Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Die Geschichte der Zhawi / Aufbruch nach Jaridia / Kontakte unterwegs
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Der auf dem Weg, der Erinnerer der Zhawi, die Gesangshütenden des Wasser-, Erd- und Windvolkes, der Heiler und der Sprecher der Jaridians (die Besatzungen des Jaridian- und des Zhawi-Schiffes, Angehörige der vier Völker, vier unbekannte Wesen)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 14

 

Teil 1


Ich hockte mich in eine Ecke, lehnte mich an die Wand und wartete ... mehrfach mußte ich den Impuls unterdrücken, aufzuspringen und ihnen durch das Tor zu folgen, um sie zu suchen. Die Angst, daß sie in der „Zeit des Sterbens” verloren gegangen sein könnten, war groß, und ich mußte mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, wie zielgerichtet und zuversichtlich der Zhawi sich verhalten hatte und mit welcher Gelassenheit und Sicherheit der auf dem Weg handelte ...
Als sie schließlich, unversehrt und mit strahlenden Augen, durch die Öffnung in dem funkelnden Bildnis zurückkehrten, lief ich ihnen entgegen und hüllte beide in meine Flügel.
Der Körper des Zhawi war vollständig mit weichem, dunklem Flaum bedeckt.
Wir standen einen Moment beisammen, und ich spürte meine Beine zittern vor Erleichterung, daß das hier gut gegangen war ... „Um die Meinen brauchst Du Dich nie wieder zu sorgen”, bedeutete mir der Zhawi, der sich vollkommen verändert anfühlte, nicht nur wegen des begonnenen Federwachstums. Von Verwirrung oder Angst war keine Spur mehr wahrnehmbar, auch nicht von der Getriebenheit, die auf dem Weg hierher in ihm gewesen war. Er schien größer als zuvor und verhielt sich klar, kraftvoll und bestimmt. Nach einer Weile löste er sich aus der intensiven Berührung und nahm statt dessen die linke Hand des Feuervolk-Angehörigen und meine rechte Flügelhand in einen festen Griff. „Wir müssen zurück”, sagte er. „Die Meinen müssen erfahren, welches Erbe wir antreten ...”
Er führte uns den Weg zurück, der mit einem mächtigen Sprung begann ... als ich aus der Tiefenwahrnehmung wieder auftauchte, spürte ich als erstes den auf dem Weg, der einen Arm um den Zhawi, den anderen um mich gelegt hatte. Der Zhawi saß aufrecht vor mir und hielt meine Flügelhände, und er war wirklich gefiedert ... Beide strahlten mich an, Eindrücke wirbelten im Kontakt von einer Gruppe der Seinen in ihrer tatsächlichen Gestalt, von denen jeder ein seltsam geformtes, klumpiges Bündel auf dem Rücken hatte, von einer weiteren Höhle mit einem riesigen Bild aus winzigen Steinen, in dem sich ein Tor öffnete und schließlich ein Stein-Bild mit einer solchen Fülle von winzigen Einzeldarstellungen und Zeichen, daß mir schwindelte davon ... Der Zhawi beendete die Flut von Gedankenbildern abrupt. „Wir müssen die anderen wecken”, sagte er. „Es ist Zeit, zu wissen ...”
Eine neue Berührung war da, so entschlossen wie die des Zhawi - der Heiler, Zorn und Besorgnis gleichzeitig ausstrahlend, in seinem Geist den Eindruck, den wir ihm für viel zu lange Zeit offenbar geboten hatten: gegeneinander gesunken, mit erschlaffter Muskulatur, halboffenen Augen und kaum atmend ... und auf seinem Überwachungsgerät viel zu langsame Herzschläge und viel zu schnell sinkende Energiewerte ... Der aus den Feuern wandte sich ihm zu. „Danke, daß Du da warst ... und daß Du mir vertraut hast ...” Uns ließ er zufließen: „Er hat den Raum für uns gehalten, damit ich zu Euch konnte ...” Ich nahm wahr, was es den Heiler gekostet hatte, nicht einzugreifen in das, was für ihn ausgesehen hatte wie eine Katastrophe - er fühlte sich jetzt noch so, wie ich mich gefühlt hatte, als ich in der Höhle warten mußte, den Blick auf den Nebel hinter der Öffnung gerichtet ... „Keiner von Euch unternimmt jetzt noch irgend etwas, bis Ihr wieder normale Vitalwerte habt”, teilte er über die Berührung mit. Sein Shaqarava aktivierte sich, als er spürte, daß der Zhawi protestieren wollte, und er nahm sich mit Mühe zusammen. „Was habt Ihr eigentlich getan? Ich kam mir vor, als hättet Ihr mich einfach dazu verdammt, Euch beim Sterben zuzuschauen ...” Der Zhawi blickte ihm in die Augen und deutete über den Kontakt zuerst auf mich, dann auf den auf dem Weg. „Sie hat mich zu mir geführt. Er hat mich durch das Tor begleitet - und ich habe mich erinnert ...” Plötzlich fühlte ich wieder in ihm die Energie eines Kriegers, aber nicht wie vorher, kurz nach der Zerstörung des Implantates, sondern ähnlich, wie die Jaridians sich anfühlten. „Wir werden mein Volk befreien”, sagte er, und die Augen des Heilers wurden weit. Dieser ehemalige Feind, das vor kurzem noch hilflose Opfer, das keinen klaren Gedanken zu fassen in der Lage war, war ihm verwandten Geistes ...
Ein hochfrequentes Geräusch aus seinem Überwachungsgerät ließ ihn sich mir zuwenden, und für einen Augenblick war wieder Ärger in ihm. Offenbar hatte ich meine Energie komplett verbraucht ... Er musterte mich eine Weile, löste sich dann aus der Berührung, erhob sich ohne ein weiteres Wort und verließ unsere Unterkunft, um kurze Zeit später mit drei anderen seines Stammes wiederzukommen. „Was immer Ihr vorhattet, ist verschoben”, bestimmte er, dabei den Zhawi anschauend. „Nahrung, Wasser, Schlaf - und nichts anderes, bevor ich nicht zugestimmt habe.” Er wies auf die anderen Jaridians. „Sie werden darauf achten, daß Ihr Euch daran haltet.”
Durst hatte ich wirklich, und als ich Wasser für uns alle holen wollte, verstand ich einmal mehr, warum der Heiler in Sorge und Ärger war ... mit dem Aufstehen hatte ich so viel Erfolg wie ein Haufen nasses Laub, und inzwischen fühlte ich mich auch so ... Dann war einer der Jaridians da, mit einem Becher Wasser und einem Nahrungsriegel, und überzeugte mich, daß ich beides brauchte, obwohl ich jetzt viel lieber geschlafen hätte. Das letzte, was ich irgendwann noch aus den Augenwinkeln wahrnahm, war der Zhawi, der seinen dritten Becher Nährlösung leerte.

Von Unruhe und angespannter Erwartung im Raum wurde ich irgendwann wieder wach und war von der herrschenden Stimmung sofort angesteckt. Der Zhawi war bereits auf und sprach mit einigen der Seinen. Der auf dem Weg und der Heiler hockten in meiner Nähe auf dem Mitte-Lager und stritten sich, laut genug, daß ich mitbekam, worum es ging. „Wir brauchen sie”, sagte der Feuervolk-Angehörige gerade, „es braucht einen von uns für jeden von ihnen, und gerade jetzt ist es unbedingt wichtig, daß der Kontakt gelingt ...” „Ihre Werte sind immer noch weit unter der Norm! Ich weiß, daß Ihr wieder eine Anstrengung vorhabt!” Der Heiler richtete das Überwachungsgerät auf den auf dem Weg. „Für Dich gilt das Gleiche! Ich bin dafür verantwortlich, daß Ihr das Ganze hier unbeschadet übersteht, und ich lasse es nicht zu!”
Ich begab mich zu ihnen und berührte beide vorsichtig. Es ging um das, was als nächstes zu tun war: der Zhawi, der Erinnerer, mußte den Seinen, um ihrer aller Überleben willen, mitteilen, was er gefunden hatte ... und er hatte die Unseren gebeten, es nicht nur über die Sprache seines Volkes, sondern auch über den Kontakt tun zu dürfen - weil so vieles davon allein über Worte, von denen die Seinen zudem über die Hälfte vergessen hatten, nicht vermittelbar war ... und alle hatten sich sofort zur Verfügung gestellt, auch der auf dem Weg ... „Ich bin auch dabei”, gab ich in die Berührung. „Es geht mir gut ... und der Kreis muß vollständig sein, sonst gelingt es nicht ... es ist so wichtig für sie ...” „Diese Arbeit ist ganz anders als die letzte”, erklärte der aus den Feuern. „Die Unseren setzen die eigenen Energien überhaupt nicht ein ... sie tun eigentlich gar nichts, außer alles, was ihnen zufließt, durch sich hindurch zu den Zhawi strömen zu lassen - sie müssen es nicht einmal gestalten oder ordnen, sie lassen nur durch ...”
Der Heiler scannte mich. „Nein”, sagte er. „Du bist zu schwach ...” „Es geht mir gut ...” Ich ließ ihn spüren, wie sehr ich mir wünschte, etwas für die Zhawi tun zu können - es würde mir schließlich auch besser gehen, wenn sie sich wohler fühlten, vollständiger waren ... Es gelang uns schließlich, ihn zu überzeugen, daß ich einsatzfähig war, indem wir ihm zeigten, wie wir arbeiten würden. Der auf dem Weg ließ den Heiler los, so daß ich allein den Kontakt zwischen beiden hielt, und ließ mir Eindrücke zufließen - Szenen aus dem Alltag seines Stammes bei den Feuerstätten, beim Bauen einer solchen, beim Anfachen der Feuer, bei seiner faszinierenden Art des Formsingens ... ich freute mich über die Bilder, die durch mich dem Heiler zugeleitet wurden, und über seinen überraschten Gesichtsausdruck. Er beobachtete meine Daten auf dem Überwachungsgerät, die sich nicht veränderten. Er spürte genau in die Berührung mit mir und merkte, daß ich wirklich nur entspannt da hockte, konzentriert, aber ohne jede Anstrengung ... Er würde sich zu jedem Zeitpunkt in den Kontakt mit den Zhawi mit hinein begeben können, um uns auch auf diesem Wege zu überwachen, was ihn etwas beruhigte.

Kurz darauf öffnete sich der Eingang zu unserer Unterkunft, und der Sprecher trat ein, bereits informiert über das, was wir vorhatten und mit der Bitte, teilnehmen zu dürfen. Die Zhawi waren einverstanden, und wir bildeten einen Kreis, der die anwesenden Jaridians einbezog. Bevor wir den Kontakt schlossen, griff die Gesangshüterin derer im Dunklen in ihr Bündel und brachte ein großes eingerolltes Ph'taalblatt zum Vorschein, wickelte es auseinander und schüttelte den Inhalt in ihre linke Handfläche. Zwischenholzbeeren ... Sie reichte jedem der Unseren ein paar davon. „Dies ist für die Zhawi jetzt das wichtigste Frequenzband ... wenn Ihr Euch darauf einstimmt, kann das hier leichter gelingen ...” Ich aß die Beeren, und als ich diesmal den orangefarbenen Geschmack wahrnahm, fühlte ich mich nicht klein ... statt dessen juckte meine Haut für kurze Zeit so intensiv, als würden auch mir plötzlich Federn wachsen, meine Brust schien sich zu wölben und die Anordnung der Knochen in meinen Flügeln war plötzlich verschoben. Zhawi ... In dem Moment, in dem wir den Kontakt schlossen, fuhr ein mächtiger Windstoß unter meine riesigen Schwungfedern und trug mich mühelos in einen endlosen, türkisfarbenen Himmel ...
Der nächste Atemzug ließ mich sanft wieder im Kreis landen, und ich spürte alle Anwesenden lebendig und deutlich. Der Zhawi, der der Erinnerer dieses seltsamen Stammes hier war, saß zwischen einem der Meinen und dem Gesangshüter derer in den Tiefen. Ihn umgab ein silbriges Leuchten, und seine Worte ließen mein Herz plötzlich sehr schnell schlagen:

„Hört, Ihr, die Ihr nach uns kommt,
hört, und erinnert Euch:
Einstmals waren nicht wir die Schwachen,
einstmals waren nicht wir die Beute.

Ihr, die Ihr den Weg zum Tor gefunden
und es durchschritten habt,
erhebt Euch aus dem Staub und erinnert Euch:
Wir sind die Jäger ...”

Die Zeit des Sterbens war da - eine unvorstellbare Zahl von Taelon-Shuttles ging aus dem Nichts über den Planeten der Jäger nieder - Kämpfer verschiedener Rassen, koordiniert von Taelons, töteten sämtliche Zhawi bis auf die, die ihren fünfzehnten Umlaufzyklus noch nicht vollendet hatten. In drei Angriffswellen gelang es ihnen, die jungen Zhawi in den Tälern zusammen zu treiben, und sie zwangen sie, die ersten improvisierten Lager selbst zu bauen. Die Zhawi hatten, ähnlich wie wir, keine Waffentechnologie entwickelt. Sie kämpften zwar im Gegensatz zu uns durchaus gegeneinander, allerdings mit den Waffen, die ihnen ihre Körper zur Verfügung stellten - mit den Klauen, die ihre Füße waren, und den Greifkrallen an den Flügeln, die furchtbare Wunden reißen konnten ... Die Jäger stürzten sich in den aussichtslosen Kampf gegen die Eindringlinge - alle, bis auf die Erinnerer, von denen es planetenweit einigen gelang, den Taelons zu entkommen.
Sie waren in die unwirtlichsten Hochgebirgszüge geflohen, dort hin, wo selbst die fähigsten Shuttle-Piloten nicht fliegen oder gar landen konnten, weil der ständige heftige Wind das Gebiet unberechenbar machte. Der Ort, an den ich mich mit dem Erinnerer begeben hatte, existierte wirklich - es war eine der Höhlen, die die Geflüchteten besiedelt hatten ... und in denen sie solche Schönheit geschaffen hatten, um für ihre versklavten Nachkommen das Wissen um ihr Volk zu bewahren ... Die Geflohenen waren zu wenige, um ihren besetzten Planeten befreien zu können. Aber weltweit war ihre Gruppe, die aus Jägern aller drei Geschlechter ihrer Rasse bestand, groß genug gewesen, daß sie sich vielleicht noch hatte erweitern können ... In den gigantischen Steinbildern hatte es immer wieder Hinweise darauf gegeben, verborgen in der Fülle an detaillierter Information über all das, was das Leben der Zhawi - der Jäger - einst ausgemacht hatte ... Sie jagten die Wesen, von denen sie lebten, und manchmal auch einander, wenn das Wohl des eigenen Stammes oder eine Verletzung der „Ehre” es erforderten. Und das Erschaffen von Steinbildern war von zentraler Bedeutung; vieles im Alltag eines Zhawi drehte sich um sein Lebensbild, um das Stammesbild, um das Finden und Bearbeiten der Steine, um die Herstellung von Haft- und Füllstoffen, um Farben, Symbole und tradierte Stile ... Für die Jäger waren die Steinbilder etwas ähnliches wie für uns unsere Gesänge.
„Das sind wir ...” ließ der Erinnerer den Seinen zuströmen, verbunden mit Eindrücken, die mich zittern ließen ... ein Stammeserster im Flug, die Schwingenspannweite das Zweifache der meinen ... ein Jäger, der sich mühelos vom Boden erhob, in den Fußklauen ein schuppiges Wesen, fast so groß wie er selbst ... eine Gruppe Erinnerer in der Höhle, in der wir gewesen waren, an dem riesigen Bildnis arbeitend, schnell und geschickt mit beiden Flügeln und einem Fuß Steine setzend ... „Das sind wir ...” Drei Zhawi, zu einem Knäuel verwoben, und eine Woge ekstatischen Gefühls ... ein einzelner Zhawi, allein auf einem Bergkamm, konzentriert auf der Suche nach einer besonderen Sorte flacher, silbriger Steine für sein Lebensbild ... „Das sind wir ...”
Und ich spürte über den Kontakt, wie das, was der Erinnerer in den Kreis gab, die Seinen erreichte und sie verwandelte. Es war, als ob ihr eingetrübtes, mißhandeltes Denkgewebe wieder zum Leben zurückkehrte ... lange unbenutzte, dunkle, verklebte Nervenbahnen wurden plötzlich von Licht durchflutet, und das Erinnerungsvermögen der versammelten Zhawi erwachte zu voller Funktion, inklusive der wieder hergestellten Verbindung zum genetischen Gedächtnis ihres Volkes. Der Erinnerer hatte das Tor durchschritten und die Barriere durchtaucht - jetzt folgten ihm die Seinen ...

Und dann waren Schmerz und Entsetzen in Kreis - als mit dem wieder hergestellten Sich-Erinnern-Können auch das vollständig in das Bewußtsein der Zhawi zurück flutete, was sie selbst als einzelne Wesen an Geschichte hatten - ihre Zeit in den Militärlagern, ihre Ausbildung als Kämpfer für die Taelons, das Empfangen der CVIs und die ganze Zeit danach - die Zeit ihres Einsatzes gegen die Jaridians ... „Was haben wir getan? Mit Unseresgleichen sind wir verfahren, wie wir an Beute niemals gehandelt hätten ...”
Und es waren die Jaridians, die diesen Schmerz linderten, indem der Sprecher Bilder in die Berührung gab, die seiner Erinnerung an Begegnungen mit Zhawi-Kampfschiffen entstammten - einen Eindruck seiner selbst, eine Bordwaffe des Kreuzers auslösend, die ein solches Schiff einfach verschwinden ließ ...er, gemeinsam mit einigen der Seinen, ein aufgebrachtes halb zerschossenes Schiff der Zhawi betretend und dabei über die am Boden liegenden, bereits toten Körper seiner Feinde steigend, wütend darüber, von diesen nichts mehr erfahren zu können ... er, auf unserer Welt, den Seinen den Befehl gebend, das havarierte Kampfschiff der Jäger in ihren Besitz zu bringen ... „Wir haben es mit Absicht getan”, ließ er den Zhawi zufließen, „Ihr hattet nicht einmal Absichten ...” „Aber wir waren Handelnde wie Ihr - und uns im jeweiligen Augenblick dessen, was wir taten, bewußt ...” „Ihr hattet keine Wahl - Ihr wußtet nicht einmal, was eine Wahl ist ...” „Habt Ihr denn eine? Könnt Ihr einfach aufhören zu kämpfen?” Der Sprecher und der Erinnerer sahen einander lange an.
„Wir übernehmen unseren Teil der Verantwortung,” sagte der Erinnerer schließlich, keine weitere Argumentation duldend. „Wir waren Werkzeug des Unrechts, und keiner unseres Volkes darf dies länger sein. Wir bitten darum, an Eurer Seite kämpfen zu dürfen gegen die, die die Deinen jagen und die Meinen versklaven - auf daß unser beider Völker frei sind ...”
„Deine Worte sind die eines Kriegers und Dein Angebot ist ehrenvoll”, antwortete der Sprecher zeremoniell, „jedoch ist es nicht an mir, es anzunehmen oder abzulehnen ... darüber muß das Hauptkommando entscheiden. Verbündete sind willkommen. Und zuvor sind noch folgende Fakten zu berücksichtigen: erstens seit Ihr physisch noch nicht wieder in der Lage, zu kämpfen, und Euer Schiff ist es auch nicht. Zum Zweiten seid Ihr noch zu wenige, um einen Kampfverband zu bilden, und Eure körperliche Beschaffenheit läßt die Eingliederung in bereits bestehende Verbände nur bedingt zu. Und drittens liegt der Planet, von dem Ihr stammt, so tief in Taelon-Territorium, daß ein Angriff zur Zeit völlig aussichtslos wäre - selbst wenn wir ihn kurzfristig einnehmen könnten, halten können wir ihn nicht ...”
Der Erinnerer folgte den zugehörigen Gedankenbildern, und Zorn stieg in ihm auf, Zorn auf die Taelons und auf die offenbar aussichtslose Situation, in die sie ihn und seine Rasse gebracht hatten. „Wir müssen handeln! Wir können dies alles doch nicht einfach weiter geschehen lassen ...”
Ich ließ ihm zufließen, wie ich seinen physischen Zustand im Moment wahrnahm: schwach, immer noch ausgehungert, fiebrig von den Umwandlungsprozessen, die endlich in Gang gekommen waren ... „Ihr braucht Zeit,” vermittelte ich ihm, „Ihr müßt zu Eurer Kraft zurück finden, ehe Ihr handeln könnt ...” Der Erinnerer wandte sich mir zu und prüfte die Eindrücke, die damit verbunden waren. „Nein”, meinte er schließlich. „Wir können kämpfen, und wir kämpfen gut ... wir haben bisher nichts anderes getan ... wir verzichten auf unsere eigentliche Gestalt, reparieren unser Schiff - und könnten Bestandteil einer jaridianischen Flotte werden. Wenn auch unser Planet noch nicht befreit ist, helfen wir so zumindest schon, das Universum von den Taelons zu befreien ...” „Wenn es so einfach wäre ...” Das war der Sprecher, der den Eindruck eines Jaridians und eines Taelons in die Berührung gab, die aufeinander zu gingen, waffenlos und mit offen dargebotenen Handflächen. „Unser beider Rassen sind dabei, auszusterben,” sagte er. „Und so, wie es aussieht, ist unser Überleben an das ihre geknüpft ...” Der Erinnerer verstand nicht. „Es gibt noch einen anderen Grund, der Deinen Plan undurchführbar macht,” ließ der Gesangshüter derer in den Tiefen den Zhawi wissen. „Welchen?”
„Fühlst Du Deinen Körper?”
Der Zhawi versuchte zu verbergen, wie unwohl ihm war. „In Eurer jetzigen Gestalt könnt Ihr Euch kaum bewegen ... Ihr belastet jedes einzelne Gelenk falsch, weil Ihr keine Flugmuskulatur habt und Euer Rücken zu schwach ist. Ihr hattet bisher kaum Schmerzen, weil das CVI sie unterdrückt hat .. Was geschieht mit den Euren, wenn die Abnutzung ihrer Gelenke sie verkrüppelt hat? Wenn sie nicht mehr imstande sind, Einsätze zu fliegen?”
Die Augen des Erinnerers wurden weit, als als Antwort darauf ein Bild in ihm aufstieg, ein toter Zhawi, vielleicht zehn Umläufe älter als er selbst, in einem kleinen Raum voll süß riechendem, gelblichem Dunst ... „Die Implantate werden danach entfernt ... sie können immer wieder benutzt werden, über Hunderte von Umläufen ...” Sein Blick trübte sich, als er mit seltsam veränderter Stimme weiter sprach: „Das Wohl der Taelons ist meine Bestimmung. Indem ich ihre Stimme empfange, folge ich dem Pfad der höchsten Erfüllung ...” Der Eindruck seines jungen, federlosen Selbst, an eine harte, kalte Fläche gefesselt und voller Angst ... „Nein!” antworteten wir Gesangshütenden, der auf dem Weg und die anwesenden Jaridians mit einer Stimme, und der Sprecher fuhr fort, mit vor Zorn dunklen Augen und aktiviertem Shaqarava:

„Erinnere Dich!
Einstmals ward nicht Ihr die Schwachen!
Einstmals ward nicht Ihr die Beute!”

Der Erinnerer schrak auf, sein Blick wurde wieder klar und er atmete tief aus. „Wir sind die Jäger”, sagte er entschlossen. „Es ist vorbei ...” „In Eurer wahren Gestalt werdet Ihr sehr alt”, gab der Heiler in den Kontakt. „Ihr braucht einen Platz für Euch, an dem Ihr gut sein könnt ...” - das war erneut der Sprecher. „Auf ihrer Welt ”, - er deutete auf mich - „könnt Ihr nicht atmen ... Wir sind bereit, Euch auf Jaridia Heimat zu geben, aber auch dort würdet Ihr leben wie Gefangene, weil das, was Ihr braucht, auch in unserer Atmosphäre fehlt ...” Der zugehörige Gedankeneindruck zeigte eine Art riesiger Halle, in der die Zhawi sich eingerichtet hatten, und ab und zu erhob sich einer der Ihren in die Luft und durchquerte ihre Unterkunft mit wenigen kraftlosen Flügelschlägen.
Die Zhawi wichen vor dem Bild zurück. Der Erinnerer konzentrierte sich. Dann ließ er den Eindruck einer weiten, kargen Landschaft in den Kreis fließen. Gebirgszüge, seltsame gekrümmte Bäume auf den Hängen, weite Ebenen, in denen rötliches Gras wuchs, worin sich rundliche dunkle Schatten bewegten, schroffe Gipfel und Höhleneingänge ... und über allem ein weiter, wolkenloser, türkisfarbener Himmel mit einer klein wirkenden, fast weiß leuchtenden Sonne.
Tiefe Sehnsucht schwang im Kreis, in der Farbe des stoppeligen Grases.
„Euren Planeten können wir Euch nicht zurück geben ...” Dem Sprecher brach die Stimme. „Aber vielleicht finden wir eine ähnliche Welt für Euch ... eine Welt, auf der Ihr bleiben, genesen und wachsen könnt, bis die Zeit gekommen ist ...”
„Bis die Zeit gekommen ist”, antwortete der Erinnerer, als habe der Sprecher eine zeremonielle Frage gestellt. Er saß jetzt sehr aufrecht, und das silbrige Leuchten um ihn war blendend hell geworden. Plötzlich war das mächtige Steinbild aus der Höhle im Kreis, und ich konnte auf nichts anderes mehr schauen als auf ein rundes, rötlich glänzendes kleines Detail links oben, dicht unter der Kante ... es stellte eine Kugel dar, in der Nähe einer anderen Kugel in weiß und einer größeren, die fast den Bildrand berührte, in Schwarz ... Das Ganze erinnerte mich an die erste holographische Sternenkarte, die der Navigator uns damals gezeigt hatte, eine schlichte Abbildung unseres Sonnensystems ... Und ich begriff. Auf dem Steinbild war ein Sonnensystem dargestellt, und das war nicht das Heimatsystem der Zhawi ... Die rötliche Kugel schien sanft zu pulsieren, und als ich sie in Gedanken berührte, fühlte sie sich warm an ... und richtig ... und dicht über ihr war zwischen die hellen Steine in Gelb- und Weißtönen ein einzelner, sehr kleiner, grün und schwarz glänzender Splitter eingelassen. Auch ihn berührte ich sehr vorsichtig - und mir blieb der Atem weg.
Das konnte nicht sein.

 

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang