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  „Licht” von Veria,   August 2019
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Die Welt erholt sich - aber dann gibt es wieder ein Atavus-Problem
Zeitpunkt:  gleich anschließend
Charaktere: Harmony, Ron, Mabel, Frank, Zorita/Zoriel, Laurie, Howlyn, Broyc, (Fred Delacroix, Kaylee, Augur, Juda, Draanim, Lili, Mitchell Hendrik)
 
 

 

LICHT

Kapitel 10: Farben I

 

Zweimal war es gelungen, zweimal problemlos. Stünde Augur dafür nicht ein Nobelpreis zu? Allemal verkroch er sich sofort, um ein Paper über die kontrollierte Reise zwischen verschiedenen Universen zu schreiben - ob er es veröffentlichen würde, war allerdings unklar. Mit dieser Technologie könnten viele Leute sehr viel Unsinn anstellen, also war es vielleicht besser, sie in eine Schublade zu packen und nie wieder heraus zu holen.
Natürlich, die ungeplante Reise hatte beiden Universen Vorteile gebracht (dem anderen Universum tatsächlich auch eine Bernsteinmelone - zurückbringen hatte man sie nicht können), aber das rechtfertigte nicht, absichtlich multiversale Erstkontakte durchzuführen. Bei Reisen in bereits verbundene Universen sah es etwas anders aus, aber auch solche Reisen sollten auf ein Minimum beschränkt bleiben.

Harmony saß auf der Terrasse des Hauses des Kimera und genoss in einer weißen Membrane liegend die Sonne und eine Limonade, Ron neben ihr sortierte seine Arme und Beine ebenfalls in eine von Paizhat ausgebildete Hängematte und nahm dann von einem weißen Tentakel sein Eis entgegen. „So, Flöckchen”, sagte er, „jetzt sagst du mir mal, was drüben genau passiert ist.”
„Habe ich, Ronny. Wir haben die Grundenergie geklaut und die Taelons zum Frieden gezwungen.”
„Das ist sehr vage. Und Mabel sagt gar nichts.”
„Mabel ist bei Kural und lässt sich durchchecken. Die Shuttle-Medscanner sind nicht so genau wie Kurals.”
Ron schleckte missmutig über seine Eiskugel. „Aber sie hat drei Energiekapseln genommen, das heilt doch sowieso alles.”
„Merkwürdigerweise ist Kural noch immer nicht arbeitslos”, sagte Harmony grinsend, „Ronny, sie ist in zehn Minuten fertig, dann kommt sie her.” Sie zwirbelte den Strohhalm zwischen ihren Fingern. „Ich hatte kein Sharing mit ihr. Ich weiß nicht viel mehr als du.”
„Aber?”
„Ich weiß, dass dem Sandoval drüben sein Imperativ ausgebaut wurde - aber ich nehme an, das hast du ohnehin vermutet.”
Er neigte den Kopf. „Ja. Hat Zorita dich schon nach dem drüberen Zo'or gelöchert?”
„Gelöchert nicht. Ich hab ihr halt kurz gezeigt, wie er Panik gekriegt hat, als ihm zwei Kimera gegenüberstanden.” Sie schob sich den Strohhalm in den Mund und trank einige Schlucke, dann sagte sie: „Er hat ihr überhaupt nicht Leid getan. Da'an schon.”
„Ich war nicht da?”
Harmony grinste schief. „Klar. Als Dad und ich aufs Mutterschiff geflogen sind, hat uns eine Wagenladung Beschützer im Hangar erwartet, du warst auch da. Ich hab euch alle mit den Shuttlewaffen verscheucht.”
„Sauber.”
„Davor hab ich dich und Grandma Siobhán eingespannt, mir bei der Suche nach Nahema zu helfen. Also, bis ich vor Da'an aufgeflogen bin, dann hat sie versucht, mich einzufangen.”
„Ich auch?”
„Nein, du warst aufgespießt im Krankenhaus.”
Er verzog das Gesicht. „Autsch.”

Ein weißer Tentakel tippte Ron gegen die Schulter, einen Moment später kam Mabel am Haus vorbei in den Garten und stellte einen Klappstuhl auf. „Kural hat gesagt, meine Rippe sei gebrochen gewesen und falsch zusammengewachsen”, erklärte die Latina, „Er will sie nochmal brechen.” Sie setzte sich und lehnte sich zurück. „Und an allem bist nur du schuld!”
Ron blinzelte verdutzt. „Was? Wieso ich?”
„Weil du unbedingt auf dem Krankenhausdach eine Schießerei veranstalten musstest!”
„Was? Ich dachte, das wäre mit Frank gewesen ...”, kam von Harmony, „und Hawke hätte sich mit Ronny geschossen ...”
„Nein. Frank hatte ich im Krankenzimmer gleich überwältigt und dann bin ich auch rauf aufs Dach.” Mabel rollte mit den Augen. „Ron, sich mit dir zu schießen ist nicht ungefährlich.”
Er streckte ihr seine Eistüte hin. „Hat er seinen Fehler eingesehen?”
„Als der Imperativ raus war, ja.” Sie griff nach der Tüte und schleckte über die Kugel. „Was ist das denn? Marzipan ist es nicht, oder? Was ist da drin?”
„Mandelnougat. Schmeckt es?” Sie nickte. „Dann darfst du es behalten.”
Einige Minuten widmete Mabel nun dem Verzehr der Eiskugel, dann ergriff sie wieder das Wort. „Ron”, sagte sie, „du musst deinen Söhnen Gefahrenabwehr beibringen!”
„Was meinst du?”
„Jay hat Symptome ignoriert, Ron. Er hätte vor fast einer Woche zu Kural oder Louise gehen können, dann wäre er nicht im anderen Universum mit der fiesen Blutkrankheit im Krankenhaus gelandet. Dann hätte auch der drübere Ron nicht auf die Idee kommen können, Jay als Druckmittel gegen Harmony und Liam einsetzen zu wollen, und die Schießerei wäre auch nicht passiert.”
„Oh.”
„Jay wird den Fehler sicher nicht nochmal machen, aber steig bitte Pepe und Neville auf die Zehen.”
Ron seufzte leise und nickte. „Mache ich, versprochen.”

Harmony schlürfte von ihrer Limonade, bis das Glas leer war, dann sagte sie: „Jays Krankheit hätte böse ausgehen können, wenn er in der Pampa gelandet wäre wie Street und Dad.”
„Pampa?”, fragte Mabel verblüfft.
„Naja, ich hab alle eingepackt und auf der Erdoberfläche abgesetzt - aber ich hatte nicht die Zeit, den Ort jeweils genau abzustimmen. Dad und Street sind ganz im Westen von Maryland gelandet, Jay, Corinna und Louise sind im Norden von Washington, oder sogar in Bethesda gelandet und Dominic und Licau in Arlington. Dad hat ein Polizeiauto geklaut und die Maryland State Police ziemlich aufgescheucht.”
„Warum hast du ihn und Street so weit von den anderen weg abgesetzt?”
„Ich hab ihn und Street zuletzt abgesetzt, da war die Zeit schon besonders knapp. Mir ging die Energie aus.”
Ron seufzte ausgiebig. „Aber du hast es rechtzeitig geschafft”, sagte er, „gut gemacht.”
Harmony zog ihre Mundwinkel hoch und verlor für einen Moment ihre menschliche Fassade. Ja, sie war erwachsen, aber ein Lob war ein Lob.

