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(Erde, im Jahr 2013.) „Oh Gott, oh Gott!” zitterte die Stimme Haggis nach einigen Momenten Stille. „Sie sind alle tot! Sie sind alle tot! - Und es ist so furchtbar kalt!” „Wo sind wir überhaupt?” fragte Augur leise und versuchte sich im dunklen Raum zurechtzufinden. „Aua!” Er musste schmerzhaft an ein Möbelstück angestoßen sein. „Ja, sie sind alle tot”, bestätigte Zo'or mit Trauer in der Stimme. „Ich kann keinen Taelon an Bord mehr wahrnehmen. Die Dunkelmächte haben das Schiff zerstört. Sie müssen eine Falle aufgestellt haben, und die Roleta ist hineingestolpert. - Wartet, meine Augen stellen sich gerade auf die Dunkelheit ein.” „Hier muss ein Fenster sein”, meinte Jack-Ronald. Er zog den staubigen Fetzen von Vorhang beiseite und wischte den vereisten Schmutz von der Scheibe, auf der Eisblumen wuchsen. Von draußen fiel das fahle weiße Schimmern von Schnee als schwacher Schein in den Raum. Die Hütte schien im Wald zu stehen. „Scout, komm zu mir!” befahl Zo'or. Das Interdimensionsportal aus Nanobots fiel in sich zusammen und erhob sich wieder als schwarzer Hund. Gehorsam näherte er sich im Dunklen Zo'or. „Wie kamst du hierher? Und wo sind wir?” fragte die Taelon. „Ich wurde von Sy'la 2013 programmiert, die Verfolger abzulenken. Ich bin immer weiter nach Norden gewandert, bis ich in Alaska angekommen war. Da niemand mir danach einen Befehl gab, suchte ich eine Versteck und schaltete mich selbst aus. Erst dein Signal hat mich reaktiviert. Mein Datumsanzeiger zeigt den 29. Januar 2346 an. Wir befinden uns 22 Kilometer von Fort Yukon entfernt am Yukon-River in Alaska.” „Das ist - der nördliche Polarkreis! Wir müssen - sofort - hier weg, oder - wir werden erfrieren”, sagte Augur, vor Kälte stockend. „Du hast recht! Die Bordkleidung isoliert etwas, aber das wird für euch Menschen nicht genug sein”, erwiderte Zo'or. „Ich habe dieses Portal einfach blind angewählt in der Hoffnung, dass es noch existiert. Von Bord aus war kein anderes Portal mehr anwählbar. - Scout! Kannst du von hier aus ein anderes Portal anwählen?” „Negativ”, erwiderte der Robot teilnahmslos. „Die Portale auf der Erde sind mit meinem zu 99, 998 Prozent nicht kompatibel. Ich setze aber die interne Suche fort, um eine Gegenstation zu finden. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass meine Energie zur Neige geht. Ich muss mich dringend an der Sonne aufladen.” „Oh Gott”, klagte Haggis am ganzen Körper zitternd und klapperte mit den Zähnen, „es ist so furchtbar kalt! - Zo'or, wir dürfen nicht woanders hin, wir - sterben sonst an der Seuche. Bis hierher ist sie - vermutlich noch nicht gelangt, - weil es zu eisig ist, aber...” Sie trat im fahlen durch das Fenster dringende Licht an Zo'or heran und reichte ihr mit zitternden Fingern das kimerische Artefakt, welches sie von Bord der Roleta bei der Flucht mitgenommen hatte. „Hier, es ist unsere - einzige Chance. Stell es ein, und - lass uns springen! Bloß weg - von hier!” „Hier scheint eine Art Kamin zu sein”, sagte Jack-Sandoval, der auf seine Art im Dunkeln die Hütte untersucht hatte. „Wir müssen Feuer machen, sonst erfrieren wir. Hat jemand etwas zum Anzünden?” Natürlich hatte niemand etwas zum Feuermachen dabei, und außer Jack wusste auch keiner, wie man die paar uralten Holzscheite, die da gestapelt waren, im Kamin zum Brennen brachte. Es gab kein Papier, und hätte Zo'or nicht ein uraltes rostiges Messer in der Hütte entdeckt, hätte der Mann auch keine Späne schneiden können, auf die man die Scheite mit klammen Fingern luftig drauflegen hätte können. Der Taelon blieb nichts anderes übrig, als einige Späne mit ihrer Energie mühsam in Brand zu setzen. Haggis und Augur fühlten sich bereits halb erfroren, sie hatten sich in eine modrige, total verstaubte und verdreckte Polyester-Decke gewickelt, heftig zitternd, sich gegenseitig darunter wärmend. Endlich brannte das Feuer, und Sandoval hockte sich erleichtert und fast blaugefroren zum Wärmen hin. Die plötzlich einsetzende Hitze des Feuers verursachte ihm in den Fingern Schmerzen. Haggis und Augur krochen näher und machten es ihm eilig nach. Man konnte jetzt das Hütteninnere genauer sehen - es musste eine alte aufgegebene Jagdhütte sein, bestehend aus einem einzigen größeren Raum, alte halbverfallene Möbel, einem lecken Dach und massenhaft Staub. Die Taelon war besser dran als die Menschen. Ihre Spezies war kälteunempfindlicher. Sie kniete sich wie die anderen vor das Feuer. Das Holz darin war alt und trocken, es knisterte in den Flammen. „Wir wollen nicht nach 2013!” widersprach Haggis ärgerlich. „Davon ist keine Rede!” „Du besitzt tatsächlich ein Zeitreisegerät?” fragte Jack-Ronald interessiert. So blaugefroren er vor Kälte er war, taub war er noch nicht. Seine Vermutung war richtig gewesen. Diese Information war ein weiteres kleines wichtiges Detail in seinem verschütteten Lebenslauf. „Solange die kimerische Station, die das Gerät speist, existiert, solange funktioniert