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  „Phönix” von Veria   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Oktober 2016
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema: William untersucht den Vorfall und erfährt Erstaunliches.
Zeitpunkt: direkt anschließend
Charaktere: William, Liam, Mitchell Hendrik, Zoriel, Harmony, Dominic, Farrell, (Agent Mullen, Dr. Carlisle, Lili, Ron, Da'an, Joyce, General Tsvangirai, Lil, Augur, Neville, Jill, Aby, Howlyn, Juda)
 

 

PHÖNIX

Kapitel 4: Lebenslinien I

 

William Marchese führte ein neues Leben in einer neuen Welt, die den Widerstand nicht mehr brauchte. Will musste nicht einmal seine wahre Identität geheim halten, denn seit sich Jae'yal gezeigt hatte, konnte er problemlos auf Joyce Belman verweisen, die ihm dieses neue Leben ja gegeben hatte.
Er hatte sich aber an Marchese gewöhnt - und seine Frau Jill und sein Sohn Dominic natürlich auch. Also blieb es dabei. Immerhin führte ja Sarahs Sohn Ellis, einer von acht künstlichen echten Taelonhybriden, den Namen Boone weiter.
Will fand seine Schwester sehr tapfer. Er war dabei gewesen, als Dr. Park ihr erklärt hatte, dass das Kind von damals noch immer existierte und noch immer nicht voll ausgereift war, da Zo'or das äußerst geheime Projekt ohne den Wissenschaftler Ne'eg nicht hatte weiterführen können. Sarah liebte Ellis, als wäre er ihr Kind und nicht die künstliche Zellhaufenfusion, die er tatsächlich war.
Inzwischen war Ellis erwachsen und folgte dem Pfad seiner taelonischen Eltern Qo'on und Sa'em in die Politik - nicht in die taelonische Politik allerdings, sondern in die Stadtpolitik von Baltimore.

Kinder waren so schnell groß ... besonders jene mit beschleunigter Alterung.

Und noch ein Kind war schon vor langer Zeit sehr schnell groß geworden - jenes, das nun erwachsen und volljährig William und Agent Mullen gegenübersaß und erzählte, was dort auf der Trauerfeier passiert war. Der Präsident war anwesend gewesen, damit war der Secret Service an den Ermittlungen dran - und die nahmen es ganz genau: auch Ga'hil musste ganz klassisch befragt werden.
Von ihm erwartete Will keine Neuigkeiten, er war eher gespannt, was Zoriel sagen würde, wenn sie das Biotechniklabor verlassen durfte. Sie wurde nämlich noch mit dem toten Angreifer verglichen, solange dessen Körper noch auf die modernsten, empfindlichsten Energetikscans ansprach.
Will war auch gespannt, was die Wissenschaftler sagen würden. Aber am allermeisten wünschte er sich ein Gespräch mit Harmony, die ihm einst beinahe von Joyce anvertraut worden wäre. Allerdings käme die Zivilistin und Tochter des vermeintlich Verstorbenen zuletzt dran, nach Militär, Jaridians, Taelons, Presse, halb Clearwater und Renee Federova - nur Zoriel möglicherweise nach ihr.

Nicht bei allen Befragungen war William dabei. Es waren so viele Gäste - und Will konnte sich seine Befragungen aussuchen. Es hätte ohnehin keine nennenswerte Auswirkung auf das Ergebnis der Untersuchung, wen er sich da aussuchte. Also suchte er sich diejenigen aus, mit denen er sowieso gerne sprechen wollte: General Mitchell Hendrik (den echten Liam Kincaid), Da'an, Agent Ronald Martínez - und eben Harmony.
Es gab nichts Neues. Niemand hatte erwartet, dass ausgerechnet Kajiral der Angreifer wäre. Die meisten Augen waren auf Niral gerichtet gewesen.
Ronald hatte gemeinsam mit Mitchell versucht, Niral eine gute Gelegenheit vorzutäuschen, Harmony hatte mit Renee gesprochen. Da'an und General Tsvangirai waren zu weit weg gewesen, um einzugreifen ...
Und Zoriel eigentlich auch. Die Schätzungen variierten zwar, aber William und Ronald als CVI-Träger waren sich einig: Fünfeinhalb Meter hatte die Atavus in einem Satz überwunden.
Wenn die Wissenschaftler sie nur endlich aus dem Labor ließen ...

Will stand seufzend vor dem Kaffeeautomaten, den ein großes Defekt-Schild zierte, als ihn Mitchell ansprach: „Starbucks um die Ecke?”
„Die beste Idee seit Stunden, ja.” Schweigend marschierten sie um den Block und setzten sich mit den erworbenen Kaffeebechern dann in die hinterste Ecke, damit ihnen keiner zuhören konnte. „Wie geht es dir mit dem falschen Namen, Mitchell?”
„Gewöhnungsbedürftig, auf der eigenen Beerdigung zu sein.” Mitchell grinste. „Aber er ist ein guter Mensch.”
„Guter Mensch, ja”, schmunzelte Will, „Seine Grabrede war wirklich nicht ohne. Aber was ist mit seinem Sohn?”
„Auch nur eine Attrappe, keine Sorge.” Mitchell nahm einen großen Schluck Kaffee. „Farrell wird es gerade nicht sehr leicht haben”, fügte er hinzu, „Ich erinnere mich, wie es Harmony damals ging - und sie hat dabei nicht ihre komplette Identität verloren.”
„Du wirst es nicht glauben, aber ich war der erste normale Mensch, der wusste, was in ihr steckt.” Mitchell hob überrascht seine Brauen. „Joyce zeigte sie mir. Zweite Reihe, dritte von links, ungefähr so groß”, Will hielt seine Hände kaum fünf Handbreit voneinander entfernt, „und wirklich allerliebst in ihrem kleinen Krankenhausbabybettchen. Das war knapp bevor ich meinen neuen Namen hatte.” Er trank seinen Kaffee halb aus und sah Mitchell dann fragend an: „Und woher stammt dein neuer Name?”
„Augur war so freundlich - und er ließ sich beachtlich dafür bezahlen.”
Typisch Augur. William prustete in seinen Kaffee. „Ich hoffe, du musstest dafür keinen Kredit aufnehmen.”
„Es ging sich gerade noch so aus, Will.” Mitchell zerdrückte seinen leeren Becher und grinste schief. „Die Einheit hat zusammengelegt, immerhin konnten sie mit einem zweiten Liam Kincaid als Colonel genauso wenig auftauchen wie ich selbst.”
„Wie viel weiß die Einheit?” Will schlürfte den letzten Rest Kaffee und stellte den Becher ab.
„Die in Mount Wether dabei waren: Alles. Die anderen nur, dass es okay ist und hochgeheim.” Mitchell drapierte seinen deformierten Becher so, dass er sich an Wills lehnte, und fuhr fort: „Bettis hat es so eingerichtet, dass Liams Identität auch von unserer Seite her wasserdicht ist - Liam war also mein Colonel, bevor er Da'ans Beschützer wurde.”
„Du hättest dafür von Augur etwas verlangen sollen”, sagte Will grinsend, „Moment.” Er griff nach seinem Global und ließ es aufschnappen. „Ja, Agent Mullen?”
„Sie wollten informiert werden, wenn Mrs. MacDougal und die Wissenschaftler hier sind - sie sind hier.”
„Danke.” Er schob das Global zu und stand auf, Mitchell folgte ihm um den Block. „Ich bin gespannt, was sie sagt.” Vor dem geöffneten Kaffeeautomaten kniete ein zeternder Techniker, Agent Mullen stand mit einem Pappbecher grünem Tee vom Chinaimbiss gegenüber daneben, grinste bis zu den Ohren und begrüsste Will mit einem knappen Winken mit zwei Fingern. Mitchell gesellte sich zu Ga'hil, während Will dem Agent in den Befragungsraum folgte.

Zoriel war da, und auch einer der Wissenschaftler.
„Mrs. MacDougal”, grüßte der Polizist die Atavus, „schön, dass die Wissenschaftler Sie auch wieder loslassen.”
„Ich bin mir recht sicher, sie haben es nicht gerne getan”, sie zog ein schiefes Grinsen, „den Ahs und Ohs nach zu urteilen wüssten sie noch Untersuchungen für Jahre.”
„Was zeigten denn die bisherigen Untersuchungen, Dr. Carlisle?”, fragte Mullen und setzte sich. Will lehnte sich aufmerksam an die Wand.
„Eine erstaunliche genetische Übereinstimmung”, sagte Carlisle eifrig, „nur können wir nicht sagen, warum die Gene bei Mrs. MacDougal alle exprimiert werden und beim Rest der Menschheit nur ein Teil.”
„Beim Rest der Menschheit?”, fragte Mullen verdutzt nach.
Will runzelte kurz die Stirn, als sein CVI ihm vorausdachte. „Ariel Marquette war halb menschlich”, sagte er, „Mrs. MacDougals Aussehensunterschiede zu den anderen Atavus wurden darauf zurückgeführt. Weshalb haben Sie diese Details untersucht, Dr. Carlisle?”
„Oh nein.” Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf und erklärte: „Dieselben Gene liegen auch im Genom des Toten vor. Wie gesagt, beim Menschen auch, aber sie werden nicht alle exprimiert.”
„Er sagte: Wir bewohnten diese Welt”, sagte William, „Können wir daraus schließen, dass dieser Atavus mit der Menschheit irgendwie verwandt ist?” Carlisle zuckte mit den Schultern und seufzte nur leise.
„Ich denke, das können wir”, sagte Zoriel aber, „Schon Ma'el war von der unerwarteten Kompatibilität mehr als beeindruckt. Allerdings bezweifle ich, dass der Tote von Affen abstammt.”
„Sondern?”
„Dass seine Art diese Welt fand und - wie später die Taelons - das Genom einiger einheimischer Individuen veränderte”, erklärte sie, „Er nannte seine Art Atavus. Das bedeutet wohl, er ist eher mit Taelons und Jaridians und vielleicht auch Kimera verwandt.”
„Sein Genom hat energetische Teile”, bestätigte Carlisle, „allerdings sind nur mehr Fragmente an den Chromosomen vier, acht und siebzehn und den Gonosomen nachweisbar - und viel mehr kann es auch zu Lebzeiten nicht gewesen sein.”
„Könnte Mrs. MacDougals energetisches Genom für die Exprimation verantwortlich sein?”, fragte Will.
„Möglich”, der Wissenschaftler neigte nachdenklich den Kopf, „aber ...”
„Moment bitte, das ist mir zu hoch”, unterbrach Mullen, „Ich habe weder einen Doktortitel noch ein CVI, also bitte langsam.”
„Dieser Yoryn hat Energetikgene, so wie ich”, erklärte Zoriel, „Commander Marchese vermutet, dass diese die materiellen Gene für die Krallen und all das aktivieren.”
„Aber dann müsste dasselbe für Ga'hil, Jae'yal und die Mensch-Taelon-Hybriden gelten!”, widersprach Carlisle energisch, „Oder zumindest für Jae'yal, wenn es auch von der Jaridian-DNS abhängt. Sie hat aber weder die ... diese Augenhöhlen noch irgendwelche Krallen.”
Zoriel runzelte die gemusterte Stirn zu Karos. „Nein, hat sie nicht. Sie konnte in ihrem genetischen Gedächtnis auch nichts dazu finden, als ich sie gefragt habe.”
„Mrs. MacDougal, zeigen Sie bitte Ihre Krallen”, bat Mullen.
Die Atavus sah ihn irritiert an und schüttelte dann bedauernd den Kopf: „Das kann ich nicht. Es ist hormonabhängig und ich bin nicht mehr im gestrigen ... Zustand. Fragen sie mich das in nicht ganz einem Monat wieder.”
„Die Atavus”, überlegte der Agent nun, „also die erweckten Atavus, sind die diesbezüglich auch von ihren Hormonen abhängig?”
„Weiblich ist dieser Yoryn jedenfalls nicht”, bemerkte Carlisle trocken, „Über die Fähigkeiten und den Hormonhaushalt seiner Art kann ich an Hand eines einzelnen toten Subjekts jetzt aber wirklich nicht gerade sehr viel sagen.”

Die großangelegten Befragungen waren mehr oder weniger ein Reinfall gewesen. Es hätte genügt, wenn nur die beiden CVI-Träger, Zoriel und der Wissenschaftler erzählt hätten, oder vielleicht auch Harmony, die ja kurz mit Kajiral gesprochen hatte.
Während Agent Mullen dem Präsidenten dazu riet, seine Kollegen in aller Welt über die erweckten Atavus zu informieren, traf sich wieder eine Gruppe vor dem inzwischen reparierten Kaffeeautomaten. Allerdings scherzte Agent Martínez, der Techniker habe den Automaten statt an die Wasserleitung an die Abwasserleitung angeschlossen - das musste ein wirklich übles Gebräu sein.
Wenigstens konnte man dem Süßigkeitenautomaten trauen und die Gruppe verzog sich mit einer Ladung Schokoriegel (auch wenn Da'an mit Schokolade nicht gar so viel anfangen konnte, selbst wenn sie violett eingepackt war) in einen Aufenthaltsraum. Kein Unwissender war dabei, man konnte ganz offen sprechen.

„Was wissen wir?”, fragte Ga'hil.
„Die erweckten Atavus sind mit den Menschen verwandt”, sagte Zoriel, „Sie sind wohl vor langer Zeit auf der Erde gelandet und haben ein paar Affen aufgemotzt. Carlisle ist sogar der Meinung, dass er das datieren kann, keine Ahnung, wie das geht.”
„Ja, aber wo kommen die her?”, seufzte er, „Ich kann mich nicht an Leute mit solchen Krallen erinnern.”
„Aber an Leute, die weder Jarids noch Ramaz' Weg gegangen sind”, ergriff Harmony das Wort, „Wenn die doch irgendwie überlebt haben, dann könnten sie jetzt diese Atavus sein.”
„Und damit hauptsächlich materiellkörperlich?” Er runzelte die Stirn. „Sie hatten Jarids Serum nicht ...”
„Aber vielleicht ein eigenes entwickelt! Ein stabileres Serum womöglich!”
„Was für ein Serum, bitte?”, mischte sich Lili ein, „Wovon redet ihr gerade? Von der Trennung der Atavus in Jaridians und Taelons?” Die beiden Kimera nickten. „Ganz von Anfang, wir haben hier nicht alle ein genetisches Gedächtnis.”
„Okay.” Ga'hil überlegte sichtlich, wo er am Besten begann. „Die ursprünglichen Atavus waren die Nachfahren der sogenannten Einstigen und der Kimera. Tripelhelix, allesamt”, erklärte er, „Gut zwei Millionen Jahre nach dieser Vermischung trat dann die Lichtkrankheit auf.”
„Irgendwie wurde von dieser Krankheit ein kimerianisches Gen aktiviert, das dafür zuständig war, den materiellen Körper aufzulösen”, fuhr Harmony fort, „Eben das da.” Ihre Energiebahnen glühten auf, Haut und Fleisch verschwanden zur Demonstration - kaum danach baute die Hybridin aber schon wieder ihre Fassade auf. „Aber die Atavus hatten sich weiterentwickelt, ihr energetischer Teil war nicht mehr Kimera.”
„Sie konnten sich nicht mehr ernähren, die Kranken verhungerten”, sagte Ga'hil, „Es gab zwei Hauptströmungen, damit umzugehen.” Er wies auf Da'an. „Ramaz suchte einen Weg, dass sich die Taelons ernähren würden können. Zunächst nahmen sie über Shaqarava Lebensenergie auf, aber als Ramaz herausfand, wie man Grundenergie erzeugt, war das Shaqarava nur mehr gefährlich und es wurde über das Gemeinwesen inaktiviert.”
Lili runzelte die Stirn. „Und Jarid hat die Krankheit geheilt?”
„Indem er mit Kanonen auf Spatzen geschossen hat”, warf Harmony ein.
„Sein Serum hat das Energetikgenom zerstört”, sagte Ga'hil, „damit hatte die Krankheit nicht mehr Wirkung als ein Schnupfen.” Er festigte seine Gestalt und biss von einem Schokoriegel ab. „Es gab kleinere Strömungen, die auf ein besseres Serum warteten oder auf eine natürliche Immunität, aber soweit es mir bekannt ist, hat da niemand überlebt.”
„Aber möglicherweise Yoryns Leute”, sagte Mitchell.
„Exakt”, bestätigte Zoriel, „aber das hilft uns nichts. Reich mir doch bitte mal einen Riegel, Ronny.” Ein Schokoriegel flog von Ronald zu ihr und sie fing ihn auf. „Ich hasse diese Unsicherheit”, seufzte sie, „Ich dachte, diese ganze Krieg-Sache wäre vorbei ...” Kurz musterte sie ihre Fingernägel, dann schrumpfte sie in ihrem Sessel zusammen.
„Vielleicht sind Yoryns Leute nicht ganz so stur und ziehen es nicht Millionen Jahre lang durch”, versuchte Ron sie aufzumuntern, „Außerdem haben wir hier den besten Friedensstifter der Galaxis.” Er wies auf seinen Sohn, der verlegen einen weiteren Schokoriegel aufriss.
„Ich finde, Ronny hat recht”, sagte Harmony, „Mitch, du findest das doch auch, oder?”
„Ach, bitte lasst das”, seufzte Ga'hil, „sonst verliere ich glatt noch meine Fassade ...”
Lili grinste bis zu den Ohren. „Komm schon, Ga'hil, das Lob ist verdient”, sagte sie, „und wir brauchen deine Friedensstifterfähigkeiten, ohne dass du dabei ... äh, ergrünst.”
„Zoriel ist dafür besser ...”
„Wohl kaum!”, protestierte die Atavus, „Ich habe einen von denen getötet, die werden von mir als Friedensstifterin schon mal überhaupt nichts halten!”
„Es ist nicht gesagt, dass die sich einig sind”, bemerkte Harmony, „Gut möglich, dass Yoryn nur zu einer radikalen Gruppe gehörte.”
„Hoffen können wir das, ja”, sagte Mitch, „aber damit rechnen leider nicht.” Er runzelte die Stirn. „Ideen, wo die überhaupt herkommen?”
„Die bisher bekannten Fälle von uralten außerirdischen Dingen, nämlich Ma'els Schiff und Ha'gels Kapsel, waren im Ozean”, sagte Ron, „nur passt das nicht zu Feuer und Asche. Naja, bei Hawaii vielleicht ...”
„Ich sehe mich dort um”, beschloss Ga'hil, „Ich bin in drei, vier Stunden zurück. Harmony, kommst du mit?”
„Hmm?”, machte die Hybridin.
„Ach, du bist nur nach dem Tod deines Vaters die beste Pilotin der Welt ...”
„Ach ...” Sie rollte mit den Augen, folgte ihm aber aus dem Raum.

Mitchell kratzte sich am Kopf und griff nach einem Schokoriegel. „Bleiben wir die drei, vier Stunden hier?”, fragte er dann.
Sie blieben nicht. Lili überzeugte Da'an, dass er nur in Clearwater wirklich sicher wäre, und begleitete ihn trotz Protest zum nächsten Shuttle, suchte nach einer Bombe und startete es dann. Mitchell machte sich per Auto auf, seine Einheit aus dem Ruhestand zu holen - und damit war William mit Ronald und Zoriel alleine in der Tiefgarage des Polizeigebäudes.

Ein merkwürdiges Gefühl, trotz aller Veränderungen.

„Flat Planet?”, fragte die Atavus, „Ich könnte einen Mothership Core Break, oder besser mehrere, gut vertragen, sonst hört dieser Yoryn nie auf, in meinem Kopf rumzuspuken.”
„Prinzipiell gerne”, sagte Ronald, „aber ich befürchte, du solltest den Kopf unten behalten. Wir fahren mit Corinnas Auto.”
„Da wird sie aber sauer ...”
„Keineswegs”, er schmunzelte, „Sie hat mich hergefahren und ist alleine per Portal zurück nach Clearwater.” Er ließ den Autoschlüssel klimpern. „Commander Marchese, Sie kommen doch mit?”
Dazu sagte William definitiv nicht nein, auch wenn er sich nicht wohl fühlte. - Noch weniger wohl fühlte er sich dann, als Zoriel Ronald den Schlüssel aus der Hand nahm und sich selbst hinter das Lenkrad klemmte.
Der Asiate sah damit auch nicht sehr glücklich aus.
„Was denn?”, machte sie ganz unschuldig, „Ariel hatte einen Führerschein ...”
„Sie ist kaum gefahren - und du gar nie!”, gab Ron zurück, „Raus da, ich fahre. Ariels Führerschein gilt ja für dich gar nicht.”
Die Atavus schmollte fürchterlich - aber er fuhr.

* * *

„Was sollte das eigentlich?”, fragte der Asiate, als die drei mit je einem Mothership Core Break an der eigentlich noch geschlossenen Bar saßen.
Zoriel seufzte und nahm einen Schluck. „Ich bin ein Monster.”
„Weil du deinen Vater gerettet hast?”, Ron hob die Brauen, „Also, das kommt ja in den besten Familien vor.”
„Nur dass dein Sohn dafür niemanden aufspießen musste.” Sie grinste flüchtig und fuhr fort: „Nur einem Taelon ordentlich eins auswischen.” Das Grinsen verschwand, der erste Drink war leer.
„Hör bitte auf, Trübsal zu blasen.”
Zoriel ließ das dunkelblaue Schirmchen in ihr Glas fallen und machte ein böses Gesicht. „Wieso? Zo'or steckt in mir, und auch wenn man es einige Jahre nicht besonders bemerkt hat, nett ist was anderes - Marchese, Sie stimmen mir doch zu?”
William runzelte irritiert die Stirn und sagte dann: „Kaum. Zo'or hätte sich selbst doch nie als Monster bezeichnet.”
„Ich bin Zoriel - im Gegensatz zu Zo'or zur Selbstkritik fähig”, widersprach die Atavus, „Ich habe jemanden getötet und es hat mir überhaupt nicht leid getan. Ich habe mich gut gefühlt, stark, mächtig.”
„Adrenalin”, diagnostizierte Ron sachlich.
„Und Selbstkritik ist ein gutes Zeichen”, fügte William hinzu.
Zoriel rollte mit den Augen und bemerkte: „Das klingt fast so, als wären Sie gar nicht mehr sauer, dass ich Sie umgebracht habe.”
War er das noch? „Nein, das waren nicht Sie”, er schüttelte den Kopf, „und auch Zo'or war nicht er selbst. Ich habe das Interview gesehen!”
„Ja, das böse, böse Taelongemeinwesen ... nein.” Sie verzog das Gesicht. „Ich glaube eher, dass Zo'or nur nett war, weil er im Kimeragemeinwesen steckte.”
Ronald klappte sein violettes Schirmchen zu und deutete damit energisch auf Zoriel. „Wenn du mir nicht glaubst, dass du nicht mehr wie damals bist, dann weiß ich auch nicht. Immerhin war ich ja Zo'ors implantierter Schoßhund. Über zwei Jahre lang!”
Die Atavus seufzte leise. „Gut, vielleicht hast du doch ein bisschen recht.” Sie zupfte an ihrem linken Ärmel und reckte sich dann etwas. „Lil? Krieg ich noch einen?”
„Hast du Geduld?”, ächzte die junge Schwarze aus den Tiefen der Schankanlage, „Hier ist nämlich ein Schlauch gerissen, ich muss von Hand mixen und du weißt ja, was da bei meinen beiden linken Händen herauskommt.”
„Huch ...” Zoriel fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. „Dann gib mir lieber eine Flasche Mezachak.”
„Jaaa ...” Lils Gesicht tauchte hinter der Bar auf und verzog sich, dann griff die Schwarze nach ihrem Global. „Dad, Mezachak ist aus, bringst du eine Kiste vor? Danke.”

Es dauerte nicht lange, und selbiges geschah - begleitet von einem Grummeln über Zeitmangel und Besseres zu tun, jedenfalls bis Augur William sah. Dann nämlich strahlte der Schwarze geradezu, bevor er möglichst patzig grüßte: „Der werte Herr lässt sich also auch einmal zu einem Besuch herab.”
„Hallo, Augur, wie geht es Ihnen?” Will lächelte fröhlich.
„Babysitter spielen darf ich”, brummte der Hacker, „Clearwater ist im Alarmzustand und, verflixt noch mal, wie hat Laurie es geschafft, mir die halbe Stadtjugend anzuhängen? Ich bin doch kein Kindergarten!”
Zoriel zog eine Schnute. „So schlimm?”
„Ja!”, fauchte er, „Und dein Bengel ist der Schlimmste von allen!” Er runzelte die Stirn, als Lil einen roten Zettel mit der Aufschrift defekt auf die Schankanlage klebte. „Sag bloß, der Schlauch ist schon wieder ab ... ” Er zog eine Grimasse, dann beschloss er: „Wenn Laurie nachher wieder vorbeikommt, darf sie das reparieren. Oder mich bekochen. Oder beides!”

William konnte nicht verhindern, dass er bis zu beiden Ohren grinste. Augur hatte sich überhaupt nicht verändert - nur hätte er früher eher ein teures Bild oder viel Geld verlangt.

„Ich rufe Lucy für den Abend an”, murmelte Lil, „Sie kommt ja ohne die Anlage klar.” Damit verschwand die junge Frau mit ihrem Global durch die nächste Türe.
„Es war einmal, vor langer Zeit, das selbstbestimmte Leben”, schmunzelte Will, „Vermissen Sie es?”
„Manchmal, ja”, sagte Augur, „besonders, wenn Street mal wieder ihren Vollkorntrip auf die Spitze treibt. Und fettarm! Bin ich etwa ein Bio-Huhn?”
„Gacker doch mal”, schlug Zoriel vor, worauf ihr ein Geschirrtuch ins Gesicht flog.
„Kein Respekt vor dem Alter!”, beschwerte sich Augur, „Da! Guck mal! Graue Haare!” Er zog theatralisch an seiner einzelnen Haarsträhne am Hinterkopf.

Altes Bio-Huhn.”

William musste lachen, ebenso Ronald. Der Hacker gönnte allen dreien einen sehr bösen Blick, fuchtelte mit beiden Händen durch die Luft und rauschte schließlich kopfschüttelnd seiner Tochter hinterher.
„Du bist gemein”, stellte Ron grinsend fest.
„Ja, aber ich kann mir das leisten”, erklärte Zoriel, „Wenn du das gesagt hättest, müsstest du dich jetzt mit ihm duellieren.” Sie rutschte vom Barhocker und marschierte Augur und Lil hinterher, Ron und Will griffen nach ihren Drinks und folgten ihr durch den Hinterraum und die Treppe hinunter.

Die erwähnte halbe Stadtjugend bestand aus gut dreißig Kindern in verschiedenstem Alter, bewacht von einer Handvoll Jugendlicher. Es flogen Unmengen Papierflieger und Luftballons durch den Partykeller. Ein Halbwüchsiger in hochmodischem blassgrünglänzendem Hemd bemühte sich, ein Jaridiankleinkind zu füttern, ohne zu sehr angespuckt zu werden, während ein geradeso erwachsener Asiate dasselbe bei einem fast menschlichen, wenngleich leicht stirngemusterten Kind versuchte.
„Dad, hilf mir!”, grüßte der junge Mann, „Ich triefe!”
„Kann ich nicht, Neville”, sagte Ron, „Reinschieben und hoffen, mehr kann man eh nicht tun.”
„Wie überaus motivierend ...” Soeben wurde Neville auch wieder angespuckt. „Toll, ganz toll.”
„Ach, ich mache das”, rollte Ronald mit den Augen, gab seinem Sohn sein Glas und nahm das Kind auf den Schoß. „Na, Claire, wie geht es uns heute?”
„Lele. Lo! Gugu!” Claire grinste fröhlich und ließ sich nun tatsächlich füttern.
Neville unterdessen stellte sich zu Zoriel und William und nippte kräftig am Mothership Core Break. „Ich wusste, da ist ein Trick dabei! Aber wenigstens kennt Chris ihn auch nicht.”
„Wo gehört Chris denn dazu?”, überlegte Zoriel stirnrunzelnd, „Ich kenne ihn gar nicht.”
„Frankies unverhoffter Enkel.”
„Ah.”
Will beobachtete derweil Ron bei seiner Beschäftigung. Vom alten Implantanten war wirklich nichts mehr übrig - aber das hatte William auch nicht anders erwartet, immerhin war ja der Imperativ seit Jahrzehnten weg. „Macht sein CVI ihm eigentlich irgendwelchen Ärger?”, fragte er beiläufig.
„Er kriegt alle paar Jahre ein neues, das ist alles.” Neville zuckte mit den Schultern. „Ich fresse jedes mal meine Fingernägel ab, aber Komplikationen gab es nie welche. Sie kriegen Ihres doch auch ausgetauscht, oder?”
Will schüttelte den Kopf. „Joyce hat es repariert, es wird länger halten als ich.”

„Boah ... da sollte Harmony ihrer Mum mal einen Dackelblick gönnen ...”

„Ich bin sicher, Joyce hat ein Auge auf die Familie”, sagte William lächelnd, „Ich würde mir da keine Sorgen machen.” Neville stellte das nun leere Glas ab und verschwand im Waschraum. Will ließ seinen Blick schweifen und blieb bei einem Atavus-Rotschopf und einem blonden menschlichen Kind, beide im Handstand, hängen. „Ihr Sohn hat einen beachtlichen Gleichgewichtssinn”, bemerkte er.
„Er muss sich mit Donovan messen”, murmelte Zoriel, „Das ist Dr. Louise Muldoons Sohn. Ich finde es ja blöd, dass nicht Farrell auch da sein kann - dann wäre das Trio Infernale komplett und Augur wüsste, was wirklich anstrengend ist.”

Ronald, nun mit der kleinen Claire auf dem Arm, kehrte zu den beiden zurück und sah kurz enttäuscht auf sein von Neville geleertes Glas, bevor er Claires rechte Hand hob und winkte. „Darf ich vorstellen: Claire Marquette.”
Marquette? William machte zweifellos ein dummes Gesicht.
„Ja, Cedrik hatte da so einen Unfall und Hannah hat ihn dann mit ihrem dicken Bauch konfrontiert”, erklärte Zoriel trocken, „Die beiden passen doch gar nicht zusammen!”
„Einen Unfall?”, Will hob verdutzt die Brauen, „Ich war doch der Meinung, die Jugend wüsste langsam, wie man zu Kindern kommt.”
„Schon, aber Gummihandschuhe helfen gegen Shaqarava jetzt nur sehr bedingt ...” Zoriel rollte mit den Augen. „Die Gute hat die Pille vergessen! Wie heißt es? Fang den Mann mit dem Baby? Genau so eine ist die!” Die Atavus kitzelte Claire unter dem Kinn und grinste. „Ja, genau so eine ist deine Mama, ja, genau so eine.”
„Zoriel, lass das”, seufzte Ron, „Ich weiß das, ich kenne Hannah, aber du solltest es nicht an Claire auslassen.” Zoriel hielt inne und schien tatsächlich zu schrumpfen.
„Hulel, zizuzizu! Zizu!”, protestierte Claire, worauf die Atavus weiterkitzelte. Ronald machte ein strenges Gesicht, schließlich nahm Zoriel das Mädchen selber auf den Arm und schlenderte davon.

„Sie ist sauer”, stellte Will fest.
„Und erst Lili! Mabel und ich hatten alle Mühe, sie dran zu hindern, unser Haus zu zerlegen.” Kurz kratzte sich Ronald am Kopf. „Vorjak hat dem Wäldchen eine neue Lichtung verpasst - wie damals nach Zoriels Entstehung auch.”
„Und alles ohne mich”, seufzte William, „Vielleicht sollte ich mit Jill und Dominic auch nach Clearwater ziehen. Was meinen Sie?”
„Doch nicht deshalb!”
„Unsinn.” Er wies auf die Kinderschar, die zu einem guten Teil entweder stirngemustert war oder gelegentlich blau durch die Haut schimmerte. „Ich habe übrigens einen Neffen von der Sorte”, sagte er, „Einen der künstlichen echten.”
„Tatsächlich?”, war Ronald überrascht, „Von den acht wird einer ausgerechnet Ihr Neffe? Ich dachte, dafür bräuchte man sehr viel Vitamin B, wie es Mrs. Federova sogar gleich doppelt hatte.”
William schmunzelte. „Als CEO von Doors International hatte sie tatsächlich viel Vitamin B, ja. Aber meine Schwester hatte ein viel älteres Recht.” Ron hob die Brauen. „Sie hat Ellis schon vor dreißig Jahren drei Wochen lang ausgetragen”, erklärte Will, „Dr. Park hat sich daran erinnert und das richtige der acht Kinder gefunden.”
„Ich wusste gar nicht, dass der Widerstand so früh von den echten Hybriden wusste.”
„Jedenfalls, dass Zo'or mehr plante als Da'an”, relativierte William, „Ich habe Zo'or damals aber nicht geglaubt, als er sagte, es wären nicht unsere Kinder sondern deren. Aber ich konnte dem dann ja nicht mehr nachgehen.” Er grinste. „Ha'gel hat mich ja zuvor kräftig aufgemischt - aber er hat sich wenigstens entschuldigt.”
Ronald rollte mit den Augen. „Ja, im entschuldigen ist er fleißig. Ich möchte mich auch entschuldigen, ich habe immerhin zugelassen, dass Zo'or Ihnen den Rest gibt.”
„Imperativ. Dafür konnten Sie nichts.” Dennoch fühlte sich die Entschuldigung definitiv gut an, Will zog einen Mundwinkel hoch. „Doch, ich glaube, ich schlage Jill einen Umzug nach Clearwater vor.”

Das tat er, gleich am selben Tag. Jill war kritisch, immerhin hatte sie hier einen Freundeskreis und dazu käme noch ein Schulwechsel, aber dann kam Dominic jubelnd hereingestürmt und überschlug sich fast, während er seiner Mutter erklärte, dass es doch überall Portale gab. Und er wollte doch so gerne Ga'hils Nachbar sein!
Der Schulwechsel machte Dominic offensichtlich überhaupt nichts aus - vielmehr erwischte William ihn etwas später dabei, im Internet die zukünftigen Klassenkameraden zu suchen: Drei vierjährige Taelonhybriden, eine Mensch-Jaridian-Hybridin, neunzehn Jaridians. Und natürlich Menschen, viele Menschen.
Jill fügte sich der Euphorie - und Will wusste, dass sie sich auch ein bisschen freute, aber sie war eben die Stimme der Vernunft und geriet nie (also fast nie, sonst hätte sie ihn ja nicht geheiratet) in einen derart euphorischen Zustand.
Kaum war der Umzug abgesegnet, stapelte Dominic schon Bücher und Wäsche in Kartons - woher auch immer er auf die Schnelle Umzugskartons hatte, aber William fand sich inzwischen einfach damit ab, dass Dominic alles, was er brauchte, praktisch in Nullzeit organisieren konnte.

Will selbst hatte nicht die Gelegenheit, die Umzugsvorbereitungen zu beginnen. Als er gerade seine Notenhefte zusammensammeln wollte, blitzte es vor ihm kurz auf und dann lag eine schwarzumrandete Karte da.
„Jill, ich muss dringend wohin”, rief er.
„Wohin denn jetzt noch?”
Er trat durch die nächste Türe und acht Treppenstufen hinunter, dann zeigte er seiner Frau die Karte. „Zu einer Beerdigung.”

* * *

Für die Uhrzeit war der Park sehr, sehr leer. Völlig leer. Joyce hatte zweifellos so etwas wie die dimensionale Kuppel, die einst Williams damaliges Haus umgeben hatte, geschaffen.
Er war früh hier, aber es dauerte nicht lange, bis er Da'an über den Weg lief. „William”, grüßte dieser, begleitet von einer sanften Geste, „Ich habe gehört, Sie ziehen um?”
Will hob die Brauen. „Das macht erstaunlich schnell die Runde, aber es ist so. Ja, Da'an, es geht nach Clearwater.” Im Pavillon spielte eine unbemannte Querflöte ein trauriges Lied. „Wohin müssen wir genau?”
Die Frage beantwortete sich von selbst: Will spürte, wie er von der Energie der Interdimension mitgezogen wurde, schließlich fand er sich auf einer saftigen, hellblauen Wiese wieder. Am Himmel strahlten ein Gasriese und dessen Ringe.
Joyce hingegen strahlte keineswegs, aber sie zeigte das Jaridianmuster und blaue Taelonaugen. William fasste sie an den Schultern und drückte sie an sich, als sie in Tränen ausbrach. So mächtig sie sonst war, sie war doch einfach ein Mensch.
Auch Harmony war ein Mensch, Liam hatte gut zu tun, sie zu trösten. Augur, Da'an, Lili und Ron waren vergleichsweise gefasst, als sie an den Hügel aus blaugestielten weißen Blumen kamen, auf dem Julianne in einem wunderschönen weißen Kleid lag.
Joyce kniete am Kopfende nieder, die anderen an den Seiten. „Mum ...”, sagte die Elfdimensionale leise, „Ich vermisse dich.” Sie strich eine weiße Strähne aus der Stirn ihrer Mutter. „Du warst immer gut, du wolltest immer das beste für alle. Du hast gekämpft.” Die ohnehin leise Stimme verstummte, leichter Wind kam auf.
~Du bist nie wirklich weg, solange nur irgendjemand an dich denkt, Mum, und ich werde immer an dich denken. Deine Gedanken, deine Ideen, nichts geht verloren, weil ich immer an dich denken werde. Wir alle werden dein Erbe bewahren.~
Die meisten waren einen Moment verwirrt, aber William kannte Joyces telepathische Befähigung schon sehr gut.
„Ich werde Sie nie vergessen, Julianne Belman”, ergriff Da'an das Wort, „Sie zählen zu den außergewöhnlichsten Menschen, die ich kennenlernen durfte.”
„Grandma, ich liebe dich”, flüsterte Harmony und lehnte sich wieder an Liam.
Sollte William auch etwas sagen?
Es war still, niemand sagte etwas. Joyce wischte mit einem Finger unter ihrem Auge entlang und beugte sich etwas nach vorne, um mit genau jenem Finger Julianne gegen die Stirn zu tippen. „Leb wohl, Mum.” Damit löste sich der Körper auf, stob als tausende glitzernde Funken auseinander und hinterließ einen Regen aus blaugestielten weißen Blumen.

Leb wohl!

* * *

Dafür, dass William von der Polizei zur planetaren Sicherheit wechselte und dort verdammt viel um die Ohren hatte (wobei nichts vorwärts ging, denn die Atavus waren weder auf Hawaii, noch irgendwo sonst, wo man nach ihnen suchte), lief der Umzug der Familie Marchese beeindruckend schnell ab: Zwei Wochen und alle Kisten standen in einem Zweifamilienhaus in Clearwater - die andere Hälfte des Hauses gehörte Jason und Corinna Martínez.
Beim Einkaufen lief Will dann einer Gruppe Halbwüchsiger über den Weg, deren Verhalten wohl nur in Clearwater als normal angesehen werden konnte: Kaugummikauend oder Flummis jonglierend das Süßwarenregal zu diskutieren - auf Eunoia. Taelonhybriden, alle fünf.
Und an einen Jaridian an der Kasse musste Will sich dann auch noch gewöhnen.
Dass ihm auf offener Straße eine offen grün leuchtende Kimerahybridin entgegenkam und ihm beim Tragen half, war zwar auch unerwartet, aber dann doch vergleichsweise normal.

„Wie geht es dir, Harmony?”, fragte er.
„Jae'yal, bitte, in dieser Gestalt heiße ich Jae'yal”, sagte sie, „und, danke, es geht mir schon wieder ganz gut. Aber irgendwie ... der Beerdigungsmarathon ... ich war dann nur mehr bei Tonios, die anderen Generäle kamen ohne mich unter die Erde und ...” Sie seufzte leise. „Ich war nicht mal bei Farrells, ich meine, er ist ja nicht tot, also wozu?”
„Meine Schwester war damals auf meiner Beerdigung auch nicht und ich habe es ihr verziehen”, sagte William, „Keine Sorge.” Er nahm die Einkaufstasche in die andere Hand und bewegte die abgeschnürten Finger vorsichtig. „Warum bist du als Jae'yal unterwegs?”
Harmony wog kurz den Kopf hin und her. „Muss ich. General Tsvangirai ist da und zetert über die Atavus. Er glaubt, dass es eine Falle ist.”
„Dass was eine Falle ist?”
„Dad und der General wurden in eine verlassene Lagerhalle voll mit Gerümpel eingeladen, zum reden”, erklärte sie, „Ich glaube auch, dass es eine Falle ist. Ich erinnere mich da an eine, die Sie und Augur diesem ... Judson Corr gestellt haben - da war auch Gerümpel rum.”
„Du erinnerst dich?”
„Naja, teilweise, was Ronny halt davon gesehen hat. Den Rest durfte mir Augur erzählen.”
William runzelte die Stirn. „Hat er dir auch erzählt, dass ich deinen Großvater bei der Gelegenheit beinahe erschossen hätte?”
„Nnnein ... ungut”, murmelte sie, „Danke, dass Sie es nicht getan haben.” Jetzt wanderte auch ihre Tasche in die andere Hand. „Tsvangirai ist jedenfalls vehement dagegen, er will erst einen sichereren Treffpunkt ausmachen, nur Dad ist halt wie immer ... will sich in die Gefahr stürzen.” Sie rollte heftig mit den blauviolett umkränzten blassgrünen Augen. „Würden Sie mir bitte, bitte helfen, ihn davon abzubringen?”

Harmony ließ William seine Einkäufe an ihre Plätze sortieren, sie selbst würde noch weitere Verbündete suchen. Dominic stand mit plattgedrückter Nase am Fenster neben der Eingangstüre und starrte ihr mit weit offenem Mund nach. „Das war ... das war Jae'yal!”
„Ja, das war die junge Frau, die ich am Tag nach ihrer Geburt eine Autofahrt lang halten durfte.” Damit brachte Will die Mimik seines Sohnes völlig durcheinander.
„Was, echt?”, fragte dieser nach.
„Sohn, ich war fast zwei Jahre lang in einer dimensionalen Blase und Joyce kam mich täglich besuchen - was erwartest du?”
„Okay ...” Dominic verzog sich kopfkratzend ins Musikzimmer und machte sich daran, das Schlagzeug zusammenzubauen.
„Ich gehe dann mal Ga'hil besuchen, ja?”, sagte William grinsend und verließ das Haus wieder - er wusste genau, welchen Gesichtsausdruck Dominic jetzt hatte.

Harmony hatte viele Verbündete gefunden, aber die brauchte es auch. Mit vereinten Kräften schafften es Ron, Lili und ihre jeweiligen Ehepartner sowie Harmony und Will, Liam die Lagerhalle auszureden. Er war als Kimera vielleicht schwer umzubringen, aber sehenden Auges in eine Falle zu gehen war deshalb noch lange keine gute Idee - besonders auch in Hinblick auf den gewöhnlichen Menschen Daniel Tsvangirai.
Liam gab nach und der General konnte den Atavus endlich die richtige Antwort geben: Gerne, aber woanders. Und dann verabschiedete sich Tsvangirai und ging kopfschüttelnd ob solcher Sturheit nach Hause.

„Das hat lange gedauert!” Mit diesen Worten kam ein ärgerlicher blonder Junge aus dem Nebenzimmer und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Ich habe keine Lust, mich ständig zu verkriechen!”
„Tja, tut mir leid, du bist tot.” Liam zuckte mit den Schultern, wofür er von Harmony einen Stoß in die Rippen bekam. „Aua!”
„Er hat sich doch schon einen Namen ausgesucht, Dad!”, sagte sie, „Geh halt mal zu ein paar Ämtern und sag, dass Ni'jeg Beckett gerne einen Ausweis und all das hätte.”
„Und das, wo die Atavus mir gerade an den Karren fahren wollen? Nein, auf keinen Fall, die entführen ihn noch - deshalb darfst du ja auch nicht sagen, wer du bist.”
„Ich kann mich wehren, Dad!”, protestierte sie.
Liam verlor kurzzeitig seine Fassade. „Du schon, ja, aber eine Bombe an einem Passagiershuttle ist dann doch ein anderes Kaliber. Es sei denn, du gibst deinen Job auf.” Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Außerdem wäre da noch die Sache, dass Ni'jeg auch noch eine Mutter braucht.”
„Wozu?”, mischte sich Ron ein, „Ist eben geheim, weil zur menschlichen Identität gehörig. Kein Problem. Ich sehe das einzige Problem in seinem Alter.”
Ni'jeg räusperte sich leise und die Energiebahnen schimmerten durch seine Haut. „Dad? Du hast gesagt, dass ich schneller altern kann. Machst du das? Bitte?”
„Aber sicher, Zwerg. Wie groß willst du denn sein?”
Farrells Augen leuchteten auf. „Ich will in die High School! Also ... sechzehn!”
„Dominic wird ausflippen!”, warf William ein, „Das ist mein Sohn - er ist sechzehn.” Lili und Ron gönnten ihm beide einen missbilligenden Blick, aber Harmony grinste fröhlich - und Farrell fand einen baldigen Fan auch sichtlich nicht so übel.
„Also, sechzehn.” Liam drehte sich zur Treppe und rief hinauf: „Aby? Unser Zwerg möchte wachsen und du willst bestimmt dabei sein!” Und wie Aby das wollte!

Einige Minuten später waren genügend Sitzgelegenheiten aus dem wuchernden weißen Ding?, Tier?, Pflanze? geschaffen und Vater und Sohn saßen einander gegenüber, die Handflächen gegeneinander gedrückt.
„So, als erstes ändere ich deine Gestalt so, dass sie die genetischen Überlagerungen nicht mitnimmt, ja?”, sagte Liam - Farrell nickte und leuchtete hellgrün auf, seine Haut wurde dunkler, die Haare schwarz. Nach kaum einem Moment saß da ein junger Asiate, dem man die Ähnlichkeit zum Großvater deutlich ansah. „Vater, den Spiegel”, murmelte Liam und Ron reichte ihm das Verlangte.
Wow!”, klappte Farrell den Mund auf.
Harmony grinste. „Ja, die Eastern-Familie.”
Liam gab den Spiegel wieder zurück und legte wieder beide Hände gegen Farrells. „Bereit?”
„Puh ...” Der Zwerg atmete tief durch und nickte dann. „Ja, bereit.”
Zwischen den Händen leuchtete es für eine Sekunde blendend hell, dann zog das Leuchten durch Farrells Körper, wanderte und brach immer wieder durch die Haut. Farrell wandte sich und stöhnte - und wuchs. William hatte Ellis' Entwicklung verfolgt, aber gegenüber dem kimerianischen Eilzug war eine aufs Vierfache beschleunigte Alterung definitiv langsam. Das Leuchten verschwand, das ehemalige XL-Hemd spannte.

„Na?” Liam schmunzelte und hielt seinem Sohn wieder den Spiegel vor.
Die Reaktion war dieselbe: „Wow!” - Nur diesmal im Bariton. Farrell griff sich verdutzt an den Hals und hob die Brauen. „Wow ...”
Aby legte dem Nicht-mehr-Zwerg ihre Arme um die Schultern und drückte ihn kräftig. Harmony lehnte sich von der anderen Seite an ihn und grinste bis zu beiden Ohren. Liam legte den Spiegel weg und lehnte sich zurück - das weiße Ding gab etwas nach und wurde zu einem sichtlich bequemen Liegestuhl.

Das musste William auch probieren - er scheiterte allerdings und landete unter allgemeinem Gelächter auf dem Fußboden.

* * *

Ni'jeg blieb relativ geheim. Die Behörden wussten von ihm, die Schulleitung genauso, aber jeder nannte ihn Jack Green. Dominic brauchte zwei Wochen, bis er begriff, dass Jack nicht nur dem Namen nach irgendwie grün war, dann allerdings tanzte er mit seinem Abendessen durchs Haus, dass Jill und Will nur noch den Kopf schütteln konnten.
Und dann, drei Tage später, weigerte sich Ni'jeg, sich in Dominics Geburtstagskalender einzutragen, und Dominic hatte wieder einen Grund, mit weit offenem Mund herumzulaufen: Ni'jeg war normal geboren worden und dann schnell gealtert! Wow! Ein Grund für einen weit offenen Mund!

William griff sich an den Kopf. Vielleicht war der Umzug nach Clearwater doch keine so gute Idee gewesen.

Jill und Will erfuhren die ganze Ausrede in Tag für Tag genaueren Erklärungen, die Dominic immer brühwarm beim Abendessen weitergab. Ni'jeg war also nicht ganz erwachsen geworden, weil zwar sein Vater ihn den Atavus gegenüber wehrhaft wissen, aber seine Mutter (deren Namen der Kimera nie nannte) ihn die Jugend nicht ganz überspringen lassen wollte.
Der kimerianische Eilzug war für Dominic definitiv grüncool (wohlgemerkt nicht Grünkohl, da musste man als Erwachsener aufpassen) - Will erzählte sicherheitshalber nicht, dass er sogar dabeigewesen war.

Die Atavus boten einige andere Treffpunkte an - Liam hätte jeden einzelnen akzeptiert, aber glücklicherweise ließ er sich weiterhin von vernünftigeren Leuten überstimmen. Als dann endlich ein Treffpunkt angeboten wurde, der übersichtlich war und anständig überwacht und gesichert werden konnte, war Daniel Tsvangirai gerade auf Jaridia und Liam drückte dessen Aufgabe vertrauensvoll ausgerechnet Will auf, weil Mitchell (der ja eigentlich Tsvangirais Stellvertreter war) neuerdings unter Herzrhythmusüberwachung stand und an seinen Generalsschreibtisch gefesselt war.

* * *

Das Shuttle sprang aus der Interdimension und Liam bremste es ab und landete es, ohne es zuvor gegen die Höhlenwand zu setzen. Williams Skrill zischte unruhig, schoss aber glücklicherweise nicht sofort drauflos, als ein zweites (offensichtlich gestohlenes) Shuttle erschien und zwei Atavus ausstiegen.
Wie schon Yoryn bei der Beerdigung trugen auch diese beiden Atavus schwarze, merkwürdig geriffelte enganliegende Anzüge - jener der Frau hatte auch einen beeindruckenden Ausschnitt, den William allerdings möglichst gekonnt übersah. So gerne er sonst schönen Frauen nachsah, hier war ein Moment der Ablenkung womöglich tödlich.
Liam hielt das offensichtlich genauso. Wachsam und gemächlich trat er in die Mitte zwischen den Shuttles. Der Atavus-Mann folgte diesem Beispiel, die Frau blieb wie William beim jeweiligen Shuttle stehen.

Ga'hils Shaqarava glühte verhalten, Wills Skrill zischte leise, an den Fingerspitzen der Atavus leuchtete es wahrnehmbar.

„Ich bin hier”, sagte Ga'hil, „also sagt, was ihr wollt. Wir finden einen Weg.”
„Darum sind wir hier”, gab der Atavus zurück, „Nenn mich Howlyn.” Er begann, den Kimera zu umkreisen. „Ich habe dich mir größer vorgestellt. Im Fernsehen siehst du größer aus.”
„Das liegt an den Schuhen.” Liam wies knapp auf sein gewöhnliches menschenübliches Schuhwerk.
„Ah.” Howlyn nickte knapp. Das Leuchten an seinen Fingerspitzen ließ etwas nach und er straffte sich. „Dies war einst unsere Welt!”, sagte er, „Was tut ihr alle hier?”
Liam zuckte mit den Schultern. „Ich wurde hier geboren. Dasselbe gilt übrigens, abgesehen von Vorjak, für alle, auf die ihr Attentate verübt habt!”
Kollaborateure!”, fauchte Howlyn, „Was tun all die Aliens hier?”
„Das ist es?”, mischte sich Will ein, „Ihr wollt die Aliens von der Erde verjagen?”
Jetzt kam die Atavus-Frau fast bis zu Howlyn und Liam gestapft und zischte: „Wir haben das ältere Recht! Vor sieben Millionen Jahren kamen wir auf diese Welt und ihr werdet uns dieses Recht nicht absprechen!”
Liam schimmerte grünweiß durch seine menschliche Fassade. „Niemand spricht euch das Recht ab, hier zu leben, sofern ihr euch denselben Regeln beugt wie alle anderen Bewohner dieser Welt. Dafür verbürge ich mich.”
Die Frau runzelte ihre Stirn. „Menschengemachte Regeln! Pah!” In einem ihrer Augen sah William ein feines, blaugrünes Gitternetz aufleuchten, dann blickte die Atavus an ihm vorbei ins Leere. Ein Hologramm innerhalb des Auges? Was sah sie?

William runzelte die Stirn, sein Skrill zischte unruhig.
Im nächsten Moment sah er eine Energieentladung vom Shuttle der Atavus auf sich zukommen.

 

Ende von Kapitel 4

 

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