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  „Licht” von Veria,   Mai 2018
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Die Dimensionsreisenden suchen Kontakt mit dem heimischen Widerstand.
Zeitpunkt:  direkt anschließend
Charaktere: Liam, Ha'gel, Boone, Harmony, Licau, Lili, Doors, Street, (Augur, Louise, Corinna, Dominic, Sandoval, Nahema, Gren, [Siobhán, Empfangsschwester])
 
 

 

LICHT

Kapitel 6: Widerschein III

 

Zwei Kimera richteten sich auf, als Schritte durch die Kirche hallten, leise knarrte das Holz der Kirchenbank jetzt unter ihnen. Es war Augur, der zu ihnen kam, aber es waren mehr als nur seine Schritte zu hören gewesen. Der Hacker fühlte sich nicht wohl, das war ihm anzusehen - warum war er dann hier? Ja, Liam hatte Lucy eine Nachricht für ihn gegeben, aber das war noch lange kein Grund, einen Computerspezialisten in eine Situation zu bringen, die möglicherweise deutlich mehr Kampfstärke verlangte.
Der Widerstand musste wissen, wozu Ha'gel fähig war - zwei verdampfte Menschen und ein Kokon waren Boone mit Sicherheit bekannt.
Augur blieb einige Schritte entfernt stehen und straffte sich. „Sie haben mir eine Nachricht geschickt.”
„Ja”, sagte Liam, „danke, dass Sie gekommen sind.” Er sah kurz zu Emily und wies dann knapp auf sie. „Darf ich vorstellen: Ha'gel.”
Der Hacker zuckte etwas zusammen, beherrschte sich aber gut. „Sehr erfreut”, brachte er eine Floskel zustande.
„Wie Sie wissen, wird Ha'gel von den Taelons gesucht”, fuhr Liam fort, „Was Sie nicht wissen, ist, warum das so ist. Er ist jedenfalls kein verurteilter Verbrecher.”
„Was dann?”
„Ich bin der letzte meiner Art”, ergriff Emily nun das Wort, „alle anderen Kimera sind den Taelons vor Millionen von Jahren schon zum Opfer gefallen.” Augur schluckte, wich einen halben Schritt zurück und suchte Liams Blick - verständlich, wenn Liam bedachte, dass er hier wohl nur ein Mensch zu sein schien. „Ich bin hier, weil ich mich mit dem Widerstand verbünden möchte”, sagte Ha'gel, „gegen die Taelons.”
„Ich bin sicher, dass Ha'gel sich sehr nützlich machen kann”, warf Liam ein, „aber außerhalb einer Gruppe, die ihn zunächst versteckt und schützt, wird er nichts ausrichten können.”
„Was ist mit Ihnen?”, fragte Augur, „Sie schützen ihn und Sie haben ihn erfolgreich vor der Polizei versteckt.”
Liam schmunzelte. „Korrekt - aber ich bin keine ganze Organisation, meine Ressourcen sind begrenzt.” Langsam stand er auf und ging etwas näher zu Augur, der jetzt mit einem Mal deutlich angespannter aussah und sich gemächlich rückwärts davonschlich. Was war los?

Hinter einer der Säulen schob sich eine rotbeschopfte Gestalt mit erhobenem Skrill hervor, Liam machte eilig einige Schritte zwischen den Implantanten und Ha'gel - eine Wiederholung des Schusswechsels aus seinem eigenen Universum war zu vermeiden.
„Liam!”, rief Ha'gel - der jüngere Kimera wandte sich um und erkannte zwei weitere Bewaffnete.
Deren Waffen waren auch für einen geschwächten Kimera ungefährlich. Liam übermittelte das in seiner energetischen Ausstrahlung und Ha'gel entspannte sich deutlich.
„Wir sind nicht hier um wild rumzuballern, Commander Boone!”, sagte Liam energisch, „Bitte.”

„Liam”, sagte Boone, „Officer Costello hat Sie visuell sehr anders beschrieben.”

Officer Costello, das musste Terry sein, der also gefunden worden und natürlich erwacht war, als Ha'gel Emily übernommen hatte. Liam nahm kurzerhand in kurzem, blassgrünen Schimmern sein Generalsgesicht wieder an.
„Entspricht das eher der Beschreibung?”
„Das tut es.” Boone winkte den beiden anderen Bewaffneten, sich zurückzuziehen. „Welches Gesicht ist Ihr echtes und wessen Gesicht ist das andere?”
Liam schmunzelte knapp und zeigte nach kurzem Flackern wieder Schlitzaugen und schwarze Haare. „Das andere ist eine genetische Überlagerung, aber es gibt niemanden, von dem ich es kopiert hätte. Dazu bin ich als Mischling im übrigen gar nicht in der Lage.”
Boone senkte seinen Skrill etwas und spähte an Liam vorbei zu Emily. „Aber Sie sind es. Wer ist diese Frau? Wo ist sie?”
„Ein Block weiter, im Fahrradkeller”, beantwortete Liam die Frage, „unverletzt und in einem Kokon.” Augur, der inzwischen eine Säule erreicht hatte, brachte sich nun mit zwei schnellen Schritten dahinter in Sicherheit und von dort zweifellos ungesehen weiter zum Lift. „Commander Boone, Sie haben mit Officer Costello gesprochen”, fuhr Liam fort, „Sie wissen, dass ich keine Gefahr bin.”
„Und Ha'gel?”
„Ich bedrohe Sie nicht, Commander Boone”, ergriff Ha'gel das Wort, „Bedrohen Sie mich?”

Boone zögerte einen Augenblick, dann senkte er seinen Skrill etwas. „Nein. Wir stehen auf derselben Seite, gegen die Taelons.”

Er war also überzeugt - vermutlich wäre es auch bei Augur und Lili nicht überaus schwer. Jonathan Doors hingegen wäre wohl eine deutlich härtere Nuss zu knacken. Liam konnte sich deutlich vorstellen, wie der Milliardär unten auf einen Bildschirm starrte und überlegte, wie er die beiden Kimera am besten los würde, ohne mögliche Vorteile im Kampf gegen die Taelons zu verlieren. Vielleicht sah Doors nicht einmal mögliche Vorteile. Liam stufte Doors entsprechend durchaus als Gefahr für Ha'gel ein.
Boone führte die beiden Kimera tatsächlich zum versteckten Lift und brachte sie nach unten ins Hauptquartier des Widerstandes, wo sie vom misstrauischen Blick des Milliardärs empfangen wurden. Mehrere Bewaffnete hielten Ha'gel und Liam im Visier, einer nahm sogar Emilys Handtasche an sich.
„Mr. Doors, sehr erfreut”, sagte Liam und streckte gemächlich seine Hand zum Gruß aus, Ha'gel ahmte die Geste sogleich nach.
Sehr vorsichtig kam der Anführer des Widerstandes näher und schüttelte schließlich flüchtig Liams Hand, danach etwas zögerlich auch Emilys. „Wir stehen auf derselben Seite”, sagte er, „gegen die Taelons.” Er zog sich einen Schritt zurück und fragte dann: „Was können Sie mir sagen? Kennen Sie die Schwächen der Taelons?”
„Ja”, sagte Liam, „Die Taelons sterben, ihnen geht die Energie aus.”
„Ihnen ... was?”
„Die Taelons ernähren sich ausschließlich von Grundenergie, aber sie kennen das Herstellungsverfahren nicht mehr.”
„Wie konnten sie das vergessen?”, fragte Boone.
Liam runzelte kurz die Stirn. „Designfehler im Gesellschaftssystem - durch das genetische Gedächtnis der Taelons hat sich eine immense Spezialisierung der einzelnen Kasten herausgebildet. Als die Jaridians die Taelon-Heimatwelt zerstört haben, waren alle Mitglieder der Hersteller-Kaste dort.”

Doors' Gesicht war ein einziges spottendes Grinsen.
„Die so weit entwickelten Taelons”, erklang amüsiert von Augur, „haben kein Backup gemacht.”

„Es gibt eine Person, die weiß, wie man Grundenergie herstellt”, ergriff Liam wieder das Wort, „Commander Boone, fragen Sie Officer Costello nach meiner Komplizin - sie weiß es.”
„Wir wollen keine Grundenergie herstellen”, wandte Doors kühl ein, „unser Anliegen ist, die Taelons loszuwerden.”
„Eine solche Entscheidung sollten Sie nicht leichtfertig treffen, Mr. Doors”, gab der Kimera ähnlich kühl zurück, „allerdings natürlich auch nicht jetzt sofort.”
„Ihnen Grundenergie anzubieten wäre der beste Weg, die Taelons die ganze Welt nach der Herstellungsmethode umgraben zu lassen”, sagte Doors eisig, „Das steht also keinesfalls zur Debatte, nicht jetzt sofort und auch nicht später.”
Liam verkniff sich mit einiger Mühe ein Augenrollen. „Grundenergie hat auch andere Nutzen - aber das ist jetzt nicht wichtig.” Er sah zu Emily und nickte knapp.
„Mr. Doors”, sagte Ha'gel, „ich bin in der Lage ...”

Ein piepsendes Global unterbrach den Kimera, es war Boones und dieser ließ es aufschnappen. „Ja, Da'an?”
„Commander Boone, wie verläuft die Suche nach Ha'gel?”, fragte der Taelon.
„Schleppend, leider”, antwortete Boone.
„Ich verstehe.” Da'an machte eine kurze Sprechpause, vermutlich übte er sich in eleganter Fingergymnastik. „Ich rufe Sie an, um Sie zu informieren, dass Ha'gel nicht mehr höchste Priorität hat.”
„Was ist passiert?” Der Implantant starrte auf sein Global und zog die Stirn in tiefe Furchen.
„Ihr Name ist Harmony, sie trägt aber auch den taelonischen Namen Jae'yal”, erklärte Da'an, „Sie täuschte mich erschreckend lange, und sie ist sehr gefährlich. Sie verfügt über Shaqarava und besitzt auch ein Teleportationsgerät.”
„Das wird es schwer machen, sie aufzuspüren.”
„Es scheint eine begrenzte Reichweite zu haben - sie teleportierte nur in den Hangar und stahl dort das Shuttle. Außerdem hat sie ein Global.” Der Taelon machte wieder eine Sprechpause, dann befahl er: „Finden und eliminieren Sie sie, Commander Boone. Koordinieren Sie sich mit Lieutenant Beckett und Captain Marquette, sie sind bereits auf der Suche nach ihr.”
Boone nickte knapp. „Natürlich, Da'an”, sagte er und schob sein Global zu.

„Sie sollten gehen”, beschloss Doors, „Sie können Beckett nicht warten lassen.”
Boone nickte flüchtig und fixierte dann Liam mit seinem Blick. „Harmony sieht einem Ihrer Gesichter sehr ähnlich”, sagte er.
Harmony sah aber auch ihrem Großvater sehr ähnlich, deutlich mehr als Liam seinem Vater ähnlich sah - aber nichts davon erwähnte der Implantant. Boone wusste zweifellos mehr, als er vor Doors zugab.
„Meine Tochter”, sagte der Kimera, „Commander Boone, halten Sie es für sinnvoll, den Fokus der Suche wieder auf Ha'gel zu verschieben?”
„Weshalb? Was schlagen Sie vor?”
Liam grinste. „Die Taelons würden die Kimera zweifellos als dreimal so gefährlich einstufen wie bisher, wenn sie drei Kimera spüren könnten anstatt nur einem.”
Boone sah ihn durchdringend an. „Tun Sie das nicht, Liam!”, sagte er fest, „Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihre Tochter vor Beckett schützen werde.”
„Nein. Schützen Sie sich und Captain Marquette vor Lieutenant Beckett.”
Der Implantant nickte leicht, wandte sich ab und trat in den Lift.

Ha'gel straffte sich und atmete tief ein. „Mr. Doors”, ergriff er wieder das Wort, „ich bin in der Lage, jegliche Gestalt anzunehmen, auch taelonische - und ich erhalte dabei den Zugang zu den Erinnerungen dieser Person.”
„Wessen Erinnerungen haben Sie bereits gesammelt?”, fragte Doors kalt.
„Nein, nicht gesammelt. Ich habe den Zugang zu den Erinnerungen, aber ich muss sie nicht ansehen.” Emilys Gestalt verflüchtigte sich, der Kimera zeigte seine grünweißen Energiebahnen. „Ich hatte die Gestalten von drei Menschen - dies ist meine wahre Gestalt.”
Das half nicht, Doors' Misstrauen zu verringern - im Gegenteil, eine Gestalt so ähnlich der eines Taelons stachelte sein Misstrauen eher an.
Liam teilte das Ha'gel über seine Ausstrahlung mit, worauf dieser Emilys Gestalt wieder annahm und festigte.
Das half natürlich auch nicht - bis Doors einem Außerirdischen über den Weg traute, musste sehr viel Zeit vergehen. Aber wenigstens schoss niemand herum.

* * *

Harmony steuerte das Shuttle gemächlich über die Stadt, das Licht der Morgensonne glitzerte auf den Dächern und brach sich im virtuellen Glas, das das Innere des Shuttles von der Welt draußen trennte. Licau stand neben der Pilotin und wies ihr den Weg - noch suchten sie nicht die Atavus, sondern das Gebäude, in dem Lou, Corinna und Dominic untergebracht waren.
„Hier, links, das müsste es sein”, sagte die junge Atavus, „Flieg ganz ans Fenster, zweiter Stock.” Sie hielt sich am Pilotensessel fest und lehnte sich nach vorne. Harmony brachte das Shuttle in Position, dann deaktivierte sie das virtuelle Glas - Licau klopfte an das echte Glas des Fensters.
Louise öffnete es und strahlte Harmony an. „Du bist da! Mensch, bin ich froh.” Sie verschwand kurz vom Fenster und kam wenig später mit Corinna und Dominic zurück.
Harmony reaktivierte das virtuelle Glas und ließ das Shuttle auch einen weiteren Sitzplatz ausbilden. „Alles in Ordnung mit euch?”, fragte sie dann, während sie das Shuttle in die Interdimension brachte.
„Mit uns schon, ja”, sagte Corinna, „Mit Jay nicht. Er liegt mit der giftgrünen Blutkrankheit im Krankenhaus. Lou hat Melissa überzeugt, uns zu helfen.”
„Die Blutkrankheit ...”
„Es dauert noch, bis es gefährlich wird”, wandte Louise ein.
„Trotzdem sollte ich mich darum kümmern”, beschloss Harmony und änderte kurzerhand den Kurs des Shuttles - sie flog nun zum Krankenhaus.
„Aber du bist nicht nah genug verwandt”, sagte Corinna, „Du bist seine Nichte! Halbnichte! Es braucht eine Blutspende von einem Verwandten ersten Grades!”
Lou mischte sich ein: „Ihre Energie wird trotzdem helfen!”
„Erstens das”, bestätigte Harmony, „und zweitens liegt ein Verwandter ersten Grades auch im Krankenhaus - Nahema hat Ronald Sandoval aufgespießt.”
„Autsch.”
Die Kimera prüfte noch einmal den Kurs, den Gravitationsgradienten und die Positionsberechnung, dann verließ sie die Interdimension und spähte über den Parkplatz des Krankenhauses - nicht genug war frei, ein Shuttle brauchte mehr Platz als ein Auto. „Okay ... wer traut sich zu, das Shuttle ein paar Meter hoch zu fliegen, dort zu halten und später wieder zu landen?”
„Äh ... ja, das schaffe ich”, sagte Licau.
„Gut.” Harmony landete das Shuttle direkt vor der Tür, ließ das virtuelle Glas verschwinden und sprang hinaus. Hinter ihr übernahm die Atavus die Steuerung und das Shuttle hob wieder ab.

Energisch marschierte die Kimera zum Empfangsschalter und sagte: „Guten Morgen, ich möchte zu Agent Sandoval. Wo ist er untergebracht?”
Die Schwester musterte Harmony einen Moment lang sehr überrascht, dann straffte sie sich und antwortete: „Vierter Stock, Zimmer 411. Wie lautet Ihr Name?”
„Harmony Colby.” - Harmony wollte nicht womöglich den echten Liam Kincaid irgendwie durch eine Namensähnlichkeit in Schwierigkeiten bringen und den Namen Beckett sollte sie auch besser nicht benutzen.
Vielleicht hätte sie sich besser auch einen anderen Vornamen ausdenken sollen ... aber dafür war es jetzt zu spät.
Nichtsdestotrotz hatte Harmony die Zimmernummer, bedankte sich knapp und marschierte zum Lift, in dem sie dann die Taste für das vierte Stockwerk drückte. Als die Lifttüren sich wieder öffneten, hatte Harmony bereits Wegweiser in Sicht - 411 war links, also ging sie dorthin. Die Schwestern auf dem Weg grüßten nur höflich, niemand versuchte, Harmony aufzuhalten.

Kurz klopfte die Kimera an der Krankenzimmertür und auf ein „Herein” betrat sie das Zimmer. Es war geräumig und hatte nur ein Bett, auf diesem saß Ronald Sandoval in seiner sterilen weißen Krankenhauskleidung. An seiner Schläfe prangte eine tiefrote frische Narbe und vermutlich war die Brustverletzung ebenfalls bereits verheilt.
„Harmony!”, grüßte der Implantant sichtlich erfreut und stand eilig auf, „Wie hast du das gemacht? Ich wusste nicht, dass Grundenergie so gut heilen kann!”
Die Kimera schmunzelte knapp. „Meine Energie ist ähnlich, aber keine Grundenergie. Ich bin ja kein reiner Taelon, sondern Hybridin.”
„Das ist unerwartet”, sagte er und runzelte die Stirn. „Es liegt wohl daran, dass deine Energie teilweise menschlich ist, aber dennoch Energie, und somit einen Menschen besser heilen kann.”
„Nein. Daran liegt es nicht. Ich bin generell zu einigem mehr in der Lage als ein Taelon.” Sie hob eine Hand und berührte vorsichtig die Narbe an der Schläfe. „Gut, zum Teil liegt es natürlich daran, dass mein Energielevel viel höher ist als das eines Taelons, noch immer. Wenn ein Taelon dieses Energielevel hätte, könnte er auch einiges mehr machen.”
„Noch immer?”, fragte Ronald, „Du hattest doch deine drei Familienpizzen, dein Energielevel sollte besser geworden sein.”
Harmony seufzte leise. „Die drei Familienpizzen waren eine Notfallration”, sagte sie, „Durch den dimensionalen Unfall ist mein Energielevel auf einen Bruchteil zurückgegangen und viel besser ist es noch nicht.” Er musterte sie besorgt. „Aber dennoch deutlich höher als das eines hiesigen Taelons”, ergänzte sie, „und so gefährlich ist es nicht, ich muss es mir jetzt eben ein bisschen einteilen.”
„Erleichternd.”
„Ja. Jetzt aber etwas anderes: Ich bin nicht allein in dieses Universum gekommen.”
„Dein Vater.”
Sie winkte ab. „Um ihn geht es nicht, es geht um seinen Halbbruder - Jay hat leider eine üble Erbkrankheit, die hier prompt ausgebrochen ist.”
Ronald runzelte die Stirn und zog die Brauen zusammen. „Wie viele sind denn noch da?”
„Gesamt acht, wie ich vor knapp zehn Minuten herausgefunden habe.” Sie trat einen Schritt beiseite und wies auf die Türe. „Gehen wir”, forderte sie Ronald auf, „Jay liegt hier in diesem Krankenhaus und braucht eine Blutspende von dir.”
„Was für eine Erbkrankheit?”, fragte er kühl und ohne Anstalten, Harmony zu folgen.
„Kimber-Syndrom - und wir lassen dir dann auch einen Liter Blut da, falls es bei dir mal ausbricht.”
Er blieb weiterhin stehen. „Eine Erbkrankheit wäre mit Sicherheit bei der Eignungsuntersuchung vor vier Jahren bereits festgestellt worden”, sagte er eisig, „oder willst du behaupten, die Taelons wären dazu nicht in der Lage?”
Harmony hätte sich am liebsten die Haare gerauft - so einfach wäre sie an diesem Einwand vorbeigekommen, hätte sie die Erbkrankheit schlicht Mabel zugeschrieben. „Doch, sind sie. Aber tatsächlich würde die Krankheit erst in fast zwei Jahren bei dir ausbrechen, die Taelons hielten es zweifellos nicht für nötig, dich vor der Zeit darüber zu informieren.” Und da log sie ihn jetzt wirklich an. Die Taelons dieser Zeit, dieses Universums, scherten sich einen Dreck ihre Beschützer - es war nicht vorgesehen, dass Implantanten länger als einige Jahre lebten. „Kommst du?”
„Ich kläre das mit Da'an ab”, beschloss er und ging zum Tisch, auf dem sein Global lag.

Mist.

Harmony folgte ihm, legte ihm eine Hand auf den Rücken und fing ihn auf, als er bewusstlos zusammensank. Sie bugsierte ihn aufs Bett, zückte dann ihr eigenes Global und rief das Shuttle an. „Wie sieht es bei euch aus?”, fragte sie.
„Die Atavus werden immer mehr”, sagte Licau, „Harmony, ich fühle mich ziemlich überwältigt. Je mehr die werden, umso stärker wird auch das Gemeinwesen!”
„Du bist doch Rudelführerin”, warf Corinna ein.
Die Atavus knirschte mit den Zähnen. „Nahema definitiv auch - und sie ist stärker als ich.”
„Ich komme zurück”, sagte Harmony, „Ronny ist misstrauisch geworden, schläft jetzt.”
„Also geht es Jay noch nicht besser”, hörte sie Corinna noch, bevor sie ihr Global zuschob und an den Gürtel hakte.
Die Kimera seufzte leise und machte sich auf den Weg. Mehr als ihm nur Energie zu geben könnte sie für Jay nicht tun - und überaus viel hatte sie davon derzeit nicht übrig. Als sie im Erdgeschoss aus dem Lift trat, piepte ihr Global wieder. Sie ließ es aufschnappen.

Nahema.

„Die Stunde ist um”, sagte die blonde Atavus, „Wie lautet deine Antwort?”
Harmony rollte mit den Augen. „Ich habe eine andere Frage für dich: Wie geht es ihr?”
Nahema zögerte einen Moment. „Sie stirbt”, gab sie dann zu, „aber das spielt keine Rolle - nur wenige Stunden sind es, die sie von meinem früheren Selbst unterscheiden.”
Die Kimera verließ das Krankenhaus und stieg in das bereits gelandete Shuttle. „Nahema, die Antwort lautet nein”, sagte sie noch, dann hakte sie das Global wieder an den Gürtel, grüßte knapp Louise, Corinna und Dominic und setzte sich auf den Pilotensitz. „Licau, wie lange bleibst du noch normal?”
„Ich bin nicht mehr normal”, knurrte die Atavus, „aber ich halte mich noch unter Kontrolle.”
„Ma'els Signalgeber wär jetzt praktisch ...”, seufzte Dominic.
Harmony grinste matt. „Ein Haufen Zeug wäre jetzt praktisch”, sagte sie, „aber wir kommen leider nicht ran.” Sie hob ihre Hände in die holographische Kontrolle und einen Moment später noch höher, als ein Skrillschuss von der Seite sie recht schmerzhaft traf.
Vorsichtig spähte die Kimera zur Seite - Siobhán Beckett, Lili Marquette und William Boone kamen mit Skrills respektive Dienstwaffe im Anschlag näher.
„Harmony, das war ein schwacher Schuss!”, rief Siobhán, „Ein starker wird dich zweifellos verletzen!” Ein hellblau gekleideter geölter Blitz mit Hidschab sprang an Harmony vorbei aus dem Shuttle und warf die Implantantin von den Füßen und ins nächste karge Blumenbeet. Als Siobhán sich eilig aufrappelte und auf die Atavus zielte, schlitzte jene ihr kurzerhand den Skrillarm auf.
Das war weder normal noch unter Kontrolle! Harmony gönnte Licau eine Shaqarava-Entladung, dann sprang sie selbst aus dem Shuttle und betäubte sogleich auch ihre Großmutter. William Boone richtete seinen Skrill auf sie, Lili Marquette die Dienstwaffe.
„Die beiden werden wieder”, versicherte Harmony, „ Lieutenant Becketts Arm sollte aber verbunden werden.”
„Ich weiß, wer Sie sind”, sagte William.
Lili, mit schussbereiter Dienstwaffe, runzelte die Stirn. „Boone?”
„Harmony”, sagte er, „Ich habe mit Ihrem Vater gesprochen und ...”, er spähte ins Shuttle, „... ich hatte auch bereits die Gelegenheit, Ihre Begleiter kennenzulernen.”

Harmony senkte ihre Hände etwas und ließ ihr Shaqarava verschwinden. „Was weiter? Da'an plant vermutlich meinen Tod.”

Er nickte knapp. „Mein Befehl lautet, Sie zu eliminieren”, sagte er, „das allerdings nicht an einem öffentlichen Ort. Ich würde Sie entsprechend jetzt überwältigen und gefangen nehmen.”
Sie schmunzelte. „Verstehe. Sie haben dann ja auch das Shuttle zurückerobert und können zur Botschaft zurückfliegen. Auf dem Weg kann allerdings viel passieren.”
„Exakt”, sagte er und schoss - Harmony sackte auf dem Asphalt des Krankenhausparkplatzes zusammen.
Sie hielt die Augen geschlossen, bis der Implantant sie ins Shuttle getragen und dort abgelegt hatte. Licau wurde noch von Lili hereingebracht, während Boone per Global dem Krankenhaus Bescheid gab, dass auf dem Parkplatz eine bewusstlose, am Arm verletzte Implantantin lag.
Dann hob Lili das Shuttle ab und brachte es in die Interdimension.

Die Kimera richtete sich auf, zog die Beine an und setzte sich in den Schneidersitz. „Wie haben Sie meinen Vater getroffen, Commander Boone?”
„Er hat uns in Kontakt mit einem neuen Verbündeten gebracht - Ha'gel.”
„In der Kirche also”, stellte sie fest, „Ich nehme allerdings an, dass es nicht schlau ist, dort noch zwei Aliens anzuschleppen - zudem ausgerechnet eine Taelonhybridin und ein Mitglied einer Spezies, die sich hier derzeit vampirisch von Menschen ernährt.”
Boone ließ den Blick zur noch immer bewusstlosen Licau schweifen. „Das hat sie nicht erwähnt.”
„Nein.” Die Kimera rutschte etwas näher zur Atavus, öffnete deren Handtasche und holte die Energiekapsel heraus. „Das ist Kimeraenergie - beste Nahrung für Atavus, gestellt von meinem Vater.”
Der Implantant sah sich im Shuttle kurz um und musterte Corinna, Louise und zuletzt, etwas länger, Dominic, dann wandte er den Blick wieder Harmony zu. „Was hat es mit Nahema auf sich? Ich weiß, was Sie Da'an und Lieutenant Beckett erzählt haben - was davon ist wahr?”
Harmony seufzte leise. „Alles - und je mehr Atavus Nahema aufweckt, umso stärker wird das Gemeinwesen.” Sie wies auf Licau. „Es macht aggressiv, wie Lieutenant Beckett vorhin feststellen durfte.”
„Du sag mal, Harmony”, ergriff Dominic das Wort, „Ha'gel könnte doch das Gemeinwesen sprengen, wie Liam es daheim gemacht hat - oder? Dann können die Atavus hier sich die Aggressionstherapie auch sparen.”
„Dafür müssen wir dann doch in die Kirche”, sagte Harmony, „Ihre Entscheidung, Commander Boone.”

Einige Momente lang überlegte der Implantant, dann beschloss er: „Es macht eigentlich keinen Unterschied. Sie wissen vom Versteck, Ihr Vater ist sogar schon dort, also gehen wir hin - Lili, bitte.”
Die Pilotin nickte. „Okay.” Schnell verschob sie den Kursvektor etwas, dann brachte sie das Shuttle aus der Interdimension - oberhalb einer Fabrikhalle, auf deren Dach sie dann landete. Harmony wusste, dass es mehrere dieser Widerstands-Landeplätze gegeben hatte, bevor ihr Vater auf Interdimensionsaustritt in der Garage des Hauptquartiers umgestiegen war - an diesen Landeplatz im Besonderen erinnerte sie sich aber nicht.
Jedenfalls stand vor dem Ausgang des Treppenhauses ein Kastenwagen. Lili klemmte sich hinters Lenkrad, William setzte sich zu Harmony und den anderen hinten in den Laderaum. Die Fahrt zur Kirche dauerte nicht lange, dennoch wachte Licau unterdessen auf.

Die Atavus stemmte sich aus ihrer liegenden Position hoch und hielt sich an einer Sitzbank fest. Ihre Haut war deutlich grau. „Harmony ... bah, mir ist schlecht.”
„Selbst schuld”, gab die Hybridin knapp zurück.
Was?”, fauchte Licau.
„Du schlitzt Leute auf, ich vergifte dich. Halte dich unter Kontrolle!” Harmony zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, das ist das Gemeinwesen, aber du solltest wissen, dass du gegen mich den Kürzeren ziehst.”
Die Atavus seufzte ausgiebig, dann griff sie in ihre Handtasche und stutzte. „Wo ist die Kapsel?”
„Ich meine, du solltest erst mal vergiftet bleiben, falls du die Kontrolle verlierst.”
„Du vergisst, ich bin schwanger - also her damit!” Ihr energisches Fauchen ließ Lou, Corinna und Dominic die Köpfe einziehen und überraschte offensichtlich auch William. Dennoch hatte die Atavus natürlich Recht und Harmony sah zweifellos recht verlegen aus, weil sie die Schwangerschaft völlig vergessen gehabt hatte.

Wer wusste, welche Entwicklungsschäden das Kind von Harmonys teilweise taelonischer Energie davontragen konnte?

Licau erhielt die Kapsel, umfasste sie mit einer Hand und drückte den Daumen dagegen - unmittelbar sichtbar wurde die Vergiftung geheilt und die Hautfarbe nahm wieder den gesunden Bronzeton an. William beobachtete die Veränderung staunend.

Der Kastenwagen stoppte, wenige Momente später öffnete Lili den Laderaum und die Passagiere stiegen aus - als letzte sprang Harmony hinaus in die ihr aus der Erinnerung und einigen persönlichen Besuchen bestens bekannte Garage.
Zwei Bewaffnete warteten bereits und eskortierten die Gruppe ins Hauptquartier.
Harmony lächelte freundlich, auch wenn sie kaum jemanden von Doors' Leuten persönlich kannte, nur aus der Erinnerung. Im Grunde kannte sie nur Augur und natürlich Lili und William. Doors selbst, den sie ebenfalls nur aus der Erinnerung kannte, starrte die Neuankömmlinge missmutig an.

Liam und Ha'gel waren nicht zu sehen, aber Harmony spürte sie in unmittelbarer Nähe.

Doors musterte die Hybridin von Kopf bis Fuß und trat dann etwas näher. „Sie sind Liams Tochter Harmony”, stellte er fest.
„Die bin ich, Mr. Doors.” Sie streckte ihm die Hand zum Gruß hin, er ergriff sie nach kurzem Zögern flüchtig. „Das sind Dominic Marchese, Dr. Louise Muldoon, Corinna Martínez und Licau”, stellte sie auch ihre Begleiter vor, dann fragte sie: „Wo ist mein Vater?”
„Später”, wischte der Milliardär die Frage beiseite und bedeutete den Bewaffneten, den Neuankömmlingen Taschen und Globals abzunehmen. Dominic wurde sogar sein Taschenmesser los. „Wer sind Sie genau?”, fragte Doors dann kühl, „Wie sehen Sie wirklich aus?”
„Ich wurde in meinem Universum am 10. Dezember 2013 hier in Washington als Harmony Colby geboren.” Sie grinste flüchtig und zeigte ihr Jaridianmuster. „Und ohne die genetische Überlagerung sehe ich so aus - ich bin teilweise Jaridian.”
„Jaridian”, wiederholte er, „Diejenigen, die die Taelon-Heimatwelt zerstört haben.” Er steckte die Hände in die Hosentaschen und trat einen Schritt näher. „2013, also in zwei Jahren, werden Sie geboren. Sind die Jaridians schon hier?”
„Einer wird auf dem Mutterschiff gefangengehalten. Der Rest hat erst vor wenigen Monaten erfahren, dass es die Erde überhaupt gibt - als die Sonde ihr Signal geschickt hat - und wird noch eine Weile hierher brauchen.”
„Die Sonde”, sagte Augur, „war nicht von den Taelons?” Er grinste Doors breit an. „Mein Ergebnis war korrekt!”

„Die Jaridians sind jetzt nicht wichtig”, sagte Harmony fest, „Unmittelbar gefährlich sind allerdings Nahemas Atavus.”
Doors zog die Brauen zusammen. „Erklären Sie!”
„Im Grunde: Alienvampire. Nur dass sie von hier sind ... irgendwie.” Sie sah kurz zu Licau. „Korrigiere mich, wenn ich was falsches sage. Die Atavus kolonisierten die Erde vor etwas über drei Millionen Jahren. Hier fanden sie eine Tierfamilie, die sich durch frühere Einmischung vor etwa sieben Millionen Jahren energetisch kompatibel entwickelt hatte und demzufolge zur Ernährung geeignet war. Diese Kompatibilität wurde bei einigen Arten durch Zucht weiter erhöht.”
„Alles korrekt”, bestätigte die Atavus.
„Tja, und dann kam ein heftiger Meteoritenschauer, die Atavus gingen in ihre Stasiskapseln und blieben auch nach dem Meteoritenschauer drin, weil das Wecksystem kaputt war. Die Gezüchteten, heute als Australopithecus bezeichnet, entwickelten sich von da an unbeeinflusst weiter. Jedenfalls bis Ma'el kam.” Harmony straffte sich. „Mr. Doors, für Nahema haben Sie und alle anderen Menschen den Status eines Mastschweins.”
Der Milliardär starrte sie an. „Verstehe ich das richtig, dass die Atavus für die Evolution der Menschen verantwortlich sind?”
Sie nickte. „Absolut.”
„So ist es”, bestätigte Licau, „Ich bin übrigens eine Atavus.” Sie schob den Hidschab über der Stirn etwas nach oben. „Allerdings habe ich nicht den Drang, mich von Menschen zu ernähren.”
„Erfreulich”, sagte Doors kühl.

Harmony straffte sich. „Jetzt, Mr. Doors. Wo ist mein Vater? Und wo ist Ha'gel?”
Der Milliardär gönnte ihr einen missbilligenden Blick. „Ich sehe keinen Grund ...”
„Nein? Dann sehe ich keinen Grund, mich mit Ihnen weiter zu unterhalten.” Sie wandte sich dem Implantanten zu. „Commander Boone, bitte sorgen Sie dafür, dass mein Vater und Ha'gel hierher gebracht werden. Wir müssen die Zerstörung der Atavus-Gemeinwesenverstärker planen.”
„Ihnen ist bewusst, dass es für uns riskant ist, Ihnen zu trauen”, gab dieser zurück.
„Das Leben als ganzes ist riskant, Commander Boone.”
Er atmete tief durch. „Jonathan, ich denke, wir sollten uns wenigstens anhören, was sie zu bieten haben.”
„Und dann was?”, fragte Doors, „Mit Hoffnung alleine ist es nicht getan!”
„Sie sind schon hier”, sagte William, „also machen wir weiter.”
Überzeugt war der Milliardär freilich nicht, aber er erlaubte, dass die beiden Kimera in den Hauptraum gebracht wurden.

Liam grinste fröhlich. „Hi, Harmony. Wo ist Jay?”
„Hi, Dad. Krankenhaus. Wo ist Street?”
„Knast. Was hat er?”
„Fiese Blutkrankheit, Anfangsstadium. Was hat sie verbrochen?”
„Nichts, aber ich hab einen Pickup und ein Polizeiauto ausgeborgt und ein paar Polizisten K.o. geschickt.”
„Sie ist nicht mehr in Polizeigewahrsam”, warf Boone ein, „Sie ist hier, ebenso Officer Costello. Vorgeblich medizinische Isolation.”
Harmony hob die Brauen und sagte: „Na, Street kauft Ihnen das jedenfalls nicht ab.” Jetzt musterte sie die junge Frau neben ihrem Vater, die unverkennbar Kimera ausstrahlte - sie hatte sie nach dem Kampf mit Nahema bereits gesehen und die Gestalt erkannt: Emily, Ha'gels erster Aufriss. „Wo ist Emily?”, fragte die Hybridin.
„Ein Haus neben ihrem Appartmenthaus, im Fahrradkeller”, sagte Liam, „sofern sie nicht schon jemand geholt hat.”
„Sie ist auch hier”, sagte Doors kühl.
„Sehr gut”, sagte Harmony lächelnd, „Dann sollte ihr jemand einen Satz Kleidung bringen und bei ihr sein, wenn sie erwacht.” Augur setzte sich sofort in Bewegung - das war so klar gewesen. Die Hybridin schob sich am Milliardär vorbei und sah Ha'gel an, Licau folgte ihr. „Du musst eine neue Gestalt annehmen - wir brauchen deine Hilfe.”
„Welche Gestalt?”, fragte der Kimera.
Licau hob eine Hand und grinste Emily breit an. „Meine - aber sei bitte vorsichtig, ich bin schwanger und will nicht, dass dem Kind etwas passiert.”
„Es besteht keine Gefahr”, versicherte Ha'gel ihr, dann griff er nach ihren Schultern. Über der Haut der Atavus breitete sich unter grünweißen Schlieren die braune Kruste des Kokons aus, während die Gestalt des Kimera sich in Wellen wandelte - und schließlich stand er da, in hellblauem Hosenanzug und weißem Hidschab, und starrte irritiert in die Ferne. Nach einigen Momenten zog Licau ihre Hände vom Kokon zurück und straffte sich. „Ich weiß aus Licaus Erinnerung, wie das Resonanzsignal beschaffen sein muss”, sagte der Kimera, „Ich kann das Atavus-Gemeinwesen zerbrechen.”
„Was dann?”, fragte Doors.
„Dann können sich die Atavus die Aggressionstherapie sparen”, sagte Harmony schmunzelnd, „und man kann mit ihnen verhandeln.”

* * *

Jonathan Doors schien sich immerhin so weit zu entspannen, dass bald alle außer den noch immer anwesenden Bewaffneten bequem auf einer großen Sitzgruppe Platz fanden. Zudem waren die Globals und Dominics Taschenmesser zurückgegeben worden - das Rückkehrportal war allerdings noch in Verwahrung des Widerstandes.
Am einen Ende saß Doors, am anderen die drei Kimera, dazwischen hatten sich Harmonys Begleiter, Lili und William verteilt - und auch Street war inzwischen da, mit beachtlichem Bernsteinmelonen-Babybauch, der allerdings von niemandem angesprochen wurde. Licaus Kokon lag in einem Nebenraum.
Augur war noch nicht zurückgekehrt - vermutlich genoss er es, sich um Emily zu kümmern.
Ha'gel versuchte noch, ein Gefühl für das Atavus-Gemeinwesen zu bekommen, entsprechend war sein Signal noch vergleichsweise schwach. Liam und vor allem Harmony spachtelten unterdessen in Rekordzeit Dominics Einkäufe weg - Doors weigerte sich, etwas zu essen zu stellen.

„Am Schlauesten wäre es aber schon, wenn ich noch einen Atavus hätte, um dessen Gesundheitszustand zu überwachen”, sagte Street, „Ich meine, die Gemeinwesensprengung drüben hat nicht wenigen Atavus und Hybriden heftige Kopfschmerzen gebracht. Wenn wir da nicht vorsichtig sind, platzt da am Ende noch der ein oder andere Kopf.”
„Das spielt keine Rolle”, sagte Doors kalt.
„Und dann wäre da noch die Sache mit dem Positionssystem - wenn wir da eines auslesen, bevor wir alle Signalgeber zerstören, ...”
Liam runzelte die Stirn. „Weder Licaus noch Caedras Kammer hatten einen Signalgeber. Harmony, war in Yulyns einer?”
„Nein.”
Er wedelte mit einem Apfelbutzen. „Also Kamtschatka oder Stonehenge. Oder weißt du sonst eine Kammer mit Signalgeber?”
„Nein.”
„Was haben Sie vor?”, fragte Doors eisig.
Street lächelte ihn strahlend an. „Weltweit verteilt sind mehrere hunderttausend Kammern, in denen jeweils mehrere Atavus-Stasiskapseln stehen”, erklärte sie, „Sie alle zu finden wird sehr schwierig - es sei denn, man hat eine Karte. Dummerweise haben wir im anderen Universum versäumt, die Positionen auszulesen, entsprechend haben wir keine.”
Das wischte der Milliardär allerdings beiseite. „Dann werden sie eben nicht gefunden”, sagte er.
„Dann wachen sie irgendwann auf, wenn die Kapseln Energiemangel melden”, warf Harmony trocken ein, „Wahrscheinlich dürfte das bei allen gleichzeitig passieren, sie sind ja auch gleichzeitig in Betrieb gegangen, womit einige Millionen hungrige Atavus die Erde überschwemmen.” Sie runzelte verdutzt die Stirn, als ihr Global piepte. „Sie erlauben?”

„Ungern”, sagte Doors, war sich allerdings offenbar bewusst, dass dieser Einwand nichts bewirkte.

Harmony nahm ihr rein menschliches Aussehen an, ließ ihr Global aufschnappen und sah in Nahemas blasses Gesicht.
„Bist du es, die mir Kopfschmerzen bereitet?”, fauchte die Atavus, „Hör auf damit! Ich bin bereit, zu verhandeln.”
„Ach”, spottete die Kimera, „So plötzlich?”
Bist du es?”
Ha'gel lehnte sich in den Erfassungsbereich. „Ich sende das Resonanzsignal.”
Nahema blinzelte verdutzt, fasste sich aber sogleich wieder. „Hör auf!”, wiederholte sie, „Ich bin bereit, zu verhandeln.”
So schnell konnte es gehen. Es spielte keine Rolle, ob es nur an den Kopfschmerzen lag oder Nahema wusste, dass ein noch stärkeres Signal das Gemeinwesen in kleine Teile zerbrechen würde, und sie ihre Machtbasis erhalten wollte. Im Grunde war es auch durchaus nicht unpraktisch, mit Nahema einen eindeutigen Ansprechpartner zu haben.
Liam kam offensichtlich zum selben Schluss. „Verringere die Signalstärke etwas”, bat er seinen Vater.
„Punkt eins: Kein Menschenaufspießen!”, sagte Harmony.
„Nenne eine Alternative!”, verlangte die Atavus - Liam hielt die inzwischen wieder gefüllte Energiekapsel ins Bild. „Was ist das?”
Er sagte: „Kimeraenergie. Heilt übrigens auch die Grundenergievergiftung.”
Ha'gels Energie also”, sagte sie.
„Nein, das ist meine - Ha'gel ist noch zu schwach für derlei Energiespenden.”
Deine”, sagte sie kühl, „Du bist Kimera? Wer bist du?”
Liam - ich bin mit Harmony hier.”
Auf Nahemas Stirn erschien eine steile Falte. „Heile die andere!”, verlangte sie, „dann reden wir weiter.”
„Kein Menschenaufspießen!”, beharrte Harmony.
Die Atavus fauchte: „Vorerst!”, dann zeigte das Global nur noch schwarz.

Liam straffte sich. „Ich würde jetzt die zweite Nahema aus dem Krankenhaus holen, in einem Versteck festsetzen und heilen, während Harmony in Stonehenge den dortigen Signalgeber holt”, sagte er, „Was sagen Sie, Mr. Doors?”
Der Milliardär starrte den Kimera düster an. „Kommt nicht in Frage. Ich sollte Sie einsperren, alle drei.”
„Dürfen Sie gerne versuchen”, murmelte Harmony trocken, „Ist schon Da'an nicht gelungen.”
„Wir sind hier und sollten Mr. Doors Wünsche berücksichtigen”, sagte Liam beruhigend, „Im Moment sind die Atavus keine allzu große Gefahr, da Ha'gel sie mit der richtigen Signalstärke effektiv zu sich verkriechenden Migränepatienten machen kann. Wir haben es also nicht gerade eilig.”
„Dad, bis wir es erfahren, wenn die Atavus Leute aufspießen, dauert es”, widersprach seine Tochter, „Wir sollten bald handeln.”
William räusperte sich. „Ich stimme zu. Jonathan, ich habe gesehen, was ein Atavus anrichten kann.”
Doors wirkte recht unzufrieden.
„Ich werde Nahema aus dem Krankenhaus holen”, sagte der Implantant, „Lili und Harmony holen den Signalgeber. Alle anderen bleiben hier in Verwahrung. Was denken Sie?”
Nach einer langen Bedenksekunde nickte der Milliardär langsam. „Einverstanden.” Er winkte den Bewaffneten. „Ein Isolationszimmer für unsere ... Gäste.”

* * *

Harmony lehnte sich im mittleren Passagiersitz des Shuttles zurück und beobachtete, wie Lili es startete und in die Interdimension brachte. Das speziell für menschliche Piloten gemachte Kontrollinterface war aktiv, aber Harmony wusste, dass Lili durchaus auch das Vollinterface beherrschte, wenngleich noch nicht so flüssig wie die Lili aus Harmonys Universum - oder auch Harmony selbst.
„Bei Stonehenge also”, sagte Lili, „Wo genau?”
Harmony grinste schief. „Stonehenge. Unter einem der kleinsten Steine befindet sich eine Kammer.”
„Und die wurde nie gefunden?”
„Durch virtuelles Glas und andere Spielereien abgeschirmt. Der Stein ist leichter, als er sein müsste.” Sie rückte sich in eine bequemere Position und schlug die Beine übereinander. „Die Kammer wurde in unserem Universum erst gefunden, als das Positionssignal des Signalgebers ausgelöst wurde.”
„Ah.”
„In unserem Universum hatten wir die Erlaubnis des Leiters der planetaren Verteidigung, die Touristen alle wegzuschicken. Hier, fürchte ich, werden wir bis zur Nacht warten und uns dann rein schleichen müssen.”
„Nun, mein Auftrag ist, Sie zu suchen”, sagte Lili, „Boone hat mich hierher geschickt, und genau das werde ich sagen, um die Touristen wegzuschicken. Die Erlaubnis der Companion-Sicherheit habe ich.” Sie wandte sich kurz zu Harmony um. „Können Sie auch eine andere Gestalt annehmen? Das wäre jetzt nützlich.”
„Nein. Dies ist meine menschliche Gestalt - das Jaridianmuster wäre auffällig und meine Energiegestalt erst recht.”
„Das würde ich gerne sehen.”
„Alles zu seiner Zeit”, mahnte Harmony.
Lili runzelte die Stirn. Dann wandte sie sich wieder den Kontrollen zu und schickte eine Nachricht an den Tourismusverband. „Es wird gut zehn Minuten dauern, bis wir freie Bahn haben”, sagte sie, als sie kurz später eine Antwort erhielt, „Wir haben Zeit.”
Die Kimera schmunzelte. „Also gut. Suchen Sie sich einen hübschen Zwischenlandeplatz.”
Nur einen Moment später verließ das Shuttle die Interdimension über einer kargen Wiese, auf der vereinzelt Schnee lag. Lili setzte es sanft auf und deaktivierte den Antrieb, dann drehte sie sich zu Harmony, die bereits ihre übliche körperliche Aliengestalt angenommen hatte - Jaridianmuster und blassgrüne Augen mit blauviolettem Rand.
„Das habe ich bereits gesehen”, sagte Lili nach einem Moment, „Was ist Ihre wahre Gestalt?”
„Ansichtssache. Ich kann auch noch den Taelon nach der Bleichwäsche mimen oder ganz ohne Fassade unterwegs sein, aber üblicherweise laufe ich so rum.” Harmony breitete ihre Arme aus und sah an sich herunter. „Naja, so laufe ich üblicherweise rum”, korrigierte sie sich, während sie Jeans, T-Shirt, Jacke und Schuhe auflöste und ihren üblichen weißglänzenden Anzug mit Spaghettiträgern und Plateauschuhen ausbildete.
Oh”, staunte Lili, „Ihre Kleidung war also ...”
„Nicht echt, nein. Spart viel Geld und den Ärger mit falschen Größen.”
„Aha. Und Ihre Energiegestalt?”
Harmony nahm ihr Global vom Gürtel in die Hand, löste ihre Fassade auf und zeigte weiße, grüne, blaue und orangerote Energiebahnen, bevor sie die kimerianische Fassade formte und den Taelon nach der Bleichwäsche mimte.

Einige Momente lang dachte die Pilotin sichtlich scharf nach, dann öffnete sie den Verschluss des Pilotensessels und stand auf. „Wer sind Sie?”, fragte sie, „Harmony? Jae'yal? Was sind Sie?”
„Mein voller Name ist Harmony Jae'yal Beckett Kincaid, ich bin Mensch, Taelon, Kimera und Jaridian.”
Lili runzelte die Stirn. „Beckett, ja - woher Kincaid? Ihre Mutter?”
„Nein.” Die Kimera schmunzelte. „Mein Vater hatte lange Zeit eine falsche menschliche Identität - ich habe beschlossen, den Namen zu behalten. Ist allerdings noch nicht amtlich ... Bürokratie ist langsam.”
„Wie heißen Sie also amtlich?”
„Jae'yal Beckett. Harmony Kincaid war die falsche Identität.”
„Harmony Kincaid, Mensch”, sagte Lili, „Liam Kincaid, Mensch? Und Ihre Mutter?”
„Ja. Und Irina Colby, Mensch - auch eine falsche Identität. Meine Stiefmutter Abigail, echte Identität, mein Halbbruder Farrell, falsche Identität.” Harmony seufzte leise. „Es ist erst drei Monate her, dass Farrell erfahren hat, dass er mehr als nur ein gewöhnlicher Mensch ist, und erst vor ein paar Tagen haben wir die Identitäten öffentlich platzen lassen.”
„Weshalb?”
„Die Atavus, beziehungsweise deren Handlanger, wollten die Identitäten vor Gericht aufdecken und gegen uns verwenden. Auch wenn wir nicht sicher waren, dass sie die richtigen Identitäten aufzudecken versucht hätten, wir wollten ja nicht unbedingt General Wood und seine Familie reinreiten ...”
„General Wood?”
„Carson Wood ... müsste in diesem Universum derzeit Captain sein, glaube ich.”
Lili runzelte die Stirn. „Ich kenne ihn, flüchtig. Okay - was ist mit mir? Wer bin ich in Ihrem Universum?”
Harmony musterte die Pilotin einige Augenblicke, dann zuckte sie mit den Schultern. „Warum auch nicht? Commander Boone durfte ja schon seinen Sohn kennenlernen, also ... Sie sind verheiratet und haben eine Tochter, einen Sohn, einen Enkel und eine Enkelin.”

„Können Sie das beweisen?”, fragte Lili kühl.

Die Kimera blinzelte verdutzt, das hatte sie nicht erwartet. Aber in ihrem Global mussten durchaus auch etliche Bilder der Marquette-Familie gespeichert sein - nur von Zoriel sollte sie besser nichts zeigen. Sie ließ es aufschnappen, öffnete das Bilderverzeichnis und filterte nach Ariel - und danach, dass Zo'or nicht auf dem Bild sein sollte.
Das erste Bild, das älteste gespeicherte, zeigte zwei planschende kleine Mädchen in hellblauen Badeanzügen in einem aufblasbaren Minipool - samt Ariels Eltern, Liam und sogar Ronny, der vom Blitz die Augen zukniff, und zwei gelben Quietschenten.
„Das ist ja ein ... ein Jaridian? Das ist ein Jaridian?” Lili schielte kurz zu Harmony Stirn, die derzeit allerdings kein Stirnmuster zeigte. „Und mit dem habe ich Kinder?”
„Ja”, antwortete die Kimera knapp, „Das ist Ariel - Cedrik ist drei Jahre jünger.” Sie wischte zum nächsten Bild - über ein Jahrzehnt später: Ariel, Harmony, Cedrik, Vorjak und Liam beim Dosenschießen. Noch ein Bild weiter fehlte Liam, dafür war Lili dabei, ihre Waffe schussbereit auf eine Dose angelegt.
Die Pilotin riss Harmony das Global aus den Händen und ging die Galerie durch. Nach einigen Momenten schob sie das Global wieder zu und gab es zurück. „Okay ...” Sie drehte sich zum Pilotensessel und setzte sich energisch. „Also gut, Stonehenge ...”
Harmony beobachtete die Pilotin dabei, das Shuttle zu starten und ein Stück über die Baumwipfel zu fliegen, bevor sie es in die Interdimension brachte. Der Abstecher war aber nur kurz, bereits wenige Sekunden später erreichten sie Stonehenge - menschenleer.
Lili landete das Shuttle kurzerhand mitten im Steinkreis und wies Harmony an, wieder menschlich auszusehen, falls sie beobachtet wurden.

Tatsächlich war der Eingang zur Atavus-Kammer knapp außerhalb des Steinkreises und die beiden Frauen mühten sich an einem tonnenschweren flachen Stein ab - erfolglos. Harmony setzte sich schließlich frustriert auf den Stein und knurrte: „Kann doch nicht sein! Warum konnten Ronny und Wood den Stein heben und wir ruckeln nicht mal dran?”
„Vielleicht ist hier nichts”, sagte Lili, „Es ist nicht Ihr Universum.”
Die Kimera schüttelte den Kopf. „Die Kammern gibt es seit Millionen von Jahren, da waren unsere Universen noch dasselbe.”
„Unter einem anderen Stein?”
„Nein ...” Harmony starrte den Stein an und runzelte den Stirn. „Es ist dieser Stein, und etwas ist merkwürdig an ihm ...” Sie konzentrierte sich, blickte in mehr Dimensionen. „Da ist eine Sperre ... sie muss irgendwie gelöst werden können.” Sie stand auf und sah sich um.
Und da war es, mitten auf dem Stein. Ein verborgener Schalter ... und sowie Harmony ihn wahrnahm, löste sich die Sperre hörbar. Wie war das möglich? Wie konnte ein Schalter allein durch einen Blick ausgelöst werden?
Ma'el ... das musste Ma'els Werk sein.
„Klang nach einem Schloss”, stellte Lili verdutzt fest, „Meinen Sie, der Stein ist jetzt irgendwie leichter?”
Harmony griff zu und hob gemeinsam mit der Pilotin den jetzt tatsächlich nur mehr mäßig schweren Stein an. „Ich denke eher, das ist kein Stein und er wurde durch ein Energiefeld in Position gehalten.” Sie wuchteten den angeblichen Stein beiseite, darunter kam eine Leiter zum Vorschein.
Lili kletterte als erste hinunter und zückte eine Taschenlampe. „Wie kam der hier rein?”, fragte sie und wies auf den toten Ritter.
„Er muss den Schalter ausgelöst haben ... das bedeutet, er muss Ma'els genetische Modifikationen gehabt haben. Ein Mensch kann den Schalter sonst nicht mal sehen.” Harmony stieg in die Kammer und sah sich um - es war alles so, wie es in ihrem Universum gewesen war.
Langsam trat Lili weiter in die Kammer, vor einem Podest und dem darauf abgestellten wuchtigen tiefgrünen Kristall blieb sie stehen. „Ist es das, was wir suchen?” Sie berührte es vorsichtig und strich über die Bruchkante an der Spitze. „Es ist beschädigt.”
„Es kann repariert werden”, sagte Harmony und wies auf ein rundes Loch im Boden, „Da unten ist der Rest von dem Ding.”
Lili hob eine Braue, rührte sich aber weiter nicht.
„Ich hole das Teil”, seufzte Harmony und sprang hinunter, nach etwas Suche im Dreck fand sie den Rest des grünen Kristalls. Sie warf ihn hoch und mühte sich dann ab, an der fast glatten Wand selbst nach oben zu gelangen - gerne ergriff sie die gebotene Hand.

Einen Moment später prallte sie schmerzhaft gegen eine Wand der Kammer.

„Ungeziefer! Wilde!”, fauchte Gren sie an, „Ihr tötet, die den Bann brechen wollen! Zerstört ein Geschenk!” Er fuhr seine Krallen aus. „Weshalb soll ich mich halten?”, schrie er, „Euer Krieger hat Eure Hoffnung zerbrochen, Euer Verderben lastet auf ihm!”
„Er war nicht mein Krieger!”, gab Harmony knurrend zurück und ließ ihre Energiebahnen durchscheinen - Gren wich verdutzt zurück. „Wo ist meine Begleiterin?”
Er sah zum Eingang, Harmony folgte seinem Blick und sah Lili neben dem Ritterskelett liegen.
„Lebt sie?”, fragte die Kimera eisig.
Gren trat einen Schritt zurück. „Noch”, sagte er, wobei ihm sichtlich unwohl war.
Harmony wandte sich von ihm ab und eilte zu Lili. Tatsächlich war der Zustand der Pilotin nicht gar so übel wie befürchtet - sie hatte zwar zwei tiefe Stiche in der Seite, aber mit etwas Energie würde sie schnell wieder auf die Beine kommen. Vermutlich hatte Gren eher mit rein irdischer Medizin des 16. Jahrhunderts gerechnet.
Während die Kimera ihre Energie an Lili übertrug, wurde sie vom Atavus beobachtet. „Verzeiht, Mylady, mein Angriff auf Euch und Eure Begleiterin war unangebracht”, sagte er schließlich, „Was für mich zuletzt geschah, war der Tod meiner Gefährtin, ich war noch wütend.”
„Und das, wo dir doch wohl bewusst sein sollte, wie viel Zeit die Stasis überbrücken kann ...”, murmelte Harmony. Lili regte sich inzwischen und schlug matt die Augen auf. „Captain Marquette, wie fühlen Sie sich?”
„Es geht ... danke.”
„Ich unterwerfe mich und bitte um Gnade, Mylady”, sagte Gren und verneigte sich wieder.
Lili zog die Stirn in tiefe Runzeln. „Sie haben den Kerl gezähmt, Harmony?”, fragte sie, „Warum hat sich seine Stasiskapsel geöffnet?”
„Es wurde eine Annäherung erkannt, Captain, Mylady.” Er hielt die abgebrochene Spitze des Kristalls in den Händen und streckte sie den beiden Frauen entgegen. „Mylady ...”, sagte er dann zögernd, „gestattet die Frage, stammt Ihr von Sir Ma'el?”
Harmony nickte knapp. „Er zählt zu meinen Vorfahren.”
Er verneigte sich wieder, tiefer als zuvor. „Dann hoffe ich wieder für die Meinen und die Menschen, Mylady. Mein Name ist Gren.”
„Es reicht mit Mylady! Ich bin Harmony! Niemand hat mich jemals geadelt und ich habe nicht vor, das mal jemanden tun zu lassen. Danke.”
„Ja ... Harmony.” Er setzte an, sich zu verneigen, verkniff es sich aber diesmal.
Lili stemmte sich hoch, ächzte und ließ sich wieder in eine liegende Position sinken. „Ich fürchte, ich kann da nicht wieder rauf klettern.” Sie wies die Leiter hoch.
Gren straffte sich. „Ich trage Euch, wenn Ihr gestattet, Captain.”
Sie musterte ihn mit kritisch gerunzelter Stirn - viel schien sie von diesem Vorschlag nicht zu halten.
„Ich hole das Shuttle und lasse ein Seil runter”, beschloss Harmony, „dann machen wir eine Schlaufe und ziehen Sie sitzend rauf.” Sie kletterte kurzerhand aus der Höhle.
Das Shuttle stand dort, wo Lili es gelandet hatte. Jetzt nahm Harmony auf dem Pilotensitz Platz und dirigierte das Fluggerät genau über den Höhleneingang, dort fuhr sie den Greifer aus - das war zwar ein dünnes Stahlseil mit Haken am Ende, aber auch daraus ließ sich eine Schlaufe machen. Gren machte auch ebendies und rief kaum später hoch, dass Harmony Lili hochziehen konnte.
Schließlich saß Lili im Shuttle, auf einem weiteren Passagiersitz lagen beide Bruchstücke des grünen Kristalls. Harmony und Gren unterdessen hoben den Stein wieder auf den Höhleneingang - und sowie der Stein dort lag, rastete das multidimensionale Schloss ein.
„Gestattet die Frage, Harmony”, sagte Gren, „Wie lange ist es her?”
„Wann bist du denn zuletzt erwacht?”
„1588.”
„Jetzt ist 2012, also ist das 424 Jahre her.”
Gren richtete sich auf und sah die Kimera an. „424 Jahre. Dieses Shuttle wurde von Taelons gebaut - die Taelons sind also hier? Sir Ma'el hat das befürchtet ... ist meine Hoffnung vergebens? Droht Zerstörung von den Taelons?”
Harmony seufzte. „Sie sind hier, ja, und es droht Zerstörung.” Sie sprang auf den Stein und von dort ins Shuttle, wo sie sich auf den Pilotenplatz setzte. „Komm, wir müssen los.”

 

Ende Kapitel 6

 

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