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  „Licht” von Veria,   Oktober 2018
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Die Rettung der Dimensionsreisenden wird vorbereitet, zugleich wird ein altes Geheimnis aufgetaut.
Zeitpunkt:  gleichzeitig
Charaktere: Mabel, Carson, Dr. Novakovich, Dr. Arias, Trammel, Monahan, [Street, Zorita, Augur, Cress, Ron, (Kural, Farrell, William, Kaylee, Thomas, Alice, Marcus)]
 
 

 

LICHT

Kapitel 8: Energie II

 

Es blitzte vor Mabels Augen und sie spürte ihren Rücken auf der Straße aufschlagen, links hörte sie einen dumpfen Aufprall und ein Ächzen - Ron. Von rechts erklang ein mehrstimmiges Shab'ra-Donnerwetter - Zorita und Damien. Danach endlich konnte Mabel hinter den Blitznachbildern wieder sehen.
Wie erwartet war Harmony weg, aber nicht nur sie. Lou, Corinna und Jay waren weg! Liam war weg, Licau war weg, Dominic war weg - und von den Streets war auch nur noch eine da, sie rappelte sich gerade auf und kickte dann wütend einen Kieselstein durch die Gegend. Sheriff Kaylee, von selbigem Kieselstein getroffen, kauerte sich für einen Moment zusammen, bevor sie leise knurrend aufstand. Farrell hing ohne Fassade in den Armen seiner Mutter, die sich verwirrt umsah.
Vince saß auf dem Boden und starrte mit großen Augen auf den Platz neben sich. „Louise ... ?”

Mabel sagte nichts, aber sie fühlte es. Jay. Ihr Sohn war weg.

Street steckte zwei Finger in den Mund und pfiff kurz. „Leute, einmal allgemeine Beruhigung: Ich habe gesehen, was passiert ist.”
„Und was ist verdammt nochmal passiert?”, fauchte Zorita.
„Die Melone hat das Portal gestört und die dimensionalen Entladungen haben die Beteiligten in der Interdimension verstreut - zum Glück haben wir Harmony, die die Leute mitgezogen und wieder zusammengesetzt hat. Es geht allen gut, sie sind nur nicht hier.”
„Dann sind sie ja gleich wieder zurück - Harmony stellt das Portal auf und schickt den Rest durch.”
„Nicht direkt, es hat den Vektor gestört. Die andere Street muss erst einen neuen Rückkehrvortex berechnen, aber lange wird das auch nicht dauern, sie hat ja die Melone, aus der sie alle nötigen Daten auslesen kann.”

„Mabel”, flüsterte Ron.
„Ja?”
„Ruf Kural an. Ich glaube, mein CVI gibt den Geist auf.”
„Mache ich, entspann dich”, sagte Mabel, während sie ihr Global zückte und aufschnappen ließ. Sie wählte den Arzt aus der Liste aus.
„Ja?”, meldete sich Kural.
„CVI, schnell, wir sind beim Portal!”
„Ich eile”, bestätigte der Jaridian und wich dem schwarzen Bildschirm.

Zorita trat näher. „So ein Mist”, sagte sie, „Ich würde ja helfen, aber ich glaube, Grundenergie wäre kontraproduktiv ...”
Mabel seufzte leise, rutschte auf den Knien zu ihrem Mann und zog ihn in ihre Arme. Ein roter Tropfen landete auf ihrer weißen Hose. „Du blutest aus den Ohren!”
Wundert mich nicht ...”, gab Ron leise zurück.
Glück im Unglück stand das Portal ganz in der Nähe der Arztpraxis, aus der Kural und Deram mit einem Arztkoffer und einer Trage herausgelaufen kamen, kaum später kam auch noch der Atavus-Genetiker Cress mit einem portablen ID-Tomographen herbei.
Der Tomograph wurde nicht gebraucht, Kural entschied bereits nach einer knappen äußerlichen Untersuchung, dass die Explantation nicht warten konnte. Die beiden Jaridians wetzten mit dem Patienten auf der Trage zurück in die Praxis, Mabel trug den Arztkoffer und Cress trottete mit dem Tomographen auf den Armen hinter ihr her.

Als Mabel ankam, lag ihr Mann schon fixiert auf der Liege und eine Nadel bohrte sich von unten am Kieferknochen vorbei in seinen Kopf. Sie kannte die Prozedur, Ron hatte sie bereits oft genug hinter sich - und doch blieb die nagende Angst, dass etwas schiefgehen konnte.
Natürlich, die Implantationen waren in den letzten dreißig Jahren um ein Vielfaches sicherer geworden, aber der ursprüngliche Zweck stand noch immer im Raum.
Kural beugte sich über Ron und lächelte breit. „Geht wieder, oder?”
„Viel besser, ja”, bestätigte dieser.
„Gut. Das ist jetzt eines von den neuen Anti-CVIs, die haben sich schon so gut bewährt, dass ich sie auch bei einem Spezialfall wie dir zu verwenden wage. Vier Stunden.”
„Nicht schlecht.” Ron nestelte am Kopfgurt. „Mabel, bist du da?”
Sie trat näher. „Das bedeutet wohl, dass du dich noch an mich erinnerst. Erleichternd.”
„Ich konnte dich zwar vergessen”, gab er zurück, „aber doch nicht dauerhaft!” Er hatte, mit Kurals Hilfe, endlich den Gurt geöffnet und setzte sich jetzt auf. „Wir könnten uns jetzt ein bisschen in die Kochmütze setzen.”
„Einspruch”, kam von Kural, „Du bleibst genau hier liegen, mitten im Erfassungsbereich des Medscanners. Und du wirst eine Runde schlafen, weil das die Komplikationswahrscheinlichkeit drastisch verringert.”
Das war ein Argument. Während der Arzt die Spritze mit dem Schlafmittel aufzog, gab Mabel ihrem Mann einen (wenn auch morgentlichen) Gutenachtkuss.
Und dann ging sie. Mit Sicherheit war sie nicht die einzige, die den interdimensionalen Unfall nicht einfach Harmony und den mit ihr in ein anderes Universum geratenen überlassen wollte. Vielleicht war die Melone ja beschädigt - dann wären sie gestrandet!

In der Kochmütze, gleich links beim Eingang, traf Mabel die Unfallzeugen und etliche weitere Personen an - Augur, Will und auch Lili.
„Wie geht es ihm?”, fragte Farrell sofort.
„Schläft, das Anti-CVI ist drin”, sagte Mabel, „Und was habt ihr?”
Street hob eine Bernsteinkugel von der Sitzbank auf den Tisch. „Ich hab die zweite geholt und den neuen Kontakt angeguckt. Zeitverschoben, ungefähr dreißig Jahre in der Vergangenheit, und die Aufspaltung ist knapp davor.” Sie strich mit einem Finger in einer verschlungenen Form über die Kugel und seufzte. „Der Kontakt hat multiversale ... Wellen verursacht und kann mit entsprechenden Geräten auch von anderen Universen aus angemessen werden. Und wahrscheinlich kann genau Nahema das, womit Harmony zwei von denen am Hals hat.”
„Oder eine, die schon meine Nummer durchgezogen hat”, warf Mabel ein.
„Ja, oder das.” Street legte die Kugel wieder neben sich. „Es tut mir echt leid, ich hätte voraussehen müssen, dass die Melone zu nah am Portal ist. Das ist mein Mist, und das sogar doppelt, weil die andere denselben Mist gebaut hat.”

„Street, was, wenn die andere Melone den Geist aufgegeben hat?”, fragte Mabel kühl, „Was können wir tun?”

„Das hatten wir schon, du warst noch weg”, sagte Augur, „Wir könnten jemanden nachschicken, aber nicht per Portal - wir haben keine zweite Harmony, die das Ziel von unterwegs aussuchen kann.”
Street nickte. „Liams Rückkehr aus Mabels Universum ...”
„Maiyas”, korrigierte Mabel.
„... ging ja ganz problemlos, und das ohne Steuerhilfe durch eine Melone. Und Augur hat natürlich die Daten von damals noch, und die ganz ähnlichen Daten, die Harmony zusammengebaut hat, um das dieses Jahr zu wiederholen, auch.” Die Mathematikerin warf ihrem Mann einen Blick zu.
Dieser nickte. „Die Daten sind leider nicht direkt kompatibel, weil wir an anderen Variablen gedreht haben, als die Melone und das Portal es jetzt tun, also muss ich den Vektor erst noch umrechnen.” Er hob einen Finger und grinste zuversichtlich. „Aber gebt mir ein paar Stunden und ihr habt euren multiversalen Weg.”

Mabel runzelte die Stirn. „Street”, sagte sie, „kannst du feststellen, wann sich Maiyas Universum von unserem getrennt hat?”
Street hob die Kugel wieder von der Sitzbank auf den Tisch und strich mit zwei Fingern darüber, dann starrte sie darüber durch die Luft - durch ein für normale Leute unsichtbares Diagramm. „Ich kann es im Labor genauer auslesen, aber es sind wohl in etwa sechstausend Jahre.”
„Aber es ist nur ... weiter weg, und nicht ein Universum, das zu unserem in komplett anderer Relation steht als das, in dem Harmony jetzt ist. Richtig?”
„Ja, richtig. Komplett andere Relation würde bedeuten, dass es ... ich weiß nicht, durch einen anderen Urknall entstanden ist oder so. Ob wir da überhaupt hinkämen ist mehr als fraglich - und wenn doch, wäre es höchstwahrscheinlich unmittelbar tödlich.”

Will räusperte sich. „Ich habe noch ein anderes Thema. Gestern Abend habe ich mit der anderen Street und Mitch Unterlagen von der Regierung durchsucht.”
„Wonach?”, fragte Kaylee.
„Nach dem Raumschiff, das vor 60 Jahren aus einem anderen Universum kam. Die andere Street wusste, wo wir suchen mussten, und Mitch hatte die nötigen Zugangsberechtigungen - es steckt offenbar eine Teilgruppe von Dark Knight dahinter.”
„Aha?”
„Ja. Mitch ist gerade dabei, ihnen gründlich den Kopf zu waschen. Und dann sollten wir die drei Besatzungsmitglieder so bald wie möglich und unter ärztlicher Überwachung aufwecken, sofern sie noch leben - laut der anderen Street sind sie in ihrem Universum gestorben, und hier sind sie schon deutlich länger in den beschädigten Stasiskapseln drin.”
„Heute”, stellte Kaylee fest.
Er nickte. „Heute Vormittag noch, das ist der Plan. Ich werde nicht dabei sein, als Implantant, auch Aliens sollten besser erst mal wegbleiben. Also ... Mabel?”
Die Latina blinzelte verdutzt. „Sollten das nicht Mitch oder General Wood erledigen? Die Besatzung ist doch vermutlich vom Militär, oder?”
„Carson wird wohl dabei sein, aber Mitch meint, dass jemand von Clearwater nötig ist. Eigentlich dachte Mitch dabei an Liam, aber der ist erstens Alien und zweitens ...”

Ein kollektives Seufzen ging um den Tisch.

„Also gut, ich bin dabei”, sagte Mabel, „Wo?”
„Fair Creek Base. Major Blanchet wird dich rüber fliegen.”

* * *

Geschickt und ohne Ruckeln setzte Marcus Blanchet das Shuttle auf der Markierung des Landeplatzes der Militärbasis Fair Creek auf. Einige Meter entfernt warteten zwei Soldaten mit Regenschirmen zum Schutz vor den fast waagerecht heranstürmenden Regentropfen. Der Name Fair Creek war irreführend und Mabel beschloss für sich, die Basis in Storm Creek umzubenennen. Warum hatten Mitch oder Carson oder wer auch immer das entschieden hatte unbedingt eine Basis mitten in einem Sturmtief auswählen müssen? Es gab doch so viele Militärbasen, da hätte sich doch auch eine in strahlendem Sonnenschein finden müssen.
Aber jetzt waren die Stasiskapseln hier und Mabel hatte immerhin selbst einen Schirm dabei, also spannte sie ihn auf und richtete ihn nach rechts - dann deaktivierte ihr Pilot das virtuelle Glas, wurde mangels eigenem Schirm in wenigen Momenten bis auf die Knochen (oder bis auf die Energiebahnen? Marcus Blanchet war ja ein Taelonhybrid.) nass, und aktivierte das Energiefeld wieder, sowie Mabel auf dem Boden des Flugfeldes stand.
„Willkommen in Fair Creek, Ma'am”, grüßte der dunkelhäutigere der beiden Soldaten, beide salutierten zackig, „Folgen Sie uns bitte, der General erwartet Sie.” Sie hielten ihre Schirme sorgfältig genau dem Regen entgegen, während sie voran marschierten - in einem Gebäude angekommen überreichten sie dann ihre Schirme an einen Wachsoldaten.
Mabel drückte diesem kurzerhand auch ihren Schirm in die Hände, dann folgte sie den beiden anderen Soldaten in einen Aufzug und im neunten Untergeschoss die militärisch engen Korridore entlang bis in eine Krankenstation - Carson, mit reichlich militärischem Lametta behängt, und ein Arzt wandten sich zu ihnen um.
„General, Sir, Mrs. Martínez ist angekommen”, meldete der dunkelhäutige Soldat.
„Danke Sergeants, wegtreten.” Die Soldaten salutierten und verließen die Krankenstation. „Danke, dass Sie so schnell kommen konnten, Mrs. Martínez.” Mabel neigte den Kopf. „Das ist Dr. Chad Novakovich.”
„Sehr erfreut”, sagte sie.
„Sehr erfreut”, sagte der Arzt.
„Also dann, an die Arbeit”, beschloss Carson, „Doc, bitte beginnen Sie.”
Chad schlüpfte hinter einen Vorhang, Mabel und Carson folgten ihm. Drei Stasiskapseln waren dahinter, der Arzt beugte sich über die erste und sah durch den durchsichtigen fast halbkugeligen oberen Teil. Eine Schwester und ein Pfleger schoben unterdessen ein Krankenbett direkt daneben und hängten vorbereitete Infusionen auf.
„Bereit?”
Die Schwester nickte. „Bereit.”
Chad löste den Öffnungsmechanismus der Kapsel aus und legte dem Mann darin sofort eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht. „Bitte versuchen Sie, entspannt zu bleiben, Sir”, sagte er, „Wie fühlen Sie sich? Ist ihnen schwindelig oder übel?”
Die Schwester aktivierte den Medscanner direkt über der Kapsel und griff dann nach einem Arm, um einen Venenzugang zu legen, der Pfleger kam von der anderen Seite und nahm etwas Blut ab.
Der Mann in der Kapsel sagte etwas, aber es war nicht zu verstehen.
„Das weiß ich noch nicht, Sir”, sagte Chad, „Ihre Kapsel ist die erste, die wir öffnen. Keine der Kapseln ist ganz ausgefallen, aber ob die Insassen noch in reanimierbarem Zustand sind, kann ich leider noch nicht sagen.” Pause, der Patient sagte wieder etwas. „Leider kann ich Ihnen da auch keine Garantie geben, aber kämpfen Sie, ja?”
Die Schwester stupste den Arzt an und wies auf einen vom Medscanner gemessenen Wert.
„Okay, Glucose bitte, und eine Ladung grün.” - Kimeraenergie also. Die Schwester hängte eine Infusion an und spannte eine Energiekapsel ein. Der Arzt beobachtete die Anzeige des Medscanners einige Sekunden lang, dann entspannte er sich. „Sieht so aus, als würden Sie es überstehen, Sir. Meinen Glückwunsch und willkommen zurück unter den Lebenden. Schwester, bitte auf die Liege.”
Zu zweit hoben sie den Patienten aus der Stasiskapsel und auf die vorbereitete Liege.
Wie ... lange?”
Chad wandte sich zu Mabel und Carson um, die beiden traten näher. „Sie waren gut sechzig Jahre in Stasis”, sagte die Latina.
Ein schwaches Lächeln fand sich unter der Sauerstoffmaske ein, die Augen fielen zu - aber der Arzt war vom Blick auf die Anzeige des Scanners kein bisschen alarmiert, also war der Patient wohl nur eingeschlafen.

„Wie geht es ihm, Doc?”, fragte Carson.
Chad überflog noch einmal kurz die Anzeigen. „Er ist dehydriert und geschwächt, aber ich denke, er ist schnell wieder auf dem Damm. Ohne die Energie wäre es kritisch im Hinblick auf die Herzschwäche, aber so mache ich mir da keine Sorgen. Und wenn die anderen nicht in deutlich schlechterem Zustand sind, schaffen die es auch.”
„Wie lange schläft er?”, ergriff Mabel das Wort.
„Von selbst vermutlich acht Stunden - aber ich denke, wenn die Kimeraenergie in ein paar Minuten ihre Wirkung entfaltet hat, können wir ihn schon gefahrlos aufwecken.”
Sie nickte knapp. „Gut, dann tun wir genau das. Ich schlage vor, Sie behandeln jetzt die beiden anderen. Oder was meinen Sie, Carson?”
„Einverstanden. Doc, tun Sie, was sie sagt.”
„Ja, Sir.” Chad ging zum Telefon, hob ab und wählte kurz, dann sagte er: „Miguel, würden Sie einen Patienten zur Überwachung übernehmen?” Pause. „Gut, danke.” Er legte auf und erklärte. „Dr. Arias ist gleich da.”

Dr. Miguel Arias? Der kleine Miguel war Militärarzt geworden?

Es dauerte kaum eine Minute, bis der junge Mann ankam und im ersten Moment erstaunt Mabel musterte. Dann fasste er sich und salutierte vor dem General.
„Miguel”, sagte Mabel lächelnd, „Sie sind Arzt geworden?”
„Wie man sieht. Wie geht es Ihnen?”
„Das Übliche. Probleme hier, Probleme da. Wie es in Clearwater eben so ist.”
Er löste die Bremse der Liege mit dem Patienten und zog das Gefährt hinter sich her. „Die große Aufdeckung war sehr beeindruckend”, sagte er dann, „Sie sind sicher sehr froh, dass Ihr Mann aus dem Gefängnis ist.”
„Ja. Naja, jetzt wird gerade noch sein CVI ausgetauscht.”
Miguel stockte und runzelte die Stirn. „Seines ist nicht fällig.”
„Nein, es gab einen Unfall in Clearwater, der sein CVI abgeschossen hat. Glücklicherweise direkt vor Kurals Praxis.”
„Glücklicherweise”, wiederholte er, „Ja, das ist wirklich sehr viel Glück.” Er zog wieder an der Liege und bugsierte sie durch eine Tür.
„Ich wünschte, jeder hätte so viel Glück.”

Er sah auf, sein trauriger Blick traf Mabels. „Ja, ich auch.”

Sie folgte ihm in den Nebenraum, Carson hinter ihr schloss die Tür. „So traurig das Thema ist, und ich fühle mit”, sagte der General, „wir haben hier einen Mann, mit dem wir so schnell wie möglich reden wollen. Dr. Arias, wann können wir ihn wecken?”
Der Arzt schob die Liege unter einen weiteren Medscanner und schaltete diesen ein, dann überflog er kurz die Anzeigen. „Ein paar Minuten, General. Jetzt ist es noch zu früh, die Energie hat sich noch nicht gleichmäßig verteilt.”
„Das dauert nicht lange”, sagte Mabel, „das habe ich oft genug erlebt.” Sie trat näher und sah selbst auf die Anzeige - sie erkannte die Daten der Energieverteilung und konnte auch die Änderungen auswerten. Miguels Schätzung war hoch gegriffen, gerade bei einem noch so rasenden Puls, wenngleich verlangsamend, verteilte sich die Energie sehr sehr gut.
Nach vier Minuten beschloss der Arzt, dass es kein Problem mehr war, den Patienten zu wecken, und tat es.
Kurz blinzelte der Mann, dann orientierte er sich - sein Blick fiel auf Carson, worauf er etwas fahrig salutierte. „Captain Stuart Trammel, Sir, EAS Space Force. Seriennummer IODC 170 309.”
„General Carson Wood, US Marine Corps”, sagte Carson, „Dr. Miguel Arias, und das ist Isabel Martínez, zivile Spezialistin der planetaren Verteidigung.”
Trammel nickte Mabel freundlich zu. „Ma'am.” Dann fragte er: „Habe ich richtig verstanden ... sechzig Jahre? Haben wir die Taelons besiegt? Haben wir Jaridia erreicht, haben die Jaridians uns zurückgebracht?”
„Sie waren sechzig Jahre in Stasis”, bestätigte Mabel, „Das heißt allerdings nicht, dass sie hier vor sechzig Jahren gestartet sind. Sie stammen aus einem anderen Universum und sind auch zeitverschoben, und ...”
„Zeitverschoben? Welches Jahr ist hier?”
„2041”, sagte sie, „Wir wissen nicht, was in Ihrem Universum in den letzten sechzig Jahren passiert ist.” Sie rollte einen Hocker an die Liege und setzte sich. „Wir wissen nicht, ob Ihre Heimat zerstört wurde oder sich gegen die Taelons behaupten konnte.”
„Und ... die Jaridians?”
„Ich vermute, Ihr Antrieb hat Sie anstatt nach Jaridia hierher gebracht.” Mabel atmete tief durch. „Captain, was ist passiert, bevor Sie gestartet sind?”, fragte sie, „Warum sind Sie gestartet?”
„Die Taelons sind zurückgekommen, sie haben die Yamkra-Union bombardiert, das Schiff zerstört ... wir hatten nichts mehr gegen sie aufzubringen, wir wollten Hilfe holen ...” Er seufzte. „Die anderen waren genauso machtlos wie wir ... die Jaridians waren die einzige Hoffnung.”
„Die anderen?”
„Die ... anderen eben, die Erwachten ...” Er sah sie verwirrt an.
„Die ... Erwachten”, wiederholte sie, „Atavus.”
„Ja, ja genau, die Atavus. Sie konnten auch nichts tun.”
Mabel atmete tief durch. „Captain, die Atavus sind auch hier erwacht”, sagte sie, „aber ich habe den Eindruck, dass es in Ihrem Universum anders ablief - es sind Verbündete?”
Er runzelte die Stirn und richtete sich etwas auf. „Sie sind vor über fünfhundert Jahren erwacht! Es gab Probleme, viele Probleme, aber allgemein haben sich Atavus und Menschen zusammengerauft, spätestens, als wir gegen die Taelons keine andere Wahl mehr hatten.”
„Die Taelons wurden vertrieben.”
„Ja. Der königliche Stamm hat das Schiff in Yamkra gestartet und das Taelon-Mutterschiff schwer beschädigt.”
„Yamkra?”, fragte Carson.
Mabel wandte sich zum General. „Sibirien.”
Er verschränkte die Arme. „Sibirien, hm. Und die Taelons kamen zurück? Wann?”
Trammel musterte ihn. „Fast achtzig Jahre später. Und sie sind mehr, viel mehr. Damals war es wohl nur eine Vorhut.” Er setzte sich ganz auf. „Sie haben die Taelons besiegt! Das müsste dreißig Jahre her sein - Sie haben also noch Zeit, sich auf den nächsten Angriff vorzu...”
„Nein, nein, es ist hier anders.” Mabel griff nach seiner Hand. „Die Taelons wurden ... ja, besiegt ist ein nicht ganz falsches Wort dafür. Sie sind geblieben und die Jaridians sind auch hier.”
„Was?” Er zog die Hand energisch zurück und sah die Latina misstrauisch an.
„Tja, wo fange ich da am besten an ...” Am besten doch wohl bei Liam - aber wusste Trammel überhaupt, was ein Kimera war? „Fangen wir am besten vor zehn Millionen Jahren an. Die Kimera brausten durchs All, Taelons, Jaridians, Atavus und natürlich auch die Menschheit gab es noch nicht.”
„Kimera ... der gemeinsame Vorfahre.”
„Richtig. Sie wissen um die Verwandtschaftsverhältnisse?”
„Sie mischten sich mit einer körperlichen Spezies, später kam es zu einer Aufspaltung in drei Spezies - Taelons, Jaridians und Atavus.”
„In etwa, ja. Die Kimera verschwanden nicht damals schon, sondern wurden erst später von den Taelons ausgelöscht - oder genauer gesagt fast ausgelöscht. Ein Kimera blieb übrig.”
Trammel sprang fast von der Liege. „Und er ist hier?”
„Er war hier. Und er hat teilmenschliche Nachfahren.” Mabel schmunzelte. „Ha'gels Sohn hat die Synode zur Kapitulation und zum Frieden mit den Jaridians gezwungen - und das vor fast dreißig Jahren.”
Das Telefon klingelte, Miguel hob ab und ließ den Hörer dann sofort fallen, während er eiligst aus dem Raum wetzte und die Tür hinter sich zuknallte. Für einen Moment war durch die offene Tür der durchgehende EKG-Pieps eines Herzstillstandes zu hören.
Auf Trammels Gesicht fand sich Besorgnis. „Meine Crew?”
„Das steht zu befürchten”, gab der General zu, „aber noch ist die Schlacht nicht geschlagen. Dr. Novakovich und Dr. Arias sind sehr fähig.”
„Ja, das ist mir aufgefallen - ich fühle mich sehr viel besser. Wie lange habe ich geschlafen?”
„Vier Minuten.”

Vier Minuten? Was für eine Zaubermedizin ist das?”

Mabel grinste schief und zwinkerte amüsiert. „Kimeraenergie.”

Er sah sie mit großen Augen an. „Energietherapie?”
Die Latina zupfte die inzwischen leere Kapsel aus der Halterung unterhalb des Infusionsbeutels und zeigte sie ihm. „Ja, sie hat wahrscheinlich Ihr Leben gerettet.”
„Ich glaube es Ihnen. Damals, als die Taelons das erste Mal kamen, haben sie auch Energietherapie geboten - bei Menschen hat sie sehr gut funktioniert.”
Mabel nickte. „Bei Atavus nicht, ich weiß. Taelonenergie ist für Atavus giftig. Aber Kimeraenergie ist auch für Atavus verwendbar - heilt sogar eine Grundenergievergiftung.” Sie straffte sich. „Sie sollten sich ausruhen, Captain Trammel”, sagte sie, „Die Kimeraenergie heilt, aber sie kann sich nicht für Sie ausruhen. Schlafen Sie eine Runde, derweil treibe ich Ihnen eine historische Enzyklopädie auf - immerhin unterscheiden sich unsere Universen seit mindestens 500 Jahren.”

Der Captain nahm den Vorschlag an, Mabel und Carson machten sich auf den Weg - es war ja noch ein Pfleger da, um sich um Trammel zu kümmern. Die Militärbasis Fair Creek (für Mabel nach wie vor Storm Creek) hatte selbstverständlich eine kleine Bibliothek, in der sich auch die mehrbändige historische Enzyklopädie fand.
Nun stand Mabel aber vor dem Regal und war recht ratlos. Die Frühgeschichte und das Altertum waren in je einem Band abgehandelt, danach gab sechzehn Bände, die jeweils ein Jahrhundert umspannten - und dann folgten Bände für je zehn Jahre. Um die Bände für die letzten fünf Jahrhunderte zu lesen bräuchte Trammel doch mehrere Monate!
Und was machte Carson gerade?
Nach einigen Minuten war das klar: Er hatte Lehrbücher geholt - Geschichte in anfängertauglicher Kurzfassung.
Mabel holte doch noch auch die historische Enzyklopädie für die Jahre 2011 bis 2020 aus dem Regal - da hatte immerhin der Kimera die Taelons zum Frieden gezwungen.

Carsons Global piepste, er zog es vom Gürtel und ließ es aufschnappen. „Ja?”
„Die Patientin ist stabilisiert, Sir”, meldete Dr. Novakovich, „allerdings ist sie nicht rein menschlich, ich möchte einen Spezialisten aus Clearwater kommen lassen.”
„Kein Problem, Dr. Kural hat oberste Freigabe.”
„Ihn meine ich nicht, Sir - sie ist teilweise Atavus.”
Mabel ergriff das Wort: „Ich schlage vor, Cress soll herkommen, und Alice und Thomas sollen ihn begleiten.”
Carson nickte. „Würden Sie das bitte veranlassen, Mrs. Martínez?”
„Natürlich.” Auch sie zückte ihr Global und rief Kaylee an, Carson unterdessen steckte seines wieder weg. „Kaylee, ich habe eine Bitte”, sagte Mabel sofort, als sie die schwarze Polizistin auf dem Bildschirm hatte, „Alice und Thomas sollen Cress nach Fair Creek begleiten - wir brauchen hier jemanden, der sich mit Atavus-Biologie auskennt.”
„Wie du meinst, Mabel - aber der Kerl hat nicht nur einmal betont, dass er Genetiker ist.”
„Schon, aber Liam will Draanim keinesfalls in militärischen Anlagen haben - bleibt Cress.”
Kaylee neigte kurz den Kopf hin und her, dann sagte sie: „Gut, ich schicke ihn euch.”

Als Mabel ihr Global weggesteckt hatte räusperte sich Carson und fragte: „Cress ist der, dessen Gestalt er hatte, ja?”
„Ist er. Liam hatte Zugang zu seinen Erinnerungen und kann ihn seitdem ziemlich gut einschätzen.”
„Das wollte ich wissen, danke.”

Carson informierte dann noch die Wachsoldaten, dann begaben er und Mabel sich mit den Büchern zurück in die Krankenstation. Trammel schlief tief und fest, der Pfleger bei ihm zeigte kurz den erhobenen Daumen. Ohne die Bücher gingen Mabel und Carson dann in den Nebenraum.
Die Patientin wurde beatmet und bekam gleich mehrere Infusionen und zwei Kapseln Kimeraenergie gleichzeitig, am Boden um die Liege verstreut waren leere Ampullen und weitere, leere, Energiekapseln, und der Defibrillator war auch nicht gerade ordentlich verstaut. Zwei Ärzte, ein Pfleger und eine Schwester tranken Kaffee.
„Ich sehe, es war nicht leicht”, stellte Carson fest.
„War es nicht, General”, sagte Novakovich matt, „Die Stasiskapsel hat mitten in der Wecksequenz eine Notabschaltung hingelegt, das hätte unsere Patientin um ein Haar umgebracht.”
„Aber Sie haben es geschafft”, sagte Mabel, „Ich nehme an, den dritten lassen wir noch in Stasis?”
„Ja, das ist sicherer. Hoffentlich finden wir heraus, warum die Kapsel notabgeschaltet hat, und können es bei der dritten, falls es dort auftritt, verhindern.”

Mabel nickte und trat an die Liege der Patientin heran. „Woran ist zu erkennen, dass sie teilweise Atavus ist?”
Miguel stellte seinen Kaffeebecher ab und kam zu ihr, dann stellte er den Medscanner auf Komplettscan und vergrößerte den Brustkorb. „Hier, dieses Organ”, sagte er und zeigte auf ein dreieckiges Gebilde oberhalb des Herzens, „kontrolliert bei Atavus den Energiefluss. Es ist bei ihr vergleichsweise klein, aber eben da.”
„Wie machen das Jaridians?”
„Bei Jaridians macht das ein Teil des Gehirns.”
Mabel runzelte die Stirn. „Was ist mit unechten Atavushybriden? Sie haben einen Energiefluss, aber doch sicher nicht dieses Organ, oder?”
Er runzelte die Stirn. „Sie haben das Organ definitiv nicht, aber ich weiß leider nicht, wie sie es machen.” Er stellte den Medscanner wieder um. „Vermutlich weiß das dieser Cress. Ich hoffe, er ist bald da.”

Tatsächlich hoffte das auch Mabel. Der Atavus-Genetiker hatte sich als recht gut integrierbar entpuppt, trotz der Umstände, die ihn in einen Kokon gebracht hatten - einer direkten Attacke auf den Kimera.
Es dauerte nur knapp eine Viertelstunde, bis die beiden Wachsoldaten den Atavus und dessen grundenergietragende Begleiter Alice und Thomas in die Krankenstation brachten und vor General Wood salutierten. Carson bedankte sich und ließ sie wegtreten, dann begrüßte er die drei Gäste.
„Weswegen wurde ich hierher verlangt?”, fragte Cress, ohne auf Höflichkeiten einzugehen.
Miguel trat zu ihm und reichte ihm die Hand zum Gruß, was vom Atavus mit einiger Verwunderung und einem Händedruck zur Kenntnis genommen wurde. „Die Patientin ist nicht rein menschlich”, sagte der Arzt, „Wir hoffen, dass Sie uns helfen können, sie zu behandeln.”
Cress musterte die Patientin und die Stasiskapseln. „Woher sind die?”, fragte er, „Das sind Atavus-Stasiskapseln!” Er trat näher und strich über die Beschriftung einer Kapsel. „Aber das ist auf Englisch ...”
„Sie sind aus einem anderen Universum”, erklärte Mabel, „Zeitverschoben aus der Zukunft.”
„Die Kapsel hat mitten in der Wecksequenz notabgeschaltet”, sagte Miguel, „Bitte sehen Sie, ob Sie helfen können.”
Cress sah ihn einen Moment lang durchdringend an, dann schaltete er den Medscanner um und ging die Anzeigen durch. „Sie stammt von einem Atavus”, bestätigte er dann, „vor zwei oder drei Generationen.” Er griff nach ihrer Hand und legte sie gegen seine Brust, er schloss seine Augen und biss die Zähne zusammen, als sich vier Krallen in seinen Körper bohrten.
Nach einigen Momenten riss er sich los und taumelte gegen die Wand, er streckte seine Hand nach einer Kapsel Kimeraenergie - Mabel eilte, sie ihm zu geben, und er nahm die Energie darin sofort auf.
„Eine Instinktreaktion”, sagte er, „und die beste Heilung.”

Das bestätigte sich, die Patientin erwachte soeben. Miguel extubierte schnell und half ihr dann in sitzende Position. Ihr Blick fiel auf Cress und dessen heilende Brustwunde, dann auf ihre krallentragende Hand - sofort ließ sie die Krallen verschwinden und senkte verlegen den Kopf.
„Wie fühlen Sie sich?”, fragte Chad, „Ist Ihnen übel oder schwindelig?”
„Nein, ich fühle mich gut, danke.” Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. „Der Captain?”
„Schläft nebenan. Das dritte Crewmitglied ist noch in Stasis.”
Sie blinzelte und sah sich um - als sie Carson sah, salutierte sie zackig. „Commander Sheila Monahan, EAS Space Force. Seriennummer IODC 189 442. Sir!”

Sehr militärisch - wieder stellte Carson sämtliche Anwesenden vor, dann schlug er vor, Sheila in den Nebenraum zu bringen, was akzeptiert wurde. Während Trammel noch schlief, erhielt seine Untergebene die Lehrbücher und fand schon etliche auf dem Inneneinband abgebildete Personen äußerst fremd - sie kannte weder den Sonnenkönig noch den Kaiser der Franzosen und konnte auch die faschistischen Diktatoren des Zweiten Weltkriegs nicht einordnen.
Mabel erklärte ihr, dass dies ein anderes Universum war, in dem sich die Menschheit alleine entwickelt hatte, bis die Taelons gekommen waren - und erst lange danach waren die Atavus erwacht.
Sheila überflog die Zusammenfassungen am Ende der jeweiligen Lehrkapitel, sehr glücklich war sie über den Inhalt nicht. „Und wir dachten, moderne Kriege gibt es nur zwischen verschiedenen Spezies”, sagte sie schließlich, „So kann man sich irren, Menschen finden auch noch Unterschiede, wenn sie es besser wissen müssten.”
„Gab es seit der Trennung der Universen bei Ihnen keine Kriege?”, fragte Mabel.
„Doch, die frühen Clankriege, den amerikanischen Spaltungskrieg, und den kalten Krieg - wir hatten auch einen, nicht ganz unähnlich, nur andere Parteien. Aber ... Weltkriege ... nein, so etwas hatten wir nie.” Sheila fuhr mit dem Finger über die Seite, die den SI-Krieg beschrieb. „Den da hatten wir”, sagte sie, „Nicht in Asien und mit anderer politischer Begründung, aber wir hatten einen Krieg zur selben Zeit und auch unter Einfluss der Taelons - den Pan-Afrika-Krieg.”
Mabel runzelte die Stirn. „Die Clankriege, worum ging es da?”
„Der erste König post-Stasis konnte seine Macht nicht halten, also haben die Clans gestritten, wer den neuen König stellt.”
Der erste König post-Stasis. „Howlyn”, sagte Mabel.
„Sie wissen ...?” Sheila stockte. „Die Atavus sind erwacht, das ist hier nicht lange her”, verstand sie, „Howlyn ist jetzt da draußen irgendwo.”
„Ja, ist er.”
„Dann muss ich Ihnen mehr erzählen. Er ist in unsere Geschichte als Despot und Massenmörder eingegangen.”
„Ich kenne ihn persönlich, das ist sehr glaubhaft - was ist passiert?”
Sheila legte das Lehrbuch weg. „In der frühen Zeit waren die Atavus für die Menschen ... Dämonen. Sie waren kaum zu töten, Leute wurden besessen, Leute wurden ihrer Lebensenergie beraubt, und dann noch diese ganze Erotik, die Kirche hat nur noch Exorzismus um Exorzismus durchgeführt.”
„Wie in einem schlechten Horrorfilm ...”
„Hm. Howlyn war der Ansicht, dass die menschliche Politik ausradiert gehört und die Menschen in Farmen gezüchtet werden sollen, wie vor der Stasis. Wer ihm da widersprach, lebte typischerweise nicht lange, auch wenn es der Kronprinz war.”
„Yulyn. Hier ist er am Leben.”
„Einer der frühesten Hybriden, Howlyns eigener Bastard, hat den König später getötet - konnte aber nicht die Macht übernehmen, weil Hybrid. Und dann haben sich eben die Clans gestritten.” Sie grinste schief. „Die Farmen waren vom Tisch, die Clans haben sich die Welt aufgeteilt und je nach Gegend war es für die Menschen besser oder schlechter. Mancherorts gab es ein Maximalalter für Menschen, anderswo wurden Kriminelle oder Sklaven hergenommen, oder eben auch nichttödliche Varianten, manchmal freiwillig, manchmal erzwungen.”
„Und inzwischen?”
„Die meisten Staaten sind Rechtsstaaten - leider noch immer nicht alle.”
„Da kann ich nachfühlen”, seufzte Mabel, „Hier ... gibt es auch Rückschläge.”

Einige Momente war es still, dann überlegte Sheila: „Wo sich wohl Cress in den Geschichtsbüchern meines Universums findet? Der Name sagt mir nichts, aber es hat ihn mit Sicherheit auch bei uns gegeben.”
„Nun, er hat die Stasiskapseln programmiert, dass sie Menschen vereinigen können”, sagte Mabel, „Schon vor der Stasis, entsprechend ...” Sie unterbrach sich, als ihr Global piepste. „Sie entschuldigen? - Ja?”
Es war Kaylee. „Mabel, da hat jemand eine Gelegenheit genutzt - Howlyn hat öffentlich gemacht, dass Liam und Harmony in ein anderes Universum geraten sind. Eine Menge Atavus ist sehr nervös, auch wenn Farrell versichert hat, dass sein Energielevel ausreicht, um sie zu versorgen. Er hat halt nicht den Ruf seines unbesiegbaren Vaters.”
„Kommst du mit der Situation klar?”
„Vorerst, ja, aber dass Licau auch weg ist macht es schwieriger, mit den Atavus in ihrem Rudel klarzukommen, und Howlyn macht den Eindruck, als würde er übernehmen wollen.” Die Polizistin grinste. „Andererseits ... Zorita ist sauer auf ihn, er lebt gefährlich.”
Mabel rollte mit den Augen. „Kannst du mir einen Statusbericht von Augur geben? Hat er den Vektor schon umgerechnet?”
„Nein, er ist noch nicht fertig - aber das Shuttle ist bereit und Deram hat schon eine Gruppe bestimmt. Wie lange braucht ihr Cress noch? Als Licaus, äh, Prinzgemahl wäre er hier nämlich sehr hilfreich.”
„Er sieht sich die Stasiskapseln hier an, und dann soll er noch die Ärzte hier bei der Wiederbelebung des letzten Schläfers unterstützen. Das dauert vielleicht noch ein paar Stunden.” Sie straffte sich. „Und, dass ich das mal klar sage: Ich will mit ins andere Universum, mein Sohn ist dort!”
„Mabel, es gibt drüben eine Isabel Martínez, du weißt ...”
„Ich kenne die Mabel-Nummer - sie ist nach mir benannt! Ich kann das Risiko besser einschätzen als jeder andere!”
Einige Sekunden war Kaylee still, dann machte sie nur: „Hm”, und schob ihr Global zu.

„Verstehe ich richtig, dass wir in unser Universum zurückkönnen?”, fragte Sheila.
Mabel wog das Global in ihrer Hand und sagte: „Im Prinzip, ja, aber das ist nicht das Universum, von dem wir gerade geredet haben.” Sie hakte das Global an den Gürtel und atmete tief durch. „Und dazu kommt noch, dass Sie 60 Jahre in Stasis waren - der Zeitabstand in Ihrem Universum ist derselbe.”
„Wir können also nur 60 Jahre nach unserem Aufbruch zurück und sehen nur mehr das Ergebnis der Taeloninvasion.” Sheila zog das Gesicht zu einer sehr unglücklichen Fratze. „Nein, das will ich gar nicht sehen.”

Mabel musterte die Soldatin aus dem anderen Universum und meinte fast, Maiya in ihr zu erkennen - die Heimat von Taelons überrannt und selbst in einem fremden Universum. „Commander Monahan, ich muss Ihnen eine Geschichte erzählen ...”

* * *

Das Shuttle brach durch die Wolkendecke, das Licht der Sonne warf bunte Reflexe auf die Innenwände und die Insassen. Mabel lehnte bequem in ihrem Sessel und tappte mit den Händen auf die Armlehnen. Alice und Thomas nahmen mit aus der Wand gebildeten Plätzen vorlieb, während Cress und Commander Monahan die beiden übrigen Passagierplätze belegten.
Während Sheila gesund und munter war, hatten ihre beiden Kameraden noch einige Stunden bis vielleicht sogar Tage Bettruhe vor sich und Trammel hatte seiner Untergebenen befohlen, sich mit der Welt vertraut zu machen - das ging in Clearwater sehr gut, also kam sie mit.

Marcus brachte das Shuttle nun in die Interdimension, Sheilas Atem setzte für einige Momente aus, während sie mit großen Augen ins Blau hinaus starrte. „Es ist nicht prinzipiell neu für mich”, sagte sie schließlich, „aber dieses große Fenster ... wow.”
Mabel schmunzelte. „Und erst die Portale ... da hat man das Blau in jeder Richtung - jedenfalls wenn man nicht unterwegs in Stasis ist.”
Sheila schüttelte nur knapp den Kopf. „Bei uns ist man es, jedenfalls seit der ersten Taeloninvasion. Das wurde als praktisch erachtet und in unser vorhandenes Portalnetz übernommen - aber das war lange vor meiner Geburt.”
„Hier versetzen einen nur wenige Portale in Stasis - wir haben da schlechte Erfahrungen gemacht, die Taelons haben damals Leute per Portal entführt und implantiert.”
„Auch bei uns”, gab Sheila zurück, „aber das ändert ja an der grundsätzlichen Nützlichkeit der Stasis nichts.”

Da hatte sie natürlich recht.

Marcus hob seine Hände wieder in die Steuerung und brachte das Shuttle in den Normalraum zurück - entgegen der üblichen Vorgehensweise in Clearwater aber nicht in der Höhle, sondern über der Hauptstraße, wo er dann auch sogleich landete.
Ein weiteres Shuttle stand da und Augur saß hektisch in der Steuerung herumfuchtelnd auf dem Pilotenplatz. Mabel stieg aus und trat zu ihm. „Wie sieht es aus?”
„Naja.” Der Hacker nahm seine Hände aus dem Hologramminterface und seufzte. „Also, der Vektor ist umgerechnet, aber die Shuttlesteuerung kann damit nichts anfangen”, sagte er, „Was derzeit ginge, wäre, das Shuttle mit einem Portal in die richtige Richtung zu schubsen, aber dann ist die Rückkehr problematisch - so ein großes Portal müssten schon wir erst bauen, und drüben dauert das sicher länger als ein paar Stunden.”
„Also dauert es noch”, stellte Mabel fest.
„Ich schreibe gerade einen Teil der Steuersoftware neu”, sagte Augur breit grinsend, „und das dauert noch, ja.”
Sie lehnte sich ans Shuttle und legte eine Hand an ihr Kinn. „Warum ging die Rückkehr aus Maiyas Universum ohne neue Steuersoftware? Zweimal!”
„Wir sind einem Pfad gefolgt, Mabel. Und Harmony dann genauso.”
„Hm - aber müsste Harmony nicht jetzt auch einen Pfad erzeugt haben?”
Augur beugte sich über die Pilotenkonsole und sagte: „Aber wir wissen nicht, wo er ist. Harmony hat uns keine exakten Kursdaten hinterlassen wie damals das Shuttle.”
„Oh”, machte Mabel, „klar. Das wusste ich, tut mir leid.”
„Ja, wusstest du. Und jetzt lass mich arbeiten und lauf zu Kural - die Reimplantation ist schon durch.”

Das war natürlich dringender. Mabel sprintete den kurzen Weg zur Praxis und stürmte hinein. Ron saß auf der Liege, ein Messgerät an der Stirn, und schleckte an einer Eistüte. Kural klebte derweil erst einem menschlichen Kind und dann einem Taelonkind ein quietschbuntes Pflaster aufs Knie - auf den Fassadenanzug im Falle des Taelons, aber bunte Pflaster waren im Leben eines Kindes eben sehr wichtig.
„So”, sagte er dann, „das heilt wieder, Clarence, und gib nicht zu sehr damit an, La'at, ja?”
„Ja, Kural”, sagte der kleine Taelon artig.
„Danke”, sagte der kleine Mensch, dann hopsten beide von dannen.
Mabel hob ihre Brauen. „Ich habe La'at verpasst. Wessen Kind ist er?”
„Do'ran und Se'ral sind seine Eltern”, brachte Ron ein, „Sind aber alle drei nur zu Besuch hier, leben eigentlich auf dem Mars.” Er streckte ihr sein Eis hin und sie probierte davon. „Wie lief es mit den Leuten in Stasis?”
„Wie lief es hier?”, gab sie zurück, „Das war viel mehr Sorgen wert. Wie geht es dir?”
„Prächtig. Alles wieder normal da drin.” Er tippte sich gegen die Schläfe. „Und in diesem CVI sind meine Memoiren schon eingebaut.”
„Erleichternd.”
„So, und wie lief es mit den Leuten in Stasis?” Ron beugte sich etwas nach vorne und flüsterte: „Ich erinnere mich da an etwas diesbezüglich - eine ziemlich unangenehme Erinnerung allerdings.”
Mabel griff nach seiner Hand samt Eistüte und schob sie ihm vors Gesicht. „Tröste dich. Und dann erzähl.”
Er schleckte also erst mal ausgiebig die Eiskugel nieder, dann begann er: „Die geheime Truppe, die die Stasiskapseln hatte, brauchte die Stasisprotokolle vom Mutterschiff. Und um sie zu kriegen haben sie den Eisklotz erpresst.”
„Womit?” Mabel setzte sich neben Ron auf die Liege und sah ihn fragend an.
„Dee-Dee - naja, sie gehörte dazu, aber das hat sie natürlich nicht gesagt, sie war nur das arme Opfer. Also hat er versucht, die Stasisprotokolle zu klauen, vergeblich, und einen halben Tag später hat Liam sie geklaut, der Eisklotz hat ihn erwischt, ging aber irgendwie k.o. und ... irgendwie ist er ein paar Stunden später mit den Protokollen auf einer Parkbank aufgewacht.” Er runzelte die Stirn. „Vielleicht sollte ich den drüberen Liam mal fragen, was da genau passiert ist.”
„Das kann ich dir sagen. Er hat von der Erpressung erfahren und beschlossen, mal ein bisschen auf deiner Seite zu sein.”
„Hm, stimmt, ja. Jedenfalls habe ich dann die Protokolle abgeliefert, Dee-Dee hat mich abserviert und dann, als die Schläfer aufgeweckt wurden, war Liam definitiv nicht mehr auf meiner Seite und hat mi... den Eisklotz niedergeschossen.” Er seufzte ausgiebig. „Gut begründet allerdings - der Eisklotz war drauf und dran, Dee-Dee umzubringen.”
Mabel verzog das Gesicht und legte einen Arm um ihn. „Was ein Motivationsimperativ anrichten kann ... ich bin froh, dass ich in diesem Universum lebe und nicht in Renees.”
„Ich auch.” Er straffte sich. „Deram hat gesagt, es gibt einen Weg, Harmony zu folgen, ja?”
„Augur arbeitet noch daran, aber es gibt einen. Und es ist auch nötig, es könnte sein, dass die Melone kaputt ist.”
„Genau der Gedanke ist mir auch gekommen. Aber jetzt geht es mir ja glücklicherweise wieder gut, also kann ich dann meine Söhne und meine Enkelin holen gehen.”

Mabel sprang von der Liege wie von einem Katapult und hielt ihren erhobenen Zeigefinger vor Rons Gesicht. „Kommt nicht in Frage! Es geht dir gut, ja, aber es geht dir nicht gut - du bleibst hier, keine Diskussion. Ich gehe.”
„Mabel ...”
„Ich sagte: Keine Diskussion!”
„Mabel hat Recht”, kam von Kural, „Aus ärztlicher Sicht kann ich nur betonen, dass dein CVI nur einen Teil deines Gedächtnisses enthält, also im Fall einer Amnesie nur rudimentäre Hilfe sein kann. Es versetzt dich in die Lage, den richtigen Leuten zu vertrauen und dich nicht komplett in die Nesseln zu setzen, bis dein Gedächtnis neu verknüpft ist, aber das ist auch alles.”
Sie tippte ihrem Mann auf die Brust. „Da hast du es, Ron. Ich gehe.”
„Und die dortige Isabel Martínez?”
„Sollte ich so lange dort bleiben, dass wir Anfälle kriegen, dann wird sie damit klarkommen - es wäre nicht das erste Universum, in dem das passiert. Außerdem bestünde die Gefahr bei dir und dem dortigen Ronald Sandoval genauso - und welche Auswirkungen das auf einen Implantanten hat, weiß keiner.”
Ron hob seine Hand und griff nach Mabels Zeigefinger. „Doch, wissen wir - Krallen-Renee hatte ein CVI.”
„Und sie ist tot.”
„Aber nicht an den Anfällen gestorben - sie hatte definitiv zuvor schon welche!”
Mabel grummelte leise. Warum musste er sich nur so sträuben? „Ron, du gehst nicht!”, wiederholte sie den Beschluss, „Schon allein, dass du möglicherweise kurzzeitig die Orientierung verlieren ...”
„Schon gut”, gab er nach, „aber wenn du als Mabelbel zurückkommst, kannst du dir was anhören!”
Mabel seufzte. „Ja, Ron, ist gut.”

Die Kunst einer erfolgreichen Ehe war schließlich, gerade rechtzeitig nachzugeben. Ron konnte das - und Mabel konnte es auch.

Es dauerte zwei Stunden, bis Augur die Steuersoftware an multiversale Reisen angepasst hatte, und noch eine weitere Stunde, bis Street seine Änderungen durchgeharkt hatte und grünes Licht gab. Die Melone wurde an den südlichen Stadtrand gebracht, das Shuttle hingegen ganz in den Norden.
Deram (laut falschem Ausweis Dream Cartwright) würde das Shuttle fliegen, Mabel, Thomas und ein Captain Lewis Hawke vom Marine Corps (alle ebenfalls mit falschen Ausweisen ausgerüstet) würden auch mitkommen. Natürlich hatte Mabel nichts gegen Captain Hawke, aber sie fände es besser, jemanden mitzunehmen, den sie kannte und einschätzen konnte.
Wenigstens kannte Thomas ihn, die beiden Männer hatten bereits beim Angriff auf die Atavus-Zentrale in Sibirien gut zusammengearbeitet. Und Hawke war implantiert und hatte einen Skrill - Thomas meinte, dass das in einem um 30 Jahre zeitverschobenen Universum gegenüber den dortigen Taelons ein Bonus wäre.
Gegenüber dem Widerstand wäre es das natürlich überhaupt nicht, aber da half die Tarnvorrichtung, die der Implantant ebenso wie Deram, Thomas und Mabel trug.

Mabel hätte dennoch lieber Alice mitgenommen.

Deram hob ihre dank Tarnbild scheinbar ungemustert menschlichen Hände in die holographische Steuerung und aktivierte die Tarnung des Shuttles, dann brachte sie es direkt in die Interdimension. „So”, sagte sie, „jetzt geht es los. Vektor ist gesetzt, ich aktiviere das System jetzt!”
Sie wischte durch eine Kontrolle - dissonantes Surren verursachte bei Mabel eine Gänsehaut, das spiralig verzogene Blau der Interdimension sorgte keinesfalls für Beruhigung.
„Es geht!”, rief Deram, „Die automatische Rekonfiguration fängt die meisten Störungen sofort ab, und wir sind schon fast durch.” Sie bewegte flink ihre Finger durch die Steuerung, rief eine Reihe von zusätzlichen Daten ab und aktivierte ein weiteres System, worauf das dissonante Surren verschwand.
Das spiralige Muster im Blau war auch mit einem Mal sehr viel regelmäßiger.
„Okay, wir sind durch”, meldete Deram, als die Spirale in der Interdimension verschwand, „Ich prüfe die Gravitationsstruktur ... ich habe die Position.”
„Ich denke, wir sollten zunächst in Clearwater nachsehen”, schlug Mabel vor.
„Wir sollten zunächst mal zur Erde fliegen”, sagte die Pilotin schmunzelnd, „wir sind neun Lichttage weit weg.”
„Ich denke, ich habe den ersten Anhaltspunkt”, warf Thomas ein, „Ich spüre im Gemeinwesen die starke Präsenz zweier Kimera, und schwächer noch einen dritten.”

 

Ende Kapitel 8

 

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