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  „Der gespiegelte Blick” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Entstehungszeitraum: Herbst 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Elaine führt ein Gespräch mit Belman, während Stella und Sa'el Strattons und Cockburns Sachen durchstöbern. Kurz darauf wird Sa'el von Zo'or „besucht” und Frank Stratton lernt seinen neuen Arbeitsplatz kennen. Wieder allein macht Stella eine unangenehme Erfahrung.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde, kurz nach dem Unfall bei Silent Falls
Charaktere:  Elaine, Stella, Sa'el, Frank Stratton [Belman, Zo'or]
 

 

DER GESPIEGELTE BLICK

Kapitel 4: Zweifelhafte Erfolge

 

Teil 1

In der Halle war ungewöhnlich viel Betrieb. Elaine sah mit gemischten Gefühlen zu, wie fünf selbsternannte Widerstandskämpfer geschäftig mit den Computern hantierten und lebhaft debattierten. Sie waren alle Mitte Zwanzig wie Carol, die sich unter ihnen als die Wortführerin behauptete, und überzeugt von ihrer eigenen Wichtigkeit, vor der Elaine auf die Galerie geflüchtet war.
Dort saß sie nun auf der obersten Stufe der Treppe, die wie der Rest der rund um die Halle laufenden Empore aus angerosteten Metallgittern bestand, und sah dem Treiben zu. So langsam ahnte sie, wozu man die ganze Computeranlage brauchen konnte, die sie bislang für reichlich überdimensioniert gehalten hatte. In ihrer anfänglichen Begeisterung über diese erstklassige Ausstattung hatten die Neulinge angefangen damit herumzuspielen, doch mittlerweile zeigten sich erste Ansätze, die über reine Spielerei hinausging. Vermutlich dauerte es nur noch Tage, bis sie alle außer vielleicht Carol, die sich mehr auf die Koordination verlegt hatte, mehr über die Details der Technik wussten als Elaine.
Erstaunlich war es zu beobachten, mit welchem Elan sie alle ans Werk gingen. Elaine konnte ihnen darin nicht folgen. Zwar war sie mittlerweile kein Kaffeejunkie mehr und mit Hilfe der Schlaftabletten, die Belman ihr hatte zukommen lassen, kam sie auch einigermaßen zur Ruhe, doch die Idee eine Untergrundorganisation aufzubauen, kam ihr nun eher mehr denn weniger absurd vor.
Die Spionage, die sie kannte, bewegte sich auf anderen Ebenen. Dort verrammelte man sich nicht zu konspirativen Zirkeln in unterirdischen, geheimen Verstecken. Vielmehr traf man sich in lichten, gut eingerichteten Büros, mehr oder weniger guten Restaurants oder mietete für eine gewisse Zeit auch mal ein Hotelzimmer oder eine Wohnung. Und irgendwann machte man Feierabend und ging nach Hause.
Die jungen Leute unten in der Halle gingen jedoch nicht nach Hause, obwohl sie es im Gegensatz zu Elaine gekonnt hätten. Der selbstgewählte Belagerungszustand schien ihnen zu gefallen und sie stilisierten jeden Ausflug nach draußen zu einem gefährlichen Unternehmen hoch.
Nein, sie war ungerecht. Diese Fünf, die Carol bald nach ihrer ersten Kontaktaufnahme mit der kleiner Anti-Taelon-Gruppe hier her gebracht hatte - viel zu früh für Elaines Geschmack - waren durchaus ernsthaft und vernünftig. Es lag wohl an ihr...

Elaine merkte auf, als sich unten in der Halle die Tür öffnete, die aus dem versteckten Zugang herein führte. Es war Dr. Belman. Erfreut stand Elaine auf und wedelte mit den Papieren, die sie, um Geschäftigkeit vorzutäuschen, mit herauf genommen hatte.
„Warten Sie, ich komme runter!”, rief sie und stellte fest, dass der Klang ihrer Stimme nun, wo Leben in der Halle war, nicht mehr gespenstisch hallte, sondern klar durch den Raum getragen wurde.
Doch Belman winkte ab. „Nein, bleiben Sie nur. Ich komme.”
Kurz darauf saß die Ärztin neben ihr auf den Papieren, die Elaine ihr als Unterlage hingelegt hatte, damit sie ihre Kleidung nicht mit Rostflecken ruinierte.
„Ein nettes Plätzchen haben Sie sich da ausgesucht”, meinte die Ärztin und ließ ihren Blick über die Halle schweifen. „Ich habe Jonathan Doors gefragt, was hier früher war. Ihre Vermutung war richtig, es war einmal eine Druckerei. Das Gebäude darüber wurde abgerissen und einfach eine Lagerhalle darüber gestellt, während der Keller blieb und vergessen wurde.”
„Ja, diese Gegend hat bessere Tage gesehen. Mich wundert aber doch, dass dieses Gebiet noch nicht von Spekulanten entdeckt und mit Appartementhäusern zugepflastert wurde. Günstig genug liegt es doch eigentlich.” Elaine merkte, wie sie es genoss, einmal über etwas anderes reden zu können, als über Taelons und den notwendigen Widerstand gegen sie.
„Das schon, aber der Boden ist dioxinverseucht und daran erinnern sich noch zu viele Leute. Aber warten wir noch einmal zehn bis zwanzig Jahre, dann sind die Beweise vertuscht und hier wird Kasse gemacht.”
„Und allen voran von unserem hochgeschätzten Mr. Jonathan Doors”, meinte Elaine abfällig.
Belman zuckte mit den Schultern.
„Was erwarten Sie? Er hat seine jetzige Position nicht erreicht, weil er so ein guter Mensch ist.”
„Das scheint Sie nicht davon abzuhalten, ihn als einen Freund zu betrachten.”
Elaine merkte erst im Moment als sie es ausgesprochen hatte, wie unfreundlich das klang. Doch Belman sah sie nur nachdenklich und mit einem kleinen Lächeln an.
„Und Sie nicht davon, für ihn zu arbeiten.”
Elaine sah wieder in die Halle hinunter und nickte bedächtig.
„Ja, wir hätten wohl beide gewisse Probleme als Unschuldslämmchen durchzugehen...”
Unten standen gerade alle sechs um einen Computerbildschirm und debattierten heftig. „Ganz im Gegensatz zu manchen anderen...”
Sie erntete dafür von Belman ein Lachen.
„Die gehen Ihnen ganz schön auf den Geist, nicht?”
„Ach, ich weiß auch nicht.” Elaine stützte das Kinn in die Hand. „Ich fürchte, ich bin zu alt für so etwas wie eine Widerstandsbewegung.”
„Das sagen Sie? Sie sind bald zwanzig Jahre jünger als ich!”
„Mag sein, aber ich bin über zehn Jahre älter als die dort unten und mir kommt das ganze einfach nur schrecklich albern vor. An Anfang war es noch ein Alptraum, doch nun empfinde ich es eher als eine Farce. Das kann doch nicht wahr sein, dass wir hier rumsitzen und mit diesen Kindern Widerstand spielen.”
„Was sind die Alternativen? Ich meine, für Sie ganz persönlich? Wollen Sie sich der Polizei stellen?”
Elaine erwiderte den Blick der Ärztin.
„Warum nicht? Allzu viel wird mir nicht passieren. Offiziell hab ich nicht mehr als einen Diebstahl versucht.”
„Das ist schon richtig, doch haben Sie eine Ahnung, wie die Stimmung dort draußen ist? Die Taelons haben die Rettungsaktion mittlerweile weitgehend abgeschlossen und insgesamt haben sie dafür kaum zwei Wochen gebraucht. Silent Falls ist bereits seit Tagen wieder bewohnt und es gibt ganz ernsthafte Diskussionen darüber, den Ort in Taelonville umzubenennen! Außerdem fahren die Fernsehsender immer noch Sondersendungen, weil ihre Zuschauer nicht genug bekommen können von diesem Wunder. Doch so langsam geht ihnen der Sendestoff aus. Wenn Sie sich stellen, würde die sich wie die Hyänen auf Sie stürzen!”
„Ja, vermutlich...” Elaine wand den Blick wieder hinunter, doch dieses Mal ohne etwas zu sehen. „Es ist nur... Wissen Sie, mir kommt so oft in den Sinn, was Frank und Stella dazu sagen würden. Das ist schon bescheuert: Früher habe ich mir gewünscht, sie würden endlich mit ihrer Gifterei aufhören und jetzt, wo ich doch zumindest davor Ruhe haben sollte, streiten sie sich in meinem Kopf weiter. Frank schimpft über das, was Stella sagen würde, während Stella zynische Bemerkungen über Franks Meinung macht. Doch in einem Punkt sind sich beide einig: Das hier finden sie einfach unmöglich!” Elaine sah Belman wieder an. „Das klingt ganz schön verrückt, nicht?”
Freundlicherweise schüttelte sie den Kopf. „Nein, das finde ich nicht, aber Sie sollten sich nicht so sehr davon beeinflussen lassen, sondern Ihren eigenen Weg gehen.”
„Das sagt sich so leicht!” Elaine seufzte und strich mit der Hand über das rostige Gitter. „Haben Sie mittlerweile etwas über die beiden erfahren?”
„Nein, tut mir leid. Immer noch nichts.” Belman legte ihr tröstend eine Hand auf den Arm. „Sie sind verschwunden, aber die Taelons behaupten, es ginge ihnen gut. Stella Morel erhole sich von dem ‚Unfall’, während Frank angeblich aus eigenem Wunsch der Öffentlichkeit fern bleibt.”
„Und das glauben die Leute?”
Belman zuckte mit den Schultern.
„Scheinbar ja. Und bei der Art wie die Presse all das darstellt, ist das auch kein Wunder.”
„Vermutlich kann man mit Taelon-Bashing derzeit auch keine Quote machen.”
„Nein, bestimmt nicht...”
Eine Weile saßen die beiden Frauen nachdenklich nebeneinander.
Und wieder kreisten Elaines Gedanken um Frank und Stella. Vor allem bei Frank ärgerte sie das. Was er getan hatte, war unverzeihlich und bestätigte viel von dem, was Stella immer über ihn gesagt hatte. Elaine hatte ihn ihr gegenüber verteidigt und oft genug darauf hingewiesen, dass es Stella war, die sie und Frank überhaupt erst miteinander bekannt gemacht hatte. Es wäre etwas, was sie bitter bereute, hatte Stella immer geantwortet, aber dann meist das Thema gewechselt.
Aber auch Stella... War sie nicht viel zu begeistert gewesen von ihrer neuen Position und vor allem von ihrem außerirdischen Chef? Elaine kannte das Glitzern in ihren Augen, wenn sie von ihm sprach. Es war das gleiche wie jenes, mit dem sie von ihren neuesten Geliebten berichtete. Auf einen entsprechenden Hinweis hatte Stella mehr als schroff reagiert, doch Elaine hielt das nicht unbedingt für ein Indiz gegen ihre Vermutung. Ein Taelon musste Stella, der nichts exotisch genug sein konnte, faszinieren. Und gleichzeitig war er absolut unerreichbar. Was konnte es besseres geben, für jemanden, der jede Beziehung nach wenigen Wochen abbrach, weil ihm die Nähe zu viel wurde?
Es war bös dies zu denken, doch es war etwas daran und im Grunde war sie selbst ja auch gar nicht so viel anders. Frank war schließlich das beste Beispiel dafür, dass auch sie nicht gerade innige Beziehungen pflegte. Ja, selbst in der Freundschaft zu Stella war immer genauso sehr Distanz wie von Vertrautheit geprägt gewesen. Elaine hatte sich nicht abhängig von ihr gemacht, ebenso wenig wie von Frank. Sie waren die beiden Menschen, denen sie am nächsten stand, doch wie nah war das eigentlich? Sie kannte die beiden, wusste wie sie auf etwas reagierten, aber was hatten sie je von dem erzählt, was in ihnen vor ging? Was hatte sie erzählt?
„Haben Sie eigentlich schon eine Möglichkeit gefunden, an Morels ehemalige Chefin Atwood heranzukommen?”, riss Belman sie aus ihren Gedanken.
Elaine brauchte einem Moment, um zu realisieren, was sie gefragte worden war. Dann nickte sie.
„Ja, ich denke schon.”
Sie hatte herausgefunden, dass einer der observierenden FBI-Leute seine Zeit lieber mit seiner derzeitigen Geliebten verbrachte als mit seiner Arbeit, einen Umstand, den sie so bald wie möglich auszunützen gedachte.
„Sehr gut!” Belman klang erleichtert. ”Wäre schön, wenn wenigstens Sie Doors bald etwas präsentieren könnten.”
„Sie hatten kein Glück?”
Die ältere Frau winkte halb verärgert, halb resigniert ab. „Nicht das geringste. Die weitere Untersuchung der Leiche hat ergeben, dass nun der Verwesungsprozess beginnt. Und zwar ganz normal. Es ist als hätte er einfach eine Zeit lang auf Eis gelegen. Doors denkt, dass nun die Energie entwichen ist. Was für eine Vorstellung! Aber dazu passt, dass er nun noch mehr darauf drängt, eine Probe dieser ominösen Taelonenergie zu erhalten. Als wäre diese Energie eine Art Materie, die man nur finden und dann ein Stück abschneiden müsste.”
„Naja, Doors drückt sich vielleicht nicht sehr glücklich aus, aber mit dem, was er meint, könnte er doch recht haben. Es wird die Wirkung sein, die diese Energie oder was auch immer auf den Körper des Jungen hatte, die nun nachlässt. Und was die Probe anbelangt, so muss diese Energie doch irgendwie gespeichert werden. Ein solches Speichermedium müsste doch zu finden sein.”
Belman ließ ein kleines Lachen hören.
„Sie klingen wie ich, wenn ich mit Marquette spreche.” Mit einem Seufzer stand sie etwas umständlich auf. „Nun, dann will ich mich mal wieder an die Arbeit machen. Immerhin konnte ich einen Beutel mit Taelonplasma entwenden und warum sollte ich den nicht noch einmal untersuchen? Machen Sie's gut!”
Elaine nickte der Ärztin freundlich zu. „Ich wünsche Ihnen viel Glück bei Ihren Analysen.”
Die Frau war erst ein paar Stufen gegangen als Elaine sie zurückhielt.
„Dr. Belman, warten Sie! Warum waren Sie eigentlich hier?”
Die Ärztin wandte sich um und sah sie für einen Moment irritiert an. Dann lachte sie. „Oje, ich werd’ alt! Ich sollte Ihnen dies hier von Doors geben.” Sie zog eine Disc aus ihrer Tasche und reichte sie Elaine. „Fragen Sie mich aber nicht, warum ich deswegen den Botenjungen spielen musste. Ich weiß weder das, noch was darauf ist.”

 
* * *
 

”Und was ist das nun?”
Stella betrachtete mit gerunzelter Stirn die Kisten, die sich in dem Portalraum befanden.
”Das sind die Gegenstände, die Frank Stratton und Frederic Cockburn angefordert haben”, erklärte Sa'el mit leichtem Missfallen in der Stimme. ”Und bevor du fragst: Nein, das ist nicht alles, sondern nur ein Bruchteil dessen, was sie besitzen.”
”Ich weiß, dass das nicht alles ist. Darf ich dich daran erinnern, dass ich auch mal ein Mensch war.”
Sa'el lehnte sich an eine der Kisten und mustere sie interessiert. ”Ist es menschlich so viele Gegenstände zu besitzen?”
”Nein, natürlich nicht! Es ist typisch für eine bestimmte Kultur und Schicht,” antwortete Stella und begann neugierig um die Kisten herumzuwandern.
Sa'el folgte ihr mit den Augen, auch wenn er sich dabei verbiegen musste, wie es kein Mensch gekonnte hätte. ”Hast du auch so viel besessen?”
Stella hielt in ihrem Gang inne und sah den Taelon ärgerlich an. Unschuldig sah er zurück, was sie lediglich noch mehr aufbrachte.
”Sa'el, hör auf! Ich weiß, dass du nur versuchst herauszufinden, wie gut ich mich erinnere. - Sag mir lieber, was hier drin ist.”
Sa'el zuckte die Schultern.
”Ich weiß es nicht. Ich habe die Liste einfach nur weiter gereicht.” Er stand auf und ging zum Ausgang. ”Lass uns gehen. Die Teth'a'dar wird es in den Gang transportieren und von dort können sich die Menschen die Kisten selbst holen. Kein Grund also für uns, sich mit diesen unangenehmen Wesen zu befassen.”
Stella ignorierte ihn und öffnet statt dessen eine der Kisten.
”Stella?”
”Geh du nur, wenn es dich nicht interessiert. Ich will mir das genauer anschauen.”
Die Kiste enthielt eine wilde Mischung verschiedener Gegenstände. Zuoberst lag eine etwa faustgroße Muschel. Stella nahm sie heraus und hielt sie sich, noch ehe sie recht wusste warum sie es tat, ans Ohr.
Sa'el trat einige Schritte näher. ”Vielleicht erinnerst du dich, dass die Menschen etwas haben, das sie Privatsphäre nennen. In Besitztümern anderer zu stöbern, gehört glaube ich zu dem, was selbige verletzt.”
Ein leises Rauschen wie das Geräusch des Meeres, weckte bei Stella Erinnerungen, die ihr im Gegensatz zu so vielen anderen sofort etwas sagte. Mit einem Lächeln nahm sie die Muschel vom Ohr und strich mit dem Finger die rosa Musterung auf der glatten Oberfläche nach, bevor sie sie neben die Kiste legte und einen dunkelbraunen, harten und sehr sonderbar geformten Gegenstand heraus holte. ”Deine Vermutung ist vollkommen richtig, Sa'el”, antwortete sie und ließ den Gegenstand in ihren Fingern kreisen. ”Was ist das?”
Der Gegenstand war halb rund und hatte oben eine Vielzahl spitze Erhebungen in denen sich kleinere Löcher befanden, während sich unten - zumindest glaubte Stella, dass dies unten war - ein dickerer Schaft befand.
Sa'el trat zu ihr und nahm ihr das sonderbare Gebilde ab. Aufmerksam musterte er ihn und ließ analysierend seine Energie hindurch fließen. ”Es ist organisch”, stellt er dann fest. ”Ich schätze, es ist eine Samenkapsel.”
”Ich kann mich nicht erinnern, so etwas schon einmal gesehen zu haben.”
”Die Erde ist ein großer und fruchtbarer Planet.” Sa'el legte die Kapsel neben die Muschel und sah nun seinerseits mit Interesse in die Kiste.

