraschte ihn nicht, dass sich an der anderen Seite des Ganges gut alle zehn Meter Ausgänge befanden, durch die helles Licht hereinschien. Unbewusst hatte er diese längst wahrgenommen; er hatte ihnen nur keine Aufmerksamkeit geschenkt. Nachdem er ohne sie zu beachten an mindestens fünf solcher Durchbrüche vorbeigeschlendert war, war vorsichtiges Hindurchspähen wohl eher albern. Dennoch konnte Fred seine Achtsamkeit nicht ganz ablegen und schlich mehr als dass er ging auf die nächste dieser Öffnungen zu.
Das erste, was er sah, war, dass der Boden dahinter nicht mehr blau-violett und glatt war, sondern ihm hellgrau und samtig entgegenleuchtete. Kaum war er aus dem Gang getreten, spürte er wie seine Füße in einem weichen Material einsanken, doch bevor er dem weitere Aufmerksamkeit entgegenbringen konnte, wurde sein Blick gleichsam in die Höhe gezogen: Er stand am Rande einer großen ovalen, hellerleuchteten Halle.
Die plötzliche Öffnung der Perspektive hatte etwas befreiendes und das helle Licht bildete einen angenehmen Kontrast zum Dunkel der Gänge, aus denen er kam. Doch das nahm er nur beiläufig wahr, seine ganze Aufmerksamkeit war auf die Kuppel gerichtet, die sich in gut zehn Metern über ihn wölbte und den Blick freigab auf einen Sternenhimmel, wie er ihn in seinem Leben bislang nur ein einziges Mal gesehen hatte – als Sa'el die Decke seines Gefängnisses hatte verschwinden lassen.
Unübersehbar verlief das glitzernde Band der Milchstraße quer über den Himmel, unzähligen Lichtpunkten strahlten um die Wette, dort dicht zu Sternhaufen geballt, hier lockerer gestreut, von unterschiedlicher Helligkeit und von den dunklen Schatten überdeckt, die die sonderbarsten Muster bildeten.
Ohne zu schauen, wo er hinging, stolperte er einige Schritte auf die Mitte der Halle, den Blick wie gebannt auf die Sterne gerichtet, die in den verschiedensten Farben ungewohnt klar und ruhig auf ihn herunterleuchteten.
Schlagartig wurde seine Faszination gestört. Sein Fuß trat ins Leere, er ruderte noch mit den Armen, konnte aber nicht mehr verhindern, dass er fiel. Er hätte beinahe vor Schreck aufgeschrieen, doch sein Sturz endete, kaum dass er begonnen hatte und Fred landete auf etwas Weichem, Nachgiebigen, Pudrigem...
Irritiert rappelte er sich in eine sitzende Position auf. Um ihn herum war feinster hellgrauer Staub und als er aufsah, stellte er fest, dass sich in der Mitte der Halle eine weitläufige, aber nur einen guten Meter tiefe Senke befand und in eben die war er aus Unachtsamkeit hineingekullert.
Fred schloss die Augen und schüttelte den Kopf - fassungslos über sich selbst. Er war ein Gefangener auf der Flucht und hatte nichts besseres zu tun, als mit dumm in der Gegend herum zu tapsen und mit offenem Mund fasziniert seine Umgebung anzustarren. Er war definitiv alles andere als ein Held...
Resigniert ließ er eine Handvoll Staub durch die Finger gleiten, sich wundernd, was der hier sollte, bevor er aufstand und sich selbigen - mit spärlichem Erfolg - von den Kleidern klopfte. Dann kletterte er aus der Senke und warf einen orientierenden Blick um sich, bemüht sich nicht wieder von dem Anblick über ihm einfangen und verzaubern zu lassen.
Der Gang, dessen Außenwand er vorhin so fasziniert untersucht hatte, zog sich rund um die Halle und war von dieser durch regelmäßige Durchgänge zugänglich, so dass er fast wie eine Arkade wirkte. Die Senke in der Mitte war fast zur Gänze mit diesem hellgrauen Staub ausgefüllt, doch im hinteren Teil konnte man auch an manchen Stellen einen scharfen Felsabbruch entdecken.
Fred hielt unwillkürlich die Luft an, als ihm eine Idee kam, womit er es hier zu tun haben könnte: Diese sonderbare blau-violette Struktur schien sich an dieser Stelle in eine natürliche Felseinbuchtung zu fügen und nach dem, was Sa'el ihm gesagt hatte, hatte er einen Mondkrater vor sich. Unwillkürlich bückte er sich und berührte staunend den sandigen Boden. Für einen Moment wusste er nicht, was er davon halten sollte. Eine gewisse Erfurcht ergriff ihn, aber gleichzeitig kam ihm alles viel zu irreal vor, als dass es ihn wirklich berühren konnte. Mit einem Kopfschütteln stand er schließlich auf und wandte sich um, dorthin wo er einen Ausgang vermutete.
Er glaubte nun nicht mehr wirklich, dass ihm jemand zur Flucht verhelfen wollte. Es musste ein Versehen gewesen sein, dass sich in der Wand ein Durchgang geöffnet hatte. Vielleicht eine Fehlfunktion. Wie auch immer, er gedachte die Gelegenheit zu nützen und soviel wie möglich dieser seltsamen Umgebung zu erkunden, bevor ihn jemand entdeckte und in sein Gefängnis zurückbrachte.

Als er sich umwandte stellte er fest, dass er richtig vermutet hatte und sich dort tatsächlich ein Ausgang befand, doch dieser war nicht auf dem gleichen Niveau wie der Grund der Halle. Vielmehr fiel der Boden, nun wieder aus dem bekannten nachtschwarzen Material, erst leicht und dann steiler ab und die Decke tat es ihm nach, so dass auf fast fünf Meter Breite und gut zwei Meter Höhe ein Schlund nach unten führte. Auch hier drängte sich Fred der Vergleich mit einer Höhe auf. Dies hier wirkte wie ein von Wasser ausgespülter unterirdischer Flusslauf und so hielt er es für eine akustische Täuschung, als er kurz darauf das leise Plätschern von Wasser zu hören meinte.
Er ging tiefer in die zunehmende Dunkelheit hinein, aber sehr bald musste er anhalten, nachdem er schon mehrmals beinahe ausgerutscht war. Die Neigung und die Glätte des Bodens korrelierten nicht eben günstig mit seiner momentanen Fußbekleidungen. Mit einem Seufzen setzte er sich. Wenn man ihn schließlich wieder aufgriff, würde er barfuss auch nicht alberner wirken als in Socken. Also zog er selbige aus und stopfte sie sich in die Hosentaschen. Der Boden fühlte sich glatt an und die leicht gewellte Oberfläche schmiegte sich angenehm griffig an seine Fußsohlen.
Nun kam er besser voran, obwohl er die Öffnung in die Halle bald nicht mehr sah und nur noch von den Wänden reflektiertes, indirektes Licht von oben einfiel. Gleichzeitig wurde das Plätschern lauter und er begann daran zu zweifelte, dass es nur eine Einbildung war. Es dauerte nicht lange, da konnte er seine Umgebung nur noch schemenhaft erkennen, doch es schien, als erreiche der Gang nur wenige Meter vor ihm seinen tiefsten Punkt, um dann wieder anzusteigen. In der Senke glitzerte es, als spiegele eine bewegte Wasserfläche das einfallende Licht wider.
Tatsächlich stand er kurz darauf knöcheltief in fließendem, kühlen Wasser, dass sehr sanft von rechts nach links strömte und dabei leicht plätscherte. Rechts, von wo das Wasser kam und links, wohin es floss, schienen sich Hohlräume zu öffnen, doch sein Blick war gebannt durch das Spiel des Lichts, das spärlich aber effektvoll von oben in die Dunkelheit fiel. Es reflektierte sich an der dunklen aber glatten Oberfläche der Wände, bündelte sich hier unten und brachte die Wasseroberfläche zu seinen Füßen zum glitzern, während die Lichtstrahlen sich auf dem Weg herunter streuten und den unwirklichen Eindruck entstehen ließ, als schwebten regungslose Staubteilchen in der Luft. Dies war ein Ort, an dem man jegliches Zeitgefühl verlieren konnte und so vermochte er nicht zu sagen, wie lange es dauerte, bis er sich von diesem Anblick losreißen konnte.
