Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Der gespiegelte Blick” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Frühjahr 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Der Arzt Frank Stratton findet sich in Gefangenschaft der Taelon wieder, aber auch deren Leben ist nicht frei von Problemen.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde, kurz nach dem Unfall bei Silent Falls
Charaktere:  Frank Stratton, Stella Morel, Sa'el [Frederik Cockburn, Da'an]
 

 

DER GESPIEGELTE BLICK

Kapitel 1: Ankunft im Unbekannten

 

Teil 2

Das Areal kam Stella riesig vor. Unzählige Gänge, Räume und Säle gingen fließend ineinander über, Rampen führten auf mehrere Ebenen und wieder hinunter, die unebenen Wände ließen verwirrende Winkel und Nischen entstehen und die ebenso unregelmäßigen Decken bildeten mal niedrige Durchgänge, mal hohe, sich über mehrere Ebenen erstreckende Hallen. Und trotz dieser Vielgestaltigkeit ergab es ein organisches Ganzes.
Stella brauchte nicht einmal ihre Hände an die Struktur zu legen, um zu spüren, dass hier alles miteinander in Harmonie war. Anders als die Struktur in Silent Falls hatte diese hier sich entfalten können, wie es ihr entsprach, und allein die abgestrahlte Energie reichte, um dies zu erkennen.
Die Teth'a'dar, die zukünftig ihr Zuhause sein sollte, verwob ihre Energie unterstützend mit der ihren, ebenso wie sie dies bei den vielen Pflanzen, die in ihr wuchsen, tat. Es war leicht sich hier wohl zu fühlen und die Unruhe, die Sa'el verbreitet hatte, bis er sie ohne weitere Erklärung allein gelassen hatte, war schnell verebbt.
Was den Wissenschaftler so beunruhigt hatte, war ihr unklar und weder die Teth'a'dar noch ihre Verbindung zum Gemeinwesen gaben ihr darüber Aufschluss. Ersteres sendete ihr auf Nachfragen besänftigende Impulse und eine Konzentration auf letzteres gab ihr nur das Gefühl, dass alles so war, wie es sein sollte. Das mochte beruhigend sein, doch der Befriedigung ihrer Neugierde diente es nicht.
Als die Teth'a'dar ihr schließlich die Rückkehr Sa'els meldete, wandte sie ihre Aufmerksamkeit daher umgehend von der Erkundung ihres neuen Zuhauses ab und ging in Richtung Eingang. Sie begegnete Sa'el im Hauptgang und der Art, wie seine Energie durch ihn floss, konnte sie ansehen, dass er aufgebracht war.
„Was ist?”, fragte sie, doch er machte nur eine verärgerte Armbewegung. „Menschen!”, schimpfte er und ließ sie stehen. Verwundert sah Stella ihm nach und entschloss sich dann, ihm zu folgen.
Im großen Saal im Zentrum der Anlage hielt er an und ließ seinen Blick über eine Ansammlung von Blumen schweifen, die dort einen großen Bereich der Wand bedeckten. Stella wusste mittlerweile, dass es sich um eine Art handelte, die aus Pflanzen von den verschiedensten Planeten gekreuzt war. Hauchdünne Ranken verzweigten sich zu großen Netzen, in denen Unmengen von zarten Blüten saßen und die allein durch energetische Kräfte der Schwerkraft trotzen. Die leichten Bewegungen, die sie dabei machten, hatten etwas Beruhigendes, doch Sa'els Aussehen zufolge war die Wirkung nicht ausreichend. Stella trat näher und setzte sich einige Schritte von ihm entfernt auf einen Sims.
„Hast du nichts zu tun?”, fragte er sie nach einiger Zeit, ohne sich umzudrehen.
„Doch”, antwortete sie und erreichte damit, dass Sa'el ihr einen irritierten Blick zuwarf. „Ich versuche herauszufinden, was mit dir los ist. Was ist mit den Menschen?”
Erregt wandte sich der Wissenschaftler ihr zu und vollführte eine Geste der Abwehr. „Sie sind ignorant, bösartig und stets bereit, anderen die Schuld an ihrem eigenen Fehlverhalten zu geben!”
So sollten Menschen sein? Erschrocken sah Stella Sa'el an. War sie so?
Er merkte wohl, welche Wirkung sein Ausbruch auf sie hatte. „Tatsächlich beruhen meine Erfahrungen nur auf den Verhaltensweisen von zwei Menschen”, beeilte er sich zu erklären. „Die Diplomaten werden nicht müde zu betonen, dass die Menschen sehr unterschiedlich wären und dass man nur bedingt verallgemeinern könne, was man über einen von ihnen gelernt habe.”
„Verstehe...”, murmelte sie. Diese Aussage beruhigte sie nicht völlig, doch sie schob den Gedanken weg. Die Vorstellung, etwas zu sein, von dem sie nicht wusste, was es war, empfand sie zunehmend als beklemmend...
„Wer sind diese zwei Menschen und was haben sie getan?”, fragte sie schließlich, halb um sich abzulenken, halb aus Neugierde.
„Sie sind meine Mitarbeiter und sie haben mich beide hintergangen.” Der abweisende Ton kehrte in Sa'els Stimme zurück.
„Auf welche Weise?”, hakte Stella unbeirrt nach.
„Der eine hat Geheimnisse über uns an andere Menschen weitergegeben und der andere hat einen Anschlag auf eine unserer Einrichtungen verübt.”
„Und?”
„Und nun muss ich mich mit ihnen auseinandersetzen!” Sa'el vollführte eine gereizte Geste. „Da'an ist der Ansicht, dass sie zu viel wissen, als dass wir sie einfach aus unseren Diensten entlassen können. Und gemäß dem Grundsatz, dass Konflikte innerhalb des Gemeinwesens ausgetragen werden müssen, muss ich mich nun mit ihnen abgeben!”
„Und das ist so schlimm?” Stella konnte nicht umhin, Sa'els Widerwillen amüsant zu finden. Und wenn sie ehrlich war, empfand sie es als eine gewisse Genugtuung, dass auch Sa'el seine Probleme hatte.
„Möchtest du dich mit jemandem abgeben, der aus lauter Stolz nicht nachfragt, wie man sich bei einer Implantation zu verhalten hat, und sich dann hinterher auch noch beschwert, man hätte ihm in sadistischer Absicht Leid zugefügt?”, brauste Sa'el auf. „Diese Menschen sind abstoßend! Der eine ist aggressiv und gewalttätig, der andere feige und opportunistisch. Sie haben einen Verrat begangen, doch wollen nicht akzeptieren, dass ihnen daraus Konsequenzen erwachsen. Mir wäre es wahrlich auch lieber, nicht die Folgen für mein Handeln tragen zu müssen, aber so ist das Leben nun mal nicht.”
Wütend starrte Sa'el wieder auf die Blumen und Stella musste gegen ihren Willen lachen.
„Sa'el, ich bin wirklich untröstlich, dass das Leben dir so übel mitspielt, aber irgendwie steht dir die Rolle des unschuldigen Opfers nicht.”
Verdutzt sah der Wissenschaftler sie wieder an, doch sein Blick verdüsterte sich gleich darauf. „Herzlichen Dank, dass du mich darauf hinweist. Du weißt nicht, wie recht du damit hast! Und wie wenig Grund du hast, mich auszulachen...”
„Wie meinst du das?”
„Sagt dir der Name Frank Stratton etwas?”, antwortete er mit einer Gegenfrage.
Ein Gesicht erschien vor ihrem inneren Auge. Weitere, detailliertere Erinnerungen wollten sich in ihr Bewusstsein drängen, doch sie schob sie entschlossen weg. Sie wusste mittlerweile, dass sie damit nichts anfangen konnte.
Sie hatte in den letzten Stunden wieder und wieder versucht ihre Erinnerungen zu verstehen, doch alles, was sie erhielt, war ein wirrer Strudel von Eindrücken, aus denen nur ab und zu einmal ein klares Bild oder ein deutlicher Satz hervorblitzte. Insgesamt blieben sie jedoch unzusammenhängend und undeutbar. Sa'el hatte ihr angekündigt, es würde vermutlich bald besser werden und sie hatte beschlossen, geduldig darauf zu warten und nichts zu erzwingen.
Doch dieser Name, den Sa'el genannt hatte... Die Erinnerung, die er in ihr auslöste, konnte sie ebenso wenig deuten wie alle anderen, doch sie ließ sich auch nicht einfach wegschieben. Sie löste das Gefühl in ihr aus, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte und dieses Gefühl schien sich in ihrem Bauch einzunisten und von dort aus störend auszustrahlen.
„Wer ist das?”, fragte Stella hastig.
„Einer der beiden Menschen, von denen ich gesprochen habe. Er ist mit für deine Hybridisierung verantwortlich, die wohlgemerkt ohne deine Einwilligung stattfand. Auch du stehst in einem Konflikt mit ihm, der gelöst werden muss!”
Betroffen sah sie zu Boden. Sie hatte einer Hybridisierung nicht zugestimmt?
Plötzlich spürte sie, wie Sa'els Energie sie umfing, und als sie aufblickte, sah sie, wie der Taelon sich neben sie gesetzt hatte und sie besorgt musterte. „Es tut mir leid!”, meinte er entschuldigend. „Ich habe zurecht den Ruf, nicht besonders diplomatisch und taktvoll zu sein.”
Stella lächelte ein halbes Lächeln, doch bevor sie etwas erwidern konnte, meldete die Teth'a'dar einen Besucher.
Eine Welle der Unruhe schwappte völlig unvorbereitete von Sa'el ausgehend über sie und obwohl dieser sich schnell von ihr löste und aufsprang, war sie für einen Moment desorientiert. Verwirrt sah sie zu ihm hoch und merkte erst, als sie seinem Blick zum Eingang folgte, dass es sich bei ihrem Besucher um Da'an handelte.

Sa'el ließ Da'an keine Gelegenheit näher zu treten.
*Und? Wie wurde entschieden?*
*Der Beschluss der Synode ist in unserem Sinne.”
Sa'els Energie flackerte vor Erleichterung hell auf. Verwirrt blickte Stella von dem einen Taelon zum anderen. Während Sa'el noch mit sich selbst beschäftigt war, richtete sich Da'an mit einer Erklärung an sie.
„Deine Hybridisierung war nicht von der Synode genehmigt und die anderen Mitglieder gehen davon aus, dass es sich dabei um das Ergebnis eines Unfalls gehandelt hat. Es war unsicher, ob die Synode deine weitere Existenz auf dieser Ebene zulassen würden.”
Stella merkte, wie ihr schwindlig wurde. Sie hatte das Gefühl zu fallen und musste sich mit den Händen auf dem Sims, auf dem sie saß, abstützen. Verwirrt sah sie zu Boden.
Was Da'an genau gesagt hatte, drang nur stückweise in ihr Bewusstsein, denn das schmerzliche Gefühl, ungewollt zu sein, überdeckte alles. Die Teth'a'dar reagierte und ein warmer Strom Energie hüllte sie schützend ein.
„Sehr taktvoll!”, hörte sie Sa'el sagen. „Ich dachte, du bist Diplomat!”
Stella spürte, wie er Da'an seine Energie entgegenstellte und versuchte, sie abzuschirmen. Mit einem Lächeln sah sie zu ihm auf. Sie war gerührt, als ihr dämmerte, dass er nicht aufgrund des Ärgers mit seinen menschlichen Assistenten derart aufgebracht gewesen war, sondern wegen ihr.
Da'an hingegen war die Ruhe selbst und machte sich nicht einmal die Mühe, dem Wissenschaftler etwas entgegen zu setzen. „Du solltest dich ausruhen”, richtete er sich mit sanfter Stimme an Sa'el. Seine Energie war ebenso sachte und durchstrich mühelos Sa'els Aura, dessen Widerstand wie Schnee in der Sonne schmolz.
Zögernd nickte er. „Damit hast du wohl recht”, meinte er, doch in seiner Stimme lag eine gewisse Bitterkeit. Er schenkte Stella noch einen aufmunternden und Da'an - wie ihr schien - einen warnenden Blick, bevor er sich zum Gehen wandte.

Davon unbeeindruckt wartete Da'an, bis der Wissenschaftler verschwunden war und setzte sich dann neben Stella. Für eine Weile tat er nichts als sie aufmerksam zu mustern. Obwohl sie das zunehmend verunsicherte, war sie nicht imstande den Blick abzuwenden. Ein Gefühl, dass ihr fremd und doch seltsam vertraut war...
„An was erinnerst du dich?”, stellte Da'an ihr die Frage, die sie eben selbst zu beschäftigten begonnen hatte.
„Ich weiß es nicht...” Hilflos zuckte sie mit den Schultern. „Hin und wieder blitzt ein Bild auf, doch dann ist es auch schon wieder verschwunden. Und manchmal habe ich Ahnungen... Etwas fühlt sich richtig oder falsch an, aber mehr ist es nicht.” Fragend sah sie Da'an an, der ihren Blick freundlich erwiderte, doch seine Energie blieb seltsam undeutbar.
„Das ist schon mehr, als in diesem Stadium normalerweise zu erwarten wäre”, antwortete er, doch sein Ton ließ offen, ob er das aufmunternd oder kritisierend meinte. „Deine Erfahrungen als Mensch sind wichtig für uns und wir haben ein großes Interesse daran, dass du sie so bald als möglich wiedererlangst. Doch es gibt auch ein Problem damit...”
Herausfordernd sah sie Da'an an. „Probleme? Weil ich eben nicht durch einen Unfall zum Hybriden wurde und es zudem ohne meine Einwilligung geschah?”
Doch entgegen ihrer Absicht, zeigte Da'an keinerlei Überraschung. „Ja”, bestätigte er kühl und sein Blick beinhaltete eine Verwarnung. „Und das ist noch nicht alles. Die Vorgeschichte ist höchst komplex und verworren und dein Verhalten in der Vergangenheit hat mit dazu beigetragen. Du hast mein Vertrauen missbraucht und damit einigen Schaden angerichtet!”
Stellas Aufbegehren fielen so schnell wieder in sich zusammen, wie sie in ihr aufgestiegen waren. Was war passiert, fragte sie sich verwirrt. Was hatte sie getan? Mit zunehmender Verzweiflung wünschte sie sich, sich erinnern zu können...
Ein Strom warmer Energie strich sachte über ihre Aura. „Was geschehen ist, ist nicht mehr rückgängig zu machen.” Da'ans nun wieder sanfte Stimme war wohltuend besänftigend, drang direkt in ihr Herz. „Wichtig ist nun, für die Zukunft Sorge zu tragen.”
Unsicher sah Stella auf und begegnete Da'ans ruhigen Blick. Er schien zu wissen, was er tat. Warum gegen ihn kämpfen?
„Leg deine Hände auf meine”, forderte er sie auf und hob seine eigenen. Sie zögerte nur einen kurzen Moment, bevor sie gehorchte.
Ein leichtes Kribbeln lief durch ihre Handflächen und breitete sich von dort über ihre Arme aus. Die physische Berührung war federleicht, doch die Kraft von Da'ans Energie war derart mächtig, dass jeder Versuch, den Kontakt ihrerseits abzubrechen, von vornherein aussichtslos war. Seine blauen Augen waren konzentriert auf sie gerichtet und nahmen sie gefangen. *Lass deine Barrieren fallen und versenke dich vollständig in das Gemeinwesen!* Ein Teil von ihr wollte fragen, warum und was er vorhatte, doch gegen Da'ans hypnotisierenden Blick und seine stabilisierende Energie um sie herum, die es so einfach erscheinen ließ, sich fallen zu lassen, konnte er sich nicht durchsetzen. *Wehre dich nicht, denn das wäre schmerzhaft*, vernahm sie noch, doch die Warnung war überflüssig. Schon verschwamm die Welt um sie.

In zeitloser Ruhe beobachtete sie die Aktivitäten ihrer Teile. Allen die gleiche Aufmerksamkeit widmend, ließ sie sie unparteiisch gewähren, nahm an, was geschah, und ließ sich davon formen - wie ein riesiger Ozean, gepeitscht an der Oberfläche, bewegt darunter und beständig in der Tiefe, in die keine Unruhe eindringen und den Frieden stören konnte...

Als Stella aus einem Zustand völliger Ausgeglichenheit wieder in ihr Selbst zurückkehrte, war das Erste, was sie wahrnahm, eine sehr vertraute Präsenz. Da'an. Sie blinzelte und sah, wie sie von ihm sorgsam gemustert wurde. Als er merkte, dass sie wieder bei sich war, lächelte er zufrieden und löste behutsam den Kontakt.
Irritiert betrachtete Stella ihre Hände und sah an sich herunter. Sie fühlte sich... anders an. Nicht viel, nur ein wenig hatte sich die Struktur ihrer Energiesignatur verändert.
„Es ist alles in Ordnung”, versicherte ihr Da'an, „doch du solltest dich etwas ausruhen.”
Sie sah auf und allein diese Bewegung reichte aus, um sie schwindelig zu machen. Sie fühlte sich nicht schlecht, nur etwas desorientiert.
Da'an griff stabilisierend ihren Arm. „Komm, ich bringe dich in deinen Raum.”

 
* * *
 

Frank beobachtete Cockburn, der immer noch wütend auf den Ausgang starrte, durch den Sa'el verschwunden war. Der Mann gefiel ihm nicht. Krank und irre, diese zwei Wörter kamen ihm bei seinem Anblick in den Sinn. Was sie wohl mit ihm angestellt hatten?
Frank schüttelte den Kopf und verscheuchte den Gedanken. Nichts hatten sie mit ihm angestellt! Vermutlich vertrug der Mann einfach nur keinen Stress. Er hatte ja eben am eigenen Leib gemerkt, wie leicht man in Panik verfallen konnte. Allerdings hatte er sich nun wieder ganz unter Kontrolle.
Wie konnte man sich nur so gehen lassen? Cockburn sah aus, als wäre er jahrelang eingekerkert gewesen: Ein Urwald von einem Bart stand in seinem Gesicht, die Haare waren verfilzt und außerdem stank er nach Schweiß.
Unbehaglich strich sich Frank über seine eigenen Bartstoppel. Nicht so dringend wie Cockburn, doch auch er brauchte Rasierzeug und eine Dusche. Und etwas zu essen! Egal, was die Taelons mit ihm vorhatten, er würde auf keinen Fall so verwahrlosen wie dieser Kerl!
Himmel! Konnte der nicht aufhören, den Eingang anzustarren? Frank wollte ihn schon anfahren, doch er besann sich in letzter Sekunde. Er brauchte Cockburn vielleicht noch.
„Wo sind wir hier eigentlich?”, fragte er stattdessen, wenn auch in reichlich scharfem Ton. Tatsächlich fuhr Cockburn aus seiner Starre. Irritiert blinzelte er, als müsste er sich erst wieder besinnen, dass er nicht alleine war.
„Wo wir sind, habe ich gefragt!”, hakte Frank ungeduldig nach. „Boston? Für das Labor in New York ist die Anlage etwas zu groß...”
„Boston?” Cockburn ließ ein raues und doch gleichzeitig schrilles Lachen vernehmen. „Sie haben wirklich keine Ahnung! Wir sind auf dem Mond, Mann, auf dem Mond! Auf der Rückseite des Mondes, hinter dem Mond sozusagen...” Er verstummte, als wäre ihm das Lachen über den missglückten Scherz im Hals stecken geblieben.
Das war absurd! Der Mann war irre.
Cockburn schien seine Gedanken zu erraten und richtete seinen brennenden Blick auf ihn. „Doch, so ist es. Die Taelons haben auf der Rückseite des Mondes eine Station erbaut und dort sind wir. Sie haben nicht vor, die Menschheit darüber zu informieren. Sa'el hat es mir erzählt und nun erzähle ich es Ihnen. Das heißt, wir kommen hier nie wieder weg!”
Frank wich Cockburns Blick aus und sah ziellos um sich. Das war verrückt! Unmöglich!
„Sa'el kann gelogen haben”, versuchte er vernünftig zu argumentieren.
„Nein, er hat mir die Sterne gezeigt. Eine Handbewegung und die Decke war durchsichtig. Stratton, so einen Sternenhimmel gibt es auf der Erde nicht!”
Frank sah zur Decke, die sich in den üblichen verhassten Blautönen über sie wölbte. Sie machte einen soliden und ganz und gar undurchsichtigen Eindruck. Skeptisch sah er wieder zu Cockburn, der mittlerweile angefangen hatte, hektisch auf und ab zu gehen.
Der Mann war wohl kaum zurechnungsfähig. Allein schon wegen der Schwerkraft war es unmöglich, dass sie sich auf dem Mond befanden! Doch er beschloss das Thema fallen zu lassen. Es gab im Moment Wichtigeres als Cockburn davon zu überzeugen, dass er einer Lüge zum Opfer gefallen war. Was er brauchte, waren Erklärungen. Doch diese von einem Kerl zu erhalten, der wie irre hin und her rannte, war aussichtslos.
Frank sah sich suchend um. In einer Nische entdeckte er so etwas wie einen Tisch und Sitzgelegenheiten, sonderbar geformt wie alles hier, aber zweckdienlich. Also stoppte er Cockburn, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte.
„Setzten wir uns”, schlug er vor und schob ihn auf die Sitzgruppe zu. Widerstrebend sah Cockburn auf den Stuhl, ließ sich dann aber doch darauf nieder. „Und nun erzählen Sie mir mal, was in Boston vorgefallen ist!”
Wieder wurde er nur angestarrt, dieses Mal jedoch mit einem gewissen Misstrauen.
„Hören Sie”, setzte Frank nach, „ich weiß, dass Sie Sa'els Assistent in Boston waren und gleichzeitig Mitglied in einer Geheimorganisation von Wissenschaftlern. In Boston gab es einen Unfall und kurz darauf sind Sie verschwunden. Was ist passiert?”
„Woher wissen Sie das?” Das Misstrauen in Cockburns Blick verstärkte sich. „Glauben Sie, ich erzähle Ihnen das so ohne weiteres? Einfach so? Ich weiß, dass Sie Sa'els Assistent im New Yorker Labor sind. Vielleicht sind Sie ja auch sein Spion?”
„Sie Idiot!”, platzte Frank heraus. „Sa'el weiß Bescheid! Er braucht keinen Spion. Ich bin hier, weil ich ebenfalls für diese Organisation tätig war! Wir sind in exakt der gleichen Lage!” Nicht ganz, fügte er in Gedanken angewidert hinzu, doch immerhin erreichte er, dass Cockburn unsicher wurde. „Wir müssen zusammenhalten!”, drängte er. „Das ist unsere einzige Chance!”
Mit einer fahrigen Bewegung fuhr sich Cockburn mit der Hand über das Gesicht, aber dann nickte er resigniert. „Sie haben recht.” Müde stützte er die Stirn in seine Hände. ”Ich weiß nicht, ob ich eine vernünftige Erklärung zustande bringe. Ich habe seit einer Ewigkeit nicht mehr geschlafen, müssen Sie wissen...”
Aha, das war es also! „Versuchen Sie es einfach”, ermutigte Frank sein Gegenüber so freundlich, wie er es hinbekam.
„Also gut... Ich war also einer von Sa'els Mitarbeitern in Boston. Zunächst wollte ich das Angebot ja gar nicht annehmen, aber dann hat mich ein Freund, Robert Wolf, für diese Organisation von Wissenschaftlern angeworben, die Informationen über die Taelons zusammentragen sollte. Eine Weile lang ging alles gut. Wir arbeiteten für die Taelons und schrieben Berichte darüber für die Organisation. Dann irgendwann weihte mich Sa'el in ein neues Projekt ein. Zunächst sah alles noch harmlos aus. Menschliche Zellen wurden in Kontakt mit Taelonenergie gebracht. Doch nach und nach wurde mir klar, worum es ging und wozu das verwendet werden konnte...” Cockburn nahm den Kopf aus seinen Händen und beugte sich über den Tisch hinweg weiter zu Frank vor, der unwillkürlich vor dessen Geruch zurückwich. Cockburn schien es nicht zu bemerken.
„Stratton”, fuhr er in sehr eindringlichem Ton fort, „sie wollen Menschen mutieren! Zu was auch immer, aber das ist die einzige Erklärung, die ich habe!”
Frank reagierte nicht, aber vielleicht deutete Cockburn seinen angewiderten Blick als Entsetzen. Auf jeden Fall ließ er sich wieder in seinen Stuhl zurückfallen und starrte vor sich hin. Frank wollte gerade schon nachhaken, da setzte er seine Erzählung fort.
”Ich habe dann Wolf davon berichtet. Auch er war entsetzt. Aliens, die mit Menschen experimentieren. - Es kam uns vor wie ein Horrorfilm. Und als Sa'el dann andeutete, dass bald richtige Tests nötig wären, entschlossen wir uns zum Handeln. Wir sabotierten die Backup-Funktion der Computer, warteten bis die alten Aufzeichnungen vernichtet waren und jagten dann kurzerhand die Computeranlage mit allen Daten in die Luft, das ganze Labor, mit allem drum und dran. - Naja, zumindest haben wir es versucht. Alles sollte wie ein Unfall aussehen. Doch das hat wohl nicht geklappt, denn bald stand dieser Sandoval bei mir vor der Türe. Er nahm mich mit, verhörte mich. Stundenlang, bis er mehr oder weniger alles wusste und dann ließ er mich irgendwas unterschreiben. Da war ich schon so fertig, dass ich nichts mehr mitbekam. Irgendwann bin ich dann hier aufgewacht, aber ich kann mich nicht mehr erinnern. An gar nichts mehr. Ich weiß noch nicht mal, was mit Wolf passiert ist...”
„Er ist tot”, entfuhr es Frank. Er biss sich auf die Lippen. Verflucht, einen akuten Nervenzusammenbruch konnte er nicht auch noch gebrauchen. Dabei gönnte er dem Kerl einen Schock! Diese Idioten hatten ihm den ganzen Mist eingebrockt! Mit einer völlig schwachsinnigen Aktion!
Doch Cockburn sah ihn nur ausdruckslos an. „Ich weiß, dass Wolf tot ist. Sa'el hat es mir gesagt. Ich weiß nur nicht, wie...”
„Autounfall hieß es. Mehr weiß ich auch nicht.” Frank stand abrupt auf. Es war wohl besser, das Gespräch zu beenden. Er fühlte sich unwohl. Eine heiße Dusche und etwas zu essen, beides musste doch hier zu finden sein. „Gibt es hier so etwas wie ein Bad?”
Cockburn starrte ihn an, als hätte er ihn nicht verstanden. Doch dann nickte er. „Ja, ja, da hinten...” Er wies lasch zu einem Teil des Raumes, an dem dieser sich zu einer Art kurzem Gang verengte.
„Gut, dann begebe ich mich mal dorthin und Sie, Cockburn, Sie hauen sich wohl am besten erst mal aufs Ohr!”
Resigniert fuhr sich Cockburn einmal mehr über das Gesicht. „Ich hab es Ihnen doch schon gesagt: Ich kann nicht schlafen! Ich hab es probiert, weiß Gott!”
„Das ist doch ein Labor. Gibt es hier kein Schlafmittel?”
„Bitte?”
„Haben Sie nach einem Schlafmittel gesucht?”
Cockburn schüttelte nur den Kopf.
„Sagen Sie, Sie sind doch auch Mediziner. Warum nicht? - Ach, vergessen Sie's!”
Frank wandte sich ab und begann entschlossen das Labor zu erkunden.
Doch bald stellte er fest, warum Cockburn nicht gesucht hatte: Es gab nicht viel zu durchsuchen. Nach nicht mehr als ein paar Schritten und einigen umsichtigen Blicken, musste Frank das eingestehen. Der Raum war zwar groß, aber alles war übersichtlich und vor allem leer. Schränke und Regale und dergleichen gab es nicht, nur ein paar Ablageflächen, auf denen aber nichts stand.
Um nicht lächerlich zu wirken, ging Frank schnurstracks weiter in den hinteren Teil des Raumes. Tatsächlich befand sich hier ein kleiner Gang, von dem drei weitere abzweigten. Er wählte aufs Geratewohl den ersten, linken Gang, der sich erst verengte und dann wieder in einen mittelgroßen Raum weitete.
Fassungslos blieb er stehen. In einer Ecke, neben einer Plattform, die - wie die Decken, die darauf lagen, andeuteten - wohl als Bett fungieren sollte, standen Koffer. Seine Koffer! Und nicht nur die, die er mit nach Silent Falls genommen hatte! Wahllos begann er sie zu öffnen und musste feststellen, dass jemand in seiner Wohnung gewesen war.
„Auch für Sie ist anscheinend ein längerer Aufenthalt geplant.”
Erschrocken fuhr Frank aus der Starre, in der er - zwischen Fassungslosigkeit und Verzweiflung - festgefroren war. Cockburn stand mit seinem stechenden Blick, aber kraftloser Körperhaltung im Eingang.
Schnell sprang Frank auf, wütend über die peinliche Situation.
„Wie können die es wagen, in meinen Sachen zu wühlen!”, zischte er und gab einem der Kofferdeckel einen Tritt, so dass er mit einem Knall zuflog. „Und Sie, Cockburn, Sie will ich ohne Einladung nicht in diesem Zimmer sehen!”
Nun war es Cockburn, der erschrocken auffuhr. Doch dann nickte er matt. ”Sie haben recht, wenn schon die Taelons unsere Privatsphäre nicht respektieren, dann sollten zumindest wir es tun. Entschuldigen Sie bitte.”
Frank sah ihm überrascht nach, auch als er schon wieder verschwunden war. Dieses Verhalten hatte er nicht erwartet...
„Halt, warten Sie!”, rief er Cockburn zurück und begann in seinen Sachen zu wühlen. Es dauerte etwas, bis er gefunden hatte, wovon er eigentlich nicht erwartet hatte, dass es mit eingesteckt worden war. „Hier, nehmen Sie zwei von denen”, forderte er Cockburn auf und reichte ihm eine angebrochene Packung mit Schlaftabletten.
Cockburn starrte die Packung an, aber als er den Blick wieder auf Frank richtete, war ein etwas schiefes Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen. „Vielen Dank! Ich glaube, im Gegensatz zu Ihnen kann ich von Glück sagen, dass Sie hier sind.”
Frank winkte ab. „Schlafen Sie sich erst mal aus”, meinte er schroff und sah erleichtert, dass Cockburn daraufhin den Raum verließ. Missmutig begann er wieder in seinen Sachen zu kramen. Es gab wirklich keinen Grund, diesem Mann gegenüber ein schlechtes Gewissen zu haben. Weder ihm gegenüber, noch sonst wem! Schließlich war er hier ein Gefangener und zudem einer, der ohne gültige Verurteilung gefangen gehalten wurde. Ja, sobald er wieder wie ein zivilisierter Mensch aussah, würde er Sa'el klar machen, dass es so nicht ging.

 
* * *
 

Der stete Strom von Energie regenerierte seinen Körper, doch er beruhigte nicht seine Gedanken. Trotz besseren Wissens hatte er sich nicht ins Gemeinwesen fallen lassen und das lag nur zum Teil daran, dass Da'an in Kürze kommen würde. Es war die ganze Situation, die ihn mehr und mehr aus dem Gleichgewicht und zunehmend zu Gefühlen wie Unruhe und Ärger trieb. Er hatte die diplomatischen Verwicklungen der Synode noch nie gemocht und nun war er mitten in eine solche hineingeraten.
Wenn es wenigstens nur um ihn gehen würde, doch jetzt kam die Sorge um Stella hinzu. Es gefiel ihm nicht, sie mit Da'an teilen zu müssen. Nicht, weil er ihn nicht mochte. Im Gegenteil, in Vielem war er mit Da'an einer Meinung und empfand ihn als eine meist angenehme, oft anregende, um nicht zu sagen faszinierende Gesellschaft. Doch in der gegenwärtigen Situation fürchtete er Konflikte. Und mit Da'an Konflikte zu haben, ging selten gut für dessen Gegner aus.
Das Wissen darum war ein Grund gewesen, weshalb er sich ihm vorhin nicht weiter in den Weg gestellt hatte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, denn nun konnte er nur hoffen, dass Stella die Prozedur gut überstand, denn so kurz nach der Hybridisierung war es eigentlich nicht ratsam, die Energiestruktur zu manipulieren. Immerhin war Da'an, nach allem was er wusste, geschickt in diesen Dingen und Stella vernünftig genug, um sich nicht anzustellen wie Stratton.
Stratton. Es war nicht zu übersehen gewesen, dass dieser Mensch bei der Implantation gelitten hatte! Genau wie zuvor Cockburn. Er hatte versucht, ihnen mitzuteilen, dass sie ruhig bleiben mussten, doch gelungen war es ihm nicht. Weder bei Stratton und Cockburn, noch zuvor bei den Hybriden. Hätte er Kollegen gehabt, die die Aspekte des richtigen Umgangs mit Menschen untersucht hätten, wäre vieles besser gelaufen...
Sa'els wiederholt um den gleichen Sachverhalt kreisende Gedanken wurden unterbrochen, als die Teth'a'dar ihn darüber informierte, dass sich Da'an auf dem Weg zu ihm befand. Fast hastig schaltete er den Energiestrom ab und richtete sich auf.

*Und?*, fragte er, kaum dass Da'an in den Raum getreten hatte.
*Es ist alles gut gegangen. Sie hat nichts gespürt, ist aber sehr erschöpft. Ich vermute, dass sie nicht mehr als Ruhe braucht, um sich zu erholen, aber zur Sicherheit solltest du sie dir lieber noch einmal anschauen.*
Mit der Erleichterung über diese Nachricht stieg wieder der Ärger über Da'ans Handlung in ihm auf. *Das werde ich bestimmt!*, gab er scharf zurück.
Falls sein heftiger Tonfall ihn überraschte, so ließ sich Da'an nichts anmerken. *Wie ist die Implantierung von Stratton abgelaufen?*, sprach er unbeirrt ein weiteres von Sa'els gegenwärtigen Reizthemen an.
Er reagierte dementsprechend. *Genau wie die von Cockburn: Katastrophal!*
*Du hättest ihm erklären müssen, was es damit auf sich hat.*
*Ach, und wie? Du warst es, der mich darauf hingewiesen hat, dass es nicht ratsam sei, Menschen zu erklären, dass man ihnen mit einem CVI ein lebendes Wesen in den Kopf setzt!*
Da'an ließ seine Hand bestätigend - und wie Sa'el fand, provozierend ruhig - durch die Luft gleiten. *Nach allem, was wir über die Menschen wissen, wäre das auch nicht klug. Aber es wäre möglich gewesen, ihm zu erklären, dass die Prozedur weniger unangenehm ist, wenn man sie nachgiebig geschehen lässt.*
*Es war nicht möglich. Stratton wollte mir nicht zuhören und nachgiebiges Geschehen-Lassen, ist - so wie ich ihn einschätze - nicht seine Sache.*
*Womit er nicht alleine dasteht”, meinte Da'an mit einem vieldeutigen Blick.
*Ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe!*, brauste Sa'el auf. *Energetische Manipulation ist mein Fachgebiet und ich weiß damit umzugehen, sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite!*
Für diesen Ausbruch erntet er eine spöttische Geste. *Oh, als Empfänger hab ich da keine Bedenken. Du hast mit Sicherheit mehr von T'thans Energie in dir als einer von euch beiden je zugeben würde.* Da'an schenkte ihm einen Blick, dem Sa'el lieber auswich. *Weniger sicher bin ich mir, wenn du auf der anderen Seite stehst. Rein technisch bist du äußerst geschickt, aber Empathie ist - vorsichtig ausgedrückt - nicht gerade deine Stärke.*
*Und ist bei meinem Fachgebiet auch nicht relevant! Wenn ich Kollegen hätte, die mich diesbezüglich unterstützen würden, wäre das kein Problem.*
*Dein Wunsch wird dir erfüllt werden: Ne'eg wird deine Position auf der Erde übernehmen...*
*Herzlichen Dank, dass ich da nicht wieder runter muss!*
*... und du wirst ihn von hier oben aus unterstützen. Gemeinsam mit Ro'ha.*
*Ro'ha? Mir bleibt auch nichts erspart!*, lamentierte Sa'el weiter, doch dann stutzte er. *Warum ausgerechnet Ro'ha? Er arbeitet auf demselben Gebiet wie ich, wozu zwei gleiche Spezialisten in einer Arbeitsgruppe?*
*Das sollen sie dir selbst erklären. Ich verrate dir nur soviel: Es wird dir nicht gefallen. Ebenso wenig wie es mir gefällt, doch ich brauche die Informationen, die du aus dieser Zusammenarbeit gewinnen kannst.* Sa'el sah Da'an fragend an, doch dieser fuhr fort, bevor er einhaken konnte. *Was dir auch nicht gefallen wird, ist, dass die beiden auch für die wissenschaftliche Untersuchung von Stella zuständig sein werden.*
*Wozu soll das gut sein?* Sa'el konnte nicht verhindern, dass er aufsprang und begann, sich aufgebracht durch den Raum zu bewegen. *Ne'eg und Ro'ha unterstützen Quo'on, der bekanntlich Mensch-Taelon-Hybriden ablehnt. Warum nun dieser Umschwung? Das ist völlig inakzeptabel!*
*Sa'el, es tut mir leid.* Besänftigend und gleichzeitig eindringlich ließ Da'an ihm Energie zufließen. *Wir können froh sein, dass die Synode Stella nicht ganz unserer Obhut entzogen hat. Bedauerlicherweise könnte Stella wichtig sein für das Projekt, an dem Ne'eg und Ro'ha seit geraumer Zeit arbeiten. Wenn du dich geschickt anstellst, dann wirst du immerhin daran beteiligt sein.*
*Und was, wenn ich das gar nicht will?*
*Du hast zu wollen!*, bestimmte Da'an resolut.
Erbost fuhr Sa'el herum. Da'an strahlte die Entschlossenheit aus, mit der er gesprochen hatte, doch in seinem Blick meinte Sa'el einen Funken Ironie zu entdecken.
Das brachte ihn aus dem Konzept. Warum Ironie? Was sie besprachen, war ernst!
Was belustigte Da'an? Er vielleicht? Verhielt er sich etwa albern?
Ernüchtert hielt er inne. Ja, keine Frage, aufgeregt hin und her zu laufen und zu schimpfen, war albern. - Und es war ihm nicht einmal aufgefallen.
Resigniert wandte er sich ab und trat ans Fenster, durch das er hinunter in die zentrale Halle sehen konnte. Mit ihren Pflanzen, Steinen und dem kleinen Bach, der hindurch floss und alles bewässerte, sah sie so friedlich aus...
*Du hast recht*, gab er zu. *Je mehr wir wissen, desto mehr können wir dagegen tun...*
Es fiel ihm schwer, das zuzugeben, und noch schwerer fiel es ihm, die Konsequenzen, die sich daraus ergaben zu akzeptieren. Vielleicht merkte Da'an dies, jedenfalls war Sa'el ihm dankbar, dass er das Thema nicht wieder aufgriff, sondern sich nur schweigend neben ihn stellte. Sa'el spürte neben Da'ans Ruhe die Aufgewühltheit seiner eigenen Energie nur noch stärker.
*Ich bin es leid, Da'an*, brach er schließlich selbst das Schweigen. *Ich habe keine Lust auf all diese politischen Querelen. Ich will in Ruhe an etwas arbeiten. Etwas, dass uns allen hilft und uns weiterbringt. Ich will nicht schon wieder in eine Intrige verstrickt werden. Dafür bin ich nicht geschaffen.*
*Das weiß ich, Sa'el*, antwortete Da'an sanft und mit leisem Bedauern in der Stimme. *Aber ich brauche dich und im Gegensatz zu den meisten anderen Wissenschaftlern hast du die Kraft es durchzustehen.*
*Wofür T'than gesorgt hat...* Sa'el konnte nicht verhindern, dass er bitter klang. Er wusste, dass es nicht gerechtfertigt war, Da'an allein für das Geschehene verantwortlich zu machen. Es war bequem, sich hinter der Ansicht zu verstecken, durch geschickte Manipulation von ihm zum Handeln getrieben worden zu sein. Zwar war genau dies der Fall, doch es entband ihn keineswegs von der Verantwortung für sein Tun. Und es entband ihn nicht von der Verantwortung, weiterhin zu handeln, auch wenn es ihn noch tiefer in politische Fahrwasser manövrierte und ihn dazu brachte, Dinge zu tun, die er nicht gut hieß.
Er begann zu ahnen, was Da'an zu tragen hatte und was er ihm zu geben hatte. Er wünschte, er könnte auf dieses Geschenk verzichten. Dennoch zwang er sich, sich zu Da'an umzudrehen. *Ich nehme an, nach Stella bin jetzt ich dran...*
Da'an musterte ihn eingehend. *Es ist deine Entscheidung, Sa'el. Wenn du denkst, du könntest unser Geheimnis auch ohne das hüten, so können wir darauf verzichten.*
Sa'el wich Da'ans forschendem Blick aus und sah abermals in die Halle hinunter.
Konnte er diese Frage mit gutem Gewissen bejahen? Sicher war er in der Lage sich gegen hartnäckige, offensive Fragen zur Wehr zu setzten, doch war er auch in der Lage, jemandem zu entgehen, der geschickter vorging? Er war nicht mehr an der Front, wo vor allem Krieger ihre Aufgabe erfüllten. Hier gab es mehr als genug Diplomaten und ähnlich Befähigte. Und hatte er denen etwas entgegenzusetzen? Sa'el musste zugeben, dass dies nicht der Fall war. Ein Gedanke an Da'an reichte, ihm das klar zu machen. Da'an schien die Ruhe selbst zu sein und stand sicher weit mehr unter Druck als er. Etwas von dieser Fähigkeit zu erhalten, war objektiv betrachtet sicher erstrebenswert.
Und doch, er war nicht begeistert davon, wenn seine Energiesignatur verändert wurde. Die Verwirrung, das ungute Gefühl, nicht mit sich selbst im Einklang zu sein, und die Unsicherheit, zu was er werden würde, schreckten ihn. Doch konnte es noch viel schlimmer kommen?
Und was war die Alternative? Würde ein anderer Taelon erfahren, was er getan hatte, einer, der Quo'on unterstützte, so würde sein Leben für lange Zeit sehr unangenehm werden. Und nicht nur das! Auch von seiner Person abgesehen konnte das gravierende Konsequenzen haben.
*Ich fürchte, es wäre dumm zu behaupten, dass unser Geheimnis bei mir sicher wäre*, antworte er schließlich. *Und Dummheit ist etwas, das ich mir nun wirklich nicht vorwerfen lassen möchte! Aber ich erzähle dir wohl nichts Neues, wenn ich darauf hinweise, dass eine solche Manipulation nicht immer so funktioniert wie geplant.*
Da'ans Augen blitzten verschmitzt. *Derartige Unwägbarkeiten sind es, die das Leben spannend machen*, lautete die wenig beeindruckte Antwort, mit der Da'an die Hände hob. Sa'el konnte sehen, wie sich Energie in seiner Handfläche sammelte.
Nach kurzem Zögern folgte Sa'el der Aufforderung. Um seine Kooperation zu signalisieren, verminderte Sa'el die Energie in seinen Händen und Armen, bevor er seine Handflächen gegen Da'ans legte. Er wusste, dass er sich ins Gemeinwesen fallen lassen sollte, aber er zögerte es bis zum letzten Moment hinaus, die Kontrolle zu verlieren. Innerlich wappnete er sich und erwartete das Eindringen des ungewohnten, heftigen Energiestoßes.
Doch Da'an tat nicht mehr als seine Aura zu expandieren.
Verwirrt sah er ihn an, doch erhielt nur einen besänftigenden Blick. Bald war er völlig davon umgeben und merkte, wie seine Aufmerksamkeit unter der beruhigenden Umhüllung nachließ. Dass Da'an begonnen hatte, auch über die Hände Energiekontakt aufzunehmen, merkte er erst, als es schon längst geschehen war.
Er hatte eben begonnen, sein Selbst fallen zu lassen, als ein zarter Impuls ihn zurückhielt. Erstaunt begegnete Sa'el Da'ans fragendem Blick. Er hatte nicht erwartet, vor diese Entscheidung gestellt zu werden, doch sie traf sich von selbst. Als die Energie zu fließen begann, ließ er sich nicht fallen, und nur einen Augenblick später spürte er Da'ans Präsenz so unmittelbar, wie sonst nur das Gemeinwesen.
Der Kreis schloss sich. Ihrer selbst bewusst und doch nicht getrennt, ließen sie ihre Energie durch ihre Körper zirkulieren. Der stetige Strom begann seine Unruhe, seinen Ärger und seine Sorge wegzuspülen, während Da'an der feste Griff, in den er sich selbst genommen hatte, nach und nach entglitt. Alles Zuviel und Zuwenig ausgleichend fanden sie einen Gleichklang, der ebenmäßig schwang und doch vor Spannung vibrierte...

Sa'el konnte unmöglich sagen, wie viel Zeit vergangen war, als sie sich wieder trennten. Mit dem kraftvollen Frieden, den er in sich spürte, fühlte er sich Ewigkeiten von seinem vorherigen Zustand entfernt und seit langem wieder mit sich selbst im Reinen - trotz des Wissens, dass ein Bruchteil von Da'ans Wesen in ihm zurückgeblieben und dabei war, mit ihm zu verschmelzen.

 

Ende von Kapitel 1

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang