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  „Licht” von Veria,   November 2017
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Liam geht gegen die Atavus vor, unterdessen hat der Kontakt zum anderen Universum gefährliche Auswirkungen.
Zeitpunkt:  direkt an das Ende von Phönix anschließend
Charaktere:  Ga'hil, Liam, Street, Street, [Aby, Farrell, Kural, Zoriel, Louise, Yulyn, (Richard Carter, Brooke Donaldson, Annika Moranis, Mitchell Hendrik, Lili, Augur, Lil, Cedrik, Frank, Ariel, Damien)]
 
 

 

LICHT

Kapitel 1: Licht I

 

Das Geheimnis war offen, die menschlichen Identitäten in diesem Gerichtssaal mit einem Mal bekannt. Recht viele hier mochten gerätselt haben, jetzt hatten sie allesamt tellergroße Augen und raunten miteinander. Vor allem wurde nun bei den Medienvertretern geraunt und zunehmend ruhten die Blicke nicht mehr auf den drei Kimera, sondern auf Aby, der Generalswitwe, die ihren Gatten eben doch nicht durch eine Autobombe verloren hatte.
Richter Carter hämmerte, selbst noch gebührend erstaunt, auf seinem Tisch herum, als müsste er einen Nagel einschlagen, und es wurde und wurde nicht still im Saal. Schließlich winkte der Richter einen der Gerichtsdiener zu sich und bat um etwas - es entpuppte sich als Trillerpfeife, in die er dann kräftig hineinblies.
Das wirkte.
Der Richter gab die Trillerpfeife dem Gerichtsdiener zurück und klopfte noch dreimal mit dem Hammer, bis es ganz still war. „Bitte, setzen Sie sich, General, beim Angeklagten ist noch ein Platz frei”, sagte er dann, „Junger Mr. Kincaid, kehren Sie in den Zuschauerbereich zurück. Bitte etwas Ordnung im Gericht!”
Ga'hil folgte der Anweisung und setzte sich neben Liam, der fragend eine Augenbraue hochzog und mittels eines Kurzsharings gleich die neuen Informationen übermittelt bekam. Ein Sharing mit sich selbst war einfach - man brauchte keine fremden Gedankengänge entwirren, die eigenen nicht an eine andere Person anpassen, man brauchte nur einfach die Schleusen zu öffnen und alles lief von selbst, innerhalb von Sekundenbruchteilen.

„Kincaid also”, sagte Anwalt Donaldson, der inzwischen seine Fassung zurückerlangt hatte, „Nun, das erspart mir einige Fragen und ich komme gleich zur Schlussfolgerung: Vetternwirtschaft.” Er fuchtelte mit einer Hand herum und rief: „Ein und dieselbe Person war zugleich Leiter der planetaren Verteidigung und der Kimera! Diese Art Doppelrolle ist ungesetzlich.”
„Einspruch!”, erhob sich Liams Verteidigerin Annika Moranis und bekam einen verdutzten Blick vom Richter. „Ich meine ...”, sie blickte zu Donaldson und straffte sich, „Um wieder an die eigentliche Verhandlung anzuknüpfen: Die angebliche Vetternwirtschaft hat nichts mit der Anklage zu tun. Es geht um Fluchthilfe - die seit heute ohnehin hinfällig ist, da Agent Martínez sich gestellt hat! Außerdem hat die Doppelrolle des Angeklagten der Menschheit aller Wahrscheinlichkeit nach das Überleben ermöglicht.”
„Euer Ehren, ich bitte um Bedenkzeit!”, warf Donaldson ein.
„Einspruch stattgegeben, Bedenkzeit abgelehnt”, sagte Carter, wofür er unangenehm stechende Blicke von der Anklage einfing.
Ga'hil runzelte die Stirn und wechselte einen Blick mit Liam. Der Richter war ein Hybrid und schlug sich dennoch auf die Seite der Verteidigung. Ma'els Signalgeber wirkte also ... nur warum bei Donaldson und dem Rest der Anklage nicht auch?
Getarnte Atavus womöglich? Oder nur knapp vor der Verhandlung nach Washington gekommen und noch unter Nachwirkung?
Liam lehnte sich zu Annika und flüsterte: „Ich bin für Bedenkzeit.”
„Sind Sie wahnsinnig?”, wisperte sie zurück.
„Nein, ich habe meine Gründe.”
Sie musterte ihn kurz, dann wandte sie sich dem Richter zu: „Euer Ehren, mein Mandant wünscht ebenfalls eine Pause.”

„Sie sind wahnsinnig!”, stimmte der Nebenanwalt ihr im Nebenzimmer schließlich zu, „Wir könnten die Anklage nach Strich und Faden demontieren, aber jetzt werden sie sich eine Strategie überlegen und wir stehen wieder dumm da. Mr. Beckett, das war absolut nicht klug.”
„Der Richter ist ein Atavushybrid”, sagte Liam, „und meine Hoffnung ist, dass das für die Anklage ebenso gilt.”
„Ihre Hoffnung?” Annika musterte ihn zweifelnd.
„Die Atavus haben ein Gemeinwesen, das auf die Hybriden weitaus deutlicher wirkt als auf die Atavus selbst”, erklärte Ga'hil, „aber wir haben einen von Ma'el modifizierten Signalgeber gefunden. Wir hatten das Gerät in Clearwater, wo es sich bei unseren Gästen bewährt hat - jetzt ist es seit einigen Stunden in Washington und zeigt offensichtlich bereits Wirkung auf den Richter.”
„Aber auf die Anwälte nicht”, begriff Annika, „Da die Kanzlei ein Tatort ist, mussten sie auf ihr Büro in New York ausweichen ...”
„Richtig, also warten wir”, sagte Liam und lehnte sich zurück.
„Moment ...”, zog sie die Brauen zusammen, „Sie wissen davon? Was in der Kanzlei passiert ist?”
„Früher oder später wird die Polizei schon kundtun, dass dort Blut und Hirn meiner Frau an der Wand kleben”, Ga'hil zog eine Fratze, im Chor mit Liam fuhr er fort: „Aber dank gewisser Energie heilte glücklicherweise alles schnell wieder.”
Annika blickte zwischen den beiden hin und her und seufzte leise. „Wie lange müssen wir warten?”
„Beim Schützen hat es fünf Stunden gedauert, bis er ein Gewissen entwickelte”, antwortete der Liam-Chor.
Fünf Stunden?”, rief der Nebenanwalt, „So lange können wir niemals Pause machen!”
Annika zog einen Mundwinkel hoch. „Müssen wir nicht. Wir müssen nur die Verhandlung kräftig in die Länge ziehen - und wenn Sie recht haben, Mr. Beckett, dann wird uns der Richter dabei unterstützen.”

Sie reizten die Pause voll aus, entwickelten ein paar nette Strategien, um den Gegner zu beschäftigen, und kehrten dann in den Gerichtssaal zurück - Aby zeigte den erhobenen Daumen und wies dezent auf ihren jüngeren Kollegen Alan Petersen, der die taelonische Grußgeste andeutete. Irgendetwas wollten die beiden Ga'hil sagen, aber er konnte sich beim besten Willen nicht zusammenreimen, was es war. Sollte er seine Frau nicht nach all den Jahren gut genug kennen, um es zu erraten?
Allerdings konnte er trotz aller Vertrautheit nicht Gedanken lesen, nur manchmal beinahe.
Die Anklage hatte in der Pause Liams menschliches Leben komplett umgegraben und griff jetzt seine Entscheidungen als Soldat und Widerstandsmitglied an - und fing sich einen Einspruch nach dem nächsten von Annika ein, ein Gutteil ging sogar durch. Zudem demontierte die Verteidigerin die meisten Attacken gekonnt damit, was wohl sonst geschehen wäre.

Ga'hil stellte fest, dass die Anklage sich zunehmend uneins wurde - nicht sehr, aber merkbar. Der bisherige Wortführer Brooke Donaldson wurde von einem deutlich aggressiveren Kollegen abgelöst.

Der Kimera verfolgte die neuesten Blickwechsel verwundert. Aby wechselte Blicke mit dem Richter, der Richter mit Donaldson - und Donaldson lächelte dann Annika an. Ein Sekundensharing mit Liam zeigte, dass dieser ebenso verwundert darüber war wie Ga'hil. War das die Wirkung von Ma'els Signalgeber? Der Kimera traute sich kaum, so optimistisch zu sein, aber ... es war gerechtfertigt.
Donaldson griff mitten in der ausschweifenden Rede seines Kollegen an dessen linke Schulter und riss ihm den Gurt der Tarnvorrichtung ab: Atavus. Zwei Sätze lang redete der Enttarnte unbeeindruckt weiter, dann erst kamen ihm die tellergroßen Blicke und das Raunen merkwürdig vor und er wandte sich fauchend zu Donaldson um.

„Betrug und Täuschung”, erklärte Richter Carter laut, „diese ganze Verhandlung ist nichts weiter als der Versuch, den Kimera aus dem Weg der Atavus zu haben.” Der Atavus-Anwalt drehte sich zu ihm und fuhr die Krallen aus - der Richter tat es ihm gleich. „Hybriden sind wir, die restlichen Anwälte der Anklage und ich selbst, beeinflusst durch ein atavanisches Gemeinwesen, dessen Wirkung nun aufgehoben wurde - dank denen, die uns nicht aufgegeben haben: Den Bewohnern von Clearwater, speziell dem Kimera.” Er griff nach dem Hammer und benutzte ihn kräftig. „Gerichtsdiener! Schaffen Sie mir diesen falschen Anwalt aus den Augen! Das Verfahren wird eingestellt!”
Die Gerichtsdiener alleine schafften das allerdings nicht, sie waren nur einfache Menschen, allerdings kamen ihnen dann Farrell und Se'eb zu Hilfe und auch Harmony bot ihre Unterstützung.
„Mr. Beckett, es hat funktioniert!”, sagte Annika strahlend.
Kimera und Mensch erwiderten ihr Lächeln und blickten dann zu den Medienvertretern, wo in der ersten Reihe Aby zwinkerte. Diese Verhandlung hatte definitiv ein gutes Ende genommen - blieb zu hoffen, dass Harmony und Ron auch bald wieder freikämen. Aber Ga'hil zweifelte nicht daran. Es würde schon werden.

Dank Ma'el - und dank Kaylee.
Ga'hil und Liam traten zu Aby und schenkten ihr eine kräftige vierarmige Umarmung - unter Jubel aus dem Zuschauerbereich! Harmony zwinkerte, während sie aus dem Gerichtssaal gebracht wurde, um wohl wieder in ihre Zelle zurückzukehren.
Aber das würde schon. Bestimmt.

Ga'hil zog Aby und Liam hinter sich her, bahnte sich den Weg durch die Menschenmasse, sammelte draußen schließlich Farrell und Jay ein und verfügte die gesamte Gruppe schnellstens in die merkwürdigerweise für sie bereitstehende Limousine.
„Hi”, grüßte Mitch vom Beifahrersitz, „Der Präsident lässt schöne Grüße und vielen Dank ausrichten. Er möchte die Zusage, dass Ma'els Signalgeber nicht aus Washington entfernt wird, dafür verspricht er, keine Reisen mehr zu machen.”
„Hybrid.”
„Ist er, er hat mir seine Krallen gezeigt - und seinen persönlichen Friedhof.” Mitch seufzte ausgiebig. „Der Signalgeber in Washington rettet die Regierung - aber das Volk steckt noch immer tief in der Patsche, es gibt noch viele andere Städte, die richtige Hybridennester sind. In Chicago soll es zugehen wie während der Prohibition.”
„Nur landen die Leute nicht mit Zementschuhen im Wasser, sondern enden als Hybridenfutter”, verstand Aby, „Aber selbst wenn wir den Hybriden ein Gewissen geben können, sie müssen sich ernähren!”
„Sie vertragen auch Grundenergie und davon ist genug da”, beschloss Liam, „Mitch, wir fahren zur Hauptportalstation. Der Präsident ist nicht so wichtig.”
„Wie fanden Sie die große Geheimnisauflösung?”, fragte Aby nun.
„Ich habe beschlossen, dass sie mich nur am Rande berührt”, sagte Mitch, „will heißen: Mir gefällt mein jetziger Name ganz gut. Aber natürlich werde ich nicht geheimhalten, dass ich früher auch mal Liam Kincaid hieß.” Er runzelte die Stirn. „Wenn ich mich recht erinnere, gab mir Miss Palmer noch einen anderen Namen - so heiße ich vermutlich im anderen Universum. Wie war es? Brad?”
„Kann sein.” Aby zuckte mit den Schultern. „Es war jedenfalls ein kurzer Name.”

Der Wagen bog nun in die Tiefgarageneinfahrt der Hauptportalstation ein, währenddessen klingelte Abys Global. Sie öffnete es. „Ja, Aby Kincaid hier?”
„Kural hier”, meldete sich der Jaridianarzt, „Reich mir doch bitte mal deinen Gatten.”
„Klar.” Sie reichte das Global an Ga'hil weiter, Liam blickte ihm über die Schulter.
„Street und Street haben die Atavusgemeinwesen-Schwingung isoliert - sie sagen, dass sie künstlich ist. Sie meinen, man könnte mit einem Resonanzimpuls alle Signalgeber auf einmal kaputtmachen.”
Liam runzelte die Stirn und griff nach Ga'hils freier Hand. „Nachteile?”, fragten sie im Chor.
„Ja, die Signalempfänger reagieren auf den Impuls vermutlich teilweise mit Hirnschlägen. Und noch etwas: Nichts und niemand kann so einen starken Gemeinwesen-Impuls senden ... außer dir, wenn du Atavus-Gestalt hast.”
„Na die Atavus werden mir den Vogel zeigen, wenn ich ...”
„Gren hat sich freiwillig gemeldet.” Ohne Ma'els Überlagerung? „Um am lebenden Objekt zu messen, haben die beiden Streets ihn nach Washington mitgenommen, prompt wurde er wieder lieb und nett und hat sich wie gesagt freiwillig gemeldet.”
„Prima”, Liam nickte, „Andere Frage: Etwas Neues an der Futter-Front?”

Jetzt grinste Kural bis zu den Ohren. „Ja. Zalyc ist tödlich beleidigt.”

„Was ist passiert?”
„Licau hat aufgedeckt, dass die Kimeraenergie an seiner Unfähigkeit gar nicht schuld ist, es ist vielmehr generell so. Sie hat die Notbremse gezogen und anderweitig für einen Treffer gesorgt, bevor Zalyc zu tödlichen Attacken überging.”
„Oh”, machte Aby.
„Ja, sie ist schlau. Sie wohnt jetzt übrigens bei den MacDougals, weil Zalyc sie nicht mehr sehen will”, fügte der Jaridian hinzu, „Kommt ihr nach Clearwater oder zu den Streets und Gren zum Signalgeber?”
Kurz runzelte Ga'hil die Stirn, dann beschloss er: „Ich gehe mit Aby zu den Streets, der Rest kommt nach Clearwater.”

* * *

„Hi”, grüßten zwei Rotschöpfe im Chor, Gren winkte knapp von der Liege, an die er geschnallt war, damit sich sein Kopf im Scanner nicht zu sehr bewegte. Auf einer zweiten Liege lag zähneknirschend Cress.
„Hi”, sagte Aby und verschwand sogleich in der Küche.
„Street, Street, Gren”, grüßte Ga'hil, „Jetzt erklärt mal genau, bitte.”
Eine der beiden Mathematikerinnen, den geringfügig längeren Haaren nach zu urteilen die hiesige, seufzte leise. „Es ist sehr sehr kompliziert”, sagte sie, „Wir wollen natürlich nicht Ma'els Signalgeber als einzigen kaputtmachen und wenn das Signal zu schwach ist, passiert das. Und wenn es zu stark ist, platzen den Atavus und vor allem den Hybriden die Köpfe - Zoriel und Henry eingeschlossen.”
„Zoriel und Henry?”, rief Aby verdutzt aus der Küche, „Die sind auch im Atavusgemeinwesen?”
„Nein!”, rief Street zurück, „Sie können rein, theoretisch, aber sie sind nicht drin. Weiß nicht warum.”
„Unser Signal ist natürlich alles andere als natürlich und zudem viel zu schwach”, ergriff die andere Street das Wort, „von daher hofften wir, dass du da bessere Chancen hast, Ga'hil.”
„Und dass du keine Köpfe zum Platzen bringst, vielleicht”, schloss Gren.
„Ich werde es versuchen”, sagte Ga'hil und löste das erste Klettband um den Kopf des Atavus, „Du hast dich freiwillig gemeldet, mir deine Gestalt zu überlassen?” Gren nickte, worauf ihm der Kimera eine Hand auf die Brust legte und sich konzentrierte.

Aber doch, es ging ganz einfach. Als Ga'hil seine Augen wieder öffnete, lag ein Kokon vor ihm und er selbst war Atavus.

„Der Scanner hat gerade echt coole Daten geliefert”, stellte Street (eine von beiden, er wusste nicht welche) fest. Sie und ihre dimensionale Doppelgängerin packten an, eine an den Schultern und eine an den Füßen, und trugen Gren in seinem Kokon aufs Sofa. „Kannst dich schon hinlegen, wir müssen dich ja auch überwachen.”
Ga'hil folgte dieser Anweisung gleich und fixierte hilfsbereit auch seinen Kopf. Als die beiden Rotschöpfe und Aby dann an der Computeranlage bereitstanden, fühlte er hinaus ins Gemeinwesen. Die Atavus und deren Hybriden ... so viele! Allein in Washington!
Konzentriert spürte er weiter, über Washington hinaus, das Gemeinwesen war größer, so viele Atavus und Hybriden ...
So viele! Millionen!
„Du bist drin”, sagte Street, „jetzt zeig ihnen, dass du da bist.”

Er begann zu senden, seine Stimme erklang laut durch all die Gedanken, lauter als die anderen. Viel lauter. Sie bemerkten ihn, alle. Auch die Taelons, mit denen er über Ma'els Signalgeber verbunden war.
„Okay, bei der Stärke ging es Gren vorhin ganz anders als jetzt Cress”, bemerkte die andere Street, „Dein Signal ist besser verträglich. Stärker, bitte.” Ga'hil zog deutlich an. „Prima. Geht noch mehr?”
„Klar”, bestätigte er, er war ja noch in einem Bereich, den er schon einmal im Schlaf erreicht hatte. Er rief seine Anwesenheit hinaus, lauter als jemals zuvor. „So recht?”
„Cress ist zwar durch den Wind, aber organisch ist alles bestens”, sagte Street, „Ma'els Signalgeber hat allerdings soeben den Geist aufgegeben, zurück können wir nicht mehr.”

Zunächst hielt Ga'hil einfach diese Intensität, bis er richtig ein Gefühl für den Zustand des Gemeinwesens hatte. Inzwischen waren all die Taelons verschwunden, nicht mehr zu spüren, die beiden Gemeinwesen waren nicht mehr verbunden. Damit wirkte die eine kimerianische Stimme noch stärker als zuvor.
Umso mehr war derzeit kein Atavus mehr bei klarem Verstand, ganz zu schweigen die Hybriden.
Ga'hil sendete stärker, aber vorsichtig. Langsam zunehmend.
„Ein Resonanzsprung”, meldete Street, „Einer der Signalgeber ging gerade kaputt ... in ... Montréal ... noch einer, Kuba ... Donnerwetter ...”
„Der Reihe nach”, rief die andere, „gehen alle kaputt. Australien! Indien! ... Nichts mehr ... waren das jetzt alle?”

Ja, das waren sie. Ga'hil spürte es deutlich - keine Resonanz mehr. Nur mehr sehr schemenhaft die Atavus in Washington, die Hybriden gar nicht mehr.

