Der Verwalter wirkte überrascht. Der Zorn der Zweiten klang ab. Der aus den Feuern war sehr erleichtert. Die Gesangshüterin des Erdvolkes löste sich behutsam aus der Tiefenwahrnehmung meines Inneren, dann aus dem Kontakt, erhob sich und verließ den Kreis. Das Engramm in mir war deutlich spürbar, und es war wie eine Spalte im Erdboden, über die der Wind tote Zweige und Laub geweht hatte, so daß sie kaum mehr sichtbar war. Ich würde in der nächsten Zeit sehr achtsam sein müssen, nicht immer wieder da hinein zu geraten ... Ich war kein Taelon. Ich war keine Stimme im Gesang der Komplexschwingung ... Ich war eine vom Volk, das der Wind trägt, mit einer Wurzel bei denen im Dunklen ... Ich brauchte die Meinen, und diese brauchten, was ich war ... ich hatte einen Weg zu gehen, für sie, für die Jaridians, für das Ganze ... und dazu brauchte ich meinen Körper - ebenso wie meine Energie und wie das, was ich fühlte, sang oder dachte ... meinen Körper, der immer noch von der Zweiten gehalten wurde ... mit dem ich Unsrige und Jaridians, Atavi, Zhawi - und Taelons gehalten hatte ... der wieder fliegen wollte, unbedingt ... Hunger, ich hatte solchen Hunger ... Jemand drückte mir etwas in die rechte Flügelhand - die Hüterin der Gesänge derer im Dunklen hatte einen Nahrungsriegel aus der Spendeeinheit in der Wand gezogen. Die Zweite half mir, mich aufzurichten, und als ich das erste Stück Konzentrat gegessen hatte, löste ich mich dankbar und zittrig aus dem Kreis, um dem Gesangshüter der Tiefen, der inzwischen wieder aufgetaucht war, der Erdvolk-Gesangshüterin, die so viel von ihrer Energie gegeben hatte, den Jaridians und mir selbst weitere Nahrung zu besorgen. Der Anführer hielt es für eine richtige Idee, den Heiler kommen zu lassen, um zu überprüfen, ob es uns Vieren wirklich gut ginge, obwohl die Vitalzeichen-Linien und -Lichter auf dem Überwachungsmonitor in der Ecke fast wieder Normalwerte zeigten für alle bis auf mich, aber das würde wohl noch eine Zeit dauern ... Flüchtig fragte ich mich, wie wir hier eigentlich überwacht wurden, da uns die Scanner, die wir alle auf dem Kreuzer getragen hatten, bereits zu Beginn unseres Aufenthaltes hier im Gebäude abgenommen worden waren. Der Heiler war nach einer Weile da und überprüfte uns gründlich, sowohl über den Kontakt als auch mittels des Überwachungsgerätes, und er bat den Anführer dringend, die Beratung für die Dauer der verbliebenen Hell- und darauf folgenden Dunkelphase - nach unseren Parametern berechnet - auszusetzen. „Eine längere Unterbrechung täte Euch allen gut ... Ist eigentlich irgend jemandem von Euch bewußt, daß Ihr hier Schwerarbeit leistet?” Ohne auf deren Proteste zu achten, scannte er auch die Seinen. „Ihr verbraucht hier innerhalb einer Zeiteinheit so viel Energie, als befändet Ihr Euch mitten in einem Raumgefecht ... die vorgeschlagene Zeit des Aussetzens ist absolutes Minimum - eigentlich gehört Ihr alle auf die medizinische Station ...” Der Anführer wandte sich an die Zweite. „Ich habe das nicht mehr zu entscheiden ... Es ist an Dir, zu verfügen, wie wir weiter verfahren ...” Sie schaute ihn an. „Nein”, sagte sie. „Nicht ich habe zu entscheiden ... Führender bist immer noch Du, denn niemand hat Deinen Rücktritt formell entgegen genommen - ich schon gar nicht ...” Der Erste blickte jeden im Kreis an und fand nur Zustimmung für das, wovon seine Nachfolgerin gesungen hatte. Er atmete tief aus. „Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen”, ließ er uns zufließen. „Aber ich denke, er”, - er deutete über die Berührung auf den Heiler - „hat recht - wir unterbrechen die Beratung bis zum Beginn Eurer nächsten Hellphase ... das heißt, wir treffen uns hier wieder nach vierzehn unserer Zeiteinheiten.” Wir lösten den Kontakt, und unsere vier bewaffneten Begleiter betraten den Raum. Der Heiler berührte meinen linken Flügel. „Dich brauche ich jetzt wirklich auf der medizinischen Station - ich benötige einige Daten von Dir, die mir dieser Scanner”, - er hielt das Überwachungsgerät hoch - „nicht liefert ...” Er war in Sorge wegen meiner geschwundenen physischen Substanz und wollte etwas unternehmen deswegen, wußte aber nicht was ... Dieses Mal machte seine Anordnung Sinn für mich, weil ich dem Engramm auch noch nicht richtig zu begegnen wußte, also folgte ich ihm, eskortiert von einem der vier Bewaffneten, während die Meinen zu unserer Unterkunft gebracht wurden.
Unterwegs berührte unser Begleiter - der, der so verwirrt gewesen war über das Bild, wie wir für ihn singen würden, wenn er das wünschte - vorsichtig meine linke Flügelhand. „Darf ich Dich etwas fragen?” „Selbstverständlich ...” „Was ist mit Dir passiert - in der kurzen Zeit? Du siehst auf einmal so ...” ‚schrecklich` hatte er sagen wollen, bremste sich aber im letzten Moment - „anders aus ...” In ihm war eine Erinnerung, die sich mit dem, was er von mir wahrnahm, verknüpft hatte - ein großes, schwarzes, sechsgliedriges Geschöpf, am Boden liegend, nur Haut und Knochen und riesengroße, trübe gelbe Augen ... ein auf Jaridia lebendes Geschöpf, das dabei war, an einer Krankheit zu sterben ... er hatte es, als er viel jünger gewesen war als jetzt, draußen gefunden und sich seiner angenommen, hatte ihm aber nicht helfen können ... „Es tut mir leid”, ließ ich ihm zufließen. Es war spürbar, daß etwas in ihm immer noch um dieses Wesen trauerte, trotz allem, was er inzwischen geworden war. Den toten Körper des Geschöpfes hatte er dem Feuer übergeben, ähnlich, wie wir es taten auf unserer Welt, wenn einer der Unseren wegen Krankheit Abschied genommen hatte ... „Ich bin nicht krank”, ließ ich ihn wissen und zeigte ihm über die Berührung, welche Arbeit wir getan hatten und was mein Anteil daran gewesen war. Sein Shaqarava aktivierte sich. „Wie widerlich ... zu fühlen wie ein Taelon ...” Er hätte mich beinahe losgelassen, aber Neugier überwog seinen Abscheu. „Und jetzt hast Du einen Rest Taelon in Dir?” „Nein, das nicht ...” Ich ließ ihn meine Erleichterung darüber fühlen. „Es ist mehr wie eine überdeutliche Erinnerung ... als wäre ein kleiner Teil meiner Energie in eine ähnliche Form gepreßt worden und müsse sich daraus erst wieder lösen ...” Wir hatten die medizinische Station erreicht, und unser Begleiter ließ mich los. Ich wurde mit drei verschiedenen Geräten gescannt, dann bekam ich eine Injektion in den rechten Flügel, der daraufhin taub wurde, so daß ich von der daran durchgeführten Gewebe- und Flüssigkeitsentnahme gar nichts spürte. Der Heiler ging mit allem, was er von meinem Körper genommen hatte, in einen anderen Raum, ohne irgend etwas dazu erklärt zu haben - spürbar in ihm war diffuse Besorgnis ebenso wie etwas wie berufliche Neugier ...Nach kurzer Zeit war das taube Gefühl abgeklungen, und eine Weile später war der Heiler wieder da, sichtlich zufrieden, gab mir einmal mehr einen Becher mit Flüssigkeit in die Flügelhände und legte mir eine warme Hand auf die Schulter. „Wir hatten uns hier auf der Station eine Menge Gedanken um Euch gemacht nach Eurer Arbeit mit der Zweiten, besonders um sie, um den auf dem Weg und um Dich ... Sie und er brauchen sehr viel mehr Ruhe, als sie sich gönnen, aber als ich Dich vorhin gesehen habe, noch schlimmer als unmittelbar nach dieser Arbeit, war ich mir sicher, was immer Du getan hast, es hat Dich wirklich krank gemacht ... Du hast Glück gehabt - die Taelon-Energie hat Dich genetisch unangetastet gelassen und hat Deinen Stoffwechsel nicht verändert - Du hast Schaden genommen, auf der Ebene Deiner Energie, und wenn Du diesen nicht behebst, kann Deine Physis sich nicht erholen. Ich habe etwas gefunden, was Dich unterstützt - dabei, Deine verlorene Substanz wiederzugewinnen ...” Er deutete auf das grünliche, trübe Getränk in dem Becher. „Das brauchst Du in jeder vierten Zeiteinheit - ich habe dafür gesorgt, daß Eure Nahrungsspendeeinheit darauf programmiert wird. Und Du mußt regelmäßig essen, egal, ob Du Hunger fühlst oder nicht - bitte die Deinen, Dich daran zu erinnern, solange Dir dieses Engramm dabei noch im Weg ist ...” Er hatte über den Kontakt von dieser seltsamen Prägung erfahren ... Er schaute mich von oben bis unten an. „Eigentlich dürftest Du jetzt für lange Zeit überhaupt nichts mehr tun, was Dich anstrengt - aber wenn ich eines im Zusammensein mit Euch gelernt habe, dann ist es, das es nichts nützt, genau das anzuordnen ... Was Deine Muskulatur wieder aufbaut, kennst Du zur Genüge; ich habe Dich mit den Zhawi üben sehen - mach' es so regelmäßig für Dich selbst, wie Du es mit ihnen getan hast ...” Ich nahm sehr dankbar die tiefe Sympathie wahr, die er inzwischen für uns vier empfand, und ließ ihm das und mein warmes Gefühl für ihn zufließen, mir mit einem Mal dessen bewußt, was ich für ihn tun könnte und jederzeit sofort tun würde, wenn er es wünschte - für ihn singen ... Er reagierte bewegt und etwas verwirrt und löste behutsam den Kontakt. „Trink das aus”, meinte er, „und dann laß' Dich zu den Deinen bringen - Du mußt essen und ausruhen ...” Er war in den Nebenraum verschwunden. Ich leerte das Trinkgefäß - der Inhalt war merkwürdig dickflüssig und schmeckte sehr süß ... Mein bewaffneter Begleiter führte mich zu unserer Unterkunft, ohne erneut Kontakt zu wollen, und ließ mich ein. Die Meinen waren zusammen auf dem Mitte-Lager und öffneten den Kreis, als ich eintrat; ich hockte mich dazu und wir gingen in Kontakt, um miteinander zu singen über das, was hinter uns lag ...
Der auf dem Weg hüllte mich in seine leuchtend weiße Energie. „Bitte vergib ... vergib mir, daß ich Dir das zumuten mußte ...” Ich fühlte zu ihm hin. „Ich habe nicht schwerer getragen als Du ...” Er hatte uns durch Zeit und Raum geführt, durch die schmerzvolle Geschichte seines geteilten Volkes, wissend, wieviel er selbst, als er noch Taelon war, zu all dem Schmerz beigetragen hatte, und das hatte ihn so viel Kraft gekostet wie mich das Bewohntsein durch die Taelon-Energie an physischer Substanz ... Die Vereinigung mit der Zweiten hatte die Schuld und Verzweiflung, die in ihm waren, als er diese Energie übernahm, in tiefe Trauer verwandelt, die sein Sein immer noch färbte ... Nein, ich hatte wirklich nicht schwerer getragen als er ... Ich schaute in seine dunklen Augen, und meine Wahrnehmung wurde plötzlich weit, als würden diesmal Raum und Zeit sich von selbst um uns öffnen ... Ich sah den aus den Feuern wieder so, wie ich ihn ursprünglich kennen gelernt hatte - als Taelon ... eingebunden in sein Gemeinwesen, eine Stimme in dem großen Gesang der Komplexschwingung ... dieser Gesang/die Gesamtheit der Seinen war ihm das Einzige, es gab nichts, das sonst von Wichtigkeit gewesen wäre, und alles, was diesem diente, war wichtig und wertvoll ... alles andere besaß keinerlei Wert, wurde nicht beachtet oder, wenn es Lästigkeit oder Gefahr zu werden drohte, aus dem Weg geräumt - aus dem Weg, der in die Vollkommenheit führte ... Er selbst hatte von dieser Vollkommenheit nur eine vage Vorstellung, obwohl sie das war, was er sich am meisten ersehnte ... diese Vorstellung war die eines ewigen Momentes transparenten, statischen Blaus in einer besonders hellen Schattierung, schwingend auf einem Ausschnitt aus dem unvorstellbaren Akkord, er selbst wie ein hauchdünner glitzernder Faden darin ausgestreckt, ohne Anfang, ohne Ende ... Allein aus dem Wunsch heraus, ganz und gar und für immer dem Gemeinwesen zugehörig zu sein, um durch es und mit ihm in die Vollkommenheit zu gelangen, hatte er alles getan, was dieses von ihm verlangte - alles. Und er hatte sich gut gefühlt dabei ... er handelte ja vollkommen richtig, im Einklang mit der riesigen Schwingung, die das Gemeinwesen der Taelons darstellte... Die merkwürdige Unstimmigkeit in diesem Bild fühlte ich so, wie ich damals den Mißklang in der Wand des Kreuzers wahrgenommen hatte. Die Komplexschwingung stellte das Gemeinwesen der Taelons dar ... Dieses Gemeinwesen, das seit der Vernichtung der Kimera um des Überdauerns der Individuen willen, die es formten, Zerstörung und Verzweiflung über die Galaxis gebracht hatte, die es bewohnte ... In der Komplexschwingung vereint waren die Taelons, seit der Stern gefallen war - das Gemeinwesen hatten sie selbst und aus eigenem Antrieb konstruiert, um das Shaqarava von sich fern zu halten ... die Komplexschwingung selbst hätte vielleicht gar nichts gegen dieses Geschenk einzuwenden gehabt ... Diese unvorstellbare Lebensform, in der es sich nach Wandel und Erneuerung sehnte, war doch viel mehr als das Gemeinwesen ... Sie hatte sich eines Teils der Atavi bedient, um sich zu wandeln, zu erneuern und zu wachsen. Die von ihr Gezeichneten hatten sich ihrer bedient - eines Teils ihres Selbstes - in rücksichtsloser Verblendung und waren zu Taelons geworden ... Wieviel Komplexschwingung waren die Taelons, und wieviel Taelon war die Komplexschwingung? Mir wurde schwindelig beim Anblick dieses vielschichtig Verwobenen, und ich konzentrierte mich wieder auf den auf dem Weg. Das hier war wichtig, wichtig für ihn ... Die Gesangshüterin derer im Dunklen und der Hüter der Gesänge der Tiefen, die Zwischenlider geöffnet, waren da mit ihren Energien, stützend. Meine Reflexe hatten längst auf die Trauer in ihm reagiert, und meine Energie strömte ihm zu aus geöffneten Reserven ... Das nächste Bild war präsent, der Taelon, der der auf dem Weg gewesen war, und der mit ihm zusammen Eingeteilte in ihrem Shuttle, im Angriffsflug auf unsere Welt - unsere Welt, die eine Zufallsentdeckung für das Taelon-Mutterschiff gewesen war, dessen Besatzung uns heimgesucht hatte ... ein Zufallsfund, wie es die Welt der Elarian gewesen war, nur, daß wir uns nicht derart effektiv hatten wehren können ... sie hätten uns niemals selbst angegriffen, wäre ihr Schiff nicht das einzige in unserem Sektor gewesen und hätte T'than nicht geglaubt, wir wären vollkommen hilflos ... Der, der später für das Feuervolk sprechen würde, steuerte das Shuttle aus der Interdimension - mitten in die Finsternis eines Orkans, der das zerbrechliche Wesen packte, herumwirbelte und in die Krone eines unserer Wohnbäume schleuderte, deren Äste es trotz verzweifelter Befreiungsversuche nicht mehr hergaben. Und kurze Zeit später kamen wir ... Er hatte sich so sehr gefürchtet ... und als klar war, daß niemand von uns ihn oder seinen Stammesgenossen berühren würde, wieder zu hoffen gewagt ... zu hoffen, daß er zu den Seinen zurück kehren könne ... die beiden Taelons hatten fast alle Zeit, in der sie im Sturm in dem Ph'taal festhingen, in Konzentration auf das Gemeinwesen verbracht, innerhalb dessen die Synode beriet, was mit den über unserer Welt Abgestürzten zu geschehen habe ...die Synode, die, wie ich erst jetzt verstand, weit mehr Taelons umfaßte, als ich damals im Kontakt damit hatte wahrnehmen können ... Der Taelon, der er gewesen war, starb in dem Moment, als Zo'or seine Verbindung zum Gemeinwesen durchschlug. Das, was seine Persönlichkeit ausgemacht hatte, seine Individualität, sein ganz besonderes Sein, sein ganz besonderes Sehnen wurde aus dem Ganzen der Taelons getilgt und ging verloren in dem Abgrund aus Leere, der das einzige war, was in ihm übrig blieb ... Atavus. Die verkörperte absolute Einsamkeit und Verzweiflung. Der personifizierte Hunger ... Der winzige Funke eines vagen Ansatzes von Bewußtheit, aus dem mehr nicht werden konnte, so lange nur wir es waren, die sich ihm zuwandten und ihn mit Energie versorgten ... Und dann kamen die Jaridians. Die einzigen, die ihm geben konnten, wonach er - sein ganzes Leben lang - gehungert hatte, wonach jeder Taelon hungerte, auch wenn er es fortschob und längst nicht mehr wahrnahm, so, wie ich meinen Hunger fortgeschoben hatte und nicht fühlen wollte: seine Wurzeln. Sie hatten ihn und die Seinen ganz gemacht. Vollständig. Ungeteilt. Eins. Die Ordnung, die ich durch den aus den Feuern erstmals in einem viel größeren Zusammenhang hatte wahrnehmen können, als sie mir bis dahin bewußt war, hatte ihm und den Seinen, dem Vierten Volk auf unserer Welt, längst vergeben, daß sie sich als Taelons von ihr abgewandt hatten ... Ich sah den auf dem Weg wieder an den Feuern des Inneren derer, die uns trug, aufrecht, gesammelt und konzentriert, in tiefem Kontakt mit ihr. Keine Trauer war mehr in ihm, nur Annehmen ... Annehmen und Offenheit für das, was er und die Seinen lernten über ihre Aufgabe für das Ganze - über den Weg ... Ein Kreis, in dessen Mitte sich zwei Linien kreuzten, deren Enden in den Kreis übergingen ... Das Zeichen, das das Vierte Volk für sich gefunden hatte, schien auf dem Arm dessen aus den Feuern zu glühen, und dann standen die vier Teile, die die Linien aus dem Inneren des Kreises formten, plötzlich in farbigen Flammen. Der auf dem Weg war genau so erschrocken wie wir anderen. Hitze ging von den Flammen aus, aber kein Schmerz ... weiß, blau, grün und weiß mit Goldfunken durchsetzt ... vier Farbschattierungen ... vier Völker ... Atavi, Taelons, Jaridians - und wieder Atavi, aber verwandelt, ergänzt ... würden Taelons und Jaridians sich wirklich vereinen, dann wäre das Erste Volk, die ursprünglichen Atavi, auch das vierte - das, was sie einmal waren, und viel, viel mehr ... Das Vierte Volk auf unserer Welt war das erste - in dem, was erschien wie ein Zyklus, den diese Rasse offenbar durchlief. Fänden Taelons und Jaridians zusammen, wäre der Kreis geschlossen - das Erste Volk wäre das vierte ... Blau und Grün, Komplexschwingung und Shaqarava, Formhalten und Bewegung, Bewahren und Erneuern ... Die Komplexschwingung als solche hätte ihr ursprüngliches Sein darin vollkommen gewandelt, vielleicht sogar - zugunsten von etwas ganz Neuem, das sich verlockend und vielversprechend anfühlte wie nichts zuvor - ganz aufgegeben ... Dieses neue, Erste/Vierte Volk wäre die Heilung für alle Verletzung, die der galaxisweite Krieg zwischen Taelons und Jaridians dem Ganzen zugefügt hatte, und viel mehr ... Der Weg ... der Weg des Vierten Volkes ... In dem aus den Feuern war nur noch Offenheit spürbar ... und Hoffnung ... Hoffnung für die, die seine genetischen Nachfahren waren ... Neben diesem weißgoldenen Strang tauchte ein anderer auf, schwarzbraun und vibrierend, der sich um ihn zu winden begann. Ich berührte diesen neuen Faden behutsam mit meinen Gedanken und begann sein Frequenzband mit zu summen, einen eindringlichen, bohrenden Klang, der sich in meine Knochen wob und mein Herz plötzlich sehr schnell schlagen ließ ... Furcht. Furcht, es könne mißlingen ...
Furcht, Jaridians und Taelons fänden den Weg nicht ... den Weg zueinander ... In dem aus den Feuern wurde aus dem dünnen, vibrierenden Energiefaden ein Rinnsal und plötzlich ein Strom. Wenn es nicht gelänge ... Der auf dem Weg krümmte sich zusammen, und wir übrigen nahmen ihn in die Mitte und hielten ihn zu dritt, hielten ihn und einander, ihn in ein festes Netz aus unseren Energien webend ... Das Zeichen auf seinem linken Oberarm flammte erneut auf, aber dieses Mal hatte sich die Anordnung der Farben verschoben: weiß, blau und grün, schwarz und wieder weiß in je einem Viertel des Kreises ... ich fühlte in die Klänge und Energien der Farben, sie mit summend ... Atavi ... Taelons und Jaridians, die Getrennten ...schwarz? Wofür stand ... ein Atavus mit wirrem Kopfpelz, gekleidet in die Farben des tiefen Raumes ... die des Dritten Weges ...und erneut Atavus ... Und ein Teil der Furcht klang ab. Das Vierte Volk auf unserer Welt war das erste im Zyklus dieser Rasse - und würde darin auch dann das vierte sein, wenn die Getrennten nicht zusammen fänden, sondern einander auslöschten ... Und der Weg der Heilung für das Ganze wäre dann der Weg des Ersten Volkes - das zu werden, was es geworden wäre, hätte es Zeichen und Vorzeichen nicht gegeben ... Das, was Taelons und Jaridians einmal gewesen waren, würde dem Ganzen nicht verloren gehen. Das Vierte Volk hatte den Weg des Ersten Volkes bereits von vorn begonnen. Weiß, blau, grün, weiß ... weiß, blau und grün, schwarz, weiß ...Atavus, Taelons, Jaridians, Atavus ... Atavus, die Getrennten, die des Dritten Weges, Atavus ... Keine Furcht mehr. Der aus den Feuern richtete sich auf und hüllte uns in seine Energie, und das leuchtende Weiß überstrahlte alle anderen Farben. Wärme war in ihm und Entschlossenheit. Entschlossenheit, den Weg für die Seinen zu gehen - für das Ganze ... Unsere Energien waren um ihn, unterstützend. „Wir gehen dieses Stück Weg gemeinsam ... wir sind da, wenn Du uns brauchst ...” Wir vier wünschten uns so sehr, daß die Getrennten zusammenfänden ...Etwas Neues, Heilsames für das Ganze ... das dafür gesorgt hatte, daß das, was die Getrennten einmal waren, ihm nicht verloren ging.
Als sich eine Zeit später mein Inneres schmerzhaft zusammenzog, um dann zu hohler Leere zu werden, löste ich mich vorsichtig aus unserem Kontakt und kam mit Nahrung und Wasser für uns alle zurück in den Kreis. Hunger war etwas, das unter anderem dafür sorgte, daß ein Wesen bekam, was es vollständig machte. ...
Wir teilten beides, ich holte getrocknete Ph'taalfrüchte dazu, und irgendwann gab die Nahrungsspendeeinheit ein durchdringendes Geräusch von sich, das erst verstummte, als ich den Becher mit dem grünen Getränk heraus genommen hatte ... jede vierte Zeiteinheit ... Von dem Alarm würden in der Dunkelphase jedes Mal alle wach werden, also untersuchte ich das Ausgabegerät nach einer Vorrichtung, mit der sich dieser Ton abstellen ließ. Es gab einen entsprechenden Knopf, und ich drückte darauf, worauf hin dieser rot zu blinken begann - das würde nicht weiter stören ... Mit dem Trinkgefäß kehrte ich in den Kontakt zurück. Der auf dem Weg - der Name, den sich sein Volk gegeben hatte in einer Fähigkeit des Vorausschauens, über die auf unserer Welt sonst nur die aus den Tiefen verfügten, ließ mich jetzt erst recht tiefen Respekt empfinden - war in Gedanken bei denen, die hervorgegangen waren aus dem, was er war - Taelons und Jaridians. Was war nötig, daß die Getrennten wieder zusammenfinden konnten? In mir klang die Stimme des Verwalters nach, während ich den Becher leer trank ... „Es stellt sich die Frage: Wer erzählt das den Taelons? Und zwar so, daß es überzeugt?” Und seine Energie war durch die Erinnerung im Kreis - festes Grau um einen hellroten pulsierenden Kern ... Ich stellte den Becher beiseite und berührte das Hellrote sehr vorsichtig mit einer Krallenspitze. Weiß-violettes Aufflammen versengte beinahe meinen Flügel - Zorn, sein heftiger Zorn, der in der letzten Beratung schon so deutlich spürbar gewesen war, die meiste Zeit mühsam gebändigt durch die massive innere Disziplin, die er aufrecht erhielt, um die ihm anvertrauten Aufgaben zu bewältigen, um der Verantwortung gerecht zu werden, die er für die Seinen trug ... Ihm unterstand unter anderem die gesamte Waffenproduktion des Imperiums ... Er tat seine Arbeit, die Jaridia stärkte und die Taelons schwächte; er trug in seinem Bereich nach Kräften zur Vernichtung seiner Feinde bei und befand dies für absolut richtig. In seiner Wahrnehmung waren die Taelons und ihre Verbündeten eine Plage, die es auszurotten galt - und das, was wir gemeinsam gefunden hatten, war ihm nach wie vor zutiefst suspekt. „Wer erzählt das den Taelons - und zwar so, daß es überzeugt?” Obwohl er dabei gewesen war, obwohl er mit allen Sinnen geteilt hatte, was geschehen war, hatte er in seinem Inneren, da, wo es hellrot und weiß-violett glomm, eine andere Frage gestellt: „Wer erzählt das alles noch einmal mir - und zwar so, daß es mich überzeugt?” Was brauchte der Verwalter, um sich eigene Berührung mit Taelon-Energie überhaupt vorstellen zu können - um akzeptieren zu können, daß diese Energie eine der Seinen geheilt hatte? Geheilt von dem, was durch die Taelons über die Jaridians gekommen war ... Über die Zweite und ihren Gefährten mit den freundlichen Augen, über den Heiler und den Navigator, über die junge Gefährtin des Verwalters und deren Nachwuchs ... Wir waren in tiefem Kontakt und teilten den Eindruck der erschöpft und verbraucht wirkenden jungen Jaridian, der alles Verlangen des Verwalters zugewandt war. So, wie es aussah, würde er sie überleben, trotz des großen Altersabstandes zwischen ihm und ihr ... Im Laufe all der Zeit, die vergangen war, war in Vergessenheit geraten, wie genau es zu der Stoffwechselveränderung der Jaridians gekommen war, aber im Bewußtsein aller war präsent, daß die Taelons in irgendeiner Form die Schuld daran trugen - auch im Bewußtsein des Verwalters - und das war es, was seinen Zorn schürte. Er wünschte seine Feinde zu vernichten, weil diese dabei waren, die zu zerstören, die ihn durch ihrer beider besondere Verbindung ganz erfüllte ... Würde es seinen Haß lindern, wäre sie geheilt? Siebenstimmiger Gesang, eine Stimme für das Komplexschwingungsbruchstück, sechs für den Strang, der für dessen Weitergabe und Aktivierung verantwortlich war ... Frequenz und Gegenfrequenz ... Ich hatte bereits mit allen Stimmbandpaaren zu summen begonnen, mit dem obersten horizontalen die Gegenfrequenz des Bruchstücks, mit den anderen sechs die des Stranges. Es war die gleiche Konzentration notwendig wie für die Zerstörung eines CVIs. Jeder von uns Gesangshütenden könnte das jeweils allein für jemanden tun, gemeinsam wäre es allerdings weniger anstrengend und wahrscheinlich auch angenehmer für den- oder diejenige, für die es getan würde ... Würde die Gefährtin des Verwalters überhaupt von dem, was sie innerlich ausbrennen ließ, geheilt werden wollen? Sie würde den Zugewinn an Kraft, Schnelligkeit und Sinnesschärfe aufgeben, den ihr ihr sich ständig steigernder Metabolismus verschaffte ... aber sie würde Zeit gewinnen dadurch ... Zeit. Hatte nicht der Anführer gesagt, der Krieg, den er und die Seinen führten, sei auch ein Krieg gegen die Zeit? Jetzt summten wir alle vier, sogar der aus den Feuern hatte mit seinem Stimmbandpaar eine der Gegenfrequenzen des Stranges übernommen. Dieses Lied war wohltuend, es sorgte dafür, daß man sich lebendig und ruhig und klar zugleich fühlte ... Es vibrierte in meinem Inneren und aktivierte meine Energie, und jetzt, wo wir es zu viert sangen, kam es mir plötzlich vertraut vor, so, als kenne ich es längst, als habe ich es vor langer Zeit bereits gesungen und es habe auch damals schon geheilt ... Es schwang in einem Vierer-Rhythmus, dessen jeweils ersten Takt ich, ohne es bewußt zu tun, mit den Fußkrallen zu betonen begonnen hatte, und als der auf dem Weg, neben dem ich hockte, ihn mit den Fingerspitzen auf meinem linken Flügel unterstrich, erkannte ich wieder, was wir da sangen - das war ein Ausschnitt aus dem ersten Lied des Rathaltens über unseren Weg für das Ganze, ein Ausschnitt, der den statischen Kreis der Komplexschwingung öffnen geholfen hatte ... Zeit. Wir waren in der Lage, den Jaridians Zeit zu verschaffen - wenn sie es wünschten - wie wir es bereits in Ansätzen gesehen und mit ihnen beraten hatten. Der Gesangshüter derer aus den Tiefen öffnete die Zwischenlider, und weitere Eindrücke woben sich von selbst in unseren Gesang: der Gefährte der Zweiten hier in unserem Kreis, gehalten von der aus dem Dunklen, dem aus den Tiefen und mir ... der Feuervolk-Angehörige, beide Hände der Gefährtin des Verwalters in die seinen genommen, und sie hörte ihm zu, während er von gewonnener Zeit erzählte und gesunden Nachkommen ... und von dem, was er mit der Zweiten geteilt hatte, von leuchtender Energie und der Ekstase des Vollständigseins ... sie, den Verwalter in die Arme schließend, strahlend: „Stell' Dir vor, so viele Umlaufzyklen mehr ... die Heiler haben es bestätigt ...” Dann war plötzlich ein Bild unseres Planeten in der Berührung, aus dem All gesehen - auf dem Hauptbildschirm auf der Brücke eines Sokhara-Kreuzers. „Werden denn für so viele von uns genügend der Ihren zur Verfügung stehen?” fragte einer der beiden Jaridians, die Brückenwache hatten, skeptisch. „Selbstverständlich ... ich glaube, sie haben dieses Lied, mit dem sie heilen, inzwischen sogar ihrem Planeten selbst beigebracht ... Du wirst sehen, das hier ist besser als das Meiste, was Du bisher erlebt hast, sie machen ein richtiges Fest daraus - und schau' mich an, ich habe es hinter mir, und es hat mir nicht geschadet - im Gegenteil ...” Sein Stammesangehöriger blieb bedrückt. „Ich habe keine Angst davor - aufzumuntern brauchst Du mich nicht ... Ich habe nicht von uns hier auf dem Schiff gesprochen mit der Frage, ob sie da unten genug sind. Ich meinte das Imperium ... Du weißt, wie viele wir sind, und wie schnell wir immer noch wachsen ...” Jetzt wurde auch der andere Jaridian ernst. „Du und ich und die gesamte Besatzung hier, wir sind privilegiert ... Diese seltsame kleine Welt da unten tut für uns, was sie kann, und sie weiß - und wir wissen - das hier ist nur eine winzige Chance ... und dazu noch eine, vor der die meisten von uns immer noch zurückschrecken ... aber auf jeden Fall unsere einzige, vielleicht in irgendeiner Form ohne die Taelons zu überleben, für den Fall, daß es keine gemeinsame Lösung mit ihnen gibt ...” Durch die langsam verblassenden Eindrücke hindurch schauten wir einander an. Zeit ... wir konnten den Jaridians vielleicht Zeit verschaffen ... etwas, das helfen würde, zu überzeugen ... wenn jemand wie der Verwalter spüren konnte, wie wichtig uns ihr Überleben war ... Der aus den Feuern begann, sich sanft aus dem Kontakt zu lösen. Um uns wechselte die Beleuchtung ins Rötliche - die Hellphase neigte sich dem Ende zu. „Ich finde die Gefährtin des Verwalters und spreche mit ihr”, sagte er. Der Gesangshüter derer aus den Wassern lächelte und schloß die Zwischenlider über seinen empfindlichen Augen. Wir öffneten den Kreis, und er begab sich in seinen Teil der Unterkunft, während der auf dem Weg uns verließ. Die Erdvolk-Gesangshüterin streckte sich auf dem Mitte-Lager aus und war in wenigen Augenblicken eingeschlafen. Ich war zu unruhig, um das Bedürfnis nach Schlaf zu haben, in mir vibrierte das Lied, das wir später vielleicht schon für eine hochrangige Jaridian singen würden, also stieg ich vom Lager herunter ... am liebsten wäre ich jetzt zu einem langen Flug aufgebrochen, aber das kam ja nicht in Frage ... statt dessen begann ich mit den Übungen für das Wiedergewinnen von Kraft und erschrak, als mir klar wurde, wieviel davon ich verloren hatte - ich war nicht einmal mehr in der Lage, meinen Körper, mit beiden Flügelhänden gegen die Wand gestützt, von dieser weg zu drücken ... Ich war mit einer der ersten Bewegungen beschäftigt, die ich mit den Zhawi auf dem Kreuzer geübt hatte - gleichseitiges Anspannen der großen Flugmuskeln vorn über den Rippen durch Gegeneinanderdrücken der vor der Brust zusammengelegten Flügelhände - als der auf dem Weg wieder da war, Zuversicht ausstrahlend. Er nahm mich bei den Schultern. „Sie hat mir zugehört”, ließ er mich wissen. „Sie will Kontakt mit uns allen, am liebsten zusammen mit der Zweiten ... und wenn diese einverstanden ist, wären beide bei uns zwei Zeiteinheiten vor Beginn der nächsten Beratung ...” Das klang gut - wenn es gelänge, für die Gefährtin des Verwalters etwas zu tun, wäre das vielleicht auch für ihn Hilfe ... Die Nahrungsspendeeinheit in der Wand produzierte mit einem leisen Geräusch und besonders hellem Blinken des abgestellten Alarmknopfes einen weiteren Becher Medizin. Der auf dem Weg löste sich aus der Berührung, holte ihn und gab ihn mir in die Flügelhand. „Ausruhen würde jetzt wirklich einen Sinn machen”, meinte er sanft. Ich leerte den Becher, und zusammen fanden wir auf dem Mitte-Lager Platz neben der aus dem Dunklen, die Trennwand zur Unterkunft des Wasser-Gesangshüters berührend. Ich begann leise, nur mit den vertikalen Stimmbändern und den Resonanzsehnen, Loslassen zu singen, Loslassen, Wärme und Ruhe ... und nahm im Einschlafen noch wahr, wie dem aus den Feuern die Augen zu fielen ...
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