Er begann sich über sich selbst zu wundern. Nichts von dem, was er auf seiner Erkundungstour gesehen hatte, passte zu seiner Vorstellung von einer Mondstation und doch hatte er den Eindruck, als würde es so und nicht anders gehören. Alles fügte sich organisch zusammen und dieses seltsame Material, aus dem diese Station gefertigt war, wirkte wie gewachsen und nicht wie gebaut...
Fred schob den Gedanken beiseite. Darüber konnte er nachgrübeln, wenn er wieder in seiner Zelle eingesperrt war. Statt dessen entschied er sich - eine Erkundung in der Dunkelheit scheuend – den Wasserlauf vollends zu durchqueren und den Schlund auf der anderen Seite wieder hoch zu gehen.

Es dauerte eine Weile, bis er oben angekommen war. Geblendet blinzelnd er ins Licht und stellte er fest, dass er abermals in einer hohen Halle gelandet war. Diese hier war sogar noch bedeutend höher als die, aus der er kam, aber anders geformt, nicht oval, sondern kreisförmig. Abermals zog der durch eine durchsichtige Kuppel scheinende Sternenhimmel seinen Blick auf sich, doch er war hier weit weniger dominierend als in der anderen Halle. Faszinierender war hier vor allem das Rund der Seitenwand. Diese war vielfach von unterschiedlichst geformten Öffnungen durchbrochen und er konnte nur raten, was für Räume sich dahinter verbargen. In gut drei Metern Höhe befand sich eine grazil geschwungene Galerie, von der aus man über zwei Rampen hinunter auf den Boden der Halle gelangen konnte.
Erst sie leiteten seine Aufmerksamkeit auf den Grund der Halle. Staunend stellte er fest, dass er in einer Art Garten gelandet war. Zumindest sahen die sonderbaren Gebilde wie fremdartige Pflanzen aus, selbst wenn sie überwiegend nicht seine Erwartung erfüllten, grün zu sein. Hier schien auch das Wasser herzukommen, denn er sah so etwas wie einen kleinen Bachlauf und eine Art Becken, in das sich ein über mehrere flache Kaskaden plätschernder Wasserfall ergoss.
Vorsichtig darauf bedacht nicht allzu weit in die Mitte der Halle zu gehen, ging er ein Stück parallel zur Außerwand, um eine bessere Sicht zu haben. Doch nach nur wenigen Schritten stockte er ungläubig. - Auf dem Rand des Beckens saß ein Mädchen. In einem schwarz-glitzernden Anzug, ähnlich wie ihn die Taelons trugen, aber unzweifelhaft menschlich. Auf ihren zum Schneidersitz gekreuzten Beinen lag ein Buch, zu dem sie hinuntersah, so dass ihr die Haare über das Gesicht fielen.
Die Stimme der Vernunft sagte ihm, er solle sich zurück ziehen, solange sie ihn nicht gesehen hatte. Diese Stimme hatte zweifellos recht, doch es gelang ihm nicht sich zu bewegen oder auch nur den Blick von ihr zu nehmen. Die Selbstverständlichkeit mit der diese zierliche Gestalt inmitten dieser fremdartigen Umgebung saß, hatte gleichzeitig etwas befremdendes wie anrührendes.
