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  „Phönix” von Veria   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Juli 2016
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Harmony lebt erfolgreich ihre Doppelidentität.
Zeitpunkt:  nach „Blut”
Charaktere: Harmony, Alan, Jay, Zoriel, Kajiral, Liam, Corinna, Louise, (Damien, Drell Fisher, Andrei Chekov, Aby, Farrell, Ron, Mabel, Donovan, Vince)
 

 

PHÖNIX

Kapitel 1: Phönix I

 

Harmony war berühmt.
Nun, nein, nicht Harmony war berühmt, sondern Jae'yal. Es war durchaus bekannt, wer die Mutter der Kimerahybridin war, und ebenso auch, dass Joyce Belman durch ein Experiment auch Jaridian und Taelon geworden war. Man sah es Jae'yal an: Ihre Energiebahnen waren nicht nur weiß und grün wie die ihres Vaters sondern auch blau und orangerot und sie zeigte das üblicherweise auch an den Farben ihrer Fassade.
Eine menschliche Form für ihre Alien-Identität hatte Harmony ebenfalls, genau wie ihr Vater - und wie bei ihm war es genau jene, die allein durch ihre Gene (ohne Überlagerung) vorgegeben war. Ja, Jae'yal sah Harmony durchaus sehr ähnlich, aber Jae'yal zeigte deutlich das Jaridian-Tigermuster und hatte fast dieselben blassgrünen Augen wie Ga'hil, nur waren die ihren auch blauviolett umrandet. Außerdem trug Jae'yal ihre Haare kurz und wild, während Harmony ihr Schnittlauch im Nacken zusammenband. Anders herum verhielt es sich bei den Augenbrauen: Harmony ließ den meisten Wildwuchs, während Jae'yal im Gesicht ein penibel gezupftes Erscheinungsbild zeigte.
Zudem gab es mit der jungen Jaridianpilotin Deram (aufgewachsen in Clearwater) auch ein fähiges Tarndouble, somit war die angeblich bestehende Verwandtschaft der beiden Identitäten (Tante und Nichte zweiten Grades) als Begründung wirklich gut genug.
Sehr häufig zeigte sich Jae'yal ja ohnehin nicht.
Die meisten Menschen schätzten ihr Alter auf fünfzehn oder sechzehn und sie tat auch nichts, um diese Meinung nach oben zu korrigieren. Sollten die das ruhig glauben, dann verdächtigten sie nicht die Familie Kincaid. Manche Leute dachten sogar, Jae'yal wäre eher so im Neugeborenenalter, aber dem widersprach sie dann doch.

Im Gegensatz zu ihrem Vater gab Harmony kein Fernsehinterview. Sie begnügte sich damit, der Allgemeinheit nichtbewegte verbale Informationen zur Verfügung zu stellen, und geriet dabei an einen jungen Zeitungsjournalisten, der schon vor einigen Jahren eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, weil er für die Schülerzeitung ein Interview mit General Kincaid gemacht hatte.
Ihr Exfreund Alan Petersen, einer der unechten Taelonhybriden.

Harmony zeigte sich zwar nicht oft in ihrer Kimera-Identität, aber wenn sie es tat, dann konsequent. Und auch eine Kimerahybridin mit halbdurchsichtiger menschlicher Fassade (mit Tigermuster im Gesicht) konnte an der Hauptportalstation ein Busticket kaufen und ein öffentliches Verkehrsmittel mit Rädern benutzen. Und wenn ein paar verwackelte Globalvideos im Internet landeten, was machte das schon?
Genug Platz im Bus hatte sie jedenfalls, es traute sich niemand so recht in ihre Nähe. Auch im Redaktionsgebäude wichen ihr die Leute eher aus, nur der Herr an der Information konnte das nicht, er musste ihr sagen, wo Alans Büro war. Im Aufzug fühlte sie sich dann auch wieder beinahe, als hätte sie einen fahren lassen - alle zwängten sich in die andere Ecke.
Harmony fand das unangenehm. Wenn sie wenigstens stinken würde, aber sie leuchtete ja nur!
Sie überlegte gerade, ob sie doch einen fahren lassen sollte (und warten, wem die Schuld zugeschoben würde), aber da war sie schon im neunzehnten Stock und musste den Aufzug verlassen. Alan erwartete sie bereits: „Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Miss Beckett.”

Ja, als Kimera hieß sie Beckett, wie auch ihr Vater Ga'hil.

Alan schüttelte ihr die Hand und wies den Gang entlang. „Bitte folgen Sie mir.”
Sie folgte ihm. Das Büro war ein Aushängeschild des Millionärs, der die Zeitung besaß - Leder und dunkles Holz. Auf dem Namensschild an der Türe stand Anthony Skouris. „Eine sehr extravagante Einrichtung, wenn auch nicht Ihr Büro”, kommentierte Harmony, „Ich nehme an, Sie verdanken dieses Interview der Tatsache, dass Sie die Privatnummer des Generals haben?” Sie wollte Alan natürlich nicht beleidigen, also lächelte sie freundlich.
Sein Gesicht zeigte dennoch deutliche Ernüchterung. „Ich bezweifle, dass es ohne seine Privatnummer schwieriger sein hätte können. Eher glaube ich, dass es leichter gewesen wäre”, stellte er aber doch schlagfertig fest, „Und ich bezweifle, dass Sie sich in meinem besseren Abstellraum wohl gefühlt hätten.”
Harmony grinste. „Das wissen Sie nicht.” Sie griff nach einer blau leuchtenden kleinen Kugel auf einem Regal. „Ihr Mittagessen?”
„Ihnen war sofort klar, was ich bin?”, war er nun verdutzt.
„Natürlich.” Sie schmunzelte - nicht nur weil er es ihr vor fast zehn Jahren selbst gesagt hatte. Sie konnte jeden der unechten Hybriden spüren - und auch jeden der echten, die natürlichen und die künstlichen gleichermaßen.
„Dann brauche ich Sie ja nicht alibihalber fragen, wie sich Shaqarava anfühlt”, bemerkte er, „Bitte, setzen Sie sich doch.” Er schaltete das Diktiergerät ein.
„Gerne.” Sie nahm auf einem der beiden Ledersessel Platz und sah Alan auffordernd an.
„Ich spreche lieber von etwas, was ich mir nicht vorstellen kann.” Er lächelte und setzte sich ihr gegenüber. „Erzählen Sie mir vom genetischen Gedächtnis. Wie fühlt es sich an, von klein auf zu wissen, wie ... ach was, alles zu wissen, was Ihre Vorfahren jemals wussten?”
„Das weiß ich nicht aus erster Hand. Nur über meinen Vater.”
„Bitte?”
„Ich erinnerte mich nicht von Beginn an”, erklärte Harmony, „Als ich ein Kind war, glaubte ich vielmehr, Mensch zu sein, und wusste auch nicht, dass mein Vater der so berühmte Kimera ist - oder meine Mutter ein elfdimensionales Wesen.” Sie schmunzelte. „Nun stellen Sie sich mein Gesicht vor, als ich davon erfuhr! Nun ... allzu sehr können Sie es allerdings nicht - Sie wissen nicht, wie mein Gesicht aussieht, wenn ich ein Mensch bin.”
„Sie sehen sich selbst nicht ähnlich?”, fragte Alan.
„Wie bei meinem Vater sind auch bei mir so einige der Gene überlagert, Mr. Petersen. Wenn Sie mir als Mensch begegneten, würden Sie nicht vermuten, dass ich es bin.” Harmony lehnte sich zurück. „Mein Vater erklärte schon öfter, dass er sich nicht ähnlich sieht, und das gilt auch für meine Mutter.”
Alan hob eine Braue. „Eine glückliche menschliche Familie?”
Die Hybridin zog ein schiefes Grinsen. „Mr. Petersen, machen Sie Ihre Hausaufgaben ...”
„Das habe ich, Miss Beckett. Ich weiß natürlich, dass Ihre Eltern nicht zusammenleben, wie Mrs. Kincaid zweimal von Ihrem Vater erfragt hat. Aber darauf bezog sich meine Frage auch nicht.” Er legte den Kopf etwas schief und seine dunklen Augen wechselten ihre Farbe zu einem hellen Blauviolett. „Führen Sie als Mensch ein glückliches Leben?”
Harmony musterte ihn irritiert. „Ich wusste nicht, dass Ihresgleichen das können ... ich meine die Augen.”
„Sie verändern mehr als nur Ihre Augenfarbe.”
„Natürlich. Haut, Haare, Nasenspitze. Eigentlich ist mir fast alles, was irgendwo in meinen Genen steckt, dominant, rezessiv, inaktiv, was auch immer, möglich, wenngleich nicht alles einfach ist.” Sie ließ ihre Energielinien durchscheinen. „Tatsächlich wechsle ich nur zwischen den genetisch vorgegebenen Gestalten mit respektive ohne Überlagerung sowie meiner ... energetischen Gestalt.”
„Darf ich zu meiner Frage zurückkommen: Sind Sie als Mensch glücklich?”

War sie als Mensch glücklich?

„Ich bin kein Mensch”, sagte Harmony, „Ja, mit meiner menschlichen Identität führe ich ein gutes Leben, aber es ist kein menschliches Leben. Selbst damals, als ich glaubte, ein Mensch zu sein, war ich keiner.”
„Sie wären glücklicher damit, offen leben zu können, ohne sofort zum Mittelpunkt erkoren zu werden”, vermutete Alan.
„Sie formulieren es ausgezeichnet, Mr. Petersen.” Sie lächelte knapp. „Auch das Leben, das ich führe, wenn ich nicht Kimera bin, ist von meiner energetischen Natur stark beeinflusst, auch wenn ich dies selbstverständlich niemanden aus meinem Umfeld wissen lasse, der es nicht ohnehin weiß.”
„Wissen es viele?”
„Ein paar”, sagte sie, „Natürlich impliziert Wissen über mich auch Wissen über meinen Vater - und umgekehrt. Wir erzählen ungern davon, eben weil wir nicht nur die jeweils eigene Identität riskieren.”
„Noch mehr Identitäten zu riskieren?”
„Mums. Kein weiterer Kommentar.”
„Als Kind wussten Sie nichts davon, anders zu sein”, wechselte er das Thema, „Wie war es danach? War es schwierig, zu schweigen? Gab es Personen, die Ihnen ... nahe waren oder sind und dennoch nichts wissen?” Er musterte sie. „Eine Beziehung vielleicht?”
„Tatsächlich, ja, aber ich sagte nie, wer ich bin.” Harmony lachte leise auf. „Ich frage mich ja, ob eine Welle von Heiratsanträgen durch das Land geht, wenn ich Sie schreiben lasse, dass ich es meinem Verlobten wohl sagen würde ...”
„Haben Sie derzeit also eine Beziehung?”
„Das sage ich nicht.”
„Ich darf zu hypothetischen Fragen übergehen, Miss Beckett”, Alan lehnte sich etwas zurück, „Werden Sie einmal Kinder haben?”
„Ich wüsste nichts, was mich davon in biologischer Hinsicht abhalten sollte”, antwortete sie, „Ob Tripelhelix oder Doppelhelix, das spielt für Kimera keine besondere Rolle.”
Alan runzelte die Stirn. „Ihr Kind würde sich zunächst auch für einen Menschen halten und Sie würden auch seine Existenz als Kimerakind geheimhalten?”
„Vermutlich.”

Kurz war er still, dann lächelte er verlegen. „Miss Beckett, können Sie eine Schwangerschaft denn verbergen? Üblicherweise ... sieht man das einer Frau ja an.”
„Üblicherweise”, sie schmunzelte, „nur bei Energiewesen ist das etwas schwieriger. Ich bin sicher, dass ich mein Volumen kontrollieren kann, aber ob jemand mit energetischer Wahrnehmung es mir nicht dennoch ansehen könnte, weiß ich nicht.”
Er nickte.
„Möglicherweise wird sich das irgendwann einmal zeigen”, fügte sie hinzu, „aber derzeit habe ich keine Pläne.”

Harmony hätte gerne noch weitere Fragen beantwortet, doch dazu kam sie nicht mehr. Ihr Global piepste wild los, sie entschuldigte sich knapp und ließ es aufschnappen.
„Jae'yal, dein Typ wird verlangt”, meldete sich Jay.
„Ahja?”, sie hob ihre Brauen, „Kann ich erst noch fertig interviewt werden?” Alan sah sie überrascht an.
„Wohl kaum, liebe Nichte, es sei denn, du machst das im Eildurchlauf per Handauflegen”, widersprach Jay, „Zoriel sagt, sie will dich am sofortesten hier haben. Wörtlich.”
„Sag dem ehemaligen Synodenführer in ihr, dass ich den implantierter-Schoßhund-Status nicht geerbt habe”, knurrte Harmony.
„Das hab ich gehört!”, erklang Zoriels Stimme, „Es ist wichtig, verdammt noch mal! Ich leide hier, ja?”
„Wie Sie wünschen, Zo'or!”, sagte Harmony kühl und schob das Global zu, „Entschuldigen Sie, Mr. Petersen. Wenn sie sich so benimmt, ist es üblicherweise wirklich wichtig.”
„Äh ...”
„Sie brauchen ihre Tonaufnahme nicht zu schneiden, das Global hat sie automatisch gestoppt”, erklärte Harmony, während sie sich vom Sessel erhob, „Schreiben Sie dieses Gespräch also bitte nicht. Okay?”
Alan nickte perplex, dann sprang er auf und öffnete ihr höflich die Türe. „Darf ich das Interview bei Gelegenheit fortsetzen?”, fragte er.
„Ich melde mich bei Ihnen, Mr. Petersen.” Ihr Global sprang wieder auf. „Blanchet, Marcus.”
„Es war mir eine Ehre, Miss Beckett”, sagte Alan noch, dann war sie auch schon eilig davongehastet.

„Major Blanchet, zu Ihren Diensten, Miss Beckett.”
„Ein Shuttle zum Ma'el Plaza, ich warte. Danke.”

Sie brauchte nicht zu warten. Als sie aus dem Gebäude trat, stand das Shuttle schon da. Major Marcus Blanchet, einer von acht künstlichen echten Hybriden, begrüßte sie höflich und sprang sogleich in die Interdimension. „Nach Clearwater”, bestimmte sie.
„Sehr wohl, Miss Beckett. Werde ich morgen also etwas Interessantes in der Zeitung zu lesen haben?”
„Wir wurden unterbrochen”, sagte Harmony, „Landen Sie vor dem MacDougal-Haus.”
„Sofort”, bestätigte er und sprang aus der Interdimension. Leicht neigte sich das Shuttle, dann setzte es auf und die Hybridin sprang hinaus, riss die Haustüre auf und knallte sie hinter sich wieder zu.

„Verdammt!”, begrüsste Zoriel sie energisch, „Du hast versprochen, dass du da bist, wenn so etwas passiert!”
„44 Grad Celsius”, las Jason fröhlich von seinem Global ab und winkte Harmony zu, „Das ist absolut harmlos.”
Harmlos?”, fuhr die Atavus ihn an, „Wenn das so weitergeht, bleibt von mir und Henry nur Asche übrig!”
„Ach, Cousinchen, deine Temperatur ist glatte vier Grad höher als Henrys”, seufzte Jay augenrollend, „Das ist wirklich harmlos, besonders für ihn!”
Zoriel warf eine Packung angetauten Tiefkühlspinat auf den Tisch und drückte sich gefrorene Karotten gegen den Bauch. „Damien, sag doch auch mal was!”
Damien schimmerte kurz blau durch seine Haut und sagte etwas, nämlich: „Hallo.”

„Etwas anderes!”, knurrte Zoriel.

„Kannst du bitte ihre Panik beenden?”, flehte Damien Harmony an.
Sie konnte. Jay legte das Thermometer auf den Tisch und nahm Zoriel die Karotten ab, während der rothaarige echte Taelonhybrid Damien die Atavus hochhob und auf dem Sofa ablegte. Harmony ließ Shaqarava in ihren Händen aufglühen und griff nach Zoriels.
„Siehst du, Zoriel”, lächelte Damien, „das ist har...”
„Harmlos?”, fauchte die Atavus, „Ich bin verdammt noch mal keine normale Atavus und weder durch reine Grundenergie noch durch Atavus-Energie zu kühlen - und das gilt auch für Henry! Harmony ist die einzige, die das kann! Harmlos? Harmlos? Das ist nicht harmlos!”

„Natürlich, Schatz.”
„Gut.”

Harmony presste ihre Lippen fest zu einem Strich zusammen, um nicht dämlich zu grinsen - dafür gab sie konzentriert ihre Energie an den großen und den winzigen Fieberpatienten ab. Sehr gefährlich war es ja wirklich nicht gewesen, aber harmlos war nun auch das falsche Wort dafür.
Außerdem wusste Jason, wo das Fass Energie stand, und konnte auch einschätzen, wann es dringend genug war, Zoriel die Existenz dieses Notfallplans zu eröffnen.
„So”, schloss die Hybridin und ließ die Hände der schwangeren Atavus los.
„Was, das war alles?”
„Zoriel, du übertreibst”, erklärte Harmony, „und vor allem solltest du aufhören, ständig übermäßig viel Energie an Henry weiterzugeben!” Sie zog Zoriel in eine sitzende Position. „Solange er keine Kühlung braucht, ist es nicht nur Verschwendung, sondern du riskierst auch, zunächst selbst Fieber zu bekommen und es dann an ihn weiterzugeben.”
„Ach, Quatsch”, knurrte die Atavus
„Ja? Das sagst du derjenigen, die all das detailliert wahrnehmen kann?” Harmony legte einen Arm um Zoriels Schulter und zog einen Mundwinkel hoch. „Wenn du diesen Unsinn lässt, kriegen weder du noch er Fieber. Das Problem ist hausgemacht.”

Zoriel war mit dieser Aussage sichtlich ganz und gar nicht zufrieden, Damien dafür umso mehr, was wiederum Zoriel nicht freute. Aber die Atavus grummelte nur leise vor sich hin. Jay wanderte derweil in die Küche und knallte eine Pfanne auf den Herd - jetzt gab es also bald eine Improvisation mit Spinat und Karotten, denn die mussten ja weg.
„Sonst alles im Lot, Damien?”, fragte Harmony.
„Wenn du dich auf die Hauseinrichtung beziehst, nein”, gab der Hybrid zurück, „Ich hätte nie gedacht, dass Möbelhäuser einen verschlingen können ... aber Zoriel kommt einfach nicht wieder heraus.”
„Vier Monate verheiratet und er nörgelt nur. Ich hoffe, das wird besser”, seufzte Zoriel und stand auf, „Wo bleibt Corinna?”
„Weg”, antwortete Jay aus der Küche, „Sie weiß ja nicht, wer Harmony ist. Ich habe sie losgeschickt, Lili zu beschäftigen.”
„Oh ... stimmt”, sagte Zoriel, „Wann sagst du es ihr?”
„Er gar nicht”, sagte Harmony fest, „Das mache ich - wann ich es für richtig halte. Soweit klar?”
„Schon gut ...”

Nicht dass Harmony es Zoriel noch allzu sehr übel nahm, dass es Damien wusste. Der Hybrid war eine außerordentlich treue Seele, er würde es keinesfalls verraten. - Corinna und Louise zwar auch nicht, aber das war einfach das Prinzip.
Und da Harmony gerade an Louise dachte, fragte sie gleich: „Oh ... wie geht es Donovan?”
„Hm?”, Jay blickte vom zischenden Pfanneninhalt auf, „Dem geht es prächtig. Der Zwerg macht dir einen hübschen Handstand, wenn du ihn lieb bittest.”
„Das konnte er vor fünf Wochen auch schon. Etwas Neues?”
Jay grinste. „Auf den Händen laufen. Etwas Neues bei Farrell?”
„Jay, du warst gestern zu Besuch”, schüttelte Harmony grinsend den Kopf, „Ich bezweifle, dass das so schnell geht.”
„Ooooch, wenn man den Vater bedenkt ...”
„Dann müsste Farrell aber schon Lieutenant Colonel der US Army sein, nicht wahr?”, zwinkerte sie, „Und ich erst ... General, genau wie Dad. Irgendwann besteht die Familie dann nur mehr aus Generälen, na?”

„Geil!”

„Amüsant”, stellte Zoriel grinsend fest, „Ich denke, ich sollte dann mal langsam zu den Marines gehen, oder? Sonst wird das mit der Shuttlepilotin nie etwas.”
„Oh, ja, dich will ich in der Grundausbildung sehen”, grinste Harmony, „und ich sollte wieder los, sonst gibt es morgen kein Interview in der Zeitung.”

Major Blanchet flog die Kimera zurück zum Ma'el Plaza, noch auf dem Flug rief sie Alan an und schlug ihm eine Spritztour vor. „Soweit ich informiert bin, stieß General Kincaid mit einem vergleichbaren Vorschlag auf einige Gegenliebe”, bemerkte sie, „Wie ist es diesmal?”
„Miss Beckett, diese Frage ist unnötig”, antwortete er, „Ich beeile mich. Danke.”
Er beeilte sich. Kaum später stieg er in das Shuttle und schnallte sich auf dem Sitz neben Harmony an. Der Pilot hob seine Hände und brachte das Shuttle direkt in die Interdimension.

„Manche schätzen Ihr Alter so, dass Sie sich an Mrs. Kincaids Interview mit Ihrem Vater erinnern könnten”, ergriff Alan das Wort, nachdem er sein Global auf Aufzeichnung geschaltet hatte, „Können Sie sich erinnern?”
„Nicht genetisch”, schmunzelte Harmony, „allerdings hat mein Vater diese Erfahrung durchaus mit mir geteilt - und zugesehen habe ich natürlich auch.” Sie runzelte ihre derzeit leicht jaridianisch gemusterte Stirn. „Allerdings war es für mich bei weitem nicht so ... umwerfend wie für alle anderen. Ich wusste ja alles schon, was er sagte, oder mein Großvater, Captain Marquette oder Zo'or.”
„Ich darf bei Zo'or einhaken?” Alan straffte sich etwas. „Zoriel Marquette widmete ihrer Entstehung ein ganzes Kapitel in ihrer Autobiographie. Wie haben Sie das erlebt?”
„Ein ganzes Kapitel könnte ich darüber nicht schreiben”, erklärte sie, „Mein Vater hat mich geweckt, weil er Zo'or nicht mehr spürte. Ich habe Zoriel dann in ihrem, also Ariels, Zimmer gefunden - und daraufhin lief ohnehin schon die halbe Stadt zusammen, und Da'an wurde informiert und all das.”
„Sie und Zoriel sind verwandt, munkelt man.”
Harmony nickte. „Es ist so. Mein taelonischer Vorfahr ist Da'an. So gesehen kann man Zoriel als meine Tante ansehen.”
„Was ist mit Ihrem Jaridianvorfahren?”, fragte Alan weiter.
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, wer er war, ja”, sagte sie, „aber obwohl er damals vom Mutterschiff fliehen konnte, erreichte er das Jaridian-Territorium nicht. Ich bin ihm nie begegnet. Ich erinnere mich auch nicht - weder an sein Leben noch an Da'ans.”
„Was ist mit der Liebe in Ihrem Leben?”, wechselte Alan abrupt das Thema.

Harmony grinste schief: „Kein Kommentar.”

Viel mehr wusste Alan nicht mehr zu fragen, also ließ er es. Marcus Blanchet lieferte ihn wieder am Ma'el Plaza ab und brachte Harmony dann nach Clearwater, wo sie in ihre andere Identität schlüpfte.

Gerade noch rechtzeitig. Harmony mochte es nicht besonders, wenn Deram das Passagiershuttle von New York nach Dagichak auf Jaridia flog (oder zumindest dabei zusah) - nicht dass Deram keine fähige Pilotin wäre, aber von den beiden hatte nur Harmony eine Linienfluglizenz.
Der Flug dauerte glatte vier Tage und diese Zeit mit 49 anderen Personen in einem, wenn auch großen, Shuttle auszuhalten, war wirklich nicht ohne. Taelonische Fluggeräte sahen stets wenig Privatsphäre vor, gerade dass die Toiletten abgetrennt waren ... und dieses Zugeständnis war dem Konstrukteur und Architekten Su'ug mit sehr viel Mühe abgerungen worden.
Tag drei, Schichtwechsel, Harmony krabbelte aus ihrer Schlafkuhle, einer halbellipsoidförmigen, weich gefüllten Vertiefung im tiefblauen Boden. Die meisten der anderen Schlafkuhlen waren noch durch undurchsichtige blaue Kuppeln verschlossen. Es kam auch bestimmt nicht jeder so gut damit klar, sich derart zusammengekauert umziehen zu müssen - Harmony auch nicht, aber sie behalf sich damit, ihre Uniform aus ihrer Fassade zu formen.

Drell Fisher, der erfahrenste aus der Pilotenriege, wünschte ihr einen guten Morgen, als sie auf die Cockpitplattform stieg und sich neben ihn setzte. „Der Neue schlummert schon”, erklärte er dann, „Das Blau hat ihn hypnotisiert, na?”
„Sonst? Macht er sich?”
„Er kann fliegen”, sagte Drell, „Ich hab ihn den Panoramaflug bei Pa'auikai machen lassen, hat er mit Bravour erledigt.” Er lehnte sich zurück und schob die Steuerkontrolle mit einer Handbewegung in Harmonys Bereich der holographischen Kontrollen. „Die Passagiere, die wach waren, haben richtig gestaunt, wenn auch nur zwanzig Minuten lang.”
„Wo ist denn der nächste Panoramaflug?”, fragte sie.
„Nigchel, auch ein Gasriese, fällt aber wieder in Ihre Nachtruhe.”
„Schade.” Eine leichte Vibration zog durch ihren Körper. „Spüren Sie das, Drell?”, runzelte sie die Stirn und rief den Status des Shuttles auf. Drell spürte es natürlich nicht, aber er konnte es wie sie in den Anzeigen sehen. „Die Passagestreben ... na toll, unsere Passagiere werden uns keine gute Note geben.” Harmony hob beide Arme und atmete tief durch - und da fiel schon die rechte Strebe aus und das Shuttle bockte und sprang.

Liam hatte seine Tochter nicht umsonst auch in militärische Flugsimulatoren gesteckt, in denen auch Abschüsse simuliert wurden - und noch dazu hatte sie das genetische Gedächtnis. Sie konnte mit einer ausgefallenen Strebe umgehen und die dimensionale Resonanz geschickt nutzen. Nach nicht einmal einer Minute, in der allerdings die Passagiere nicht zu knapp aufschrien und sich aneinander klammerten, flog das Shuttle wieder ruhig.
Harmony startete die rechte Strebe neu und gab dem Bordtechniker einen Tipp - den er nicht brauchte, weil es ihn genauso durchgeschüttelt hatte.
„Gut gemacht”, lobte Drell, „aber bei Ihrem Vater ist das kein Wunder.”
„Ich bin nicht die einzige Zivilpilotin, die militärische Simulationsflüge gemacht hat”, wies Harmony das Lob zurück, „und auch nicht die einzige, die bei meinem Vater lernte.”
„Dennoch, viele können das nicht. Ich hätte auch reichlich Schwierigkeiten mit der Passagestrebe gehabt.” Er lächelte. „Sie wissen ja, es ist nur noch eine Frage des Dienstalters, dass Sie nicht mehr nur Copilot sein dürfen. Jeder sagt, dass Sie gut sind.”
„Ich weiß, dass ich gut bin”, stellte Harmony ganz unbescheiden fest, „aber die einzige bin ich da nicht.” Insbesondere Deram stand ihr da kaum nach.
Drell schmunzelte, musterte sie knapp und widmete sich dann wieder den Anzeigen. Der Bordtechniker hatte die Energieversorgung der Strebe neu eingerichtet und der Pilot startete den Antrieb im Flug neu, was ein kurzes Ruckeln verursachte. „Harmony, haben Sie eine Idee, was den Strebenausfall verursacht haben könnte?”

Hatte sie - aber eigentlich sollte es über ihren Verstand gehen. Sie hatte es gespürt, als eine schwache dimensionale Verzerrung das Shuttle durchdrungen hatte. Ein Erbe ihrer Mutter.

„Nein, leider. Aber es kommt auf interstellaren Flügen immer wieder vor.” Weit abseits von Masseansammlungen, die die Verzerrungen der Interdimension glätteten, wie verknitterter Stoff glatt wurde, wenn man am einen Ende zog. Harmony verstand all das, ganz intuitiv, weil sie es spüren konnte.
Sehr häufig waren diese Verzerrungen aber natürlich nicht. Das Shuttle kam ohne weiteren Strebenausfall bis Jaridia. Harmony hatte wenigstens die Gelegenheit, den dritten Panoramaflug selbst zu fliegen - Dargek war ein gelbweißer Gasriese mit 28 Monden und fünf breiten Ringen, definitiv wunderschön. Der Ausblick löste auch einige Ahs und Ohs aus.

Nur blaue Interdimension, vier Tage lang, war den Passagieren ja wirklich nicht zuzumuten.

Gerade zwei Stunden nach dem Panoramaflug setzte das Shuttle auf der Landebasis Dagichak auf und Harmony machte sich mit einem Wörterbuch (ohne Jaridianschrift, die ja nicht die Aussprache irgendeiner Jaridiansprache abbildete) bewaffnet auf, die Stadt zu erkunden. Sie war zwar nicht zum ersten Mal hier, aber mehr als die Zeitunterkunft hatte sie bisher nicht gesehen. Also nahm sie diesmal die acht Kilometer lange Rollstrecke ins Stadtzentrum.

Nun, sie kannte es, von allen angestarrt zu werden - aber doch nicht in ihrer menschlichen Gestalt!

Die jaridianische Stadt war anders, und dann auch wieder nicht. Es gab Straßen, Parks, Geschäfte - sogar Mülleimer, Hydranten und öffentliche Toiletten. Dass die Dächer allesamt pyramidenförmig spitz zuliefen war zwar markant, aber nicht allzu ungewöhnlich, wenn Harmony die taelonische Architektur bedachte.
Überraschenderweise brauchte sie das Wörterbuch kaum. So gut wie alles war beschildert und Harmony stellte schnell fest, dass sie die Schrift auch lesen konnte. Manche Zeichen kamen ihr zwar nur vage bekannt vor und zudem wirkte alles etwas falsch auf sie, aber sie hatte das nötige Gedächtnis.
Eigentlich schrieben die Jaridians also noch Kimerianisch - genau wie die Taelons, die allerdings weitaus mehr Facetten beibehalten hatten, wenn auch ebenso nicht alle.

Harmony fand eine gut besuchte Kneipe - und darin ihren neuen Pilotenkollegen. Der russische Rotschopf hatte die Sprachbarriere gekonnt mit Alkohol überwunden, radebrechte sich irgendwie durch die häufigsten Vokabeln und erzählte irgendetwas über einen Wanderurlaub.
Nach einem Schwank über einen verlorenen Schuh bemerkte er Harmony dann: „Ahhhh, Mister Sulu, hehehe.” Er hob sein Glas und grinste schief, bevor er den Machikt in einem Schluck leerte.
„Sie sind betrunken, Kollege”, stellte Harmony fest.
„Ja uuund? Morgen nimmer.”
„Ganz bestimmt nicht mehr.” Sie setzte sich neben ihn. „Die Nacht dauert auf Jaridia nämlich 85 Stunden am Äquator - und wir sind hier auf der Winterhalbkugel.”
„Hö?”
„Ich schätze ... 120 Stunden Nacht?”
Er wiederholte sich: „Hö?”
„Die Nacht ist länger als in Sibirien im Winter, Chekov!”, erklärte Harmony - und da fiel ihr gerade ein, wieso er sie wohl Mister Sulu genannt hatte. Sie musste grinsen. Mit einem Blick auf die Jaridians am Tisch reckte sie ihre linke Hand hoch (wie im Kulturexkurs im Wörterbuch beschrieben) und bestellte fröhlich: „Nizag Machikt”, gerade während Chekovs Kopf auf der Tischplatte landete.

„Mutig”, kommentierte ein nur geringfügig älterer Jaridian, „Sie streben sein Schicksal an?”
„Wie viele hatte er denn?”, fragte Harmony. Der sprachbegabte Alien wies auf die Gläsersammlung zwischen dem Menschen und einem weiteren Jaridian, der sichtlich auch nicht gerade auf der Höhe war. „Ah, wettsaufen”, verstand die Kimera, „typisch russisch, habe ich mir sagen lassen.”
„Typisch dagichakisch, füge ich hinzu.”
„Also interstellar gültig”, sagte Harmony grinsend, „Prost.” Sie nahm ein Glas vom Kellner entgegen und leerte es. „Starkes Zeug - aber ich musste es mal probieren.” Der Jaridian trank sein Glas ebenfalls in einem Zug leer. „Ich bin Harmony”, stellte sie sich vor, „und Sie?”
„Kajiral”, sagte er, „Es gibt nur eine Pilotin Harmony.” Er wies auf ihre Shuttlelines-Uniform.
„Stimmt.”
„Kincaid.”
„Ja, stimmt.” Sie drehte das Glas zwischen ihren Fingern. „Aber dass ich auf Jaridia auffalle, war mir ohnehin klar.”
„Sie fallen nicht nur einfach auf, Harmony Kincaid”, erklärte Kajiral, „Ihr Vater ist ein sehr bedeutender Kämpfer und so gut wie jeder auf diesem Planeten weiß das.” Harmony runzelte etwas ihre Stirn, als so berühmt hätte sie Dads menschliche Identität nicht eingeschätzt. „Und es sind nun nicht wenige”, fuhr der Jaridian fort, „die Sie als seine Tochter erkennen können.”
„Tja ... damit hätte ich wohl irgendwie rechnen müssen”, seufzte die Kimera, „Er ist nun mal berühmt.”
„Wie fühlt es sich an?”
„Wie fühlt es sich an, nicht diesen berühmten Vater zu haben?”, gab Harmony zurück. Kajiral schmunzelte und zuckte angedeutet mit den Schultern, während der Jaridian, der seine Trinkfestigkeit mit Andrei Chekovs gemessen hatte, vornüber kippte und auf dem Gesicht liegend zu schnarchen begann. „Russen und Dagichaker vertragen offensichtlich ähnlich viel”, bemerkte die Kimera mit einer hochgezogenen Braue, „Ich bin aber eine amerikanische Generalstochter - ich probiere das Wettsaufen gar nicht erst aus.”
„Das ist bestimmt sehr klug.”
„Was ist mit Ihnen? Kluges Kind berühmter Eltern?”, fragte sie Kajiral.
„So gesehen ... ich weiß, wie es ist, einen berühmten Vater zu haben”, seufzte er, „Dass er fernab jeder Vernunft agiert ... nun, mein Vater ist Niral.”
„Verstehe. Ich bin ihm bereits begegnet”, sagte sie, „zweimal.” Kajirals Gesichtsausdruck machte deutlich, dass ihn das sehr verblüffte. „Als ich zwölf war, ließ er das Mutterschiff von Südafrika aus beschießen, während ich gerade zufällig an Bord war”, erklärte sie, „und als ich neunzehn war, begleitete ich Zoriel zu den Verhandlungen, die Planetarbombardierung zu stoppen.”

„Zoriel ... wie ist sie so?”

Harmony musste grinsen. „Sehr unterscheidet sie sich nicht von Ariel, aber das kann gut und gerne daran liegen, dass Ariel und Zo'or sich überhaupt in ihrer Art recht ähnlich waren.”
Kajiral starrte sie fassungslos an. „Sie waren sich ähnlich? Ich meine ... man munkelt, es wäre nicht Ariels Bestreben gewesen, sondern einzig Zo'ors, mit gestelltem Vertrauen und ...”
„Sie haben einander vertraut”, widersprach Harmony energisch, „Mit Misstrauen gelingt die Verschmelzung nicht, wie bereits einige Atavus-Kandidaten, Taelons wie Jaridians, durch Lebensgefahr feststellen durften.” Sie beugte sich etwas vor. „Lesen Sie doch Zoriels Buch, hm?”
„Nein.” Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube Ihnen, dass Zo'or Ariel nicht täuschen wollte. Ich wusste ja nicht, dass eine Verschmelzung schiefgehen kann ...”
„Kann sie - und selbst wenn alles glatt geht, ist sie mitunter lebensgefährlich.”
„Das erklärt, warum es so wenige wagen.”
Harmony runzelte ihre Stirn. „Nein. Ich glaube, das liegt eher daran, dass so wenige Taelons einem Jaridian und ebenso wenige Jaridians einem Taelon vertrauen!”

Vertrauen.

Kajiral dachte sichtlich darüber nach, und das schweigend. Harmony bestellte derweil einen kleinen Snack, indem sie auf eine Zeile jaridianischer Schriftzeichen wies, und tat damit etwas gegen ihren aufkeimenden Hunger. Für ihre menschlichen Geschmacksknospen schmeckte es zwar nur nach Pappe, aber glücklicherweise konnte die Hybridin ihre außerirdische Schmeckfähigkeit aktivieren, ohne grell aufzuleuchten - und damit wurde die Pappe dem ausgezeichneten Ruf der dagichakischen Küche schließlich doch noch gerecht.

„Ich denke, ich werde die Erde besuchen, um dieses Vertrauen besser zu verstehen”, beschloss Kajiral schließlich, „Erlauben Sie, dass ich Sie aufsuche, wenn ich ankomme?”
„Rufen Sie mich besser erst an - sonst stehen Sie vor der Türe, während ich gerade ein Shuttle nach Jaridia fliege.” Er sah sie irritiert an, worauf sie ergänzte: „Das war ein Ja.”
„Ah.”

Harmony zückte nun ihr Global und rief das Programm auf, das sie vor zwei Wochen schon von Kural erhalten hatte. Sie fand eine offene Rechnung - auf ihren Namen, statt wie von Kural vorausgesagt auf „Mensch, weiblich, dunkelhaarig”. Natürlich bezahlte sie sie (per Global) auch gleich, und dazu noch eine Rechnung auf „Mensch, männlich, gesprächig”, denn der russische Rotschopf war nicht mehr dazu in der Lage.
Kajiral bezahlte auch seine Rechnung, dann half er Harmony, Chekov durch die Straßen und über die Rollstrecke in die Zeitunterkunft bei der Landebasis zu bringen, wo die Kimera dann auch ein eigenes wahrlich winziges Zimmer bezog.
Immerhin brauchte sie noch etwas Schlaf, denn in knapp acht Stunden wäre sie für den Start verantwortlich.

* * *

Es ging alles glatt. Der Start verlief wie im Lehrbuch und der erste Panoramaflug ebenfalls. Weiterhin war Harmony vier Tage lang nur an absoluter Routine beteiligt, abgesehen davon, dass sie sich diesmal für einen von Chekov geflogenen Panoramaflug wecken ließ.
Der Russe flog gut. Für einen Neuling sogar sehr gut, gut genug, dass Drell ihn das Shuttle dann zwei Tage später auch in New York landen ließ.
Nach der Landung schulterte Harmony ihr Pilotengepäck und machte sich nach einer recht knappen Verabschiedung auf den Weg zu ihrem Elternhaus - Liam hatte zu Pizza eingeladen.
„Nyny!” Farrell warf seine Schwester beinahe um, als sie gerade durch die Haustüre kam. Dass der gerade sechsjährige Zwerg das schaffte!
Harmony legte ihr Gepäck in eine Ecke und hob ihren Bruder hoch, um ihn kräftig zu drücken. „Dad? Ich habe hier einen umwerfenden Zwerg gefunden, was soll ich mit ihm machen?”
„Setz ihn an den Tisch, der Salat ist gleich fertig”, rief Dad zurück, „auf der Veranda! Und schrei es auch in den Garten, ja?”
Also waren noch mehr eingeladen. Harmony trug ihren doch reichlich schwer gewordenen Bruder auf die Veranda hinaus und griff zunächst nach dem Hochstuhl, was Farrell lachenden Protest entlockte: „Ich bin doch kein Baby!” Er sträubte sich frei und setzte sich brav auf einen normalen Stuhl. Auf Harmonys Ruf kamen dann Vince und Louise mit dem kleinen Donovan angelaufen, etwas später auch Jay und Corinna (vermutlich beim Knutschen gestört). Noch später kamen dann Ronny und Mabel, allerdings durch die Haustüre und mit einer Flasche Rotwein.
„Hi, Ronny”, grüßte Harmony und legte ihre Arme um ihren Großvater.
„Hi, Flöckchen”, lächelte er, „Wie war es auf Jaridia?”
Sie grinste ihn an und sagte: „Kann ich dir nachher zeigen”, dann wandte sie sich Mabel zu und umarmte diese.
„Harmony, tu mir bitte einen Gefallen und sag Ron, dass er nicht alt aussieht, ja?”
„Er sieht doch gar nicht alt aus ...” Die Hybridin blinzelte zu ihm und musterte ihn. Gut, ein bisschen faltig, ein bisschen grau auf dem Kopf, aber für sein Alter definitiv sehr gut erhalten - vielleicht dank gelegentlicher kimerianischer Energiespende.
„Im Vergleich zu Mabel”, erklärte er, „Sie hat das falsch verstanden. Ich beschwere mich nicht, ich lobe nur ihr jugendliches Aussehen.” Gut, das stimmte natürlich: Mabel sah jung aus. Sie alterte ja ärztlich bestätigt nur halb so schnell wie ein gewöhnlicher Mensch - es steckte schließlich Lebenskraft aus zwei Universen in ihr.
„Ich bringe Aby den Wein”, entschuldigte die Junggebliebene sich nun und betrat das Haus.
Ronny grinste Harmony schief an. „Sag nichts. Ich weiß ja, dass ich gerade durch die Krise brause.”
„Ach, drohende Großvaterfreuden? Gibt es da etwas, was ich nicht weiß?”, fragte die Hybridin und hob die Brauen.
„Oh, nein, Jay und Corinna planen glücklicherweise nichts”, er schüttelte den Kopf und geleitete sie ins Haus, „und neu wären die Großvaterfreuden ja auch nicht, wie du ja weißt.” Er zwinkerte. „Nur diese ganzen grauen Haare ... wenigstens fallen sie mir nicht aus!”
Stimmte. Keine Spur von Geheimratsecken oder durchscheinendem Hinterkopf. „Na dann ist es ja eh keine zu schlimme Krise”, stellte Harmony schmunzelnd fest, „Komm, gehen wir essen.” Sie zog ihn durchs Haus und auf die Veranda, wo schon fast alle saßen. Aby begrüsste die Hybridin mit einem breiten Lächeln, huschte noch um den Tisch und schenkte jedem Erwachsenen Wein ein. Jay hatte es übernommen, die Pizza zu schneiden, Vince teilte die Stücke dann aus.

Die meisten aßen grundsätzlich zivilisiert - im Gegensatz dazu verwandelten sich Donovans und Farrells Teller innerhalb kürzester Zeit in wahre Schlachtfelder und zumindest Donovan spannte seine Eltern auch fleißig zum Kleinschneiden ein.
Harmony durfte die Pausen zwischen ihren Bissen dazu nutzen, von Jaridia zu erzählen, Louise erzählte dann vom erfolgreichen Abschluss ihres Ärztepraktikums und Jay tat breit grinsend kund, dass er als Interspezies-Mediator auch gut zu tun hatte, besonders seit Zoriel sich ständig freinahm.
„Bist du denn dafür der richtige?”, fragte die Hybridin, „Ich meine, sehr interspezies bist du ja nicht.”
„Für leichtere Sachen reicht es”, sagte Jason, „die Schwierigen bleiben halt an Tival und Ellen hängen.”
Harmony runzelte die Stirn. Den Atavus Tival (Ti'ai und Nuval) kannte sie ja, aber ... „Ellen?”
„Ellen Palmer”, sagte Jay, „künstliche echte Taelonhybridin. Oh, hast du letztens Zeitung gelesen?”
„Nur das Interview und die allgegenwärtige Aschewolke, wieso?”
Er grinste breit. „Gib dir das! Renee Federova!”
„Und mit der Mutter ist Ellen normal geworden?”, lehnte sich Harmony kritisch zurück, „Wie hat sie das gemacht?”
„Ach, mit dem Gedächtnis ihres Taelon-Teils ging das schon”, winkte Jay ab, „Reichst du mir mal bitte das Olivenöl?” Sie stellte die grün gefüllte Flasche neben seinen Pizzateller. „An sich hätten wir ja gerne ihre Schwester auch als Mediatorin, aber die ging lieber zum Army Medical Corps - sei entspannender, sagte sie.”

„Schwester?”

Er verstrich die großzügige Portion Öl auf seiner Pizza und nickte. „Lettice Winslow, blieb beim Vater. Sag mal, hast du überhaupt nie in ein Klatschblatt geguckt?”
„Seit Jahren nicht mehr.”
„Keine Angst, selber mal drin zu landen?”
„Wieso? Ich lese es dann halt nicht und ärgere mich nicht drüber. Macht Dad auch so.” Sie klaubte ein auf die falsche Pizza verirrtes Stück Artischocke aus dem Belag und nahm einen Bissen. „Sag mal, Jay, wie geht es denn deinen Brüdern so?”
„Neville lernt wie ein Blöder auf die ganzen Prüfungen und freut sich auf den Abschlussball wie ein Suppenhuhn”, erklärte Jay, „Pepe lötet irgendetwas für ein Uniprojekt zusammen und Ga'hil ... öh, macht einen auf mysteriös.” Harmony musste grinsen.
„Suppenhuhn, Suppenhuhn!”, kicherte Farrell, „Suppen-Suppen-Suppenhuhn!”
Liam stützte seinen Kopf heftig auf beide Hände auf und seufzte laut: „Nicht schon wieder ...”
„Suppenhuhn!”, hopste jetzt auch Donovan grinsend auf seinem Stuhl herum, „Suppenhuhn, Suppenhuhn!”
Harmony blickte auf ihre Pizza und versuchte, sich nicht zu sehr vom Essen ablenken zu lassen. Die beiden Zwerge machten zwar weiter, aber die mangelnde Reaktion von Seiten der Erwachsenen nahm ihnen schließlich die Lust an diesem Blödsinn.

„Ma, darf ich spielen gehen?”, fragte Donovan Louise treuherzig.
„Und ich, Mum?”, fragte Farrell Aby.
Die beiden durften natürlich und rannten sofort in den Garten zum Sandkasten.

„So, das war es mit den Suppenhühnern”, stellte Ron erleichtert fest, „Jay, wenn du das nochmal machst, werde ich dich rupfen und in einen Suppentopf werfen! Du kennst die Zwerge doch, Suppenhuhn ist ein Reizwort.”
„Können wir zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung kommen?”, bat Liam, „Harmony, ich habe mit Jay geredet und ich denke, du weißt, worauf ich hinaus will.”
„Hmm?” Einen Moment lang machte die Hybridin zweifellos ein recht dummes Gesicht, dann fiel der Groschen: Es ging um die Identitäten. „Ahhh! Klar. Also meinst du, das geht klar?”
„Sonst hätte ich nicht eingeladen. Die Frage ist, was du dazu sagst.”
Sie nickte knapp: „Ja, geht klar.” Energisch rüttelte sie an ihrem Stuhl, dass sich das linke hintere Stuhlbein aus der noch immer nicht reparierten Spalte zwischen zwei Bodenplatten löste. „Corinna, Louise, kommt ihr mit rein? Dann zeig ich euch mal was.”
Die beiden jungen Frauen sahen sich kurz irritiert an, dann folgten sie der Kimera wie gewünscht. „Ich habe den Eindruck, es geht um etwas Großes”, stellte Corinna dann fest, „aber es ist doch alles in Ordnung, oder?”
„Alles in Ordnung, ja”, nickte Harmony, während sie die Rollläden herunter ließ. Sie war leider nicht besonders gut darin, Leuten allzu sanft etwas beizubringen, also blieb ihr keine andere Wahl als die schnelle Methode. „Okay, dann haltet mal die Luft an ...” Leicht ließ sie ihre Energiebahnen durch die Haut schimmern und sagte: „Wir sind Kimera, Dad, ich, und Farrell auch.”

Lou und Corinna ließen ihre Unterkiefer fallen, blieben aber ansonsten tapfer bei Bewusstsein.
„Also ... ich bin Jae'yal, und Dad ist Ga'hil”, fügte Harmony noch hinzu.
„Ja, das ... dachte ich mir dann eigentlich”, brachte Louise etwas mühsam heraus, „Wow ...” Sie setzte sich, Corinna ebenfalls.
Die Kimera musterte ihre Freundinnen besorgt. „Geht es?” Sie bekam keine Antwort, nur ein hilfloses Schulterzucken von Corinna. „Ich ... geh dann mal besser, ja?”, murmelte Harmony und kehrte wieder auf die Veranda zurück.
„Und?”, fragte Jay mit gerunzelter Stirn.
„Die packen das. Als damals Zoriel neu war, haben sie genauso geguckt.”
„Ah, ja”, nickte er, „Ich erinnere mich.”
„Wie haben sie denn geguckt?”, fragte Ron neugierig, Harmony griff daraufhin nach seiner Hand und leitete ein Sharing ein. „Ja ... das kommt wohl an meinen Blick damals ran, als ich Liam in der Majorenfalle hatte.”

Majorenfalle! Die Kimera musste breit grinsen, als er ihr die Erinnerung zeigte. Dass Dad und Ronny damals so förmlich miteinander umgegangen waren und noch dazu ihre Waffen aufeinander gerichtet hatten, das konnten sich heutzutage nicht mehr viele Leute vorstellen.

„Das kann er doch gar nicht beurteilen”, mischte sich Jay ein, „Dad hat sich selbst doch gar nicht gesehen!”
„Na und?”, Ron wies knapp auf Liam, „Er hat mich gesehen, das reicht doch.” Wer hatte auch ernsthaft geglaubt, solch bedeutende Erinnerungen würden in dieser Familie nicht ausgetauscht?
Harmony jedenfalls nicht. Allerdings wunderte es sie, dass Jay diese Erinnerung nicht auch bekommen hatte.
Es dauerte gut zwanzig Minuten, bis Louise und Corinna wieder aus dem Haus kamen und sich schweigend an den Tisch setzten. „Alles okay, Täubchen?” fragte Vince und legte seiner Frau auch einen Arm um die Schultern.
„Jay, wenn du auch was fragst, helfe ich deinem Vater, dich zu rupfen”, unterbrach Corinna derweil ihren Mann, bevor dieser überhaupt den Mund aufmachen konnte.
„Sie ist die Verwandtschaft doch schon gewöhnt, Jay”, bemerkte Liam grinsend - und damit hatte er zweifellos recht, immerhin war er, Ga'hil, ihr Schwager. „Mag jemand Windbeutel?”

Wer konnte da nein sagen? Niemand!

 

Ende von Kapitel 1

 

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