Ein weißer Tentakel brachte ein neues Glas Limonade und teilte während der kurzen Berührung eine weitere Ankunft mit - gleich darauf kam Frank herbei und setzte sich auf die niedrige Gartenmauer. „Habt ihr es ihm gesagt?”, platzte der Koch ohne Gruß heraus.
„Haben wir was wem gesagt?”, fragte Mabel.
„Na dem anderen Frank!”
„Ja, ich habe ihm gesagt, er soll mal seine Highschool-Freundin anrufen und dezent nach seiner Tochter fragen”, bestätigte sie, „Das meinst du doch, oder?”
„Ja klar! Und was hat er gesagt?”
„Nichts. Dumm geguckt hat er.”
Frank verzog das Gesicht und schrumpfte etwas zusammen. „Naja, irgendwie verständlich. Da schießt ihn eine mysteriöse Frau nieder, und später sagt sie ihm das.” Er fuhr sich durch die Haare und ruckelte versehentlich am Toupet. „Wen habt ihr noch getroffen? Habt ihr noch jemandem etwas gesagt?”
„Lili weiß von Vorjak, Doors weiß von Mums Forschung und den potentiellen Folgen, Street und Augur wissen eine Menge technischen Kram”, erzählte Harmony, „Was Ha'gel weiß ... ist kaum einzuschätzen. Wir haben überhaupt keine Ahnung, welches Wissen er genommen hat, als er Licaus Gestalt hatte. Will weiß von Mitch und Dark Knight.”

„Hast du von mir erzählt?” - Zorita sprang über die Gartenmauer und setzte sich neben Frank.
Harmony schüttelte den Kopf. „Nein. Ich glaube, dann hätte Doors uns geteert und gefedert, bestenfalls. Es kann natürlich sein, dass Ha'gel von dir weiß, durch Licaus Erinnerungen.”
„Dann bestimmt. Licau hat ja kurz bei uns gewohnt, nachdem Zalyc sie rausgeworfen hatte.” Die menschlich getarnte taelonische Atavus-Hälfte schlug ein Bein über das andere und legte den Kopf schief. „Apropos wohnen - wohnst du jetzt eigentlich hier?”
„Zumindest solange Dad und Aby in den Flitterwochen sind, ja. Meinen Flugplan bei den Shuttlelines habe ich eh schon vor dem Portalunfall auf Eis legen lassen, ich habe also derzeit ganz frei.” Die Kimera richtete sich etwas auf, Paizhat wandelte die Hängematte in einen Stuhl um. „Klar, Dad ist nicht weit weg, er könnte jederzeit zurückkommen, wenn er gebraucht wird, aber es ist trotzdem besser, wenn ich auch da bin, um Howlyn bei Bedarf den Zottelkopf zu waschen.”
„Er hat den Zottelkopf aber jedenfalls wieder eingezogen”, sagte Zorita, „Vor Liam hat er einen riesen Respekt. Ich frag mich nur, warum er den nicht vor Farrell auch hat, der ist doch auch Kimera.”
„Aber nicht der Kimera”, sagte Ron, „Das wird schon noch, Farrell erarbeitet sich seinen Ruf.” Er sah zu Harmony. „Wo ist er eigentlich gerade?”
„Bei Henry, zocken.”
„Ja, der macht grad riesen Zockerpartys”, bestätigte Zorita, „Vorhin hab ich Yulyn, Licau, Dominic, Chris, Jiannar und Qo'ret gesehen, und halt Henry und Farrell, und ich hab nur zum Esstisch geguckt, ... aber die ganze bunte Speziespalette unter zwanzig ist da. Das halbe Haus ist mit Computern vollgestellt, ständig stolpert man über Kabel.” Kurz flog ein amüsiertes Grinsen über ihr Gesicht. „Ich bin schon ein bisschen froh, dass ich gerade Taelon bin und keinen Schlaf brauche - Damien hat im Garten ein Zelt aufgestellt, damit er ein bisschen Schlaf kriegt.”
„Klingt lustig”, sagte Harmony, „Vielleicht sollte ich auch mal vorbeikommen - was zocken sie denn?”
Zorita lachte laut auf. „SI Fighter Pilot PvP - du würdest sie in Grund und Boden zocken. Letzte Woche war Mum mal dabei und hat die ganze Riege in unter fünf Minuten abgeschossen. Farrell und Henry zuletzt, aber trotzdem.”
„Klingt verlockend.” Die Kimera zupfte den Strohhalm aus der Limonade und nahm einen großen Schluck. „Ich denke mir, wir könnten auch eine ... echte Pilotenrunde machen. Deram und ich, und deine Mum auch, wenn sie will. Ist vermutlich schon lustiger, als ein militärischer Simulatorflug.”
„Ja, ist es. Morgen? Das ist eh ein Samstag. Dann sorg ich dafür, dass ein paar Plätze frei sind, und ich zocke auch mit.”
„Wisst ihr was”, ergriff Ron das Wort, „Plant mich auch ein, okay?”

Das taten sie.
Der Freitag ging vorbei, der Samstag kam. Die jugendlichen Zocker sowie Zorita und Ron wurden von der einfallenden Pilotenriege zunächst vernichtet, bevor der Spielmodus auf Team gegen Team umgestellt wurde. Drei Piloten, drei Teams - am Ende gewann Derams, was allerdings nicht ausschließlich ihr zuzuschreiben war, sondern auch der Tatsache, dass Farrell in ihrem Team spielte und offenbar mitten im Spiel plötzlich Zugriff auf einen guten Teil von Dads Pilotenwissen erlangte.
Natürlich, Wissen allein nützte nichts, man brauchte Erfahrung ... aber Farrell hatte ja Erfahrung, wenngleich nur vor dem Bildschirm.
Zur Entspannung danach spielten einige ein paar Runden Mars Race - durch die unmögliche Spielphysik hatten die Piloten dort keinen besonders großen Vorteil und verloren durchaus mal. Ron als Implantant allerdings stellte sich sehr schnell auf die Spielphysik ein und holte sich zwei erste Plätze, noch bevor der Pizzabote an der Tür klingelte.

Der Pizzabote entpuppte sich als ein sehr mürrischer Broyc, der sichtlich nicht damit einverstanden war, wie ein Atavus wie er in Clearwater integriert werden sollte. Aber was hatte er denn sonst zu bieten? Als kampfstarker Schrank wurde er nicht gebraucht, geschweige denn gewünscht.
Harmony kam nicht umhin, sich zu fragen, welche Beschäftigung Howlyn aufgeladen würde.
Yulyn wusste es: Howlyn sollte Gärtner Joe Myers zur Hand gehen, weigerte sich allerdings noch, während Juda sich als Regalgehilfin im Sexshop sehr interessiert zeigte, was die menschliche Anatomie so hergab.
Zorita zuckte nur mit den Schultern. „Soll der Macho halt den Hausmann und Vater machen, damit nagt er nur an seinem eigenen möchtegern-männlichen Stolz. Irgendjemand muss eh auf Caedra aufpassen.”
„Die Kleine geht doch in den Kindergarten”, kam von Ron, „Howlyn sitzt sich zuhause nur den Hintern platt und sonst gar nichts.”
„Wenn er zuhause rum sitzt, spießt er niemanden auf”, stellte Licau fest, „soll mir recht sein.” Sie beäugte das Pizzastück in Farrells Händen und nahm sich kurzerhand eine Chili herunter. „Im Vergleich zu Nahema benimmt er sich eh.”
„Gut für ihn”, sagte Harmony kauend, „Nahema ist ja tot, das will er ihr bestimmt nicht nachmachen.”
„Doppelt tot”, mampfte Dominic dazwischen.

Während die doppelt tote Nahema allgemein keine besonderen Gedanken mehr Wert war, waren die in Clearwater untergebrachten Atavus und ihre gelungene oder auch weniger gelungene Integration immer wieder Thema.
Es war nicht unwahrscheinlich, dass Howlyn den Kopf nur temporär einzog, bis sich ihm eine Gelegenheit böte - Commander Sheila Monahan erzählte jedenfalls, dass es in ihrem Universum genau so in den Geschichtsbüchern stand. Nicht nur einmal hatte sich dort ein besiegt geglaubter König wieder an die Macht gekämpft, bis er schlussendlich getötet worden war.
Sheila schlug vor, den hiesigen Howlyn einfach ohne Federlesens um die Ecke zu bringen. Das war natürlich in einem Rechtsstaat keine Option, wenngleich auch Zorita diese Variante klar favorisierte.
Harmony (sie vertrat Liam in allen Kimera-Belangen) beschloss, den Atavus weiterhin nur einfach auf Clearwater zu beschränken. Kaylee sagte ja, sie käme mit ihm klar.

Während Augur sein Paper schrieb, testeten Street, Street und Deram die Technologie weiter, indem sie ohne Hilfe der Bernsteinkugel in Renees Universum flogen - glücklicherweise war das dortige Mutterschiff inzwischen wieder zur Erde geflogen, denn ohne die Bernsteinkugel änderte sich die räumliche Position beim Dimensionssprung nicht.
Keinen Tag später kamen sie zurück, mit Zoriela, aber ohne die drübere Street - sie hätte genug auf Slider gemacht, hatte sie verkündet.
Da nun Zoriela wieder da war, beendeten sie und Zorita das getrennte Leben und vereinigten sich sogleich wieder. Dies fand zwar unter Harmonys Überwachung statt, doch es kam zu keinerlei Problemen. Zoriel bekam kein Fieber, sie wurde auch nicht bewusstlos, sie war nur endlich wieder eins mit sich selbst und freute sich sehr darüber.
Ariel konnte nun natürlich nicht mehr hier bleiben, sie kehrte am nächsten Morgen in ihr angestammtes Universum zurück - und auf dem Rückweg brachte Deram Lil wieder mit.

Renee hingegen blieb lange in diesem Universum. Es lag nicht daran, dass es keine weitere Gelegenheit dazu geben würde, denn es waren, allerdings seltene, Besuche zwischen ihrem und diesem Universum geplant. Dennoch wollte Renee sich über einiges klar werden, und beschloss dann auch, Second Chances in Anspruch zu nehmen.
Das konnte sie natürlich wirklich nur hier.
Schließlich war Winter und alle Personen aus diesem Universum waren hier und alle aus Renees waren dort - außer Sayi'a, die keinesfalls in ihr angestammtes Universum zurückkehren wollte, sie war dort zu sehr diskriminiert worden.

* * *

Die Welt erholte sich. Die Atavus und die unechten Atavushybriden waren vernünftig und spießten keine Menschen (und auch keine Jaridians) auf, der im Gegenzug von der Menschheit zugesagte Verzicht auf Tierschlachtung breitete sich gemächlich aus - in manchen Gegenden recht problemlos, in anderen erst, als Attrappenfleisch verfügbar wurde. Die Tierschützer jubelten, aber die Gesundheitsapostel verdammten das Attrappenfleisch genauso wie das echte - es war so ähnlich, dass man ein sehr gutes Labor brauchte, um den Unterschied zu sehen.
Und dann waren da die Tierschutzextremisten, die mit der Situation unzufrieden waren, weil der Schlachtverzicht aus den falschen Gründen beschlossen worden war. Nicht die Tierethik hatte ihn diktiert, sondern die Gleichbehandlung - wenn die Atavus keine fühlenden Wesen zur Ernährung töten durften, dann stand es auch den Menschen nicht zu. Die Tierschutzextremisten sprachen von reinem Egoismus, denn eine Weigerung von menschlicher Seite hätte ja eine Weigerung von Seiten der Atavus (und somit tote Menschen) zur Folge.

Harmony verstand das Problem nicht. Das Ergebnis zählte, und das Ergebnis war da. Und deshalb aß sie jetzt nicht Schweinsbraten mit Knödeln, sondern Himbeerpudding. Schmeckte auch.

Das fand auch Zoriel, auch wenn sie nicht nur einmal betonte, sich sehr auf Lauries Weihnachtspudding zu freuen. Keine zwei Monate lang war es mehr bis Weihnachten - Liam merkte es Tag für Tag deutlicher und verkroch sich zunehmend, wenn sich der (plötzlich massiv geschrumpfte) Katholizismus und speziell die unfehlbare Aussage des Papstes in sein Leben zu drängen versuchten.
In Clearwater war das alles nur Gelächter wert, aber in Washington kauften genug Leute dem Papst ab, der Kimera sei die Wiederkunft des Erlösers. Vermutlich hatte Papst Pius der dreizehnte dennoch den Niedergang der katholischen Kirche eingeläutet - Liams Ablehnung wog für viele Leute schwerer als das Wort des Papstes. Harmony war durchaus gespannt, ob der Papst irgendwie zurückrudern würde, ob er es konnte.

Laurie kam an den Tisch und stellte noch einen Teller Pudding ab, dann setzte sie sich. „Was machst du an deinem Geburtstag?”
„Weiß noch nicht”, sagte Harmony, „Pudding essen, das ist das einzige, was ich schon geplant habe. Oder Kuchen. Die Bananen-Schoko-Torte, die wäre was.”
„Du bist eine ganz schön starke Frau. Ich sehe selten jemanden mit so großen Zaunpfählen winken.”
Die Kimera grinste schief. „Langsam geht es wieder. Ich finde es lieb, dass Da'an mir ein Fass Grundenergie vor die Tür gestellt hat.”
Zoriel nickte lächelnd. „Das ist halt Da'an. Er kümmert sich. Und ich finde es toll, dass er jetzt dann mit T'than auch in Clearwater wohnt.”
„Und?”, fragte Laurie, „Droht dir ein Geschwisterchen?”
„Bisher nicht. Aber das Haus hat ja auch noch kein Dach.”

„So, jetzt kommt der Hammer.” Die junge Köchin lehnte sich zurück und sah Harmony und Zoriel vielsagend an. „Ich bin verliebt.”
„So? Wer ist der Glückliche?”, fragte Zoriel.
„Najaa ...”, druckste Laurie, „Wenn ihr versprecht, es Dad nicht zu sagen!”
Harmony rollte mit den Augen. „Unsinn, wir sind keine Posaunen - aber was sollte er schon dagegen haben?”
„Er mag ihn nicht. Er hat was gegen ... na gut, es ist Gren.”
„Ach was, die Sache mit den Krallenattacken in der Stadt ist ja ein alter Hut. Das war Zalyc, und Gren hatte nichts damit zu tun.”
„Schön, dass du das sagst, Harmony, aber Dad trägt das ganz allgemein nach ...”
Zoriel lachte leise. „Richte Frank einen schönen Gruß von Zo'or aus!” Laurie seufzte. „Ehrlich! Wenn es Howlyn wäre, würde ich es sehr gut verstehen - aber Gren ist total harmlos”, fuhr die Atavus fort, „Der hat sich vor Harmony verneigt!”
„Und mich Mylady genannt”, ergänzte die Kimera, „Gren ist in Ordnung.”
Laurie zögerte kurz, dann murmelte sie: „Sagt es Dad trotzdem nicht, ja?”
„Klar.”
„Versprochen.”
„Und wie sieht es aus? Ist Gren auch verliebt?”, fragte Harmony.
„Das, äh, weiß ich nicht so genau”, seufzte Laurie, „Ich hoffe es. Und es hilft mir nicht, dass Dad vermutet, Gren würde was mit Licau anfangen ...”
Die Kimera hob eine Braue. „Das wäre mir neu ...”
„Mir auch”, kam von Zoriel und fuchtelte mit ihrer Gabel, worauf ein Stück Pudding auf ihrer Hose landete. „Blöde Schwerkraft. Allemal, es besteht ja keine allgemeine Partnersuch-Verpflichtung, sonst hätte schon lang jemand dafür Harmony die Ohren langgezogen.”
„Ach ... du meinst, weil ich jetzt dann doppelt so alt bin wie damals Dad, als er was mit Aby angefangen hat?” Harmony ließ ihre Energiebahnen durch ihre Haut scheinen. „Aber Ha'gel war gut 1500 Jahre alt, also habe ich noch Zeit.”
„Ich weiß nicht genau, wie das bei Kimera ist”, sagte Zoriel, „aber bei Taelons entspricht das etwa dem erwachsenen menschlichen Alter von 25 Jahren.”
Die Kimera rollte mit den Augen. „Das klingt ja fast danach, als würdest du mir die Ohren lang ziehen”, sagte sie, „Geh doch zu Corinna und gib ihr Schwangerschaftsratschläge, husch husch.”
„Sie hat mich schon vor die Tür gesetzt.”
Harmony lachte laut auf. „Das war so klar! Liebe Zoriel, wenn du unbedingt noch mehr Geburten im Freundeskreis haben willst, kümmer dich doch selbst drum! Ich habe weder Lust, noch Partner, noch Zeitdruck.”
„Ich hab auch grad keine Lust”, gab Zoriel sauertöpfisch zurück, „und Zeitdruck hab ich auch keinen.”
Laurie ruckelte auf ihrem Platz hin und her und sah von Harmony zu Zoriel und wieder zurück, dann fragte sie: „Corinna ist schwanger?”
„Also ...”, setzte die Kimera an, „soweit ich weiß, nicht. Aber sie hat letztens erwähnt, dass sie es versuchen.”
„Und dass wir es keinesfalls Ron sagen sollen”, ergänzte die Atavus, „weil es ja wohl ein Zeichen des Alters sei, wenn man Großvater wird, ohne dass ein kimerianischer Eilzug mitverantwortlich ist.”
Laurie hob ihre Brauen.
„Das stimmt ja wirklich”, sagte die Kimera, „aber das Martínez-Junior-Haus hat ein Dach, und das schon recht lange.” Sie wippte mit ihrer Gabel und wies auf die Köchin. „Und wenn du es Ronny steckst, stecke ich Frank das mit Gren.”
„Jaja, schon gut.”
Zoriel kratzte konzentriert den letzten Rest Pudding von ihrem Teller und aß ihn, dann richtete sie sich auf. „Wenn Ron das wirklich so schwer aufnimmt wie Corinna behauptet”, sagte sie energisch, „dann sage ich es Mum und sie wird ihn rupfen wie ein Suppenhuhn. Ehrlich!”
„Und wenn sie ihn fertig gerupft hat, braucht er auch ein Toupet ...”
„Harmony, du Nuss ...”
„Außerdem hätte er Enkel Farrell auch ohne Eilzugeinmischung kriegen können”, fuhr die Kimera fort, „Da war Dad ja schon volljährig.”
Zoriel legte die Gabel auf den Teller. „Aber ohne Eilzug wäre Farrell noch ein Kind.”
„Trotzdem!”
Laurie seufzte laut auf. „Wisst ihr, ihr könnt den unwichtigsten Kram diskutieren, wann immer ihr wollt - aber ich wollte euch eigentlich was über Gren erzählen.”

Zoriel und Harmony sahen zu ihr und, nach kurzer Verlegenheit, fragten sie zugleich: „Was denn?”

„Er kann kochen!”, sagte Laurie und schlug mit beiden flachen Händen auf den Tisch, „Das wäre schon bei einem Menschen oder Jaridian großartig, aber bei einem, der nicht mal isst, ist es grandios!”
„Ein lernbegieriger Atavus also”, stellte Zoriel fest.
„Ja klar hat er das gelernt - aber er hat nur ein halbes Jahr dafür gebraucht! Der ist der beste Schüler, den ich mir vorstellen kann, und drum hoffe ich ja, dass er die Zeit mit mir nicht nur als Kochkurs begreift.” Laurie starrte versonnen vor sich auf die Tischplatte. „Aber wie fange ich das an? Soll ich ihn fragen? Er traut sich vermutlich nicht ...”
„Tja, dann musst du ihn fragen”, sagte die Atavus, „Irgendwer muss anfangen, und wenn du meinst, dass er es nicht tut, musst du.”
„Und wenn er sagt, es war nur Kochkurs?”
„Dann gibst du ihm eine gute Note und schickst ihn auf die Hotelfachschule, wonach du ihn nie wieder siehst.”
Die Köchin rollte mit den Augen und ließ dann ihren Kopf auf die Tischplatte fallen. „Zoriel, du bist gemein”, nuschelte sie.
„Laurie”, sagte Harmony, „es kann alles Mögliche passieren, aber eine so verquere Geschichte wie Ronny und Mabel werden du und Gren nicht schaffen.”
„Ach ...”
„Oder meinst du echt, ihr könntet eine Befragung auf dem Mutterschiff toppen?”
„Äh ... nein, wohl nicht.”
„Also Kopf hoch, die Welt wird nicht untergehen”, die Kimera lächelte, als Laurie wirklich ihren Kopf von der Tischplatte hob, „Brav. Und jetzt sprich mir nach: Ich werde Gren nicht zur Befragung aufs Mutterschiff bringen.”
„Du bist auch gemein”, knurrte die Köchin. Einen Moment später sprang sie auf und sagte: „Da sind die drei, die in Stasis waren! Die wollen sicher was essen.” Sie eilte nach vorne und machte ihrem Beruf als Jungwirtin der Kochmütze alle Ehre.

„Hat Liam eigentlich schon was gesagt, wann nachgeguckt wird, was in deren Universum los ist?”, fragte Zoriel.
Harmony runzelte die Stirn. „Nicht genau. Er meinte, Anfang nächstes Jahr - es könnte gut sein, dass wir mitten im Krieg rauskommen, da muss erst einiges vorbereitet werden.”
„Aber dort war, als sie in Stasis gingen ... 2090? Oder?”
„Ja.”
„Warum gab es da noch Taelons? Sie haben gesagt, die erste Invasion wäre so ähnlich gewesen wie hier, aber halt zurückgeschlagen und vertrieben ...”
Harmony musterte die Atavus. „Die Ra'jel-Nummer”, stellte sie fest, „Das würde bedeuten, dass die zweite Invasion im Grunde eine Atavus-Invasion war.”
Zoriel verzog das Gesicht. „Mit giftigen Atavus. Giftgrün.”
„Nein - giftblau!”, warf Laurie kurz ein, als sie vorbeirauschte, dann schwang hinter ihr die Küchentür zu - sie provozierte mit ihren Worten allerdings nur Augenrollen bei Kimera und Atavus.
„Vermutlich sieht es da drüben für Menschen und Atavus ziemlich düster aus”, sagte Harmony dann, „aber vernichtet werden sie nicht sein - die Taelons brauchen sie ja zum Überleben.”
Zoriel seufzte. „Wenige.”
„Ja ... wenige.” Die Kimera seufzte. „Aber vielleicht konnten Menschen und Atavus den Taelons doch noch etwas entgegensetzen, es gibt immer Hoffnung.”
„Vielleicht haben sie ja U-Boote”, schlug Zoriel vor.
„Und das hilft?”
Die Atavus grinste breit. „Wenn sie Ha'gel finden, hilft es, ja.”
„Hm”, machte Harmony, „das könnte natürlich sein.” Sie richtete sich auf, als die Tür zur Küche aufschwang - Frank kam heraus, ein Tablett mit Getränken auf den Händen. „Sag mal, Frank, gibt es da drin noch mehr Pudding?”
„Ja klar”, gab der Koch zurück, „Für dich auch, Zoriel?”
„Ich sag nicht nein, bring mir auch was!”
„Kommt dann gleich”, sagte er und trug das Tablett nach vorne.
Zoriel sah ihm nach. „Und wann ist ein Besuch in Renees Universum geplant?”, überlegte sie, „Mich interessiert nämlich schon, wie es Ariel mit dem drüberen Frank ergeht.” Sie schmunzelte flüchtig. „Ob er umfällt, was er von ihr hält ... ob er vielleicht Kontakt halten will?”
„Ob er den drüberen Ron aus dem Grab holen und nochmal umlegen will ...”, ergänzte Harmony.
„Und das, ja.”
„Ich finde es von Ariel ja mutig, dass sie ihm das sagen will”, bemerkte die Kimera, „Ich hab ja gekniffen, als ich im Melonenunfalluniversum vor derselben Entscheidung stand - ich habe Kodriak nicht gesagt, dass er quasi mein Großvater ist.”
„Ist er ja auch nicht”, widersprach Zoriel, „In dem Universum gab es das Experiment deiner Mutter gar nicht.”
„Ich frage mich schon, was mit ihm in unserem Universum passiert ist”, überlegte Harmony, „Er hat ja Jaridia nicht ... erreicht.” Sie runzelte ihre Stirn und griff nach dem piepsenden Global. „Was denn?” - Sie ließ es aufschnappen. „Ja?”
„Bitte verzeihen Sie die Störung, Miss Beckett”, meldete sich ein lamettatragender Militärangehöriger, den sie allerdings nicht kannte, „Colonel Fred Delacroix. Ich muss Sie bitten, zur Militärportalhalle in New York zu kommen, wir haben ein Atavus-Problem.” Ergänzend war im Gemeinwesen plötzlich Wachsamkeit und Sorge zu spüren.
„Haben Sie meinen Vater informiert?”
„Ja, Ma'am, er ist bereits in New York.”
Nun piepste auch Zoriels Global, bei ihr war es allerdings eine Textnachricht. „Atavus-Problem”, sagte Zoriel nach einem Moment, „Howlyns implantierter Sender sendet nicht mehr.”
Harmony zog ihre Brauen zusammen und nickte. „Geben Sie mir zehn Minuten, Colonel”, sagte sie, „dann bin ich da.” Sie schob ihr Global zu. „Zoriel, koordiniere dich bitte mit Kaylee und such nach Howlyn.”
„Klar.”
Die Kimera stieß die Küchentür auf und spähte hinein. „Laurie? Pudding fällt flach, das Militär verlangt nach mir und Zoriel muss auch weg.”
„Na, den Pudding wird schon wer wollen”, kam zurück, „Viel Erfolg!”

Es dauerte tatsächlich nur fünf Minuten, bis Harmony das Portal erreicht und einen Transport nach New York eingestellt hatte. Sie kam entgegen der Portalkennung nicht in der Militärportalhalle an, sondern in einem unterirdischen Raum, klamm, mit moosbewachsenen Mauern - und übelriechender Brühe in zwei Kanälen, je links und rechts, die vorne in einen Sammelkanal mündeten. Das Portal, in dem sie stand, war klein und portabel, und vor allem nicht hier zuhause.

Ein Gefühl von Eingesperrtsein schwappte von Dad durchs Gemeinwesen und allgemeine Sorge kam von den Taelons und Hybriden dazu.

„Miss Beckett, bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeit.” Broyc, der Atavus-Schrank auf Anabolika, trat auf dem schmalen Sims auf der anderen Seite des linken Kanals ins Licht. „Wir wissen um Ihre Fähigkeiten und haben keine Wahl, als Sie mit einer Drohung festzusetzen.” Er hob den Blick und wies auf eine Kamera. „Sobald Sie Anstalten machen, zu teleportieren, töten wir die Geiseln - eine Schulklasse aus Clearwater.” Besagte Schulklasse erschien nun als zweidimensionale Projektion auf der Mauer schräg unterhalb der Kamera.
Harmony machte einen Schritt auf den Atavus zu. „Ich rate davon ab.”
„Das war zu erwarten”, sagte der Atavus, „Wenn Sie den Erfassungsbereich der Kamera verlassen töten wir die Geiseln. Wenn Sie Ihr Global auspacken töten wir die Geiseln. Wenn Sie sich am Portal zu schaffen machen töten wir die Geiseln. Keine Diskussion.” Dann folgte er dem Sims um die Ecke und kletterte eine Leiter hoch.
Nicht gut.
Harmony seufzte leise und vermittelte ihre prekäre Situation über das Gemeinwesen. Zwei Kimera saßen fest.

* * *

„Was? Was ist los?” Kaylee wedelte ihre Hand direkt vor Zoriels Augen hin und her und musterte die Atavus besorgt. „Hast du mir zugehört?”
„Nein.”
„Hm. Also wie gesagt, Howlyns letzte bekannte Position war im Rathaus und ...”
„Das ist nicht wichtig”, unterbrach Zoriel, „Liam und Harmony sind irgendwo eingesperrt - und wenn Harmony eingesperrt ist, ist etwas Großes im argen.” Sie zückte ihr Global und verlangte: „Augur.”
Nach einem Moment erschien der Hacker auf dem kleinen Bildschirm. „Stör mich nicht, ich muss das mit dem wissenschaftlichen Zitieren noch anständig herkriegen!”
„Lass dein Paper links liegen, es gibt Ärger”, sagte Zoriel, „Ich brauche die Positionen von Harmonys und Liams Globals, danke.” Sie legte auf und sogleich piepste ihr Global, sie nahm an. „Ron, dir wurde Bescheid gegeben - gut.”
„Ja, ich war bei Da'ans und T'thans Haus mir den Dachstuhl ansehen, die beiden haben es mir gesagt”, sagte er, schnaufend und mit wackelndem Bild, „Jetzt laufe ich rüber zu deinem - wenn jemand Liam und Harmony festsetzt, steht Farrell auch auf der Liste, und er geht nicht ans Global ran!”
Zoriel spürte ins Gemeinwesen - Farrell machte einen unbesorgten Eindruck, ebenso Henry und Qo'ret, die beide ebenso in Zoriels Haus waren. „Im Gemeinwesen ist er normal”, sagte sie, „Ich melde mich wieder.” Sie schob ihr Global zu und sah auf, in Kaylees dunkle Augen. „Finde Howlyn!”
Die Polizistin nickte. „Geht klar.”
Zoriel eilte aus dem Polizeirevier und zog ein Leihfahrrad aus einem Ständer, schnell stieg sie auf und trat in die Pedale, dann ließ sie wieder ihr Global aufschnappen - wenn es sie auf die Nase legte, heilte das ja wieder. „Mum”, verlangte sie.
„Zoriel, du ... Himmel, fährst du gerade? Du weißt genau, wie ...”
„Gefährlich, danke, ich gucke ja nach vorne. Irgendwer hat Liam und Harmony festgesetzt, knapp vorher hat ein Colonel Croix oder so was wegen Atavus-Problemen gesagt, und Howlyns Positionssender sendet nicht mehr.”
„Okay, was soll ich tun?”
„Scheuch Dad und Tante Mabel auf und flieg zur Militärportalhalle, nachgucken, ob Colonel Sowieso mit drin steckt oder nicht, Augur arbeitet schon an den Globalpositionen, Ron guckt nach Farrell, Kaylee sucht Howlyn.”
„Geht klar. Und du?”
Zoriel starrte grimmig auf die Straße vor sich. „Ich knöpfe mir ein paar Atavus vor.”

Mit dem Aufspießattacken-Täter Zalyc begann sie - er schwor Stein und Bein, von nichts zu wissen. Als nächstes wollte sie Draanim und Broyc auf den Zahn fühlen, doch die beiden waren nicht zu finden, auch der dritte in der kleinen Wohnung, Korys, war abwesend.
Während Korys und Broyc sich frei bewegen durften, galt das für Draanim nicht - der Heiler (Quäler) hatte wie Howlyn einen implantierten Sender. Zoriel zückte ihr Global und fragte auf dem Polizeicomputer die aktuelle Position ab. Draanim war auf dem Basketballplatz. Das war ein gutes Stück entfernt, aber der Sexshop lag auf dem Weg, somit ergab sich die Gelegenheit, Juda zu befragen.
Zoriel schwang sich auf das Leihfahrrad und strampelte zum Sexshop, sie stellte das Fahrrad ab und betrat den Laden. Im Eingangsbereich war das Sortiment harmlos, Reizwäsche und Kondome, die Atavus marschierte geradeaus durch und blieb an der Kasse stehen.
Ellie schenkte ihr ein zauberhaftes Lächeln. „Dass du hier bist, Zoriel, klärt das Rätsel, ob du anatomisch eher Mensch oder Jaridian bist. Was hättest du denn gerne?”
„Eine Richtung”, sagte Zoriel, „Wo finde ich Juda?”
Die Verkäuferin zog eine Schnute und wies nach rechts. „Hinten bei den Dildos.”
Zoriel bog ab und trat an Regalen mit Pornos und erotischer Literatur vorbei, schließlich erreichte sie das Regal mit den Dildos - Juda kniete am Boden und stellte aus einer Kiste dutzende durchsichtige Plastikschachteln mit rosagetönten Glasdildos in ein Regalfach. Interessanterweise war Judas Kleidung optisch dem Atavus-typischen Riffelanzug recht nah, allerdings aus Lackleder.
„Juda, dürfte ich kurz stören?”
„Du tust es bereits. Was ist?”
„Irgendeine Ahnung, wo sich Howlyn rumtreibt?”
Die erweckte Atavus blickte auf und sah Zoriel giftig an. „In diversen Betten, vermute ich!”
„Das vermute ich zwar auch, aber das meine ich nicht. Sein Sender sendet nicht mehr, das ist kritisch!” Sie lehnte sich ans Regal und verschränkte die Arme. „Versucht sich Howlyn wieder an einer Meuterei?”
Juda stellte die Dildopackung in ihrer Hand ab und stand auf. „Mir hat er nichts gesagt! Und selbst wenn er meutern würde, wie du sagst, er würde Kaylee herausfordern, oder womöglich Licau, aber niemanden sonst.”
„Erfreulich.” Zoriel runzelte ihre Stirn zu Karos und sah direkt in Judas Augen. „Ich will sofort wissen, wenn er wieder auftaucht!”
„Ja, natürlich.”
„Gut.” Die vereinigte Atavus wandte sich zum Gehen, doch Juda hielt sie auf. „Was ist?”
„Du bist Atavus”, sagte Juda, „und deine materielle Hälfte ist in dieser Stadt aufgewachsen.” Zoriel hob eine Braue und nickte. „Du kennst Menschen, also frage ich dich: Ist das ... normal?” Die erweckte Atavus wies auf die Regale, die Kiste, die Dildos. „Verwendest du solche Dinge?”
„Ähm ... das ist eher etwas für Menschen ohne energetischen Anteil. Du, äh, kannst dir vorstellen, dass bei einer energetischen Vereinigung solche Spielzeuge eher eine Ablenkung wären.”
Juda runzelte die Stirn. „Es heißt, körperlicher Sex sei überwältigend. Haben die Mensch-Taelon-Hybriden denn keinen? Dann kann er nicht so überwältigend sein, wie man sagt.”
Na das war ja etwas. Wie war Zoriel nur in diese Situation geraten? „Ich kann das nicht beurteilen, ich bin aus menschlicher Sicht nicht vollständig ausgestattet”, sagte sie und hoffte sehr, damit das Gespräch zu beenden, „Frag einen Hybriden ohne Jaridianeinschlag.”
Die erweckte Atavus nickte knapp. „Gut, dann mache ich das.”
Welchem Hybriden hatte Zoriel jetzt das Aufklärungsgespräch aufgehalst? Sie beschloss, den Gedanken zu ignorieren, und verließ den Sexshop nach kurzer Verabschiedung. Schnell bestieg sie das Leihfahrrad und strampelte von dannen, wenig später erreichte sie den Basketballplatz.
Kein Draanim.
Zoriel lehnte das Fahrrad gegen einen Laternenmast und zückte ihr Global, sie fragte den Polizeicomputer, wohin der Atavus-Heiler gegangen war. Allerdings war er nicht gegangen. Laut Polizeicomputer war Draanim noch immer auf dem Basketballplatz, auch die Höhe stimmte überein. Und das Global fand den Sender - im Müllkübel.

Draanim war genauso ausgeflogen wie Howlyn.

„Kaylee”, verlangte Zoriel von ihrem Global.
„Ja?”, fragte die Polizistin.
„Welche Atavus haben Positionssender?”
„Howlyn, Draanim, Zalyc, Garryn, Nedrys und Riame.”
„Ist Howlyn wieder aufgetaucht?”
Kaylee schüttelte den Kopf. „Keine Spur, nein.”
„Draanim ist auch ausgeflogen, hab nur den Sender gefunden”, sagte Zoriel, „Zalyc ist da. Schlage vor, nach Garryn, Nedrys und Riame zu gucken.”
Einige Momente lang wurde die Verbindung gehalten, dann war Kaylee wieder da. „Ich habe je einen Polizisten geschickt.”
„Gut. Wer sind die drei überhaupt? Was haben sie angestellt?”
„Garryn hat sich als falscher Anwalt betätigt und auf Harmonys und Liams Verurteilung hingearbeitet, Nedrys hat die Anschläge auf Militär und Wirtschaft geplant und Riame war für die Besorgung der Vorräte zuständig.”
„Klingt mir recht unsympathisch”, sagte Zoriel seufzend, „Gib mir bitte dann Bescheid, wo die sind, okay?” Kurz schloss sie ihr Global, dann öffnete sie es wieder und rief Ron an. „Hi. Was von Farrell?”
„Er ist nicht da. Henry sagt, er hat sich vor zwanzig Minuten verabschiedet und ist gemütlich gegangen. Geht aber immer noch nicht ans Global und ist weder zuhause noch in der Kochmütze.” Ron runzelte die Stirn. „Welchen Eindruck macht er im Gemeinwesen?”
„Entspannt”, sagte Zoriel, „er macht ganz und gar nicht den Eindruck, als wäre ihm etwas passiert.”
„Yulyn ist gleichzeitig mit ihm gegangen. Weißt du, wo der ist?”
„Nein. Meinst du, der meutert mit? Halte ich für unwahrscheinlich.”
Ron seufzte leise. „Ich weiß, du hörst es nicht gern, Zoriel, aber es sagt nicht sehr viel über unseren Yulyn aus, dass die drübere Ariel mit dem drüberen Yulyn zusammen ist.”
Zoriel verzog das Gesicht. „Telefonier bitte die ganze Jugend durch”, sagte sie dann, „Finde Farrell! Wir brauchen ihn, er ist der einzige Kimera, der derzeit etwas machen kann!”
„Ich weiß!” Damit schob er sein Global zu.

Die Atavus seufzte laut auf und hakte ihr Global wieder an den Gürtel. Was weiter? Mum würde sich melden, sobald sie mehr wusste. Die planetare Verteidigung ... wusste die planetare Verteidigung Bescheid? Wenn Liam und Harmony von falschen Militärs in Fallen gelockt worden waren, wusste die planetare Verteidigung womöglich gar nicht Bescheid!
Allerdings waren die Taelons wachsam und besorgt, und das schon länger, als Liam und Harmony festsaßen. Vermutlich war bereits ein Aufruf zur Verteidigungsbereitschaft an die Schiffe im Erdorbit übermittelt worden.
Zoriel zückte dennoch ihr Global. „Mitchell Hendrik.”
Es dauerte einige Sekunden, dann erschien der General auf dem kleinen Bildschirm. „Mrs. MacDougal, was wissen Sie?”, fragte er, „Wo ist Liam? Er sollte schon lange hier sein und jetzt meldet er sich auch nicht mehr.”
„Tja ...” Sie seufzte laut auf. „Er und auch Harmony wurden irgendwie festgesetzt”, sagte sie, „Wir wissen nicht wo oder wie, aber es ist im Gemeinwesen klar wahrnehmbar.”
„Farrell?”
„Wir wissen auch nicht, wo er ist, aber im Gemeinwesen erscheint er unbekümmert”, sagte sie, „Was ist das Atavus-Problem?”
Er straffte sich. „Sie haben das Schiff in Sibirien gefunden, der Interdimensionsantrieb wird gerade hochgefahren”, sagte er, „General Tsvangirai hat allgemeine Verteidigungsbereitschaft befohlen, auch für das Mutterschiff und alle Jaridianschiffe im Erdraum.”
„Howlyn und Draanim haben sich aus Clearwater abgeseilt, Kaylee guckt gerade nach den anderen mit Positionssendern. Zalyc ist allerdings da.” Zoriel lehnte sich an den Zaun um den Basketballplatz und seufzte knapp. „Wie lange, bis der Antrieb hochgefahren ist?”
„Offenbar gehen sie es nach den paar Millionen Jahren Inaktivität vorsichtig an - fünf Stunden, vermutlich eher mehr. Die Kavallerie sattelt schon, wir greifen die Atavus in Kürze an.” Mitch seufzte ebenfalls. „Zalyc sollte im Auge behalten werden”, sagte er, „sonst verschwindet er womöglich noch.”
„Ich kümmere mich darum, General.”
„Viel Glück, Mrs. MacDougal”, sagte er, „Halten Sie mich auf dem Laufenden.”
Sie nickte knapp, dann schob sie das Global zu und zog es gleich wieder auf. „Augur”, verlangte sie.
„Nein, Zoriel, ich habe noch keine Globalpositionen”, blaffte der Verlangte einen Augenblick später aus dem kleinen Gerät, „Sie waren im Netz, dann kam der Portaltransport und weg waren auch die Globals.”
„Und wohin ...?”
„Nein, ich weiß auch nicht, wohin die Portaltransporte gingen. Lass mich in Ruhe arbeiten, ich sag dir, wenn ich was hab.” Er beendete den Anruf.
Zoriel rollte mit den Augen. „Augur”, verlangte sie erneut.
Der Hacker sah verdutzt aus dem Global. „Was ist denn?”
„Was ist mit den anderen Portaltransporten?”, fragte die Atavus, „Ist zum Beispiel Howlyn per Portal abgehauen?”
„Die Supermarktkamera hat ihn aufgezeichnet, danach waren nur noch Liams und Harmonys Transporte, Street hat auch keine unregistrierten ID-Aktivitäten in der Stadt aufgezeichnet.” Er zuckte mit den Schultern. „Draanim könnte zwei Portaltransporte genommen haben, nach Stockholm oder nach Peking. Ich verfolge beide weiter.”
„Danke!”, sagte Zoriel - sie rief gleich Kaylee an.
„Hast du was?”, fragte die Polizistin.
„Augur sagt, Howlyn ist nicht per Portal abgehauen. Bewacht jemand Zalyc?”
„Ich hab Lorne geschickt, ja.” Kaylee seufzte nun gedehnt. „Howlyn war im Supermarkt, das ist seine letzte sichere Position - sein Sender im Rathaus ist dort ohne ihn”, sagte sie, „Danach sind aber nicht mehr viele Autos rausgefahren, auf den Straßen ist fast nichts los. Ich würde nicht ausschließen, dass er sich irgendwo in der Stadt verkrochen hat.”
Zoriel zog die Brauen zusammen. „Unwahrscheinlich. Das Atavus-Schiff fährt gerade den Antrieb hoch.”
„Warum bist du dann nicht auf dem Weg dorthin?”
„Die Kavallerie reitet auch ohne mich”, sagte sie, „Also gut, ich sehe, ob ich den Zottelheini in der Stadt finde. Und du ...”
„Normale Polizeiarbeit, Zoriel, ganz normale Polizeiarbeit.” Damit legte Kaylee auf.

Die Atavus schloss ihr Global und hakte es an den Gürtel, dann fuhr sie sich mit den Händen über das Gesicht. Wo sollte sie nun anfangen, in Clearwater einen untergetauchten Macho zu suchen? Die Stadt war voll mit Verstecken! Er konnte in einem Baumhaus sitzen, auf einem Dach, in einem Sturmkeller oder, wie Juda vermutete, in irgendeinem Bett liegen.
Allerdings, und das wurde den Stadtbewohnern selten bewusst, gab es einige Einwohner, die seit Zalycs Aufspießattacken ihre Umgebung sehr gut im Auge behielten.
Zoriel ließ ihr Leihfahrrad am Laternenmast lehnen und marschierte zur Außenwand des Rathauses. Um die antik aufgemachte Ecksäule wand sich ein blauvioletter Tentakel - Serkui. Die Atavus legte ihre Hand dagegen und schloss die Augen.
Serkui hatte Howlyn wahrgenommen, und das nicht als einziger. Zoriel brauchte nicht einmal durch die Stadt zu laufen dafür, denn Serkui war in mentalem Kontakt zu den anderen Haustierpflanzenwesen.
Lighai konnte beisteuern, dass Howlyn das Schulhaus betreten hatte.

Klar, Lighai wuchs in der Post und hatte nur die Front der Schule im Blick, aber das war ein sehr guter Anhaltspunkt.

Zoriel holte das Leihfahrrad vom Laternenmast und strampelte die 700 Meter zur Schule.

Die Eingangstüren waren verschlossen, die Atavus behalf sich per Shaqarava - das Schloss war nun allerdings zu ersetzen. Es war gespenstisch still in der Schule. Ariel hatte die Korridore fast nur von Kinderlärm gefüllt gekannt, sie war tatsächlich nie außerhalb der wilden Pausenzeiten hier gewesen. Und auch an den Elternsprechtagen für Henry war es hier immer alles andere als leise - Erwachsene waren zu erstaunlichem Krach in der Lage.
Rechts war ein Durchgang zu den Schließfächern, links die Türen zum Lehrerzimmer und zu den Toiletten. Zoriel überprüfte sie alle schnell, kein Atavus, aber weitere zu ersetzende Schlösser - sie versiegelte die Türen auch per Shaqarava, sodass erkannt werden könnte, ob nach ihr noch jemand sie öffnen würde.
Und das drohte noch über fünfzig Klassenzimmern.
Zoriel begann mit denen der Schulanfänger, zerstörte ein Schloss nach dem anderen, spähte über zerkratzte und bemalte hölzerne Schulbänke und fand nichts außer einem Paar löchriger grüner Socken. Wieso lag da ein Paar löchriger grüner Socken in einem Klassenzimmer? Mit den Atavus hatte es allemal vermutlich nichts zu tun.
Ein Stockwerk höher ging Zoriel weitere Klassenzimmer durch, dann piepste ihr Global. Sie ließ es aufschnappen.
„Zalyc ist noch immer da”, sagte Kaylee, „Garryn, Nedrys und Riame sind ausgeflogen - ihre Sender senden noch, aber sie haben sie sich ausgebaut. Sag mal, bist du in der Schule?”
Die Atavus schwenkte kurz ihr Global. „Ja.”
„Das erklärt den Alarm, ich hab schon Leute an alle Ausgänge geschickt.”
„Lighai hat Howlyn reingehen sehen.”
Kaylee hob ihre Brauen. „Brauchst du Unterstützung?”
„Es sind viele, viele Türen - aber was sollen die Atavus in der Schule schon anrichten? Ich komme klar.”
„Wie du meinst.” Die Polizistin verschwand, Zoriel hakte das Global wieder an den Gürtel.

Es waren noch viele Klassenzimmer, also machte die Atavus sich wieder an die Arbeit. Sie brach jedes Schloss, spähte in jedes Klassenzimmer und versiegelte die Türen. Einige Sekunden je Klassenzimmer, etwas länger für die Toiletten. Kartenraum, Abstellraum und Sekretariat gingen schneller. Im Chemielabor versteckte sich auch kein Atavus und im Biologieraum hingen nur zwei Plastikskelette herum - ein menschliches und ein jaridianisches.
Zoriel suchte unter dem Klavier im Musikraum, hinter dem Mainframe-Server im Hinterzimmer der Computerlabors und im Turngeräteraum.
Blieb nur noch der Keller.

Zoriel fand die mit Säulen stabilisierte Bunkerhalle mit Trennwänden aufgeteilt vor. Wann war das denn gemacht worden? Von einem solchen Beschluss wusste sie nichts, obwohl die Bunkerverwaltung der Stadt die Aufgabe ihres Vaters war.
Das erste Quadrat war leer, nur die Wand gegenüber hatte eine Tür. Unverschlossen. Zoriel ging hindurch - im nächsten Quadrat standen eine Campingküche und ein großer Esstisch. Ein Partyversteck für Schüler? Zoriel ging durch die Tür in der linken Trennwand.
Das Rechteck (links fehlte die Trennwand zwischen zwei Quadraten) war fast leer, nur eine Kimeraenergiekapsel lag da, Zoriel nahm sie und steckte sie ein. Rechts war die einzige andere Tür, Zoriel öffnete sie und betrat das nächste Quadrat. Hier standen ein Doppelbett und ein riesiger Fernseher samt Spielkonsole.

Das sah sehr nach einen Partyversteck aus.

Zoriel ging am Fernseher vorbei und runzelte die Stirn. Der Bildschirm war dunkel, aber sie hörte die Konsole summen. Kurz tippte sie gegen das Bedienpanels des Fernsehers, eine Pause-Meldung vor einer Formel-Eins-Rennstrecke im Split-Screen erschien.
Ein kurzer Griff ins Bett und Zoriel wusste auch, dass selbiges noch warm war. Sie hatte hier jemanden akut verscheucht.
Sie nahm die linke Tür. Da lag Howlyn mit vergiftet grauer Haut mitten im ansonsten leeren Quadrat. So hatte sie ihn hier nicht erwartet. Fauchend und die Krallen wetzend hatte sie ihn erwartet, nicht halbtot.
Kurz summte es, dann schimmerte virtuelles Glas an allen vier Trennwänden.

„Tut mir leid, Zoriel MacDougal, so geht das nicht”, erklang aus der noch geöffneten Tür hinter ihr und die Atavus wirbelte herum. Es war Draanim. „Du hast ja auf dem Weg eine Kapsel gefunden, also ... es ist deine Entscheidung, was du mit ihm machst.”
„Wie bitte?”, fauchte Zoriel.
„Du kannst ihn heilen, du kannst ihn töten. Spielt ohnehin keine Rolle. Wenn das Schiff startet, können wir weder dich noch ihn brauchen, also töten wir euch beide.” Er trat einen Schritt zur Seite, hinter ihm stand eine weibliche Atavus mit zwei Gamecontrollern in den Händen. „Bis dahin ... ich muss noch ein paar Rennen gewinnen.” Damit schlug der Atavus-Heiler die Tür zu.

Energisch knirschte Zoriel mit den Zähnen, schnell ließ sie ihr Global aufschnappen - vergeblich, sie hatte keinen Empfang.
Selbst ihre Verbindung mit dem Gemeinwesen war gestört! Wie ging das denn?

Hing Howlyn mit drin? Es erschien ihr tatsächlich unwahrscheinlich. Keinesfalls konnte an ihm vorbeigegangen sein, wie sauer sie auf ihn war, und hier mit ihr in einem Raum eingesperrt war er in Lebensgefahr.
Es war sehr verlockend, ihm einfach den Rest zu geben! Dummerweise war es auch hochgradig unklug.
Zoriel hockte sich neben Howlyn hin und berührte seine Schulter, seine Augenlider flatterten kurz und er sah sie erstaunlich durchdringend an.
„Töte mich schon!” Es sollte wohl ein Fauchen werden, mehr als ein Wispern gelang ihm aber nicht.
Wortlos gab Zoriel ihm die Energiekapsel - außer der Heilung der Grundenergievergiftung hatte das auch noch einen sehr erstaunten Blick zur Folge.

„Was geht hier vor?”, fragte sie ihn kühl.
„Riames Kontaktleute in Rostok haben das Schiff gefunden”, sagte er, „Der Antrieb wird hochgefahren, dann wollen sie einen neuen Planeten suchen.”
„Und dich wollen sie nicht mitnehmen ... klar, ohne dich haben sie selbst die Macht.”
Ihm gelang ein spöttischer Blick, dann setzte er sich auch auf. „Als ob sie ihre Macht halten könnten ... Jaylis würde übernehmen. Jaylis ist ein gefährlicher Mann!”
Zoriel erhob sich und stapfte durch den Raum. „Warum ist Draanim dann noch hier?”
„Wegen der Geiseln.”
„Geiseln?”
„Ich weiß nicht, wen sie als Geisel haben und wofür. Ich habe noch nichts von Forderungen mitbekommen, allerdings ...”, er wies auf den Boden, „war ich auch nicht gerade aufnahmefähig.”

„Warum bist du hier?”, fragte Zoriel eisig, „Wer hat dich vergiftet?”
„Draanim.”
„So?” Sie verschränkte die Arme. „Warum bist du hier? Warum hat er dich vergiftet?”
„Ich wollte Liam sagen, was sie vorhaben.”
Es fiel ihr schwer, das zu glauben. Eher wohl hatte Draanim einfach einen Konkurrenten erledigt.

„Wie kommen wir hier raus?”, fragte Zoriel nach einigen Momenten Stille.
Howlyn stand auf und lachte spöttisch. „Du rennst mitten in eine Falle und bittest jetzt mich um Hilfe?”
Sie zog die Brauen zusammen. „Mehr Auswahl habe ich ja nicht.”
Er trat näher, zu nah für ihren Geschmack, und starrte ihr durchdringend in die Augen, sie hielt stand. „Ich bin dir also nicht gut genug?”, fauchte er, „Aber ich war dir gut genug fürs Bett!”
„Ich habe dich vergiftet.”
„Oh, das hast du. Es war die angenehmste Vergiftung, die ich je hatte.”

„Ach ...”

„Du unterschätzt mich, Zoriel”, zischte er, „Ich bin gut darin, meine Feinde zu kennen - und ich kenne dich!” Er hob eine Hand und setzte an, Zoriel im Gesicht zu berühren, da hatte er schon ihre Faust in seinem und taumelte zurück. In Anbetracht der glühenden Krallen an Zoriels rechter Hand hielt er nun Abstand. „Du verabscheust Jarya!”, sagte er fest, „Deine Tochter!”
Ariels Tochter! Aus einem anderen Universum! Und ich verabscheue sie nicht.”
„Nicht sie persönlich natürlich.” Er grinste breit. „Aber du musstest an mich denken. Wie ich sagte, es war eine überraschend angenehme Vergiftung.”
„Muss dir aufs Hirn geschlagen haben ...”
„Wie lange hat unser Kind überlebt?”, fragte er, jetzt plötzlich ohne jede Spur von Spott.
„Dein Hirn hat wirklich einiges abbekommen”, sagte sie - aber sie hatte gezögert, das wusste sie, und es konnte ihm nicht entgangen sein.
Er schüttelte langsam den Kopf. „Zoriel, du enttäuschst mich. Glaubst du wirklich, ich hätte das nicht bemerkt?”
Was bemerkt?”, fauchte sie ihn an.
Jetzt lächelte er. „Volle Resonanz, Zoriel. Ein perfekter Moment.”
„Ich konnte dich leicht vergiften.”
„Oh ja, unsere Energien waren gut gemischt - und dann warst du schwanger.” Er trat näher (Wann hatte Zoriel ihre Krallen eingefahren?) und fragte: „Wie lange hat es gelebt?”

Sie schluckte. „Zweieinhalb Wochen.”
„Ich wünschte, das wäre mit Zoriela gewesen”, sagte er.
„Träum weiter ... Arschloch.”
Kurz lachte er auf. „Sehr witzig ... also, hast du eine Idee, wie wir hier rauskommen?”

Zoriel sah sich kurz um. Überall war virtuelles Glas. „Nein, keine Idee.”

 

Ende Kapitel 10

 

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