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  „Licht” von Veria,   Oktober 2018
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Mabel sucht die unfreiwilligen Dimensionsreisen, Harmony und Liam kümmern sich derweil um die Bedrohung durch das Mutterschiff
Zeitpunkt:  gleich anschließend
Charaktere: Mabel, Lewis, Ron, Frank, Deram, Thomas, Harmony, Louise, Corinna, Dominic, Doors, Qo'on
 
 

 

LICHT

Kapitel 9: Energie III

 

Derams Hände huschten flink durch die holographischen Kontrollen, das getarnte Shuttle flog überaus gemächlich über die verschlafene Kleinstadt Clearwater, um keinen Wind zu verursachen. Die Sensoren des Shuttles waren fleißig, aber sie fanden keine Anhaltspunkte für Dimensionsreisende. Auch die Anrufe an deren Globals gingen allesamt ins Leere, allerdings hatte Street schon vermutet, dass die Geräte den Unfall wohl nicht unbeschädigt überstanden hatten.
Laut Thomas machten Liam und Harmony im Gemeinwesen einen sehr zuversichtlichen Eindruck - leider musste das nicht zwangsläufig bedeuten, dass alles in Ordnung war.
Vermutlich war keiner der Gesuchten in Clearwater. Als nächstes stand Washington auf der Liste - Corinna und Louise waren dort aufgewachsen, und Harmony auch, also war durchaus recht wahrscheinlich, dass sie die Gruppe dort abgesetzt hatte statt in Clearwater. Ganz zu schweigen davon, dass Thomas auch Ha'gel spürte, der eigentlich schon tot sein müsste, wenn man vom anderen Universum ausging. Das ließ sich zwar auch allein durch die Präsenz zweier weiterer Kimera im Gemeinwesen erklären, doch persönliche Einflussnahme war wahrscheinlicher.

„Deram, bitte lande beim See”, sagte Mabel, „Thomas, bitte ruf sofort an, wenn sich im Gemeinwesen etwas tut, okay?”
Der Hybrid erhob sich von seinem Sitz, während die Pilotin das Shuttle zwischen der späteren Arztpraxis und der späteren Kochmütze hindurch steuerte und gut 800 Meter weiter am Kiesstrand sanft aufsetzte. „Alles klar, Mabel”, sagte Thomas.
„Wir holen dich in ... sagen wir mal zwei Stunden wieder ab, andernfalls gebe ich Bescheid.”
„Passt.” Er sprang aus dem Shuttle und machte sich auf den Weg Richtung Stadt.
Deram wandte sich im Pilotensessel um. „Jetzt Washington?” Mabel nickte, worauf die Jaridian sich wieder der Steuerung widmete und das Shuttle erst aus der Hörweite der Stadt entfernte und es dann in die Interdimension brachte.
Wenige Sekunden später hatten sie Washington erreicht - hier sorgte sich Deram offensichtlich nicht um den Knall beim Interdimensionsaustritt, das passierte hier öfter und es würde sich niemand groß wundern.
„Die Sensoren finden ein Shuttle auf dem Dach des Krankenhauses”, sagte sie, „Wissen wir, was es da macht?”
Mabel überlegte. „Nein, das heißt ... vielleicht. Es könnte William Boone transportieren.”
„Dann halte ich es für möglich, dass mindestens Dominic dort in der Nähe ist”, sagte Deram, „Soll ich hinfliegen?”
„Ja, setz uns vor dem Krankenhaus ab”, bestimmte Mabel, „Du fliegst danach noch ein paar Runden und suchst weiter.”
Die Pilotin bestätigte und flog einen scharfen Schwenk nach rechts, dann geradeaus, bis sie im Anflug auf das Krankenhaus langsam abbremste. Sie senkte das Shuttle ab und hielt es drei Meter über dem Parkplatz.

Mabel aktivierte ihre Tarnung und ließ sich fallen, sie kam mit federnden Knien auf dem Asphalt auf - neben sich hörte sie leise, wie auch Captain Hawke aus dem Shuttle sprang, sehen konnte sie ihn natürlich nicht. Da sie allerdings durchaus gesehen werden wollten, suchten sie sich als Erstes ein Versteck, in dem sie sich wieder enttarnen konnten.
Auf einem Parkplatz boten sich natürlich Autos als Deckung an, Mabel huschte zwischen einen silbernen Mitsubishi und einen dreckverkrusteten, ursprünglich roten Truck und wurde dort sichtbar. Die Waffe an ihrer Hüfte und die Zweitwaffe an ihrem Knöchel blieben allerdings durch ein Tarnbild verborgen.
Captain Hawke hatte sich zwischen zwei anderen Fahrzeugen ebenfalls sichtbar gemacht, samt Skrill, wenngleich dieser gut durch den langen Ärmel verdeckt war.
Gemeinsam betraten sie das Krankenhaus, Mabel wandte sich gleich zum Süßigkeitsautomaten, während Hawke wartend mit einem Fuß wippte. Das gab ihnen die Gelegenheit, sich kurz umzusehen - konkret konnten sie sich sogar deutlich länger umsehen als erwartet, denn vor Mabel stopfte ein vollschlanker Kerl Münze um Münze in die Maschine.
Der Wartebereich war recht voll, die Schlange am Empfangsschalter war beachtlich - und die Empfangsschwester nicht da.
Ein Schokoriegel, eine Tafel Schokolade und zwei Karamellschnitten fielen aus ihren Plätzen, der Vollschlanke bückte sich und holte sie aus der Maschine. Bevor er ging, lächelte er Mabel kurz freundlich an.

Die Latina starrte ihm nach. Das war Frank Tate! Von hinten hatte sie ihn gar nicht erkannt, mit echten Haaren und ohne Toupet.
Warum war Frank hier?
Er setzte sich in den Wartebereich, riss den Schokoriegel auf und nahm einen großen Bissen.

Mabel fütterte nun ihrerseits den Automaten - das Billigste genügte, aber Eile hatte sie keine, nicht, solange Hawke nicht signalisierte, dass er sich gründlich umgesehen hatte.
Der Implantant rückte einen Schritt näher zu ihr und flüsterte: „Mehr Münzen. Empfangsschwester und Ronald Sandoval kommen aus dem Hinterzimmer.” Mabel holte weitere Münzen aus einem Täschchen und warf sie einzeln ein. „Es kümmert mich nicht, was Ihre Vorschriften besagen, ich werde John Doe mitnehmen, sagt er. Die Schwester ... will sich das von Dr. Park bestätigen lassen.”
„Es geht also nicht um Boone”, stellte Mabel leise fest, „John Doe ... möglicherweise eines von Ha'gels Opfern?”
„Vermutlich nicht - würde wohl eher nicht auf der Onkologie liegen. Sandoval spielt die FBI-Karte und die Schwester gibt nach.” Lewis stutzte merkbar. „Frische Narbe an der rechten Schläfe.”
Mabel runzelte die Stirn. „Ursache erkennbar?” Inzwischen waren ihr tatsächlich die Münzen ausgegangen, sie drückte die Tasten für die einzelnen Süßigkeiten und bückte sich, selbige aus dem Automaten zu holen.
„Nein.”
„Tate, kommen Sie!”, erschallte quer durch den Raum - im Wartebereich sprang der gerufene hektisch auf und hastete los.
„Ich folge ihm”, beschloss Mabel, „Sie gehen aufs Dach.”
„Wie Sie meinen.”

Die Latina eilte Richtung Lift, etliche Süßigkeiten in der linken Hand, eine Karamellschnitte rechts. „Hey, entschuldigen Sie!”, rief sie, „Das Karamell muss noch von Ihnen sein.”
Das half - Tate streckte einen Arm zwischen die sich schließenden Lifttüren und zwang sie wieder auf. „Echt? Da hab ich mich ja schlimm verzählt.”
Ron (die Narbe war beachtlich, aber sichtlich gut abgeheilt) rollte mit den Augen. „Tate ...”
Mabel schlüpfte kurzerhand zu den beiden Männern in die Kabine und drückte Frank die Karamellschnitte in die Hände. „Kommt vor. Wäre mir auch nicht aufgefallen, wenn ich mir nicht nur ganz andere Sachen rausgelassen hätte.”
„Danke, Miss.”
Sie musterte kurz das Kontrollpanel, das fünfte Stockwerk war ausgewählt, daneben stand auf einem großen Schild: Onkologie / Hämatologie. „Ah, da muss ich auch hin”, sagte sie.
„Sie besuchen jemanden?”, fragte Frank.
„Ja, und ich schmuggle Ungesundes.”
„Falls ich mal krank werde, will ich Verwandte und Freunde wie Sie.”
Ron rollte wieder mit den Augen, Mabel lächelte nur - das war Frank, wie sie ihn kannte.

Die Lifttüren öffneten sich wieder, Ron rauschte voraus und sagte kühl: „Tate!”, worauf dieser ihm sofort folgte. Mabel folgte den beiden Männern mit wenigen Schritten Abstand ebenfalls. Sie hatte einen Unterschied zwischen den Universen vor Augen, es war nicht unwahrscheinlich, dass Harmony und die anderen damit zu tun hatten.
Ein Pfleger stellte sich Ron in den Weg und wurde mit dem FBI-Ausweis konfrontiert beiseite geschoben. Bei Mabel versuchte er es nicht, er meinte wohl, sie gehöre dazu.
Tate wandte sich um (vermutlich hatte er das Rascheln der Süßigkeitenverpackungen gehört) und nickte höflich (Mabel schenkte ihm ein Lächeln), aber definitiv sehr aufmerksam, und dann stieß er Ron gegen den Oberarm und flüsterte etwas - nicht dass Ron entgangen sein könnte, dass sie verfolgt wurden, er hörte sehr gut.
Allerdings war Mabel ein unbeschriebenes Blatt, sie hatte nicht zu erwarten, gleich beschossen zu werden.
Nach einigen Metern stoppte Ron, um seine Schnürsenkel neu zu binden - sie machte einen Bogen um ihn und Frank und spazierte einfach weiter. Sie wusste jetzt nur dummerweise nicht mehr, wohin sie musste.
Der Korridor führte direkt auf ein Fenster zu, links und rechts ging es zu Krankenzimmern. Mabel wandte sich nach links (mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit lag sie richtig) und blieb dann knapp hinter der Abzweigung locker an die Wand gelehnt stehen. Die Ärztin, die ihr entgegenkam, musterte die Süßigkeiten missbilligend und setzte gerade zur Standpauke an, als Ron und Frank auch um die Ecke kamen.
Das war ihr zu viel. „Glauben Sie etwa, die Diätvorschriften gibt es grundlos?”, schnauzte sie Mabel und Frank an.
„FBI!”, ging Ron mit seinem Ausweis dazwischen, „Mein Partner wird das alles selber essen, er schmuggelt nicht.”
Die Ärztin kniff ihre Augen zusammen und sah zu Mabel. „Und Sie?”
„Geht alles auf meine eigenen Hüften”, versicherte ihr diese.
„Wen besuchen Sie?”, kam kühl zurück.
Kurzerhand sagte Mabel: „John Doe.” - Frank blickte verdutzt, Ron sah sichtlich sein Misstrauen bestätigt.
„Ah, Sie gehören auch dazu”, die Ärztin nickte verstehend und ging einen Schritt beiseite, „Es tut mir leid, dass ich Sie unterbrochen habe.”
Ron gab Tate einen Schubs, dann gingen sie, auch Mabel, an der Ärztin vorbei, die nun ebenfalls ihren Weg fortsetzte. „Weshalb verfolgen Sie uns?”, fragte er eisig.
„Ach, Sie wollen auch zu John Doe?”, fragte Mabel, während sie mit ihrer süßigkeitenfreien rechten Hand nach der Waffe an ihrer Hüfte griff und diese entsicherte. Ron verfolgte die Bewegung mit seinem Blick, aber die getarnte Waffe konnte er natürlich nicht sehen - oder hatte er den Entsicherungshebel gehört? Unwahrscheinlich. Das flüsterleise Klicken ging im Rascheln der Süßigkeitenverpackungen doch völlig unter, selbst für einen Implantanten.
„Was wollen Sie von ihm?”, fragte er.
Das wollte sie doch von Ron wissen! Sie hatte keine Antwort, sie konnte nur raten. „Ich besuche ihn. Ist das verboten?”
„Jeder, der ihn besuchen wollen würde, wüsste, wer er ist”, fauchte Ron und griff grob nach Mabels linkem Oberarm, dass sie etliche der Süßigkeiten fallen ließ, und sein Skrill zischte bedrohlich. „Wissen Sie, wer er ist?”
Tate griff nach seiner Waffe.
Mabel hob ihre Brauen. „Sie wissen es also auch nicht. Interessant.”
„Wer sind Sie?”, fragte Ron nun.
Sie schmunzelte. „Sie stellen die falschen Fragen, Agent Sandoval.”
„Für wen arbeiten Sie?”
„Falsche Frage, Sandoval.”
„Sie werden alle Fragen beantworten!”, fauchte er und zerrte sie mit sich weiter den Korridor entlang. Ein kurzer Blick zeigte, dass Frank die Süßigkeiten vom Boden aufhob und seinem Vorgesetzten erst dann nacheilte - vermutlich allerdings nicht nur, weil er sie haben wollte, sondern auch, weil herumliegende Süßigkeiten auffielen.
Ein gutes Stück weiter öffnete Ron eine Tür und stieß Mabel in das Krankenzimmer dahinter - von drei Betten war eines belegt. Jay? Mabel riss die Augen auf, zwang sich aber in Anbetracht der Anwesenheit eines taelontreuen Implantanten zur Ruhe.
„Sie kennen ihn”, stellte Ron fest.
Mabel wandte den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Er sieht Ihnen ähnlich”, gab sie zurück, das musste als Erklärung für ihr Erstaunen genügen.
Einen Moment lang wirkte Ron trotz der professionellen Maske verlegen. „Er sieht asiatisch aus, das ist alles”, wiegelte er ab.
Tate knallte nun die Tür hinter sich zu, dann ließ er den Berg an Süßigkeiten auf eines der freien Betten fallen. „Was machen wir mit ihr, Boss?”, fragte er.
„Rufen Sie die Polizei und halten Sie sie solange hier fest”, bestimmte Ron, „Ich werde mich um John Doe kümmern.” Er löste die Bremse des Bettes, auf dem Jay lag. „Lassen Sie die Polizei sie nicht verhören”, ergänzte er dann noch, „Ich werde das tun.” Er zog das Bett an Mabel und Frank vorbei, öffnete die Tür und schob es hinaus. Wenige Sekunden später fiel die Tür wieder ins Schloss.
Tate zückte sein Global, Mabel ließ die restlichen Süßigkeiten auf ihrem Arm fallen und schlug es ihm aus den Händen. Sogleich setzte sie einen Schlag in den Magen hinterher, blockte mit dem linken Arm einen rechten Haken und zog ihre Waffe aus dem Holster.
Der nun ungetarnte Lauf vor Franks Nase nahm ihm jegliche Kampflust - im selben Moment meldete Mabels Global den Eingang einer Nachricht. Sie behielt Frank gut im Auge, während sie ihr Global vom Gürtel hakte und aufschnappen ließ. Die Nachricht war von Deram, und zwar ein Foto einer Kirchenfront mit riesigem grünem Graffiti, allerdings ein Mabel sehr bekanntes Symbol - Kimeran Green Wolves.
„Was ...?”, setzte Frank an.
Mabel unterbrach ihn, indem sie ihn zum noch nicht mit Süßigkeiten belegten Bett schob und dort hinsetzte. „Schweigen Sie, Tate”, befahl sie ihm, dann verlangte sie von ihrem Global: „Hawke.”
Der Implantant erschien auf dem kleinen Bildschirm. „Ja? Niemand hört zu.”
„Ronald Sandoval kommt mit einem bewusstlosen Patienten im Krankenbett rauf - Zugriff!”
„Verstanden. Wird erledigt.”
Der Bildschirm wurde schwarz. „Cartwright”, verlangte Mabel nun nach Deram.
„Ja?”
„Position halten und beobachten. Kontakt autorisiert.”
„Verstanden”, sagte Deram und schaltete ab.
Mabel hakte ihr Global an den Gürtel und sah nun Frank durchdringend an. „Kurzform. Was wissen Sie über John Doe?”
„Nichts! Mein Boss hat Befehl, ihn mitzunehmen, mehr weiß ich nicht!”
Sie hob eine Braue, sie glaubte ihm kein Wort. „Dann muss ich wohl Sie kaltstellen und ihn fragen.”
Tate hob die Hände. „Warten Sie!”
„Worauf? Auf Ihre nächste Lüge?” Mabel zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Zeit für den Mist - schlafen Sie gut, Tate!” Sie schoss, sein Oberkörper kippte aufs Bett, dann steckte sie ihre Waffe zurück ins Holster und aktivierte ihre Tarnung.

Das Öffnen und Schließen der Türen konnte natürlich gesehen werden, sowohl beim Krankenzimmer, als auch beim Treppenhaus, aber das war alles. Mabel nahm jeweils drei Stufen auf einmal, als sie so schnell sie konnte vier Stockwerke nach oben lief, schließlich erreichte sie durch eine bereits gründlich zerstörte Tür aus Sicherheitsglas das Dach.
Lewis Hawke duckte sich hinter einem Kompressor der Klimaanlage, und er saß fest. Seine Tarnung war zwar aktiv, aber sie flackerte, und wann immer er sichtbar war, war auch ein Skrilltreffer am linken Oberarm zu sehen.
Neben dem Shuttle stand Jays Bett, Jay noch immer darin, einige Schritte weiter lag ein bewusstloser dunkelhäutiger Mann - der Pilot vermutlich.
Wo war Ron? Mabel sah ihn nirgendwo.
Lewis' Deckung gab immerhin einen Anhaltspunkt, aber auf dem Dach gab noch weitere Kompressoren, etliche Abluftrohre, einen Antennenmast und natürlich den Ausgang des obersten Stockwerks.
Schleichen war schwierig, wegen der Glassplitter. Ron hörte sehr gut, und er war zweifellos sehr wachsam - besonders, da er vermutlich bereits erkannt hatte, dass eine Tarnvorrichtung involviert war. Mabel bemühte sich, in weitem Bogen sehr langsam hinter einige der möglichen Deckungen zu gelangen.
Den Antennenmast konnte sie inzwischen ausschließen, ebenso eines der Abluftrohre.
„Wir stehen auf derselben Seite!”, hörte sie Lewis rufen, „Wir beschützen die Taelons! Wir geben unser Leben für die Taelons!”
„Ich kenne Sie nicht!”, kam von Ron, „Ich wurde über jede Implantation eines Beschützers informiert!”
Er war nicht weit von Mabel entfernt. Zwei Kompressoren kamen in Frage - sie schlich mit höchster Vorsicht weiter.
Ein Kopf und ein Skrill schnellten hinter einem Kompressor hervor, der Skrill entlud - Mabel warf sich zur Seite und spürte die Energie heiß an ihr vorbeibrausen, während sie auf dem Betonboden aufschlug. Sie schoss zurück, doch Ron war bereits wieder in Deckung.
Immerhin wusste sie jetzt, wo er war. Sie kam wieder auf die Beine und rannte zum anderen Kompressor in Deckung ... und schon wieder zischten Skrillentladungen an ihr vorbei.

Sie hatte einiges erwartet - aber doch nicht, beinahe von ihrem eigenen Mann umgebracht zu werden!

„Wir sollten reden!”, rief sie.
„Wer sind Sie? Für wen arbeiten Sie?”, gab er zurück.
„Isabel Martínez, planetare Verteidigung. Sie dürfen mich Mabel nennen, wenn Sie wollen!”
„Planetare Verteidigung ...” Er klang belustigt.
„Wir arbeiten ... unsichtbar”, konstatierte sie, „wie Sie nicht sehen konnten.”
Kurz war er still, dann fragte er: „Wer ist John Doe?” Leise erklang das Öffnen eines Globals. Rief er Verstärkung? Nein, das hatte er vermutlich bereits getan.
„Falsche Frage, Sandoval”, sagte Mabel, „Fragen Sie sich lieber, ob Sie auf der richtigen Seite stehen!”
„Nein! John Doe ist der Weg, die Taelons zu beschützen!”
Was hatte Jay mit dem Schutz der Taelons zu tun? Schutz wovor?
„Wohin wollen Sie ihn bringen?”, rief Mabel.
„An einen sicheren Ort!” Ein leiser Pieps erklang, eine Globalnachricht. „Isabel Martínez Ruiz, geboren am 14. August 1980. Ich sehe ein Problem, Ms Martínez.”
Sie wusste welches. Sie sah jung aus, aber nicht unverändert jung. Schnell huschte sie aus ihrer Deckung, schoss zweimal und verbarg sich nun hinter einem Abluftrohr. „Ich sehe kein Problem!”
Inzwischen hatte er kaum mehr Deckung und musste auf Mabel auf der einen und Lewis auf der anderen Seite achten.
Mabels Global piepste, sie ließ es aufschnappen. „Ja?”
„Ja?”, erklang auch Lewis Hawkes Stimme.
„Interdimensionsaustritt, Shuttleanflug aufs Krankenhaus - zwei Minuten”, meldete Deram.
Zwei Minuten also, knapp. „Erbitte Luftunterstützung!” Mabel schob ihr Global zu und hakte es an den Gürtel. Einige Momente lang atmete sie tief durch, dann rief sie: „Hawke!”, und sprang auf der anderen Seite des Abluftrohrs aus ihrer Deckung.
Sie schoss, auch Lewis schoss - und Ron schoss. Ein Skrilltreffer schmolz das Rohr zusammen, ein weiterer streifte Mabels linke Hüfte, ihr wurde schwarz vor Augen. Weitere Schüsse zischten durch die Luft, ein Fußtritt beraubte Mabel ihrer Waffe, die klappernd ein Stück entfernt auf dem Beton aufprallte, und Ron riss ihr auch das Tarngerät von der linken Schulter. Welle um Welle brandete der Schmerz durch ihren Körper, nur wenig gelindert durch die spärlichen Reste der Kimeraenergie, die Mabel noch von früher hatte.
Es war nur ein Streifschuss! Das war nicht das erste Mal in ihrem Leben! Mühsam zwängte sie ihre Augen auf und blinzelte die Schatten weg, verschwommen sah sie Ron in seiner Deckung kauern, der Kopf seines Skrills pulsierte bedrohlich.
Ein Schuss zischte über sie beide hinweg - Hawke.
Mabel stemmte sich etwas hoch und jaulte beinahe auf, als der Schmerz in ihrer Hüfte geradezu explodierte. Was für ein Streifschuss! Womöglich hatte es ihr das Fleisch bis auf die Knochen weggebrannt ...
Einen winzigen Moment lang war der Schmerz fast erträglich - und prompt vermeldete Mabels rechte Schulter, dass sie beim Sturz aufgeschlagen war.
Hoch, los, aufsetzen! Mabel zog ihren rechten Arm an und stieß sich dann vom Boden ab, das angezogene rechte Bein bot die nötige Stabilität im Sitzen. Ein leichter Druck am rechten Knöchel erinnerte Mabel an ihre Zweitwaffe - die Ron ihr nicht abgenommen hatte!
Wenn sie da unauffällig ran käme ...
Unauffällig, das war schwer, wenn der Gegner ein Implantant war.
Mabel richtete sich weiter auf, sie biss sich auf ihre Unterlippe, sie schmeckte Blut und sie spürte Tränen. Es schmerzte höllisch, aber sie zog ihr rechtes Bein weiter an. Wie beiläufig hielt sie nach ihrer verlorenen Waffe Ausschau, während sie ihre Hände um den Knöchel legte.
Noch weiter drückte sie ihr Bein an sich, sie stellte den Fuß auf und verlagerte ihr Gewicht etwas.
Ron musterte sie missbilligend, folgte ihrem Blick mit seinem und schoss kurzerhand ihre Waffe zu Klump.
Ein schneller Griff an den Knöchelholster, der Daumen legte den Sicherungshebel um - und Schuss. Für einen winzigen Augenblick war Verblüffung in Rons Augen gewesen, nun war er bewusstlos.
„Sandoval erledigt!”, rief Mabel, dann ergab sie sich dem Schmerz und schrie.

Ein Stich, wohltuende Taubheit. Eine kleine Kapsel in der linken Hand - Mabel drückte zu und die Energie strömte ihren Arm hoch und durch ihren gesamten Körper.
„Ma'am, das ist ein böser Treffer”, sagte Lewis.
„Das Shuttle?”, flüsterte Mabel.
„Deram hat abgewartet, bis es gelandet ist, und dann drauf geschossen und ihr Shuttle enttarnt. Die haben alle die Hände ganz weit oben.”
Sie zwängte ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Jay?”
„Ich habe mich erst um Sie gekümmert, Ma'am”, sagte Lewis.
Energisch scheuchte sie ihn weg. „Sehen Sie nach ihm!” Er sprang auf und eilte zum Krankenbett, während Mabel nun ihre taube Hüfte erfolgreich belastete und aufstand. Drei Shuttles standen hier, wankend tappte Mabel in Richtung jenes Shuttles, an dessen Pilotenplatz Deram saß.
Lewis wickelte gerade Jays rechte Hand um eine weitere Energiekapsel. Was immer Jay hatte, das würde helfen. Beobachtet wurde das alles von fünf Soldaten, die in einer Reihe mit den Händen hinter dem Kopf vor dem schwer beschädigten Shuttle standen.
Mabel blieb stehen und ruhte sich etwas aus. Es war so weit bis zu Deram ...
Ein Global piepste, Mabel griff ... mitten in ihren Streifschuss - trotz Betäubung und Kimeraenergie brandete wieder Schmerz durch ihren ganzen Körper und sie sank wimmernd auf die Knie.
„Ma'am!” Lewis war bei ihr und half ihr wieder hoch. „Kommen Sie, ich stütze Sie.” Er legte ihren rechten Arm über seine Schultern und zog sie mit sich, zum Shuttle, die Stufe ins Shuttle, und dann setzte er sie auf einen Passagiersessel.
„Was war die Nachricht?”, fragte Mabel.
„Änderung im Gemeinwesen”, sagte Deram, „Die Taelons sind stinksauer, Liams und Harmonys Präsenzen haben sich weiter verstärkt.”
Mabel blickte an sich herab und betrachtete ihre Hüfte. Es sah wirklich schlimm aus, aber zwischen verbranntem Fleisch und verbranntem Stoff blitzte bereits ein schmaler Saum unverletzter Haut hindurch. Die Wunde heilte bereits. „Wo sind die anderen Kapseln?”
„Die Kiste ist neben deinem Sitz.”
Mabel beugte sich zur Seite und über ihre Armlehne, eine Rippe protestierte vergeblich - die Latina erbeutete zwei Energiekapseln und nahm eine in jede Hand. Das sollte die Heilung massiv beschleunigen. Das Pochen in der Rippe verflüchtigte sich, und auch die Schulter fühlte sich unverletzt an. Ein Blick zur Hüfte, der Saum war deutlich breiter geworden.
Kurzerhand stand Mabel wieder auf und stieg aus dem Shuttle.
„Ma'am ...”, begann Lewis, aber als er die Kapseln in ihren Händen sah, nickte er nur knapp und begann, Jay aus dem Krankenbett zu hieven.
Mabel stapfte zurück dorthin, wo sie gelegen war. Dort waren das Band mit dem Tarnmodul und die zerstörte Waffe, aber auch die Zweitwaffe und ein völlig verschmortes Global. Mabel steckte eine Energiekapsel in ihre Hosentasche, bückte sich, nun fast schmerzfrei, und schob die Zweitwaffe zurück ins Knöchelholster. Dann hob sie das Tarngerät auf, deaktivierte es, und schlang das Band um ihren linken Oberarm, es hielt sofort.
Ron ... zerzaust und staubig lag er da, und Mabel konnte nicht anders, als zu lächeln. Wenn sie das alles zuhause erzählen würde, ihr Ron würde sich nachträglich unglaubliche Sorgen machen und sich am Ende sogar schuldig fühlen. Aber das würde vorbeigehen, es war eben doch der Imperativ schuld.
Und genau den konnte sie diesem Ron hier nicht einfach lassen.
Es war nicht elegant, aber es war effektiv, als sie Ron an den Beinen quer über das Dach des Krankenhauses zog. Beim Shuttle angekommen, half Lewis ihr, den Bewusstlosen auf den mittleren Passagiersessel zu bugsieren, und er holte dann auch eine tiefblaue Manschette, die sich um Rons Skrill zusammenzog und diesen so ungefährlich machte.
Jay lag bereits hinten im Shuttle und wurde von mehreren violetten Tentakeln festgehalten, Lewis und Mabel setzten sich gerade - Deram aktivierte das virtuelle Glas und hob ab, wenige Sekunden später sprang sie in die Interdimension.
Mabel gab Ron eine Energiekapsel in die Hand und drückte zu, beinahe sofort erwachte der Implantant. „Was geht hier vor?”, verlangte er zu wissen.
„Nicht nur Sie hatten Verstärkung”, sagte Mabel kühl, „Strengen Sie sich nicht an, Ihr Skrill ist außer Gefecht.”
„Was wollen Sie?”
„Erst einmal wüsste ich gerne, was Sie mit John Doe vorhatten.”
Er sah sie nur giftig an.
Mabel straffte sich. „Kontakt zu Thomas bitte!”
Deram wischte durch einige Kontrollen, rechts erschien ein holographisches Bild des Taelonhybriden. „Ja? Oh, illustre Begleitung habt ihr da.”
„Thomas, deine Meldung bezüglich Gemeinwesen ... kannst du die detaillieren?”
„Kann ich, ja. Die Taelons sind erstens stinksauer, zweitens in noch größerer, allerdings nun abstrakter, Todesangst als zuvor, und drittens in recht kämpferischer Laune.”
„Erklärung?”
„Ich habe keine. Ich kann nur mutmaßen, dass die beiden Kimera irgendetwas unglaublich Schlimmes getan haben.” Er seufzte knapp. „Die Anrufe gehen immer noch nicht durch, oder?”
Deram schüttelte den Kopf. „Nein. Das Shuttle probiert es alle paar Sekunden bei allen, aber keiner geht ran.”
„Okay. Thomas, du bleibst, wo du bist. Kontakt empfohlen.”
„Verstanden, ich rede mit Mike und Bess.” Er schaltete ab.
Nun grinste Mabel schief und bestimmte: „Und wir sehen uns mal ein Graffiti genauer an!”
„Kurs gesetzt, Tarnung aktiviert.” Pause, Deram wischte eine Meldung vom Sensorsystem weg und rief ein Detailergebnis auf. „Der Medscan ist durch. Das ist die fiese Blutkrankheit, allerdings noch nicht kritisch.”
„Typisch ...”, seufzte Mabel, „Das kommt immer zur blödesten Zeit ... aber glücklicherweise bin ja ich ...”
„Der Medscan sagt auch, dass du nicht in der Verfassung für eine Blutspende bist, Mabel”, warf Deram ein, „also zapfen wir ihn an.” Sie wischte durch eine weitere Kontrolle, worauf die Armlehnen sich um Rons Arme klammerten, dann drehte sie sich im Pilotensitz um und grinste breit. „Captain Hawke, soweit ich informiert bin, wissen Sie mit Nadeln umzugehen. Ist das korrekt?”
Der Implantant nickte. „Ist es. Mrs. Martínez, würden Sie mir bitte die Kiste reichen?”
Mabel bückte sich wieder über ihre Armlehne, diesmal völlig schmerzfrei, hob die Kiste hoch und reichte sie quer über Ron an Captain Hawke weiter. Dieser hob die oberste Ebene, mit Energiekapseln und Verbandsmaterial aus der Kiste, dann auch die zweite Ebene mit Notfallmedikamenten - ganz unten fanden sich Spritzbesteck, chirurgisches Besteck und auch Blutentnahme-Besteck, jeweils steril verschweißt.
„Bitte zappeln Sie nicht, Agent Sandoval, sonst treffe ich nicht und verletze Sie schwerer als nötig”, sagte Lewis - Ron hielt still, er hatte ja wirklich keine Wahl. Als das Blut in den Beutel floss, setzte sich Captain Hawke wieder hin, es würde einige Minuten dauern.
„Austritt”, meldete Deram, einen Moment später verschwand das Blau ums Shuttle und selbiges schwebte schräg über der Kirche. „Das ist das Graffiti.”
„Das ist in acht Metern Höhe!”, stellte Lewis verdutzt fest.
Mabel nickte. „Licau. Sie hat das gemalt.”
„Das bedeutet, sie ist in der Nähe”, stellte Deram fest, „aber die Sensoren haben keinen Anhaltspunkt und der Anruf an sie geht nach wie vor nicht durch.”
„Dieses Graffiti legt nahe, dass sie getrennt wurden und sich eben nicht per Global verständigen können”, bemerkte Lewis, „Die Annahme, dass sie einander hier begegnen könnten, ist wahrscheinlich.”
„Ich finde keinen von ihnen - allerdings haben die Shuttlesensoren auch ihre Grenzen.” Es piepste. „Anruf von Thomas”, sagte Deram, ein Wischen später tauchte ein Hologramm von Thomas rechts in der Anzeige auf.
„Mabel, ich habe nichts”, sagte er, „Ich habe mit Bess und Mike geredet, sie wissen nichts von unseren Leuten. Sie waren und sind nicht hier. Ich schlage vor, ihr holt mich ab.”
Mabel legte den Kopf schief. „In zehn Minuten beim See”, sagte sie, der Hybrid nickte und beendete den Anruf. „Captain Hawke”, wandte sie sich dem Implantanten zu, „Sie bleiben hier und ... hm, haben wir zufällig auch Sprühfarbe?”
„Leider nein.”
„Okay.” Kurz runzelte sie ihre Stirn und überlegte. „Sie gehen die Straße runter”, bestimmte sie dann und wies nach links, „dort ist ein 24-Stunden-Supermarkt, der hat so gut wie alles. Kaufen sie eine Dose und sprühen sie eine Nachricht.”
„Welche Nachricht?”
Deram wandte sich um. „Martian Blue Lights”, schlug sie vor, „Kriegen Sie das zusammen?”
„Baseball ist an mir vorbeigegangen”, gab der Implantant zu, „Zeigen Sie mir das Logo bitte.” Die Jaridian rief ein anderes Subsystem auf, griff nach ihrem Global und übertrug ein Bild von diesem in die holographische Anzeige - wenn man die Verzierungen und den stilisierten Baseballschläger ignorierte, ließ sich das Symbol als Energiebahn lesen. „Danke, kriege ich her”, sagte Lewis, „Meine Tarnung ist allerdings beschädigt.”
„Hier”, sagte Mabel - sie zupfte ihr eigenes Modul von ihrer linken Schulter und gab es ihm.
Deram senkte das Shuttle ab und deaktivierte das virtuelle Glas, Lewis trat ganz nach vorne und aktivierte die Tarnung - während er vermutlich sprang (er war getarnt, man sah es also nicht), flog in hohem Bogen ein Schuh aus dem Shuttle.
Ron! Einfallsreich in allen Situationen.
Die Pilotin reaktivierte das virtuelle Glas und flog eine kleine Runde - der Schuh war nirgends zu sehen, zweifellos hatte Lewis ihn sofort an sich genommen.
Mabel lachte laut auf. „Vergebliche Mühe! Und wir haben leider keinen Ersatzschuh.”
„Eintritt”, meldete Deram, es blitzte auf und das Shuttle sprang in die Interdimension. Die Reise verlief ruhig. Ron starrte düster vor sich hin, Mabel beobachtete ihn schmunzelnd. Zügig lief weiterhin sein Blut in den Beutel, inzwischen war dieser schon zu fast drei Vierteln voll. „Kursänderung des Mutterschiffes”, sagte Deram, „Lunarer Orbit verlassen, Annäherung an die Erde. Acht Stunden bis zur Erde bei derzeitiger Geschwindigkeit und Beschleunigung.”
„Und wir wissen nicht, warum”, stellte Mabel fest, „Wissen Sie es, Agent Sandoval?” Er sah sie nur giftig an. „Okay - was mache ich dann mit dem Blut? Ich muss ja die Blutgruppe irgendwie weg kriegen.”
„Such in der Kiste nach einer Ampulle mit zwei gelben Streifen”, sagte Deram, „Drauf steht Tipa.”
Mabel betrachtete die Etage mit den Medikamenten, die Ampullen waren praktischerweise nach Farben sortiert - und da war die gesuchte. „Hab sie. Und jetzt?”
„Der Blutbeutel hat oben neben dem Einlaufschlauch einen gelben Ring. Da rein musst du die Ampulle setzen, und dann im Uhrzeigersinn drehen.” Mabel suchte und fand den Ring und drückte die Ampulle hinein, dann drehte sie. Es zischte kurz, bevor sich die klare Flüssigkeit aus der Ampulle in den Blutbeutel entleerte. „Drück den Beutel ein bisschen, dass es sich schneller vermischt, die Reaktionszeit ist dann etwa fünf Minuten”, sagte Deram, „danach kannst du das Blut verabreichen.”
„Und das Zeug schadet nicht?”
„Naja, es beißt ja nur die Blutgruppen-Antigene von den Blutkörperchen runter, das macht dem lebenden Körper gar nichts aus.”
Mabel griff nach dem Blutbeutel und drückte das Blut darin etwas herum. Inzwischen fehlte nur noch wenig, bis er voll wäre.
„Austritt”, meldete Deram, die Interdimension wich dem Blick auf den Baggersee aus noch einiger Entfernung. Die Pilotin steuerte das Shuttle gemächlich näher hin und setzte es dann neben dem wartenden Hybriden auf dem Kiesstrand auf. Sowie sie das virtuelle Glas deaktiviert hatte, rief sie hinaus: „Hier, Thomas!”
Mit vorsichtigen kleinen Schritten und tastend ausgestreckten Armen bewegte er sich langsam auf das Shuttle zu, schließlich stieg er ein und setzte sich auf den freien Passagierplatz. „Hi. Wie schon gesagt: Illustre Begleitung.” Er spähte hinter die Sitze und hob die Brauen. „Fiese Krankheit?”
„Sehr fies”, sagte Mabel, „Hilfst du mir mal mit dem Blut?”
„Klar.” Er drehte die Klemmschraube am Schlauch, nahm einen Tupfer zur Hand und drückte ihn in Rons Armbeuge, dann zog er die Nadel heraus. Jetzt stand er da, in einer Hand die Nadel, die andere übte festen Druck auf den Stich aus.
Deram unterdessen wendete das Shuttle und ließ es schnell an Höhe gewinnen, bevor sie es in die Interdimension brachte.
Mabel zwackte nun den Schlauch ab, die heiße Schere schmolz ihn zu - das Stück mit der Nadel landete im medizinischen Müll, einem Fach seitlich an der Kiste. „So, was mache ich jetzt?”
„Du wartest fünf Minuten!”, sagte die Pilotin fest, „und dann sind wir eh wieder in Washington und ich lege den Zugang. Du verstichst dich bloß.”
Die Latina seufzte leise und drückte auf dem Blutbeutel herum, Thomas klebte ein Pflaster auf den Stich in Rons Armbeuge.
Die Interdimension erlaubte doch viel schnelleres Reisen - warum dauerte der Flug von Clearwater nach Washington so lang? Mit einem Portal wären sie nach wenigen Sekunden angekommen.
Endlich meldete Deram: „Austritt”, und brachte das Shuttle über Washington, nahe der Kirche, wieder in den normalen Raum zurück. Sie positionierte es wie zuvor schräg über der Kirche, dann stand sie auf und kam nach hinten. „So, gib mir das mal, ich gebe ihm das Blut.”
Mabel gab ihr den Beutel und folgte ihr mit ihrem Blick. Die Jaridian ging geschickt mit der Nadel um, verwunderlich war das allerdings nicht - sie unterstützte Kural in seiner Praxis sehr viel. Das Shuttle bildete einen Ausläufer aus der Decke, an dem Deram den Beutel dann aufhängen konnte, damit war Jay versorgt.
„Ist das die Nachricht?”, fragte Thomas plötzlich.
Deram nickte. „Ja, und er hat einen guten Platz dafür auch noch gefunden.”
Jetzt spähte Mabel hinaus und suchte - und fand das Logo der Martian Blue Lights in grellroter Farbe auf der dicken Säule links neben dem großen Kirchenportal. Das war ein sehr guter Platz, sehr auffällig, eine recht große nur leicht gewölbte Fläche, perfekt geeignet.
Deram griff in die Kiste und holte eine Kapsel heraus, die sie dann Jay in die Hand gab.
Ron runzelte die Stirn und betrachtete nun die Kapsel, die er noch immer in seiner Hand hielt, genauer. „Was ist das?”
„Energie”, sagte Mabel, „Sie heilt fast alles. Eine verbrannte Hüfte, einen verbrannten Oberarm, oder auch einen einfachen Betäubungspulstreffer.”
„Aber nicht das, was er hat.”
„Nein. Das ist genetisch.”
Ron sah sie durchdringend an. „Kimber-Syndrom.” Sie neigte den Kopf. „Mir wurde gesagt, ich hätte das auch”, bemerkte er.
Mabel runzelte die Stirn. Ihr Ron hatte davon erst zwei Jahre später gewusst - hatte dieser Ron Kontakt zu den anderen gehabt? „Wer sagte das?”, fragte sie.
Flüchtig fand sich ein Schmunzeln auf seinem Gesicht ein. „Möchten Sie mir nicht etwas zu trinken geben? Ich glaube, mein Blutvolumen ist recht niedrig ...”
Sie griff hinter sich, Deram gab ihr eine Wasserflasche in die Hand. „Natürlich.” Schnell schraubte sie die Flasche auf und hielt sie vor Rons Gesicht - er gönnte ihr einen unzufriedenen Blick und zerrte an den blauvioletten Ausläufern, die noch immer seine Arme an die Lehnen fesselten. „Wer sagte das?”, wiederholte sie ihre Frage.
„Die Fesseln”, verlangte er kühl.
Mabel ging zum Pilotenplatz und wischte durch eine Kontrolle - Rons linker Arm war frei und sie gab ihm die Flasche in die Hand. „Nun?”
„Was haben Sie mit Tate gemacht?”, fragte er.
„Betäubt, vermutlich ist er bereits wieder wach. Beantworten Sie meine Frage!”
„Haben Sie auch etwas zu essen für mich?”, fragte er.
Mabel zog ihre Brauen zusammen. „Sie haben nicht die Absicht, mir zu antworten”, sagte sie fest, „aber das spielt keine Rolle - ich kann mir die Antwort bereits in etwa denken.”
„So?”
„Sie wissen mein Geburtsdatum, Sie haben Ihre Schlüsse bereits gezogen.” Sie setzte sich wieder auf ihren Passagierplatz. „Ja, wir sind aus einem zeitverschobenen Universum. Es gab einen Unfall, der einige Leute hierher verschlagen hat - ohne zuverlässige Rückkehrmöglichkeit. Wir sind absichtlich und vorbereitet zu deren Rettung hier.”
„Und den ersten haben wir schon gefunden”, kam von Deram hinten, „Ich hab ihm noch eine Kapsel gegeben, er ist über den Berg.”
„Wer ist John Doe?”, fragte Ron nun.
„Jason Martínez, unser Sohn”, gab Mabel zurück, worauf er sich versehentlich einiges Wasser auf sein Hemd kippte. „Ich bin überrascht, dass Sie diesen Schluss nicht auch schon gezogen hatten.” Er sah sie durchdringend an, sagte aber nichts.
Deram erhob sich und eilte nach vorne, sie setzte sich auf den Pilotenplatz und bewegte kurz ihre Finger durch die Kontrollen. „Das Mutterschiff hat die Beschleunigung erhöht, 16 Minuten bis zur Erde, das Waffensystem wird soeben hochgefahren. Vielleicht sollten wir da oben mal nachgucken, warum die das machen.”
„Nein”, beschloss Mabel, „Thomas, mach dich bemerkbar.”
Der Hybrid legte den Kopf schief, blaue Energiebahnen glühten durch seine Haut und seine Augen zeigten ein leuchtendes Blauviolett. „Die Taelons staunen”, meldete er dann, „Liam ist noch stark da, Harmony ist nicht mehr zu spüren.” Einen Moment später piepste sein Global, er ließ es aufschnappen. „Harmony! Schön, dich zu sehen.”
„Thomas, das war eine Überraschung”, sagte sie, „Wer ist sonst noch da?”
Er reckte kurz das Global in die Höhe, dass sie alle Shuttleinsaßen sehen konnte, und ergänzte: „Captain Lewis Hawke ist auch mit. Was habt ihr angestellt, dass die Taelons so stinkig sind?”
„Wir haben ihnen die Grundenergievorräte geklaut und den Interdimensionsantrieb sabotiert. Gerade versuchen sie, anderweitig in Erdnähe zu gelangen, um ein paar Inseln abzuschießen oder so - aber erpressen lassen wir uns nicht.”
„Warum bist du nicht mehr im Gemeinwesen?”, fragte Thomas.
„Damit sie nicht wissen, wo ich bin - ich musste vom Mutterschiff runter, damit ich das Global einschalten konnte, ohne angepeilt zu werden. Bin jetzt auf dem Mond.”
„Wo ist der Rest?”, warf Mabel ein, „Also außer Jay, der ist schon hier.”
„Der Rest lässt sich von einem misstrauischen Milliardär giftig angucken. Es sind alle in Ordnung, keine Sorge.” Pause. „Nahema ist erledigt, beide Nahemas ganz konkret. Zuvor hat sie allerdings einige Menschen das Leben gekostet.”
„Das ist unerfreulich. Aber wenigstens ist sie keine Gefahr mehr.”
„Wo seid ihr gerade?”, fragte Harmony nun, Thomas schwenkte sein Global und zeigte die Kirche, „Ah, dort. Wer hat die Martian Blue Lights gesprüht?”
„Das war Lewis”, sagte er, „Aber wenn die Leute alle beim Widerstand rumsitzen, sieht sein schönes Graffiti eh keiner. Wo treffen wir uns?”
„Nicht beim Widerstand jedenfalls. Noch ein Taelonhybrid wird Doors definitiv zu viel, er hatte schon mit mir seine liebe Mühe.” Kurz war es still, sie überlegte offenbar. „Die Höhle, in der Dad und Will von den Atavus eingesackt wurden - habt ihr die Koordinaten?”
Derams Hände flogen durch die Steuerung. „Sind da, dieses Shuttle war damals dabei”, bestätigte sie dann.
„Gut. Ich war auch dabei und finde auch hin. Bis dann. Oh, noch was: Deram, Status von Mutter?”
Wieder flogen Derams Hände. „Der konventionelle Antrieb wurde auf die ohne Interdimensionskern maximale Leistung hochgefahren, Waffenreichweite in vier Stunden. Waffensystem aktiv.”
„Hm”, machte Harmony, „wir müssen wohl noch eine Sabotage nachlegen. Bis dann in der Höhle.”

* * *

Ein Lichtpunkt erschien mitten im Hauptraum des Widerstandshauptquartiers unter der Kirche, er vergrößerte sich und teilte sich nach oben und unten, und Harmony trat heraus. Sofort wurde sie von allen Seiten bestürmt.
„Alles okay?”, fragte Louise.
„Was haben die Taelons gesagt?”, fragte Corinna.
„Wo ist Dad?”, fragte Dominic.
Harmony grinste flüchtig. „Es geht allen gut, die Taelons sind stinksauer. Wir haben den Interdimensionskern sabotiert, aber Mutter ist trotzdem auf dem Weg zur Erde, Waffenreichweite in etwas weniger als vier Stunden - Qo'on beabsichtigt, ein paar Inseln abzuschießen.”
Doors stapfte herbei. „Nennen Sie das Erfolg?”
„Nun, wir haben ihnen ihren kompletten Vorrat an Grundenergie geklaut, das ist durchaus ein Erfolg”, sagte sie, „und mein Vater ist derzeit unterwegs zum Waffensystem, um es zu sabotieren - er hat fast vier Stunden Zeit dafür.” Sie suchte sich einen bequemen Platz auf dem Sofa und setzte sich. „Anderes Thema: Wir werden gerettet. Es ist ein Shuttle mit Leuten aus unserem Universum da, ich habe schon mit ihnen gesprochen. Sie haben Jay aus dem Krankenhaus geholt und Ronald Sandoval einkassiert.”
„Warum hast du sie nicht hergebracht?”, fragte Dominic.
„Ein taelontreuer Implantant im Widerstandshauptquartier - das wäre unverantwortlich.”
„Harmony, wenn ein Shuttle da ist”, warf Louise ein, „dann ist auch eine vollständige medizinische Notausrüstung da - da sind Anti-CVIs und neue CVIs dabei.”
„Ja, danach könnte man ihn herbringen”, sagte Harmony, „davor ist es unverantwortlich.”
„Das ist für ihn erfreulich”, sagte Doors fest, „aber wir haben Probleme mit den Atavus und die Taelons planen einen Angriff, und Sie können einfach verschwinden, wenn alles den Bach runter geht.” Er starrte Harmony direkt in ihre Augen. „Dies ist ein echtes Universum mit echten Leuten, keine Simulation, kein hypothetisches Was-wäre-Wenn!”
„Das ist mir bewusst, Mr. Doors. Ich verspreche Ihnen, wir lassen dieses Universum nicht den Bach runter gehen.” Sie erwiderte seinen Blick einige Momente lang, dann sah sie zu Corinna und fragte: „Wo ist der Rest?”
„Street liest den Kristall aus, Licau hat Kopfweh”, sagte diese, „der kimerianisierte Atavus inzwischen auch, Gren ist in einem Kokon, Ha'gel isst und sendet, der gerettete Polizist wird von Melissa durch die Mühle der medizinischen Untersuchungen gedreht und Costello und Fitzpatrick gucken zu.”
„Was machst du jetzt?”, fragte Louise, „Zurück aufs Mutterschiff und mitsabotieren?”
Harmony nickte knapp. „Ich hoffe, ich finde Dad schnell, sonst muss ich mir meinen eigenen Weg zum Waffensystem suchen.”
Dominic richtete sich auf. „Du kannst doch direkt hin teleportieren ... oder?”
„Nicht in dimensional abgeschirmte Bereiche, nein, da kann ich nur raus. Alternativ klopfe ich Qo'on auf die Finger, auf die Brücke kann ich.”
Doors räusperte sich. „Nehmen Sie mich mit!”, verlangte er, „Gemeinsam werden wir sehr gut klarstellen können, dass wir alles tun werden, was nötig ist, um die Menschheit zu verteidigen.”
Harmony musterte ihn. „So weit trauen Sie mir? Sie wollen mit mir auf die Brücke des Mutterschiffes teleportieren?” Doors trat einige Schritte auf sie zu und bot ihr seine Hand. „Also gut”, sagte sie und griff zu, dann schuf sie einen Nexus und zog den Milliardär hindurch.

Einen Moment lang sah er sich in der weißen Transportblase staunend um, dann löste selbige sich auf und er stand mit Harmony auf der Brücke des Mutterschiffes.

Qo'on erhob sich erschrocken von seinem Thron und winkte nach einem Beschützer - Harmony richtete ihre orange glühende Handfläche auf diesen und schoss ihn nieder. „Jae'yal”, sagte der Taelon kühl, „du kannst mich töten, dann war dies meine Zeit. Der Angriff wird automatisch fortgesetzt.”
„Ich will dich nicht töten”, sagte die Kimera, „Wenn du kooperierst, werden alle Taelons überleben.” Sie schmunzelte. „Wenn du allerdings nicht kooperierst, steht die Menschheit gegen das Gemeinwesen.”
Doors trat einen Schritt vor. „Die Menschheit wird nicht aufgeben. Wir werden kämpfen, und die Taelons werden das nicht überleben.”
„Nicht dass die Menschheit sehr lange kämpfen müsste ... wie lange überlebt ihr, ohne Grundenergie aufzunehmen? Eine Woche?”
Qo'on verlor für einen Moment seine Fassade. „Die Menschheit hat unseren Waffen nichts entgegen zu setzen”, stellte er fest,„Menschen werden sterben, bis dein Elter sich bereiterklärt, die Grundenergie zurückzugeben.” Er bewegte seine Hand, die Geste deutete Kraft, Entschlossenheit und Kampflust an. „Bedenke, wie viele Menschen binnen einer Woche sterben können.”
„Sowie der erste Mensch durch die Waffen des Mutterschiffes getötet wird, ist die Grundenergie für euch unwiederbringlich verloren.” Harmony stapfte auf ihn zu, aus dem Augenwinkel sah sie, dass Doors sich bemühte, nahe bei ihr zu bleiben. „Seit tausenden Jahren ist das Mutterschiff unterwegs, eine Welt nach der anderen zu unterwerfen, die Bewohner mit CVIs gefügig zu machen und in den Krieg gegen die Jaridians zu schicken. Hier endet es - auf die eine oder andere Weise!”
„Kimera, wir haben auch die deinen vernichtet!”, sagte Qo'on eisig, „Die Menschen sind primitiv, sie werden ...” Er unterbrach sich, ein Symbol in seiner holographischen Anzeige hatte sich geändert.
Im nächsten Moment erbebte das Schiff. Die holographische Anzeige erlosch, die Lichter wurden dunkel, nur die Notbeleuchtung erlaubte noch, die Umgebung halbwegs zu erkennen.
„Probleme mit dem Waffensystem?”, fragte Harmony schmunzelnd, dann griff sie nach ihrem Global und ließ es aufschnappen. „Thomas.”
Nach einem Moment meldete sich der Taelonhybrid: „Ja?”
„Deram, Status des Mutterschiffes?”
Kurz war es still, dann war die Jaridian zu hören. „Waffensystem inaktiv, Antrieb inaktiv.”
„Danke.” Harmony schob ihr Global wieder zu und hakte es an den Gürtel. „Qo'on, du hast verloren. Ich schlage eine Kapitulation vor.”
„Vor dir, Jae'yal?”
„Vor der Menschheit.” Sie trat beiseite und wies auf ihren steinreichen Begleiter. „Vor dem menschlichen Widerstand konkret - du hast bereits von Jonathan Doors gehört.” Eine Welle aus Abscheu zog dunkelrot über die Fassade des Synodenführers. „Du hast keine Wahl, Qo'on”, sagte Harmony fest, „und wenn du nicht kooperierst, werde statt dir ich die Bedingungen mit Mr. Doors ausdiskutieren.”
„Du maßt dir an, für die Synode zu sprechen?”
„Ja.”
„Du, ein Hybrid.”
„Ja.” Sie musterte ihn. „Alternativ tust es du. Kapitulierst du im Namen der Synode?”
Qo'on hatte keine Wahl, und er wusste es. Er wollte es sichtlich nicht gerne wahrhaben, aber er wusste es. Begleitet von einer nachgiebigen Geste neigte er schließlich knapp den Kopf. „Die Synode kapituliert vor der Menschheit.”

Harmony konnte den Stein, der von Jonathan Doors Herzen fiel, sehr gut hören.

* * *

Die große Höhle wurde gut von vier tragbaren Strahlern ausgeleuchtet, mittig stand das Shuttle. Der einzige Ausgang lag in elf Metern Höhe, entsprechend bestand keinerlei Fluchtgefahr und Ron durfte sich frei bewegen, inzwischen wieder mit einem vollständigen Paar Schuhe. Captain Hawkes Status als Implantant war akzeptiert, die Zeitverschiebung geklärt.
Thomas als Taelonhybrid legte nahe, dass die kleine Gruppe nicht gerade Feind der Taelons war, volles Vertrauen schenkte Ron deswegen natürlich noch nicht - aber mit Imperativ hatte auch Ron im anderen Universum sehr schwer vertraut. Es war daher weise, dass Deram ihre Tarnung aktiviert ließ, sie sah menschlich aus und benutzte ihr Shaqarava nicht, selbst wenn es gerade sehr nützlich wäre. Der im falschen Ausweis vermerkte Name Dream war allerdings vom Tisch, da Harmony den Namen Deram benutzt hatte - aber allein daraus ließ sich ja nicht schließen, dass Deram Jaridian war.
Jay war inzwischen erwacht. Er war auf dem Weg der Besserung, aber er musste sich gründlich ausruhen, deshalb lag er weiterhin hinten im Shuttle.
Mabel saß auf einem Felsabsatz in einigen Metern Entfernung vom Shuttle und naschte Rosinenkekse. Schon seit etlichen Minuten tigerte Ron hin und her, nun kam er zu Mabel und fragte: „Darf ich mich setzen?” Sie wies wortlos neben sich, er nahm Platz. „Die Zukunft hat mir einige Überraschungen beschert”, sagte er.
„Sie können daraus nichts über Ihre Zukunft erfahren”, sagte Mabel, „Seit der Aufspaltung sind die Universen verschieden, es gibt keine zwingenden Entwicklungen.”
„Tendenzen?”
„Möglicherweise. Fragt sich, was eine Tendenz ist und was Zufall.”
Er rieb mit der linken Hand über die blaue Manschette, die seinen Skrill fest umfasste. „Liam, Siobhán Becketts Kind”, sagte er, „Jay, Ihr Kind. Was ist passiert?”
„Ha'gel ist passiert. Er hat Ihre Gestalt angenommen und Beckett geschwängert.”
„Und ... wir?”
„Verheiratet, drei Kinder.”
„Und dann kommen Sie hier her und schießen sich mit mir”, stellte er fest, „Ich hätte kein Problem damit gehabt, Sie umzubringen.”
Sie zuckte mit den Schultern. „Das Risiko eines Soldaten. Er wäre es auch eingegangen, er wollte es, für Jay, aber der Arzt hat es ihm verboten so kurz nach einer Reimplantation.” Sie blickte auf, ein weißer Punkt erschien nahe dem Shuttle und Harmony kam an - die Hybridin war nicht alleine, sie brachte Louise und Corinna mit. „Harmony! Schön, dich zu sehen.”
„Hallo Mabel. Würdest du bitte Agent Sandoval ins Shuttle bringen?”
„Ja, klar.” Die Latina stand auf und zog Ron am Arm mit.
Im Shuttle hatte Louise bereits das medizinische Subsystem des Shuttles aktiviert und bewegte ihre Hände nun so zielsicher durch die holographischen Kontrollen, wie man es sonst nur bei Piloten sah. Gemeinsam mit Harmony zwang Mabel Ron auf den mittleren Passagierplatz, dessen Armlehnen sich sofort um die Handgelenke schlossen, und auch die Kopfstütze bildete einen Ausläufer aus, der sich um Rons Stirn schlang.
„Okay”, sagte die Ärztin, „das ... sieht nach einer Krallenwunde aus, recht gut verheilt, ich erwarte keine Komplikationen.” Sie ließ sich andere Daten anzeigen und tat dann etwas, was wie eine Kurseingabe aussah. „Implantationspfad festgelegt, ich starte.”
Ein weiterer Ausläufer drückte sich von unten gegen Rons Kiefer, die Nadel darin war nicht zu sehen, aber zweifellos vorhanden. Ron wand sich und ächzte, aber er entkam der Nadel nicht - als der Ausläufer ihn wieder losließ, starrte der Implantant nur mehr mit großen Augen ins Leere.
„Vier Stunden, dann Reimplantation ohne Motivationsimperativ”, sagte Louise, „Und dann können wir endlich heim.”
„Zunächst ist die Friedenskonferenz”, sagte Harmony, „Ich muss also wieder los, bin in spätestens vier Stunden wieder da.” Sie trat zur Pilotin und lächelte. „Deram, dich möchte ich gerne dabeihaben.”

* * *

Der von Jonathan Doors ausgesuchte Ort für die Friedenskonferenz befand sich im obersten Stockwerk des Firmenhauptsitzes von Doors International in New York, Harmony hatte zwei Vertreter für jede Seite empfohlen und kurzerhand Präsident Thompson eingeladen, Doors zu unterstützen. Deram unterstützte den Jaridian, der auf dem Mutterschiff in Stasis gewesen war (genetisch betrachtet war er Harmonys Großvater, aber das erwähnte sie nicht), er hieß Kodriak, Licau unterstützte Gren - und Harmony unterstützte Ha'gel.
Zwei Taelons waren ebenfalls anwesend: Qo'on und Da'an.
Harmony hatte mehrere Energiekapseln gebracht, sowohl welche mit Kimeraenergie als auch welche mit Grundenergie, sie lagen in der Mitte des Tisches neben der Schale Chilis und der Schale Mandarinen. Deram naschte bereits von den Chilis, auch Licau kaute beiläufig auf einer herum, was Doors und Thompson verdutzte Blicke entlockte. Harmony schälte unterdessen eine Mandarine.
Die simplen Fakten lagen auf dem Tisch: Jaridians brauchten Grundenergie zur Behandlung des Fiebers, Taelons und Atavus konnten sich von Kimeraenergie ernähren, und Ha'gel war (dank Licaus Erinnerungen an das andere Universum) bereit, diese zu stellen. Das Atavus-Gemeinwesen war zerbrochen, alle Positionen der Atavuskammern bekannt.
Während Ha'gel und Qo'on tatsächlich für ihre gesamte Spezies entscheiden konnten, galt das für die anderen nicht - aber Gren schwor in geradezu shakespeareschen Worten, den Frieden gegenüber dem König durchzusetzen. Kodriak erklärte, dass er dem Jaridian-Oberkommando den Frieden empfehlen würde - und Harmony wusste, dass Vorjak nicht grundsätzlich abgeneigt war.
Blieb die Menschheit. All die sinnlosen politischen Streitereien zwischen Nationalstaaten, ganz zu schweigen von dem Hass, der den Taelons (zurecht) entgegen schlagen würde, sobald bekannt wäre, was sie angerichtet hatten.
Aber der Friede war möglich, Harmony wusste es aus Erfahrung. Thompson sagte zu, sein Möglichstes zu tun, und erklärte, dass dem Frieden wohl allgemein zugestimmt würde, sobald bekannt war, dass Doors zustimmte. Vermutlich hatte er Recht.
Harmony blickte in die Runde und lächelte - fünf Spezies an einem Tisch. Das nannte sie Erfolg.

 

Ende Kapitel 9

 

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