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„Haltet sie auf!”, rief Julianne Belman so laut sie konnte, nachdem sie sich von dem Schrecken wieder erholt hatte. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass ihr Experiment sich derart schnell an die neue Umgebung anzupassen in der Lage sein würde. Niemals hätte sie geglaubt, dass es sich derart plötzlich und schnell würde bewegen können. Viel eher war sie davon ausgegangen, dass eine solchen Befähigung ihres Studienobjektes vollkommen unmöglich war, da es die hierzu nötigen Bewegungsabläufe des menschlichen Körpers einfach nicht kennen konnte. Die bisherigen eher unkontrollierten Zuckungen und Hand- und Armbewegungen hatten ihre vorangestellte Annahme auch zu bestätigen gewusst. Jedenfalls hatte sie dies geglaubt. Wie falsch diese Annahme gewesen war, konnte sie - und alle anderen Anwesenden mit ihr zusammen - nun deutlich vor sich sehen. Die zwei Assistenten, die sie mitunter in den Laborräumen beschäftigte, die an ihre städtische Praxis angeschlossen waren, versuchten noch, die Flüchtende aufzuhalten, doch war diese viel zu schnell an ihnen vorübergeeilt, als dass sie noch eine reelle Chance gehabt hätten, sie auf- oder gar festhalten zu können. Sie waren um Sekundenbruchteile zu langsam und ermöglichten dadurch der weißblonden Frau, zumindest diese Räumlichkeit auf freiem Fuße zu verlassen. Nach einem Blick auf das Gesicht ihrer Arbeitgeberin beeilten sich die beiden Männer jedoch hastig, der Fliehenden zu folgen. „Wir kriegen sie schon, Dr. Belman!”, rief ihr einer von ihnen zu, und schon waren sie fast ebenso rasch aus dem großen Hauptlaborraum verschwunden, wie es auch ihr Experiment kurz zuvor gewesen war und rannten diesem, so schnell sie es vermochten, hinterher. Ehe ihr bewusst wurde, wie, hatte Julianne ebenfalls bereits die offen stehende Tür erreicht, durch welche die weißblonde Frau entkommen war, als ihr klar wurde wie sinn- und vor allem auch zwecklos es war, wenn sie dieser allesamt hinterher rannten. Nur kurz zögerte sie noch, ehe sie ebenfalls die Räumlichkeiten verließ, in ihr Büro eilte und dort ihr auf ihrem Schreibtisch liegendes Global in die Hand nahm. Dann legte sie es jedoch wieder beiseite, aktivierte statt dessen die Lautsprecheranlage und machte eine Durchsage an das gesamte im Gebäude befindliche Personal: „Hier Dr. Belman, eine ... Patientin, weißblonde Haare und in ein Krankenhaushemd gekleidet, etwa 1,60m groß und sehr zierlich, befindet sich unbeaufsichtigt im Gebäude. Die Frau ist in einem äußerst verwirrten und nicht ansprechbaren Zustand. Bitte bringen Sie sie mir umgehend ins Labor Zero, sobald Sie sie aufgegriffen haben.” Sie zögerte einen Moment, ehe sie dann möglichst unbefangen klingend hinzufügte: „Notfalls betäuben Sie sie. Die Patientin befindet sich in einem äußerst kritischen Stadium und muss umgehend gefunden werden.” Als Julianne den Finger wieder vom Lautsprecherknopf genommen hatte, fiel ihr Blick auf ihr immer noch geschlossenes Global. Unentschlossen starrte sie auf das kleine grausilberfarbene Gerät, nahm es schließlich an sich und steckte es in ihre rechte Kitteltasche. Sie war sich darüber im klaren, dass sie eigentlich Jonathan hätte sofort über die Flucht der Frau hätte informieren müssen, doch wollte sie dies so lange wie möglich hinauszögern, da sie nur zu genau wusste, was dieser dann zu tun gedachte. Er hatte es bereits angekündigt, dass, sollte das Experiment schief laufen, er es lieber zerstören als in die Hände der Taelons fallen lassen würde. Von Anfang an hatte Jonathan Doors nicht allzu viel von ihrer Idee gehalten, doch sie, Julianne, war davon überzeugt, dass es sich unter allen Umständen als äußerst lohnend herausstellen würde. Die Chance, mehr über die Skrill, die ihrer Meinung nach gefährlichste biologische Waffe der Taelons, zu erfahren, einfach so ungenutzt verstreichen zu lassen, wäre nicht nur äußerst dumm, sondern auch mehr als nur ein wenig fahrlässig gewesen. Sicher, sie hätte auf ihn hören und größere Sicherheitsmaßnahmen ergreifen sollen, doch hatte sie einfach nicht damit gerechnet, dass ihr Experiment derart gut verlaufen würde. Die Verbindung zwischen den beiden Bewusstseinen war einfach unglaublich schnell vonstatten gegangen und weitaus erfolgreicher gewesen, als Julianne es sich jemals hätte erträumen können. Sie fasste es immer noch nicht, mit welcher Geschwindigkeit das Skrillbewusstsein den neuen Wirtskörper übernommen und, wie es schien, auch zu steuern gelernt hatte. Dieser Vorgang musste unbedingt genauer studiert werden, um weitere solche Überraschungen möglichst vorauszusehen und zu vermeiden.
Sich allmählich wieder beruhigend, schluckte der Laborassistent, nickte schließlich nach einer Weile, die Julianne wie eine kleine Ewigkeit erschien und entschuldigte sich dann auch noch bei ihr. „Tut mir leid, Ma'am, aber ...” Seine rechte Hand fuhr deutlich nervös durch seinen ins Gesicht hängenden Haarschopf und strich ihn wieder nach hinten zurück. „So etwas wie vorhin habe ich noch nie zuvor gesehen und ... Ich möchte es auch niemals wieder in meinem Leben sehen müssen.” „Ja, was war denn nun?!”, stieß Julianne, nun doch vollends ihrer Geduld beraubt, wieder ebenso energisch wie zuvor ihre erste Frage hervor. „So reden Sie doch endlich einmal!” Nachdem er einige Male tief durchgeatmet hatte, schien sich der junge Laborant schließlich zu fassen und begann, zu Anfang stockend und zum Ende hin immer schneller werdend, zu erzählen, was er gesehen hatte. „Es war einfach unglaublich, Ma'am. Ich hatte gerade die letzten Bluttests durchgeführt, die Sie mir nach unten schickten - eine wirklich erstaunliche Kombination übrigens, welche mir so noch nie unter das Mikroskop gekommen ist! Ich muss unbedingt noch weitere frische Proben erhalten, um eine genauere Analyse erstellen und mir über die bisherigen Ergebnisse wirklich ganz sicher sein zu können und...” Mit einem Blick in das sich zusehends verfinsternde Gesicht seiner Vorgesetzten schluckte er seine weiteren Worte hastig herunter und setzte seinen Bericht von den Ereignissen fort, welche ihn derart überstürzt in das Büro Dr. Belmans hatten eilen lassen. „Also, als ich mit meinen vorläufigen Untersuchungsergebnissen gerade fertig geworden war, sie alle sortiert hatte und die Akte gerade zu Ihnen hinauf schicken lassen wollte, kam Ihre Durchsage und... Nun, ich machte mich sofort zusammen mit Ivak Godwan auf die Suche nach Ihrer Patientin und entdeckte dann schließlich auch eine Frau, auf die die Beschreibung passte und die einen der unteren Flure entlang rannte.” Nervös mit ihren Fingerspitzen auf die Schreibtischkante tippend, übte Julianne sich weiterhin in Geduld - eine Tätigkeit, die ihr alles andere als leicht fiel. „Dort haben Sie sie dann also einfangen können?”, hakte sie schließlich nach, als der junge Mann nicht sofort weiter sprach. „Nun, also das nicht direkt...”, murmelte der vor der deutlich immer unruhiger werdenden Ärztin stehende Laborant leise, sammelte sich dann und brachte hervor: „Wir verfolgten sie über zwei der Hauptflure und das war gar nicht mal so leicht, da sie ungemein schnell und flink war und dann... Also Ivak gelang es schließlich, sie in ein Zimmer zu treiben, und dort glaubten wir sie schließlich sicher verwahrt zu haben. Es war eines der leer stehenden Krankenzimmer und wir waren sicher, dass es aus diesem keinerlei Fluchtmöglichkeit mehr gab. Ich hatte die Tür gerade hinter mir abgeschlossen und wollte ihnen Bescheid geben, Dr. Belman, als hinter mir in dem Raum ein lautes Klirren ertönte. Als Ivak und ich ihn wieder betraten, da... Also da war die Fensterscheibe eingeschlagen und - und Ihre Patientin nicht mehr im Zimmer.” Juliannes Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie sich der Bedeutung der ihr gerade mitgeteilten Fakten allmählich bewusst wurde. „Sie ist gesprungen?”, hauchte sie mit leiser, von Unglauben geprägter Stimme, während sich ihre Gedanken geradezu überschlugen in dem Versuch, die weitreichenden Konsequenzen eines solchen Geschehens in ihrer Gänze zu erfassen. Betretenes Schweigen war die einzige Antwort, die sie erhielt, und so traute die Ärztin sich die nächsten Worte kaum auszusprechen. „Ist sie etwa tot? Aber das ist nicht möglich! Das Fenster, aus dem sie gesprungen ist, lag bestimmt nicht höher als gerade mal einen Meter über dem Erdboden, und wenn ich mich richtig erinnere, müssten sogar mehrere Büsche dort stehen und ihren Fall gebremst haben.” Zustimmend nickte der junge Mann und sprach hastig weiter: „Das stimmt, Dr. Belman, und wir sahen auch tatsächlich, wie die Patientin aus dem Buschwerk kletterte und in Richtung Straße lief. Soweit ich es erkennen konnte, war sie bis auf ein paar Kratzer nicht weiter schlimm verletzt und rannte einfach immer weiter. Ivak ist ihr sofort aus dem Fenster und die Straße hinunter gefolgt und ich wollte Ihnen davon erzählen, Ma'am. Deswegen weiß ich auch nicht, ob Ivak sie nun doch noch erwischt hat oder nicht, aber... Na ja, sie war wirklich enorm schnell. Ich hatte nicht geglaubt, dass ein Mensch derart schnell laufen und springen könnte. Ist - ist sie irgendeine Leistungssportlerin, Dr. Belman? Ich habe ihr Gesicht leider nicht genauer erkennen können, da sie meist mit dem Rücken zu mir stand - oder besser gesagt lief. Oder...” Kurz zögerte er, bevor er seine Vermutung aussprach: „Könnte diese ungeheuerliche Geschwindigkeit mit ihren anormalen Blutwerten in Zusammenhang stehen? Ist das vielleicht ein neues Experiment, das Sie durchführen? Ich würde da wirklich sehr gerne behilflich sein und Sie dabei unterstützen - mehr als nur durch Blutanalysen. Das kann auch ein anderer machen und... Also, ich kenne mich mit verschiedenen Sportarten sehr gut aus. Wie Sie vielleicht wissen, Dr. Belman, habe ich meine Abschlussarbeit über Möglichkeiten der Leistungssteigerung im Sport geschrieben und habe dadurch überhaupt erst meine Stelle hier erhalten.” „Es gibt kein aktuelles Projekt, das sich mit...” Abrupt hielt Julianne inne und starrte für wenige Sekunden blicklos vor sich hin, ehe sie dann den ihr praktischerweise gereichten Strohhalm ergriff, „...Leistungssportlern befasst, aber wir haben den Auftrag, die entsprechenden Gene solcher besonders erfolgreichen Menschen zu erforschen und sie im späterem Verlauf auf andere, weniger bevorteilte Menschen zu übertragen. Doch das hat im Moment und ohne die Anwesenheit meiner Patientin keinerlei Bedeutung, da sie die einzige Probandin war, an welcher die letzten Ergebnisse derart vielversprechend aussahen und die bereits stattgefundenen Behandlungen derart gute Resultate für die weitergehende Forschung versprachen.” Sie hoffte, dass diese Worte ausreichend waren, um die Aufmerksamkeit des jungen Mannes auf eine falsche Spur zu lenken. Zudem hatte sie jetzt wirklich besseres zu tun, als hier herumzustehen und darauf zu warten, dass Ivak Godwan mehr Erfolg bei der Verfolgung ihres Experimentes hatte als sein Kollege. Am liebsten würde sie selbst sofort nach draußen auf die Straße eilen und bei der Suche helfen, doch würde das rein gar nichts bringen, außer weitere unerwünschte Aufmerksamkeit zu erwecken. So war es das beste, einfach hier zu bleiben, so schwer es ihr auch fallen mochte, und auf das Kommende zu warten. „Das ist ja phantastisch und ich würde wirklich sehr gerne ...”, begann der junge Laborant zu schwärmen, wurde dann jedoch von einem ebenfalls in den Raum stürmenden älteren, an seiner Uniform als solcher erkennbaren Wachmann unterbrochen. „Verzeihen Sie die Störung, Dr. Belman, aber mir wurde gesagt, dass ich mich direkt an Sie wenden soll”, begann er, kaum das er ihr Büro betreten hatte, zu sprechen. „Ja? Um was ...”, begann Julianne zu fragen, alles andere als erfreut über diese Unterbrechung, doch dann erhellte sich ihre Miene schlagartig wieder, als sie den nun vor ihr zum Stehen gekommenen Wachmann erkannte. „Mr. Godwan, nehme ich an? Ich hoffe, Sie hatten Erfolg?” „Es tut mir leid, Dr. Belman, aber dem ist leider nicht so”, erwiderte der Wachmann mit ruhiger und selbstbewusst klingender Stimme. Er war ebenso wie Dr. Belman ein Mitglied des Widerstandes, und so wusste er auch, um was es bei der Entflohenen wirklich ging. Zumindest wusste er, dass Jonathan Doors sehr viel Wert auf den Erfolg dieses ganz speziellen Projektes legte. So bedauerte er es nur um so mehr, Doors' Frau enttäuschen zu müssen. „Ich hatte sie fast schon eingeholt, als sie mitten auf den Highway gelangte und - und dort von einem der heranrasenden Autos angefahren wurde. Ehe ich bei ihr sein konnte, war der Fahrer schon ausgestiegen und hatte sich der Verletzten angenommen, sie in seinen gelben Ferrari auf den Beifahrersitz gelegt und verschwand schließlich mit ihr.” „Moment mal, das ist einfach unmöglich”, meldete sich der Laborant zu Wort. „Der nächste Highway befindet sich etwa vier Blocks weiter unten und - und kein Mensch kann einen Sturz von der Brücke darüber überleben.” „Ich sagte nicht, dass sie gestürzt ist, sondern vielmehr, dass sie sprang”, verbesserte Wachmann Godwan den übereifrigen jungen Mann schlicht, doch Julianne vermutete, dass es hinter dieser äußeren Maske der Ruhe und der Selbstbeherrschung alles andere als gelassen aussah. „Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen. Ich muss sagen, dass mir in meinem Leben schon so einiges vor Augen gekommen ist, das man für eigentlich menschenunmöglich gehalten hatte, bis es dann schließlich doch passierte. Doch so etwas wie vorhin...” „Das ist einfach untragbar! Sie müssen sie unbedingt wieder finden”, stieß Julianne hervor und stützte sich mit jetzt zitternden Händen auf den großen, glatt polierten Schreibtisch. „Es wäre nicht auszudenken, wenn sie in die falschen Hände geriete. Außerdem wissen wir nicht, wie schwer sie verletzt wurde und müssen ihr helfen. Finden Sie sie, Mr. Godwan, bitte! Es stehen Ihnen alle nötigen Mittel zur Verfügung. Ich selbst werde umgehend die in der Nähe liegenden Krankenhäuser informieren.” Nach einem zustimmendem Nicken wandte sich Ivak Godwan von der deutlich erschütterten älteren Frau ab und verließ das schlicht eingerichtete Büro wieder, um sich auf die Suche nach der Entflohenen zu machen, gefolgt von dem Laboranten.
Seufzend entschloss sie sich, schließlich nun endlich zu handeln, und griff nach ihrem Global, welches sie zuvor tunlichst und mit voller Absicht übersehen hatte. Langsam und nun doch mit leicht bebenden Fingern schob sie die beiden Seiten auseinander und enthüllte somit das flache Display, welches ihr nach der Eingabe eines speziellen Codes einen sofortigen Kontakt zu Jonathan herstellen würde. Endlich, nach nur wenigen Sekunden Wartezeit, welche der immer unruhiger werdenden Julianne aber wie eine kleine Ewigkeit erschienen, verschwand die Werbung auf dem Display und das deutlich angespannte Gesicht Jonathans Doors erschien darauf. Im Hintergrund vermochte Julianne die felsartige Wand des Widerstandshauptquartiers erkennen. Ein Umstand, der sie nun doch ziemlich überraschte, denn eigentlich sollte er sich um diese Zeit herum bereits in seinem Privatjet auf dem Weg nach Paris befinden, um sich dort persönlich mit einigen Widerstandsgruppenleitern zu treffen. Portale konnte er, da jedes einzelne von Agent Ronald Sandoval auf seine DNS programmiert worden war, nicht benutzen und ein eigenes war ebenfalls zu gefährlich, auch wenn Augur noch so oft versicherte, das er einen Weg gefunden habe, jemanden mit einer gefälschten Signatur durch die von den Taelons kontrollierten Interdimension zu schicken. Sicher, viele aus dem Widerstand benutzten sowohl die öffentlichen als auch die privaten Portale, welche Doors sich auf die eine oder andere Weise unter den Nagel gerissen hatte, doch er selbst wollte sich dem Risiko, sich auf einmal auf dem Mutterschiff in einer Gefängniszelle zu rematerialisieren, lieber nicht aussetzen. Über all diese Überlegungen hätte sie schon fast wieder ihre Frage vergessen, welche sie beim Anblick der gefälschten Felswand eigentlich hatte stellen wollen. Dies holte sie dann auch so schnell wie möglich nach. „Jonathan, was machst du noch hier? Ich dachte du wärest auf dem Weg zu einem Treffen mit Mireille Mathieu, der Führerin der Pariser Widerstandszelle!” |
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