Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Neues Leben” von Veria   (Emailadresse siehe Autorenseite),   März 2011
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  William Boone erlebt einen mehrfachen Neuanfang.
Zeitpunkt:  zugleich mit dem Ende von Blut III
Charaktere:  William Boone, Joyce Belman, Ronald Sandoval, Liam Kincaid, Ha'gel, Sarah Boone, Julianne Belman, (Augur, Mike, Bess, Lorne Sullis, Melissa Park)
 
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Adventskalenders 2009 geschrieben.
 

 

NEUES LEBEN

 

Der Schnee war zu Matsch zusammengeschmolzen und es war reichlich ungemütlich draussen. Deshalb blieb William lieber im warmen Haus herinnen und vertrieb sich die Zeit mit einem Buch oder einer Sendung im Fernsehen.
Lieber mit einem Buch, denn im Fernsehen war die Weihnachtssaison voll im Gange. Werbung noch und nöcher (William wusste niemanden, dem er etwas schenken könnte), Leute mit Mikrofon, die hektische Einkäufer befragten, ob sie sich weihnachtlich fühlten (William fühlte sich nicht weihnachtlich), Kochsendungen mit Truthähnen und Musiksendungen mit all den Liedern, von denen man schon seit einem Monat genug hatte. Und gerade das Mittagsfernsehen war das Allerschlimmste, denn da konnte man nicht einmal auf einen zünftigen Actionfilm umschalten.
Da las William wirklich lieber ein Buch.
Nicht einmal ein Familienbesuch war für ihn möglich, aber wenigstens wusste er, dass es Sarah gut ging. Wie gern würde er sie besuchen ... seit zwei Jahren hatte er sie nur vereinzelt aus der Ferne beobachten können.

Er hob den Kopf, als die Haustüre geöffnet wurde und kalten Wind hereinliess. Joyce war von ihrem Einkauf zurück, zwei Taschen in jeder Hand und eine von einer Regenplane bedeckte Kiste auf den Armen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. William eilte, ihr die Kiste abzunehmen, wenngleich er wusste, dass sie sehr gut ohne diese Hilfe auskam.
Zwei Taschen waren mit Dingen des alltäglichen Gebrauchs gefüllt. Taschentücher, Toilettenpapier, Geschirrspültabs, Kaffee, Mehl, Eier und Milch. Damit war sein Frühstück am nächsten Tag jedenfalls gerettet. Die anderen beiden Taschen beinhalteten Windeln, Strampelanzüge, Babypuder und Spielzeug. In der Kiste war dann ein Schlafkörbchen mit Kissen und dünner und dicker Decke zu finden.

„Du hast dich entschieden”, stellte William fest.
Joyce schüttelte den Kopf und strich über ihren dicken Bauch. „Nein, nicht direkt. Aber ich bin auf alle Möglichkeiten vorbereitet.” Sie trug die Babysachen die Treppe hoch, William machte sich daran, die Lebensmittel an ihren Platz zu räumen.
Und wenn er schon in den Vorratsschrank sah, dann konnte er auch die Flasche Bourbon herausholen und zwei Gläser auf den Tisch stellen.
„Will, ich bin doch schwanger”, grinste Joyce, als sie die Treppe wieder herunter kam, „und Schwangere sollen keinen Alkohol trinken.”
„Mit wem soll ich den Bourbon sonst trinken?”, fragte er.
Sie seufzte kurz, dann setzte sie sich und goss in beide Gläser zwei Finger hoch ein. „Ich kann ja auch einfach dafür sorgen, dass es nicht ins Blut geht”, erklärte sie, „und dann darf ich.” Sie hob ihr Glas und stiess es leicht gegen Williams, dann nippte sie.
Er nahm ebenfalls einen Schluck und schluckte damit auch die Bitte, ihn aus der dimensionalen Verschiebung in die richtige Welt zu lassen. Ihm war klar, dass nicht Joyce diese Entscheidung traf. „Wie lange wohl noch?”, fragte er dann.
„Eine, zwei Stunden”, nickte sie, „und ich muss noch ... die Verwandtschaft ein bisschen beobachten.” Kurz blickte sie zur Seite, dann schmunzelte sie und sagte: „Ich möchte dich dabei haben.”
„Vorweihnachtstrubel aus nächster Nähe”, hob er die Brauen, „Ich weiss nicht, ob ich davon begeistert bin.”
„Ach komm schon ... Will, bitte.”
Er schob sein Kinn vor. „Gut”, sagte er, „wenn wir auch bei Sarah vorbeischauen.”
„Gut”, nickte sie, „danach.” Sie stand auf und streckte ihm ihre Hand hin. „Komm, gehen wir.”
William liess wie sie den letzten Schluck im Glas. Wenn sie jetzt sofort gehen wollte, verpassten sie etwas, wenn sie noch warteten. Er griff nach ihrer Hand und spürte die Energie der Interdimension durch seinen Körper ziehen, bevor er sich innerhalb einer dimensional verschobenen Tarnkuppel in einer Kleinstadt wiederfand.

* * *

Es war kalt, aber schneefrei und trocken. Ein dunkles Fahrzeug, das so unauffällig war, dass es nur vom FBI sein konnte, nahm eine Parklücke zwischen einem gelben Smart und einem Porsche, heraus stiegen Agent Ronald Sandoval und drei Freiwillige.
„Was? Er?”, sah William Joyce ungläubig an, „Das ist nicht dein Ernst.”
Sie schmunzelte: „Nein, nicht er.” Sie zog ihn und die Tarnkuppel mit, die Strasse entlang und dann zwischen zwei Häusern durch. Der von einer Hecke umschlossene Gemüsegarten verlangte einen kleinen Umweg, doch dann standen William und Joyce an der offenstehenden Kellertüre und betraten den Keller einfach.
Augur?”, war William verblüfft. Der Hacker spielte eine mehrere Minuten lange Zielsequenz durch und überprüfte mittels an die gesteuerten Waffen angeklipster Laserpointer, ob auch alles stimmte.
„Ja, sieht gut aus”, erklang schliesslich eine Stimme von der anderen Seite des Raumes, der zugehörige blonde Mann in Lederjacke tauchte bei Waschmaschine und Trockner hinter einer Ecke auf.
„Und das ist der Kerl, der sich als Liam ausgibt!” Williams Verblüffung liess nicht nach. „Was weisst du über ihn, Joyce?”, fragte er energisch.
„Ungefähr so viel, wie Augur über ihn weiss”, lächelte sie, „und ein bisschen mehr. Ich weiss, dass er Vater wird.”
Aber auch ausgerechnet der Kerl, der unter einem falschen Namen lebte! „Wer ist er wirklich?”
Sie grinste nur: „Geduld.”
„Hey, alles klar bei euch?”, kam eine etwas mollige Frau halb die Treppe herunter, „Kann ich Mike bald grünes Licht geben?”
„Wir haben es gleich, Bess”, nickte Liam, „Wen hat er an Freiwilligen mit?”
„Danny Harrett ist nicht dabei”, sagte Bess, „aber wenigstens Lorne Sullis. Sollte reichen, oder?”
„Es wird reichen.” Und Liams Gesicht machte klar, dass ein Widerstandsmitglied unter den Freiwilligen ganz sicher reichen würde.
„Wie Sie meinen. Ich habe oben alles bereit.”
„Gut”, nickte er, „Geben Sie dem Sheriff grünes Licht.”
Bess verschwand wieder die Treppe hoch und Liam wechselte einen Blick mit Augur, dann kauerten sie sich hinter Heizkessel respektive Tiefkühlschrank.
„Wir sind nicht die einzigen, die hier zusehen”, lächelte Joyce wissend, „Ha'gel, du kannst dich uns gern zeigen.”
Ha'gel! William konnte den Kimera auch nach zwei Jahren noch nicht richtig einschätzen, wozu wohl auch gut beitrug, dass sie aufeinander geschossen hatten. Die weiss leuchtende Gestalt erschien tatsächlich in der kleinen Tarnkuppel.
„Joyce, William”, grüsste Ha'gel freundlich und grinste bis zu den Ohren, „Ich bin reichlich gespannt.”