dieses Artefakt ebenfalls”, gab Zo'or zu. „Die gesamte Polizei ist 2013 hinter uns her”, warnte Augur zweideutig. „Du weißt schon! Was willst du denen sagen, wenn sie dich erwischen, Zo'or? Den ehemaligen Synodenführer? - Und außerdem weißt du ganz genau, dass jede Zeitreise riskant ist, sie destabilisiert das Raum-Zeit-Gefüge. Immer wird die Zeit verändert.” „Was macht das schon”, ächzte Haggis bitter. „Für Zo'or ist es ganz einfach und logisch. Die jetzige Erde ist verseucht und in den Klauen der Dunkelmächte. Die Roleta, die Taelons und unsere Freunde gibt es nicht mehr. Wir haben kein Geld und keinerlei Ausrüstung und sitzen in dieser Eishölle fest. Also wird einfach die Zeit verändert. Die drohende Vernichtung der gesamten Weltraumregion ist im Vergleich dazu ein annehmbares Risiko, nicht wahr? - Weißt du was, Zo'or? Du bist einfach für jeden in deiner Nähe ein böses Omen!” Sie brauchte jetzt in ihrer Wut einfach einen Sündenbock. „Du könntest dich gerne den Hell's Angels anschließen. Oder ein Sklave der Dunkelmächte werden. Du könntest auch hier bleiben bis du erfrierst, verhungerst oder aufgefressen wirst. Oder darauf vertrauen, dass du zu den Wenigen gehörst, die die Seuche überleben würden. Dein Leben interessiert mich nicht besonders. Aber nimm es mir nicht übel, wenn ich mir meine Zukunft etwas anders vorstelle!” sagte Zo'or darauf zynisch. „Ohne eure Inkompetenz von Anfang an würden wir Taelons alle noch leben!” „Hast du nicht...”, begann Haggis empört. „Aber Ladies, bitte!” versuchte Augur zu beschwichtigen. „Wenn wir die Erde durch eine Zeitreise retten können, so sollten wir es schleunigst tun!” sagte Jack-Ronald. „Ich würde es vorziehen, weiterzuleben. Nur, - so wie sie jetzt ist, scheint sie nicht viele Alternativen für ein Überleben zu bieten.” „Was weißt du schon!” giftete Haggis. „Du weißt überhaupt nicht, was sie vorhat!” Frierend zog sie trotz des wärmenden Feuers vor sich die Decke enger um die Schultern. „Warum gehen wir nicht einfach in ein anderes Jahrhundert?” schlug Augur vor. „Wir hätten da noch das 22. und 23. Jahrhundert....” „Macht euch fertig!” befahl Zo'or einfach autoritär. „Ich stelle das Gerät jetzt ein. In wenigen Augenblicken werden wir uns im Amerika des Jahres 2013 befinden.” Wenn man 2013 mittellos mitten im Spätherbst auf einer Straße nach Philadelphia strandet, so hat man außer buntem Herbstlaub auf Bäumen da und dort und weiten leergeernteten Feldern wenig zu erwarten. Zo'or hatte sich eiligst die Haare in die Stirn gezupft, um auf den ersten Blick nicht als Taelon aufzufallen. Freilich war der Aufzug der exotisch gekleideten Vier mit dem schwarzen kleinen Hund an sich schon etwas auffällig. Es waren nicht viele private Fahrzeuge auf dieser Landstraße unterwegs. Die Taelons hatten die Menschen mit ihren Interdimensionsportalen verwöhnt. Nur ging denen langsam die Energie aus. Auf den Straßen der Stadt patrouillierten in Sechsergruppen schwarzgekleidete vermummte schwerbewaffnete Polizisten in der Art, wie es noch Monate zuvor die Freiwilligen-Truppen der Taelons getan hatten. Das kam wohl daher, dass, nach dem Verscheiden der Taelons, die gut ausgebildeten Freiwilligen-Einheiten sich der Polizei oder der Armee unterstellt hatten. Solange sie noch lebten. Durch die Implantate war ihre Lebenserwartung dramatisch verkürzt worden. Wie schon beim ersten Mal kam Zo'or für einen Moment das schier unwiderstehliche Verlangen, ihre Entführung und die anschließende schreckliche Gefangenschaft per Zeitreise ungeschehen zu machen, und sie musste alle ihre Logik einsetzen, um dem nicht zu unterliegen. Die Vier bezogen heimlich „Quartier” in einer alten verlassenen Fabrik. Gegen Abend nahm der Hunger zu und Haggis und Augur zogen los, um entweder etwas zu essen oder Geld aufzutreiben, und wenn sie betteln mussten. Die beiden bestanden darauf, dass Jack-Ronald und Zo'or sich versteckt hielten, da gerade die zwei auf jeder Fahndungsliste ganz oben standen. Zur allgemeinen Erleichterung verhielt sich Jack vernünftig, fragte und sagte wenig und brütete vielmehr vor sich hin. Zo'or, auf dem schmutzigen Boden hockend, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und fiel in einen leichten Schlaf. Sie war in einem irdischen Palast aus weißem Marmor, und Sandoval war an ihrer Seite. Der Palast war ein luxuriöser Bau, voll mit zahlreichen Bediensteten, die alle Implantate trugen. Er und sie herrschten seit zwei Generationen gemeinsam und absolut, denn die Energie Zo'ors verlängerte Sandovals Lebensdauer; und sie waren in ihrer Amtsführung wenig zimperlich. Jeder, der ihre Macht im Frage stellte, wurde beseitigt. Wieviel Hunderttausende das bislang waren, wer konnte das sagen? Einige Millionen waren als Regimegegner mit Implantaten mundtot gemacht worden. Dennoch konnte man nicht übersehen, dass die Erde gesamt unter ihrer Regentschaft eine blühende Wirtschaft, eine starke Militärmacht, ein ausgeprägtes Sozialwesen und eine reiche Kultur entwickelt hatte. Niemand musste hungern, Kriege gab es nicht. Übergriffe gegen Kinder wurden nicht geduldet, Kranke und Alte wurden optimal versorgt. Wissenschaftler lieferten jede Menge nützlicher Erfindungen, Umweltschutz und Geburtenkontrolle wurden groß geschrieben. Scheinbar war jeder Mensch frei. Nur gab es keinerlei politische Freiheit. Die Menschheit lebte in einem goldenen Käfig. Ihr Mann kam zu ihr und strich ihr sanft über den Bauch. Er band ihr ein rotes feines seidenes Tuch um den Schoß und schlang einen Knoten hinein. Sie war schwanger und würde über kurz oder lang ein hybridisches Kind zur Welt bringen - wie, war noch nicht ganz klar, möglicherweise war eine Operation vonnöten. Sie war auf dieses Kind so stolz! Sie wusste, dass Ronald Sandoval seine Mätressen hatte, und auch andere Kinder, aber das war egal, denn sie war die Königin, seine Königin, durch sie lebte er erst, und der Rest zählte nicht. Journalisten waren gekommen und das Herrscherpaar gewährte ein genau vorausgeplantes Interview. „Zo'or”! Jack rüttelte an ihrer Schulter. „Wach auf!” „Hast du dir nie überlegt, dass wir mit der Zeitreisemaschine gewisse Dinge ungeschehen machen könnten?” fragte Sandoval, sich hinhockend. „Wir könnten uns die Macht wieder zurückholen, die wir verloren haben. Hast du dir nie überlegt, wie es wäre, wenn wir gemeinsam über die Erde herrschen würden? Wir könnten uns eine ideale Welt aufbauen, gemeinsam. Zum Wohle unserer beiden Spezies.” FBI-Agent Jack Pearson knallte eine Akte vor Mickeys Rolleys Gesicht, der vor dem Flachbildschirm seines PC's saß. „Da, lies!” knurrte er. Er setzte sich ihm an den Schreibtisch gegenüber und stellte den Plastikbecher mit Kaffee ab. Agent Rolley runzelte unwillig die Stirn. Nicht gerade jetzt, er war gerade dabei, das Internet abzusuchen nach... Andererseits konnte er seinem Partner gegenüber nicht so sein. Das war doch die Sache damals mit dem Barman Tommy Douglas und dem ungeklärten Massenmord? Er öffnete die Mappe. „Mich laust der Affe!” rief er, die letzte Notiz lesend. „Wir haben vor ein paar Monaten das Signal des Portals der Verdächtigen Richtung Norden verloren. Jetzt taucht es wieder auf - irgendwo um Philadelphia. Mann! Unsere Leute von der Frequenzüberwachungszentrale haben wirklich etwas drauf!” „Dann wird es Zeit, uns dort umzusehen!” meinte Pearson trocken. „Ich dachte schon, die Spur wäre kalt. Ich kann die vielen Toten von damals nicht vergessen.” „Warte noch”, bat Rolley seinen Partner. „Da kommt eine Meldung rüber. - Da: sieh dir das an!” Er drehte den Schirm in Richtung Pearson. Ronald Sandovals Gesicht war darauf zu sehen, vor einem Geldausgabeautomaten. „Zeig mir das Originalbild!” verlangte Pearson. Sogleich war darauf ein Mann mit etwas längeren schwarzen Haaren zu sehen, der sich ein Tuch vor das Gesicht hielt. Die Körpergröße und Statur entsprach denen von Sandoval. Der Computer hatte anhand von Knochenbau, Augenmerkmalen und dem neuen scannenden Ultraschall-Verfahren, entwickelt um das Jahr 2000, der den nackten Körper durch den Stoff sichtbar machte, das wahrscheinliche Gesicht hochgerechnet. „Dieser Mann hat mit einer altertümlichen Bankomatkarte, lautend auf einen gewissen Mark DuMont, Geld abgehoben - die gesamten auf einmal erlaubten 5000 Dollar. Die Karte ist vermutlich gestohlen. Dieser DuMont sieht ganz anders aus.” „Auf nach Philadelphia!” meinte Pearson und trank rasch seinen Becher Kaffee aus. „Jagen wir diesen Schweinehund mit seiner außerirdischen Mörderbande und befördern wir sie in die Hölle!” Haggis, Alex J. „Augur” und Zo'or waren heilfroh darüber, etwas Geld zu bekommen. Die unverdächtige Haggis musste mit ihrem Namen ein uraltes Wohnmobil von einem zweilichtigen Kubaner mieten und zahlte, da sie keine Papiere vorweisen konnte, für eine Woche 4000 Dollar. Sie gab an, vor ihrem gewalttätigen Ehemann abhauen und zu ihren Eltern nach Miami zu wollen. Da der Mann sie suchte, konnte sie kein öffentliches Ticket kaufen. Der Kubaner glaubte ihr kein Wort, aber das machte nichts, das Wohnmobil war ebenfalls bestimmt gestohlen. Er schärfte ihr ein, die öffentlichen Plätze zu meiden und das Wohnmobil bei seinem Cousin in Florida zurückzugeben. Das Wohnmobil war zwar sehr klein und besaß nur drei Schlafplätze, hatte aber wenigstens eine Mini-Dusche und ein WC. An den wenigen noch existierenden Tankstellen besorgten sie sich etwas zu essen und durch einen Einbruch kamen sie zu neuer Kleidung und einer Waffe. Sandoval gab sich keinen Illusionen hin: bestimmt suchte man sie schon, doch wusste die Polizei nicht genau, wieviel Personen sie waren, wohin sie wollten und was sie vorhatten. DAS hatte er selbst erst herausgefunden: Zo'or , die wie die anderen aus der Zukunft kam, wollte durch ein Attentat diese Zukunft zurückverändern. Angeblich sei ihre Zeitlinie durch Fremde verändert worden, sagte sie, und zwar zum Horrorszenarium der H.A.P. Ein Norweger und Mitglied der Hell's Angels namens Piet A. Camdsten hatte durch Fremdeinfluss einen Verkehrsunfall überlebt. Seine Nachfahren gründeten, angeregt durch seine späteren Bücher, die extrem neoliberale, rassistische und gewaltbereite Hell's Angels Party, die zur Weltherrschaft kam. Ihr Programm war der absolute Herrschaftsanspruch der Gesunden, Starken und Skrupellosen über alle Minderbegabten, Minderbemittelten und Rückständigen, unter der Führung der Familie Camdsten. Wenn man nun diesen Camdsten beseitigen würde, dann müsste die Zeitlinie wieder ihren gewohnten Gang nehmen. So Zo'or. Was ist gut, was ist böse? Einer musste sterben zum Wohle von Milliarden! Es gab einfach keine gesetzliche Handhabe, ihn anders unschädlich zu machen. - Das große Risiko dabei war die erneute Erzeugung eines gefährlichen zeitlichen Paradoxons. Die große Frage für Sandoval hingegen war, ob sie anschließend wirklich in das 24. Jahrhundert zurückkehren sollten? Würde es nicht ausreichen, einfach ins 22. Jahrhundert zu gehen, wo keine Polizei sie suchen würde, um dort sukzessive eine eigene Herrschaft zu errichten? Oder wieso nicht einfach in die Vergangenheit? Haggis und Alex schienen keine Probleme damit zu haben. Warum sollte er, Sandoval, dann Probleme deswegen haben? - Nein, Haggis war überzeugt, dass sie sich nur eine gewisse Zeit lang in einer fremden Zeit aufzuhalten vermochten, oder gleichzeitig in einer Zeitlinie existieren konnten. Die natürliche Ordnung des Universums würde sie einfach töten, auslöschen, zum Verschwinden bringen. Zo'or - existierte im 22. Jahrhundert doppelt... Sie hätte nicht mitgekonnt. Und er alleine - da konnte er gleich mit Zo'or zurück ins 24. Jahrhundert. Ronald Sandoval fuhr das Vehikel. Während Zo'or sich einfach stundenlang zur Meditation hinsetzte, und Haggis sich durch Nahrungszubereitung etwas nützlich machte, rührte Augur keinen Finger, sondern vergnügte sich mit dem Mini-Fernseher im Wohnmobil. Er freute sich diebisch, uralte antike SF-Serien wie „Startrek”, „The Next Generation”, „Voyager”, „Andromeda” oder andere zu beobachten, die gerade in den billigen Sendern tagsüber wiederholt wurden. Er konnte sich über die gezeigte Tricktechnik in den Filmchen geradezu kaputtlachen. „Stell dir vor”, musste er Zo'or postwendend berichten, „die wollen sogar über Taelons eine Serie drehen. Mal sehen: ein gewisser Brad Pitt soll William Boone spielen, Chris O'Donnell soll Liam Kincaid spielen, Jennifer Lopez spielt Lili Marquette, Alicia Silverstone spielt Renée Palmer, Augur wird von Will Smith gespielt, Kirsten Dunst spielt Da'an, Nicole Kidman spielt Zo'or – oh Mann, die sieht vielleicht böse aus! Willst du nicht mal hersehen, Zo'or? - Rick Moranis spielt Sandoval, Rowan Atkins spielt Präsident Thompson. Filme mit denen habe ich mir bereits angeguckt! Wenn wir wieder an Bord sind, muss ich mir das im Archiv ansehen.” Zo'or öffnete die Augen und seufzte. „Mit so einem Unsinn belästigst du mich? Die meisten dieser Schauspieler wurden mir während einer Veranstaltung vorgestellt. Ich habe mich entsetzlich gelangweilt. Die Menschen sind und bleiben verspielte Verrückte. Zuerst will man uns Taelons mit allen Mitteln loswerden, und dann macht man sentimentale Filme über uns. - Und jetzt sei still. Ich bin beschäftigt.” Sie verwandelte sich kurzentschlossen in ihren blauen Energiekörper, um nichts weiter zu hören. So schlugen sie sich durch bis zum besagten Dienstag. Dann versteckten sie das Wohnmobil hinter Büschen in der Nähe der Autobahn und begaben sich zu Fuß in Richtung Highway-Abzweigung, wo der tödliche Unfall von Camdsten hätte passieren sollen. Oder vielmehr passieren sollte. Vorausgesetzt, die Berichte aus dem 21. Jahrhundert waren zutreffend. Über die Highway führte eine alte Brücke, von der sie hinabsehen konnten. Sie warteten gespannt auf die besagte Harley Davidson. Das Motorrad sollte mit einem alten grünen Ford Escort, der auf die Autobahn auffahren wollte, kollidieren. Der Fahrer der Harley Davidson würde schwerverletzt auf die Gegenfahrbahn geschleudert werden, es würde in der Folge dort zu einer Massenkarambolage kommen. Camdsten durfte diesen Unfall einfach nicht überleben! Keiner der Vier ahnte, dass ein anderes Auto im Szenario fehlte: der weiße Cadillac von Renée Palmer würde nicht unter den Autos der Gegenseite sein, die „damals” in den tödlichen Unfall verwickelt wurden. Da waren sie, die Verdächtigen! Pearson ließ das Satellitenfoto aus Washington DC näher heranzoomen. Ein älterer Farbiger, eine pummelige Rothaarige, eine schlanke große Frau mit so verwuschelten Haaren, das man das Gesicht nicht erkennen konnte - und Sandoval mit Bartstoppeln, im Jeansanzug! Ein schwarzer Hund stand seitlich bei den Kriminellen. Das Signal des verdächtigen Interdimensionsportals war da, aber vermutlich getarnt. Nur die Personen waren gänzlich andere als an der Westküste. Der Zusammenhang war hier nicht klar, aber das Portal und der ehemalige FBI-Agent und Massenmörder Sandoval gab dem FBI jede Berechtigung zum Eingreifen. Was zum Teufel suchten sie auf dieser Brücke über dem Highway? „Hast du die Identität der anderen drei herausgefunden?” fragte Pearson seinen Kollegen. Da war die Harley Davidson, pünktlich 10 Minuten nach ein Uhr nachmittags tauchte weit hinten das Motorrad auf. Ein bulliger Mann mit Bart saß darauf in einer schwarzen Lederhose und einer schwarzen Lederjacke mit Nieten, ohne Hemd. Hinter ihm befanden sich fünf andere Motorräder. Der Kerl war nicht allein! Die Taelon überlegte blitzschnell. Welcher war tatsächlich Camdsten? Ein Farbiger, ein Schwarzhaariger, einer mit Frau hinten, einer mit Helm, ein Blonder ohne Bart. Camdsten MUSSTE einfach der erste der Fahrer sein, er glich den Abbildungen, die Zo'or gesehen hatte. Wo war der Ford Escort? „Glaubst du nicht, dass ich besser geeignet wäre, zu schießen, Zo'or?” sagte Ronald nochmals. Zo'or stand inzwischen mit dem Gewehr wie betäubt da. „Komm schon, wir müssen weg!” drängte Sandoval alarmiert und zog sie vom Geländer weg. „Da kommen Hubschrauber!” Zo'or aktivierte das Zeitfeld und duckte sich hinter dem Geländer. „Zu mir, rasch!” befahl sie. Sie hatten keine Zeit mehr, zum Ausgangspunkt Philadelphia zurückzukehren. Die Alternative war nur die Festnahme. (Erde, im Jahre 2346:) „Die Welt, sie verändert sich!” rief Haggis. „Ich kann es sehen, ich kann es fühlen!” Dann war es vorbei, und Alex eilte in Richtung Zo'or. Die hockte blutbeschmiert im Schnee. Angeschmorte Leichenteile lagen um sie verstreut. Das frische Blut war bereits am gefrieren. Zo'or wischte sich die Tränen aus den Augen und rang mühsam um Fassung. Die beiden Menschen sollten sie nicht so sehen. „Was ist los?” hörte Alex Haggis laute Stimme. Da Zo'or wegen Schock im Moment zu nichts zu gebrauchen war, rief Augur selbst nach dem Scout. Wenn das hier die alte Zeitlinie war, dann musste die Roleta noch existieren und sie konnten mit ihren Chips direkt auf das Schiff springen. So war es auch. Der Scout verwandelte sich in ein Interdimensionsportal. Alex J. zog Zo'or mit sich ins Portal, denn die Leichenteile würde man auch später bergen können. Sie materialisierten im Gegenportal auf dem erleuchteten Zefir-Schiff, das unbeschädigt existierte, als ob es nie anders gewesen wäre. Die drei wurden, verletzt und offenbar verwirrt, in die Krankenstation verfrachtet, wo zufällig auch Andre Markus Anderson sich befand. „Haggis, altes Haus!” rief er erfreut. „Nett dich nach so langer Zeit wieder zu sehen!” Die Frau setzte sich ächzend auf. „André, bist du das?” Der Albtraum schien vorüber! „Du kannst nicht ermessen, wie es für mich erst ist, dich wieder SO zu sehen. - Stehst du immer noch auf Frauen?” „Mach dir nichts daraus, die sind alle drei sonderbar verwirrt und reden nur dummes Zeug”, erklärte Dr. Clares. „Offenbar wieder ein schwerer Fall von Halluzinationen. Vor einigen Monaten meldeten sie sich Richtung Lateinamerika ab und so wie sie sind, sind sie wiedergekehrt. Bin gespannt, was die anderen an Bord dazu sagen.” (An Bord der Roleta:) „Was denkst du als Taelon darüber, dass die vorige Zeit so spurlos entschwunden ist?” fragte Haggis, die wie Alex und Zo'or mehr oder weniger unter Bordaufsicht stand und verhört worden war. „Sind wir in einer Parallelwelt? Oder haben die Menschen einfach vergessen, dass sie bis vor ein paar Tagen in komplett anderen Zuständen gelebt haben? Wo sind alle diese H.A.P.-Leute hin?” „Ich denke, alle Menschen der anderen Zeit leben hier noch, aber als ganz normale Leute”, antwortete Zo'or. „Der kleine Lukas und seine Mutter, alle Opfer der H.A.P.- Gefängnisse, alle Wärter, alle Krieger. Eine andere Realität, ein anderes Leben.” Sie saß ein wenig mitgenommen in ihrem bequemen Sitz, zu den Menschen auf der Couch geschwenkt. „Als TAELON würde ich dir dasselbe antworten wie ein Buddhist: Wir leben in einer Realität, die nur eine Illusion unseres Bewusstseins ist. Es wurde nur eine Illusion gegen eine andere ausgetauscht, das ist alles.” „Und das ist alles?” fragte Haggis. „Alles Leid, die diese Teufel angerichtet haben - nur eine Illusion?” „Realitäten mit Wechselwirkungen! In der anderen Zeitlinie wurde die Roleta von den Dunkelmächten zerstört”, gab Alex zu bedenken. „Ich wünschte, die hier würden begreifen, in welcher Lebensgefahr sie sich befinden.” „Möglicherweise war dieses Ereignis noch nicht ‚fest zementiert'”, erwiderte Haggis. „Es war soeben geschehen. Es muss sich nicht in dieses Zeitkontinuum ausbreiten. Auch wenn ich annehmen muss, dass die Zahl der überlebenden Menschen dort sich immer stärker an die Zahl unseres Kontinuums angepasst hat.” „Wir werden unser Gedächtnis an die Ereignisse in der anderen Zeit mehr und mehr verlieren”, fügte Zo'or hinzu. „Wir müssen alles tun, damit uns die Daten über die Kimerischen Wissensspeicher nicht abhanden kommen. Am besten setzen wir hier rasch Handlungen, die eine Erinnerung verunmöglichen.” Nachdem sich die beiden Menschen verabschiedet hatten, kam die chinesische Musikerin Tan Liü mit ihrer psychedelischen Harfe. Da'an hatte sie zu seinem Kind geschickt, um Zo'or mit beruhigenden taelonschen Weisen zu erfreuen, wie er ihr ausrichten ließ. Die Chinesin spielte tatsächlich bezaubernd, mit einem scheinbar freundlichen Gesicht. Es war dieselbe nichtssagende formelle Freundlichkeit, die Asiaten offenbar noch immer anerzogen wurde. Die wahre Tan Liü zu bewerten fiel selbst Zo'or trotz aller Erfahrung mit Menschen schwer. Während der Musikdarbietung kam wie erwartet Da'an selbst hinzu, leise wie eine Katze. Da'an bedankte sich danach bei der Musikerin mit aller Liebenswürdigkeit, die er als jemand aus der Diplomatenkaste darzustellen vermochte. Der Da'an in dieser Zeit war bezüglich Liü genauso sentimental wie der aus der anderen. „Deine menschliche Favoritin spielt hervorragend”, sagte Zo'or höflich. „Wenn unsere Nachkommen mit den Menschen friedlich auf diesem Planeten leben wollen, so müssen sie sich selbst zurückhalten und stattdessen die geistige Evolution der Menschen fördern. Achte darauf!” „Wir haben die meiste Zeit gut zusammengearbeitet”, gab Zo'or zu. Sie schien nicht überrascht zu sein. „Ich werde dich vermissen, doch ich weiß, dass dein Band mit den Taelons weiterhin stark sein wird. Geh in Frieden, Da'an.” Roleta schwebte auf dem Beibootdeck silbern als Hologramm einige Zentimeter über dem Boden und sah in ihrem langen roten Mantel und den silbernen Haaren wieder aus wie eine Fee oder ein weibliches Teufelchen, je nach Betrachtungsweise. In ihrem Inneren fühlte sie, wie die Robots ihren vielfältigen Arbeiten auf diesem Deck nachkamen. Hinten beschäftigten sich gerade ein paar Menschen mit Kontrolllisten und Instandhaltungen. Im Grunde war es Beschäftigungstherapie, denn das Bordgehirn konnte, sie es gewollt hätte, alle Tätigkeiten selbst mittels ihrer Robot-Zenturios und ihren Hilfskräften erledigen lassen. Es war jedoch der Wunsch der Zazas gewesen, ein klein wenig Entwicklungsarbeit zu leisten, und so ließ sie die Mannschaft ein wenig Einblick in die Wissensgebiete ihres Erbauervolkes, der ausgestorbenen Zefir, nehmen. Plötzlich fühlte sie einen Impuls und materialisierte sich in die Zentrale. Nicht zu glauben – dieses vermisste Beiboot war mit einem Male da draußen. Bordgehirn Nr. Acht meldete sich, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, und fragte an, ob es sicher wäre, näher zu kommen. Als das Beiboot in ihrem Schiffsbauch gelandet war, wurden Onzo Kyriaki und Sergej Koljow bereits von ihren Robotern erwartet und in ihren Wohnungen festgesetzt. Ein menschliches Gericht würde über diese Vorgänge an Bord des Beibootes ein Urteil fällen müssen. Zeitverschiebung oder nicht. Die Neotaelons Me'win und No'ren würden an Bord dafür gemaßregelt werden, dass sie sich so lange nicht um die drei anderen gekümmert hatten. Paula Hoffmann, die sich nach den Übergriffen in den Alkoholismus geflüchtet hatte, wurde umgehend in die Bordklinik eingeliefert, zur Untersuchung und zum Entzug. Das hinderte Roleta aber nicht, die halbbetrunkene ungepflegte Frau vor der psychiatrischen Untersuchung über die letzten Wochen ihrer Zeit zu befragen. Das Beiboot brachte tatsächlich Bilder und Daten aus der anderen Zeitlinie mit! Das zerstörte Schiff der Londoner sah aus wie mit schwarzen selbstwachsenden Stäben gespickt. Die Besatzung und die Menschen auf der Erde mussten eines zur Kenntnis nehmen: Mit den Dunkelmächten war eine feindliche Macht existent, die jederzeit angreifen konnte und für Ereignisse verantwortlich war, die weit in die Vergangenheit aller drei Spezies zurückreichten. Das Universum dehnte sich aus wie aufgehender Hefeteig und dividierte sich auf in Energie und Materie einerseits und dem Dunklen, Leeren der „Blasen” andererseits. Die Dunkelmächte mussten aus diesem „leeren expandierenden Raum” stammen, der blasenartig das Universum durchzog, und an deren Blasenwände die reguläre Materie als „Materiebrücken der Sterne” materialisiert war. Genauer gesagt war sie vermutlich in den Randzonen zwischen den Blasenzentren und den Blasenwänden entstanden. Diese Wesen mit ihrer Kultur waren extrem fremdartig, sowohl was den Stoff betraf, aus dem sie bestanden, als auch in ihrer Technik. Sie waren so fremdartig und unbekannt, dass die Augen und die Technik nicht imstande waren, sie exakt wahrzunehmen, wenn überhaupt. Daher erschienen sie denen, die aus regulärer Materie bestanden, als wabernde schwarze Schatten mit der Tendenz zur Unsichtbarkeit. Die Dunkelmächte bewegten sich jenseits der materiebezogenen Gesetze von Raum und Zeit, obgleich für sie doch wieder Gesetzmäßigkeiten gelten mussten, nur war absolut unklar, welche. Die Materie, nicht anderes als eine Form von Energie, war „der Punkt und der Kreis zur gleichen Zeit”, wie Da'an es bezeichnete, bevor er verschwand. Die Dunkelmächte waren hingegen „das lebendige gegenpolige Unsichtbare” dazwischen, offenbar unberechenbar, heimtückisch, aggressiv. - Oder doch nicht? Die Dunkelmächte erschienen aggressiv, doch vernichteten sie die Summe des materiellen Lebens einer Region niemals absolut. Die Aktionen der Dunkelmächte waren von ihren Taten gegenüber dem materiellen Leben her als absolut feindselig einzustufen. Jedenfalls musste man das so empfinden! Welche Art Ethik, welches Motivationsimperativ besaßen die Fremden? Niemand konnte es sagen. Die Fremden hatten keine Probleme damit, im materiellen Raum zu agieren, doch man selbst wusste nichts über sie. Die mitgegebene Botschaft des Volkes der Vier Winde war eindeutig; man konnte sie niemals besiegen. Die uralten Völker hatten alles versucht. Man konnte sie bestenfalls zurückdrängen, eindämmen, aufhalten. Es wurde höchste Zeit, eine andere Art von Technik zur eigenen Verteidigung der Erde und Londons zu besorgen: kimerische Technik! Welche Macht auch immer Zo'or, Haggis und Alex die Koordinaten eines Wissensspeichers zugespielt hatte, es war ein absolutes Muss, im Angesicht dieser potentiellen Bedrohung, nach den Forschungsergebnissen der von der materiellen Ebene entschwundenen Kimera zu suchen und dieses Wissen zu erwerben. Nach einigen heftigen Diskussionen kristallisierte sich ein Team heraus, welches eine Reise zu den Koordinaten des Wissensspeichers unternehmen sollte. (Im Weltraum, weit entfernt von der Erde:) Das aus vielen Vielkanter zusammengesetzte kugelförmige Gebilde war etwa (350 Meter) groß. Ein Schiff. Eine Einflugschneise öffnete sich plötzlich in dessen Hülle. „Fremde, wenn ihr das Wissen der Kimera sucht, tretet ein. Ihr werdet geprüft werden!” ließ sich Ko'lan die seltsamen leuchtenden Schriftzeichen auf der Hülle über dem Einflugsloch übersetzen, die da auftauchten. „Wir müssen mit den Transportkapseln übersetzen”, sagte Bethany und machte sich fertig. „Leider sind die Beiboote für den Wissensspeicher viel zu groß.” „Gib bloß acht, mein Kind”, meint Ko'lan besorgt. „Halte mit mir Kontakt, wie du es gelernt hast. Vernachlässige niemals deine Deckung!” „Ich weiß, Ko'lan!” meinte Bethany geduldig. „Mach dir keine Sorgen, kämpfen liegt mir im Blut. Das weißt du doch.” „Ich halte ebenfalls Wache”, sagte Ariel. „Wenn du in Gefahr kommst, werde ich dir folgen!” Alex sah es für sich als gegeben an, dass auch er ging, da konnte Haggis wettern und vor Neugier platzen wie sie wollte. Auf dem anderen Beiboot machten sich Sy'la und Andre fertig. Sie schlossen ihre dünnen hellblauen semi-energetischen Raumanzüge mit den seitlichen silbernen Leisten aus Mell-Metall. So dünn und hautfreundlich die Anzüge waren, so sicher und bequem waren sie. Nachdem die zwei einfachen Transportkapseln in das Kimeraschiff eingeflogen waren, aktivierten die Ankömmlinge den Mechanismus ihres Anzugs. Das Mell-Material dehnte sich aus und stülpte sich über ihren Körper. Aus Seitentaschen strömte extrem hochverdichteter Sauerstoff unter den Helm. Aber das war gar nicht nötig, denn an Bord des Kimeraschiffes herrschte plötzlich eine Sauerstoffatmosphäre. Das Metall strömte wieder in seinen leistenförmigen Urzustand zurück. „Wir sollen weitergehen, seht ihr!” deutete Bethany auf einige exotische Zeichen aus Metall, die da auf der Wand angebracht waren. „Beeilt euch. Folgen wir einfach diesem Gang. Wir müssen das Zentrum des Schiffes aufsuchen und nach dem Wissen fragen. Dann sehen wir schon.” „Ich hasse Sümpfe!” schimpfte Alex. Der Boden des Ganges mündete vor ihm in ein brodelndes feuchtes Etwas. „Das erinnert mich immer an Moskitos. Offenbar sollen wir durch diese kalte dampfende Brühe durch, oder wie?” Sy'la war bereits drin und watete voraus. Und das sollten Prüfungen sein? (Irgendwo im Weltraum:) „Ist das nicht eben bewunderungswürdig, du allmächtiger Herrscher?” fragte der Stellvertreter fast winselnd von unten. Er fing sich dafür einen schmerzhaften Hieb mit Energie ein und stöhnte vor Entzücken. „Wie einer von uns?!” – Das brachte den Herrscher dazu, seinen Zorn vollends auf seinen Stellvertreter abzuladen. Die Hiebe töteten das Wesen fast. Es stöhnte heulend auf und kroch weg. Jetzt war der Herrscher alleine und hatte niemanden mehr um sich, auf den er seinen Frust abladen konnte. Wohl wahr, die Aufgabe der Dunkelmächte war es, die Zivilisationen mit allen Mitteln zu prüfen, ob sie stark genug waren, und die Schwachen zu beseitigen. Das Universum bot nur Platz für starke Egoisten! Das Leben musste die Schwachen fressen. Was geschah jedoch hier? Ganz wider erwarten lieferten diese Kimera-Verschnitte gemeinsam mehr Widerstand als erwartet, und das konnte nur sein, weil die Alten Völker sie heimlich unterstützten. Der Herrscher brüllte mit fremdartigen Lauten einen weiteren Bediensteten herbei. „Die dazugehörenden kimerischen Aufladestationen sind für uns verloren. Doch das letzte Zeitreisegerät in unserem Besitz kann noch ein letztes Mal einen Sprung einleiten. Ich wünsche, dass du und zwei weitere zurückgehen in der Zeit (ins Jahr 2091) und Folgendes tust....” (Im kimerischen Wissensspeicher:) Urplötzlich verloren sie den Boden unter den Füßen und stürzten etwa (5 Meter) tief ab. Sy'la landete schmerzhaft auf dem Gesäß, Alex brach sich das Bein, nur Bethany rollte sich elegant ab und stand gleich wieder auf. „Wer war das?” empörte sich Sy'la. „Könntet ihr gefälligst eure Gedanken im Zaum halten?” „Wir sollten aufstehen, sonst...” und schon knatterte das Gewehr los. Etwas schoss auf sie, als wären sie Hasen während einer Jagd. „Haltet doch endlich Ruhe!” sagte Bethany und warf sich wie die anderen zu Boden, um in Deckung zu robben. „Sy'la hat ganz recht. Was ihr euch vorstellt, verwirklich sich auch.” „Setzen wir uns einfach und stellen uns intensiv vor, was uns hierherführt: das Wissen der Kimera!” schlug Andre vor. „Du meinst wohl: die Waffen der Kimera. Oder du, Alex, du willst doch nur viel Geld verdienen”, spottete Bethany. „Und was willst du?” fragte Andre Anderson zurück. „Deren Macht? Deren Imperium?” „Deren Erbe!” erwiderte das Mädchen. „Zur Hölle mit dir!” fluchte Alex. „Mir tut das Bein weh. Wofür, denkst du, lohnt sich all die Mühe hier?” Der Boden wurde plötzlich brandheiß und begann zu brennen. Trotz der schützenden Anzüge zogen sich die Menschen Verbrennungen an den Händen zu. Rasch eilten sie weiter, Augur dabei stützend.. „Nein, du hast ganz recht, Andre”, meinte Sy'la außer Atem. „Setzen wir uns und denken wir an nichts als: wir begehren nach dem Wissen der Kimera! Wir begehren nichts anderes als das Wissen der Kimera!” Sie machten es. Es funktionierte. Plötzlich wurde es hell, und ein gleißendhelles Tor erschien, aus dem eine silberweiße leuchtende Gestalt trat. „Ihr begehrt nach dem Wissen und dem Erbe der Kimera?” fragte sie. „Ich bin die Bordintelligenz, die über den Wissensspeicher wacht. „Zwei von euch sind würdig, zwei von euch noch nicht. Auch körperlich scheint ihr interessant zu sein. Zwei von euch besitzen kimerische Gene. Zwei nicht. Die Voraussetzungen sind erfüllt und auch wieder nicht. Es scheint, als ob ihr auf dem Weg seid, aber noch nicht angekommen.” Sie überlegte kurz. „Darum wird wie folgt entschieden: Ihr werdet als Erben anerkannt. Doch das Wissen wird euch in Schritten zuteil werden. Ihr werdet einen Teil von allen Wissensbereichen mit euch nehmen dürfen, und alle (240 Jahre) dürft ihr wiederkehren und werdet einen weiteren Teil eures Preises erhalten, sofern ihr euch als charakterlich würdig erweist.” „Aber das geht doch nicht!” protestierte Alex. „Unsere Spezies ist in Gefahr, wir benötigen das Wissen der Kimera jetzt! Sofort!” „Waffen nützen euch gar nichts, wenn ihr nicht vermögt, euren Geist zu lenken und zu beherrschen”, meinte die Bordintelligenz. „Nehmt an – oder geht und kommt niemals wieder.” „Und wenn ein anderer kommt?” fragte Andre. „Wenn er kommt und deine Speicher einfach ausraubt, was dann?” „Seit (unzähligen Millionen Jahren) warte ich hier schon, und das ist nie passiert. Warum sollte es gerade in den nächsten paar tausend Jahren geschehen? – Man kann keinen Speicher ausrauben. Meine Programme erlauben es nicht.” „Bah!” schnaufte Andre. „Es gibt immer einen Klügeren.” „Lass es gut sein, Andre”, meinte Sy'la beschwichtigend. „Bringen wir Alex zurück und überlegen wir dann, was wir uns hier an nützlichen Sachen aussuchen dürfen.”
Und da erfolgte der Gegenschlag. Das Universum wehrte sich gegen das neuerlich eingeleitete Zeitparadoxon mit seiner Verzerrung von Raum und Zeit auf seine Weise. Nein, es vernichtete nicht die gesamte Region, wie das Volk der Vier Winde es befürchtet hatte. Es verwandelte nicht die Materie in Staubpartikel oder in Plasma. Es ließ auch nicht das Universum kollabieren. Es erfolgte einfach eine Gegenbewegung wie bei einem Pendelschlag, und die fegte den Anführer der Dunkelmächte mitsamt der Zentrale, von der aus die Zeit wieder korrigiert hätte werden sollen, einfach aus dem Universum. Blies sie hinfort ins nirgendwohin. Mit einem Hieb. Es stellte damit die natürliche Ordnung der Energien wieder her. Die Zentrale war energetisch wie eine vielfüssige Krake aufgebaut, eine Krake mit Abermillionen Beinen, bestehend aus all den anderen Schiffen in der Region. So war ihre Existenz: keine äußeren Bindekräfte hielten die Formen zusammen, sondern ein verbindendes Fluidum, eine Kraft, etwas, was so fremdartig war, dass Menschen es so nie hätten begreifen können. Nicht die Materie kollabierte, sondern die Dunkelmächte kollabierten, fielen in sich zusammen und verwehten wie kalter schwarzer Rauch. Sie bestanden aus Nichts und verwehten als Asche; während die Menschen, gebildet aus Asche, ihren Tod normalerweise im Nichts fanden. Die Roleta war frei, und die Erde war frei, und die schwarzen Schiffe zerbröselten irgendwie und nichts blieb von ihrer Schrecklichkeit bestehen. Es würde lange, sehr lange dauern, bis sie sich wieder in diese Region des Universums ausgebreitet haben würden. Warum das so gekommen war, war ein Mirakel, einfach unerklärlich, ein Wunder, oder einfach nur Glück? War alles einem geheimnisvollen Plan gefolgt? Oder hatten die Alten Völker ...?
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