Wer war sie? Und wie kam sie hier her? Fred hatte das Gefühl, als wäre ihm im Laufe seiner Erkundungstour sein Realitätssinn abhanden gekommen und als könne er seinen Augen nicht trauten, dass das was er sah, auch tatsächlich da war. Gleichzeitig arbeitete sein Verstand auf Hochtouren. Warum sollte hier außer Stratton und ihm noch ein weiterer Mensch sein? Wer hatte sonst noch etwas mit den Experimenten zu tun... Ihm kam ein erschreckender Gedanke. Hatten Stratton und Sa'el nicht angedeutet, dass es Überlebende gab?
Fred merkte, wie er gebannt war, zwischen dem Impuls sich zurückzuziehen und sie anzusprechen. Einerseits fürchte er, dass sich seine Vermutung bestätigen könnte und er mit etwas konfrontiert wurde, dass er nicht wahrhaben wollte. Andererseits war hier ein weiterer Mensch, mit dem er sprechen konnte, der vielleicht etwas wusste, was ihm half aus diesem Alptraum herauszukommen. Wenn er jetzt ging, dann erfuhr er vielleicht nie, wer das war und ob sie überhaupt real war.
Einen Moment lang stand er still, unfähig eine Entscheidung zu treffen, bis ihm diese abgenommen wurde. Das Mädchen hob den Kopf und sah zu ihm hinüber, ohne jedes Erstaunen, ganz so als hätte sie schon längst gewusst, dass er da war.
Weglaufen war nun unsinnig, doch auf sie zugehen, fiel ihm einen Moment lang genauso schwer. Also wartete er auf eine Reaktion. Würde sie eine Wache rufen oder weglaufen? Doch sie sah ihn einfach nur an und schien ihrerseits zu warten, bis er schließlich begann, sich unter ihrem Blick unwohl zu fühlen. Unsicher ging er auf sie zu, blieb aber einige Schritte von ihr entfernt stehen.
„Hi...”, sagte er, bevor er sich eine der Situation angemessenere, feierlichere Anrede überlegen konnte. Ihr Blick blieb weiter unverändert, direkt und ohne Belustigung, doch er hätte sich am liebsten getreten und merkte, dass ihm vor Peinlichkeit das Blut ins Gesicht stieg. Auch bedingt dadurch, dass er nun aus der Nähe sah, dass er kein junges Mädchen vor sich hatte, sondern eine erwachsene Frau, deren Gesicht, wenn auch weitgehend ohne Falten, ausgeformt und ohne kindliche Weichheit war. Ihre zierliche Figur und die Haltung, in der sie dasaß, hatte ihn genarrt.
„Entschuldigung,” verbesserte er sich schnell, „ich wollte Sie nicht stören. Mein Name ist Frederic Cockburn. Ich bin...” Ja, was? Sa'els Gefangener? Da konnte er sie ja gleich bitten, die Wachen zu rufen.
„Ich weiß, wer Sie sind”, kam sie ihm zu Hilfe und ihr unaufgeregte Tonfall beruhigte ihn etwas. „Ich bin Stella... Morel.”
Scharf zog er den Atem ein. „Stella Morel?” Diesen Namen kannte er. Sa'el hatte ihn genannt, und Stratton auch. „Sie sind...” Fred biss sich auf die Zunge, doch es war schon zu spät. Fragend sah sie ihn an.
„Was bin ich?”
„Die Experimente...” In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Er hatte es geahnt, doch sicher zu wissen, dass es Geschöpfe gab, denen das widerfahren war, was er so unbedingt hatte verhindern wollen, tat weh. „Sie sind eines der...” Wieder brach Fred ab. Eines der Versuchsobjekte, hatte er sagen wollen, doch er brachte es nicht heraus. Es schien ihm, als wäre die Sache weniger real, wenn sie unausgesprochen blieb.
Aber Stella nickte nur. „Ich bin einer der Hybriden”, antwortete sie ruhig.
„Das tut mir leid!”, entfuhr es ihm, bevor er sich zurückhalten konnte.
Erstaunt sah sie ihm an. „Warum?”
Hektisch suchte er nach Worten, um sich zu erklären. „Ich wünschte, ich hätte verhindern können, dass so etwas passiert.” Er machte eine Geste, um die Hilflosigkeit auszudrücken, die er empfand. Er hatte so viel riskiert und so viel mit seiner Tat angerichtet, nur Gutes war nichts, aber auch gar nichts, dabei herausgekommen.
Seine Aussage steigerte offenbar die Verwirrung der Frau noch. Sie senkte langsam den Blick auf den Rand des Beckens auf dem sie saß. Wie in Gedanken versunken, ließ sie ihre rechte Hand über das Material gleiten ohne es wirklich zu berühren. Etliche Sekunden lang geschah gar nichts, bis Fred das Gefühl beschlich, sie hätte ihn vergessen. Was war mit ihr?
Vorsichtig trat er noch einen Schritt näher und erreichte damit, dass die Frau – Stella, korrigierte er sich - ihn wieder ansah, mit einem Blick, in dem ein gewisses fragendes Erstaunen zu liegen schien, ganz so als hätte sie ihn in den wenigen Augenblicken tatsächlich vergessen.
„Geht es Ihnen gut?” Fred beugte sich unwillkürlich etwas zu ihr vor und musterte sie besorgt. Ihr Blick schien seltsam getrübt, so als wäre sie nicht ganz da. Dumme Frage, sagte er sich selbst, wie könnte es ihr gut gehen, nach dem, was man mit ihr gemacht hatte.
Stella selbst lächelte nur leicht. „Es geht mir gut,” antwortete sie, „ich bin nur etwas erschöpft.”
Doch Fred konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es mehr war als nur eine leichte Erschöpfung. Ohne sich recht bewusst zu sein, was er tat, setzte er sich neben sie auf den Rand des Wasserbeckens, um sie besser anschauen zu können. Sie hatte etwas Zartes, Zerbrechliches an sich und sie schien irgendwie verloren. Die Ruhe, mit der sie seinen Blick erwiderte, beunruhigte ihn. Wie konnte sie so gelassen sein, nach dem was mit ihr passiert war? Sein Eindruck, dass mit ihr irgendetwas ganz und gar nicht stimmte verstärkte sich. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?”, fragte er vorsichtig.
In ihr Lächeln mischte sich ein Funken Belustigung. „Ich dachte eigentlich, ich wäre diejenige, die dir helfen sollte!”
„Mir?” Nun war es an ihm verwirrt zu sein, doch sie legte nur leicht den Kopf schief.
„Nach dem was ich gehört habe, bist du sehr unglücklich mit deiner Situation.”
„Woher weißt du...” Fred brach ab. Halb vor Verwirrung, halb weil ihm bewusst wurde, dass er sie geduzt hatte und sie das zuvor auch getan hatte. Doch tatsächlich schien ihm das in dieser alles andere als förmlichen Situation passend zu sein. Zumal er merkte, wie diese sonderbare Frau etwas in ihm rührte und in ihm den Wunsch weckte, sie zu beschützen. ‚Idiot!’, schalt er sich selbst. Er hatte bei dem Versuch andere zu schützen schon einmal versagt und war nun in einer Lage, in der er sich nicht einmal selbst helfen konnte. Verunsichert wandte er seinen Blick ab und ließ ihn über die Szenerie schweifen, zumal er feststellte, dass Stella ihm auf seine Frage nicht geantwortet hatte.
„Wo sind wir hier eigentlich?”, fragte er um abzulenken. „Sind wir wirklich auf dem Mond?”
„Ja”, bestätigte sie mit einem Nicken.
Ärger stieg wie eine Welle in ihm auf. „Dann haben die Taelons auf der Rückseite des Mondes eine Station eingerichtet, wo die Menschen sie nicht sehen können? Sie scheinen ja eine ganze Menge zu verbergen zu haben. Die Experimente waren wohl erst der Anfang!” Franks Zorn richtete sich nicht gegen Stella, doch er schien sie damit zu verunsichern.
Hilflos zuckte sie mit den Achseln. „Tut mir leid, ich habe keine Ahnung”, antwortete sie und senkte den Blick auf das Buch in ihrem Schoß.
Fred spürte einen Stich. Das letzte, was er wollte, war ein Opfer der Taelons mit seiner Wut auf diese zu erschrecken. „Macht nichts”, erklärte er schnell und suchte hastig nach Worten, um den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. „Das hier sieht nicht aus wie... wie ich mir eine Raumstation vorstellen würde. Was ist dies zum Beispiel für eine Halle? Es sieht aus wie ein Garten, aber was ist seine Funktion?”
Stella sah wieder auf und lächelte wieder ihr ruhiges Lächeln. „Es ist ein Garten und er hat keine bestimmte Funktion, außer der Mittelpunkt dieses... Bereichs der Mondstation zu sein.”
„Dieses Bereichs?”
„Ja, des Bereichs, in dem wir gerade leben.”
„Leben nennst du das?”, fragte er etwas sarkastisch und erst als er es ausgesprochen hatte, stellte Fred fest, dass er sich beherrschen musste, um nicht wieder wütend zu werden.
Stella legte den Kopf etwas schief und sah ihn fragend an.
„Wie würdest du es nennen?”
„Ich weiß nicht...” Fred suchte vergebens nach einem passenden Begriff. „Jedenfalls ist es kein Leben, wenn man gefangen ist.”
Stella wandte nachdenklich den Kopf ab. „Nun, momentan habe ich zwar auch keine Möglichkeit diesen Bereich hier zu verlassen”, meinte sie nach einiger Zeit, „ich wäre aber dennoch nicht auf die Idee gekommen, es als Gefängnis zu bezeichnen.”
„Aber was ist es denn dann?” Fred konnte nicht anders als Stella verständnislos anzuschauen. Naiv, war mit einem Mal der Begriff, der ihm in den Sinn kam. Vielleicht war sie so ruhig und gelassen, weil sie ihre Situation nicht richtig realisierte?
Tatsächlich war ihr Verhalten merkwürdig. Sie schwieg mehr, als dass sie redete. Dabei hatte er nicht den Eindruck, als versuche sie, ihm etwas zu verheimlichen - eher als brauche sie lange, bis sie verstand, was er meinte und bis sie eine Antwort darauf fand.
Stella begegnete seiner Empörung wieder nur mit einem Lächeln. „Aber ist es noch ein Gefängnis, wenn man es nicht verlassen will?”
„Du willst hier gar nicht raus?” Fassungslos starrte Fred sie an. „Aber was ist mit deiner Familie, deinen Freunden, deinem Zuhause?”
Doch er erhielt keine Antwort. Stella sah ihn nur mit ihrem ruhigen Blick an und schwieg.
‚Naiv’ war nun nicht mehr das Wort, dass ihm einfiel. ‚Gehirnwäsche’ schien ihm passender und ihm lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Was hatten sie nur mit ihr angestellt, dass sie sich derart verhielt? Natürlich kannte er sie nicht, wusste nicht, wie sie früher gewesen war, aber dies war alles sehr merkwürdig.
Kam ihr Gleichmut von dem Experiment oder stand sie gar unter Drogen? Tatsächlich wirkte sie ein bisschen wie weggetreten, nicht ganz präsent. Fred beugte sich vor und sah ihr forschend in die Augen. In ihnen lag kein bisschen Kälte, die darauf hätte schließen lassen, dass ihr einfach alles egal war. Bevor Fred in der Lage war, weitere Schlüsse zu ziehen, wandte Stella den Blick ab und sah an ihm vorbei. Unwillkürlich folgte er ihrem Blick und erstarrte.
Am Fuße einer Rampe, die zu der Galerie führte, stand Sa'el.
Sein erster Impuls war wegzulaufen, doch die Unsinnigkeit dies zu tun, leuchtete ihm ebenso unmittelbar ein. Also sah er lediglich etwas verunsichert zurück zu Stella, die wie ihm schien etwas eingeschüchtert beobachtete, wie Sa'el zu ihnen herüberkam.
Fred stand auf, um seine Anwesen zu erklären, doch Sa'el beachtete ihn gar nicht. Sein Blick war vielmehr forschend und streng auf Stella gerichtet, die schnell nachgab und den Kopf senkte.
Eher er es sich versah, war Fred einen Schritt nach vorne und halb zwischen sie und den Taelon getreten. „Sie hat nichts damit zu tun. In der Wand hat sich einfach ein Durchgang geöffnet und ich bin hindurchgelaufen.”
Der energische Blick des Taelons richtete sich auf ihn und nur mit Mühe gelang es Fred diesem Stand zu halten. „Ich weiß, was geschehen ist”, antwortete Sa'el.
„Sie wissen es?” Fred gelang es nicht, seine Verblüffung zu verbergen. „Aber warum haben Sie dann keine Wachen geschickt, um mich wieder einzusperren?”
„Weil es hier keine Wachen gibt, Dr. Cockburn”, erwiderte Sa'el mit einer ausladenden Geste, die eine gewisse Ungeduld zu verraten schien. „Und weil es darüber hinaus keinen Grund gibt, Sie weiterhin auf Ihre bisherigen Räumlichkeiten zu beschränken.”
Fassungslos sah Fred ihn an. „Heißt dass, ich kann gehen?”
„Was heißt ‚gehen’? Innerhalb dieses Bereiches können Sie gehen, wohin Sie wollen. Hinaus können Sie genauso wenig wie wir anderen.”
Sa'el war nun definitiv ungeduldig und wandte sich wieder Stella zu, doch Fred bekam das nur am Rande mit. Langsam dämmerte ihm die Bedeutung dieser Worte.
„Sie können hier auch nicht raus? Genauso wenig wie Stratton, ich oder Stella?”
„Nein, zumindest momentan nicht”, antwortete Sa'el und widmete ihm dabei lediglich einen Seitenblick.
„Dann ist dies auch Ihr Gefängnis?” Ungläubig sah Fred Sa'el an und versuchte vergebens herauszufinden, ob der Taelon ihn nur zum besten hielt.
Ärgerlich wandte sich dieser ihm wieder zu. „Ich empfinde es nicht als ein solches. Doch nun muss ich Sie bitten, uns diese Unterhaltung ein anderes Mal fortsetzen zu lassen.”
Damit fasste der Taelon an ihm vorbei nach Stellas Oberarm. Ohne es zu wollen trat Fred zurück und beobachtete, wie Stella zögerlich das Buch in ihrem Schoß beiseite legte und etwas unsicher aufstand.
„Was haben Sie mit ihr vor?”, fragte er alarmiert.
Ein scharfer, zurechtweisender Blick Sa'els traf ihn, bevor dieser an ihm vorbei sah und ihn ignorierend Stella mit sich zog.
„Aber...” Fred wunderte sich über sich selbst, als er dem Taelon in den Weg trat und damit wieder dessen ärgerlichen Blick auf sich zog. Woher nahm er diesen Mut und wofür? Warum um alles in der Welt fühlte er sich verantwortlich für Stella, die er doch nicht mal kannte? Dass ihr Versuch, die Experimente zu verhindern misslungen war, machte ihn nicht mitschuldig an deren Durchführung, ebenso wenig verpflichtete es ihn zum Schutz ihrer Opfer. Und doch hatte er genau dieses Gefühl!
„Sie hat nichts getan und es geht ihr nicht gut”, versuchte er zu intervenieren.
Sa'el wollte etwas erwidern, doch er stockte, als Stella den Kopf hob und ihren Blick auf ihn, Fred, fokussierte. „Es ist schon in Ordnung”, meinte sie mit einem schwachen Lächeln, „lass uns ruhig gehen.”
Fred musterte sie genau und versuchte in ihrem Blick etwas wie Furcht oder eine stumme Bitte zu entdecken, die ihren Worten widersprach, doch alles was er darin zu erkennen meinte, war Erschöpfung. Zweifelnd sah Fred zu Sa'el, der es dabei beließ, ihn ungeduldig anzusehen.
„Okay...” meinte Fred schließlich und trat beiseite, weniger, weil er tatsächlich beruhigt war, sondern weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Mit einem unguten Gefühl sah er zu, wie Sa'el Stella die Rampe empor führte.
Wieder fühlte er sich wie ein Feigling, weil er sich so leicht zum Aufgeben hätte bringen lassen. Wenigstens eine Erklärung hätte er einfordern sollen, denn so hatte er nicht einmal einen Anhaltspunkt, ob seine Befürchtung, Stella wäre für Sa'el weiterhin ein Objekt für seine Versuche, zutraf. Bei dieser Vorstellung wäre Fred am liebsten hinterher gerannt, doch da verschloss sich auch schon der Durchgang hinter den beiden.

Bekümmert setzte er sich auf den Rand des Beckens. Sein Blick schweifte über die fremdartigen Pflanzen, doch er konnte sich zu keinem Interesse für sie aufraffen.
Vielleicht hatte er die Situation ja auch völlig falsch eingeschätzt?
Fred schüttelte ärgerlich über sich den Kopf. Rob hätte sich bedenkenlos auf den leisesten Verdacht hin für Stella verkämpft, während er mal wieder zauderte und sich jetzt schon damit zu beruhigen versuchte, das sein Eingreifen möglicherweise gar nicht nötig war.
Resigniert griff er nach dem Buch, in dem Stella gelesen hatte. Ein dicker grüngebundener Wälzer, auf dessen Inhalt nur ein kleiner goldener Aufdruck auf dem Buchrücken Aufschluss verriet. „C. G. Jung – Traumanalyse” - Irgendwie eine passende Lektüre für diese Person.
Um sich zu beschäftigen, schlug er es auf und stutzte schon nach der ersten Seite. An der Stelle, an der er seine Bücher zu kennzeichnen pflegte, prangte ihm sein eigener Name entgegen. Wie konnte das sein? Er besaß dieses Buch gar nicht... Doch, erinnerte er sich. Er hatte es vor vielen Jahren mit anderen zusammen in einem Antiquariat gekauft und es danach nie wieder in die Hand genommen. Er erinnerte sich sogar, wo es in seinem Bücherregal gestanden hatte, nämlich ganz am Rand als Stütze für Bücher, die ihm wichtig waren. Gut möglich, dass es mit unter die Sachen gerutscht war, die er angefordert hatte.
Doch das beantwortete nicht die Frage, wie es in Stellas Hände gelangt war.
Wut begann in ihm aufzusteigen bei dem Gedanken, dass seine Sachen nicht einfach nur eingepackt, sondern vielleicht sogar durchwühlt worden waren. Doch was hatte er erwartet? Irgendjemand musste in seiner Wohnung gewesen sein, er hatte es ja mit seiner Anforderung sogar selbst veranlasst. Fred bezwang seinen Ärger und beschloss, Stella einfach zu fragen, wie sie an das Buch gekommen war.
Stella... Fred unterdrückte seine Phantasie, die ihm ausmalen wollte, in welchen Situationen sich die Frau gerade befinden konnte und schlug das Buch willkürlich irgendwo auf.
„Dr. JUNG: Wenn wir über die Brücke gehen müssen, die so scharf ist wie eine Messerschneide und so schmal wie ein Haar, dann begegnen wir allen unseren Sünden und allen unseren Tugenden...”
All unseren Sünden und Tugenden... Auch wenn er fortgesetzt versuchte, es zu ignorieren, Fred war sich nur zu bewusst, dass ihn nicht nur der Anschlag auf das Labor mit den Experimenten verband, sondern auch die Vorarbeiten, die er zuvor für Sa'el geleistet hatte. Hatten sie die Experimente vielleicht erst möglich gemacht? Und wenn nicht, entlastete es ihn? Enthob ihn das von der Verantwortung für deren Opfer?
Fred blätterte zurück, um den zu Jungs Aussage gehörenden Traum zu lesen.

 

 

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