* * *

Knapp eine Viertelstunde später kamen der Sheriff, Sandoval und die drei Freiwilligen die Treppe herunter. Augurs Daumen näherte sich dem Auslöser der Sequenz, aber mit Blick auf die Anzeigen des Globals wartete der Hacker noch, bis die fünf zwischen Werkbank und Treppenaufgang waren.
Unter Beschuss sprangen Sandoval und ein Freiwilliger dann vorwärts zur Werkbank, die anderen drei rückwärts zur Waschmaschine, die dabei ihrer Zuleitung verlustig ging, in Deckung.
Liam und Augur tauschten einen zufriedenen Blick aus. Offensichtlich lief alles nach Plan.
Sandoval gab leise einen Befehl an den Sheriff und die beiden Freiwilligen, die sich nicht in eine Sackgasse manövriert hatten, worauf selbige die Treppe hochliefen - der Sheriff fiel gefolgt von einem Stuhl auch wieder herunter und landete in der grösser werdenden Pfütze.

Der Agent sah nicht gerade zufrieden aus, und dabei beschloss der dritte Freiwillige erst jetzt, ihm die Waffe zwischen die Schulterblätter zu drücken. Offensichtlich war dieser Freiwillige das Widerstandsmitglied Lorne Sullis. „Sir, senken Sie Ihren Skrill.” Er musste seine Aufforderung wiederholen, bevor Sandoval ihr Folge leistete.
Sheriff Mike rappelte sich auf und richtete seine Waffe ebenfalls auf den Agent, der sich brav ergab.
„Warum das ganze?”, fragte William, „Was hat es für einen Sinn, einen Companion-Agent einzufangen?” Er zog die Stirn in Runzeln. „Für ihn zahlen die Taelons bestimmt kein Lösegeld ... aber das ist es auch nicht, was sich der Widerstand erwartet, oder?”
„Will, sieh doch einfach zu”, zwinkerte Joyce und wies auf Liam und Augur, die sich unter Sandovals nachtfinsterem Blick als Fallensteller zu erkennen gaben.

Lorne schob Sandoval zur Kellertüre, während Augur sich lautstark über den Staub auf seiner Kleidung beschwerte - genau wie William es von früher kannte. Liam ging voraus, geradewegs durch die Tarnkuppel hindurch, wodurch er kurzzeitig quasi unsichtbar wurde.
Joyce zog Ha'gel und William mit ins Freie und etwas vom Haus weg. Aus einem Fenster im Erdgeschoss lehnte sich die mollige Bess, sichtlich gespannt. Die vier Widerständler mit ihrem Gefangenen stapften im Gänsemarsch die Hauswand entlang, bis sie an die Hecke des Gemüsegartens kamen.
Will hielt den Atem an. Sandoval konnte diese Gelegenheit nicht übersehen, er würde ... er handelte! Lorne bekam einen Ellbogen in den Bauch und ächzte laut, Mike bekam eine Schulter in den Rücken und landete Kopf voran in der Hecke. Liam wirbelte herum und hob seine Waffe, während Sandovals Skrill schon entlud.

„Nein!”, flüsterte Joyce und bewegte kurz eine Hand - statt mittig in die Brust traf die Entladung nur Liams Schulter. So krumme Schussbahnen hatten Skrillentladungen normalerweise jedenfalls nicht.
Sandoval war auch schnell keine Gefahr mehr - er bekam von Bess eine wahrhaft riesige Bratpfanne vor den Kopf.

Liam!”, schrie Augur und sprang mit einem Satz an die Seite des Verletzten, „Liam, verdammt, er hätte dich fast umgebracht!”
„Hat er aber nicht”, schüttelte Liam matt den Kopf, „Ich werde schon wieder. Was ist mit ihm?”
„Pah, was soll schon mit ihm sein ...? Zur Hölle soll er fahren!”
Liam knirschte mit den Zähnen und knurrte: „Augur!”
„Schon gut ...” Der Schwarze stand auf und stapfte zum Agent, der von Lorne und Mike soeben sicherheitshalber auch verschnürt wurde. „Der schläft nur.”
„Gut”, war Liam zufrieden und rappelte sich auf, was sich alleine mit der linken Hand sichtlich nicht so einfach gestaltete, dann griff er nach seinem Global und schüttelte es: „Belman, Julianne.”
„Sie haben ihn?”, meldete sich die Ärztin sofort.
„Wir haben ihn. Ist alles bereit?”
„Ja, alles bereit”, bestätigte sie, „aber, Major, Sie sind verletzt.”
Er zog ein etwas schmerzliches Grinsen: „Haben Sie noch Nadel und Faden für mich übrig? Ich wäre nicht abgeneigt.”
„Natürlich, Major. Wir erwarten Sie.”
Er drückte die Seite seines Globals gegen den Schenkel und schob es auf diese Art zu. „Wir können”, tat er kund und liess sich von Bess, die eilig aus dem Haus gekommen war, aufhelfen. Mike griff nach Sandovals Füssen und zog ihn schon mal ein Stück, bevor Lorne sich mit geübtem Sanitätergriff um den Oberkörper kümmerte.

Die drei Beobachter folgten der Widerstandsgruppe ins Haus und ins Obergeschoss. Die beiden richtigen Freiwilligen lagen hier bewusstlos und gefesselt schon vor einem provisorischen Portal bereit, zwei weitere Widerstandsmitglieder hantierten mit einem Betäubungsmittel und boten Liam grinsend einen kleinen Pieks gegen die Schmerzen an.
Gepiekst wurde niemand, und transportiert wurden vorerst nur Augur, Liam und der am Boden abgelegte Sandoval. Joyce griff nach Williams Hand und zog ihn mit durch die Interdimension, und auch Ha'gel folgte ihr.
„Liam, Himmel, was ist denn passiert?”, fiel Melissa Parks Begrüssung gleichermassen herzlich und erschrocken aus. Sie schälte den Verletzten noch im Portal sofort aus Lederjacke und Pullover und legte eine grossflächige und durchaus tiefe Verbrennung frei, während Julianne und Augur Sandoval auf die Implantationsliege hievten.
Das hatten sie also vor! Sie ersetzten das CVI durch eines ohne Imperativ.
So sehr Melissa sich auch bemühte, sie schaffte es nicht, Liam aus dem Raum zu zerren. „Junge, Sie tun sich damit nichts Gutes”, gab sie es schliesslich auf, „aber sehen Sie halt meinetwegen zu.”
„Es ist ungefährlich”, erklärte Julianne, während sie den Roboterarm einrichtete, „noch! Gefährlich wird es erst morgen.”
„Es ist sein Wunsch”, sagte Liam knapp - und deutlich besorgt.
Sandovals Wunsch? William sah mit gerunzelter Stirn Joyce an, die bedeutungsvoll nickte. Ha'gel liess unterdessen den Kopf in den Nacken fallen und seufzte laut, worauf Joyce ihn böse ansah.

„Okay, was geht hier vor?”, fragte William und zog die Brauen zusammen.
„Oh, weisst du, sie macht es gerne spannend”, lächelte Ha'gel, „allerdings finde ich das nicht gerade fair dir gegenüber.”
„So?”, fragte Will aufmerksam, „Worum geht es also?”
Joyce begann, den Kimera mit ihrem Blick zu rösten, was diesem sichtlich wenig angenehm war. Ha'gel sagte lieber nichts mehr und löste sich stattdessen buchstäblich in Luft auf.

* * *

Das Anti-CVI war inzwischen ohne Komplikationen implantiert, womit Melissa Liam hinter sich her ziehen konnte. Sie würde ihn mit Sicherheit perfekt verarzten, die Betäubungsmitteldosis rief sie jedenfalls schon voraus, sobald sie die Türe geöffnet hatte.
„Augur, reichen Sie mir bitte das Sedativum”, murmelte Julianne, „Wenn er diesmal wieder ausbüxt, bevor er sein neues CVI hat, haben wir ein Problem.” Sie erhielt die Spritze und betäubte den Agent gewissenhaft. Als nächstes liess sie sich vom Hacker dabei helfen, Sandoval von der Liege auf ein rollbares Krankenbett zu heben.
„Ohne Imperativ wird er wieder ein guter Mensch sein”, stellte William fest, „Er war es schon einmal - damals ist er ausgebüxt.”
„Zweimal”, korrigierte Joyce, „Ich erkläre dir das noch genauer, aber jetzt sollte ich mich langsam ins Krankenhaus bringen.” William spürte den Ruck und die Energie, dann stand er acht Stockwerke unter dem Implantationslabor am Aufnahmeschalter. Joyce schimmerte kurz und nahm das schon öfter gezeigte asiatische Aussehen an, dann trat sie aus der Tarnkuppel.
In dieser Gestalt wollte sie ein Kind von absolut weissen Eltern zur Welt bringen? Oder gab sie dem Kind auch eine andere Gestalt? Aber weshalb?

„Ja bitte?”, lächelte die Aufnahmeschwester freundlich.
„Irina Colby, ich bekomme ein Baby.”
Die Schwester blickte kurz auf den dicken Bauch: „Ja. Wehen seit?”
„Zwölf Stunden.”
Grosse Augen von der Schwester. „Okay, das hören wir hier an der Aufnahme selten”, bemerkte sie verblüfft, „Haben Sie noch ein paar Minuten Zeit?” Irina nickte. „Gut. Sozialversicherungsnummer?”
Während Joyce die Nummer aufsagte, wandte sie sich zu William um und lächelte. Kurz bewegte sie ihre Hand, dann zog es ihn durch die Interdimension und er fand sich vor einem Einfamilienhaus wieder, ohne Joyce, aber mitsamt der Tarnkuppel.

„Sarah ...”

Da war sie, zerrte alleine eine beachtliche Tanne in einer durch ein Netz erzwungenen Tropfenform die Vortreppe hoch. Seine tapfere Schwester. Mit zwei Fingern berührte Will die Kuppel, aber die Barriere liess ihn nicht hinaus. Aber auch wenn er hinaus könnte, wie sollte er Sarah erklären, wo er zwei Jahre lang gewesen war?
„Du siehst nicht sehr glücklich aus, William.”
Will zuckte zusammen und fuhr herum: „Ha'gel!”
Der weissleuchtende Kimera trat neben ihn und runzelte die Stirn. „Ich könnte mit ihr reden und ihr sagen, dass du lebst.” Wieso nur hatte William das Gefühl, dass das alles andere als ein freundliches Angebot war? „Und dich mit ihr reden lassen”, fügte der Kimera hinzu, „Es ist doch ... Weihnachtszeit, nicht wahr? Wunder und so ...”
William schob den Unterkiefer vor und sah ihn möglichst durchdringend an: „Was willst du von mir?”
„Meine Entscheidung war es, die Alterung der Kleinen nicht weiter als bis auf das menschliche Mass zu beschleunigen”, erklärte Ha'gel, „deine wird es sein, der Kleinen in der dimensionalen Blase keine Heimat zu geben.”
„Du willst, dass die Kleine bei ihrem Vater aufwächst”, verstand William, „Ich kann Joyces Bedenken allerdings nachvollziehen. Ich weiss, welche Probleme man als Companionbeschützer und Widerstandsmitglied hat.”
„Zweifellos. Aber du weisst nicht, wie es ist, als Ausserirdischer unter Menschen zu leben. Das kann die Kleine nur von ihrem Vater lernen.”

„Wenn er ...” Moment ... Ausserirdischer?

Ha'gel zog wieder einmal ein Grinsen bis zu den Ohren. „William, die Kleine ist meine Enkelin”, erklärte er, „und Liam ist mein Sohn.”
Das CVI in Williams Kopf brachte ihm jene Geschehnisse in der Kirche zurück ins Gedächtnis, die für ihn bislang wenig Bedeutung gehabt hatten. Der Kampf, der danach stattgefunden hatte, hatte Wills Leben ja weitaus mehr verändert. Aber nun wurde ihm klar, was dort geschehen war.
„Beckett und Sandoval”, murmelte er und sah den Kimera prüfend an.
„Die beiden sind seine menschlichen Eltern, ja.” Ha'gel lächelte fröhlich. „Ich bin froh, dass er Ronald nicht mehr als Gegner ansehen muss. Es hat ja alles fast wie am Schnürchen geklappt und morgen ist alles gut.”
Sarah hatte ihren Baum inzwischen bis zur Haustüre gewuchtet und grub jetzt nach ihrem Hausschlüssel. William trat die vier Stufen hoch und lief zu ihr, weiterhin von der Tarnkuppel umschlossen. Unfreundlicherweise machte die Türe zu gerne Anstalten, wieder zuzufallen, aber Ha'gel hielt sie dann offen. Sarah kratzte sich kurz verwundert am Kopf, dann zuckte sie mit den Schultern und zerrte den Baum ins Haus.
„William, die Kleine braucht ein richtiges Sozialleben”, fuhr der Kimera fort, „auch mit Gleichaltrigen. In der dimensionalen Blase wird sie all das nicht haben und bestimmt einen kapitalen psychischen Knacks bekommen.”
„Und als Widerstandskind bekommt sie den nicht?”
„So isoliert wird sie nicht sein”, sagte Ha'gel fest, „Joyce wird sie ja auch besuchen und sich um sie kümmern und gegen den Knacks arbeiten können. In der Blase würde die Kleine es nur mit überlegenen Halbgottgestalten und mit einem einzigen Menschen zu tun haben, was, wie ich finde, wesentlich unnormaler ist.”

Damit hatte er recht. Und wie er recht hatte.

„Gut”, nickte William, „Die dimensionale Blase ist vom Tisch.” Er mochte gar nicht zugeben, wie sehr er sich schon an die Vaterrolle, die sich für ihn abgezeichnet hatte, gewöhnt hatte, aber im Interesse der Kleinen stand dieser Gedanke zurück. „Liam ist ein anständiger Kerl”, bemerkte er.
„Ja, ich bin sehr stolz auf ihn.” Einmal mehr zog der Kimera ein sehr breites Grinsen, dann drückte er auf den Klingelknopf. Die Big-Ben-Tonfolge liess Sarah ihren Kopf heben, aber sie sah niemanden, bis der weissleuchtende Kimera aus der Kuppel trat. „Guten Tag, Miss Boone.”
Sie wich bis an den Spiegelschrank zurück und atmete mehr als hektisch. „Wer ... was ...?”
„Darf ich eintreten?”
Vor lauter Überforderung nickte sie, während sie das Leuchtwesen kritisch und auch ängstlich betrachtete. Ha'gel trat ein und machte einen grossen Schritt über die Tanne, William folgte ihm mit der Kuppel, dann schloss der Kimera durch einen knappen Wink seiner Hand die Türe.
„Die Bewohner dieses Sonnensystems im Allgemeinen und die Taelons im Speziellen sind der Meinung, ich wäre tot”, erklärte Ha'gel, „Ganz zutreffend ist es freilich nicht. Eine Art dimensionale Koppelung liess mich überleben, als mein Körper von einem Skrillschuss aufgelöst wurde.”
„Ah ...?” Sarah drückte sich an die Wand und wich zur Seite davon.
„Dasselbe geschieht mit Menschen, die durch taelonische Energieeinwirkung in einem Heiltank aufgelöst werden. Man hält sie für tot, aber in der Interdimension sind sie noch.” Kurz runzelte er die Stirn. „Also, einen Fall gibt es da.”
„Einen ... Fall ...?” Da war tatsächlich ein Hauch Hoffnung in ihren Augen, sie begriff, worauf er hinauswollte. Ihre Fluchttendenz liess auch deutlich nach.
Ha'gel streckte eine Hand in die Kuppel und William griff zu, der Kimera zog ihn hinaus in die richtige Welt und verschwand dann selbst.

„Will!”
„Hallo, Sarah.”
Will!” Sarah schloss ihren totgeglaubten Bruder energisch in die Arme. „Du bist ... ganz gesund, ja?”
„Es geht mir gut, Sarah”, nickte William, „Es geht mir gut. Aber ich bin nur zu Besuch hier.”
„Du gehst wieder. Wohin gehst du?”
Er wies irgendwohin, oder überallhin. „Interdimension”, sagte er und lächelte, „aber ich kann dir jetzt noch ein bisschen mit dem Baum helfen.”
Sarah musterte ihn kritisch und schüttelte den Kopf: „Unsinn! Wir setzen uns hin und machen eine Keksdose auf.” Sie zog ihn in die Küche und streckte sich, um ganz oben eine runde mit Engelchen bedruckte Keksdose zu erreichen. „Mit wem soll ich die Kekse sonst essen?”
„Malcolm?”
„Das hast du verpasst. Kein Malcolm mehr. Bitte keine Anteilnahme - soll er doch mit seiner Masseurin glücklich werden.” Sie zog den knackenden und donnernden Deckel von der Keksdose und legte ihn beiseite. „Ach, der Kerl macht mich wahnsinnig! Die Masseurin!”, knurrte sie dann, „Hier, ich hab Herzkekse schwarz gefärbt. Ob ich sie ihm schenken soll?”
„Schmecken sie?”
„Mhm.” Sie ass auch sogleich eines der schwarzen Herzen.
„Dann nicht.”
„Ja, du hast recht.” Sie ass noch einen Keks. „Wie ist es in der Interdimension?”
„Ich lebe in einer Art dimensionaler Blase, nicht in der Interdimension an sich. Ich habe ein Haus mit Garten ... ich kann dir sogar die Adresse geben und ich würde dich kommen sehen, aber in diesem Haus in der richtigen Welt wohnt jemand anderes.”
„Einsam?”, stellte Sarah fest, „Du kannst nicht raus, oder?”
„Ja, einsam. Nur Ha'gel und Joyce sind herum”, er griff nach einem schwarzen Herzkeks, „und was ich von den beiden halten soll ... naja.”
Sie musterte ihn. „Will, was ist damals passiert? Du bist nicht deinen schweren Verletzungen erlegen. Aber was ist dann ...?”
„Zo'or hat seine Energie in den Tank geleitet.”
„Mord? Durch einen Taelon?”
„Sie sind keine hehren Lichtgestalten, Sarah!”, sagte William energisch, „Jedenfalls nicht Zo'or.” Sie sah ihn zweifelnd an. „Ich bin absolut sicher, dass es genauso passiert ist”, erklärte er, „und ich hatte zuvor schon mehr als genug Gründe, an den Absichten und Handlungen der Taelons zu zweifeln.”
Sie senkte den Blick. „Seit dem Ausnahmezustand ...”, murmelte sie, „Damals, meine Schwangerschaft ... inzwischen glaube ich, dass du recht hattest.” Kurz blickte sie finster auf die Tischplatte, dann schüttelte sie sich und lächelte Will an: „Es tut mir leid, dass ich nicht bei deiner Beerdigung war, wobei sich das jetzt ja ohnehin erledigt hat.”
Er schmunzelte. „Du warst nicht dort? Das hat mir noch niemand gesagt.”
„Malcolm hatte doch den Unfall, und wir waren frisch verliebt, und ... und ausserdem war ich immer noch sauer auf dich, wegen der Portal-Schwangerschafts-Sache.”
„Ich wollte nur helfen.”
„Ich weiss”, seufzte sie, „trotzdem dachte ich, dass ich das Baby nicht verloren hätte, wenn ich nicht den ganzen Ärger und die Sorgen reingefressen hätte ... aber die Taelons haben es entfernt.” Sie sah Will durchdringend an. „Weisst du, was die Taelons mit den Babys machen?”
„Nein”, schüttelte er den Kopf, „aber Zo'or deutete an, es wären Kinder der Taelons, und vielleicht stimmt das.”
„Nein, nein”, wedelte sie energisch mit der Hand, „Daran will ich nicht einmal denken! Ich habe das nicht gehört und du hast das nicht gesagt!”
„Okay”, nickte er, „okay.” Nach kurzem, aber unangenehmem Schweigen versuchte er ein Lächeln. „Soll ich dir mit dem Baum helfen?”
„Ja, stellen wir den Baum auf”, nahm Sarah den Themenwechsel dankbar an.

Gemeinsam zogen sie die Tanne ins Wohnzimmer, wo schon Ständer, Schmuck und Süssigkeiten bereit lagen. William stellte den Stamm in den Ständer und schraubte die Klammern fest, seine Schwester schnitt dann das Netz vom Baum, worauf die Äste brav der Schwerkraft folgten.
„Hmm”, kratzte sie sich am Kopf, „Willie, die steht schief.”
William löste die Schrauben etwas, dass die Tanne in alle Richtungen ein bisschen kippen konnte, und griff dann nach dem Wipfel. „Wohin?”
„Nach links - nein, das andere Links. Noch etwas, ja, so.” Sarah machte einige Schritte zur Seite. „Und etwas nach vorne. Genau. Halt sie fest, ich schraube zu.” Damit ging sie in die Hocke und begann, an den Klammern zu werkeln. „Hält das jetzt?”, fragte sie schliesslich.
Will rüttelte kurz am Baum und nickte: „Ja, hält.”
„Schön.” Sarah sah sich zufrieden um und wies auf die Lamettagirlanden: „Rot oder blau? Was meinst du?” Sie drehte sich überrascht zum Fenster, als jemand gegen das Glas klopfte.
William rollte kurz mit den Augen: „Sarah, das ist Joyce Belman.”
„Dann mache ich ihr besser mal auf”, huschte seine Schwester aus dem Raum und öffnete die Haustüre, die von Joyce dann auch benutzt wurde.

„Du bist mit deiner ... anderen Beschäftigung schon fertig?”, fragte Will, als die beiden gleichermassen gertenschlanken Frauen beim Baum standen.
„Wie im Lehrbuch für unkomplizierte Fälle”, lächelte Joyce, „Hast du etwas anderes erwartet?”
„Natürlich nicht.” Er trat zum glitzernden Haufen und zog eine rote Girlande heraus. „Ich würde die hier nehmen”, sagte er dann, „und goldene Kugeln.”
Sarah öffnete einige Kartonschachteln und nickte: „Habe ich.”
„Ist das Schmücken bei Ihnen eine bedeutende Zeremonie?”, ergriff Joyce das Wort, „Oder spielt der Weg zum Ziel weniger eine Rolle?” Sarah sah sie irritiert an. „Das Schmücken liesse sich deutlich verkürzen, wenn Sie das wünschen.”
„Natürlich, Sie dürfen gerne helfen, Miss Belman.” William, der gerade hinter seiner Schwester stand, schüttelte energisch den Kopf, worauf Joyce sich auf händische Hilfe beschränkte. „Will sagte, dass Sie ihn besuchen kommen”, bemerkte Sarah, „Wie das? Leben Sie auch in einer ... Wie sagtest du, Will?”
„In einer Blase in der Interdimension”, sagte er, „und nein, Joyce lebt nicht in einer solchen Blase. Joyce ist in der Lage, sich in allen Dimensionen zu bewegen. Sie hat mich auch zusammengesetzt, als sie meine verstreuten Atome fand.”
Sarah liess eine Christbaumkugel fallen, diese verfing sich glücklicherweise zwischen zwei niedrigeren Zweigen.
„Seine atomare Struktur war noch achtdimensional verbunden”, wiegelte Joyce ab, „ich musste nur die Mehrdimensionalität in Dreidimensionalität umwandeln.”
Nur!”, starrte Sarah sie mehr als staunend an.
Joyce bewegte ihre Hand ausladend Richtung Baum, worauf die Kugeln und Girlanden an einen hübschen Platz schwebten und ein bezauberndes Gesamtbild ergaben. „Miss Boone, es tut mir leid, dass ich diesen Besuch beenden muss”, sagte sie, „aber Will und ich haben noch einiges vor.”
„Oh”, nickte Sarah perplex, „ja, natürlich.”
William schloss sie in die Arme und strich ihr eine rotblonde Strähne aus der Stirn. „Ich bin in der Nähe”, sagte er, „Keine Sorge.”
„Willie ... leb wohl.” Sie liess ihn ungern und zögerlich wieder los, aber sie musste.

Joyce griff nach seiner Hand, lächelte freundlich und zog ihn in die Interdimension. Sie brachte ihn in einer Tarnkuppel auf die Neugeborenenstation des Krankenhauses, vor die grosse Sichtscheibe, die den Korridor von den dreissig kleinen Bettchen mit Namensschildern trennte.
„Hier, das ist sie, zweite Reihe, dritte von links.”
William entzifferte das Namensschild, Harmony Colby, und betrachtete die winzige Asiatin. „Hast du ihr diese Gestalt gegeben?”, fragte er.
„Nein. Ich habe nur den Hauch Jaridian und den Energiekörper unterdrückt, alles andere ist wirklich sie.” Joyce zwinkerte und fügte hinzu: „Bedenke, wer ihr Grossvater ist.”
„Sandoval.”
„Ganz genau”, nickte sie, „William, ich habe gehört, dass du dich mit Ha'gel abgesprochen hast. Damit habe ich tatsächlich keine andere Wahl mehr, als die Kleine in der richtigen Welt aufwachsen zu lassen.” Sie musterte ihn, was ihm ein mulmiges Gefühl gab. „Ich bin dennoch der Meinung, dass Liam als Vater nicht geeignet ist, also ... habe ich mich mit den Ersten unterhalten.”
„Worüber?”, fragte Will.
„Sie stimmten zu, dass du wieder in die richtige Welt zurückkehrst.” Joyce fasste seine Schultern. „Und Harmony wird bei dir sein.”
„Joyce, ich bezweifle ...”, er hielt verdutzt inne, als sie ihm mit einem Finger gegen die Stirn tippte und helles Leuchten durch seinen Körper zog und in seinen Augen und seinem Verstand brannte. „Was ... was ...”
„Will”, lächelte sie, „sieh dich an!” Sie klappte einen Handspiegel auf, aus dem ein etwa zwanzigjähriger rothaariger Mann blickte. „Den Skrill muss ich dir natürlich abnehmen”, fuhr sie fort, „aber ansonsten ist alles für dein neues Leben bereit.”
„Mein ... neues Leben?” Er runzelte die Stirn und hob die Brauen. „Wer bin ich?”
„Daniel Marchese”, sagte sie, „Gefällt dir der Name?”
Er rümpfte etwas die Nase: „Daniel? Nein, bleiben wir doch einfach bei William.” Sie schmunzelte und nickte. „Also William Marchese”, murmelte er, „Zwanzig?”
„Einundzwanzig.”
„Okay ... aber, Joyce ...”
„Du weigerst dich”, verstand sie, „Ha'gel hat dich gründlich auf seine Seite gezogen.”
Er seufzte leise. „Joyce, wenn Liam sich einen ganz grossen Schnitzer leistet, kannst du dich einmischen”, erklärte er, „aber der kleinen Harmony erst später ihre richtige, normalsterbliche Familie zu geben, kann nur scheitern.” Sie verschränkte zwar streng die Arme, widersprach aber nicht. „Nicht dass ich die Kleine loswerden will, bewahre, aber ... Liam ist ein anständiger Kerl. Es steht ihm zu, sich auch als Vater zu beweisen.”
„Hmm.”
„Er ist nicht alleine.”
„Du hast recht, er sollte sich beweisen können. Ich bezweifle zwar ...”
„Ah!”, hob William mahnend einen Finger und die Augenbrauen. Jetzt sah Joyce ihn richtig böse an, aber sie schwieg, sie hatte ja nachgegeben. „Du wirst schon sehen”, lächelte Will, „zu Anfang ist jeder Vater unerfahren, das kannst du ihm nicht vorwerfen.”
Sie runzelte die Stirn. „Nein, kann ich nicht”, murmelte sie, „Also ... Harmony Kincaid.” Sie blickte durch die Glasscheibe und lächelte. „Wir werden sehen, wie Liam sich macht.” Ein Schimmern zog über ihre Haut und Joyce war wieder Irina, die nun so breit grinste, wie William es eher von Ha'gel kannte.
„Ich schicke dich nach Hause”, sagte sie, „Alle Dokumente liegen auf dem Tisch, auch die Adressen von ein paar hübschen kleinen Häusern. Finanziell hast du kein Problem, du hattest reiche Eltern.” Sie griff nach seiner rechten Hand und strich vorsichtig über den Skrill, der sich sogleich vom Arm löste. „Du kannst die Kuppel ums Haus verlassen, Will”, erklärte sie zwinkernd, „mit einem Auto. Der Schlüssel liegt auf dem Tisch, der Wagen ist in der Einfahrt. Wir treffen uns morgen Mittag im Don Pizza.”
Der Skrill in ihren Händen begann zu glühen und ätherische Flügel auszubilden, sie hob das Wesen hoch und liess es fliegen. In weissem Licht verschwand es dann und Joyce lächelte: „Regenwald. Dort sind noch ein paar weiterentwickelte Skrills. Sie füllen eine Lücke, die der Mensch ins Ökosystem geschlagen hat, bestens aus.”
„Ah.”
„Bis morgen”, zwinkerte sie und Will spürte die Interdimension. Im nächsten Augenblick stand er vor dem Küchentisch und blickte tatsächlich auf einen Stapel Papier.

Es war alles da, was für die moderne Bürokratie nötig war. Unzählige Urkunden, von Wills umdatierter Geburt bis zum Trauschein seiner angeblichen Eltern, auch die Totenscheine, ein Erbschein, seine gesammelten (ausgezeichneten) Zeugnisse, daneben ein Stapel Unterlagen von Versicherungen und Banken und ganz zu oberst als Sahnehäubchen der versprochene Zettel mit Adressen, ein Global, sein Führerschein und ein Autoschlüssel.
Und die Anmeldebestätigung der Polizeischule - schwer würde William es dort nicht haben, wenn er nach Weihnachten dort begann.
Er sortierte den Stapel in eine bereitliegende Aktentasche, griff nach einem hellbraunen Mantel, der über einer Stuhllehne hing und steckte Führerschein und Global ein. Die erste Adresse auf dem Zettel war nun sein Ziel.
In der Einfahrt stand ein hellblauer Elektro-Kleinwagen mit taelonischem Batterieblock, die Neuheit des Jahres. William stieg ein und startete das flüsterleise Gefährt.
Nach zwei Jahren, die er fast ausschliesslich teleportiert worden war, fühlte es sich ungewohnt an, sich des Amerikaners liebsten Schätzchens zu bedienen - allerdings fuhr sich dieses Schätzchen wirklich flott, definitiv flotter, als man diesem kleinen Ding zutrauen würde.

William klapperte alle notierten Adressen ab und musste zugeben, dass Joyces Vorauswahl tatsächlich aus überaus hübschen Häusern bestand. Sein CVI, das er im Gegensatz zum Skrill natürlich noch hatte, ermöglichte ihm auch sehr einfach, den Vertrag auf Fallstricke zu überprüfen, bevor er mit seinem neuen Namen unterschrieb und per Global die Kaufsumme überwies.
William Marchese besass nun also ein Haus, ein Auto, ein Global und eine Ausbildungsstelle - fehlten noch ein Bett und eine Kaffeemaschine. Dachte er. Sowie die Maklerin aus dem Haus war, erschienen aber in weissem Licht all jene Dinge, die Joyce in zwei Jahren für ihn besorgt hatte.
Er drehte sich um sich und lächelte. „Danke.”
~Gern geschehen~, erklang ihre Stimme in seinem Kopf, ~Schlaf gut.~
Diesen Rat beherzigte er gerne.

* * *

Es war knapp halb zwölf, als er am nächsten Tag vor Don Pizza stand und die versiffte Kneipe sehr ungern betrat. „Hier!”, rief Joyce und winkte hinter einigen visuell und vor allem olfaktorisch bestens zur Kneipe passenden Gestalten hervor.
Sie passte hingegen nicht zur Kneipe. Aber so überhaupt nicht! Lauter gescheiterte Existenzen mit wenig gepflegtem Äusseren und dazwischen diese Frau, wie aus dem Ei gepellt, übernatürlich schimmernd und mit Harmony im Körbchen neben sich auf der Sitzbank.
William setzte sich so zu ihr, dass das Baby zwischen ihnen lag. „Wieso bringst du sie hierher mit? Sie ist gerade mal zwanzig Stunden alt!”
„Stimmt”, schmunzelte Joyce, „Will, ihr kann nichts passieren. Ich passe immer auf sie auf.” Er rümpfte die Nase und schob den wenig vertrauenseinflössenden Kaffee von sich fort, dann betrachtete er die zwei Blätter Papier, die auf dem Tisch lagen. „Briefe an Liam”, erklärte Joyce, „Ich werde mich ihm bestimmt nicht zeigen.”
„Weshalb?”
„Weil ich mich dann rechtfertigen muss und all das”, murmelte sie, „darauf habe ich keine Lust.” Sie unterschrieb den kürzeren Brief als Irina. „Dabei sollte ihm ohnehin klar sein, dass ich damals nicht gerade zurechnungsfähig war.”
„Damals”, hakte William ein, „Das ist ein Punkt, der mir noch nicht vollständig klar ist.”
„Damals, Will, war ich gerade frisch weiterentwickelt und der wahnsinnigen Meinung, ich müsste mit der Welt und dem Mutterschiff die Apokalypse und mit ihm die Adam-und-Eva-Nummer abziehen. Ersteres ganz generell und Zweiteres, weil er ist, was er eben ist.” Sie neigte sich über Harmony und flüsterte Will zu: „Tripelhelix mit Tripelhelix. Tricksen hielt ich für unwürdig.”
„Nicht sehr romantisch.”
„Nein, ganz und gar nicht”, stimmte sie zu und unterschrieb den zweiten, längeren Brief mit ihrem richtigen Namen. „Ich war heute morgen kurz bei deiner Schwester”, wechselte sie dann das Thema, „Ich habe ihr deine Adresse und Globalkennung gegeben und ihr gesagt, wo sie dich treffen kann.”
„Danke.”
„Die beiden Patienten schlafen noch”, murmelte sie, „Meine Mutter bereitet gerade die Reimplantation vor. Liam wird bewusstlos gehalten, damit er wenigstens seine Schulter auskuriert, denn freiwillig würde er nicht liegenbleiben.”
„Das scheint eine hervorstechende Charaktereigenschaft zu sein.”
„Das kannst du laut sagen.” Sie rollte beide Briefe einzeln zusammen und legte einige Scheine auf den Tisch. „Bates, da hast deine Knete!”, rief sie, „Das Bündel braucht Futter!”
Schemenhaft legte sich für einen kurzen Moment auch für Williams Augen ein Bild über Joyce und Harmony, das aus ihnen ebenso trostlose Gestalten machte, wie es die anderen Gäste waren. Ein Blick in einen milchigen Spiegel bestätigte, dass das Bild auch ihn selbst betraf. „Beeindruckend”, stellte Will fest.
Joyce grinste und hob das Körbchen auf, dann griff sie nach seiner Hand und zog ihn aus der Kneipe und dann durch die Interdimension zum Parkplatz. „Ich fahre”, sagte sie, „und du hältst Harmony.”
„Ein Kindersitz wäre sinnvoller.”
„Wir haben keinen. Ausserdem wird es keinen Unfall geben, das kann ich dir bei allen elf Dimensionen garantieren.” Sie drückte ihm das Körbchen in die Hände und schloss den Wagen auf.
„Ich weiss, dass du besser schützt als jeder Kindersitz”, bemerkte Will, „aber wenn das jemand sieht ...” Er runzelte kurz die Stirn. „Es wird niemand sehen, oder?”
„Genausowenig, wie die Leute in der Kneipe die Wahrheit gesehen und gehört haben”, lächelte Joyce und stieg ein. William eilte um den Wagen und setzte sich auf den Beifahrersitz. Die kleine Harmony lehnte er sich gegen die linke Schulter, während er das Körbchen im Fussraum verstaute. Den Gurt anzulegen sparte er sich diesmal, Joyce war ja da.

Ihre Fahrweise war die perfekteste, die er jemals erlebt hatte. Mit der jeweils idealen Geschwindigkeit fädelte sie den Wagen durch den Verkehr, es gab kein einziges ruckartiges Bremsmanöver, keinen hektischen Spurwechsel, noch nicht einmal ein klitzekleines Ruckeln beim Anfahren. Selbst er mit CVI kam an diese Perfektion nicht einmal annähernd heran.
Ihr Ziel war das Krankenhaus, das sie nach gut einer Stunde schliesslich erreichte. Ein Parkplatz in der Tiefgarage war schnell gefunden.
William stieg aus und versuchte, Harmony in ihr Körbchen zu legen, was schrillen Unmut hervorrief. „Schsch, Kleine”, flüsterte er und wippte leicht, „Schsch.”
„Das hilft hier nicht, Will, sie hat Hunger.” Joyce nahm ihm das Baby aus den Armen und griff nach einer winzigen Hand. Durch eine direkte Energieübertragung war der Hunger der Kleinen schneller gestillt, als es auf die menschenübliche Art gelingen konnte. Jedenfalls war Harmony bald wieder leise und liess sich von ihrer Mutter ins Körbchen legen und mit dem dunkelblauen Tuch zudecken.
„Was hast du nun vor?”, fragte William.
„Gehen wir zu Liam”, sagte Joyce leise und griff nach seiner Hand, dann teleportierte sie sich in ein Krankenzimmer.

Liam schlief und sonst war niemand hier. Die leichte Brechung der Tarnkuppel machte William schnell klar, dass der Patient die Beobachter auch nicht sehen könnte, wenn er wach wäre. Joyce beugte sich über den Schlafenden und tippte leicht gegen seine Stirn. Kurz blieb ein hell schimmernder Punkt zurück, dann öffnete Liam die Augen und sah sich um.
Er sah die Schlinge, die seinen rechten Arm hielt, und den leeren Tropf an seinem linken. Zunächst versuchte er tatsächlich unvernünftigerweise, die Kanüle selbst zu entfernen, aber auf einige Schmerzen hin beschloss er dann doch, die Schwesterntaste zu drücken.
Es kam keine Schwester, sondern Dr. Julianne Belman. „Schön, dass Sie wach sind, Liam”, grüsste sie, „Melissa ist überzeugt, dass Ihre Schulter schon in einer Woche wieder ganz neu ist.”
„Der Segen der Grundenergietherapie, richtig?”
„Könnte man meinen, ja”, grinste sie, „aber Sie haben keine Grundenergie bekommen, wenngleich die Messwerte dem fast entsprechen.” Liam blinzelte verdutzt. „Sie waren wohl in letzter Zeit genug Kimera, um eine entsprechende Menge an freier Körperenergie selbst zu halten”, erklärte sie, während sie die Kanüle entfernte und ein Pflaster aufklebte, „Sie entwickeln sich, nehme ich an.”
„Ah”, murmelte er und blickte auf den Lichtpunkt in seiner linken Hand. Kurz runzelte er die Stirn, dann setzte er sich ruckartig auf. „Was ist mit Sandoval?”, platzte er heraus.
Julianne lächelte und nickte: „Es ist alles bestens verlaufen. Er ist auch schon wieder wach.”
„Bringen Sie mich zu ...”
„Nichts da!”, unterbrach sie ihn, „Sie bleiben schön liegen. Ich bringe ihn her.”
„Es läuft ja ideal”, lächelte Joyce versonnen, „Perfekt.” William musterte sie irritiert. „Die ganze Familie an einem Ort”, erklärte sie, „Das habe ich mir gewünscht.” Sie hockte nieder und stellte das Körbchen ab, vorsichtig öffnete sie Harmonys rechte Hand und gab ihr einen der eingerollten Briefe. Diese Hand bedeckte sie dann sorgfältig mit dem dunkelblauen Tuch, dann gab sie der Kleinen den anderen Brief in die andere Hand.
Julianne schob Sandoval auf einem Krankenhausrollstuhl herein und ging dann selbst wieder.
„Die ganze Familie an einem Ort?”, fragte William.
„Geduld. Sie kommt schon wieder.”
Liam stellte einhändig das Bett in Sitzposition: „Die Implantation ist also gut gelungen, aber das ist bei Dr. Belman natürlich zu erwarten.” Sandoval neigte knapp den Kopf. „Eine heftige Beule haben Sie da.”
„Ja. Habe ich Sie schwer verletzt?” Er tastete über die Stirn.
„Die Schulter nur, ich konnte etwas ausweichen.”
Ausweichen? William wechselte einen Blick mit Joyce, die sehr breit grinste: „Das soll er ja auch glauben.”
„Mag sein, dass es alles nur am Motivationsimperativ lag, aber ...”, Sandoval senkte den Blick, „Sie scheinen mir ja überhaupt nicht zu zürnen! Das erstaunt mich.”
Liam grinste. „Sie haben sich entschuldigt”, erklärte er und sah kurz in seine linke Hand: „Geben Sie mir Ihre rechte Hand.”
„Jetzt bin ich gespannt”, lächelte Joyce, „Du auch, Will?”
„Was hat er vor?”
„Er will die gelöschten Erinnerungen zurückbringen”, sagte sie, „Kurzzeitig war Ronald den Imperativ schon los, aber sein CVI regenerierte.”
William runzelte die Stirn. „Es war sein Wunsch”, verstand er, „Sandoval wollte diese ganze Sache, die Falle und den Austausch.” Er sah zu den beiden, die nun die Handflächen aneinandergelegt hatten - dazwischen glühte es weiss hervor.
„Sie wussten es nicht!”, flüsterte Sandoval und zog seine Hand zurück.
„Ich erfuhr es erst von Ihnen”, bestätigte Liam und zog einen Mundwinkel nach oben, „... Opa.”
Sandovals Gesichtszüge entgleisten, als er begriff, dann begann er zu lachen und konnte sich nicht mehr halten. Und Liam stimmte mit ein. William grinste und blickte zu Joyce, die die blaue Decke zurechtzupfte und Harmony in ihrem Körbchen dann aus der Tarnkuppel schob.
Ein wenig sah sie bedrückt aus, aber die Zuversicht überdeckte es.
„Liam hat sich sehr um seinen Vater bemüht”, sagte William, „für seine Tochter wird er das bestimmt auch tun.”
„Ja”, murmelte Joyce, „bestimmt. Ich hoffe, dass seine Bemühungen auch Erfolg haben.” Sie wandte sich William zu. „Sollen wir warten, bis sie Harmony entdecken? Oder ...”
„Ich bin doch noch neugierig.”
„Also bleiben wir noch.”

Er nickte und musterte Sandoval, den er noch nie so lächeln gesehen hatte, wie nun, wenngleich die dicke Beule auf der Stirn das Bild etwas trübte. Zwar war Will bereits einmal dem wahren Sandoval begegnet, der damals allerdings nicht zu grosse Hoffnung haben hatte können.
Vater und Sohn gingen miteinander zwar auch noch recht förmlich um, aber das würde sich ganz bestimmt noch ändern. Liam schob sich gerade auf komplizierteste Art und Weise aus dem Krankenbett und erklärte die Auswirkungen seines Kleinkindgehirnes, während Ronald von Wort zu Wort ein zunehmend verschmitzteres Gesicht machte.
„Hm, ja, das erklärt, warum ich Sie höflich ausgedrückt nicht gerade für eine Intelligenzbestie gehalten habe”, erklärte Sandoval dann.
Liam stutzte kurz und grinste: „Ach du Schreck, mein Vater hält mich für einen Idioten.”
William lachte leise auf und blickte kurz zu Joyce, die bezaubernd zurücklächelte und knapp auf die Türe wies, an der soeben jemand klopfte.
Liam rief: „Herein!”, und damit war die Familie wieder vollständig. Julianne war da und sie bemerkte das Körbchen. Liam und Sandoval reckten sich staunend, um das Kind zu sehen, der Kimera zog dann auch am Brief in Harmonys linker Hand.
Zu dritt und mit immer weiter offenen Mündern lasen sie diesen Brief und dann auch den anderen in Harmonys anderer Hand. Schliesslich musterte Liam seine Tochter zunächst mit einem leisen Anflug von Ärger, jedoch zunehmend warm und verträumt, bevor er die Kleine ausserordentlich vorsichtig aus dem Körbchen hob.
„Harmony”, lächelte er, „Ich finde den Namen gut, du doch auch, ja?” Zur Antwort gähnte sie ihn an und fuchtelte unkoordiniert mit beiden Ärmchen. „Schon gut, schlaf nur weiter. Ich kümmere mich um alles.”
Wir kümmern uns um alles”, korrigierte Sandoval und strich sanft über den dunklen Haarflaum, „Schlaf gut, kleine Harmony.”
„Ich habe mir viel zu viele Sorgen gemacht”, stellte Joyce fest, „Liam wird ein guter Vater sein. Und Ronald ein guter Grossvater.” Juliannes Blick war unterdessen nicht nur auf die Kleine gerichtet, sie sah sich im ganzen Krankenzimmer um und runzelte die Stirn. „Bitte, sag nichts, Mum”, seufzte Joyce leise und bewegte kurz ihre Hand, worauf in jener ihrer Mutter in einem kurzen Lichtblitz eine Visitenkarte erschien.
Julianne sagte tatsächlich nichts, sie sah die Karte nur kurz an, nickte und steckte sie dann ein.
Joyce reichte William ihre Hand, er musterte noch kurz den frischgebackenen Vater, der die Kleine sanft wiegend an seiner linken Schulter hielt, bevor er sich von Joyce teleportieren liess.

* * *

Nur knapp eine Stunde später hatte sie ihn zu einem kleinen Opfer breitgeschlagen. Er sass mit einer Violine bewaffnet im Freiluftkonzertpavillon in ihrem Lieblingspark, neben ihm Joyce (nicht Irina) mit einer Querflöte. Dank des Implantats in seinem Kopf war es auch kein zu grosses Problem, dass er bislang noch nie eine Violine in der Hand gehabt hatte. Die ersten paar Töne waren etwas schief und kratzten, aber danach hatte er den Bogen raus und entlockte mit selbigem den Saiten wunderschöne Klänge.
Joyce stimmte mit der Flöte ein und gemeinsam machten sie einigen Eindruck auf die nachmittäglichen Spaziergänger, zu denen sich nach einiger Zeit auch Julianne Belman gesellte - und Sarah. William musterte seine Schwester, die ihn erkannt hatte und staunend ansah, während er den komplizierten musikalischen Formen der Querflöte nacheiferte und die Saiten so exakt griff und strich, wie es ihm möglich war.
Der Applaus und das Leuchten in Sarahs Augen waren ihm Lohn genug. Um Geld ging es ihm genausowenig wie Joyce, aber plötzlich lagen im Geigenkasten, der alles andere als prominent platziert war, ein paar Dollars, und dann noch ein paar Dollars und schliesslich eine durchaus beachtliche Summe. William beschloss spontan, das Konzert nachträglich zu einem Wohltätigkeitskonzert zu erklären und die Einnahmen der Suppenküche zu spenden.

Nachher.

Julianne trat eine der beiden Stufen des Pavillons hoch und musterte ihre Tochter. „Du siehst gut aus”, sagte sie, „aber was habe ich erwartet?”
„Hallo, Mum”, strahlte Joyce.
„Ich bin sehr froh, dass ich dich endlich wieder einmal treffen kann”, lächelte die Ärztin, „Wer ist dein fähiger Musikerkollege?” Sie wandte sich ihm zu und stellte sich vor: „Dr. Julianne Belman.”
Will wechselte einen amüsierten Blick mit Joyce und winkte Sarah herbei, die zurückhaltend nur knapp vor dem Rest des sich zerstreuenden Publikums stand. „Dr. Belman, wir kennen uns bereits”, erklärte er, „aber Sie kennen meine Schwester noch nicht.”
„Sarah”, sagte diese und streckte ihren Arm zum Gruss aus, „Sarah Boone.”
Julianne schüttelte die gebotene Hand, sichtlich überrumpelt, dann sah sie wieder zu William und betrachtete ihn von Kopf bis Fuss. „Tatsächlich”, stellte sie dann staunend fest, „Commander Boone ... aber wie ...?”
„Er war nicht tot, wenngleich Zo'or sein Möglichstes getan hat”, lächelte Joyce, „Ich habe ihn in der Interdimension wieder zusammengesetzt und schlussendlich verjüngt.”
„Ah.” Julianne runzelte die Stirn und fragte dann: „Was ist mit dem Implantat? Es hat die Verjüngung problemlos überstanden?”
„Es ist absolut stabil, ja”, nickte Joyce, „Es kann hundert Jahre halten, ich habe den ... Produktionsfehler behoben.” Sie grinste Will an. „An deinem CVI wirst du garantiert nicht sterben.” Nun erhob sie sich und legte ihre Querflöte in das dazugehörige Behältnis.
William liess das Geld im Geigenkasten, legte sein Instrument einfach dazu und klemmte den Bogen in die Halterung im Deckel. Wenn er dann den Kasten zur Suppenküche brachte, konnte er dort ja auch ein Liedchen spielen, oder auch zwei.
Sie verliessen den Pavillon und schlenderten einen Weg entlang.
„Seit wann bist du den so musikalisch?”, fragte Sarah neugierig, „Für zwei Jahre üben war das wirklich beeindruckend. Es war überhaupt beeindruckend, nein, wundervoll.” Sie hakte sich bei ihm unter.
„Es klingt unbescheiden, aber es ist so: Ich bin blutiger Anfänger.”
„Ooooch, Willie ...”
„Es ist wirklich so, Sarah”, erklärte er ihr und griff nach ihrer Hand, „Das Implantat in meinem Kopf ermöglicht mir das. Und jetzt muss ich mir ja auch keine Sorgen mehr machen, dass es mich einmal umbringen könnte.”
„Ein Implantat ... in deinem Kopf ...” Sie sah ihm tief in die Augen, als wollte sie das CVI dahinter sehen. „Aber wie ist das möglich? Du hast ihnen nie unkritisch gedient!”
„Nein”, er wies auf die Ärztin, „Dr. Belman hat den Motivationsimperativ entfernt. Ich war von Anfang an beim Widerstand.”
„Oh.”
Einer plötzlichen Eingebung folgend lächelte er sie an: „Ich kann dir das alles genau erzählen. Hast du am Weihnachtstag schon etwas vor?”
„Na mit Malcolm jedenfalls nichts”, murmelte sie, dann zog sie die Mundwinkel hoch, „Naja, ich habe seit gerade eben etwas vor. Du bist natürlich eingeladen.” Sie umklammerte seinen Arm kurz und zwinkerte ihn dann an, er nickte erfreut. Genau das hatte er sich ja gewünscht.
„Mum, ich ... sollte wieder”, ergriff Joyce das Wort, „und sag ihm nicht, dass ich hier war.” Sie umarmte ihre Mutter kurz. „Sehen wir uns zu Weihnachten? Ich kann es einrichten.”
„Joyce, natürlich!”, freute sich Julianne, „Ich kann es bestimmt auch einrichten.”
William verabschiedete Joyce ebenfalls mit einer Umarmung, während Sarah sie nur freundlich anlächelte, dann verschwand die junge Elfdimensionale in hellem Licht.
„Tja, Commander Boone”, ergriff die Ärztin nach einigen Momenten das Wort, „soll ich Sie zu Augur bringen, damit er Ihnen eine Identität machen kann?”
„Schon erledigt”, widersprach er, „und ich bitte Sie, ihm überhaupt nicht von mir zu erzählen. Ich will erst herausfinden, wer ich jetzt eigentlich bin.” Er lächelte knapp. „Nun, Musiker bin ich jetzt”, stellte er fest, „Es hat einfach zu viel Spass gemacht, um einfach wieder aufzuhören.”
Sarah drückte ihn kräftig. „Willie”, sagte sie, „Ich freue mich so sehr, dass du ein neues Leben führen kannst.”

Ein neues Leben, ja, das war es wohl. Will erwiderte ihre Umarmung und blickte irgendwohin, es spielte keine Rolle wohin, denn Joyce konnte ja Gedanken lesen.
Danke!
~Gern geschehen.~

 

ENDE

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang