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  „Licht” von Veria,   April 2018
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Louise, Jay und Corinna müssen sich zurechtfinden.
Zeitpunkt:  direkt anschließend
Charaktere: Louise, Jay, Corinna, Dominic, Licau, Melissa, William, Terry, (Liam, Ha'gel, Harmony, [Ronald, Siobhán, Da'an, Lili, Nahema]
 
 

 

LICHT

Kapitel 5: Widerschein II

 

Louise prallte aus blauem Wirbeln heraus gegen einen Holzverschlag und durch dessen dünne Bretterwand hindurch, dass sie zwischen Rasenmäher und Harke zu liegen kam. Von draußen erklang ein dumpfer Schmerzenslaut - Jay. Corinna? Sie hatten versucht, Corinna beiseite zu stoßen! Louise schob sich ächzend rückwärts durch das Loch in der Wand und sah sich kurz um.
Vor allem sah sie Sterne, aber sie erkannte Jay und auch Corinna, die sich mit Tränen in den Augen auf den linken Jackenärmel biss und sich die rechte, blutige Hand gegen den Kopf hielt.
„Hey, lass sehen”, murmelte Lou und strich Corinnas Hand aus dem Weg, ein Schnitt an der Stirn blutete stark. Schmerzhaft, aber harmlos - Lou öffnete ihre Handtasche, holte das Desinfektionsmittel, ein steriles Tuch und ein Fibrin-Pflaster heraus, kaum eine Minute später war Corinna erfolgreich verarztet. „Passt, wird wieder.”
„Tut immer noch weh.”
„Wehleidige Nudel.”
Jay starrte missmutig auf sein geöffnetes Global. „Gehen eure?”, fragte er, „Meins bleibt schwarz.”
Lou grub zwischen Notfallmedikamenten, Lippenstift und Geldbörse ihr Global aus und ließ es aufschnappen - schwarz. „Fehlanzeige.”
„Auch tot”, kam von Corinna.
„Und jetzt sind wir wohl auch in dem Universum, wo Nahema ihr Unwesen treibt”, seufzte Jay, „Ich werde lieber nicht aufgespießt.”
Lou starrte ihn an. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht - und das Aufgespießtwerden war bei einer Atavus auf einem ganzen Planeten auch noch das deutlich geringere Problem, als die Tatsache, dass sie ohne Rückweg im falschen Universum festsaßen!
„Sehen wir uns mal um”, schlug Corinna vor, „Das lenkt mich auch von meinem Brummschädel ab.”
„Und mich von meinem”, ergänzte Jay. Lou stopfte ihr Global wieder zurück in die Handtasche und half ihrer Freundin dann hoch. Jay spähte kurz in den Bretterverschlag und stapfte dann voran.
Sie waren in einer Art Park oder Garten gelandet. Die Wiese war gemäht, die kahlen Bäume standen nicht sehr dicht, einige ebenso kahle Hecken waren sorgfältig getrimmt.
„Wo bist du denn dagegen gedonnert, Jay?”, schaffte Lou schließlich zu fragen.
„Nirgendwo. Mein Schädel brummt seit Tagen immer wieder.”
„Das hättest du mir auch vor Tagen sagen können”, gab sie zurück, „oder weißt du, woran es liegt?”
„Ist doch nur Kopfweh, das geht schon wieder weg. Kural hat mir letztes Mal ja auch bloß gesagt, ich soll aus dem Stress raus.”
„Wo hast du Stress? Interspezies-Mediatoren werden doch kaum mehr gebraucht.”
„Ja eben!”, sagte er, „Drum darf ich jetzt Eheberatung machen - ist ja eh dasselbe, Frauen sind ja von der Venus.”
„Deine Venus hustet dir gleich was!”, knurrte Corinna.
Louise seufzte, fuhr sich durch die Haare und steckte dann die Hände in die Hosentaschen. Wie nahmen die beiden die Situation so locker? Aber sie waren gemeinsam hier - Lou fühlte sich beinahe begraben unter der Angst, Mann und Sohn nicht wiederzusehen.
Inzwischen war eine Straße in Sicht, Jay hielt auf eine Lücke in der den Park umgebenden Hecke zu.
Corinna lief los und hob ein zerrissenes Stück Zeitung auf.
„2012”, sagte sie, „und es ist die Washington Post.”
„Heißt nichts, die wird auch in Australien verkauft”, kam von Jay.
„Wir sind aber nicht in Australien, Jay”, sagte Corinna und wies zurück auf den Park, „Die Bäume da gibt es dort nämlich nicht.” Sie runzelte die Stirn und wies auf ein Plakat für eine Taelon-Sonderausstellung. „Und Werbung fürs Smithsonian auch nicht.” Sie ging einen Schritt zur Seite, als eine Frau einen Kinderwagen in den Park schob. „Gehen wir einfach mal geradeaus, bis wir eine Ahnung haben, wo wir sind”, schlug sie dann vor, „Kommt!”

Diese Vorgehensweise war tatsächlich von Erfolg gekrönt - nach gut zehn Minuten war klar, ja, sie befanden sich in Washington, aber leider trotzdem fernab vom Schuss: am Stadtrand. Und in Washington konnte man sehr weit geradeaus laufen, bis man am anderen Ende wieder heraus kam.
Ein Busticket war leider keine Option - Lou und Jay hatten zwar Geld mit, aber Kunstfaserscheine mit Ma'el drauf waren hier nichts wert.
Also machten sie den Stadtspaziergang ihres Lebens. Es dämmerte, es wurde dunkel, und es wurde leider auch empfindlich kalt - da war die Obdachlosenunterkunft definitiv eine sehr gute Idee. Man musste nur die Plakate, die einen aufforderten, Freiwilliger zu werden, ignorieren. Und die Broschüren der Kirche der Companions. Und das merkwürdig riechende Essen.
Und Jays Gejammer wegen seiner Kopfschmerzen. Damit das endlich aufhörte, gab Lou ihm eine ordentliche Schmerztablette. Männer waren Memmen - Corinna ertrug ihre Kopfschmerzen nämlich sehr tapfer und vor allem leise.

* * *

Louise spürte einen Schlag und spannte sich an, dann riss sie die Augen auf und schnellte hoch. Im nächsten Moment tastete sie nach ihrer Handtasche, vorhanden, und entspannte sich wieder.
„Lou!”, flüsterte Jay.
„Was ist?”, gab sie leise zurück.
„Mir ist total übel und ich hab schwarze Flecken vor den Augen.”
Kunststück - es war abgesehen vom Notausgangsschild dunkel hier drin. „Gehirnerschütterung? Hast du dir wirklich nirgendwo die Birne angehaut?”
„Wirklich nicht!”
Louise seufzte und griff in ihre Handtasche, gleich darauf hatte sie ein breites Gummiband in der Hand und wickelte es um Jays Oberarm - die Technik im Gummiband funktionierte tatsächlich noch, das Band drückte Jays Arm gut zusammen und ließ dann wieder locker. Eine kleine Anzeige in der Mitte gab das Ergebnis aus: Der Herzschlag war viel zu schnell, der Blutdruck viel zu niedrig.
„So, Jay, jetzt erzähl mal, wie lang hast du die Kopfschmerzen? War dir vorher schon übel? Schwindel? Atemnot? Ist dir kalt oder heiß?”
„Kalt, aber schwitzen tu ich auch, schwindelig, übel war mir letzte Nacht schon mal, aber da hatte ich auch einige Schnäpse intus. Was Ariel und Frank so runterstellen ...” Er überlegte kurz. „Seit vier Tagen so, die Kopfschmerzen, waren aber zu Anfang total harmlos. Atemnot ... eher nicht, ich hab nur ein bisschen das Gefühl, ich kann geradeso tief genug einatmen.”
„Lieber Jay, du hast ein Problem”, sagte Lou, „Die Symptome sind zwar eigentlich ganz und gar nicht eindeutig - aber bei dir ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass du die Familienkrankheit hast.”
„Nicht doch!”
„Doch. Das ist die böse Blutkrankheit.”
„Und was mache ich jetzt?”
Louise zog ihm das Gummiband vom Arm und stopfte es in ihre Tasche. „Ein Verwandter ersten Grades in der Nähe fällt mir da ein - aber wir müssen höllisch aufpassen”, sagte sie, „Außerdem brauche ich mehr Ausrüstung, eine direkte Transfusion überlebst du nämlich nicht. Blutgruppen sind doof.” Sie runzelte die Stirn. „2012”, murmelte sie, „Ich denke, ich gehe zu Melissa.”
„Mit etwas Glück kriegen wir über sie auch Kontakt zu Harmony”, warf Corinna ein - sie war also auch wach, „Ich meine, Harmony hat gesehen, dass uns der Blitz getroffen hat, sie muss vermuten, dass wir auch hier sind.”
Harmony!
Warum hatte Lou nicht an Harmony gedacht? Harmony war im Portal gestanden und Harmony hatte den Blitz definitiv gesehen. Harmony wusste, dass sie hier waren, und Harmony hatte das Rückkehrportal.
So düster sah die Situation also doch nicht aus.
Lou griff in ihre Handtasche und holte eine kleine Fertigspritze und ein Lämpchen heraus, kurz überprüfte sie, ob sie das richtige Medikament erwischt hatte. „Jay, ich gebe dir jetzt etwas Heftiges, was dich vorerst mal aufputschen sollte - aber es ist nur Symptombehandlung und kein Freifahrtschein für unsinnige Anstrengungen, und nach einer Stunde spätestens liegst du komplett flach.” Sie fasste seinen Arm, traf auf Anhieb die Vene und drückte die Ampulle durch.
„Aua.”
„Hättest du halt vorher gesagt, dass du Kopfweh hast! Dann wäre das daheim schon behandelt worden!”
Aua!”, wiederholte er ärgerlich.
Louise packte die Spritze wieder ein, schob sich von der Matratze und ging zur Türe - abgeschlossen. Wieso wurden da die Obdachlosen über Nacht eingeschlossen? Corinna wandte sich schon dem Notausgang zu und benutzte selbigen. Dahinter war eine Feuertreppe, die drei liefen diese hinunter und dann die laternenbeschienene Straße entlang.
„Wie weit ist es?”, fragte Jay fröstelnd.
„Zehn Minuten ungefähr”, sagte Lou, zog ihre Jacke aus und legte sie um seine Schultern - Corinna folgte diesem Beispiel sofort.

Klar war es kalt, aber Gesunde kamen damit besser klar als ein Kranker.

Nach gut zehn Minuten betrat Lou das Krankenhaus und steuerte die Schwester am Empfangsschalter an. „Hi, Dr. Louise Muldoon - könnten Sie Dr. Park eine Nachricht von mir geben?”
„Natürlich - Louise Muldoon war der Name?” Die Schwester griff nach ihrem Telefon und tippte zugleich auf ihren Computerbildschirm.
„Geborene Bernards, von Muldoon weiß sie noch nichts. Sagen Sie ihr, ich habe hier einen Fall von Kimber-Syndrom und hätte gerne ihre zweite Meinung.”
Die Empfangsschwester nickte knapp, tippte wieder auf den Bildschirm und hielt sich das Telefon dann ans Ohr. „Sie haben Glück, sie wurde gerade vor einer halben Stunde aus der Bereitschaft gerufen. Sie ist da.” Sie wartete kurz. „Melissa? Ja, eine Dr. Louise Muldoon, geborene Bernards, hätte gerne eine zweite Meinung von Ihnen.” Pause. „Kimber-Syndrom, sagt sie.” Pause. „Ja, klar.” Die Schwester legte ihr Telefon wieder hin und lächelte Lou an. „Sie kommt rauf, warten Sie bitte da drüben.”
Louise nickte und schob Corinna und Jay zum Wartebereich - Jay war sichtlich äußerst dankbar auch für einen so unbequemen Stuhl mit möglicherweise ansteckenden Sitznachbarn.

Wenige Minuten später kam Melissa durch eine Sicherheitstüre, Lou sprang auf und ging ihr entgegen. „Hi. Bitte lassen Sie es mich erklären.”
„Das ist nötig!”, gab Melissa kühl zurück, „Wer sind Sie?” Sie musterte Louise, die ihre Geldbörse aus der Handtasche zog und geöffnet der Ärztin entgegenstreckte - links zwei Familienfotos, rechts der Ausweis. Melissas Blick blieb am Geburtsdatum hängen. „Wie soll ich das verstehen?”
„Ich musste mich für meine Mutter ausgeben, tut mir leid.” Sie sah kurz zur Empfangsschwester, die zum Glück offenbar nichts gehört hatte. „Können wir irgendwo ungestört reden?”, fragte sie und, mit einem Wink in Jays Richtung ergänzte sie: „Bevorzugt mit Bett für meinen Patienten. Er ist völlig fertig.”
Melissas Blick schweifte zum Kranken, dann nickte sie. „Gut, kommen Sie.” Zur Schwester gewandt sagte sie lauter: „Dora, ich muss für eine Stunde oder so weg. Wenn Boone mich sucht, rufen Sie mich an, dann bin ich gleich da.”
„Geht klar.”
Corinna half Jay auf, auch Louise stützte ihn, dann folgten sie Melissa aus dem Krankenhaus und auf den Parkplatz - warum hinaus? Jay brauchte ein Bett! Melissa hielt den dreien die Autotüren auf und steuerte ihr Fahrzeug dann in die nächste Querstraße, wo sie vor einem Tacoladen stehen blieb.

„So. Also?”

Louise auf dem Beifahrersitz atmete tief durch. „Ein Portal hatte eine Fehlfunktion, irgendwie hat es mehr Leute in der Umgebung erfasst und das Ziel ist auch nicht, was man so erwartet”, sagte sie, „Wir sind um dreißig Jahre in der Zeit verschoben in einem geringfügig anderen Universum als unserem.”
„Und Sie sind Louise Bernards' Tochter.”
„Richtig - und das sind Jason und Corinna Martínez.” Sie wies mit dem Daumen nach hinten. „Er hat leider seine blöde Erbkrankheit und mir fehlt hier die Möglichkeit, einfach zu seinen Eltern zu gehen und einen Liter Blut zu verlangen. Ich brauche Ihre Hilfe.”
Melissa sah nach hinten und runzelte die Stirn. „Ich kann auch nicht einfach zu Leuten gehen und Blut verlangen.”
„Aber vielleicht können Sie ihm ein Krankenbett verschaffen. Für das Blut grüble ich noch an einer Lösung.” Lou seufzte. „Vielleicht betätige ich mich ja vampirisch und beiße seinem Dad in den Hals.”

„Uh ...”, ächzte Jay, „Drakulouise!”

Melissa sah wieder zu Louise und dieser tief in die Augen. „Es wäre hilfreich, neue, zukünftige, Informationen zu erhalten - Sie sagen, Sie sind nicht in Ihrem eigenen Universum, also laufen Sie wohl nicht Gefahr, Ihre Vergangenheit zu ändern.”
„Richtig.”
„Was können Sie mir also sagen?”
„Den Taelons geht die Energie aus”, ergriff Jay das Wort, „und die Jaridians packen es auch nicht mehr. Mit letzter Kraft zoffen die sich aber lieber, statt gemeinsam eine Lösung zu suchen. Und zoffen heißt bei den Taelons, irgendwelche Spezies zu versklaven und als Kanonenfutter zu verheizen.”
Corinna ergänzte: „Dafür die Freiwilligen.”
„Und wissen Sie auch, was jetzt gerade los ist und mich meine Nachtruhe kostet?”, fragte Melissa, sichtlich nicht überzeugt.
Lou runzelte die Stirn. „Nun ... wenn ich das Datum wüsste, vielleicht. Aber es ist eher wahrscheinlich, dass es historisch nicht so bedeutsam ist.”
„23. ... nein, inzwischen 24. Jänner 2012.”
„Oh!”, machte Jay, „Ha'gel!”
„Erzählen Sie!”, verlangte Melissa perplex.
„Tja, er ist der letzte seiner Art, die die Taelons ansonsten vollständig ausradiert haben, er sieht das als Anlass, sich mit Menschen fortzupflanzen, nimmt menschliche Gestalt an und geht auf Balz.”
Balz?”
„Kneipe, flirten, ... bisschen Gedankenkontrolle ... mir ist total kalt und ich ich kotz gleich, bitte ... Hilfe ...”
Louise kletterte mit den Knien auf den Sitz und griff nach hinten, sie zog ein Augenlid des jetzt Bewusstlosen hoch, dann das andere, wobei sie jeweils ins Auge leuchtete. Als nächstes klebte sie Jay einen winzigen Sensor gegen die Halsschlagader - der noch winzigere Lautsprecher begann sofort, mit dem rasenden Herzschlag zu fiepen. „Corinna, sorg dafür, dass er nicht auf dem Rücken liegt”, bestimmte sie, „aber er muss liegen, am besten die Beine auch irgendwie auf den Sitz.”
„Klar. Giftgrüne Scheiße aber auch ...”
Matt setzte Louise sich wieder richtig hin und sah zu Melissa. „Dr. Park”, sagte sie flehend, „bitte helfen Sie.”
Melissa seufzte kurz, dann startete sie das Auto wieder und fuhr los.

Weit fuhr sie auch diesmal nicht, zurück zum Krankenhaus, allerdings auf die andere Seite, vor die Notaufnahme - Melissa veranlasste, dass Jay (ohne fiependen Sensor und auch ohne Geldtasche und Global, diese Dinge hatte nun Corinna) auf einer Trage hineingebracht wurde, meldete ihn als John Doe an und bat darum, ständig auf dem Laufenden gehalten zu werden.

Als Melissa wieder im Auto saß, atmete sie erst mal tief durch, dann fragte sie: „Zu wem muss ich gehen und einen Liter Blut besorgen?”
Lou verzog das Gesicht. „Ronald Sandoval.”
Melissa ließ ihren Unterkiefer fallen. „Was?” Sie wandte sich um und streckte eine Hand nach hinten. „Geben Sie seinen Ausweis her!” Corinna reichte ihr zittrig Jays Geldtasche, Melissa klappte sie auf und zupfte den Ausweis heraus. „Jason Martínez, geboren am vierten Jänner 2015.” In einem weiteren Fach fand die Ärztin dann drei Fotos mit ausgefransten Rändern - die drei Ampelbrüder mit Schild, Schwert und Eltern, ein Foto von Corinna mit Blumenkranz im kurzen braunen Haar und ein Foto von allen vier, hier erwachsenen, Brüdern, wobei auch Liam dunkle Schlitzaugen hatte.
Einige Augenblicke war es absolut still.
„Ronald Sandoval mit Frau und vier Kindern ...”, murmelte Melissa dann, „Unglaublich.”
„Richtig - aber nur, so lange er den Imperativ hat”, sagte Louise, „Lange Geschichte. In unserem Universum wurde er ihn jedenfalls los.”

An Melissas Gürtel piepste ein Global los, die Ärztin griff danach und ließ es aufschnappen. „Park, ja?”
„Boone sucht nach Ihnen.”
„Danke, Dora, bin gleich da.” Sie schob das Global zu und hakte es zurück an den Gürtel, dann fuhr sie los. „Sie bleiben im Auto”, bestimmte sie dann, „Schlafen Sie meinetwegen eine Runde.”
„Ich glaube nicht, dass ich schlafen kann ...”, murmelte Corinna, „Ich bin nicht bei Jay, ich lasse ihn ganz alleine.”
„Aber dort würdest du gefragt, wer du bist”, sagte Lou, „und keine Sorge, die können ihn problemlos ein paar Tage stabil halten, auch ohne die Transfusion.”
Corinna seufzte ausgiebig.
Als Melissa wenig später wieder auf den Parkplatz vor dem Haupteingang des Krankenhauses einbog, richtete Louise sich auf und streckte den Zeigefinger nach vorne. „Hey, da drüben!”, sagte sie energisch, „Den Pulli erkenne ich sofort!” Blassgrün und weiß gemasert, glänzend und recht eng - und drin steckte ein Jugendlicher mit rotbraunen Haaren, der an einer Wand lehnend beiläufig Tannenzapfen jonglierte. „Das ist Dominic!”, rief sie, „Corinna! Der stand ungefähr hinter uns, also hat der Blitz ihn auch getroffen.”
„Wie weit ging der Blitz noch?”, fragte Corinna besorgt.
„Weiß nicht. Weiß auch nicht, wer da noch so stand. Aber der Pulli fällt einfach überall auf.”
„Ja, der ist ein Freak ...”
Melissa parkte ihr Fahrzeug, stieg aber noch nicht aus. „Wer ist das?”, fragte sie.
„Dominic Marchese”, sagte Louise, „auch aus unserem Universum.”
Corinna ergänzte kurzerhand: „Und William Boones Sohn.”
Melissa seufzte. „Warten Sie bitte im Auto.” Dann stieg sie aus und eilte ins Krankenhaus.

Sowie Melissa im Gebäude war, stieg Lou aus und reckte sich. „Hi, Dominic! Komm mal her.”
Der Jugendliche starrte sie erst verdutzt, dann erleichtert an, warf seine Tannenzapfen in ein karges Blumenbeet, griff nach einem Plastik-Einkaufssack und kam zum Auto. „Ihr seid da, puh, ... wo ist Jay? Den hat es auch getroffen, oder?”
„Ja. Krankenbett. Bist du allein da?”
„Nein, Licau ist auch rum”, sagte er, „Sie macht einen Abstecher zur Kirche. Wir dachten, hier und dort sind die wahrscheinlichsten Treffpunkte, offenbar sind wir geographisch ganz schön zerstreut angekommen.”
„Okay - weißt du, ob hinter dir noch jemand war?”
„Street und die Melone. Das Ding hat vermutlich das Portal gestört.” Er öffnete die hintere Autotür und setzte sich neben Corinna, auch Lou stieg wieder ein. „Licau kommt gleich wieder zurück”, sagte Dominic, „sie will nur ein Zeichen anbringen.”
„Ein Zeichen?”, fragte Corinna.
„Das Logo von den Kimeran Green Wolves.”
„Das ist doch ein Eunoia-Symbol, oder? Also ist es hier nicht ganz unverständlich.”
Er grinste. „Es ist vereinfacht, das ganze Zeichen heißt so etwas wie jagendes Wesen - aber warum sollten die Taelons wegen Graffiti gefragt werden? Das putzt in den nächsten Tagen jemand weg, Notiz in den Akten, Sache grün.”
„Okay.”
„Eigentlich müssten unsere Atome in der Interdimension zerstreut sein”, sagte er, „Ein Portal erzeugt genau eine Transportblase, aber wir hatten nicht nur eine, sonst wären wir alle am selben Ort angekommen.”
Lou runzelte die Stirn. „Worauf willst du hinaus.”
„Harmony hat uns eingepackt, möglicherweise sogar erst mal zusammengesetzt.”

Da mauserte sich der Kimera-Freak zum Interdimensionsspezialisten, weil er alles aufsog, was es über Harmonys Fähigkeiten zu erfahren gab.

„Was meinst du, wann Licau hier ist?”, fragte Corinna.
Er zuckte mit den Schultern. „Zehn, zwanzig Minuten, sie ist schon eine Weile weg.” Unter heftigem Rascheln hob er den Einkaufssack auf seine Knie. „Habt ihr Hunger? Ich hab Brot und Äpfel.”
„Womit warst du denn einkaufen?”
Wieder Schulterzucken. „Beim Skaterpark fand einer meine Schuhe so grüncool, dass er sie haben wollte. Jetzt hab ich seine und 40 Dollar.”

Schuhe. Schuhe! Richtig! Dominic hatte doch eigentlich auch weiß und blassgrün glänzende Schuhe mit Schuhbändeln, die im Dunkeln leuchteten! - Und jetzt hatte er sie nicht mehr, sondern weiß-blaue Skaterschuhe.

Dominics Einkäufe kamen aber jedenfalls sehr gelegen, denn langsam meldete sich der Hunger. Lou riss ein Stück vom Baguette ab und biss hinein. „Wie sieht es denn mit Licaus Hunger aus?”, fragte sie dann mit vollem Mund.
„Sie hat eine Energiekapsel immer dabei”, sagte Dominic, „Du, sag mal, das könnte doch Jay helfen, oder? Was hat er denn?”
„Die böse Blutkrankheit - helfen kann es, ja, aber man braucht ziemlich viel.”
„Hm.” Er rubbelte mit seinem Ärmel über einen Apfel und biss von selbigem dann ein Stück ab.
„Licau darf mich piksen”, sagte Corinna, „und die Kapsel kriegt Jay.” Sie riss ein Stück Brot ab. „Wenn die blöden Globals tun würden!”, ärgerte sie sich, „Oder geht deines, Dominic?” Er schüttelte nur kauend den Kopf.
„Blöde Globals”, murmelte Lou, „Vince hat gesagt, ich muss mir ein ganz tolles neues kaufen. Ich dachte mir eher: Wozu denn? Das alte tut doch noch.” Sie seufzte knapp. „Naja, wenn wir zurück sind, verwende ich wohl wieder das alte, das ganz tolle neue ist ja tot.” Wenn sie zurück wären. Louise vertrieb den Gedanken und nahm einen Bissen vom Brot. Harmony würde es schon richten. Sie musste.
„Das sind Interdimensions-Antennen”, überlegte Dominic.
Corinna nickte. „Ja, darum reichen die so weit.”
„Die sind empfindlich. Die werden bei der Herstellung irgendwie geeicht und ein Teil davon läuft dann ständig durch, die haben ihre eigene kleine Batterie dafür.”
„Ja, und?”
„Naja, wenn die Globals in Atome zerlegt waren, ist das Teil jetzt ja nicht mehr geeicht.” Er griff in seine Hosentasche und an seinen Gürtel und machte sich dann mit dem Schraubenzieher eines Taschenmessers an seinem Global zu schaffen.
Louise runzelte die Stirn. Aber Dominic gehörte zu einer anderen Generation als Lou und Corinna, für ihn war all die moderne Interdimensionstechnologie Alltag, während Lou in ihrer Jugend bestenfalls ... nein, ging es so schnell? Sie war noch keine dreißig, da kannte sie sich mit alltäglichen Dingen schon nicht mehr aus?
Sie nahm einen großen Bissen Brot und kaute missmutig darauf herum.
Dominic hatte inzwischen die Sendeplatine befreit (wenigstens wusste Lou, welche das war) und zupfte einen Kontaktstecker ab - das wurde von einem Piepsen quittiert und das Global bootete.
Ernsthaft ...”, murmelte Corinna staunend.
Der Jugendliche grinste zufrieden, drückte die Abdeckung zu und schraubte sie an - dann forderte er die Globals der beiden Frauen und auch Jays, um sie ebenfalls zu reparieren.
Ohne NCS allerdings war die Sendereichweite natürlich sehr begrenzt.

Gerade waren die drei Globals repariert, zeigte Dominic aus dem Fenster - eine adrett in einen hellblauen Hosenanzug gekleidete junge Dame mit weißem Hidschab und hellgrauer Handtasche spazierte die Straße entlang. „Guckt, da ist Licau!” Er klopfte gegen die Scheibe - Licau hörte es und trat näher. Corinna öffnete die Tür und ließ sie auf die Rückbank.
„Schön, euch zu sehen”, sagte die Atavus lächelnd.
„Gib mir dein Global, ich muss den NCS-Chip abstecken”, verlangte Dominic, „Dann geht es wieder - halt ohne NCS.”
„Ohne was?”
Next Communication System - da ist eine Interdimensions-Antenne drin.”
„Ah, und die wurde durch das Durcheinander gestört.”
„Genau.”
Louise musterte die bestgekleidete Atavus dieses und auch des anderen Universums. Mit einem Hidschab, der die Stirn verdeckte, ging Licau problemlos als Mensch durch - und noch dazu sah dieses Kleidungsstück bei ihr einfach gut aus! Aber in Clearwater hatte sie es noch nicht gehabt. „Wo ist denn der Hidschab her?”, fragte Lou.
„Oh, da ist ein ägyptisches Kleidergeschäft ein Block vom Skaterpark weg”, murmelte Dominic schraubend.
„Ah.”
Schritte waren zu hören, Louise wandte den Kopf und sah hinaus. Melissa und Will kamen herbei und öffneten gleich zwei Türen. „Steigen Sie bitte aus”, verlangte er.
„Klar, ich muss nur noch kurz ... giftgrün, jetzt ist die Schraube weg.” Dennoch quittierte auch Licaus Global mit einem Piepsen. „Ach egal”, beschloss Dominic dann, „Schrauben sind ersetzbar.”
Louise stieg nun wie gefordert aus, die drei auf der Rückbank kletterten auch aus dem Auto. Dominic warf ein Apfelkerngehäuse in einen immergrünen kleinen Busch. Melissa schlug die Türen zu und sperrte den Wagen ab, William musterte die vier Dimensionsreisenden.
Auffällig schien offensichtlich auch ihm Dominics Pulli, außerdem blieb sein Blick am Fibrin-Pflaster auf Corinnas Stirn hängen. „Kommen Sie bitte mit”, forderte er die vier dann auf, Melissa ging voran, William machte den Schluss.

Sie gingen ins Krankenhaus, durch die Sicherheitstüre und dahinter eine Treppe hinunter bis in die Gerichtsmedizin, wobei Melissa bei jeder Türe eine Karte an einen Leser halten musste. Auf einer metallenen Liege lag mit abwehrend ausgestreckten Armen ein brauner Kokon - eines von Ha'gels Opfern. Daneben saß ein reichlich nervöser junger Mann, der jetzt sichtlich erleichtert die Fliege machte.
„Ich konnte ihn nicht alleine lassen”, erklärte Melissa, „Was, wenn er in meiner Abwesenheit aufgewacht wäre?”
„Die Waffe, die in seiner Nähe lag, wurde identifiziert”, sagte William, „Es ist die Dienstwaffe von Terence Costello, Maryland State Police. Costello hat zuletzt Verstärkung zum Flat Planet gerufen und wollte voraus, einen Verdächtigen verfolgen.”
„Ha'gel.”
„Nein - der Verdächtige war schon fast zwei Stunden vorher in der Nähe von Hancock und später bei Hagerstown.”
Melissa sah erst ihn an, dann die vier Dimensionsreisenden.
„Ich weiß nichts dazu”, sagte Corinna, „Von einem Verdächtigen im Westen weiß ich gar nichts und Costello war bei uns nie in einem Kokon.”
„Stimmt”, bestätigte Louise, „Aber wie groß ist die Änderung? Ist das ... wie hat Street das gesagt?”
„Ist die Änderung der normalen dimensionalen Aufspaltung zuzuschreiben oder durch Einfluss aus unserem Universum zu Stande gekommen?”, formulierte Corinna die gesamte Frage, „Und ich hab keine Ahnung.”

Boones Blick schweifte von Corinna über Louise und Dominic zu Licau. „Sie sind also Zeit- und Dimensionsreisende”, sagte er, „aber Sie können nicht sagen, was gerade passiert.”
Corinna seufzte. „Nein. Vielleicht ist der Verdächtige, den Costello da verfolgt, in unserem Universum schon zu Anfang kassiert worden. Die Unterschiede werden ja immer größer.”
„Wegen Butterfly-Effekt und so”, ergänzte Dominic.
„Ihre Ausweise bitte”, verlangte William - zwei wurden ihm sogleich entgegengestreckt, Corinna und Dominic hatten keinen dabei. Der Implantant sah sich kurz Louises an und nickte knapp, dann sah er auf Licaus und stutzte. „Vorläufige Identitätskarte? Gerichtlich beschlossenes Geburtsdatum?” Er musterte Licau, die den Hidschab über der Stirn nach oben schob. „Was sind Sie?”
„Erweckte Atavus. Meine Stasiskapsel steht in einer Höhle in den Rockies und ich bin seit drei Millionen Jahren drin.”
„Das erklärt das gerichtlich beschlossene Geburtsdatum”, bemerkte er, dann wandte er sich Dominic zu und musterte den Jugendlichen, der mühsam ein verlegenes Lächeln schaffte.
Corinna hatte Melissa ja gesagt, dass Dominic Williams Sohn war, und Melissa hatte es bestimmt an William weitergegeben.
Nach einigen Momenten wandte der Implantant sich der Ärztin zu. „Können Sie einen Gentest machen?”
„Sicher.”
„Dann tun Sie das.”
Melissa kam mit zwei Nadeln herbei und nahm je einen Tropfen Blut von Vater und Sohn (letzterer kniff die Augen zusammen und sah weg), dann steckte sie beide Nadeln in ein Analysegerät - wenige Sekunden später konnte sie bereits verkünden, dass sie Verwandte ersten Grades waren.
William war deutlich überrascht und musterte seinen Sohn ausgiebig.
„Ich bin Dominic”, sagte dieser und kratzte sich im Nacken.
„Hallo ... Dominic.”

In genau diesem Moment begann der Kokon zu bröckeln, Melissa eilte, einen Laborkittel zu holen und griff dann nach den Händen des sich befreienden Menschen. „Sie sind in Sicherheit, entspannen Sie sich! Terence, Sie sind in der Klinik, es geht Ihnen gut.”
„Meine ... Güte ...”, brachte Terence hervor, „Was hat der Kerl angerichtet? Hat er noch jemanden umgebracht?” Melissa half ihm hoch und legte ihm den Kittel um.
„Noch jemanden?”, fragte Boone, „In Ihrer Nähe wurde keine Leiche gefunden, auch keinerlei Überreste oder Spuren, nur eine zerstörte Wohnungstür.”
Terence sah ihn ungläubig an. „Aber er hat Liam zwei Stockwerke runter geworfen!”

Alle vier Dimensionsreisenden traten überrascht näher. „Sagten Sie Liam?”, fragte Corinna.
„Wenn es der Liam ist, den ich kenne”, sagte Dominic begeistert, „dann übersteht der das. Problemlos.”
William räusperte sich. „Officer Costello, ist Liam der Verdächtige, dem Sie folgen wollten, als Sie Verstärkung angefordert haben?” Der Polizist im Laborkittel nickte knapp. Boone zückte sein Global und tippte auf den Bildschirm, „Bob, ist die Frau aus Costellos Wagen identifiziert?”
„Wir hatten einen Treffer, aber das kann nicht stimmen, die Frau ist 19, nicht 50. Wir suchen weiter.”
Will sah auf und blickte zu den Dimensionsreisenden. „Danke, Bob.” Gemächlich schob er das Global zu und hakte es wieder an seinen Gürtel. „Die Zeitreise-Geschichte erscheint sehr viel glaubwürdiger”, stellte er fest.
Costello sprang von seiner Liege und sagte: „Sir, das erklärt, wie Liam genau wissen konnte, wo er ihn findet.” Er wickelte sich enger in den Kittel ein. „Zu Anfang wollte er zwar nur einfach nach Washington, aber dann ... schreckte ihn irgendetwas auf, da hat er dann geschimpft, dass er ihn aufhalten wird, und mir das genaue Ziel gesagt. Und GPS und Funk abgedreht.”
„Er hat ihn gespürt”, stellte Melissa fest.
„Und da ist noch etwas. Sie haben von Liams Tochter geredet, die all das wohl auch weiß.”
„Harmony”, sagte Louise.
Er nickte. „Ja, Harmony war der Name.”
„Aber sie war nicht dabei? Sie haben Harmony nicht gesehen?”
„Nein.”

Boone hob seine Hände etwas und unterbrach so das Gespräch. „Dr. Muldoon”, sagte er dann, „Wer und was ist Liam?”
Lou seufzte leise und wechselte einen Blick mit Corinna. „Ein Drittel Kimera, zwei Drittel Mensch”, erklärte sie, „Ha'gels Sohn.”
„Ist Liam gefährlich?”, fuhr Boone fort.
„Normalerweise nicht”, sagte Corinna, „Aber wenn man die Menschheit, seine Familie, seine Freunde oder sonst irgendjemanden bedroht, dann ist mit ihm nicht mehr gut Kirschen essen. Das führte jetzt tatsächlich dazu, dass er seine eigene Existenz in diesem Universum äußerst unwahrscheinlich gemacht hat.”
„Wie spüren wir die beiden auf?”, fragte er.
Wieder wechselten Lou und Corinna einen Blick. „Ich weiß nicht”, murmelte erstere.
Ihre Freundin zuckte mit den Schultern. „Ich auch nicht. Sorgen um Street - das ist die Frau, die bei ihm war - wird er sich eher keine machen, wir sind ja nicht im Mittelalter.”
„Wenn er mein Graffiti an der Kirche sieht”, ergriff Licau das Wort, „dann weiß er, dass hier noch jemand ist, und wird selber zu suchen anfangen. In der Nähe der Kirche wird er uns sicher am ehesten vermuten, also sollten wir dort sein.”
„Verteilt”, sagte Dominic eifrig, „Die Globals tun ja wieder, zumindest auf Nähe.” Er griff in seine Hosentasche und zeigte grinsend ein Bündel Geldscheine. „Ihr kriegt alle Frühstücksgeld und dann setzen wir uns um acht in sämtliche Lokale der Umgebung.”
William runzelte die Stirn. „Ist das Geld hier etwas wert?”
„Oh, ich hab meine Schuhe verblättert und jetzt die ungrünen Treter hier”, er zeigte auf die Skaterschuhe, „und halt Geld. Welches von hier.”
„Verstehe.” William griff nach seinem Global und wandte sich zur Tür. „Ich sorge für Unterbringung für den Rest der Nacht - im Moment können wir sonst nichts tun.”

* * *

Das Zimmer war nicht sehr geräumig, dafür, dass es sechs Betten hatte, das Fenster bot einen Blick auf das nicht besonders hübsche Nachbarhaus und die Straße. Louise starrte hinaus, Corinna neben ihr ebenfalls, Licau und Dominic spielten auf ihren Globals gegeneinander Mars Race. Ohne Zweifel waren sie nicht unbeobachtet, wahrscheinlich war die Kamera hinter den Lüftungsschlitzen oberhalb der abgeschlossenen Tür.
Vermutlich glaubte William die Zeit- und Dimensionsreise durchaus, aber es war klar, dass er nicht einfach vertrauen konnte - er wusste ja auch nicht, ob sie nicht womöglich taelontreu wären.
Müde waren sie alle nicht - die Globals waren sich einig, dass es kurz vor acht Uhr abends sein sollte und Louise und Corinna hatten in der Obdachlosenunterkunft ja auch noch kurz geschlafen.
Unten auf der Straße raste ein Motorrad vorbei, der Fahrer schwenkte johlend seine Jacke über dem Kopf.
„Lou, ich mache mir Sorgen um Jay”, flüsterte Corinna.
„Musst du nicht. Du kennst doch die Geschichten, wie lange es bei seinem Vater bis zur Blutspende gedauert hat, und bei Mensch-Liam in Kamtschatka hat es noch länger gedauert.”
„Dem ging es aber auch ziemlich übel, hätte ja fast den Löffel abgegeben.”
„Er hatte aber auch überhaupt keine medizinische Versorgung”, sagte Louise energisch, „und Draanim hat ihn sogar noch für die Dekontaminationsversuche verwendet. Also glaub mir schon, dass Jays Zustand nicht gar so besorgniserregend ist.”

„Leute!”, erklang von Licau, die beiden Frauen am Fenster wandten sich zu ihr um, „Ich glaube ... Nahema ist in der Nähe.”
Dominic setzte sich auf und fragte: „Bist du sicher?”
„Naja, irgendein anderer Atavus ist da draußen, und viel Auswahl besteht ja nicht.” Sie schob ihr Global zu. „Sie kommt näher - vielleicht sucht sie mich! Sie ...” Einen Moment lang konzentrierte sich die Atavus sichtlich. „Sie will gefunden werden. Sie will mich treffen!”
„Ich halte das nicht für klug”, wandte Corinna ein, „Sie ist gefährlich.”
„Aber ich bin von ihrer Art! Mich wird sie nicht einfach töten.”
„Und was ist mit deinem Vater passiert?”
Licau ließ ihr Global fallen und senkte den Blick, in ihren Augen sammelten sich Tränen. „Mein Vater, getötet von seiner eigenen Art, getötet von Howlyn ... und der Arsch hat noch die Nerven, mich lüstern anzuglotzen!” Sie griff nach einer Ecke der Bettdecke und tupfte sich die Augen trocken. „Aber es ist ja der ganze Mist seine Idee gewesen ...”

„Das Gericht wird ihn aufmischen”, sagte Dominic.
„Schon, ja.” Sie seufzte, dann straffte sie sich. „Okay, es ist jetzt hier schon nach sieben Uhr - um acht wollen wir frühstücken. Lassen die uns hier raus?”
„Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht”, sagte Louise.
„Nicht freiwillig vielleicht! Soll ich uns raushauen?”
„Und riskieren, dass jemand verletzt wird? Nein, keine gute Idee.” Die Ärztin drehte sich wieder zum Fenster und öffnete es. „Ich schlage also vor, dass du allein gehst - aber pass auf und meide Nahema.”
Licau stand vom Bett auf, zog ihre Schuhe aus und stopfte diese und das Global in ihre Handtasche. Von Dominic erhielt sie noch einige Geldscheine, dann sprang sie aus dem Fenster.

* * *

Liam spazierte mit Emily durch die derzeit noch wenig frequentierten washingtoner Straßen. Tatsächlich war seine Begleiterin Ha'gel, der in Terrys Gestalt wenig Bewegungsfreiheit gehabt hatte. Natürlich, Emilys Wohnungstür war zerstört, damit war auch Emily der Polizei bekannt, aber nach ihr wurde vermutlich nicht so sehr gesucht wie nach Liam und Terry.
Und Liam war natürlich auch nicht mit Generalsgesicht unterwegs, sondern im Eastern-Look.
Den Temperaturen entsprechend, die Morgenstunden waren sehr fröstelnd, hatte Liam eine deutlich dickere Jacke geformt - Ha'gel hingegen hatte eröffnet, dass er Fassadenformung in diesem Ausmaß nicht beherrschte und daher bei der Kleidung bleiben musste, deren Energieabdruck er sich bei der Übernahme von Emily geholt hatte.

Das Ziel des Spazierganges war die Kirche, allerdings zunächst nur zur allgemeinen Erkundung der Umgebung. Liam würde die Widerstandsmitglieder, die gegebenenfalls beobachtend tätig wären, mit Sicherheit erkennen.

Harmony bewegte sich nun. Sie kam definitiv näher. Aber was hatte sie die ganze Zeit gemacht?

Liam und Ha'gel sahen die Kirche nun schräg rechts vor sich, sie steuerten gerade über den Vorplatz, als würden sie der Straße auf der anderen Seite weiter folgen wollen. Beide stutzten sie, als sie mitten auf der Fassade der Kirche, schräg oberhalb des großen Eingangsportals ein riesiges hellgrünes Graffiti sahen: Jäger - oder Kimeran Green Wolves.
„Ist das eine Warnung?”, fragte Ha'gel.
„Nein”, sagte Liam, „ein Zeichen. Jemand sucht mich. Gehen wir weiter.” Er zog seinen Vater am Arm mit sich mit.
Es konnte nur Licau sein, die da nach Liam suchte - ein Mensch kletterte nicht so einfach eine Kirchenfassade hoch und sprühte sie an.
Knapp hundert Meter weiter betraten die beiden Kimera einen 24-Stunden-Markt und kauften (Ha'gel hatte Geld, er trug Emilys Handtasche mit sich herum) einige Snacks, dann wandten sie sich wieder Richtung Kirche.
„Wie lange lebst du schon hier?”, fragte Ha'gel.
„Ich bin nicht von hier”, sagte Liam, „Besprechen wir das später, wir haben gerade andere Dinge zu beachten.” Er konzentrierte sich auf das Gemeinwesen, auf seine Tochter, sie war schon sehr nahe - aber sie schien ... angespannt und äußerst aufmerksam. Was war los?
Sorge! Harmony war besorgt - und sie kam nicht mehr näher.
Auch Ha'gel hatte das bemerkt.
Liam schloss die Augen und konzentrierte sich, er spürte nach Harmonys energetischer Ausstrahlung, drehte sich langsam etwas und bemühte sich, die Richtung möglichst genau festzustellen.

Wut, unbändige Wut!

Liam heizte seine Energiebahnen an und lief los, Ha'gel folgte ihm. An der nächsten Hausecke setzte sich eine Gestalt in Bewegung.
„Liam!”
Selbiger bremste ab und musterte die Gestalt - blauer Hosenanzug, weißer Hidschab, hellgraue Handtasche und ein freundliches hellbraunes Gesicht. „Licau?”
Sie lächelte. „Ja. Schön, dich zu sehen.”
„Gleichfalls - komm mit, bei Harmony ist irgendetwas los.” Er setzte sich wieder in Bewegung, zwei Begleiter liefen ihm nun nach.
„Zu deiner Information: Wir laufen in Nahemas Richtung”, rief Licau nach vorne.

Bei Harmony war also vermutlich Nahema los.

Liam spürte seine Tochter jetzt ganz deutlich, ihre energetische Ausstrahlung war klar wahrnehmbar, es waren nur noch ein paar Meter ... er hörte eine Energieentladung und ein Fauchen, dann erreichten sie schon die Einfahrt zu einem Innenhof und Sekunden später den Innenhof selbst.
Ronald Sandoval saß am Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt, die linke Hand gegen eine Brustwunde gedrückt und auch an der Schläfe war er verletzt. Mit seinem Skrill zielte er auf eine blonde Atavus in einem blassgrünen Riffelanzug, die mit leichten Vergiftungserscheinungen und schwer verletzt in seiner Nähe lag, offenbar ebenfalls bei Bewusstsein.
Auf einer Feuertreppe standen Harmony und Siobhán Beckett, sie wandten sich um und kamen herunter, als sie die Gruppe heran laufen hörten.
„Dad!”, rief Harmony, „Es gibt Nahema doppelt, eine ist uns entwischt.” Sie lief zu ihrem Vater und umarmte ihn - und sie drückte eine Handfläche gegen seine. Harmony galt nur als Taelonhybridin von mütterlicher Seite, teilte sie ihm mit, Liam durfte also kein Shaqarava zeigen - aber dass Liam Siobháns und Ronalds Sohn aus der Zukunft war, wussten beide Implantanten und auch Da'an.
Und ein Krankenwagen war auch bereits unterwegs.
Harmony löste sich von ihrem Vater und eilte zum Verletzten, hockte bei diesem nieder und legte ihre Hand auf seine Brustwunde - unter Ha'gels argwöhnischem Blick.

Liam trat zu Siobhán und lächelte freundlich. „Hallo, ich bin Liam.”
Sie musterte ihn ausgiebig, dann streckte sie ihre Arme aus und schloss ihn in selbige. „Liam. Natürlich. Wie sonst hätte ich dich genannt?”
Er schloss seine Augen und atmete tief durch, er hatte sie sehr vermisst. Aber gerade gab es leider Wichtigeres, also löste er sich aus der Umarmung und zog seine Mutter mit zu den anderen.
„Wie geht es ihm, Harmony?”, fragte er.
„Besser.” Seine Tochter zog ihre Hand zurück und half Sandoval in aufrechtere Position. „Sorgen macht mir die Kopfverletzung - Nahema hat seine Erinnerung aufgenommen und das hat sicher ungute Auswirkung aufs Implantat. Vermutlich muss es ausgetauscht werden.”
„Nicht schon wieder ...”, murmelte der Implantant matt.
Liam runzelte die Stirn. „Welche Nahema hat seine Erinnerung aufgenommen?”
„Die entkommene.”
„Das ist definitiv ein Sicherheitsproblem”, stellte er fest, kurz überlegte er, dann beschloss er: „Harmony, Licau, ihr geht mit meiner Mutter auf die Jagd - ich muss noch mit Emily etwas erledigen.”
„Okay, sobald der Krankenwagen da war - der soll ihn und die Nahema hier mitnehmen.”
Sandoval holte tief Luft und wandte ein: „Was ist mit Ha'gel?”
Siobhán schüttelte den Kopf. „Commander Boone sucht nach ihm und wird uns informieren, sowie er Erfolg hat und Unterstützung braucht - Da'an hat uns aufgetragen, Nahema zu suchen, wissen Sie nicht mehr?”
Er runzelte die Stirn und dachte konzentriert nach. „Ja, Sie haben Recht, Lieutenant Beckett”, sagte er dann.
Liam formte kurz und sehr flüchtig für Ha'gel eine beruhigende Geste, dann hockte er sich neben seinem menschlichen Vater nieder und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du wirst wieder gesund, da bin ich mir sicher”, sagte er.
Sandoval sah ihn durchdringend an, sehr väterlich-akzeptierend war seine Miene nicht. Er kam allerdings nicht dazu, seine Ablehnung auszusprechen, denn an den Hauswänden flackerte nun der Widerschein eines Blaulichts und kaum später kamen Sanitäter mit einer Trage herbei.

* * *

„Du bist aus einem zukünftigen Universum”, stellte Ha'gel auf halbem Weg zurück zur Kirche fest, „und du bist teilweise menschlich, wobei diese beiden deine menschlichen Eltern sind.”
Liam nickte. „Richtig.”
„Und du bist auch mein Kind.”
„Richtig.”
„Emily hat also in deinem Universum die Vereinigung nicht verkraftet”, verstand Ha'gel, „und du kannst dich daran erinnern.” Er neigte den Kopf. „Ich hielt diese Gefahr für vernachlässigbar - ich danke dir.” Liam blinzelte kurz zu seinem Vater in Emilys Gestalt, stapfte aber schweigend weiter. „Ich bin erstaunt, dass Harmony von Implantanten akzeptiert wird”, sagte Ha'gel nach einigen Metern, „Alleine Verwandtschaft siegt also gegen einen Motivationsimperativ.”
„Nein. Sie gibt sich als Taelonhybridin aus und hat Da'an überzeugt.”
„Ich verstehe. Ihr habt euch gut an das Leben als Menschen angepasst und seid auch in der Lage, euch im Gemeinwesen zu verbergen - ich wusste nicht, dass das möglich ist.”
Liam stutzte. „Das wusstest du nicht?” Er runzelte die Stirn und versuchte, sich zu erinnern - aber er fand nichts, als hätte Ha'gel dem Umgang mit dem Gemeinwesen kaum jemals einen Gedanken gegönnt.
„Du hast in deinem Universum Kontakt zum Widerstand”, sagte Ha'gel unterdessen, „und du weißt, wem du hier trauen kannst.”
„Ja, das weiß ich.”
„Dann halte ich mich an deine Kenntnis.”
Sie erreichten inzwischen den Platz vor der Kirche, Liam sprang die Treppenstufen hoch und stieß ein Nebentor auf, durch das die beiden Kimera nun die Kirche betraten. „Jetzt heißt es warten”, sagte er und nahm auf einer der harten Holzbänke Platz, Ha'gel setzte sich neben ihn und holte die Snacks aus dem 24-Stunden-Markt aus Emilys Handtasche.

* * *

Kalter Wind zog durch die noch immer dunklen Straßen von Washington. Inzwischen waren zwar etliche Leute unterwegs, aber die meisten kuschelten sich zweifellos noch in ihre warmen Bettdecken. Licau saß auf einem niedrigen Mäuerchen und konzentrierte sich auf Nahema, die allerdings kaum spürbar und zudem durch ihre Doppelgängerin überdeckt war, auch wenn im Gemeinwesen nicht direkt festzustellen war, dass es sie doppelt gab.
Nahema war nicht mehr in unmittelbarer Nähe. Es stand zu befürchten, dass sie vor Harmony floh - ein Skrill war nur begrenzt gefährlich für einen Atavus, aber Harmony war teilweise Taelon und ihre Energie somit giftig.
Die Taelonhybridin saß auf der anderen Seite eines Mauerpfostens ebenfalls auf dem niedrigen Mäuerchen und aß Heidelbeermuffins. Siobhán stand neben ihr und hörte sich per Global an, was eine Ärztin zu Sandovals Zustand zu sagen hatte. Außerdem war ein Shuttle unterwegs, die drei abzuholen - zu Fuß war es nicht mehr möglich, Nahema einzuholen.

Licau hatte sich bewusst so hingesetzt, dass sie Nahemas Portal im Rücken hatte. So konnte sie am besten entscheiden, ob die blonde Atavus sich zum Portal hin oder davon weg bewegte - und Nahema bewegte sich davon weg, sie wollte offenbar in diesem Universum bleiben.
Möglicherweise wollte Nahema ihr anderes Ich befreien.
Vermutlich konnte Nahema ihr anderes Ich über die dimensionale Resonanz deutlich besser wahrnehmen als über das Gemeinwesen.

Vage spürte Licau nun noch einen Atavus, dann noch einen, und weiterhin wurden es mehr.

„Harmony?”, sagte sie, „Nahema weckt andere Atavus auf.”
Die Hybridin ließ eine Hand mit einem halben Muffin sinken. „Wie viele?”
„Zehn? Aber es werden mehr und es fällt mir immer schwerer, genau zu differenzieren. Ich kann dir auch nicht mehr sagen, wer davon Nahema ist.” Sie seufzte. „Das ging vorher nur, weil wir die beiden einzigen Atavus hier waren - das Atavusgemeinwesen ist anders als das Taelongemeinwesen.”
„Ich weiß, ja.” Harmony runzelte die Stirn. „Wenn du es mir in einem Sharing zeigst, kann ich vielleicht etwas draus lesen”, schlug sie dann vor, „Ich passe auf, dass ich dich nicht vergifte.”
Licau rückte zum Mauerpfosten und streckte eine Hand daran vorbei, sie drückte ihre Handfläche gegen Harmonys und spürte durch sie plötzlich auch die Präsenz der Taelons sowie zweier Kimera - Liams sehr dezent, Ha'gels ungedämpft stark.
Wie deutlich das war! Selbst als noch durch Ma'els Signalgeber die Atavus in Clearwater mit dem Taelongemeinwesen verbunden gewesen waren, hatte Licau die Taelons nie als Taelons wahrgenommen, sondern ebenso undeutlich wie die anderen Atavus, dass ihr der Unterschied überhaupt nicht aufgefallen war.

Harmony zog ihre Hand zurück und seufzte: „Mir war nicht bewusst, wie wenig man im Atavusgemeinwesen von den anderen spürt. Aber da sie alle am selben Ort sind, können wir sie dennoch finden.”
„Das schon”, stimmte Licau zu, „aber was machen wir drei gegen, wie viele jetzt? ... zwanzig Atavus?”
Die Hybridin biss in ihren Muffin und kaute ausgiebig, dann beschloss sie: „Wir brauchen eine neue Idee.” Sie stand auf. „Gehen wir zur Botschaft und reden wir mit Da'an.”

Siobhán, die inzwischen ihr Global wieder weggesteckt hatte, trat einen Schritt näher. „Harmony, sind die Atavus für Taelons gefährlich?”, fragte sie.
„Das kommt darauf an”, sagte die Hybridin, „Stehen sich ein Atavus und ein Taelon gegenüber, zieht der Atavus den kürzeren, weil Taelonenergie eben für Atavus giftig ist - aber Atavus verfügen über genügend Technologie, um den Taelons gefährlich zu werden, unter anderem ist in Ostsibirien ein interdimensionsfähiges, schwerbewaffnetes Atavus-Mutterschiff begraben.”
Licau runzelte die Stirn, was unter dem Hidschab natürlich keiner sah. „Es ist Howlyns Schiff”, sagte sie, „Weiß Nahema, wo es ist?”
Harmony zuckte mit den Schultern. „Willst du es riskieren?”
Natürlich nicht. Und auch Siobhán fand die Möglichkeit, es mit einem Schiff zu tun zu bekommen, sichtlich wenig erbaulich.

Das Shuttle kam an und landete am Straßenrand, eine junge Lili Marquette saß auf dem Pilotenplatz. Licau wartete kurz ab, dass Siobhán und Harmony vorausgingen, dann begab auch sie sich ins Shuttle und setzte sich auf einen Passagierplatz. Lili musterte die Atavus und die Hybridin, dann runzelte sie die Stirn und sah zu Siobhán. „Weshalb wurde ich nicht über diese Unterstützung informiert?” Die Frage Wer sind die? war klar mitgemeint.
„Da'an entschied, dass Sie mit der Suche nach Ha'gel genug zu tun haben”, sagte die rothaarige Implantantin.
„Verstehe.” Lili hob die Hände in die holographische Steuerung und brachte das Shuttle erst in die Luft und dann in die Interdimension.
„Harmony, hast du schon eine neue Idee?”, fragte Siobhán nun.
„Leider nein.” Die Hybridin lehnte sich in den Sessel und schlug die Beine übereinander. „Grundenergie steht zweifellos nicht in der benötigten Menge zur Verfügung, und genügend kampfstarke Truppen gibt es auch nicht.”
Das blaue Wirbeln der Interdimension verschwand, der Hangar der Taelonbotschaft erschien - Lili senkte das Shuttle ab und landete es sanft. Alle vier Frauen standen auf und verließen es, sie begaben sich in Da'ans Räumlichkeiten, wo der Taelon einen Datenstrom betrachtet hatte und ihn nun verschwinden ließ.
Aufmerksam musterte er Harmony. „Ihre Vorgehensweise war erfolgreich, Nahema ist in Verwahrung.”
Eine Nahema”, korrigierte sie, „Durch die frische dimensionale Verknüpfung gibt es zwei Nahemas und eine ist uns entwischt.” Sie wies auf Licau. „Dank Licau wissen wir, dass Nahema weitere Atavus aufweckt - wie viele derzeit, Licau?”
Die Atavus konzentrierte sich auf das Gemeinwesen, tatsächlich waren es wieder deutlich mehr Atavus als zuvor. „Vierzig etwa.”
Der Taelon stand von seinem Thron auf und trat näher, er sah Licau an. „Erläutern Sie bitte.”
Kurz sah die Atavus zu Harmony, die knapp nickte, dann schob sie den Hidschab hoch und sagte: „Atavus haben ein Gemeinwesen, dadurch kann ich die anderen meiner Art spüren.”
Für einen Moment schimmerten blaue Energiebahnen durch die Fassade des Taelons, dann kehrte dieser zu seinem Thron zurück und setzte sich. „Was schlagen Sie vor, Miss Beckett?”
„Da Grundenergie für Atavus toxisch ist, wäre es ratsam, damit bewaffnete Truppen zu haben”, sagte Harmony, „Allerdings ist Grundenergie ...” Sie stutzte, als ihr Global piepste. „Entschuldigen Sie bitte, Da'an”, murmelte sie und ließ das Gerät aufschnappen.

„Du bist die Kämpferin, vor der ich fliehen musste”, erklang die Stimme einer Frau.
Nahema ...”
Lili und Siobhán zückten beide ihre Globals, sie versuchten wohl, den Anruf zurückzuverfolgen.
„Wer bist du?”, fragte Nahema.
„Harmony - oder Jae'yal.”
„Eine Taelon-Mensch-Hybridin! Oh, das ist in der Tat eine ganz neue Zeit - oder eben nicht, denn du stammst nicht von hier.”
„Das ist richtig. Ich wurde hergeschickt, um dich aufzuspüren.”
„Und mich zu töten, nicht wahr?” Nahema klang belustigt.
„Nicht zwangsläufig”, widersprach Harmony, „Wo ich herkomme, leben wir auch mit Atavus in Frieden.” Sie schwenkte kurz das Global, dass Nahema Licau sehen konnte. „Du verknüpfst verschiedene Universen und kannst dich frei zwischen ihnen bewegen”, stellte sie dann fest, „dadurch bist du eine Gefahr und es wurde beschlossen, dich unschädlich zu machen.”
„Du hast mich nicht aufgespürt”, sagte Nahema spöttisch, „sondern einen dimensionalen Kontakt verursacht. Ich habe dich aufgespürt! Bist du in der Lage, in dein Heimatuniversum zurückzukehren oder benötigst du dabei Hilfe?”
Harmony zog die Brauen zusammen. „Sprich weiter.”
„Ich schlage vor, dass ich dich und deine affenassimilierte Freundin in euer Universum zurückbringe, ich garantiere auch, dass ich euer Universum nie aufsuchen werde - aber die anderen Universen sind meine!” Einen Moment lang schwieg sie, dann ergänzte sie: „Deine Freundin weiß, dass ich nicht mehr alleine bin. Ich gebe dir eine Stunde, mein Angebot anzunehmen.”

Einige Momente lang starrte Harmony auf ihr Global, dann schob sie es zusammen und hakte es an ihren Gürtel. „Da'an, um Nahema effektiv zu bekämpfen, bräuchten wir Grundenergie”, sagte sie dann.
„Das ist nicht möglich.”
„Das dachte ich mir”, sagte Harmony, „Da'an, meine Energie erfüllt für einen Taelon denselben Zweck, allerdings ist sie deutlich weniger toxisch für Atavus. Die Taelons würden bei einem Austausch keine Energie verlieren.”
„Ich verstehe. Dieser Vorschlag steht dennoch außer Frage.”
„Weil die Synode schlechte Erfahrungen damit gemacht hat, etwas Menschliches in einen Taelon aufzunehmen.”
Er machte eine sanfte Handbewegung und neigte den Kopf. „Ja.”
Harmonys Blick wurde durchdringend, kurz flackerte es blauviolett und blassgrün in ihren Augen, dann zischte sie auf Eunoia: „Dann wird der Schläfer erwachen!” Da'an leuchtete schockiert grellblau auf und ließ das Gebäude Harmony und Licau in virtuelles Glas einschließen.
„Äh ... Harmony?” Die Atavus berührte die Barriere und rückte näher zur Hybridin. „Was jetzt?”
„Da'an, soll ich sie festnehmen?”, fragte Siobhán und richtete ihren Skrill auf die beiden eingeschlossenen.
Der Taelon ignorierte die Frage, stand auf und trat einen Schritt auf die Hybridin zu. „Du bist kein Kind der Taelons, du bist eine Lüge, du hast mich getäuscht.”
Harmony sah ihn durchdringend an. „Ich bin tatsächlich zum Teil Taelon, wie auch meine Mutter.”
„Du hast uns getäuscht!”, sagte der Taelon, „Mag sein, dass du von einem Taelon stammst, doch das macht dich nicht zu einem Kind der Taelons, und auch die Verwandtschaft mit Agent Sandoval und Lieutenant Beckett bedeutet nichts. Du bist hier, um Grundenergie zu erbeuten, von Nahema geht keine Gefahr aus.” Da'an sah ehrlich enttäuscht aus, als er sich wieder auf seinen Thron setzte und für einen Moment unruhig tiefblau aufleuchtete. „Lieutenant Beckett, bringen Sie Harmony und Licau sobald möglich in eine Zelle.”
Die Atavus rückte ganz nahe zur Hybridin und fragte leise: „Was jetzt?”
„Da'an! Bitte lassen Sie uns frei!”, sagte Harmony energisch, „Wir sind keine Gefahr für Sie, für die Taelons! Ich werde auch ohne Grundenergie eine Möglichkeit finden, Nahema und die anderen Atavus unschädlich zu machen.”
Der Taelon wischte desinteressiert mit einer Hand durch die Luft und ließ einen Datenstrom erscheinen.
„Da'an, es tut mir leid”, sagte die Kimera fest, „aber ich muss jetzt gehen.” Sie griff nach Licaus Arm und zog die Atavus mit sich durch weißes Licht, durch die Interdimension - einfach so.

Und dann standen sie noch immer in der Botschaft, nicht weit weg. Harmony huschte die wenigen verbleibenden Schritte zum Shuttle und sprang hinein. Licau folgte ihr, lief nach hinten und setzte sich auf einen der Passagiersessel, während die Kimera das Fluggerät bereits aus dem Hangar steuerte.

 

Ende Kapitel 5

 

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