„Alles okay, Schatz?”, fragte Aby leise und strich dem Kimera über die Wange.
„Ja, es geht mir gut.”
„Also, die Messwerte hier sind einfach klasse”, stellte Street grinsend fest - minimal kürzere Haare, also aus dem anderen Universum. Sie trat zu Cress und schnallte ihn von seiner Liege los. „Ich wüsste ja gerne, warum die Signalgeber überhaupt gemacht wurden. Welchen Zweck die eigentlich hatten.”
„Sie verstärken ein vorhandenes Netz”, sagte Ga'hil leise, „Ein Atavus-Clan, maximal fünfzig oder sechzig Leute, ist verbunden. Der Anführer hat die stärkste Stimme.”
„Uralte Geschichte”, knurrte Cress, „Es gibt nur mehr einen Anführer!”
„Und er hat die stärkste Stimme - Howlyn”, bestätigte Ga'hil, „wobei ... nein, er hat nicht die stärkste Stimme.” Er grinste. „Die habe nämlich ich.”
„Angeber.” Aby knuffte ihn.
„Gehen wir?”, fragte er, „Ich will sehen, wie Howlyn reagiert!”
Sie hakte sich bei ihm unter. „Okay.”
Street (die hiesige) klemmte sich Grens Kokon unter den Arm, stellte fest, dass sie ihn alleine nicht tragen konnte, und ließ sich von Street (der anderen) dabei helfen. Cress kam freiwillig, aber zähneknirschend von selbst mit. Aby stellte das Portal ein und aktivierte es.

Sie wurden von einer üblen Schlägerei begrüßt - nein, keine Massenschlägerei, wie Ga'hil einen Moment lang befürchtete. Ein brüllender Pulk aus vor allem Atavus stand um die beiden Kontrahenten herum, die mit Blut in den Mundwinkeln und Schrammen überall an den Körpern aufeinander eindroschen ... wieso beteiligte sich Sheriff Kaylee Chapman an einer Straßenschlägerei? Mit Howlyn?
Aber sie schlug sich gut, nicht nur für einen Menschen. Sie war ihm gewachsen.
„He, was ist denn da los?”, erkundigte sich Ga'hil.
Kaylee wandte sich ihm energisch zu und rief: „Alles in Ordnung, kein Problem. Ich bin privat hier und erzähl dem Sheriff nichts!”
Was?” Er klappte den Mund auf, die Polizistin verschränkte daraufhin die Arme. „Schon gut”, seufzte er, „Ich bin bei Kural. Und ... viel Spaß!”

„Ich glaube, sie lenkt die Atavus vom fehlenden Gemeinwesen ab”, flüsterte Aby, als sie sich etwas entfernt hatten (außer Cress, der der Schlägerei jetzt ebenfalls zusah), „oder ein Rudelkampf oder so etwas? Die Atavus sind doch quasi Rudeltiere.”
„Vielleicht hat sie ihn herausgefordert und wird jetzt zur Atavus-Anführerin”, spekulierte Street, „also von den Atavus hier jedenfalls. Die Rudel sind ja jetzt kleiner.”
„Cool”, kam von der anderen Street, „aber ich werde jetzt doch nach der Kugel sehen, ob Lil uns was geschickt hat ... ob sie mit ihren Reparaturen fertig ist, vielleicht.”
„Ich komme mit.” - und damit waren beide Rotschöpfe (und auch Gren, den sie ja in seinem Kokon trugen) weg.
Aby verfiel in einen Laufschritt, Ga'hil folgte ihr die paar Meter bis zur Arztpraxis.

„Hi, Aby, Ga'hil!” Kural winkte, während Bob Morovsky sich auf der Untersuchungsliege sitzend einen Eisbeutel gegen die Stirn drückte. „Die Gemeinwesenzerstörung war kopfschmerzreich für die Hybriden, wie du siehst, aber ich glaube nicht, dass es irgendwo bleibende Schäden gibt.”
„Sonst etwas Neues?”
„Wie schon über Global gesagt: Kimeraenergie hat keine verhütende Wirkung auf Atavus, das ist allein Zalycs ureigener Impotenz zuzuschreiben. Licau hat bemerkt, dass er seine Rationen nicht nimmt, und ihre Schlüsse gezogen - und sich mit Cress eingelassen.”
„Cress also, aha”, der Kimera nickte, „Anderweitig Reaktionen auf diese Enthüllung oder auf das Ende des großen Atavusgemeinwesens?”
„Zalyc ist der Spott seiner Artgenossen einerseits”, sagte Kural, „andererseits haben die Atavus plötzlich begonnen, sich in zwei Lager aufzuspalten.” Er drückte Morovsky einen Zettel in die Hand, worauf sich jener bedankte und den Raum verließ. „Licau ist die zweite Führungsgestalt der Atavus, und ich finde es gut”, fuhr der Arzt fort, „Sie ist ein nettes Mädchen. Wenn sie nicht von Zalycs ... Problem erzählt hätte, würden wir immer noch über völlig unsinnigen Messdaten grübeln. Hi, Farrell, komm nur rein!”
Der junge Hybrid schlüpfte durch die Türe und grinste Ga'hil breit an. „Schönen Gruß von Dad, also dem anderen Dad. Harmonys Richter hat verlauten lassen, er würde morgen dem Besuch der Atavuskammer zustimmen, und Federovs Krallen wurden offiziell bestätigt. Außerdem ist Lil da.”
„Geht es ihr gut?”
„Absolut. Außerdem hat sie Besuch von drüben mit.”
„Wen hat sie mitgebracht?”, fragte Aby, „Street sagte, es muss jemand sein, der hier einen Doppelgänger hat, also ...”
„Oh ... nein, nicht in Clearwater”, widersprach Farrell, „Lil hat Jaryas Vater mitgebracht, Yulyn. Der Yulyn hier ist noch in seiner Kapsel in Stasis.”
„Ah.”
„Kommt ihr?” Er wies mit einer Hand vage auf die Tür.
Aby und Ga'hil kamen natürlich mit - Kural musste zu seinem Leidwesen weiter kleine Wehwehchen behandeln.

* * *

Anders als üblich fand das Treffen statt in „Franks Kochmütze” im Garten des Marquette-Hauses statt, denn dort schien die Abendsonne.
Zehn Personen saßen um den Gartentisch, auf dem Terrassentreppchen und auf den Steinquadern, auf denen normalerweise Cedriks nun auf den Boden verbannte geschnitzte Holzfiguren standen. Etwas abseits saß Cedrik im Sandkasten und bemühte sich, Claire davon abzuhalten, den Sand zu essen.
„Hi!”, rief Zoriel, als Aby, Ga'hil und Farrell um die Hausecke kamen. Sie winkte und grinste bis über beide Ohren - und doch entsprach ihre energetische Ausstrahlung dieser Freude überhaupt nicht.
Farrell runzelte die Stirn, er hatte es also auch bemerkt.
„Hallo”, grüßte Ga'hil, „Hier ist ja einiges los.”
„Wie eine kleine Feier, Ga'hil”, sagte Lili, „Mezachak-Melone-Mix?” Sie zog eine Flasche aus einer Kiste und hielt sie hoch. „Aby, Farrell, Kirschsaft?” Alle drei Neuankömmlinge nahmen die angebotenen Getränke an und fanden auch Sitzplätze.
„Die Newsticker platzen vor Meldungen über General Kincaid, den Kimera”, sagte Augur, „Da hast du wirklich eine riesige Bombe platzen lassen.”
„Stimmt”, Ga'hil nickte, „Musste aber sein.”
„Und ich habe alles davon verpasst”, seufzte Lil, „Wenn ich nicht drüben gewesen wäre, hätte mich nichts im Universum davon abhalten können, da zuzusehen, wie ein ganzer Gerichtssaal voll mit Leuten Maulaffen feilbietet.”
„Das kannst du öfter haben”, gab Farrell zu Protokoll, „Steck ein paar Leute in einen Saal und lass Dad die Energiewolke machen, da staunen sie noch mehr.”
„Das hat er mir mal gezeigt!”, warf Augur ein, „Er war wütend und hat mich angeschrien und das als Energiewolke, da hab sogar ich Schiss gekriegt.”
Seine Street neben ihm runzelte die Stirn. „Er war wütend? Wann denn?”
Er sah sie verlegen an: „Erklär ich dir wann anders mal ...”

„Wo steckt denn dein anderes Ich, Ga'hil?”, ergriff Zoriel das Wort, „Mein anderes Ich ist da, Streets anderes Ich ist da, fehlt deins.”
Ga'hil zuckte mit den Schultern. „Zuhause, vermute ich.” Er festigte seine (Grens) innere Organe und nahm einen Schluck Mezachak-Melone-Mix. „Ist alles in Ordnung mit dir, Zoriel?”
„Jaja. Ist nur gewöhnungsbedürftig, drüben mit einem Atavus zusammen zu sein.”
„Das wusstest du vorher schon.” Er wies knapp auf Jarya, die immer wieder zum Sandkasten und ihrer Nichte blinzelte.
„Ja!”, knurrte Zoriel und starrte ihn durchdringend an, ihre energetische Ausstrahlung war beinahe feindselig.
Ga'hil musterte sie, ihre Energie war deutlich im Aufruhr. „Klar. Okay.” Er wechselte das Thema: „Sag mal, Zoriel, hast du eigentlich die Zerstörung der Verbundsignalgeber gespürt? Street meinte, du könntest auch ins Atavus-Gemeinwesen rein.”
„Ja. Hab ich gespürt. Du warst wirklich ... außergewöhnlich präsent, alles andere war nur mehr ganz blass.”

„Heeeeeraaaaa!”, krähte mit einem Mal Claire mit aller Lautstärke, die das Kleinkind aufbrachte.
„Sch! Doch nicht so arg laut!”, seufzte Cedrik und klopfte vor ihr mit einem blauen Plastikschäufelchen auf den Sand, „Soll ich dir eine Burg bauen? Mit Wassergraben? Was meinst du?”
„Heeeeeraaaaa! Zigugu!”, brüllte Claire.

Cedrik richtete sich auf, Vorjak runzelte die Stirn zu Karos und Lili spähte in die Richtung, in die Claire sah. Ga'hil und einige andere folgten ihrem Blick und stellten fest, dass eine kleine Atavus-Nase vom benachbarten Martínez-Grundstück aus über den hölzernen Gartenzaun ragte.
„Ga'hil, ruf du sie her”, bat Lili, „Mein Eunoia ist unter aller Kanone.”
Der Kimera stand auf und winkte Richtung Gartenzaun. „Möchtest du mit Claire spielen, Caedra?”, fragte er auf Eunoia. Die Nase über dem Zaun bewegte sich kurz auf und ab. „Na dann komm her, Mädchen. Sie freut sich auch schon auf dich.”
Die Nase verschwand und tauchte etwas später samt zugehörigem Körper in der Zauntür wieder auf, von dort hopste das Atavus-Mädchen zum Sandkasten und ließ sich darin auf ihren Hintern fallen.
Der Atavus aus dem anderen Universum starrte die Kleine mit großen Augen an.
„Stimmt was nicht, Yulyn?”, fragte Ariel ihn mit besorgt gerunzelter Stirn.
„Nein, nur, ... das ... das ist meine Schwester!”

„Ah”, machte Zoriel, ihre Energie noch mehr in Aufruhr als vorher. Kurz sah sie sich recht ratlos um, dann beschloss sie: „Ich gehe mal Henry suchen.” Und sie huschte aus dem Garten, flüchtete geradezu.

„Ich habe sie in einer Kapsel in den Anden gefunden”, sagte Ga'hil.
„Hast du die genaue Position der Kammer?”, fragte Yulyn, „Drüben hat Renee damals das Positionssystem zerstört.”
„Ja”, der Kimera nickte, dann fragte er: „Positionssystem?”
„Die Signalbaken hatten die weltweiten Positionen der Kammern gespeichert. Die meisten waren ohnehin beschädigt, dass sie sich nicht mal voll aktiviert haben, und die restlichen hat Renee aufgespürt und zerstört, was, wie ich hinzufügen muss, auch absolut gerechtfertigt war, wenn man bedenkt, was sonst passiert wäre.” Der Atavus machte eine Geste, die die Umgebung einschloss. „Schlimmer als was hier passiert ist, drüben stand die Menschheit alleine.”
„Verstehe”, seufzte Ga'hil, „Naja, ich habe die Position von drei Kammern, vier, wenn man die in Kamtschatka dazunimmt. Die Verbundsignalgeber sind hier allerdings ausnahmslos zerstört. Alle.”
Streets (der hiesigen) Fingernägel klackten gegen den Steinquader, auf dem sie saß. „Aber ich habe die Resonanz aller Verbundsignalgeber aufgezeichnet, da kann ich die Quellen berechnen.”
„Richtig”, die andere Street nickte aufgeregt, „und drüben können wir dann welche ausgraben, die nicht aktiviert haben, und sie reparieren. Dann haben wir die Positionen der Kammern ... für beide Universen.”
„Wartet mal, Moment”, hob Ga'hil eine Hand von der Flasche Mezachak-Melone-Mix und schimmerte blassgrün durch seine Fassade, „Renee hat doch gesagt: Wir reparieren keine Atavus-Peilgeräte.”
„Hat sie gesagt, ja”, bestätigte die hiesige Street, „aber das war ja schon klar.”
„Ja schon! Aber sie meinte damit den Verbundsignalgeber von Stonehenge! Hast du den nicht komplett durchgemessen? Müsstest du da nicht die Daten drin auch haben?”
„Wüsste nicht, dass da welche drin waren. Aber ich kann mir die Messung nochmal ansehen.”
„Genau!”, rief die andere Street und sprang auf, „Können wir auch gleich machen.” Sie turnte in weitem Bogen um ihre dimensionale Doppelgängerin herum, die ebenfalls aufstand. Schließlich marschierten sie beide um die Hausecke und die Gesellschaft war schon wieder etwas geschrumpft.

„Gibt es eigentlich irgendeinen nennenswerten Unterschied zwischen den beiden?”, fragte Ga'hil, „Ich meine, Renee und Renee sind quasi das Gegenteil voneinander und dasselbe gilt für meinen Vater und den Eisklotz Sandoval von drüben. Warum sind Street und Street einander so unglaublich ähnlich?”
„Die drübere Street ist unglaublich wichtig”, erklärte Augur grinsend, „Sie ist, bitte die Luft anhalten, Wissenschaftsministerin der Allianz der Atlantiknationen.”
„Allianz der Atlantiknationen”, wiederholte Ga'hil, „Interessant. Was macht die Allianz?”
„Das, was unsere planetare Verteidigung macht, plus Forschungskooperationen.”
„Ah. Und warum sind die beiden Streets sich dann so unglaublich ähnlich?”
„Ja, meine Street ist doch auch unglaublich wichtig!”, sagte Augur energisch, „Oder ist eine Professur im Maryland Spacetime Laboratory etwa nicht wichtig?”
„Doch doch.” Allerdings war Ga'hil nicht der Meinung, dass gemeinsame Wichtigkeit die erstaunliche Ähnlichkeit wirklich erklärte.

„He, ihr da!” Frank kam um die Hausecke. „Habt ihr Zoriel geärgert? Sie versucht, die Straße totzutrampeln.”
„Wir sind unschuldig”, sagte Lili, „Kirschsaft?”
„Hast du einen Schnaps auch?” Er schielte zu Ariel und grinste schief, die Jaridianhybridin erwiderte das Grinsen.
„Kirschsaft”, beharrte Lili und drückte dem Koch ein Glas in die Hand, „Du warst in Washington, richtig?”
„Richtig”, sagte er, „FBI-Chef Patrichio ist dank Grundenergietherapie wieder aufgewacht und war ziemlich platt, dass Ron im Knast sitzt. Und dann wollte er unbedingt heute noch mit mir reden.” Er schlürfte geräuschvoll an der roten Flüssigkeit. „Und das Krankenhauspersonal hat sich entschuldigt, die sind alle hybridisiert und haben die Behandlung bisher sabotiert.”
„Was hat Patrichio gesagt?”, fragte Ga'hil.
„Eine Tonne Dank und Lob, sonst nichts. Aber er ist wach und in einer Woche wieder ganz auf den Beinen.” Frank schlürfte wieder. „Übrigens ist in dem Krankenhaus ein ganzer Haufen Komapatienten wieder aufgewacht”, bemerkte er, „Da wurden nämlich reichlich Leute absichtlich ins Koma gebracht, als Atavus-Snackbar.”
„Uh ...”, machte Lili und schüttelte sich.
„Die Hybriden haben sich eh bisher auch schon zu einem guten Teil von Grundenergie ernährt”, fuhr Frank fort, „damit nicht zu viele Menschen verschwinden. Und die Atavus kriegen jetzt ja ihre Kimera-Rationen.”
„Können zwei Kimera denn so viele Atavus ernähren?”, fragte Yulyn.
„Einer, das mache ich alleine”, korrigierte Ga'hil, „Kein Problem, ich wandle Grundenergie um, davon ist reichlich da.”
„Es gibt also keine herstellbare Energie, mit der sich ein Atavus ernähren kann.”
„Derzeit nicht, nein.”
„Aber die Forschung danach hat ja auch erst begonnen”, warf Vorjak ein, „Wir hatten ja auch erst 15 Jahre nach dem Frieden eine Herstellungsmöglichkeit für Grundenergie.”
„Was auch gut so war”, sagte Lili, „Mit Herstellungsmöglichkeit hätte es keinen Grund für Taelons und Jaridians gegeben, auf Dauer zusammenzuarbeiten.”
„Verstehe”, sagte Yulyn, „Es wäre also wohl nicht sehr klug, euch um das Rezept zu bitten, damit wir Ra'jels Taelon-Atavus ernähren können. Das wäre ja kein Grund für eine Zusammenarbeit.”

Ga'hil festigte Grens Gestalt und nahm einen großen Schluck Mezachak-Melone-Mix. „Ihr bekommt die Pläne für die Grundenergiespulen natürlich”, sagte er dann, „Es ist definitiv nicht klug, so etwas Wichtiges nicht mitzunehmen, nur weil ihr Ra'jel zur Zusammenarbeit zwingen wollt.” Er grinste schief. „Naja, es ist hier ja nach wie vor so, dass die Taelons nicht alle Details der Grundenergieherstellung wissen ... das meiste, ja, und vielleicht könnten sie es herleiten, wenn sie sich komplett hineinstürzen würden, aber im Grunde ist es immer noch Wissen der Menschheit.”
„Nicht das deine?”
„Oh nein, mir ist das bei weitem zu hoch, ich bin definitiv kein Genie wie Augur oder Street.”
Der schwarze Hacker grinste bis über beide Ohren. „Wie ich schon mal nicht, und wie Street erst recht nicht”, erklärte er, „Oder wie Lil.” Er legte einen Arm um seine Tochter neben ihm und drückte sie kräftig. Die junge Frau zog nur ihre Stirn in Runzeln und musterte Ariel. „Lil, Töchterchen”, seufzte Augur, „Lass deinen armen Vater dich doch umarmen.”
„Ja, gern, aber nicht jetzt.” Sie entwand sich seinem Griff und sprang auf. „Ariel, ich bin ziemlich sicher, dass das Universum knapp davor ist, zu begreifen, dass du doppelt bist”, sagte sie energisch, „Du musst wieder rüber und zwar schnell!”
„Oh”, machte die Jaridianhybridin, „Oh!”
„Was ist mit Street?”, rief Augur alarmiert.
„Nicht so schlimm”, sagte Lil und zog Ariel mit sich mit, „Aber wegen Zoriel mache ich mir Sorgen!” Und schon verschwanden die beiden jungen Frauen um die Hausecke.

Ga'hil stellte seinen Mezachak-Melone-Mix auf den Boden und stand auf. „Ich suche Zoriel.” Dann löste er seine körperliche Gestalt und seine Fassade komplett auf und entschwebte so schnell, wie es nur ein Energiewesen konnte.

Wo war Zoriel?
Ga'hil spürte nach der energetischen Ausstrahlung der vereinigten Atavus, speziell nach der durch Ärger aufgewirbelten Energie, die er von ihr vor ihrem hastigen Aufbruch bereits wahrgenommen hatte.
Da! Auf dem Rathausdach. Was beschäftigte sie so, dass sie dort grübelte?
Der Kimera, in seiner rein energetischen Form masselos, schwebte außen der Rathausfassade entlang hoch, auf Höhe des Bürgermeisterbüros verlor er mit einem Mal die Peilung. Zoriels Ausstrahlung war weg. Einen Sekundenbruchteil später war ihm klar, warum.

Ein getrennter Atavus sah sich hungrig nach einem Opfer um. Die bewusstlose und von Verschwinde-Anfällen geschüttelte junge Frau knapp neben dem Dachfenster war offenbar nicht geeignet, der gewöhnliche Mensch Louise Muldoon hingegen schon.
Der Kimera formte seinen Körper, griff nach dem Atavus und warf ihn quer über das Dach.
„Lou? Alles in Ordnung?” Ga'hil stellte verdutzt fest, dass er mehrstimmig fragte.
„Nein?”, japste die Ärztin und huschte hinter ihn, „Was zum ...?”
Der Atavus raffte sich auf und sprang auf den Kimera zu, der diesmal allerdings bereit war, eine mentale Verbindung aufzubauen. Braune, gegerbte Haut glättete sich, blaue und violette Energiebahnen leuchteten dahinter auf.
Zo'or sank auf die Knie, griff sich an den Kopf und schüttelte selbigen kräftig. „Was zum Henker war das?”, fragte er, „Was ... Moment mal!” Er rutschte Richtung Dachfenster und berührte die Frau, die dort lag, an der Schulter - sachte zog er und rollte sie auf den Rücken.
Augenhöhlen wie ein Atavus, ein leichtes Jaridianmuster auf der Stirn, dunkle Haare und Zoriels pink-violette Garderobe. Ihr Brustkorb hob und senkte sich kaum merkbar, die Haut war blass und kalt.
„Sha'bra! Ariel!”

„Das ist ... Ariel?”, staunte Lou, „Aber so sah sie doch gar nicht aus!”
„Frag nicht rum!”, fauchte Zo'or, „Hilf ihr schon, sie hat Fieber, das siehst du doch!” Er legte sofort seine Hand gegen Ariels und übertrug Grundenergie, Louise begann mit ärztlicher Routine, Puls, Blutdruck und Temperatur zu messen. „Ga'hil! Erklär mir, was da los ist!”, verlangte Zo'or nach einigen Sekunden.
„Das Universum hat begriffen, dass Ariel und Ariel dieselben sind. Ariel hatte einen Verschwinde-Anfall, das hat Energie und Materie getrennt.”
„Und ich wurde so ein Vampirmonster, na sauber.”
Ga'hil flackerte irritiert auf. Zo'or redete nicht, wie es von Zo'or zu erwarten war. Dieser Taelon war nicht wirklich Zo'or, sondern ganz klar Zoriel - und die bewusstlose Frau war ebenso Zoriel. Sie waren entzweigespaltet, wie Liam.
„Es geht ihr soweit gut”, ergriff Louise das Wort, „Sie braucht nicht mal extra Kühlung, die Grundenergie reicht völlig.” Sie blinzelte auf und musterte den Taelon. „Was war das vorhin? Vampirmonster?”
„Getrennter Atavus”, sagte Zo'or, „Ein Taelon ohne Gemeinwesen, dauerhungrig und rein instinktgetrieben. Du hast Riesenglück, dass Ga'hil mich aufgehalten hat, ich hätte dich sonst umgebracht.”
Oh ...”
Stark strahlten die Energiebahnen durch die dünne Fassade des Taelons, als er die Bewusstlose hochhob und mit ihr auf den Armen durch das Dachfenster stieg. „Ich geh heim - kommst du mit und erklärst es Damien? Ich hau mich und mich erst mal aufs Ohr.”
Louise nickte. „Wenn du willst, klar.”

„Ich komme auch mit”, sagte Ga'hil, wartete kurz ab, bis auch die Ärztin durch das Fenster gestiegen war, und folgte den dreien dann das Rathaustreppenhaus hinunter. „Lou? Hast du ein Global da?”, fragte er.
„Sicher.” Sie griff in ihre Jackentasche und reichte ihm das Gerät.
Er ließ es aufschnappen und rief Street an.
„Hi!”, die Mathematikerin strahlte ihn vom kleinen Bildschirm aus an, „Oh ... du bist ja gar nicht Lou - was ist denn?”
„Du merkst nichts davon? Verschwinde-Anfälle oder so?”
„Nein, alles im grünen Bereich.”
„Dann erklär mir bitte, warum gerade Ariel und Zoriel welche hatten und Zoriel entzweigespaltet ist.”
„Ach du giftgrüne Scheiße!” Street starrte mit weit offenen Augen über die Kamera an ihrem Global hinweg und runzelte die Stirn. „Ich habe keine Ahnung!”
„Ich auch nicht!”, erklang die andere Street hörbar besorgt aus dem Off.
„Vielleicht ...”, Schulterzucken, „... weil Zoriels Energie eine höhere Amplitude hat als unsere rein menschliche Energie? Ich weiß es nicht ... Scheiße aber auch ... Wie geht es den beiden?”
„Meiner Schätzung nach so wie mir und mir nach der Trennung - also dem materiellen Part deutlich schlechter als dem energetischen, aber durchaus zu schaffen.”
„Puh, wenigstens das.”
„Lil hat es Ariel angesehen”, fuhr Ga'hil fort, „Ich weiß nicht, ob die beiden schon losgeflogen sind. Wenn ja, dann kommt Lil vermutlich mit noch jemand anderem zurück, weil sie sonst wieder im Milchstraßenzentrum landet.”
„Klar. Ga'hil, es tut mir leid, ich hätte wirklich nicht gedacht ...”
„Schon okay”, seufzte er, „Macht mit dem Positionssystem weiter. Je schneller ihr das habt, umso schneller können wir die Gefahr von weiteren Verschwinde-Anfällen bannen.” Er schob das Global zu und gab es Louise zurück.
Und prompt begann es zu klingeln. Die Ärztin zog es auf, Lil (offensichtlich noch nicht ins andere Universum geflogen) war dran und Ariel beugte sich über deren Schulter.
„Wie geht es Zoriel?”, fragte die junge Schwarze.
„Naja ...”, begann Lou.
„Wie mir und mir”, warf Ga'hil ein, „Ist Ariel in Ordnung?”
„Ja”, bestätigte die genannte, „Der Anfall hat scheißweh getan, aber kaum war er vorbei, ging es mir wieder prächtig.”
„Also ist Zoriel wieder Zo'or und Ariel?”, sagte Lil, „Das ist ja krass.”
„Ja, wir bringen sie jetzt nach Hause”, würgte Louise jegliche potenzielle weitere Wortmeldung ab, „Bis später.” Sie knallte das Global zusammen und stopfte es energisch in ihre Jackentasche. „So. Zum Glück ist es nicht weit bis zum MacDougal-Haus.”
Das stimmte. Auch wenn Zo'or Ariel durchaus sehr weit tragen konnte, bereits nach zwei Häusern sahen unangenehm viele Leute her und es wurden immer mehr. Das vierte Haus war allerdings das Ziel und Ga'hil schloss schließlich die Haustüre hinter sich.

Zo'or legte Ariel auf dem Sofa ab und setzte sich neben sie. Louise verschwand kurz in der Küche und kam mit einem Glas Wasser zurück. „Hier, sie soll gleich etwas trinken, wenn sie aufwacht”, sagte sie.
„Du meinst, sie wacht gleich auf?”, fragte Zo'or verdutzt.
„Klar.”
„Das meine ich auch”, stimmte Ga'hil zu, „Sie ist überhaupt nicht mehr blass.”
Louise grinste schief. „Ich finde es toll, dass du mir zustimmst, aber die Ärztin hier bin ich.” Sie setzte sich auf ein Ende des Sofas und schlug die Beine übereinander.
Zo'or schüttelte sachte Ariels Schulter, die Hybridin regte sich tatsächlich - sie zwängte ihre Augen einen Spalt auf und dann wurden sie sogleich tellergroß. „Sha'bra!” Einige Sekunden lang starrte sie den Taelon an, dann runzelte sie die Stirn. „Du hast mich getragen? Oder Ga'hil?”
„Na ich, klar”, sagte Zo'or.
„Und draußen lauter offene Münder.”
„Klar. Das legt sich eh wieder.”
„Jaja.” Ariel nahm von Louise das Glas Wasser entgegen, badete kurz vier Finger darin und rieb sich dann mit diesen über das Gesicht. „Also, die Atavus-Gene scheinen noch aktiv zu sein.” Sie streckte die nassen Finger von sich und ließ vier weiß glühende Krallen erscheinen. „Ja ... sieht so aus.”
„Kannst du essen?”, fragte Zo'or.
Schulterzucken. „Keine Ahnung. Wir werden sehen.”

„Wo sind Damien und Henry?”, wechselte Ga'hil das Thema, „Die beiden sollten von der Aufspaltung erfahren.”
„Henry ist bei Dominic, zocken”, sagte Zo'or, „Damien ist oben.” Er streckte einen Finger Richtung Zimmerdecke. Louise folgte dem Fingerzeig mit einem Umweg über die Treppe, danach war von oben das Öffnen und Schließen einer Türe zu hören.
„Oje oje oje ...”, seufzten Zo'or und Ariel im Chor. Beide zugleich sahen sie dann Ga'hil durchdringend an und fragten: „Wie kommt Aby klar? Habt ihr Probleme?”
„Zo'or wird definitiv nie versehentlich Ariel oder Damien in einen Kokon packen”, gab der Kimera zurück, „und Aby, ich und ich kommen gut klar.”
Zo'or und Ariel sahen einander einen Moment lang sehr nachdenklich an. „Ich bin nicht Zo'or”, sagte der Taelon dann.
„Ich bin nicht Ariel.” - Zugleich von Ariel ausgesprochen.
„Tja, aber zwei Zoriels werden unübersichtlich”, schmunzelte Ga'hil, „wobei, zugegeben, zwei Ariels sind das genauso.”
Die Zoriel-Hälften wechselten einen schnellen Blick, dann beschloss der Zoriel-Chor: „Zorita und Zoriela.”
„Okay ...”, der Kimera runzelte die Stirn, „Wer ist wer?”
„Ich bin Zorita!”, entrüstete sich der Taelon, als wäre es das Offensichtlichste auf der Welt.
„Ah.”
„Und du gibst mir dein Tarngerät, Zoriela”, verlangte Zorita dann von der Hybridin, „Ich muss dringend einiges an meinem Outfit verändern ...”
Zoriela zupfte das gewünschte Gerät von ihrem Oberarm und reichte es dem Taelon, der es sich um seinen Oberarm schnallte und durch die Tarnbilder blätterte. Schlussendlich, nach Licau, violettem Leder, knielangem rosa Flauschpullover und diversen abschwächenden oder ganz menschlichen Zoriel- und Ariel-Tarnbildern fand er auch ein lange nicht verwendetes Bild und wurde Zeta - Zo'ors menschliches Tarnbild damals auf Ariels Abschlussball.
Samt rotem Kleid - aber das änderte Zorita sogleich zu taelonviolett glänzend.

In diesem Moment polterten Louise und Damien die Treppe herunter - der Taelonhybrid verwurzelte auf der untersten Treppenstufe und seine Energiebahnen leuchteten in vollendeter Überraschung tiefblau durch seine Haut.
Zoriels energetische Ausstrahlung kam von Zorita, aber Zoriela sah, abgesehen von der Hautfarbe, Zoriel zum Verwechseln ähnlich. Damien begriff zweifellos, was geschehen war.
„Die Anti-Mabel-Nummer ...”, seufzte er, „Meine Güte! Geht es euch gut?”
„Klar”, sagte Zoriela, „Fieber ist schon wieder runter.”
„Und mein Outfit auch soweit ordentlich”, ergänzte Zorita, „Ehrlich, Zo'or war ja nicht gerade überaus sexy ...” - Damien verschluckte sich fast, so plötzlich musste er lachen.
„Ähm, ich geh dann mal”, tat Ga'hil kund und wandte sich zur Türe.
„Warte”, hielt ihn Zoriela auf, „Du ... äh, du musst Zorita was erklären ...” Sie stellte ihre Füße auf den Boden, stand auf und schlurfte zum Kimera. „Ich weiß ja nicht, wie lange Ariel noch bleibt, aber allemal hab ich keinen Bock auf Abstinenz.”
„Äh, ich weiß das”, brachte Damien ein, „Ich erinnere mich daran, wie Ga'hil es damals meinem Elter erklärt hat.”
„Ah”, machte Zoriela.
Zorita zog ein schiefes Grinsen, machte eine Richtung Tür wedelnde Handbewegung und sagte: „Husch, husch, Ga'hil, Louise.”

Und die beiden huschten natürlich - da wollten sie nicht weiter stören.

 

Ende Kapitel 1

 

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