Teil 3
Nachdem sie die übliche Desorientierung nach einem Interdimensionssprung überwunden hatte, stellte Katja fest, das der Ort an dem sie sich jetzt befanden und der Lichtjahre von der Erde entfernt liegen sollte, eigentlich genauso aussah, wie ihr Ausgangspunkt. Blauschwarze Gänge nach typischer Taelonart umgaben sie. Te'lar bedeutete ihnen, ihm zu folgen und ging zielstrebig durch das Gewirr von Gängen. Schließlich blieb er vor einer Tür aus undurchsichtigem virtuellen Glas stehen, die er mit einer Handbewegung öffnete. „Hier ist Euer Quartier. Bitte richtet Euch ein und wartet dort, bis ich zurück bin.” Ohne weitere Erklärung ging er und verschwand um die nächste Ecke.
Ihre Unterkunft bestand aus einem gemeinsamen Raum und drei weiteren, die von diesem abgingen. Sie waren relativ groß, aber nicht so groß, dass man sich darin verloren vorkam. Sie warfen ihre Sachen einfach auf den Boden und setzen sich zusammen. Bislang hatten sie so gut wie nicht miteinander gesprochen und auch jetzt viel es ihnen schwer, ihre Gedanken in Worte zu fassen. So saßen sie eine Weile einfach nur da. Katja beobachtete ihre Freunde. Mike tat so, als würde er interessiert die Einrichtung betrachten, Anna starrte bedrückt auf ihre Hände und Tilos Augen war ins Leere gerichtet, als wäre er tief in Gedanken. Sie begegnete Yvonnes Blick, die sie durchdringend musterte und den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Doch dann sah sie verärgert auf Kevin, der ein wenig abseits saß. Leise summte er eine Melodie vor sich hin, die Katja irgendwie bekannt vor kam. „Lass den Quatsch! Mir ist echt nicht nach Musik.” Yvonnes Stimme schnitt scharf durch das Schweigen. Er brach ab und erwiderte ihren Blick ohne zu antworten. Tilo lächelte auf eine seltsame Art. „Ein nettes Lied”, meinte er mit einem Augenzwinkern. „Ach! Wollen wir uns jetzt über Musik unterhalten? Haben wir keine anderen Probleme?”, fuhr Yvonne verächtlich dazwischen. „Wieso bist Du eigentlich hier, Kevin? Du gehörst nicht zu uns!” - „Ja...” Anna blickte von ihren Händen hoch und sah Kevin verwirrt, aber nicht unfreundlich an. „Ich dachte, Du wärst für die nächste Woche für Ausbildungseinheiten eingetragen.” Überrascht sah Kevin von einem zum anderen. „Was ist? Hat's dir die Sprache verschlagen?” In Yvonnes Stimme klang eine gewisse Genugtuung, die jedoch nicht lange währte. „Ihr habt keine Ahnung? Wisst ihr denn gar nicht, dass ihr eine ganze Woche in diesem Tank wart?” Jetzt waren es die anderen, die sprachlos waren. Entsetzt starrten sie sich an. „Sie haben es Euch nicht einmal gesagt!” Kevin schüttelte traurig den Kopf „Was passiert bloß mit uns?” - „In den Kampf werden sie uns schicken. Gegen die Jaridians, als Kanonenfutter!” Yvonnes Stimme klang kalt wie Eis. „Nein, werden sie nicht. Te'lar hat gesagt, das sie es nicht tun werden.” Katja klammerte sich an die Aussage des Taelons. „Und das glaubst du?” - „Ja.” - „Wie naiv Du bist!” - „Halt endlich den Mund, Yvonne! Es wird nicht besser durch deine Gifterei!” Anne war die einzige, die genügend Autorität hatte, um sie mit Erfolg zum Schweigen zu bringen. „Kevin, du warst doch auch in dem Tank. Warum weiß Du, dass wir eine ganze Woche darin waren?” - „Weil ich erst heute morgen hinein kam. Naja, ich denke zumindest es war heute morgen, da sie gesagt haben, bei mir würde es nur sieben Stunden dauern.” - „Warum bei dir nur so kurz? Das macht doch keinen Sinn. Außerdem hattest du doch am gleichen Tag wie wir einen Termin im Labor.” Alle sahen Kevin in Erwartung einer Erklärung an. Sein Mund zuckte ein wenig, aber er zögerte nicht mit seiner Antwort. „Sie haben mir ein CVI implantiert, deshalb war ich im Labor und deshalb hat die Anpassung bei mir nicht so lange gedauert.” Alle begannen durcheinander zu reden und Kevin auf einmal Fragen zu stellen, doch sie wurden durch Te'lars leise aber durchdringende Stimme unterbrochen, der auf einmal hinter ihnen stand und sie aufforderte mit ihm zu kommen.
Wieder liefen sie durch Gänge. Immer mal wieder begegneten sie anderen Freiwilligen, die sie neugierig musterten oder einfach desinteressiert an ihnen vorbei gingen. Keiner von ihnen, nicht einmal Anna traute sich zu fragen, wo sie eigentlich waren. Zumal sie sich anstrengen mussten, um mit den langen Schritten des Taelons mithalten zu können. Plötzlich, nach einer Biegung standen sie unvermittelt in einem großen Raum. In dessen Mitte war, auf einer kleinen Plattform, eine Art Kommandosessel angebracht. Ein Taelon in Energieform hatte darauf Platz genommen und arbeitete an einem Datenstrom, ohne dass er die Neuankömmlinge beachtete. Ihnen fiel das jedoch nicht auf, denn sie hatten nur Augen für den Ausblick, den das Fenster aus virtuellem Glas bot, das sich über die gesamte Breite dessen erstreckte, was offensichtlich die Brücke eines Schiffs war. Sterne sah man, und - sehr groß - die vernarbte Oberfläche eines Mondes. In einiger Entfernung sah man noch einen zweiten, sehr viel kleineren Mond und rechts davon erstreckte sich die grünen Schwaden eines kosmischen Nebels, der sicherlich sehr viel weiter entfernt war, als es den Anschein hatte. Doch was ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog, war der Planet, in dessen Orbit das Schiff sich befand. Von einer deutlich sichtbaren Atmosphäre umhüllt schimmerte er in strahlendem Gelb. Vorherrschend war ein sehr glitzerndes Goldgelb, das weitgehend gleichmäßig große Bereiche der Oberfläche überzog, der Rest barg alle Schattierungen von fast rot bis beinahe grau. Alles in allem war es ein Eindruck, der nichts gleichkam, das die sechs jemals in ihrem Leben gesehen hatten.
„T'than, dies sind die neuen Freiwilligen. Sie sind für die Aufklärung ausgewählt und ...” „Ich habe ihre Dateien gelesen.” Der Kriegsminister der Taelon schnitt Te'lar brüsk das Wort ab und sah auf die jungen Menschen hinab, die immer noch gebannt auf den Planeten starrten. Er machte sich nicht die Mühe eine menschliche Fassade zu kreieren, sondern wandte sich wieder dem Datenstrom zu. „Wir haben eine Unregelmäßigkeit in den Sensorwerten, die auf der Oberfläche von A'aya's gemessen werden. Vielleicht eine jaridianische Sonde. Schicke sie hinunter und lass sie nach der Ursache suchen.” Seine schnellen Handbewegungen verrieten deutlich Te'lars Bestürzung. „Sie sind für eine solche Aktion noch nicht genug ausgebildet. Das Risiko ist viel zu groß.” „Du bist scheinbar in letzter Zeit zuviel auf der Erde gewesen. Hier ist das Risiko immer groß und der Tod unser ständiger Begleiter. Ganz davon abgesehen ist es vermutlich nur ein Sandsturm.” Der hochrangige Taelon nahm seine Arbeit wieder auf und beachtete Te'lar nicht weiter. Mit dem taelonischen Äquivalent eines Seufzers ging Te'lar zu den jungen Freiwilligen, die sich etwas verloren umsahen. „Folgt mir, ihr... wir haben eine Aufgabe erhalten.”
„Wer war das?” Katja versuchte bereits zum dritten Mal vergebens den Verschluss ihrer Uniform zu schließen. Te'lar schob ihre Hände weg und half ihr. „T'than.” - „Ist er der Kommandant dieses Schiffes? Es ist doch ein Raumschiff, oder?” - „Er ist Kommandant dieses Schiffes, aber auch Kriegsminister. Und ja, dies ist ein Schiff, aber es erfüllt hier die Funktion von etwas, was Menschen eine Raumstation nennen würde.” Nachdem er den Verschluss in den richtige Zustand gebracht hatte, reichte er erst Katja ihren Helm und dann Anna, die mit ihrer Uniform alleine klar gekommen war. „Wo gehen wir hin?” - „Auf den Planeten.” - „Wow, wirklich?” Mike erhielt von Katja einen Stoß in die Rippen. Das war definitiv nicht die Art, wie man mit einem Taelon sprach. Dementsprechend streng war auch der Blick, mit dem Te'lar Mike dazubrachte, sich schnell wieder mit dem Zusammensammeln seiner Ausrüstung zu beschäftigen.
Wenig später führte Te'lar sie in den Shuttlehangar und sie waren nicht wenig überrascht, als der Taelon auf dem Pilotensitz Platz nahm. Sie hatten noch nie einen Taelon fliegen sehen. Te'lar machte ein amüsiertes Gesicht. „Habt ihr gedacht, wir können unsere eigenen Shuttles nicht fliegen?” Er schloss das virtuelle Glas um sie, ließ das Shuttle elegant um die eigene Achse kreisen und startete vom Stand weg in die Interdimension. „Wie haben Sie das gemacht? Beim Shuttletraining hat man mir gesagt, das würde gar nicht gehen. Und dieses Display, das ist nicht das für die menschlichen Piloten.” Aufgeregt bestürmte Yvonne, die als einzige der sechs in die Grundzüge des Shuttletrainings eingewiesen worden war, Te'lar mit Fragen. Er lächelte über ihren Eifer, antwortete aber nicht.
Als das Fluggerät nur wenige Meter über A'aya's Oberfläche aus der Interdimension heraus trat, sahen sie unter sich unebenes Gelände. Mit hoher Geschwindigkeit sausten sie darüber hinweg, wobei das Shuttle den Konturen der Schluchten und Hügel folgte. Katja dachte, dass ihr eigentlich schlechter werden müsse, doch nichts geschah. „Was suchen wir nun eigentlich genau?”, fragte Mike ungeduldig. „Wenn wir das wüssten, wären wir nicht hier”, meinte Te'lar nur lapidar, doch dann wurde sein Blick schlagartig ernst und ebenso schnell sackte das Shuttle in einer kleinen Senke zu Boden. „Was...” begann Katja. „Ein abgestürztes jaridianisches Schiff. Klein und stark beschädigt. - Seht her, das ist das Gelände.” Te'lar ersetzte die Kontrolle des Shuttles mit einer Handbewegung durch einen aktuellen Scan der Umgebung. „Hier ist unser Shuttle und dort das feindliche. - Katja, Mike, ihr zwei nehmt hier diesen geraden Weg dorthin. Yvonne, Anne, ihr haltet euch links von ihnen und gebt ihnen notfalls Deckung. Die Aufgabe von euch vieren ist es, überlebende Jaridians zu finden. Bei der Größe des Schiffes, können nicht mehr als vier an Bord gewesen sein und es sehr unwahrscheinlich, dass sie alle überlebt haben. Kevin, du kommst mit mir. Tilo, du bleibst im Shuttle und hältst Kontakt mit uns allen.
Katja spürte wie das Adrenalin in ihr Blut schoss und sie sich gleichzeitig leicht berauscht und hellwach fühlte, als sie und Mike im Abstand von fünf Metern voneinander auf das fremde Schiff zuschlichen. Alles hier war Sand und Stein und Fels - Wüste. Doch der Wind, der an ihren Haaren zerrte, war nicht so trocken, wie er in dieser Ödnis hätte sein müssen. Katja wunderte sich, dass sie dies wahrnehmen konnte. Sie kam über eine kleine Kuppe und sah nun das Schiff. Es war kleiner als sie es erwartet hatte und mit einer sonderbaren Genugtuung stellte sie fest, wie stark zerstört es war. Mike sah zu ihr herüber und nickte. „Tilo, wir haben das Shuttle vor uns, Mike geht hin.” - „Verstanden, Katja.” Während sie mit den Augen die Umgebung absuchte, war Mike an sein Ziel gelangt. Aus dem Blickwinkel sah Katja wie er zurückzuckte, nur zögernd kletterte er in das aufgeschlitzte Wrack. „Mike?” - „Hier ist ein Jaridian, tot. Ziemlich tot.” Ein leichter Ekel in seiner Stimme zeigte an, dass das kein schöner Anblick war. „Tilo, hast du es mitbekommen?” - „Ja, hab ich. Du kannst gehen, Katja. Anna und Yvonne sind in Position.” - Vorsichtig ging Katja, immer in Mikes Fußstapfen, auf das Schiff zu. Sie versuchte nicht auf die Leiche zu schauen, die Mike mühsam aus dem Rumpf zog und begann den Boden nach Spuren abzusuchen. Sie merkte, wie ein Eishauch sie strich, als sie drei Meter von der Öffnung entfernt schwarze Blutstropfen fand. „Da muss noch einer sein. Verletzt.” Ihre Stimme klang fremd, ein wenig tonlos, aber fest, was sie selbst überraschte. „Wie schwer?” - „Kann ich nicht sagen. Ich versuche der Spur zu folgen.” - „Okay. Mike, Yvonne und Anna sind hinter dir.”
Erst kam Katja langsam voran, doch schon 50 Meter vom Wrack entfernt, wurde die Fährte deutlicher. Der Jaridian musste entweder schwer verletzt sein oder er wollte sie in Sicherheit wiegen. Katja wusste nicht, ob sie es nur glauben wollte, aber sie vermutete das erstere. Er verlor viel Blut und Spur zeigte einen schleppenden Schritt an, von dem sie annahm, dass er schwer zu simulieren war. Plötzlich stockte sie. Ein leises Geräusch, dass nicht vom Wind verursacht wurde. Sie sah vom Boden auf und direkt in die Augen eines Alien, nur sechs Meter vor sich. Für einen Moment schien sich die Zeit zu dehnen und es gab nur sie, ihr Gegenüber und den Blick, der sie verband. Für Katja wie in Zeitlupe hob der Jaridian beide Hände, die Handflächen ihr entgegen und plötzlich - als hätte jemand die Zeit wie ein Gummiband erst in die Länge gezogen und dann schlagartig losgelassen, ging alles blitzschnell. Katja landete hinter einem Felsbrocken zu ihrer Rechten ohne dass sie gemerkt hatte, wie sie abgesprungen war. Gleichzeitig traf ein Energiestrahl ein ganzes Stück hinter der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte, den Boden. Steine zischten durch die Luft und Sand stob auf, der Katja in eine Wolke hüllte. Instinktiv erkannte sie ihre Chance und schoss auf allen Vieren hinter einen anderen Felsen. Mit gezogener Waffe, sprang sie auf ihre Beine und zielte auf gut Glück rechts an dem Fels, hinter dem sie eben noch gelegen hatte, vorbei. Tatsächlich, ihr Gegner hatte diesen Weg gewählt. Sie schoss ... daneben. Schon wollte sie sich wieder in die Deckung zurückziehen, da sah sie, wie Mike sich auf den Jaridian stürzte und beide zu Boden gingen. Sie stürzte vor, um ihm zu Hilfe zu kommen, doch mit unglaublicher Kraft warf der Alien Mike noch im Fallen von sich und traf ihn mit einem Energiestoß, bevor er den Boden wieder berührt hatte. Ein kleiner Teil von Katjas Bewusstsein wusste, dass sie ohne Deckung war, dass sie sich zurückziehen musste, schnell. Doch ihr Körper gehorchte nicht. Nicht einmal die Augen, die Mikes verkrümmten versengten Körper nicht loslassen konnten. Sie hörte ein zischendes Geräusch und konnte den Kopf wieder bewegen. Sie sah den Jaridian fallen und als sie sich weiterdrehte, sah sie Yvonne, die langsam ihre Waffe sinken ließ.
Nur zehn Minuten später beobachtete Katja, immer noch leicht abwesend, wie das Shuttle abhob und in der Interdimension verschwand. Yvonne flog den eben noch lebenden Mike und die von einem Steinsplitter leicht verletzte Anna zurück auf das Taelonschiff. Te'lar war immer noch in dem Wrack und suchte vermutlich nach brauchbaren Daten.
Katja wand den Blick vom Himmel ab, der genauso blau, wie der über der Erde war und ging Tilo und Kevin nach, die eben eine Sanddüne erklommen hatten. Sie standen dort oben und starrten in die Ferne. Oben angekommen erkannte Katja, warum. Am Fuße der Düne glitzerten goldgelbe Wellen, ein Ozean, der sich bis zum Horizont erstreckte, wo sich das Gold und das Blau des Himmels trafen. Der Blick war atemberaubend schön. Unwirklich, so als gebe es die Farben Rot und Schwarz nicht. Es dauerte eine Weile, bis sie einen Blick tauschten und stillschweigend den Weg bis zum Ufer fortzusetzen. Dort setzten sie sich, mehr nebeneinander als zueinander und hingen ihren Gedanken nach. Katja vermutete, dass die beiden Jungs über tiefschürfende Dinge nachdachten. Tilo, weil er der Typ dazu war und Kevin, weil er ein CVI hatte. Sie kam sich dumm vor, weil sie nur der Frage nachging, warum dieses Wasser - sie nahm zumindest an, dass es Wasser war - so goldgelb war. Sie sollte über das Leben und den Tod und so etwas nachdenken, doch ihr Kopf weigerte sich schlicht. So scharrte sie mit den Füßen kleine Kuhlen in den Sand und verband diese mit ihren Fingern durch kleine Kanäle, bis sie bemerkte, dass Kevin schon seit geraumer Zeit wieder dieses Lied vor sich hinsummte. Tilo schien es genauso zu gehen, denn er brach das Schweigen. „Ich kann mich an dieses Lied erinnern. Es ist ein Lied gegen den Krieg. Weißt du nur noch die Melodie oder auch den Text?” „Natürlich weiß ich den Text. Ich hab ein CVI. Total Recall. Toll, nicht!” Kevins Ton zeigte, dass er das ganz und gar nicht ‚toll’ fand. „Die Melodie ist schön. Bitte sing”, bat Katja und stellte erleichtert fest, dass sie und ihre Stimme wieder zusammenpassten. Kevin sah von einem zum anderen, leicht abschätzig, doch in einem Anflug von Empathie war Katja klar, dass er nicht sie meinte, sondern nur die Situation, in der sie sich befanden. Er wand den Blick wieder auf den Ozean. Leise begann er zu singen.
„Weit in der Champagne im Mitsommergrün dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blüh'n, da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht, im Wind, der sanft über das Gräberfeld streicht. Auf deinem Kreuz finde ich, toter Soldat, Deinen Namen nicht, nur Ziffer und jemand hat die Zahl neunzehnhundertundsechzehn gemalt, und du warst nicht einmal neuzehn Jahre alt.
Ja, auch dich haben sie schon genauso belogen so wie sie es mit uns heute immer noch tun, und du hast ihnen alles gegeben: Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben...”
„Und du denkst, das passt auf eure Situation?” Erschrocken fuhren die drei Jugendlichen herum, als sie Te'lars Stimme hinter sich hörten. Er setzte sich zu ihnen in den Sand und sah sie der Reihe nach an. „Ihr seit verwirrt, aber ihr solltet nicht glauben, das ihr Kanonenfutter seit, das bedenkenlos geopfert wird. Dieser Krieg hat schon viel zu viele Opfer gekostet. Es wird alles getan, um euch zu beschützen.” „Uns beschützen?” Kevin schrie fast. „Wir beschützen euch. Ihr verheizt uns, um euch zu schützen.” Te'lar ignorierte Kevins beleidigenden Ton. „Diese Differenzen sind nicht existent.” Keiner der drei verstand, was dieser Satz sollte. Katja und Tilo sahen müde und verwirrt zu Boden, doch Kevin hatte sich schon zu sehr in Rage geredet. „Ihr habt kein Recht, so über unser Leben zu bestimmen!” „Hättest du nicht die Möglichkeit gehabt, zu den Freiwilligen zu gehen, wärst du vielleicht schon an den Drogen, die du genommen hast, gestorben.” „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Ihr habt mir keine Wahl gelassen!” „Oh doch, du hattest eine Wahl. War es nicht deine Entscheidung, zu den Freiwilligen zu gehen?” „Das war Manipulation.” „Du hättest das durchschauen können.” Kevin zögerte, wusste keine Antwort und startet dann einen neuen Angriff. „Ich wusste nicht, welche Konsequenzen es haben würde. Dass ich plötzlich in einem außerirdischen Krieg kämpfen würde.” „Man kann nie ganz abschätzen, welche Konsequenzen das eigene Handeln haben wird.” „Na, toll!” Kevin warf wütend die Arme in die Luft. „Ihr habt auf alles eine Antwort. Ihr seit ja so viel schlauer als wir!” „Ihr - wir. Du redest wie ein Jaridian. Du gehörst zu uns. Du bist ein Teil von uns.” „Ach ja, selbst wenn das stimmen würde, bin ich doch nur ein minderwertiger Teil von euch. Tschuldigung: von UNS.” „Jeder ist nur ein minderwertiger Teil, Kevin. Du, ich, T'than, auch Zo'or. Das einzige, was zählt, ist das Ganze.” „Warum habt ihr mir nicht einfach mein CVI mit einem Motivationsimperativ ausgestattet, dann müsste ich mir diesen Schwachsinn nicht anhören! Dann würde ich einfach funktionieren, ohne nachzudenken.” „Du sollst aber nachdenken, Kevin. Wir wollen keine Marionetten, die nur an Fäden tanzen. Das ist, wenn überhaupt, nur in einigen Fällen sinnvoll.”
Katja merkte, wie ihre Gedanken von dem Gespräch abschweiften, in dem Kevin weiter wütend argumentierte und Te'lar kühl erwiderte. Sie verstand genau, was Kevin meinte. Doch Te'lars Worte klangen so, als meinte er, was er sagte. Und als wären sie Striche in einem Bild, von dem sie nur die Umrisse erkennen konnte. Es schien so, als gäbe es da etwas, dass sie erst noch entdecken musste. Sie blickt auf die goldgelben Wellen zu ihren Füßen. Worte und Argumente würden ihr nicht dabei helfen, das alles zu verstehen. Sie brauchte mehr Erfahrungen, eigene Erfahrung, dann konnte sie urteilen. Sie hob den Blick und sah über das außerirdische Meer in die Ferne.
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