Einige Zeit später saßen sie gemeinsam am Boden und waren umgeben von all den Schätzen, die sich in der Kiste befunden hatte. Sie hatten weitere Muscheln und noch sonderbarer geformte Samenkapseln gefunden. Aber auch Steine, Hölzer, Federn, Reptilienhäute, ja, sogar Schädelknochen kleinerer Tiere. Und darunter lagen Bildbände über die verschiedensten Erdregionen. Eine Aufschrift hatte sie mittlerweile davon in Kenntnis gesetzt, dass all dies Frederic Cockburns Eigentum war.
”Hast du nicht gesagt, dass Cockburn Mediziner sei”, fragte Stella Sa'el etwas irritiert. ”All das sieht ja vielmehr danach aus, als hätten wir es mit einem Biologen zu tun.”
”Das ist nicht ganz falsch. In seinem Lebenslauf steht, dass er tatsächlich diese Wissenschaft studiert hat, bevor er zur Medizin wechselte.”
”Warum hat er das wohl getan? All das scheint ihm doch viel zu bedeuten, wenn er diese Gegenstände gerne um sich haben möchte.”
”Wer weiß?” Sa'el zog eine andere Kiste heran, um sie zu öffnen. ‚Stratton’ las Stella und merkte, wie sich Erinnerungsfetzen in ihr Bewusstsein drängten. Eigentlich sollte sie das nicht stören. Auch wenn es sonderbar blieb, die Erinnerungen einer Fremden zu haben, waren die Szenen, die vor ihrem inneren Auge erschienen mittlerweile mehr oder weniger klar. Diese hingegen... Sie konnte sie einfach nicht fassen...
Resolut schob sie ihre Beunruhigung beiseite und rutschte neben den Taelon, um einen Blick in die Kiste werfen zu können. Dicke Stapel Computerausdrucke befanden sich darin und darunter Fachliteratur, so belanglos, dass sich Stellas ungutes Gefühl wieder etwas legte. Auch in der nächsten Kiste Strattons befand sich nichts anderes, so dass Stella sich mutig selbst daran machte, die dritte und letzte Kiste dieses Menschen zu öffnen.
Entgegen ihrer Erwartung fanden sich hierin Gegenstände, sorgsam verpackt in weiche Schaumstoffmatten, so dass sie gar nicht gleich erkannten, was sie da vor sich hatte. Nach und nach beförderte sie zwei silberne Kerzenständer, eine kleine Lampe aus buntem Glas, drei Skulpturen und fünf aufwendig gerahmte Bilder ans Licht.
Sa'el reihte sie sorgsam nebeneinander auf und betrachtete sie nachdenklich.
”Ich fürchte, ich verstehe Dr. Strattons Geschmack nicht”, meinte er schließlich. ”Im Gegensatz von den Besitztümern von Cockburn, sagen mir diese Gegenstände nichts. Vermutlich liegt es daran, dass es sich um keine natürlichen Dinge handelt.”
Stella sah nicht von dem kleinen Bild auf, dass sie zwischen den anderen herausgezogen hatte. ”Das liegt wohl eher daran, dass es sich um teuren, aber inhaltslosen Kitsch handelt”, murmelte sie, während sie über die Gesichtszüge der auf dem Foto abgebildeten Frau strich. Elaine...
Erinnerungen stiegen auf, die zeigten, dass sich diese Frau um die, die sie einmal gewesen war, bemüht hatte und versucht hatte, ihr nahe zu kommen.
”Das ist eine deiner Freundinnen!” Sa'el war unbemerkt neben sie gerutscht und sah über ihre Schulter auf das Foto.
Verwundert sah Stella ihn an. ”Woher weißt du?”
Sa'els Energiemuster verfärbten sich deutlich und zeigten Unwohlsein an. Stella wand sich ihm voll zu und musterte ihn scharf. ”Was ist?”
Für einen Moment dachte Stella, Sa'el würde aufstehen und sich der Frage entziehen, doch dann zwang er sich anscheinend zur Beherrschung und setzte er sich lediglich aus seiner knienden Position zurück.
”Sie und eine andere Frau namens Carol Rapp, verschaffte sich Zutritt, als wir bei dir den Prozess deiner Hybridisierung in Gang setzen wollten. Sie versuchten dich herauszuholen und schienen sehr verzweifelt als ihnen das nicht gelang.”
Ihr Blick wanderte abermals zurück auf das Foto. Ja, diese Frau - Elaine - hatte ihr gegenüber immer einen gewissen Beschützerinstinkt gezeigt. Szene stiegen in ihrer Erinnerung auf, an Situationen, in denen sich dieser gezeigt hatte. Doch mit ihnen kam auch die nun schon fast gewohnte Verwirrung, die sie bei jeder ihrer Erinnerungen an die Zeit vor ihrer Verwandlung empfand.
Sie erinnerte sich viel Zeit mit dieser Frau verbracht zu haben und es gelang ihr vergleichsweise einfach, sich an konkrete Szene zu erinnern, dennoch blieb das Gefühl der Fremdheit...
Was immer sie früher mit diesem Menschen verbunden hatte, bedeutete nichts mehr. Ihre früheren Gefühle waren verschwunden und wurden überlagert von dem, was sie nun fühlte, wenn sie sich an sie erinnerte. Und so rührte sie, obwohl die Frau auf dem Foto in ihr keine unmittelbaren Emotionen weckte, die Vorstellung, dass Elaine sich um sie bemüht hatte und das schaffte bei aller Fremdheit eine Art Verbindung, die sie zum lächeln brachte.
„Was ist mit ihr geschehen?”, fragte sie und hob den Blick wieder.
Sa'el sah nicht so aus, als wäre er sehr glücklich über die Frage, was Stella veranlasste eine Augenbraue zu heben und ihn umso schärfer anzusehen.
Nach einigem Zögern antwortete der Taelon. „Ich habe ihnen die Flucht ermöglicht, doch um deine Implantation als Unfall zu tarnen, haben Da'an und ich die Aufzeichnungen manipuliert. Elaine Lorber wird nun von den menschlichen Sicherheitsbehörden wegen versuchten Diebstahls und Körperverletzung gesucht.”
Stella dachte einen Moment darüber nach und schüttelte dann ärgerlich den Kopf.
”Ich gehe mal davon aus, dass du mir das nicht erzählen würdest, wenn du nicht dächtest, ich würde es ohnehin herausfinden.” Sa'el wollte etwas erwidern, doch Stella unterbrach ihn mit einer heftigen Handbewegung. ”Nein, ich will davon nichts weiter hören! Ich will statt dessen lieber die Aufzeichnungen. Und zwar alle, die du hast, auch über meine Hybridisation und die Experimente allgemein. Wenn ich, wie du sagtest, von Ne'eg und Ro'ha im Rahmen ihrer Forschungen untersucht werden soll, so sollte ich genau informiert sein, nicht dass ich noch einen Fehler begehe, der dich und Da'an teuer zu stehen kommt.”
Stella hatte sich nicht bemüht, den Sarkasmus und Ärger, den sie empfand, aus ihrer Stimme oder ihrer Energieabstrahlung zu verdrängen. Sie gewann zunehmend den Eindruck sich in einem Labyrinth zu befinden, in dem sich hinter jeder Ecke eine neue unangenehme Überraschung verbarg.
”Stella...”
Sie ignorierte Sa'els unglücklichen Tonfall und stand stattdessen auf, um eine beliebige weitere Kiste zu öffnen.
*Stella...* Sa'el war aufgestanden und hinter sie getreten.
Die Kiste enthielt wieder einmal Bücher. Auch Cockburn hatte sich also nicht nur Gegenstände schicken lassen. Während sie eines nach dem anderen heraus nahm und durchblätterte, signalisierte ihre Energieaura Sa'el abweisende und unerbittliche Härte.
*Ich kann dir die Daten nicht geben. Da'an...*
Der Wissenschaftler brach ab und wich ein Stückchen zurück, während er gleichzeitig tastend und um Kontakt bittend seine Aura expandierte. An seiner Energie spürte Stella, wie weh es dem Wissenschaftler tat, als sie ihn entschlossen zurückwies und die Härte ihrer eigenen Energieabstrahlung sogar noch verstärkte. Mochte es Sa'el verletzen und ihr Verhältnis belasten, sie war nicht bereit nachgeben! Sie würde nicht bitten und vorsichtige Fragen stellen, denen Sa'el dann doch nur ausweichen würden. Sollte er ruhig den Raum verlassen und ihr zukünftig aus dem Weg gehen. Ohne sich zu Sa'el umzudrehen, legte sie das Buch beiseite und nahm sich scheinbar ruhig das nächste.
Sa'el zögerte. Für einen Moment vernahm sie nichts von ihm und sie expandierte auch nicht forschend ihre eigene Energie, um herauszufinden, was er fühlte. Stoisch fischte sie in der Kiste nach einem dicken, grüngebunden Wälzer, der fast zu schwer war, um ihn mit den Muskeln ihrer Hände aus den anderen herauszuziehen. Unterstützend nahm sie ihre Energie zur Hilfe und schlug ihn auf. ‚Traumanalyse’ stand auf der ersten Seite und ‚C. G. Jung - Gesammelte Werke’.
„Da'an wird nicht erfreut sein,” unterbrach Sa'el sie, „lass ihn also nicht wissen, dass ich dir die Informationen gegeben habe.”
Fragend wand sich Stella um. Sa'el stand im Eingang und erwiderte bedrückt ihren Blick. Vorsichtig tastete sie nach seiner Energie. Er fühlte sich erschöpft und resigniert an. Am liebsten hätte Stella ihn in ihre Aura gehüllt und ihn gebeten, die ganze Sache zu vergessen, doch statt dessen ließ ihm nur ein kleines bisschen Freundlichkeit zufließen.
„Danke,” antwortete sie mit einem Lächeln, „Da'an wird nichts erfahren.”

 
* * *
 

Sa'el hielt gleich nach der nächsten Biegung des Ganges und ließ einen Datenstrom erscheinen. Ohne weiter nachzudenken, wies er die Teth'a'dar an, alle Daten über die Experimente für Stella abrufbar zu machen.
Er wusste, es war ein Fehler. Da'an hatte ihn unmissverständlich gebeten, es ihm zu überlassen, Stella genaueres über das Geschehene mitzuteilen. Sa'el hatte dem widerstrebend zugestimmt und das nicht etwa, weil er Stella umgehend alles erzählen wollte. Im Gegenteil, er hätte Stella lieber gänzlich in Unwissenheit gehalten. Zu deutlich hatte er ihre Verwirrung gespürt, als ihm aus Versehen herausgerutscht war, dass Stellas Hybridisierung ohne ihre Einwilligung erfolgt war. Nein, er wollte all die leidigen Intrigen und politischen Taktierereien, die sich um die ganze Sache rankten, von Stella so fern wie möglich halten und sie ihr ersparen.
Doch nun tat er das genaue Gegenteil und hinterging dabei sogar noch Da'an! Noch konnte er die Eingabe rückgängig machen. - Sa'el zögerte, doch dann schloss er statt dessen den Datenstrom und machte sich auf den Weg in das Labor, das er für Ne'egs und Ro'has Ankunft vorzubereiten hatte.

Aber entgegen seiner Absicht, konnte er nicht verhindern, dass der Vorfall ihn beschäftigte. Was war da eben geschehen? Die Heftigkeit, mit der Stella reagiert hatte, verletzte ihn nicht nur, sie verwirrte ihn auch. Ein junges Mitglied des Gemeinwesens war in der Regel noch unsicher, schutzbedürftig und brauchte ein hohes Maß an Zuneigung. Stella hingegen... Es schien geradeso, als wäre es ihr gleichgültig, ob sie ihn gegen sich aufbrachte. Oder vielleicht nicht gleichgültig, aber doch nicht beunruhigend genug, um es für die Erreichung ihres Ziels nicht in Kauf zu nehmen. Hatte Da'an vielleicht zu viel Erfolg gehabt mit der Manipulation ihrer Energie? Ihr Verhalten glich durchaus dem eines Diplomaten...

Unglücklich betrat Sa'el das Labor. Eigentlich sollte er zunächst die Daten selektieren und aufarbeiten, die er Ne'eg und Ro'ha über seine bisherige Arbeit zur Verfügung stellen musste, doch er verschob dies. Er war nicht in der Verfassung, dem die notwendige Aufmerksamkeit zu widmen. Statt dessen begann er der Teth'a'dar mitzuteilen, wie sie das Labor gestalten sollte. Standardarbeit, die im Grunde die Teth'a'dar auch alleine übernehmen konnte.
Was würde Stella wohl denken, nachdem sie die Aufzeichnungen durchgesehen hatte? Wie würde sie reagieren? Gut, einen Großteil der fachlichen Daten würde sie nicht interpretieren können, aber der Rest? Würde sie sich nun nicht vielleicht erst recht von ihm abwenden?
Sa'el kannte den Grund, warum er nachgegeben hatte nur zu gut. Es war ein durch und durch unstrategischer und ein Beweis dafür, dass er trotz aller Manipulationen seiner Energie immer noch er selbst war: Er hatte vor Stellas Unmut kapituliert, aus Angst, anderenfalls ihre Sympathie zu verlieren. Stella war in gewisser Weise so etwas wie sein Kind. Und die Zeit, in der es Kinder gegeben hatte, war viel zu lange her.

Mit den Gedanken weit weg, zog Sa'el mit der Hand die Abmessungen einer Ablage vor, die die Teth'a'dar umgehend nachformte. Dass sich jemand näherte, merkte er erst als sein Besucher fast schon da war. Kaum dass er sich zum Eingang umgedreht hatte, trat Zo'or ein.
*Sa'el, sieh an! Du triffst schon Vorbereitungen.* Provozierend sah sich Zo'or in dem Raum um, obwohl es eigentlich nichts zu sehen gab. *Wie schön, dass du mit so viel Elan auf die Kooperation mit Ne'eg und Ro'ha hinarbeitest!*
Sa'el konnte nicht verbergen, dass er verärgert war - und er versuchte es auch gar nicht. *Ich grüße dich auch, Zo'or!*, bemerkte er süffisant. *Ich wüsste wirklich nicht, wen ich momentan lieber sehen würde.* Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken sich einfach abzuwenden und seiner Tätigkeit fortzufahren, doch es war besser aufmerksam zu bleiben.
Mit einer leichten Neigung des Kopfes und einer eleganten Handbewegung wand sich Zo'or ihm zu und musterte ihn sorgfältig mit seinem scharfen Blick. Leichtes Amüsement, ja, Sarkasmus sprach aus seiner Aura. Sa'el spürte wieder, warum Zo'or als gefährlich galt. Man wusste nie, was als nächstes kam und sich dadurch nicht verunsichern zu lassen, war beinahe nicht möglich.
Zo'or ließ seinen Blick wieder durch den Raum schweifen. *Es sieht so aus, als hättest du viel zu tun. Vielleicht sollte ich dir etwas abnehmen. Beispielsweise die Betreuung des Hybriden...*
Nur mit Mühe gelange es Sa'el ruhig zu bleiben. *Ich bin sicher, dass Da'an und ich mit dieser Aufgabe, mit der uns die Synode betraut hat, fertig werden. Du kannst dich also um Wichtigeres kümmern.*
„Wichtigeres? Was könnte es Wichtigeres geben, als ein neues Mitglied des Gemeinwesens auf seinem Weg zu begleiten?* Zo'ors spöttischer Blick bohrte sich wieder in ihn. *Vielleicht widmest du dieser Aufgabe nicht die nötige Aufmerksamkeit!*
Sa'el fühlte Wut in sich aufbranden, doch entgegen seiner Gewohnheit, wurde er plötzlich ganz ruhig und kühl, anstatt zu versuchen Zo'or mit einer harten Welle seiner Energie zurück zu weisen. *Keine Sorge, Zo'or, ich weiß genau, wie viel Beachtung angebracht ist*, erwiderte er und festigte vorsichtshalber seine Aura. *Mir fehlt in dieser Hinsicht nämlich nicht an der notwendigen Erfahrung.*
Aus Zo'ors Blick verschwand schlagartig alle Amüsiertheit. *Ich verstehe.* Für einen Moment starrte Zo'or ihn mit eisiger Ruhe an, bevor er seine Hand in einer resoluten Geste durch die Luft gleiten ließ. „Im Grunde bin ich nur hier, um dir mitzuteilen, dass ich beabsichtige, deinem Schützling einen Besuch abzustatten. Wenn du also denkst, du müsstest ihn vorwarnen, dann tu das.*
Sa'el zögerte, unsicher, was er erwidern solle, doch Zo'ors unverwandter Blick ließ ihm keine Chance sich um eine Antwort zu drücken. Fast gegen seinen Willen vollführte er eine bestätigende Geste.
*In Ordnung, dann wäre das geklärt*, erklärte Zo'or knapp, doch ungeachtet seiner beherrschten Wortwahl und energetischen Zurückhaltung hatte Sa'el das Gefühl, als würde ein Eishauch durch den Raum streichen, der auch dann noch spürbar blieb, als Zo'or bereits das Labor verlassen hatte.
Sa'el sah ihm mit einem unguten Gefühl hinterher. Vermutlich war das nicht eben die glücklichste aller möglichen Bemerkungen gewesen, obwohl sie die erwünschte Wirkung erzielt und Zo'or in Rekordzeit vertreiben hatte. Auch wenn Zo'or selbst nicht eben zimperlich war, wäre es nicht nötig gewesen, derart übers Ziel hinauszuschießen. War nur zu hoffen, dass Zo'or seinen Ärger über ihn nicht an Stella ausließ, denn dann hätte er wahrlich das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte. Tatsächlich würde er die Hybridin wohl vorwarnen müssen.
Doch zuvor hatte er eine andere unangenehme Aufgabe zu erfüllen...

 

 

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