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  „Phönix” von Veria   (Emailadresse siehe Autorenseite),   September 2016
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema: Es war Sabotage, dem Attentäter wird schließlich eine Falle gestellt.
Zeitpunkt: direkt anschließend
Charaktere: Harmony, Liam, Farrell, Mitchell Hendrik, Laurie, Zoriel, Tonio Arias (Aby, Louise, Frank, Deram, Joyce Belman, Ron, Jimena Arias, Präsident Fairbanks, General Tsvangirai, Vorjak, Renee, William, Da'an, Mit'gai, Niral, Yoryn)
 

 

PHÖNIX

Kapitel 3: Phönix III

 

Harmony rannte fast zwei Schwestern um, als sie aus dem Lift stolperte und sich nach links wandte. Sie wusste, dass ihren Vater so schnell nichts umbrachte, aber was war mit Farrell? Der Zwerg wusste noch nichts von seiner außerirdischen Seite und sein Energielevel war sehr niedrig.
Hinter der nächsten Ecke lauerte eine Frau mit Presseschildchen an der Bluse und Mikrofon in der Hand - Harmony schubste sie einfach achtlos zur Seite und betrat hektisch den per Zahlencode gesicherten Vorraum der kleinen Intensivstation.
„Harmony, komm rein, gut, dich zu sehen.” Louise winkte sie eilig herbei, als die Tür zu war. „Ich brauche deinen Rat.” Die Hybridin streifte sich schnell die bereitliegende Schutzkleidung an, öffnete die innere Türe und blickte auf die beiden verbrannten Körper. Aby, die zwischen den Betten auf einem zweifellos sehr unbequemen Stuhl saß, sah reichlich fertig und verheult aus.
Über Dads Körper zogen grünweiße Schlieren und er heilte sichtbar, bei Farrell tat sich nichts dergleichen, aber es piepte wenigstens regelmäßig, er war am Leben.
Lou kontrollierte die beiden Infusionen und erklärte dann: „Dein Dad ist in drei, vier Tagen wieder ganz gesund.” Sie senkte ihren Blick etwas. „Farrell nicht”, fuhr sie fort, „bei ihm ist es sehr kritisch, wenn nicht du ... irgendetwas machen kannst.”
Harmony spürte ihren Kopf pochen und hielt sich an der Wand fest, um nicht einfach umzufallen. „Du meinst ... du meinst, er schafft es nicht, bis Dad wach wird?”
Die Antwort war erwartet unerfreulich: „Organversagen - ein Tag, maximal. Harmony, du musst irgendetwas tun können, gib ihm Energie, irgendwas!” Louise schüttelte die Kimera energisch. „Ich habe es mit Grundenergietherapie versucht, und sie schlägt zwar an, aber nicht mehr als bei einem normalen Menschen - das wird nicht reichen! Harmony!”
Die Kimerahybridin schloss ihre Augen und versuchte, klar zu denken. Ruhe, die kühle, glatte Wand unter ihren Fingern, nur das half. Harmony konzentrierte sich auf das regelmäßige Piepen. „Dad ...” Wenn sie seine Heilung beschleunigen könnte, dann wüsste er ganz bestimmt, was zu tun wäre!
Sie legte beide Hände auf seine Brust und ließ ihr Shaqarava hell aufglühen. Einen Augenblick lang geschah nichts, doch dann spürte sie seine Energie nach ihrer greifen. Binnen Sekunden löste sich der materielle Körper auf, zurück blieb ein etwas geschwächter, aber gesunder Kimera - die Infusionskanüle landete mit einem leisen Klappern am Boden.
„Dad!”, Harmony schüttelte ihn, „Dad, du musst etwas tun! Es geht Farrell nicht gut.”
„Farrell ...” Liam sprang energisch auf und blickte auf seinen Sohn. „Farrell ... nein.” In leichtem Flackern bildete sich seine Fassade, dann sein menschliches Äußeres samt richtiger Kleidung statt dem Krankenfähnchen.
Aby hob ihren Blick, sie blühte förmlich auf, kein Schatten von Sorge war mehr in ihrem Gesicht zu sehen.
„Harmony, auf die andere Seite”, wies Liam seine Tochter an, während er nach Farrells linker Hand griff, „Sein Energiekörper ist versteckt - das müssen wir ändern.” Harmony ging um das Bett und fasste die rechte Hand. „Das wird jetzt zwar etwas ... ungewöhnlich ablaufen, aber ... naja.” Liam bot ihr seine freie Hand und sie legte die ihre dagegen.

Ungewöhnlich? Diese Verbindung ging reichlich tief, bis in die Bibliothek des Lebens, die genetische Information. Harmony sah die materiellen Gene, die Überlagerungen und die energetische Erbinformation, wobei das Gedächtnis deutlich herausstach, da es stetig anwuchs und sich vernetzte.
Das war kein Sharing mehr - das war der Beginn eines Joinings.
Dad! Das macht man doch nicht mit der eigenen Tochter!
Liam griff nach einer einzelnen, ganz speziellen Erinnerung in Harmonys genetischem Gedächtnis. Es lag keine Aussage darin, Harmony durchlebte die Erinnerung und da war nichts. Ihr Vater verschränkte seine Finger mit ihren und legte beide Hände auf Farrells Brust - und er übertrug genau diese Erinnerung an ihn.

Es tat sich etwas.

Harmony spürte Energiebahnen in ihrem Bruder, die schnell kräftiger wurden, was bei so viel übertragener Energie nun gar kein Wunder war. Heilend zog die Energie über Farrells Haut, die körperliche Gestalt blieb ihm aber. Schließlich unterbrach Liam die Verbindung zu seinen Kindern und auch Harmony ließ ihren Bruder los. - Aby hielt ihn dafür jetzt ganz fest und drückte und knuddelte ihn, obwohl er davon zweifellos überhaupt nichts mitbekam.
„Viel besser”, war Louise zufrieden, „Mensch bin ich froh ...”
„Mensch?”
„Najaaa, Kimera bin ich froh klingt doof.” Sie zog sich die dünne, grüne Mütze vom Kopf. „So, wie es jetzt aussieht, heilt das in einer halben Stunde”, erklärte sie, „Harmony, du bist rechtzeitig gekommen.”
„Wo warst du überhaupt?”, wandte sich Liam seiner Tochter zu, „Was ist mit Mitch, Tonio und Vater?”
„Mitch und Ronny geht es gut”, sagte sie und seufzte dann kurz, „Tonio nicht gerade ... gar nicht. Das Shuttle wurde sabotiert, jemand hat einen Interferenzkern eingebaut und ihn so gut getarnt, dass er beim Check nicht aufgefallen ist. Vielen Piloten würde es das Shuttle da zerreißen, aber ...”
„... aber ihr wart in einem anderen Universum?”
„Wir sind in Maiyas Welt gelandet.”
„Und?”, war Liam jetzt neugierig.
Harmony schüttelte den Kopf. „Nicht gut, der Krieg ist voll im Gange und ich bin nicht sicher, wie unsere Einmischung sich auswirkt ...” Jetzt war ihr Vater sichtlich bedrückt, Harmony hatte seine Hoffnung zerstört, dass er damals etwas Gutes bewirkt hätte. „Dad, du konntest nicht ahnen, dass Da'an drüben so sehr scheitern würde”, fügte sie hinzu, „aber er hat es ja versucht! Wie er es dir versprochen hat.”

Sie blickte jetzt zu Farrell, dessen Energiebahnen plötzlich sehr viel intensiver leuchteten als zuvor. Er heilte auch schneller, hatte sie den Eindruck. Louise bestätigte das dann auch, sie schätzte fünf Minuten. Aby verfolgte die blitzartige Heilung staunend und glücklich, Liam legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter und beugte sich über ihn.
„Farrell? Hörst du mich?”
Dad? Was war das?”
„Da bist du ja wieder!” Dad lächelte. „Wie fühlst du dich?”
Weiß nicht ...” Farrell sah jetzt direkt Harmony an. „Du bist wieder da, Nyny!”, rief er und setzte sich auf - wobei sein Blick auf seine Arme und die darin schimmernden Energiebahnen fiel. „... Dad?”
Liam sah jetzt selbst deutlich nervös aus. „Ist schon gut, das ist ein großer Brocken zu schlucken”, sagte er, „Harmony hat genauso geguckt, damals.” Er versuchte, zu grinsen. Farrells Augen wurden aber mit jedem Wort noch größer und auf das Grinsen hin klappte er auch noch den Mund weit auf. „Also, ja”, fuhr Liam verlegen fort, „ich bin Ga'hil, Harmony ist Jae'yal. Und du bist auch ... Kimera.”
Farrell starrte ihn an wie einen Geist. Aby legte ihrem Sohn ihre Arme um die Schultern und lächelte ihn an. Sie war ein Mensch, sie war normal. Harmony hatte sich damals auch zunächst an gewöhnliche Menschen gehalten - soweit man Ronny mit seinem Implantat als gewöhnlich bezeichnen konnte.
Auch Farrell hielt sich an einen Menschen - wie erwartet an Aby. Er wandte sich von Liam ab und flüchtete in ihre Umarmung. Dad schien daraufhin etwas zu schrumpfen, Harmony schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, allerdings vergeblich.

Dabei müsste er sich eigentlich erinnern, dass es damals genauso gewesen war ...

Harmonys Global klingelte, mit jenem geringfügig anderen Klingelton. „Lou, ich brauche einen möglichst neutralen Hintergrund”, bat sie, „und der EKG-Pieps muss irgendwie aus.”
„Klar.” Die junge Ärztin schaltete beide Überwachungsgeräte sofort aus. „Lil schickt andere Daten an die Zentrale, ich kann hier machen, was ich will.” Sie sah Harmony an und fuhr fort: „Du solltest wissen, dass Ga'hil im Akkord nach deinem Shuttle gesucht hat und deswegen nicht erreichbar war.”
„Also ...” Die Kimera drehte sich zu ihrem Vater. „Soll ich rangehen?”
„Ja”, sagte er, „geh ran. Ich bin halt gerade ohne Global unterwegs. Bei einer ID-Spule oder so.”
Harmony suchte sich ein Stück reinweiße Wand und änderte ihre Fassade und Kleidung, dann ließ sie das Global aufschnappen. „Ja?”
„Miss Beckett, gut, dass ich wenigstens Sie erreiche”, grüßte Mitch, „Hat Ihr Vater etwa sein Global verloren?”
Harmony musste sich das Grinsen verkneifen. Der General stand unverkennbar vor dem Eingang des Krankenhauses und versuchte, ein öffentliches Alibi für Liam zu schaffen. „Er fährt gerade die Sensorspule runter, dort funktionieren Globals nicht. Versuchen Sie es in zehn Minuten nochmal, General Hendrik, dann erreichen Sie ihn - oder soll ich ihm etwas ausrichten?”
„Nicht nötig - Sie können mir ebenso helfen.” Jetzt schmunzelte er etwas. „Die Presse belagert das Krankenhaus, drin sind auch schon nicht gerade wenige. Sie können sie genauso wie Ihr Vater etwas von hier weglocken.”
Harmony runzelte ihre Stirn. „Ich werde sehen, was ich tun kann, General Hendrik.” Damit schob sie das Global wieder zu. „Was sagst du, Dad?”
„Wir könnten die Presse auch nutzen”, überlegte Liam, „Wir könnten rausgehen, die Reporter anlächeln und überschwänglich der Grundenergietherapie danken.”
„Wohl kaum”, schüttelte Lou den Kopf, „Dr. Haskill hat seine für Menschen mit diesen Verletzungen zutreffende, sehr sehr düstere Prognose leider der Presse mitgeteilt.”
„Hochdosiert?”
„Hochdosierte Grundenergie würde einen Menschen zum unechten Hybriden machen”, sagte Harmony, „Deren Shaqarava ist immer blau - also, wenn du die Farbe ändern kannst ...”
„Nein, kann ich nicht. Für uns hängt sie von der genetischen Struktur ab, nicht von der Energie.”
„Was wäre mit hochdosierter Kimeraenergie?”, brachte sich Aby ein, „Was das für Auswirkungen hat, weiß doch niemand.”
„Also, unechte Kimerahybriden?”, fragte Louise, „Das wäre eine Möglichkeit.”
Liam schüttelte dennoch den Kopf. „Es gibt leider doch genügend Menschen und Taelons, die sofort wüssten, dass es eine Ausrede ist”, erklärte er, „Mit'gai hat zu viel auch an meiner Energie geforscht. Es gab auch Energieübertragungen an Menschen, nicht gar so hoch dosiert, aber kurzfristig gab es Shaqarava - ausnahmslos grün.”
„Vielleicht Farrell”, hoffte Aby.
„Was ist mit mir?”, fragte der junge Hybrid unsicher.
„Zeig dein Shaqarava”, bat sie ihn. Er starrte jetzt auch sie an, und das sehr lange. „Das ist ganz normal”, sie lächelte und strich über seinen Kopf, „Das ist neu. Du musst jetzt aber zeigen, welche Farbe du hast! Ja?”
Die Telleraugen blieben. „Und ... wie?”
Harmony setzte sich zu ihm auf die Bettkante und zeigte ihm ihre offenen Hände, in denen sie es orangerot glühen ließ. „Tu es einfach, es ist nicht so schwer”, versuchte sie, wenigstens ihn aufzumuntern. Kurzer Blick zu Dad. „Zeig ihm deines auch.”
Das tat Liam, sein Shaqarava leuchtete fast weiß, mit einem Hauch Violett.
Farrell zögerte kurz, dann blickte er in seine eigene linke Hand - es tat sich nichts.
„Du schaffst das”, Aby drückte ihn an sich, „Ich weiß, dass du das schaffst.” Sie strich mit dem Daumen der rechten über seine Handfläche. „Ich konnte das auch mal ... zwei Stunden lang, ist ein paar Jährchen her.”

Der junge Kimera konzentrierte sich sichtlich, hielt auch gespannt den Atem an, und schließlich schimmerte Shaqarava in seiner Hand: blassgelb - oder weißgold.

„Okay, das war's”, seufzte Liam, „Louise, wie düster ist die Prognose für Menschen?”
„Haskill hat zwanzig für Sie respektive fünfzehn Prozent Überlebenschancen für Farrell für die ersten beiden Tage gegeben”, erklärte sie, „richtig heil würde ein menschlicher Patient nur mit sechsmonatiger Standard-Grundenergietherapie wieder und selbst das nur mit Glück.”
„Hochdosierte geht nicht”, sagte er, „und da ich nicht ein halbes Jahr lang verbrannt spielen will und Farrell bestimmt auch nicht ...”
„Dad?”, fragte dieser erschrocken.

Liam stapfte energisch durch den Raum: „Tja ... die Kincaid-Identitäten sind damit wohl tot.”

Harmony hob ihren Kopf und musterte ihn kritisch. „Meine nicht!”, knurrte sie, „Also untersteh dich, einfach Kincaid und Kimera zusammenzuführen.”
„Der Gedanke kam mir”, gab Dad zu, „aber du hast Recht, ich kann nicht einfach deine Identität sprengen. Du bist diejenige, die jetzt entscheiden darf.”
Sie nickte. „Ja, und ich entscheide, dass ich weiterhin als Mensch Harmony Kincaid lebe. Immerhin habe ich den besten Job der Welt!” Kurz blickte sie zu Louise und fragte: „Wie lange sind wir ungestört?”
„Halbe Stunde? Länger wohl kaum, Haskill hat sich angekündigt.”
Liam zog seine Stirn in tiefe Runzeln und seufzte: „Ich kann durchaus noch ein bisschen verbrannt spielen, aber ich bezweifle, dass Farrell dazu in der Lage ist. Fassadenänderung ist doch eher schwierig.”
„Attrappen?”, fragte Lou, „Aber Attrappen haben keine Lebenszeichen ...”
Dad straffte sich. „Farrell, du gehst mit Harmony”, bestimmte er, „Harmony, du lässt eine Attrappe von ihm machen, im Eiltempo, und bringst sie dann her. Du schaffst das. Ich mache derweil einen auf Brathähnchen.”
„Okay.” Harmony nickte langsam.
Aby zog derweil möglichst vorsichtig die Kanüle aus Farrells Arm und schob ihn zu seiner Schwester. „Es wird alles gut, ach was, das wird toll”, sagte sie, „Ja? Bis nachher.”
„Mum!” Er wollte sie nicht loslassen, aber sie schüttelte energisch den Kopf, dass er nachgab und sich von Harmony einen Arm um die Schultern legen ließ. „Nyny, was ... hast du vor?”, fragte er unsicher.
Harmony schmunzelte. „Es wird dir gefallen.” Ihre eigene Unsicherheit war zwar auch nicht gerade gering, aber sie musste es einfach schaffen. Sie musste es können, auch ohne einen vorhandenen Nexus weiterzuverwenden. Die junge Elfdimensionale kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich, sie spürte die Interdimension, schuf einen Nexus, gab ihm einen Vektor ... und dann zog sie Farrell mit sich hindurch.

„Harmony?” Mit weit offenen Augen ließ Laurie Tate fallen, was sie gerade in den Händen hielt - ein Tablett Pudding.
„Harmony?”, wiederholte Frank mit ähnlichem Gesichtsausdruck, aber er schaffte es, seinen Tellerstapel nicht der Schwerkraft zu überlassen, „Was ist los? Farrell? Alles okay?”
„Äh ... ich ...”
„Setz dich erst mal, Kleiner.” Frank stellte die Teller ab und zog einen Stuhl herbei.
„Kümmert euch bitte um ihn, ich muss zu Melissa und Kural und dann gleich zurück nach Washington”, bat Harmony, die Antwort wartete sie nicht ab, sie verließ „Franks Kochmütze” und rannte die Straße entlang bis zur städtischen Arztpraxis.

Der Jaridianarzt und seine greise menschliche Doktormutter hatten ein leeres Wartezimmer, aber hinten im Labor saßen sie und brüteten über Attrappendaten, während Harmonys Tarndouble (und Kurals Frau) Deram gelangweilt ihre Fingernägel feilte.
Alle drei hatten den Tod der menschlichen Identitäten vorausgesehen, es war alles bereit. Die beiden Ärzte machten sich an die Replikation der Attrappe, während Deram Harmony erleichtert ansprach: „Schön, dass es dir gut geht, aber wo zum Henker warst du denn?”
„Maiyas Welt”, erklärte die Kimera knapp, „Sag mal, fühlst du dich in der Lage, auch Jae'yal zu mimen?”
„Für die Presse nicht, aber wenn ich nur so ein bisschen Alltag liefern soll ... Busfahrt oder so ...”
„Nein, Presse”, seufzte Harmony, „Schade. Okay, was anderes: Kannst du die Attrappe getarnt ins Krankenhaus bringen? Die eine Teleportation hat mich schon reichlich geschafft, noch eine brauche ich nicht unbedingt ...”
„Kriege ich her, ja, wenn Kural mir vorausläuft und alle aus dem Weg scheucht”, nickte die Jaridian, „und drin bin ich dann du?”
„So dachte ich es mir, ja. Ich mische dann draußen die Presse auf.” Harmony zog ein schiefes Grinsen. „Ich hole schon mal ein Shuttle, bis gleich.” Damit ließ sie Deram stehen und lief hinaus, über die Straße und ins Rathaus, wo sie Ex-Bürgermeisterin Bess anrempelte, sich entschuldigte und in den Lift hastete.

Kaum später hatte die Kimera eines der drei Shuttles durch die Interdimension aus der Höhle geholt und Kural und Deram samt in blaue Kunststofffolien eingewickelter Attrappe vor der Praxis abgeholt.

Jae'yal landete das Shuttle vor dem Krankenhaus und stieg aus. „Bitte, machen Sie Platz”, rief sie, „Lassen Sie Dr. Kural bitte durch, danke.” Die durchaus beachtliche Ansammlung von Menschen, hauptsächlich Presse, machte für den Jaridian Platz - und damit auch für die getarnte Deram mit der Attrappe.
„Ist ein Jaridianarzt der richtige, um Menschen zu heilen?”, fragte eine ältere Reporterin.
„Dr. Muldoon hat ihn hergebeten und ich habe mich zur Verfügung gestellt”, erklärte Harmony, „Von Medizin weiß ich leider wenig, daher kann ich Ihre Frage nicht beantworten.”
„Ihre Mutter ...”
„... war Biologin”, würgte die Kimera gleich ab, „Das ist für die meisten Fälle viel zu allgemein, wie Ihnen jeder Arzt bestätigen wird.” Sie stellte zufrieden fest, dass sich die Presse auf sie fokussierte und Kural unbehelligt durchkam. Etwas abseits machte sie Mitchell aus, er grinste sie breit an. Es lief alles am Schnürchen, Harmony wurde nicht mehr gebraucht. „Bitte entschuldigen Sie mich, ich habe noch anderes zu tun”, beendete sie ihre Sprechstunde brutal und setzte sich wieder auf den Pilotensessel.
Die Presse war nicht begeistert, aber die Kimera flog dennoch ab.

„Hallo, Harmony.”
Die Hybridin wandte sich halb im Pilotensessel um und machte große Augen. „Mum?”
Die hell schimmernde Gestalt mit taelonblauen Augen und deutlichem jaridianischen Tigermuster auf Stirn und Wangen lächelte fröhlich. „Ich dachte mir, wenn du gerade nicht in menschlicher Form unterwegs bist, kann ich das genauso halten”, erklärte Joyce, „Wie geht es dir? Ich war reichlich besorgt, als du aus allen elf Dimensionen verschwunden warst.”
„Ich wurde gefangengenommen, sollte implantiert werden, wurde gefangengenommen, sollte geopfert werden, wurde erschossen, konnte Tonio nicht helfen ... und als ich heimkam traf mich der Schlag, weil Dad und Farrell gesprengt wurden.”
Joyce neigte knapp den Kopf. „Es hilft dir vielleicht, zu wissen, dass Farrell auch ohne Hilfe überlebt hätte.” Harmony musterte ihre Mutter irritiert. „Du weißt, dass Liam schon einmal materiellkörperlich tot war, als er Augur und Maiya aus der Nahtoderfahrung geholt hat.”
„Jetzt echt ... tot?”
„Hirntot, ja, aber Liam kam rechtzeitig aus der Nahtoderfahrung raus, bevor sich auch seine Energie aufgelöst hätte ... hat Ha'gel ganz toll gemacht.”
Davon wusste Harmony sogar, aber es beschäftigte sie nicht näher. Die Hybridin starrte stattdessen vor sich ins Blau der Interdimension. „Warum bist du hier?”, fragte sie schließlich.
Joyce war einige Momente ganz still, dann sagte sie: „Dein Energielevel ist deutlich niedriger als vor deiner Reise. Was ist passiert?”
Harmony blickte zu Mum. „Ich wurde erschossen! Von einer Jaridian.” Mehr wollte sie nicht unbedingt sagen.
„Genügt nicht. Fürs Energielevel ist erschossen zu werden Kleinkram.”
„Du kannst Gedanken lesen, was fragst du also?” Keine Reaktion. Harmony seufzte leise. „Ich dachte mir, dass es jemanden braucht, der mehr tun kann als Da'an”, erklärte sie dann und blinzelte zu Mum, „Ich meine ... Gleichgewicht. Dad hat damals Maiya mitgenommen und ...”
„... dem anderen Universum Lebensenergie entzogen.”
„Genau!” Harmony nickte heftig.
„So gesehen war es richtig”, bestätigte Joyce, „aber deine Motivation war es nicht.” Lass die verdammte Erziehungskeule stecken! „Ich kann deine Intention, es für dich zu behalten, nicht gutheißen”, fügte Mum hinzu, „Sag es Liam. Er hat nämlich auch eine Erziehungskeule.”
Die hatte er allerdings, aber es war nicht gesagt, dass er mit Joyce einer Meinung wäre (Ronny war es ja auch nicht!). Harmony hätte es ihm ja ohnehin früher oder später gesagt - jedenfalls hoffte sie das. Verdammt! Es fühlte sich überhaupt nicht gut an, dass Mum das besser wusste als Harmony selbst.

Als das Shuttle aus der Interdimension austrat, war Mum weg. Harmony bremste es ab und landete an der vorgesehenen Stelle in der Höhle, dann stieg sie aus und betrat den Lift - Zoriel stand darin und grüßte: „Hi. Wie geht es dir? Ich hab vorhin Farrell gesehen ... er sieht völlig fertig aus und ohne Lauries Pudding wäre er bestimmt depressiv.” Sie beugte sich etwas näher zur Kimera und flüsterte: „Sie hat das Tablett fallenlassen, der durchgeschüttelte Pudding sieht nichts mehr gleich und steht zum Abschuss frei.”
„Ah ... ja, sie ist erschrocken.”
„Alles okay? Du warst ja eine Weile weg.”
„Maiyas Universum”, seufzte Harmony, „Mir geht es ja gut, aber Tonio braucht ein Heer von Ärzten ... ich hoffe, die kriegen ihn wieder hin.”
Zoriel griff nach dem Arm der Kimera und fragte tonlos: „Was ist mit ihm passiert?”
„Die Taelons drüben haben die Imperativ-Komponente nicht umgebogen bekommen, also wollten sie ihm ein neues CVI einsetzen - im Moment hat er keines und das ist schon deutlich länger als 24 Stunden so.”
„Aua ...” Zoriel verzog das Gesicht und kniff die tiefblauen Augen zusammen. „Und ... wie sieht es drüben aus? Gibt es mich?” Sie verließ mit Harmony den Lift. „Nicht, oder?”
„Deine Hälften jedenfalls. Zo'or ist Synodenführer und Sheryl - so heißt Ariel dort - hat mich niedergeschossen.”
„Oh. Entschuldige.” Zoriel hielt die Rathaustüre für Harmony offen und fragte dann: „Aber wie kann es Ariel dort drüben geben? Ich meine, Dad und eine Implantantin? Oder ist Sheryl ein Experiment?”
„Oh, nein, nein. Schon ein Kind der Liebe”, korrigierte Harmony, „Kaylas CVI brach zusammen und Tyssa hat sie für gut eine Woche stabilisiert - hat für die große Liebe offensichtlich gereicht.”
„Ja aber die Schwangerschaft?”
„War Tyssas Sache. Da'an hat spezielle Portale vom Mutterschiff geklaut und Sheryl ... äh, umgepflanzt. Du bist jetzt meine Tante.”
„Ja, sowieso.” Zoriel runzelte irritiert die Stirn. „Da'an ist ja dein Großelter, aber was ...”
„Tyssa”, Harmony grinste bis zu den Ohren, „ist Siobhán Beckett.” Sie stieß die Türe zu „Franks Kochmütze” auf und marschierte durch bis ins Hinterzimmer, wo sie Laurie, Farrell und viele, viele Puddingschalen vorfand. „Farrell?”, murmelte sie vorsichtig, „Wie fühlst du dich?”

Der junge Kimerahybrid hob seinen Blick, ließ den Löffel in die Schale fallen und brach in Tränen aus. „Nynyyy ... warum? Warum ich?” Harmony war sofort bei ihm, setzte sich neben ihn auf die Sitzbank und legte ihre Arme um ihn. „Ich bin doch kein Kimera ... ich bin ...”
„Mensch. Ja, du bist ein Mensch.” Sie kniff ihn ganz sanft in die Wange. „Ich bin auch ein Mensch, genau wie du”, sagte sie lächelnd, „nur sind wir beide eben nicht nur Menschen, sondern auch Kimera. Ja?” Mit den Fingerspitzen strich sie die Tränen aus seinem Gesicht. „Weißt du, es ändert ja nichts daran, wer du bist, nur weil du jetzt mehr über dich weißt. Du gewöhnst dich dran, ganz sicher - ich musste mich auch daran gewöhnen, und ich musste mich sogar an noch mehr gewöhnen!”
„Nynyyy ...”, murmelte er.
„Ja?”
„Bin ich vielleicht ... tot?”
„Nein, Zwerg”, sie schüttelte den Kopf, „Du bist eben Kimera, dich bringt so schnell nichts um.”
„Aber wenn ich tot wäre, dann würde ich das träumen!”
Damit saß Harmony in der philosophischen Klemme. Das war aber auch verzwickt! Was für ein ungünstiger Zeitpunkt, Farrell seine außerirdischen Wurzeln zu offenbaren! „Farrell, warum solltest du träumen, Kimera zu sein, wenn du das doch gar nicht willst?”
Weiß nicht ...”
„Du träumst nicht, ich verspreche es dir, ja?” Sie reichte ihm die Puddingschale und zog ein schiefes Grinsen. „Geträumter Pudding würde doch besser schmecken, oder?”
„He!”, protestierte Laurie energisch, während Zoriel hilflos lachend dem Türrahmen entlang zu Boden sank.
„Was ist?”, Harmony sah die Köchin unschuldig an, „Träumen würde er von deinem Weihnachtspudding!” Laurie grummelte unzufrieden, sagte aber nichts. „Farrell, glaub mir, es ist wirklich nicht übel, Kimera zu sein.” Harmony drückte ihren Bruder an sich. „Glaub mir, es ist cool - und zwar richtig cool!”
„Wir haben alle schon unseren Amboss von oben abgekriegt”, brachte sich Laurie nach einigen Augenblicken ein, „Sogar ich. Man gewöhnt sich daran, dass das Leben eben nicht gewöhnlich ist.”
Harmony runzelte die Stirn. „Was hast du denn für einen Amboss abgekriegt?”
„Naja, im Vergleich ist es ein winziger Amboss.” Laurie rollte mit den Augen. „Einen Neffen habe ich halt ... Dad hatte da mal eine sehr blonde Freundin auf der High und die ist inzwischen wohl seit vierzehn Jahren Oma”, erklärte sie, „und knapp bei Kasse, wie das halt so ist.”
„Na klasse.”
„Du sagst es. Sie will uns den Kerl aufhalsen - und Dad sagt auch noch ja!”
„Was soll er sonst machen?”, erkundigte sich Zoriel, „Offenbar hat sein Enkel ein schwieriges Umfeld - und was ist eigentlich mit den Eltern? Kümmern die sich nicht?”
Laurie runzelte ihre Stirn und deutete ein Schulterzucken an. „Ich hab keinen Schimmer.”

Farrell löffelte nun wieder Pudding, die Tränen waren versiegt. Harmony grinste Laurie dankbar an - etwas Ablenkung von den eigenen Problemen hatte dem jungen Hybriden offensichtlich gut getan. Er kam zurecht. Als Laurie die leeren Schüsseln wegbrachte, nahm Zoriel auf dem nun freigewordenen Stuhl Platz und klackte mit grellpinken Fingernägeln auf dem Tisch.
„Der Nagellack ist heftig”, sagte Harmony, „Der violette hat mir besser gefallen.”
„Ach komm ... von dem hab ich jetzt einfach mal genug.” Zoriel rollte mit den Augen. „Also: Würdest du diese dicken graubraunen Dinger etwa lieber unlackiert lassen?” Sie drehte ihre rechte Hand um, dass Harmony die Fingernägel von unten sehen konnte - und es stimmte: graubraun.
„Huch!”
„Ja eben. Ist seit Mitte der Schwangerschaft so, Kural sagt, es ist hormonell bedingt. Am Anfang hab ich sie niedergefeilt, aber das ist viel zu aufwändig - also halt Nagellack.”
„Richtige Krallen, hmm?” Die Kimera grinste, was ihr beim derzeitigen Gesichtsausdruck der Atavus sofort verging. „Wie jetzt? Wirklich Krallen? So scharf die Dinger?”
„Das ... also, sagen wir mal, ich bin ein Werwolf, ja?” Zoriel verhakte die Finger. „Also quasi bei Vollmond fahre ich die Krallen sogar aus. Irgendwie so wie Wolverine, kannst du dir was drunter vorstellen?”
„Nein?”
„Soviel zum ach so umfassenden genetischen Gedächtnis der Kimera ...”
„Äh, nein, ich meine: Wolverine?”, korrigierte Harmony.
Die entrüstete Antwort kam prompt: „Banause! X-Men!”
„Ich habe jetzt keine Zeit, mir einen deiner Actionfilme anzusehen”, beschloss die Kimera und richtete ihre rechte Handfläche senkrecht aus, „Die Kurzfassung, bitte.”

Das hatte noch nie geklappt! Zoriel war gnadenlos, Kurzfassungen gab es nicht, gemeinsam mit Neville schleifte sie Harmony immer früher oder später vor den Fernseher. Aber wenigstens zückte sie nun ihr Global und zeigte einen kaum zehn Sekunden langen Ausschnitt. Übertrieben hatte sie keineswegs: Ausfahrbare Krallen.

„Ah. Und das kannst du auch?”
„Ja, würde ich mal so sagen. Komm nächste Woche vorbei, da ist ... Vollmond, dann zeige ich es dir.”
Harmony griff unterdessen nach ihrem nach Jae'yal piepsenden Global - es war Ronny. Hektisch stellte sie sich vor ein Stück Wand und nahm die richtige Gestalt an, dann ließ sie es aufschnappen. Entwarnung, er war ohnehin allein.
„Harmony, über die andere Nummer lande ich nur bei Deram”, übersprang er die Begrüßung, „Ist bei Farrell alles okay?” Die Hybridin deutete ein Nicken an. „Gut. Was Arias angeht: Offenbar hat Tyssa einiges drauf, was in unserem Universum noch keiner herausgefunden hat, er ist im Moment stabil und Taylor implantiert ihn gerade.”
„Puh”, war Harmony erleichtert.
„Nein, über den Berg ist er noch nicht”, widersprach Ronny, „Abwarten.”

* * *

Abwarten hieß es nicht nur in dieser Hinsicht. Dad spielte weiterhin das Brathähnchen - also blieb es doch an Harmony hängen, ihrem Bruder seine Fähigkeiten zu erklären. Sie versuchte sich möglichst genau zu erinnern, wie es damals gewesen war ...
Sie machte es genau wie Dad damals, sie erzählte Farrell von Dingen, die er im Gedächtnis hatte. Sie erzählte ihm von damals, als die Taelons gerade erst angekommen waren, sie erzählte ihm von Ronnys Zeit mit Imperativ, sie erzählte von Ha'gel.
Das war es alles nicht, was Farrell als erstes sah. Er grinste breit bis zu den Ohren und bemerkte: „Du warst ein richtig süßes Baby, Nyny.”
„Das liegt zweifellos in der Familie”, gab sie zurück, „Woran erinnerst du dich genau?”
„Das war im Krankenhaus, Ronny war auch da”, sah er Harmony fragend an, „Dad hat dich ... gefunden?”
„Ja, aus dem Nichts aufgetaucht bin ich, also, Mum hat mich dort abgesetzt. Ich erinnere mich daran nicht so wie du, viel verschwommener, halt per Sharing ...” Sie lächelte. „Erinnerst du dich an mehr? An mich? Oder an Aby?”
„Nein ... es geht nicht, es will nicht ...”
„Das macht nichts, mir ging es auch so”, beruhigte sie ihn, „Das wird schon.” Wovon konnte sie ihm noch erzählen, wenn nicht funktionierte, was ihre eigene Erinnerung an die Oberfläche gebracht hatte?
Spätere Erinnerungen. Was war das Wichtigste gewesen?
Die Beförderungen? Nein, so viel machte sich Dad aus seinem Rang nicht.
Zoriel? Nein, natürlich nicht - Harmony raufte sich die Haare, das war ja nach Farrels Zeugung gewesen.
„Kannst du dich an das Interview erinnern?”, fand sie schließlich etwas Wichtiges, „Ich kann dir auch das Video zeigen, wenn dir das hilft.”
Farrell blinzelte verdutzt. „Ja ...” Er starrte an seiner Schwester vorbei, irgendwohin. „Du warst da, neben ... Dad?” Er kniff die Augen zusammen. „Vorjak? Das war Vorjak, oder?” Harmony nickte und musterte ihn - Farrell schien beinahe euphorisch. „Du wusstest es da schon, oder?”, fragte er, „Ja?”
„Gut ein Jahr schon”, sie nickte wieder, „Und was ist mit ...” Sie unterbrach sich, als er einen Finger hob und wieder irgendwo ins Leere blickte. Schließlich klappte er seinen Mund sehr weit auf. „Was ist? Woran erinnerst du dich?”
„Ich ...” Farrell runzelte die Stirn und sprang auf. „Ich will nicht darüber reden.” Damit lief er aus dem Raum und Harmony blieb verdutzt alleine zurück.

* * *

Der junge Hybrid verkroch sich drei Tage lang in seinem Zimmer, doch schließlich wagte er sich doch wieder unter Leute - was aber vermutlich eher daran lag, dass General Liam Kincaid inzwischen offiziell ebenfalls das Zeitliche gesegnet hatte und daher nun in Clearwater ankam. Liam war wie Ronny nicht Joyces Meinung: Er hätte Tyssa auch zur unechten Hybridin gemacht. Über Tonio gab es noch keine guten Nachrichten, der Implantant (jetzt ja wieder) lag im Koma und die Ärzte trauten sich nicht recht an eine Prognose heran.
Dazu kam noch eine richtige schlechte Nachricht: Trotz moderner Medizin konnte ein Hirnschlag einer über hundertjährigen Julianne Belman arg zusetzen - sie würde es nicht mehr lange machen. Harmony eilte, sie zu besuchen, aber als Mensch konnte sie ihr nur beim Blinzeln zusehen und für ein Sharing hatte sie nur sehr sehr wenig Zeit alleine mit ihr - aber es genügte doch.
Julianne war mit ihrem Leben zufrieden, sie fand ihr Alter ganz okay.
Gut, sie war über hundert - Harmony war trotzdem unter ihren Tränen schlicht nicht ansprechbar, als ihre Großmutter wenige Stunden später schließlich starb. Eine Schwester brachte ihr eine Riesenpackung Taschentücher und versuchte, sie zu trösten: es wäre ja wirklich nicht leicht, so viele Lieben auf einmal zu verlieren. Jeder glaubte nur, dass sie vor allem Dad und Farrell beweinte - was wohl so auch besser war.

Jetzt wäre doch wirklich ein guter Zeitpunkt, sich blicken zu lassen, Mum!

Mum zeigte sich nicht - vermutlich war sie ihrer Mutter im Traum erschienen, das konnte sie ja auch, wie Harmony von Dad wusste.

Die Hybridin war mehr als erleichtert, als sie wieder in Clearwater war und im Hinterzimmer von „Franks Kochmütze” Farrell, Aby und Dad antraf - und endlich erfuhr sie auch, woran sich der Zwerg erinnert hatte: An Dads Sturz vom Rathausdach.
Mit Sicherheit keine angenehme Erinnerung.
„Du kannst dir so viel Zeit lassen, wie du magst”, sagte Dad, „es wäre ohnehin nicht gerade schlau, jetzt gleich der Öffentlichkeit einen jungen Kimera zu zeigen.”
„Vor allem nicht gerade in meinem Alter”, verstand Farrell.
„Das ...” Liam runzelte die Stirn. „Farrell, ich kann dich schneller altern lassen, wenn du es willst”, sagte er, „aber das hat auch Zeit. Erst einmal solltest du deine Fähigkeiten zu beherrschen lernen.” Er öffnete seine linke Hand und schoss eine bedauernswerte leere Konservendose ab. „Das zum Beispiel.”

Harmony blieb nicht in Farrells Zimmer - sie erhielt einen Anruf von Mitch, bei dem auch Ronny war. „Ist etwas mit Tonio?”, fragte sie erschrocken.
„Es sieht düster aus”, sagte Ron, „aber deshalb rufen wir gar nicht an. Eigentlich wollten wir Liam, also Ga'hil, aber er geht nicht ran.”
„Er unterrichtet Farrell.”
„Ah. Naja, er wird sowieso noch offiziell informiert”, fuhr er fort, „Es ist eine Katastrophe, Harmony, irgendjemand hat die Taelonsicherheit auf der Abschussliste - heute Morgen kam General Hoshide vom Mars zurück und flog prompt bei der Landung in die Luft, General Abdullah wurde gestern Opfer eines Heckenschützen, Admiral Schäfle samt beiden Enkeltöchtern traf es mit vergiftetem Erdbeereis. General Tsvangirai wurden durch eine Briefbombe wenigstens nur zwei Finger abgerissen und die Generäle Xie und Golubeva kamen mit Schrammen davon.”
„Dann war unser Shuttle ... und die Autobombe ...”
„Nur zwei Fälle unter vielen, ja”, bestätigte Mitch, „Will bringt noch mehr Todesfälle damit in Verbindung: Das Ehepaar Caldwell von Caldwell Enterprises, Joshua Doors - oder auch Ilyin, Ishikawa, Touraine, ...”
„Militär und Wirtschaft”, Harmony runzelte die Stirn, „Keine Politiker?”
„Nicht dass wir wüssten. Aber hier ist etwas ganz gewaltig faul.” Er strich über seine Narbe und erklärte: „Wir sind davon überzeugt, dass Liams Beerdigung der ideale Ort für das nächste Attentat ist - Ron und ich werden dort sein und General Tsvangirai auch, ebenso Vorjak, der vermutlich auch ein Ziel ist.”
„Aber Dad wird auch dort sein”, wandte die Hybridin ein, „Werden die Attentäter sich in Ga'hils Gegenwart denn aus ihrem Versteck trauen?”
„Wenn nicht, war es eine nette Show”, Ronny zuckte mit den Schultern, „aber ich glaube kaum, dass bei so detailliert planenden Leuten kimerianische Präsenz große Panik auslöst. Die werden es versuchen, da bin ich sicher. Und wir werden bereit sein.”

Hoffentlich.

„Keine Sorge, wir haben durchaus einige Ahnung davon, wie Attentäter denken und vorgehen”, versicherte ihr Mitch, „Ich war lange genug im Untergrund und habe deinen Vater damals gekonnt einkassiert. Ein Attentat unterscheidet sich davon nur durch das tödliche Ende.”
„Mitch! Das beruhigt mich nicht!”, knurrte Harmony ihn an, „Wenn irgendetwas schief geht, geht ihr drauf!”
„Es geht glatt, Harmony”, sagte Ron fest.
„Ich sage es euch: Wenn ich glaube, dass es brenzlig wird, dann lasse ich meine Identität platzen!”
„Das steht dir offen - es kann dir keiner mehr dreinreden.”

Ja, damit hatte er recht. Hoffentlich wäre es trotzdem nicht nötig.

„Ich habe hier zufällig gelauscht”, ergriff Zoriel nach Beendigung des Globalgesprächs das Wort, „Da veranstaltet also jemand Generalskegeln.”
„Ja”, seufzte Harmony.
„Glaub mir, mit solchen Fiesigkeiten kenne ich mich aus”, sagte die Atavus fest, „Ich werde dort sein und eventuelle Attentäter eigenhändig aufspießen!”
Die Kimera runzelte die Stirn. „Aufspießen?”
Zoriel grinste. „Vollmond.” Sie zeigte vier handlange, weiß glühende Krallen an jeder Hand, „Die werden morgen auch noch da sein.” Das Leuchten ließ nach, die Krallen verschwanden. „Habe ich zu viel versprochen?”
„Nein ... nein, das ist schon recht ... beeindruckend. Können das alle Atavus?”
„Ich habe ein bisschen rumgefragt, aber ich scheine die einzige zu sein”, Zoriel zuckte mit den Schultern, „aber ich war auch als einzige mal schwanger, könnte daran liegen.”
„Wie sollten die drei Herren das denn schaffen?”, fragte Harmony augenrollend, „Nur Delian könnte - und deren Mann hat eine Doppelhelix, da wird das auch nichts.” Sie straffte sich. „Ich fliege nach Washington und sehe nach Tonio - als Jae'yal.” Sogleich löste sie ihre menschenübliche Kleidung in grüne Energiefetzen auf und änderte ihre Fassade, sie stieg erst auf die Zehenspitzen und dann auf die Ferse, während sie die Plateauschuhe bildete, ihr glänzender Anzug bekam diesmal Spaghettiträger und einen blassgrünen Gürtel.
„Ich komme mit”, tat Zoriel kund - und ließ sich davon auch nicht abbringen. Also kam sie eben mit.
Eine der Schwestern der Komastation begrüsste Harmony sofort: „Miss Beckett, Sie sind wegen Ihrer Großmutter hier? Es tut mir sehr leid ...”
„Danke”, die Hybridin senkte etwas den Blick, „aber ich bin wegen General Arias hier.”
„Ja, natürlich ... aber Ihre Mutter war hier und”, die Schwester zog eine Visitenkarte aus ihrer Brusttasche, „hat mir das hier für Sie gegeben und Ihre Großmutter mitgenommen.” Harmony nahm die schwarzumrandete Karte entgegen (die Einladung zur Beisetzung hätte Mum ihr wirklich persönlich geben können, Aufwand war es für sie ja wirklich keiner) und ließ sich dann zu Tonio bringen.

Der Implantant lag so regungslos da, nur der EKG-Pieps zeigte, dass er überhaupt lebte. Neben dem Bett stand eine junge, dunkelhaarige, stupsnasige Ärztin mit dem Namensschild Lt. Lettice Winslow. „Ich lasse euch alleine, ja?”, sagte sie, nickte Zoriel und Harmony knapp zu und drückte sich durch die wieder zufallende Türe.
Die Hybridin musterte Tonio besorgt - konnte er sie hören oder gar sehen? Seine Augen waren jedenfalls offen. „Tonio?”, sprach sie ihn an, seine Pupillen erweiterten sich kurz, „Ist es dir Recht, wenn ich ein Sharing mache?” Keine Reaktion, aus der sich wirklich etwas lesen ließ. „Ich hoffe, das war kein Nein, sonst bin ich gerade unhöflich”, fügte sie hinzu, als sie nach seiner Hand griff und Handfläche gegen Handfläche legte.
Es war kein Nein. Tonio war schwach, kaum noch bei klarem Verstand, aber diese Entscheidung hatte er getroffen: Er wollte ein Sharing.
Ich sterbe, Harmony. Wie war er sich so sicher? Die Ärzte sagen, dass ich sterbe. Sie hoffen nicht mehr.
„Ganz sicher? Tonio, es waren schon viele ...”
Nein ... Harmony, auch Mit'gai sagt es. Bitte bring Jimena her, bitte lass sie meine Gedanken hören.
„Jimena?”, murmelte Harmony.
„Seine Frau”, sagte Zoriel, „Ich hab sie unten in der Kantine gesehen, ich gehe sie holen.” Damit war sie weg und Harmony alleine mit Tonio.
„Ich hätte dich retten können ...”, flüsterte die Kimera, „Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass sie uns trennen.”
Du hast getan, was du konntest.
Nein. Sie schüttelte langsam den Kopf. „Ich hätte gleich teleportieren sollen ... dann hättest du noch das alte Implantat und ...”
Du bist Kimera! Du konntest dich nicht einfach verraten. Das ist in Ordnung. Er versuchte, sie aufzumuntern, ein sanftes Lächeln sickerte durch die Berührung. Es war mir eine Ehre und eine Freude, dich privat zu kennen und dich aufwachsen zu sehen, Jae'yal Beckett.
„Du darfst nicht sterben. Bitte.”
Ich habe keine Angst, Harmony.
Sie spürte, wie ihre Fassade dünner wurde, aber sie hatte nicht die Kraft, etwas dagegen zu tun. „Bitte ...”, flüsterte sie, dann wandte sie sich halb um, als Zoriel mit einer fast weißhaarigen Südamerikanerin zurückkam.
„Darf ich vorstellen: Mrs. Jimena Arias, Miss Jae'yal Beckett.”
„Bin sehr froh, Sie kenensulernen, Mis Beket.”
Harmony konzentrierte sich und versuchte ein Lächeln. „Ebenfalls”, brachte sie zustande, dann stimulierte sie Tonios Shaqarava-Energiekanal, dass er sich nicht sofort schließen würde, und umfasste mit ihrer freien Hand Jimenas. Sie löste sich von Tonio, in dessen Hand es schwach weißgrün nachglühte, drückte die Hände der Eheleute gegeneinander und trat einen Schritt zurück.
So nahe waren sich zwei Menschen selten - und es hielt bis zum Ende. Wie aus Stein saß Jimena dann da, noch immer ihre Hand gegen Tonios gedrückt, als der regelmäßige Pieps schon vor Minuten einem durchgehenden Ton gewichen war.

Harmony hätte ihn retten können ... wenn sie sich nur gleich als Kimera offenbart hätte ...
Sie schloss die Augen und verlor ihre Fassade. Er war immer da gewesen, schon als sie ein vierjähriger Knirps gewesen war hatte er ihr eine aus der Tüte gefallene Eiskugel ersetzt und die Tränen weggewischt. Jetzt konnte er ihre Tränen nicht mehr wegwischen, jetzt war er fort.
Dieser Tag war der schlimmste Tag in ihrem Leben.

* * *

Etliche bedeutende Militärs waren hier, Da'an und Mit'gai waren hier, die Elite von Clearwater war hier, selbst Präsident Fairbanks hatte sich mit einer Horde Sonnenbrillenträger vom Secret Service hergetraut. Harmony selbst wäre nicht hier, wenn ihr Vater wirklich tot wäre, denn dann könnte sie die Übermacht an beschäftigten Leuten mit Knopf im Ohr nicht ertragen - mit dieser Ausrede blieb Aby fern.
Von der Presse waren nur zwei der abgebrühtesten Vertreter hier, die wussten, dass sie sich mitten in der Hölle wiederfinden konnten.
Zoriel trat zu Harmony, die versonnen die Gäste musterte. Ein uniformierter und mit reichlich Metall behangener Schwarzer mit verbundener rechter Hand begrüsste Mitch mit traurigen Augen, das war General Tsvangirai. Hinter ihm betrat eine nobel gekleidete Blondine die Halle und Harmony runzelte die Stirn.
„Mrs. Federova, Sie sehen gut aus”, bemerkte Ron und neigte höflich den Kopf.
„Nun ... Second Chances läuft wieder und diesmal ohne, dass man sich danach mit falschen Erinnerungen wiederfindet.” Renee lächelte künstlich, doch als sie sich abwandte, fielen die Mundwinkel wieder deutlich nach unten.
Sie trauerte nicht um Liam, der als Ga'hil keine fünf Meter von ihr entfernt mit Da'an sprach - vermutlich eher um Joshua Doors.
Die nächsten Gäste waren für Harmony eine deutliche Überraschung, Zoriel neben ihr ballte ihre Fäuste und knirschte mit den Zähnen. Was hatte Niral hier zu suchen? War er womöglich ein Attentäter?
Oder Kajiral, der mit ihm die Halle betrat?
Harmony musste es wissen - sie setzte sich in Bewegung und steuerte den jüngeren Jaridian an, während ihr Vater sich schon Niral zuwandte. „Kajiral, nach zwei Jahren hatte ich nicht mehr erwartet, Sie noch wiederzusehen”, sagte sie.
Kajiral starrte sie einen Moment perplex an, dann lächelte er flüchtig und erklärte: „Es hat sich leider keine Gelegenheit ergeben.”
„Weshalb ist Ihr Vater hier”, fragte sie, durchaus misstrauisch.
„Er meint, der Achtung und der Ehre wegen ... aber ich finde es zu gefährlich.”
„Warum sind Sie dann hier?”
Einen Moment lang wirkte er unsicher, dann murmelte er: „Ihretwegen. Selbst wenn die Gelegenheit unglücklich und gefährlich ist.”
Harmony senkte kurz ihren Blick und seufzte: „Kommen Sie”, dann begab sie sich zu den Bänken und nahm in der ersten Reihe zwischen Mitch und Ronny Platz.

Die Kimerahybridin war unruhig. Sie saß ganz vorne, sie könnte die Gefahr nicht kommen sehen. Es half ihr allerdings, dass sie Zoriel in der letzten Reihe wusste - und den Secret Service, etliche Jaridiankämpfer und einen neuerdings (wieder) mit Skrill ausgestatteten William Marchese im Halbkreis um die Trauergesellschaft.
Nichts geschah, während erst Da'an und dann Vorjak schöngefeilte Worte verloren, und auch als Ga'hil etwas über sich selbst sagte, blieb alles ruhig. Schreckten die immensen Sicherheitsvorkehrungen die Angreifer ab? Würde doch nichts passieren? Nur eine nette Show, wie Ron meinte?
Nachdem der Sarg im Boden verschwunden war und die ersten Blumen hinterhergeworfen wurden, kam Zoriel zu Harmony und flüsterte: „Alles ruhig, aber irgendetwas stimmt nicht.” Beide Frauen ließen ihre Augen über die Menschen und Aliens schweifen, es gab nichts offensichtlich Gefährliches hier.
Niral sprach kurz und wenig höflich mit Vorjak, machte aber keine Anstalten, ihn oder sonst jemanden anzugreifen. Renee warf ein halbes Blumenbeet auf den versenkten Sarg und verbrauchte währenddessen nicht nur ein Taschentuch - Harmony trat zu ihr.
„Ich weiß schon, er lebt ja”, flüsterte die Blonde, „Es ist nur ... zu viel. Die Caldwells, Josh ... das war eine Ehe wie in der Hölle, aber ... Josh ...”
Harmony spürte Energie, viel Energie, und wandte sich blitzschnell um - was war das?

Dads Fassade verschwand, seine Energiebahnen überstrahlten alles, neben ihm sackte Vorjak zusammen ... Kajiral!
Dad!”, schrie Zoriel und sprang quer durch die halbe Halle (so schnell konnte Harmony gar nicht gucken, geschweige denn reagieren), um ihre leuchtenden Krallen in Kajirals Körper zu schlagen.
Nein, nicht in Kajirals Körper. Unter Dads Energie brach die Tarnung zusammen. Niral wich mit schreckgeweiteten Augen etwas zurück, während Harmony überrascht näher trat - der Angreifer sah fast wie ein Mensch aus, aber er hatte auch eine gewisse Ähnlichkeit zu Zoriel, nämlich die Knochenvorsprünge über den Augen.

Und die leuchtenden Krallen.

Mitch griff nach Vorjak und zog ihn zu Mit'gai, der ein dunkelrotes, ovales Gerät hervorzauberte, während Liams Energiebahnen sich grell leuchtend wieder verbanden - Dad war nicht leicht totzukriegen.
„Wer bist du?”, fauchte der Kimera den falschen Kajiral an.
„Ich bin Yoryn von den Atavus!”, spuckte dieser gemeinsam mit einem Schwall Blut aus, „Wir bewohnten diese Welt, bis wir uns schlafen legten. Erweckt durch Feuer und Asche ... verlangen wir sie zurück!” Er sah Liam hasserfüllt an und ballte seine Fäuste, wobei die Krallen seine Handgelenke zerschnitten.
Er wandte sich und zuckte ... und dann war er tot.
Zoriel blickte auf ihre blutigen Hände, dann sah sie zu ihrem Vater und Mit'gai. „Ihr Vater wird genesen”, sagte der Heiler zuversichtlich.

Wenigstens das.

 

Ende von Kapitel 3

 

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