Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Blick übers Wasser” von Veria  (Emailadresse siehe Autorenseite),   März 2016
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Liam, Ron und Ava besuchen Irland in der Vergangenheit. Nachdem sie mit einer Begleiterin in die Gegenwart zurückkehren, beauftragt T'than den Mord an Zo'or.
Zeitpunkt: vor 27 Jahren sowie in der Jetztzeit / nach „Blick ins Tal”
Charaktere:  Liam, Ron, Ava
 
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Adventskalenders 2015 geschrieben.
 

 

BLICK ÜBERS WASSER

Kapitel 5

 

Liam fand sich knapp vor dem inaktiven Portal in einer Lagerhalle in Washington wieder - links neben ihm Ronald, Melody und Ava. Das hätte gewaltig schiefgehen können. So schmerzhaft es gewesen war, erschossen zu werden, Liam war Ronald äußerst dankbar dafür. Jetzt allerdings sprach er es nicht an, und auch Ava und Ronald verhielten sich, als wären sie gerade erst aus Irland zurückgekehrt. Allerdings war der Kimera gerade äußerst aufgekratzt, da musste auf jeden Fall zunächst zuhause eine Entspannungsdusche sein, bevor er in die Botschaft ginge - Zeit dafür war noch genug.

Liam betrat fröhlich grinsend Da'ans Räumlichkeiten in der Botschaft und formte den Taelongruß. „Guten Morgen, Da'an.”
„Major”, sagte der Taelon sanft und begleitet von einer überaus hübschen Handbewegung.
„Was kann ich heute für Sie tun?”
„T'than wünscht Ihre Anwesenheit auf dem Mutterschiff”, sagte Da'an, „Er befürchtet, dass Zo'or der Synode und besonders deren Ansehen bei den Menschen empfindlichen Schaden zugefügt hat und möchte auf Ihre Expertise bauen.”
„Ich bin leider kein Werbefachmann, aber ich werde natürlich sehen, was ich tun kann.”
„Ich danke Ihnen, Major.”
Liam wandte sich um und machte einige Schritte in Richtung des Weges zum Hangar der Botschaft, dann blieb er stehen und sah zum Taelon. „Da'an, ich kenne eine absolut vertrauenswürdige Werbefachfrau”, sagte er, „Ms. Melody Anderson könnte mit Sicherheit sehr hilfreich sein.”
Da'an begann eine hübsche Handbewegung, stoppte sie allerdings und sah den Kimera mit seinen taelonblauen Augen sehr durchdringend an. „Widerstand?”
„Ja, Da'an.”
„Ich werde sie T'than empfehlen. Fliegen Sie zum Mutterschiff, Major.”
„Natürlich, Da'an.”

Sowie der Hybrid sein Shuttle aus dem Hangar gesteuert hatte, schüttelte er sein Global, bis es aufsprang, und sagte: „Augur.” Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Gesicht des schwarzen Genies auf dem kleinen Bildschirm erschien. „Melody braucht eine Identität als geniale Werbefachfrau.”
„Wozu brauchst du schon wieder eine neue Identität für Melody?”, antwortete Augur, „Ich hab doch gerade erst eine gemacht!”
„Ich hab sie Da'an empfohlen, und der wird sie T'than empfehlen, dann kommt sie aufs Mutterschiff und arbeitet die Werbestrategie der Synode aus, wegen des Ansehensverlusts, den die Taelons Zo'or verdanken.”
„Klingt gut. Mache ich dir. Du kriegst meine Rechnung dann morgen.”
Liam grinste schief. „Ich bezweifle es. Zeitschleife über 24 Stunden.”
„Oh. Du könntest mich da auch mal mitmachen lassen.”
„Lieber Augur”, gab Liam zurück, „du würdest die Schleife doch nur dafür nutzen, die Aktienkurse vorherzusagen.”
„Ach ... und das ist schlimmer als eure Lotto-Vorhersage, ja?”
Der Kimera zog sein Grinsen bis über beide Ohren. „Ja.” Dann schob er sein Global zu und schob es in seine Jackentasche.
Nach einem kurzen Abstecher in die Interdimension kehrte das Shuttle in den normalen Raum zurück und Liam landete es im Hangar des Mutterschiffes, wo er dann ausstieg. Ronald und Ava, letztere in schwarzsilberner Freiwilligenkluft, erwarteten ihn und begleiteten ihn zur Brücke, wo Synodenführer in Vertretung T'than auf seinem Thron saß.
„Guten Morgen, T'than”, grüßte Liam.
„Sie kommen spät, Major”, sagte T'than schneidend und sah die beiden Männer, Ava hatte sich an eine Konsole verdrückt und tat dort sehr geschäftig, von oben herab an, „Da'an hat mir empfohlen, einen menschlichen Spezialisten für Werbung hinzuzuziehen, ich stimme ihm nicht zu. Diese Belange werden nur von Beschützern behandelt.”
„Wie Sie wünschen, T'than”, sagte Ronald beeindruckend unterwürfig.
Der Taelon machte eine Handbewegung, die bei Da'an hübsch ausgesehen hätte, und stand von seinem Thron auf. „Ich wünsche außerdem, dass Zo'or terminiert wird. Der Beschluss wurde von der Synode gefasst und Sie werden ihn ausführen.”
„Die irdische Justiz wird auf das plötzliche Ableben des Delinquenten nicht positiv reagieren”, gab Ronald zu bedenken, „Es könnte das Ansehen der Synode weiter beschädigen.”
„Das wurde berücksichtigt. Mit'gai wird Ihnen ein langsam wirkendes Gift zur Verfügung stellen, es kann in die Belüftung der Justizanstalt eingebracht werden und wird auf Menschen keine Wirkung haben.” T'than machte eine wenig elegante, wedelnde Handbewegung und schloss: „Gehen Sie jetzt.”
„Natürlich, T'than”, preschte Ronald voran, dass Liam es nicht sagen konnte, und neigte knapp den Kopf, dann verließen beide die Brücke, wenige Augenblicke später gesellte sich auch Ava wieder zu ihnen.
„Zu deiner Information, Liam: Melody hat Kontakt zur Synode aufgenommen, sich allerdings noch nicht als Ma'el offenbart”, sagte sie, „Das war allerdings auch sehr knapp vor dem Rücksprung.”
„Ronald, was haben Sie in der restlichen Zeit gemacht?”
„Ich wurde von Freiwilligen umzingelt und recht unzeremoniell erschossen.”
„Oh. Hm.” Liam seufzte leise, bog ab und fand sich im Reich des Taelonheilers wieder. Er und Ronald, Ava war auf dem Korridor geblieben, strafften sich und formten für Mit'gai den Taelongruß. Der Heiler ignorierte sie und bewegte völlig ungestört seine Finger durch die holographische Kontrolle eines medizinischen Gerätes.
„T'than bat uns, ein Zo'or zu verabreichendes Gift von Ihnen in Empfang zu nehmen”, sagte Liam sogleich.
„Gedulden Sie sich, Major Kincaid”, gab Mit'gai unzufrieden zurück.
Liam wechselte einen Blick mit Ronald, der nur mit den Augen rollte. Das würde dauern ... schon wieder.
Ronald und Liam, sowie auch Ava auf dem Korridor, warteten fast eine halbe Stunde, bis der Heiler sich endlich dazu herabließ, ihnen eine filigran aussehende blauviolett melierte Kugel zu überreichen, die eben jene halbe Stunde in einer kleinen Mulde auf der Ablage neben ihm gelegen war. Ohne Gruß scheuchte Mit'gai die Menschen dann hinaus und verschloss die Türmembrane hinter ihnen.

Entgegen T'thans Anweisung brachten sie das Gift nicht in das Gefängnis, in dem Zo'or untergebracht war, sondern in eine Abstellkammer im Widerstandsversteck unter der Kirche. Untersuchen mussten sie es nicht mehr, sie wussten bereits, worum es sich handelte. Im Hauptraum des Verstecks trafen sie Augur und Melody beim Kaffee an, der Hacker überschüttete den Taelon in Menschenform mit doch einigem Charme.
„Hallo, Augur”, sagte Liam, „Sie ist übrigens ein Taelon.”
Augur sprang auf, machte einen passablen Satz und verschüttete seinen Kaffee. „Und das sagst du mir jetzt erst?”, fauchte er.
„Sonst wärst du ja nicht so schön hochgesprungen”, gab Liam grinsend zurück, „Aber jetzt was anderes: T'than und Mit'gai haben sich in den Kopf gesetzt, mich implantieren zu wollen.”
„Ach ... ist das was Neues?”
„Definitiv. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, wie unangenehm das wäre, ganz zu schweigen davon, dass ich als Implantant so gefährlich wäre, dass Ronald mich vermutlich erschießen müsste.”
„Oh!” Jetzt begriff Augur sichtlich, dass es sich um Fakten aus dem letzten Durchgang handelte.
„Ich frage mich, ob du irgendeine Möglichkeit weißt, die Wirkung eines Motivationsimperativs zu verhindern”, fuhr Liam fort, „Immerhin ist das Ding bei Ronald kaputt und sein Hirn hast du schon mal gescannt.”
Augur seufzte lautstark. „Nein, Liam. Kaputtmachen geht erst, wenn das CVI mal drin ist.”
„Schade.” Der Kimera stellte eine Tasse in die Kaffeemaschine und drückte den Knopf. „T'than hat uns ein Gift anvertraut, mit dem wir Zo'or töten sollen.”
„Ein Gift, das bei Taelons wirkt?”
„Ein Energiegas. Wurde mal von taelonischen Pflanzen abgesondert, aber die sind jetzt ausgestorben. Vom Gift ist noch ein bisschen da, zersetzt Energiebahnen, nicht nur bei Taelons, sondern durchaus auch bei mir.”
Melody sah verblüfft auf. „Qiya'lai? Du kennst Qiya'lai?”
„Natürlich.” Er trank einen großen Schluck von seinem Kaffee und stellte die Tasse dann unzufrieden halbvoll in die Spüle.
„Es ... überrascht mich, dass sich ein Kimera offenbar für taelonische Botanik interessiert hat.”
„Ha'gel hat sich für sehr vieles interessiert”, sagte Liam vage.
Sie schlürfte an ihrem Kaffee und trat dann zu ihm. „Welchen Beruf hatte Ha'gel?”
„Du glaubst es mir nicht.”
„Ach?”
„Er war, was wir auf der Erde als einen Telefonsupporter bezeichnen würden. Er hat Leuten erklärt, wie der Datenstrom funktioniert, wenn sie zu blöd dafür waren. Kimera, die zu blöd für einen Datenstrom waren!”
„Das glaube ich dir durchaus. Es gibt auch genug Taelons, die zu blöd dafür sind.”
„Das höre ich sehr gerne”, warf Augur ein, „und ich glaube es - wenn ich mich daran erinnere, welche Scheunentore beim Mutterschiff offenstehen.”
Melody sah ihn verwirrt an. „Das Mutterschiff hat keine Scheunentore.”
„Scheunentore, liebe Melody, sind in diesem Fall riesige Sicherheitslücken in der Programmierung.”
„Ah”, sagte sie, „Das Mutterschiff ist also mangelhaft abgesichert?”
„Sehr sehr mangelhaft.”
Sie runzelte die Stirn. „Nun, ich nehme an, bisher unterworfene Planeten verfügten nicht über Informationstechnologie vergleichbar zur irdischen.”
„Was ist mit Kimera und Jaridians?”, fragte Augur, „Haben die nie versucht, das Mutterschiff zu übernehmen oder so?”
„Das Mutterschiff wurde gebaut, als es die Kimera schon nicht mehr gab”, erklärte Melody, „und die Jaridians waren nie nahe genug dran.”
Die Lifttüre öffnete sich, Lili trat ein. „Hallo”, sagte sie, „Was gibt es, Liam?”
„Hallo, Lili”, sagte der Hybrid verdutzt, „Ich hatte Sie nicht erwartet.”
„Augur hat mich angerufen. Kann ich helfen?”
Er sah kurz zu Ronald. „Wenn Sie mich so fragen ... Sie könnten Ronald aufs Mutterschiff fliegen, er soll T'than unser Scheitern melden.”
„Sie melden Ihr Scheitern?”, fragte Melody perplex nach.
„Natürlich”, bestätigte Ronald, „Seine Reaktion will ich sehen.”
„Du nicht, Liam?”
„Doch - aber mich will er ja implantieren, das kann ich nicht riskieren, also geht Ronald ohne mich.”
Lili grinste schief. „Klingt gut. Gehen wir?” Sie ging voraus und Ronald folgte ihr in die Garage.

Auf dem Mutterschiff gesellte sich noch im Hangar Ava zu ihnen, die offensichtlich ebenfalls neugierig war. Die beiden Frauen hielten sich allerdings im Hintergrund, sie waren ja nur eine Freiwillige und eine Pilotin, keine Beschützerinnen.
Sowie die drei die Brücke betraten, hielt T'than in seiner Tätigkeit inne, seine Finger verharrten unbewegt mitten in der holographischen Kontrolle vor seinem Thron. „Ich nehme an, Sie sind gescheitert”, sagte er eisig.
„Bedauerlicherweise ja, T'than”, sagte Ron, „Wir gerieten in einen Hinterhalt, Major Kincaid ist tot, das Gift wurde gestohlen und aller Wahrscheinlichkeit nach bereits freigesetzt.”
„Gestohlen.” T'thans Stimme gefror noch mehr, auch wenn das nicht möglich erschienen war. „Inkompetente Menschen. Wer ist nun im Besitz des Giftes?”
„Zweifellos der Widerstand.”, sagte Ron, „Wie sehr verdünnt wirkt das Gift? Möglicherweise sollten die Botschaften evakuiert werden.”
Der Taelon wischte diesen Vorschlag mit einer harschen Bewegung beiseite. „Solche Konzentration ist nicht relevant. Mit'gai wird Ihnen eine weitere Dosis zur Verfügung stellen, terminieren Sie Zo'or. Ich erwarte Ihren Erfolg!” Der Blick aus kalten taelonblauen Augen durchbohrte Ron und machte sehr deutlich, dass T'than sich bereits eine Strafe für den Fall eines weiteren Scheiterns überlegt hatte.
Ron befürchtete, dass er durchaus herausfinden würde, welche Strafe einem Implantanten blühte - implantiert werden, wie im vorigen Durchgang Liam, konnte er ja nicht mehr. „Wie Sie wünschen, T'than”, sagte er.
Der Taelon gönnte ihm einen abschätzigen Blick und wandte sich, ohne den Menschen von dannen zu wedeln, seiner holographischen Kontrolle zu.
Ron, Lili und Ava verließen die Brücke und machten sich auf den Weg in Mit'gais Räumlichkeiten.
Diesmal wandte der Heiler sich seinen Gästen sofort zu, als sie eintraten, er musterte Ron. „Ihnen wurde die Substanz entwendet?”
„Major Kincaid war für die Verwahrung der Kugel verantwortlich”, sagte der Implantant, „Er ist tot.”
Mit'gai hatte nun einen überaus hämischen Gesichtsausdruck, sichtlich weinte er Liam keine Träne nach. „Verstehe”, sagte er und begab sich zu einem Regal, aus dem er eine weitere filigran aussehende blauviolett melierte Kugel holte, die er dann Ron überreichte. „Gehen Sie”, befahl er, die drei Menschen kamen dem schleunigst nach.
„Besser als im letzten Durchgang”, stellte Ava draußen auf dem Korridor fest.
Ron nickte. „Ich hatte eine gute Nachricht für ihn.”
„Er kann Liam offensichtlich nicht ausstehen”, sagte Lili, „Was jetzt?”
Er hielt die Kugel mit dem Gift hoch und lächelte hintergründig. „Wir benutzen dieses Ding natürlich nicht, weil Zo'or dummerweise entkommen wird. Dann sehen wir, welche Strafe sich T'than ausgedacht hat.”
„Ronald”, sagte sie laut aufseufzend, „Sie sind ein Masochist ...”
„Nicht sehr. Ich werde ihm das knapp vor Ablauf der 24 Stunden melden, dann kann er mir nicht sehr weh tun”, erklärte er, „und bis dahin versuchen wir, Melody auf den Zahn zu fühlen.”

Wenig später befanden sie sich wieder unter der Kirche, diesmal mit Ava, die zu Rons Leidwesen auch einiges von Augurs Charme abbekam. Liam saß mit mehreren offenen Packungen Kaffeebohnen am Tisch und schnüffelte ausgiebig an jeder, ganz offensichtlich schienen ihm diese Sorten so wenig zuzusagen wie jene von der er zuvor eine halbvolle Tasse weggestellt hatte.
„Mit'gai hat sich sehr über Ihren Tod gefreut”, sagte Ron, „und mir ohne Wartezeit noch eine Kugel gegeben.”
„Sie sagten Ihm, Liam sei tot?”, fragte Melody erstaunt, „aber Liam will doch sicher weiter für die Synode arbeiten.”
„Wenn ich das Gift zurückerobere und mich als sehr zäh entpuppe, verzeihen die Taelons mir vielleicht”, warf Liam ein, „Sagt mal, schmeckt neuerdings Kaffee allgemein grausam?”
Ron schüttelte den Kopf. „Nein. Vielleicht haben Sie ja einen Schnupfen, dann schmeckt nicht nur Kaffee komisch.”
Liam atmete einmal demonstrativ tief ein und aus, seine Atemwege waren definitiv frei. „Kein Schnupfen.”
„Schnupfen im Anfangsstadium vielleicht”, widersprach Ron, „da kann man noch atmen.”
„Ja, vielleicht.” Liam klemmte sämtliche Kaffeepackungen zu und trug sie in die Küche, mit einer Tasse, aus der der Zettel eines Teebeutels hing, kam er dann zurück. „Pfefferminztee soll bei Schnupfen helfen”, sagte er.
„Trinken Sie Ihren Pfefferminztee und warten Sie ab”, sagte Ron, „Lili, Melody, Sie begleiten mich zum Gefängnis, reden wir mit Zo'or. Ava, möchtest du auch?”
Ava grinste schief. „Als würde ich mir das entgehen lassen.”
„Dachte ich mir”, gab Ron schmunzelnd zurück, verabschiedete sich knapp von Liam und Augur und begab sich dann in die Garage. Die drei Frauen folgten ihm, Lili setzte sich auf den Pilotensessel, Ava und Melody wie Ron in einen Passagierplatz. „Sie wissen, wo, Lili?”
„Natürlich”, sagte die Pilotin, streckte ihre Hände in die holographische Steuerung und brachte das Shuttle sogleich in die Interdimension. Wenige Sekunden später kehrte es über Washington wieder in den normalen Raum zurück und Lili flog das kleine Sondergefängnis an, in dem Zo'or und einige weitere als sehr ausbruchgefährdet und äußerst einfallsreich vermutete Häftlinge untergebracht waren.

So sicher dieses Gefängnis war, Ron wusste dennoch bereits seit Monaten einen Weg, einen Häftling von hier zu befreien. Auf Zo'ors Anweisung hatte er sich diese Möglichkeit damals erarbeitet, inzwischen hatte er die Seiten gewechselt. Es konnte aber trotzdem sein, dass er Zo'or befreien würde - allerdings bestimmt nicht im letzten Schleifendurchgang.
Rons Skrill wurde betäubt, sein Global weggenommen. Lili und Ava mussten ihre Waffen und Globals ebenfalls abgeben, Melody hatte beides nicht, nur ein Taschenmesser, das sie allerdings auch nicht behalten durfte.
Virtuelles Glas befand sich zwischen dem Gefangenen und den Besuchern. Zo'or wirkte von seiner Haft nur wenig beeindruckt, er sah die Menschen hochnäsig an. „Was wollen Sie?”, fragte er.
„Die Synode hat Ihren Tod beschlossen”, sagte Ron, „Da'an war dagegen und daran halte ich mich.”
„Erwarten Sie Dankbarkeit, Agent Sandoval?”
„Keineswegs, Zo'or, das wäre auch eine äußerst irrationale Erwartung.”
Fast konnte man meinen, ein Lächeln huschte über das Gesicht des Taelons. „Weshalb sind Sie hier?”
„Ms. Melody Anderson ist Werbefachfrau”, sagte Ron, „Da'an hat sie gebeten, Ihr Ansehen in der Öffentlichkeit zu verbessern.”
Zo'or bewegte seine Hände elegant durch die Luft und musterte Melody. „Sie wollen mein Ansehen verbessern. Wie?”
„Was haben die Römer je für uns getan?”, fragte sie.
„Erklären Sie sich!”
„Das Aquädukt, die sanitären Einrichtungen, die Straßen, den Wein”, sagte sie.
Ron musste grinsen, und Lili und Ava ging es nicht besser.
„Ms. Anderson, erklären Sie diesen Unsinn umgehend!”, verlangte Zo'or energisch.
„Nun, das Römische Reich hat den eroberten Gebieten einen deutlich besseren Lebensstandard gebracht - ist es nicht mit den Taelons und der Erde ebenso?, fragte Melody, ”Bessere medizinische Versorgung, Portale, Kommunikation, es hat sich sehr viel seit der Ankunft der Taelons verändert, und zwar zum positiven. Sie brauchen nur einen guten Grund anzuführen, weshalb versehentlich und höchst unglücklicherweise ein Ziel im Waffenspeicher eingestellt war, zumal ja auch kein Schuss abgefeuert wurde, dann verzeihen Ihnen die Menschen sofort.„
”Die Öffentlichkeit wiederholt stets, ich habe einen Schuss abfeuern wollen„, gab Zo'or zu bedenken, ”Das wird von den Menschen geglaubt.„
”Dabei handelt es sich selbstverständlich um einen Irrtum. Die Waffen müssen schließlich alle paar Jahre getestet werden, und diesen Test wollten Sie durchführen - wobei Sie natürlich auf Übungsziele schießen wollten.„
”Verstehe.„ Zo'or sah sie nicht mehr so sehr von oben herab an wie zuvor. ”Sie sehen sich in der Lage, den Sachverhalt so in die Medien zu bringen?„
”Selbstverständlich, Zo'or. Das ist mein Beruf. Allerdings werde ich, bedauerlicherweise, die Volksfront von Judäa nicht überzeugen können.„
”Wen, Ms. Anderson?„, fragte der Taelon mit schneidender Stimme.
”Den Widerstand, Zo'or. Deren Meinung ist festgefahren, da hilft Werbung nicht.„
”Der Widerstand ist allerdings„, sagte Ron leise zu Melody, ”deutlich kompetenter als die Volksfront von Judäa.„
”Das ist wohl wahr.„ Sie musterte ihn. ”Ich vermute, der Widerstand ist auch in der Lage, sich mit anderen Widerstandsgruppen zusammenzutun, anstatt die judäische Volksfront noch mehr zu hassen als die Römer ...„
”Das nehme ich sehr an, ja„, bestätigte er, dann wandte er sich Zo'or zu und fragte: ”Gestatten Sie, dass Ms. Anderson Werbung für Sie macht?„
Der Taelon sah die Menschen gelangweilt an. ”Tun Sie es, Ms. Anderson„, sagte er, ”und gehen Sie jetzt.„
”Wie Sie wünschen, Zo'or„, sagte Ron und verfügte sich und seine drei Begleiterinnen aus dem Raum.
Bevor sie das Gefängnis verließen erhielten sie, Waffen, Globals und Taschenmesser zurück, einzig Ron würde auf die Benutzbarkeit seines Skrills noch vermutlich etwa eine halbe Stunde warten müssen. Der Implantant störte sich daran nicht, in Gefahr gerieten sie auf dem Rückflug zur Kirche mit Sicherheit nicht.

”So„, sagte Ron, als sie alle im Shuttle saßen, ”Sie kennen also das Leben des Brian?„
”Bei so viel Protest musste ich mir doch ansehen, wogegen da protestiert wird„, antwortete Melody, ”also bin ich ins Kino gegangen.„
”Es fällt mir etwas schwer, mir einen Taelon im Kino vorzustellen„, bemerkte er, worauf Lili verdutzt einen kleinen Schlenker flog.
”Taelon in Menschenform, bitte„, sagte Melody, ”Ich bin nicht im Gemeinwesen und fast vollständig an die menschliche Biologie gebunden.„
Ava beugte sich in ihrem Sitz ganz rechts nach vorne und spähte ganz nach links, wo Melody saß. ”Fast?„, fragte sie.
”Meine Lebenserwartung übertrifft die eines Menschen und tatsächlich auch die, die ich als Taelon hätte, da der menschliche Körper keine Grundenergie benötigt.„
”Den Taelon in Menschenform gibt es seit etwa tausend Jahren, wenn ich das richtig verstanden habe„, ergriff Ava wieder das Wort, ”Was ist mit dem Menschen Melody? Ist sie tot?„ Stille. Der Taelon in Menschenform starrte aus dem Shuttle hinaus ins blaue Wirbeln der Interdimension. ”Also ja„, schloss Ava, ”Das ist überaus unsympathisch.„
”Die ... Wertschätzung menschlichen Lebens entwickelte sich erst, als ich bereits ein Mensch war„, gab Melody zu, ”Der Verstand eines tödlich verletzten kleinen Mädchens konnte gegen den Verstand eines uralten Taelons nicht bestehen, und damals zog ich nicht in Erwägung, auch mit dem menschlichen Verstand eins zu werden. Möglich wäre es gewesen.„
”Würden Sie es tun, wenn Sie jetzt einen menschlichen Körper übernähmen?„, fragte Ron.
”Ja, definitiv. Aber diese Frage stellt sich nicht mehr - ich kann hier nicht raus, das ist eine Einbahn.„ Einige Momente lang suchte sie die richtigen Worte. ”Ich habe mich, aus taelonischer Sicht, verletzlich gemacht. Ich bin kaum zu verletzen, das stimmt für einen Menschen, aber man kann mich töten, ohne dafür Energiewaffen zu benutzen, und wenn der Körper stirbt, verflüchtigt sich auch meine Energie.„
Ava nickte. ”Verstehe.„
”Andererseits allerdings„, ergänzte Melody, ”hätte ich als Taelon bereits spätestens vor 800 Jahren unabwendbaren Energiemangel erlitten und meine Energie hätte sich ebenfalls verflüchtigt.„
Lili drehte sich im Pilotensessel um und sah Ron fragend an.
”Ma'el„, sagte der Implantant.
”Ma'el lag in einem Sarg„, widersprach sie.
”Nur die Hauptenergiebahnen.„
”Richtig„, bestätigte Melody mit gerunzelter Stirn, ”woher wissen Sie das?„
”Es lag nahe„, sagte Ron, ”und Liam weiß solche Dinge noch besser als ich.„
Sie nickte verstehend. ”Er weiß viel, das ist wahr. Er kannte auch Qiya'lai.„
Lili wandte sich wieder nach vorne, brachte das Shuttle zurück in den Normalraum und landete es in der Garage. Sie stieg aus und stapfte voran, Ron, Ava und Melody folgten ihr ins Widerstandsversteck.
”Augur„, rief die Pilotin und stemmte die Fäuste in die Hüften, ”das nächste Mal, wenn Sie mich anrufen, dass ich herkommen soll, sagen Sie es mir bitte, wenn Sie gerade Ma'el beherbergen.„
”Aber natürlich, meine Liebe.„
”Sie wollten„, fauchte sie ihn an und hob einen Zeigefinger, ”dass ich hier vor Ihren Augen persönlich anwesend erfahre, wer sie ist, damit Sie sehen können, wie ich staune.„ Der Hacker machte ein ertapptes Gesicht. ” Zu dumm für Sie, dass ich erst gestaunt habe, als Sie es nicht mehr sehen konnten. Geschieht Ihnen recht!„
”Aber sicher, Lili.„
”Sie hören mir gar nicht zu!„
”Liebe Lili, ich höre Ihnen immer zu„, sagte er mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen, ”Jedes Ihrer Worte ist wertvoll.„
”Sie sind ein Schmeichler ...„
Er griff nach ihrem erhobenen Zeigefinger, zog ihn samt zugehöriger Hand zu sich und küsste den Handrücken. ”Ich hoffe, das fällt Ihnen nicht erst jetzt auf, Lili.„
Einen Moment lang starrte sie ihn perplex an, dann ließ sie das Thema fallen und begab sich zum Tisch. Auf einer Untertasse lagen fünf benutzte Teebeutel, Liam steckte seine Nase in die Tasse und schniefte vor sich hin - außerdem war er blass und hatte gerötete Augen.
”Liam! Was ist denn mit Ihnen?„, zeigte sich Lili plötzlich besorgt, ”Hat Sie der Schnupfen so schnell erwischt? Sie sollten zum Arzt gehen!„
Ron trat näher. ”Sie hat recht. Liam, so schnell entwickelt sich ein Schnupfen normalerweise wirklich nicht.„
”Liam?„, kam unsicher von Melody, ”Wurden Sie Qiya'lai ausgesetzt? Ich halte es für möglich, dass es sich auf Sie in dieser Form auswirkt.„
”Nein„, sagte er unter heftigem Schniefen, ”die Kugeln sind beide fest verschlossen.„
Ron sah zu Melody, dann zu Liam. ”In diesem Durchgang„, korrigierte er, ”im letzten Durchgang haben Sie davon reichlich eingeatmet.„
”Melody auch! Ihr geht es aber gut.„
”Sie wird resettet, Liam, aber Sie erinnern sich!„
”Ich wurde im letzten Durchgang auch erst implantiert und dann erschossen, und jetzt lebe ich, und zwar ohne Implantat. Körperlich werde ich resettet, das ist„, er nieste ordentlich, ”unbestreitbar, Ronald.„
Der Implantant musste zugeben: ”Das stimmt natürlich. Allerdings hatten Sie im letzten Durchgang auch definitiv keinen Schnupfen, also wird es eher keine gewöhnlich-menschliche Viruserkrankung sein.„
”Ist ja gut, ich gehe zu Dr. Belman.„ Der Kimera griff nach einer Packung Taschentücher, stürmte zum Lift und fuhr mit diesem hinauf, ohne einen der Anwesenden eines weiteren Blickes zu würdigen.
Melody verschränkte ihre Arme. ”Ronald? Im letzten Durchgang? Ich werde resettet, er nicht? Sie erinnern sich ebenfalls, nehme ich an.„
”Ja. Ava auch.„
”Gab es in Irland auch mehrere Durchgänge?„
”Drei.„
Sie schnaubte. ”Sie wussten nichts, als Sie das erste Mal ankamen. Sie kannten mich nicht. Sie haben erst nach mir gesucht, als Sie mich bereits in einem Durchgang getroffen hatten.„
”Korrekt. Ärgern Sie sich nicht zu sehr, Sie können sich nachher ohnehin nicht mehr daran erinnern. Ich kann mich übrigens auch an acht Durchgänge der letzten Schleife weniger erinnern als Liam.„
”Ach ... Sie nehmen ihm das nicht übel?„
”Nein, eher bin ich dankbar„, sagte er, ”in zweien dieser Durchgänge wurde ich nämlich gefoltert.„
”Verstehe.„
”Sie hatten in der Vergangenheit mehrere Durchgänge?„, fragte Augur nach, ”Eine Schleife erstellen konnten Sie nicht, da es sich um die Vergangenheit handelt - also ist der Sicherheitsmechanismus angesprungen?„
”Richtig. Das Portal wollte, dass wir, wie es eben geschehen ist, Melody in unsere Zeit holen.„ Ron sah zu Ava und lächelte matt. ”Wir wissen zwar nicht, was genau den Mechanismus das erste Mal ausgelöst hat, aber ich vermute, dass Melody etwas getan hat, was deutlichen Einfluss auf die Zeitlinie gehabt hätte.„
”Beim zweiten Durchgang war es wahrscheinlich die gesamtdörfliche Aufmerksamkeit, die wir plötzlich hatten„, ergänzte Ava, ”Den dritten Durchgang haben wir durch die Abreise selbst beendet.„
”Sie hatten also keine andere Wahl, als mich mitzunehmen„, stellte Melody fest, ”Interessant.„
Ron nickte. ”Allerdings.„ Er straffte sich und beschloss: ”Ava, wir gehen mittagessen. Lili, wir treffen uns morgen früh um halb sechs auf dem Mutterschiff, um Zo'ors Flucht zu melden. Melody, Sie bleiben hier. Augur ... sperren Sie sie ein, wenn sie sich nicht benimmt - und irgendwann im Laufe des Tages bereiten Sie vor, Zo'or angeblich zu befreien. Er muss nicht wirklich raus, ich will nur, dass T'than auf eine Nachfrage im Gefängnis genau das hört.„
”Klar, kein Problem.„ Der Hacker sah jetzt grinsend zu Melody, die möglichst in die Luft guckte, und schenkte dann Lili ein Lächeln. ”Lili, was halten Sie von Kalbsragout und ...


Augenrollend verzogen sich Ron und Ava in die Garage, von wo aus sie in einem Auto zum Italiener fuhren. Ava hatte unter der Fahrt ein hochgeschlossenes rotes Kleid und einen weißen Lodenmantel über ihre Freiwilligenkluft gezogen und den unten sichtbaren Rest der schwarzsilbernen Hosenbeine in kniehohe schwarze Stiefel gesteckt. Ihre Freiwilligenimplantatsattrappe war natürlich abnehmbar und wurde im Handschuhfach verstaut.

 

Ende von Kapitel 5

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang