Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Weihnachtshoffnung” von Veria   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Entstehung: 2003
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Mehan unterstützt einen Alkoholkranken beim Neuanfang. (siehe auch Tris Fazhan Pazh)
Zeitpunkt:  nach „Message in a Bottle/Kosmische Flaschenpost”, Mehan ist schon fast ein Jahr auf der Erde
Charaktere:  Mehan, Archibald, (Major Kincaid, Colonel Kincaid, Augur, Lili)
 
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Adventskalenders 2003 geschrieben.
 

 

WEIHNACHTSHOFFNUNG

 

Von allen Seiten klingelte und bimmelte es und Mehan zwängte sich zwischen einem Weihnachtsmann und einem Maroniverkäufer durch. Sie stimmte Lili in ihrer Meinung zu, dass Weihnachten an sich eine schöne Feier war, die aber inzwischen sehr kommerzialisiert war.
Aber Mehan liess sich nicht stören und betrat den kleinen Gewürzladen, sie brauchte noch einige Zutaten. Dieser Laden fiel völlig aus dem Rahmen, der Weihnachtsschmuck war hier nur dezent angebracht, und Mehan war sich sicher, dass jedes Schmuckstück einzeln vom Besitzer ausgewählt worden war. Vielleicht hatten die kleinen Dinge auch einmal einen Platz am Familienchristbaum des Besitzers gehabt.
„Was kann ich für Sie tun, Miss?” fragte der Besitzer fröhlich. Mehan kannte ihn schon, sie war schon öfter in diesem Laden gewesen.
„Ich brauche Koriander, Zimt, Nelken, Mohn, Kurkuma, rote Zwiebeln, Melisse und Kardamon!” antwortete Mehan: „Und vielleicht haben Sie noch etwas, was der Mischung etwas mehr Schärfe verleihen könnte? Ich habe es mit schwarzem Pfeffer versucht, aber das ist noch nicht das Wahre!” Der Besitzer runzelte die Stirn und sah Mehan verwundert an.
„Ich kann mir diese Mischung ehrlich gesagt nur als katastrophal vorstellen!” murmelte er kopfschüttelnd: „Aber ich kann Ihnen schon einige scharfe Gewürze vorschlagen!” Er öffnete eine Schublade und holte einige Säckchen heraus. „Piment ist nicht so scharf wie Pfeffer, hier habe ich noch weissen Senf, das hier ist Kren und da noch türkischen Chili!” Mehan probierte von allem.
„Der weisse Senf könnte funktionieren!” murmelte sie: „Ich werde es versuchen!” Der Besitzer suchte die anderen gewünschten Gewürze aus verschiedenen Laden heraus und nahm dann das Geld entgegen. Schliesslich verliess Mehan das Geschäft wieder, ihre Einkaufstasche duftend, aber es gab noch mehr einzukaufen.
Wieder schob sich Mehan zwischen Weihnachtsmann und Maroniverkäufer durch und blickte den Weissbärtigen so durchdringend an, dass ihm sein „Ho Ho Ho” im Hals stecken blieb. Sie hatte sich über den Hintergrund dieser Feier genau informiert, und der Weihnachtsmann gehörte nicht zu Weihnachten. Santa Claus, der heilige Nikolaus, war ein Bischof gewesen, der nun jedes Jahr am 6. Dezember geehrt wurde.
Mehan liess sich die wenigen Schritte ins riesige Kaufhaus einfach von der Menge treiben, aber schliesslich ging sie wieder ihre eigenen Wege und steuerte auf den Elektronikfachmarkt zu. Sie blieb grinsend neben zwei blauhaarigen Teenagern stehen, die sich darüber unterhielten, ob man einen Prozessorkühler auch per Druckerkabel anschliessen konnte. Schliesslich kam ein Verkäufer dazu und erklärte, dass es sogar übers Internet ginge. Mehan stapfte leise kichernd davon und suchte die MultiData-Brenner.
Schon nach wenigen Minuten hatte sie das beste Angebot herausgefischt und ging zur Kasse. Auf dem Weg dorthin duckte sie sich hinter einem Regal, denn sie wollte nicht von Augur gesehen werden. Was machte Augur eigentlich in so einem Geschäft? Mehan hatte gedacht, er würde seine Hardware über ganz andere Kanäle beziehen.
Mehan wurde für den MultiData-Brenner ordentlich zur Kasse gebeten, diese Dinge waren ganz neue Technologie und enthielten dabei keine Spur von Taelon-Technologie, was Mehan sehr erfreute. Die Menschen waren nicht von den Taelons abhängig geworden.
Zufrieden marschierte Mehan aus dem Gebäude und rannte sofort los, als sie sah, dass der Bus gerade ankam. Es war kein Problem für sie, den Bus noch zu erreichen, sie sprang durch die vorderste Türe und hielt dem Busfahrer ihre Halbjahreskarte vor die Nase.
Diesmal fuhr Mehan aus dem Stadtzentrum hinaus zu jener Lagerhalle, in der sie vor fast einem Jahr Colonel Kincaid gefangen gehalten hatte. Sie hatte diese Lagerhalle gemietet, wenn auch über eine ihr gehörende Briefkastenfirma. Sie betrat mit Hilfe ihrer Codekarte den gut gesicherten Keller, sofort schlossen sich vor und hinter ihr die Türen. Mehan stellte nacheinander ihre Tarnung auf Augurs, Lilis, Bettis' und Sandovals DNS ein, worauf die innere Türe sich wieder öffnete. Mehan stellte die DNS-Tarnung wieder auf Cornelia Fleming ein, so wie es immer war.
Ungestört kochte, mischte und probierte Mehan fast vier Stunden an ihrer Gewürzmischung herum, während der MultiData-Brenner fünf Terabyte an Daten auf eine MultiData-Disc brannte. Das würde ein passendes Geschenk für Augur werden.
Lili hatte vor einiger Zeit einige Bemerkungen fallengelassen, dass man zu Weihnachten Verwandten, Freunden und Kollegen etwas schenkte, und Mehan hatte sich dann auf die Suche gemacht. Für Lili hatte Mehan einen weit ausgeschnittenen, dunkelroten Pullover mit drei weissen Strichen von oben nach unten gekauft. Colonel Kincaid würde eine Flasche Edelschnaps erhalten, überhaupt hatte sich Schnaps zu ihrer gegenseitigen Neckerei entwickelt, weiters würde Mehan ihm eine kleine Spritztour mit dem Jaridianschiff anbieten.
Was Sandoval und andere in der Botschaft beschäftigte betraf, würde Mehan sie alle wahrscheinlich mit Keksen versorgen, persönlichere Dinge konnte und wollte sie sich da nicht überlegen. Ausserdem glaubte sie nicht, dass Derartiges wirklich üblich war.
Da'an irgendetwas zu schenken hatte Mehan möglichst schnell wieder vergessen. Er war so sehr distanziert von der menschlichen Gesellschaft, dass es nur unpassend, wenn nicht sogar verdächtig wirken konnte.
Als Mehan schliesslich der Meinung war, ihre Gewürzmischung wäre perfekt, verteilte sie die braune Paste in mehrere sechseckige Kunststoffgefässe, von denen sie eines in grünes Geschenkpapier einwickelte und mit einem goldenen Geschenkband verknotete. Der Major würde sich bestimmt darüber freuen.
Gerade zur rechten Zeit war sie in der Küche fertig geworden, denn der Computer machte mit einem lauten, durchdringenden Piepen auf sich aufmerksam. Der Brennvorgang war beendet und fünf DOS-Versionen, acht Windows-Versionen, elf Mac-Betriebssysteme, zwei Solaris-Versionen, 23 Linux-Versionen von 7 verschiedenen Distributoren und noch diverse weniger berühmte Betriebssysteme auf einem 5 Terabyte fassenden Speichermedium verewigt, dabei natürlich auch Augurs eigenes selbst programmiertes Betriebssystem. Mehan konnte Augurs breit grinsendes Gesicht schon fast vor sich sehen, ja, das würde ihm wirklich gefallen.
Mit einem weiteren Piepston machte nun das Global auf sich aufmerksam. Mehan nahm es und liess es aufschnappen. Sandovals Gesicht erschien auf dem Display.
„Ja, Agent Sandoval?” sagte Mehan.
„Begeben Sie sich umgebend in die Botschaft, wir haben ein Sicherheitsproblem!” sagte Sandoval. Mehan bestätigte und schob ihr Global wieder zu. Sie nutzte diese Gelegenheit, die vorbereiteten Geschenke in ihre Wohnung zu bringen, das Sicherheitsproblem war auch nicht unlösbar, und drei Stunden später betrat sie wieder die Lagerhalle.
Irritiert blieb Mehan stehen. Die Kisten standen nicht mehr gleich hier, wie zuvor. Sofort verliess sie die Lagerhalle wieder, verbarg sich hinter einem Stapel Aluminiumleisten vor fremden Blicken, fuhr mit ihrem Shaqarava über ihre Tarnmodule und machte sich so unsichtbar. Dann betrat sie die Lagerhalle wieder.
Leise ging sie um die verdächtigen Kisten herum, ihre Arme etwas gehoben, falls jemand sie angreifen würde. Sie fand nichts Verdächtiges. Der Mann, der dort auf einer Kiste sass, hatte zwei Kisten Bier neben sich stehen, eine davon nur mehr halb voll. Die geleerten Flaschen lagen, zu Scherben zersprungen, vor ihm am Boden. Eine halb volle Flasche hielt der Mann in der Hand.
Mehan hakte ihr Sensorgerät vom Gürtel und richtete es auf den Alkoholiker. Laut den Daten, die das Gerät übermittelte, hatte er fast 4 Promille Blutalkohol. Seiner Leber nach zu urteilen, war das auch nicht erst seit kurzem so. Mehan ging wieder aus seinem Blickfeld und stellte ihre Tarnung wieder auf die normale menschliche Gestalt um. Sie kam um die Ecke, als wäre sie gerade erst angekommen.
„Was tun Sie hier?” fragte Mehan. Der Alkoholiker blickte auf und sah sie trüb aber eindeutig missbilligend an.
„Weg!” knurrte er.
„Nein, ich werde hier bleiben, bis Sie mir gesagt haben, was Sie hier tun!” beharrte Mehan.
„Värscheckn!” brummte er.
„Vor wem verstecken Sie sich?” fragte Mehan. Der Mann wedelte undeutlich mit seiner Hand herum und nahm einen grossen Schluck Bier. „Wieviel Bier haben Sie heute schon getrunken?” fragte Mehan ernst. Der Mann zuckte mit den Schultern, ohne die Flasche abzusetzen. Mehan trat zu ihm und nahm ihm vorsichtig, aber bestimmt, die Flasche aus der Hand. Er wehrte sich nicht, nahm aber sogleich eine neue Flasche aus der Kiste. Mehan fasste ihn an den Handgelenken.
„Warum trinken Sie?” fragte sie: „Ihr Blutalkohol ist der tödlichen Konzentration schon sehr nahe! Ist Ihr Leben so fürchterlich, dass Sie es nicht mehr haben wollen?”
„Koffweh!” sagte der Mann: „Scholl wech!” Er schüttelte sich und wollte nach einer Flasche greifen, aber Mehan hielt ihn fest.
Kümmerte sich denn keiner um ihn? Mehan musste sich eingestehen, dass sie über die Menschen und die Erde immer noch sehr wenig wusste. Auf Jaridia wurde kein Süchtiger seinem Schicksal überlassen, jeder einzelne war wichtig für Jaridia. Mehan war überzeugt, dass dies auf der Erde ebenso sein müsste.
Versteckte er sich also vor jenen, die ihm helfen wollten?
„Vor wem verstecken Sie sich?” fragte Mehan erneut.
„Polschei!” brummte der Mann.
„Weshalb verstecken Sie sich vor der Polizei?” fragte Mehan.
„Irrnhausch!” sagte der Mann und schüttelte sich wieder, er hatte Angst. Mehan biss sich auf die Lippe.
„Ich weiss einen Ort, wo Sie sich verstecken können!” sagte sie: „Dort gebe ich Ihnen auch etwas gegen die Kopfschmerzen!” Der Mann schüttelte panisch den Kopf.
„Nich in Irrnhausch!” kreischte er und schlug um sich. Mehan packte ihn an den Schultern, zog ihn hoch und stellte ihm ein Bein, dass er nun mit dem Rücken auf dem Boden aufkam. Sie hatte aber natürlich dafür Sorge getragen, dass er nicht auf Scherben zu liegen kam.
„Ich bringe Sie zu mir!” rief sie etwas lauter: „Sie bekommen nur etwas gegen Ihre Kopfschmerzen!” Der Betrunkene hatte die Aufregung durch Mehans kleinen Kampfgriff wohl nicht mehr verkraftet, er schnarchte vor sich hin.
Mehan hievte ihn sich auf die Schulter und betrat ihren gut gesicherten Keller. Die DNS-Authentifizierungssequenz war nun etwas komplizierter, da sie nicht alleine war, aber schliesslich hatte sie den schlafenden Mann auf ihre grellgelbe Couch verfrachtet.
Schnell sammelte sie alle notwendigen Dinge zusammen und stellte schliesslich ein Glas Wasser und ein Mikrowellenfertiggericht auf den niedrigen Holztisch, dazu legte sie auch eine Kopfschmerztablette und eine Tafel Schokolade.
Die Zeit, bis ihr Schützling wieder aufwachte, verbrachte Mehan mit dem, was sie selbst als Reaktionstraining bezeichnete, sie spielte Star-Wars-Racer.
Schliesslich setzte sich der Alkoholiker auf und verlangte sofort nach einem Bier. Mehan verneinte und liess die Kopfschmerztablette ins Wasserglas fallen.
„Trinken Sie das, es hilft gegen die Kopfschmerzen!” sagte sie. Er sah sich kurz um und trank dann ohne Widerworte das Glas leer. „Wieso haben Sie Alkohol zu trinken begonnen?” fragte Mehan dann. Sie erhielt keine Antwort, denn ihr Schützling machte sich nun mit Heisshunger über das Fertiggericht und die Schokolade her und blickte erst wieder auf, als er die letzten Krümel verputzt hatte. Nun wiederholte Mehan ihre Frage.
„Warum haben Sie begonnen zu trinken?” sagte sie, ebenso ruhig wie zuvor. Sie wusste, sie konnte ihm nur helfen, wenn sie ihn für voll nahm und, was besonders wichtig war, ihn das auch wissen liess.
„Job weg!” knirschte der Mann und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.
„Was haben Sie denn gearbeitet?” fragte Mehan.
„Polschischt!” brummte der Mann.
„Weshalb haben Sie Ihren Job denn verloren?” fragte Mehan. Nun hatte sie wohl einen wunden Punkt getroffen, ihr Schützling starrte sie wütend an.
„Wasch geht Schie dasch denn an?” knurrte er. Mehan lächelte und wechselte das Thema.
„Ich heisse Megan!” sagte sie: „Wie heissen Sie?”
„Archibald!” antwortete er.
„Haben Sie denn danach keinen anderen Job mehr gefunden?” fragte Mehan. Archibald schüttelte den Kopf.
„Wollten mich nich, die verdammten Glatschen!” brummte er. Mehan knabberte überrascht an ihrer Oberlippe. Sie mochte es nicht, wenn verallgemeinert wurde. Es waren ja nicht alle Menschen mit Glatzen so verdammt, wie Archibald es sagte. Ausserdem ... hatte er nur bei Menschen mit Glatzen einen Job gesucht?
„Erzählen Sie doch, was vorgefallen ist!” schlug Mehan vor: „Vielleicht finde ich einen passenden Job für Sie!” Archibald sah auf seine Zehenspitzen.
„Ich weisch, Alkohol isch schlescht für mich! Aber esch isch scho schwer ...” Er seufzte. „Vor fasch schwei Jahrn isch die Stelle frei worden un ich wollt schie ham! Aber die ham mich nich genommen!” erzählte er: „Lieber den annern, King oder scho, ein Milchbubi aber, so'n Scheisch!” Mehan seufzte nun ebenfalls.
„War Ihnen diese eine Stelle so wichtig, dass Sie keine andere haben wollten? Vielleicht hätte es ja vergleichbare Stellen gegeben?” fragte sie. Archibald starrte sie durchdringend an.
„Nein!” rief er: „Gibt nisch Vergleichbares! Für die wär ich dursch Feuer gangen! Im Ernsch! Scho wie die annern dort auch tun! Der King, ja, der auch! Schogar der!” Mehan begann zu verstehen, und es gefiel ihr ganz und gar nicht.
Mit diesem „King oder scho, ein Milchbubi aber” meinte Archibald Major Liam Kincaid. Mehan senkte ihren Blick etwas. Wieder einmal war sie damit konfrontiert, wie die Taelons andere Rassen belogen und dann wie Heilige, gute Geister oder Engel erschienen. Mehan bedauerte Archibald, er irrte sich so sehr und konnte dennoch nichts dafür. Sie beschloss, ihm wieder Mut zu machen.
„Sie können doch den Taelons auch anders helfen!” sagte sie: „Helfen die Taelons nicht den Menschen, Hunger, Krankheit und Krieg aus der Welt zu schaffen? Helfen Sie ihnen dabei! Helfen Sie Ihren Mitmenschen!” Archibald sah auf.
„Würde dasch n Taelonsch gefalln?” fragte er. Mehan dachte nach. Sie wusste es nicht. Wenn Archibald im Namen der Taelons half, würde er vielleicht eine Taelon-Euphorie auslösen, was den Taelons natürlich gefallen würde. Aber es war nicht in Mehans Sinne.
„Natürlich wird es den Taelons gefallen!” sagte sie dennoch: „Es wird sie beruhigen, dass sie, wenn sie einmal Hilfe brauchen, diese von den Menschen erhalten würden!” Einen Augenblick blieb sie still, dann sprach sie weiter. „Menschen sind hilfsbereit!” sagte sie eindringlich: „Zeigen Sie es allen, auch den Taelons!” Archibald nickte langsam.
„Ja, dasch isch gut!” sagte er. Mehan atmete innerlich auf. „Esch gib nur ein Prolem!” erkannte Archibald sachlich: „Isch bin süchtich!” Mehan nickte. Was sollte sie gegen die Alkoholsucht tun? Sie konnte mit Hilfe ihres Shaqarava und einer Art gedanklicher Verbindung seine Sucht regelrecht austreiben, aber das durfte sie bei einem so Taelon-gläubigen Menschen nicht wagen.
Mehan beschloss, seine geschädigten Organe zu heilen und ihn einige Zeit lang bei sich zu behalten. Sie war sicher, dass er ihr weiterhin vertrauen würde, da sie bei den Taelons arbeitete.
Mehan liess Archibald im Keller der Lagerhalle wohnen. Sie hatte seine DNS in die erlaubte Liste eingetragen und ihm eine Codekarte gegeben, liess sich aber dennoch jedesmal per Global informieren, wenn er den Keller betrat oder verliess, wobei auch der gemessene Blutalkohol mit übermittelt wurde. Archibald hielt sich an seinen Vorsatz und rührte keinen Alkohol mehr an, was vielleicht auch ein kleines bisschen an jenem Schmerz lindernden Medikament lag, das Mehan ihm täglich, jedoch in stets geringer werdender Dosierung, verabreichte.
Zwei Wochen später, am Weihnachtstag, lud Mehan ihre Freunde in ihre Wohnung ein. Sie hatte nach dem in diesem Kulturkreis üblichen Brauch einen Weihnachtsbaum aufgestellt und geschmückt, allerdings war ihr nicht klar geworden, welche Vorteile ein echter Baum mit echten Kerzen bieten sollte, also besass sie einen künstlichen Baum mit elektrischen Lichtern.
Archibald hatte sich von seinem Taschengeld gewaltig herausgeputzt, dass Mehan ihn beinahe mit einem irdischen Tier, einem Pfau, verglich. Die vier anderen Gäste, nämlich Augur, Lili, der Colonel und der Major, staunten sehr, als Archibald Mehan derart in den Himmel lobte. Mehan blickte nur etwas beschämt zu Boden, sie spürte, wie ihre Hautrillen anschwollen, als Mensch wäre sie rot geworden.
Abgesehen davon wunderte sich Mehan sehr, dass Archibald in Gegenwart des Majors so ruhig bleiben konnte, aber als Polizist hatte er bestimmt auch derlei Dinge manchmal gebraucht. Mittlerweile war Mehan davon überzeugt, dass Archibald den Alkohol überwinden würde, aber der Kampf war noch nicht ausgestanden.
Nach einem von Augur und Lili zubereiteten drei-Gänge-Menü verliessen die fünf die Küche und stellten sich vor dem Weihnachtsbaum auf. Lili und der Major zwinkerten sich verschwörerisch zu und holten dann eine Kiste aus dem Vorraum. Sie holten nacheinander ein dickes Buch, eine PlusData-Disc und eine Steintafel heraus. Der Major grinste breit und erklärte, wer was bekommen sollte.
„Colonel, das Buch ist für Sie, es ein Krimi und heisst „Doppelgänger”!” sagte er und reichte dem verdutzten Colonel den dicken Wälzer: „Augur, die Plus ist für dich! Aber was drauf ist, musst du selber herausfinden! Ich sage nur, dass es Hologramme sind!” Augur nahm die Disc entgegen und steckte sie in eine Hemdtasche. Nun übernahm Lili.
„Megan, die Tafel ist für Sie! Ich vermute, Sie werden sie übersetzen können, ohne die sumerischen Zeichen jemals zuvor gesehen zu haben!” sagte sie. Mehan nahm ihr vorsichtig die Steintafel aus der Hand und musterte die Keilschriftzeichen. Noch war ihr die Bedeutung verborgen, aber irgendwie kamen ihr die Zeichen vertraut vor, was meist der erste Hinweis auf ein Verständnis ihrerseits war.
Nun wollte Mehan ihre Geschenke herbeibringen, aber der Colonel kam ihr zuvor und ergriff das Wort. Jedoch packte er keine grossen Gegenstände aus.
„Es ist leider nicht wirklich von mir, Augur, aber Bettis bat mich, es Ihnen zu geben!” erklärte er und fischte eine PlusData-Disc aus seiner Hosentasche: „Er hat die Sendespezifikationen wesentlich verbessert!” Er warf die Disc Augur zu, der sie geschickt auffing. „Ich denke, das wird Sie auch freuen, Megan!” fügte der Colonel hinzu. Mehan lächelte und nickte, es betraf den Transmitter, mit dem nach Jaridia gesendet werden konnte.
„Aber für Sie habe ich noch etwas!” fuhr der Colonel fort: „Immer wieder haben Sie darauf aufmerksam gemacht, dass Sie keinen Führerschein haben! Ich spendiere Ihnen die Fahrstunden!” Sein Grinsen zog sich bis zu den Ohren. Mehan klappte überrascht ihren Mund auf.
„Lili, Sie sagten einmal, Sie würden gerne Klassik und Rock hören! Das sagte Augur jedenfalls! Ich habe es jedenfalls wörtlich genommen und für Sie eine Rock-Version von Beethovens Symphonien besorgt!” erklärte der Colonel nun weiter und reichte auch Lili eine PlusData-Disc. „Und Liam!” Der Major blickte auf. „Sie werden es nicht glauben!” sagte der Colonel grinsend und öffnete seine kleine, am Boden stehende Tasche. Er holte ein Buch heraus und Mehan entzifferte den Titel. Verwirrt liess sie ihren Blick über den Tisch schweifen, aber das Buch, dass der Major dem Colonel geschenkt hatte, lag immer noch dort.
„Wahnsinn!” murmelte der Major überrascht: „Noch ein „Doppelgänger”!” Augur konnte sich nicht mehr halten und brach in schallendes Gelächter aus, Lili und Mehan stimmten sofort ein, nur wenig später der Major, der Colonel und auch Archibald.
Als sich die fünf schliesslich wieder beruhigt hatten, öffnete Mehan eine Schublade ihres Wohnzimmerschrankes.
„Ich hoffe, es gefällt Ihnen!” sagte sie, als sie Lili den in grünes Papier eingepackten Pullover gab. Lili riss die Verpackung weg und sah mit offenem Mund auf den dunkelroten Pullover. „Sie haben sehr intensiv in das Schaufenster geschaut!” erklärte Mehan lächelnd und nahm nun die MultiData-Disc aus der Schublade.
„Für Sie, Augur, habe ich gesammelt, wie ich konnte! Von nun an brauchen Sie nie mehr ein Betriebssystem suchen! Ich vermute sogar, dass Sie noch nie soviele auf einem Fleck gesehen haben!” erklärte sie und gab Augur sein Geschenk.
„Sagen Sie mal, Megan, kaufen Sie sich tatsächlich dafür einen PlusData-Brenner?” fragte Augur überrascht: „Sie hätten doch einen von meinen nehmen können!” Mehan grinste.
„Das sind keine 500 Gigabyte, Augur, das sind fast fünf Terabyte!” sagte sie.
„MultiData!” sagte Augur beeindruckt: „In der Tat hätte ich mich gewundert, wenn Sie sich meinen MultiData-Brenner ausgeborgt hätten!” Mehan zog ihr Grinsen etwas in die Breite und wandte sich dann dem Colonel zu.
„Gemäss unserer alten Tradition ...” erklärte sie mit möglichst unschuldigem Blick und streckte ihm eine Flasche Apfelschnaps entgegen, die Spritztour mit dem Jaridianschiff würde sie ihm vorschlagen, wenn Archibald gerade nicht zuhörte. Der Colonel musste schon wieder lachen, dass ihm nun beinahe die Tränen kamen. Nun drehte sich Mehan zum Major.
„Ich bin davon überzeugt, dass Sie es lange nicht so grauenvoll finden, wie der Colonel!” bemerkte sie und gab ihm ein sechseckiges Päckchen. Der Major öffnete das Geschenkband und zupfte das Papier weg. Schliesslich hob er den Deckel der kleinen Dose an.
„Wow!” murmelte er: „Das ist perfekt!” Er steckte den Finger kurz in die braune Paste und schleckte ihn dann ab. „Da weiss ich gar nicht mehr, was ich dazu sagen soll!” Mehan grinste, genau diese Reaktion hatte sie sich erhofft. Augur schnupperte an der Spezialgewürzmischung und rümpfte die Nase.
„Aber ich habe auch noch ein paar Dinge besorgt!” erklärte er dann: „Es ist nichts Grosses, aber vielleicht freut ihr euch ja trotzdem!” Er holte tief Luft und fuhr dann fort. „Megan, Sie bekommen fünf Kilo Bitterschokolade und meine Entschuldigung dafür, dass ich Ihren Vorrat vernichtet habe!” Mehan kicherte leise. „Ich habe alles gleich in Ihr Vorratsfach gelegt!” bemerkte Augur dann. Mehan hörte auf zu kichern, aber sie fand es dennoch immer noch äusserst amüsant.
„Liam, du brauchst ein neues Global!” sagte Augur dann väterlich: „Deines fällt ja schon auseinander, wenn man es nur anschaut! Es hat ja auch einige Explosionen, Stürze und ähnlich schlimme Dinge überstanden!” Er warf dem Major ein nagelneues, silberblaues Global zu und erklärte ihm, wie er die Speichermodule austauschen musste.
„Diesmal sollte es aber auch nicht gleich beim nächsten Absturz aus dem Shuttle fallen!” witzelte Mehan. Der Major verdrehte die Augen und begann, die Speichermodule auszutauschen.
„Colonel, für Sie habe ich einige alte Dateien zusammengekramt, Aufzeichnungen von einem guten Freund!” sagte Augur und gab dem Colonel eine PlusData-Disc. Dann lächelte er charmant und drehte sich zu Lili. „Sie lade ich zu einem Essen bei Kerzenlicht ein!” sagte er. Lili riss die Augen auf.
„Ach wie schön!” rief sie mit einem leisen Hauch Ironie. Augur verzog den Mund.
„Ach kommen Sie, Lili, freuen Sie sich doch ein bisschen! Immerhin bekommen Sie gut zu essen und dürfen sich mit mir unterhalten!” schmollte Augur. Lili grinste.
„Na gut!” sagte sie: „Ausnahmsweise!”
Mehan drehte sich zu Archibald.
„Arch!” sagte sie: „Ich werfe Sie aus dem Nest! Sie müssen wieder unabhängig werden!” Archibald wirkte irgendwie sowohl bedrückt als auch erleichtert. „Ich gebe Ihnen jede Hilfestellung, die Sie für den Neuanfang brauchen, aber Sie müssen es dennoch selbst schaffen! Das wissen Sie!” Archibald nickte nur. „Finden Sie einen erst einen Job und dann auch eine Wohnung!” riet ihm Mehan: „Ich hab Ihnen schon mal ein Konto angelegt, das Ihnen über den Anfang helfen wird!” Wieder nickte Archibald.
„Okay!” sagte er schliesslich. Lili war währenddessen kurz aus dem Raum geschlüpft und kam nun mit einer Riesenschüssel Keksen wieder, die sofort fleissig von allen Seiten attackiert wurde.
Mehan sah sich lächelnd um. Durchaus, die Erde war lebenswert. Nur ... etwas fehlte. Sie blickte zum Christbaum. Ja, das würde sie tun. Mit einer schnellen Handbewegung hatte sie ihre Halskette abgenommen und die flache Plastikdose um den grünen Stern entfernt. Vorsichtig strich sie über die achtzehn Spitzen und befestigte die Kette dann am obersten Ast des Baumes.
Ja, jetzt stimmte es. Mehan grinste zufrieden und widmete sich ihren Freunden und der Keksschüssel.

 

ENDE

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang