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  „Blut” von Veria   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Januar 2011
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Harmony Kincaid erfährt etwas Besonderes.
Zeitpunkt:  zwölf Jahre später
Charaktere:  Harmony, Liam, Ronald, Ariel, Jay, Vince, Zo'or, (Frank, Mabel, Joyce, Ha'gel, Pepe, Neville, Laurie, Tonio, Mitchell Hendrik, Le'or)
 

 

BLUT

Kapitel 7: Harmony I

 

Hallo.
Ich bin Harmony. Ich bin zwölf Jahre alt, einen Meter 67 gross, habe schulterlange fast schwarze Haare und sehe meinem Vater eigentlich gar nicht ähnlich. Er ist weiss, er ist blond, und ich sehe aus wie aus einem Eastern. Ich weiss, meine Mutter sieht mir ähnlich, aber ich habe sie nie anders als auf einem Foto gesehen, nur telefoniert, zwei oder drei mal im Jahr.
Was soll ich mit so einer Mutter?
Und mein Vater ist das Gegenteil, anstatt sich zu verdrücken sperrt er mich in einen Käfig. Ich muss um acht zuhause sein, stellt euch das vor! Alle andern in meiner Klasse dürfen bis neun oder bis zehn. Ally darf sogar bei ihrem Freund übernachten.
Naja, ich hab keinen Freund. Sagt es nicht weiter, aber ich bin froh, dass mein Vater als Oberkommandierender der Taelonsicherheit jedem Jungen Angst einjagt. Anstatt mich mit Jungen rumzuschlagen will ich lieber herausfinden, warum ich mich so merkwürdig fühle, wenn ich in der Botschaft bei Da'an bin. Ich glaube, ich kann ihn spüren, auch wenn er hinter einer Wand vorbeigeht. Merkwürdig, nicht?
Morgen ist der Samstag, für den mein Vater einen Besuch bei Mutter und Onkel Ronny durchgesetzt hat. Bei ihnen durchgesetzt, ich war immer schon dafür. Mit Onkel Ronny telefoniere ich wenigstens ständig und irgendwo liegt auch ein Foto von ihm rum - naja, es ist verwackelt und man sieht nur das halbe Gesicht, aber ich glaube, ich sehe ihm ziemlich ähnlich.
Aber erst muss noch der Freitag vorbeigehen. Ich muss Lili bei ihren Hausaufgaben helfen, kann ich auch, was sie gerade lernt ist bei mir fünf Jahre her. Also gehe ich ins Flat Planet, das ja ihrem Vater gehört.
Sie sieht ihrem Vater ähnlich, sie sind beide dunkler als ich, nur hat Lili keine Glatze, sondern einen Lockenkopf. Ich hätte auch gerne Locken, aber meine Haare sind fast wie Schnittlauch. Ob Lili ihrer Mutter ähnlich sieht? Ja, schon, sie hat dieselbe Nase und definitiv ihre Locken, wenn auch nicht in rot.
Bei ihrem Aufsatz muss ich Lili fleissig korrigieren, doch rechnen kann sie schneller als ich. Viel schneller. Sie sagt, sie kann das Ergebnis einfach vor ihren Augen sehen - muss sie wohl von ihrer Mutter haben.

* * *

Harmony schlürfte müde ihren Tee und rührte ihr Frühstücksmüsli zu Matsch. Ihr Vater ihr gegenüber wirkte mehr als unruhig, was nun wieder seine Tochter beunruhigte. Es ging doch nur um einen Besuch bei Verwandten! Warum sah er dann aus, als stünde er dem bevorstehenden Weltuntergang hilflos gegenüber?
Dämonisches Gebrüll veranlasste Harmony, nach ihrem Global zu greifen und es zu schütteln, bis es aufsprang. „Hey, Mony, hast du Lust auf Flugsimulator? Dray hat eine Mars-Map mit Shuttles! Geil, ha?”
„Keine Zeit, besuche heute meine Mutter und komm mir nicht mit Beileid, ich will das schon seit Jahren!”
Ihr gegenüber griff ihr Vater nach seinem ganz gewöhnlich piepsenden Global und sagte: „Ja, Da'an?”
„Ich hoffe, ich störe Sie nicht, General Kincaid”, entschuldigte sich der Taelon, während Harmonys Klassenkamerad Telleraugen bekam und ehrfürchtig Da'ans Namen flüsterte.
„Sie stören nicht. Was kann ich für Sie tun?”, fragte Liam, während er über den Tisch griff und mit einer Hand Harmonys Global zuschob.
„Sie wissen, dass Mit'gai an einem sehr wichtigen Projekt arbeitet, das uns vielleicht das Leben retten könnte”, erklärte Da'an, „er hat sich nun allerdings gemeldet, dass er keine Möglichkeit hat, den Forschungskomplex zu erreichen, da die Demonstranten alle Wege blockieren.”
„Es gibt kein Portal dort?”
„Es lässt sich nicht ansprechen.” Kurz war Da'an still, dann fuhr er fort: „General, Sie sind der einzige, der jemals in einem Gebäude aus der Interdimension zurücksprang. Ich traue das nur Ihnen zu!”
Liam seufzte. „Ich helfe Ihnen gerne, Da'an, aber heute habe ich keine Zeit.”
„Das ist schade. Melden Sie sich bitte, sobald Sie Zeit haben.”
Liam nickte und schob sein Global zu, dann blickte er zu Harmony und lächelte: „Wir müssen wohl beide diese Zeit verteidigen.” Ja, das stimmte.

Sie schob ihre Müslischüssel von sich und seufzte: „Können wir gehen?” Ihr Vater sah mit einem Hauch Ärger ihre noch immer randvolle Schüssel an, beliess es dann aber dabei, nur knapp Richtung Toilette zu deuten. Harmony folgte und kippte das aufgeweichte, schleimige Zeug mit verzogenem Gesicht weg.
Die Müslimarke würde sie nie mehr essen, garantiert!
Sie schlüpfte in ihre Schuhe und griff nach ihrer Jacke, dann verliess sie mit ihrem Vater das Haus.

„Guten Morgen, General.”
Harmony versuchte, nett zu lächeln, wann immer ein Passant ihren Vater grüsste, aber sie fand es nervig. Warum konnte Liam Kincaid nicht ein gewöhnlicher Bürger sein, dem gegenüber nicht jeder fast auf die Knie fiel? Aber er war auch immer gleich zu jedem Nachbarn hingegangen und hatte sich mit vollem Rang vorgestellt, anstatt einfach nur „Hallo, ich bin Liam, Ihr neuer Nachbar.” zu sagen.
Endlich war die Menschentraube vorüber und Harmony sah ihren Vater an: „Was ist das für ein Projekt, das Mit'gai da hat?”
„Er hat vor ein paar Monaten Scans der Umwandlung von ungerichteter Energie in Körperenergie bei Kimera gemacht.”
„Dad?”, zog sie die Augenbrauen hoch, „Das heisst ... du kennst den Kimera?”

Liam grinste schief. „Nun ... ja, Harmony, das kann man so sagen.” Er kannte den Kimera! Wow ...
„Wie heisst er?”
„Ach, Harmony.”
„Sag, wie heisst er? Ich will das doch wissen!”
„Ich fürchte, das hat der Kimera keinem der damals anwesenden gesagt”, erklärte er, „Ich finde, es ist genug, sich scannen zu lassen.” Harmony fand, dass an einem Namen nicht so viel Geheimhaltungswürdiges war, aber wenn ihr Vater ihn nun einfach nicht wusste, war da nichts zu machen.

Sie tippte wartend mit den Fussspitzen auf, während Liam das Portalziel einstellte. Vielleicht würden sie in der Botschaft auch noch schnell Da'an begegnen, bevor sie ein Shuttle nähmen, was Harmony sehr nett fände. Sie stellte sich zu ihrem Vater ins Portal und spürte den Ruck, dann standen sie ... nicht in der Botschaft, sondern in einem öffentlichen Portal einer Kleinstadt.
„Ähm, Dad? Vertippt?” Sie sah ihn feixend an.
Er schüttelte den Kopf: „Nein, hier wollte ich her, komm mit.” Er zog sie an der Hand mit, nur zwei Häuser weiter, wo er „Franks Kochmütze” betrat. An einem Tisch sassen zehn Leute beim Frühstück, einer, sehr vollschlank, winkte kräftig. „Hallo Frank”, winkte Liam zurück.
„Mensch ist die kleine Harmony gross geworden”, staunte Frank. Harmony fühlte sich nicht wohl, sie kannte hier niemanden.
„Ja”, sagte Liam, „Hinten?”
„Nein, Partykeller, hinten hat sich der Exfreiwilligenstammtisch breitgemacht”, grinste Frank, „Sie wissen, wo es runter geht?”
Liam nickte und zog Harmony weiter und hinter einer Ecke eine Wendeltreppe hinunter.
Sie blieben im Garderobenraum stehen. Harmony runzelte ihre Stirn, ihr Vater schien nun die Nervosität in Person zu sein. Er atmete tief durch und ihm misslang sein Lächeln.
„Dad?”
„Du bist alt genug, Harmony, ich habe dich getäuscht”, sagte er leise. Getäuscht? War sie adoptiert? Verwechselt? Was zum Teufel? „Ich bin nicht Liam Kincaid.”

Zack. Ihre Kinnlade fiel auf den Boden. „Aber ...”

„Er hat nichts dagegen, dass ich mich so nenne”, fügte er hinzu, „illegal ist es trotzdem. Aber ich hatte ... keine andere Wahl.” Er legte eine Hand auf Harmonys Schulter und sie blieb nur steif stehen. „Die Taelons wären nicht sehr freundlich zu mir gewesen, Harmony”, sagte er und zeigte ihr seine offene Hand, in der ein kleiner Lichtpunkt glühte, „Du hast mich gefragt, wie der Kimera heisst. Er heisst Liam.”
Keine Chance, den Unterkiefer wieder aufzusammeln. Was war mit Harmony? Sie musste adoptiert sein!

„Geht es?”, fragte der Kimera. Harmony hob den Blick und traf seinen. „Du bist nicht adoptiert, Harmony.” Puh, war das gut oder schlecht? Das bedeutete wohl, dass sie auch Kimera war, so irgendwie. „Ich möchte dir deine Verwandten vorstellen”, fügte er hinzu, „sie sind hier.”
Erleichterung durchflutete sie. „Onkel Ronny?”
„Ja, wenngleich er ...” Oh oh ... was kam jetzt? „Er ist nicht dein Onkel, er ist dein Grossvater, mein Vater. Mein menschlicher Vater, um genau zu sein, ich habe nämlich zwei Väter.”
Also gut, Harmony, das ist eben so, damit musst du klarkommen. Sie nickte tapfer, aber ihr Körper rührte sich keinen Millimeter.
„Ich kann dir zeigen, was dich erwartet”, schlug Liam vor, „dann würdest du deine Verwandten aus meiner Erinnerung kennen.” Doch das war ihr nicht geheuer, sie schüttelte deutlich den Kopf.
Sie war ein Mensch! Sie hatte nie etwas anderes sein wollen!
Wagemutig wollte sie sich ins Gefecht stürzen und den Partykeller betreten, doch ihr Vater hielt sie am Arm fest, öffnete die Türe und winkte einen Mann heraus, der Harmony tatsächlich ähnlich sah.
„Hallo, Harmony.”
Sie kannte die Stimme, das war Onkel Ronny, also nun eigentlich ihr Grossvater (und dabei bestenfalls gleich gross wie sie). Erleichtert fiel sie ihm in die Arme. Ihn zu treffen war lange ihr Wunsch gewesen und jetzt war er endlich nicht mehr nur eine Telefonstimme.

* * *

Damit war dieser Ausflug es auf jeden Fall schon Wert gewesen. Harmony liess ihren Grossvater nicht mehr los, sie brauchte einen Fixpunkt und ihr Vater war das im Moment nicht gerade. Kimera! Sie ärgerte sich darüber, dass sie den General schon als fürchterlich aussergewöhnlich angesehen hatte, das war schliesslich nichts verglichen mit Kimera. Allerdings konnte sie ihrem Vater nun auch nicht mehr vorwerfen, seine Besonderheiten hinausposaunt zu haben, denn das hatte er ja nicht getan.
„Warum bist du mich nicht besuchen gekommen?”, fragte sie leise.
„Ich bin offiziell tot”, erklärte ihr Grossvater, „und du hättest mich vielleicht erkannt ...” Erkannt? Er verbog sich in ihrer Umarmung etwas, bis er einen Ausweis aus seiner Hosentasche gezogen hatte. „Hier, das war ich früher.”
Harmony blickte auf das Bild und sah in kühle, strenge Augen, dann fiel ihr Blick auf den Namen: Sandoval! - Eine Person der Geschichte als erster Leiter der Taelonsicherheit, damals noch Companionsicherheit. „Und jetzt?”, fragte sie verunsichert.
„Kein Sandoval mehr”, lächelte er, „Martínez.” Ronald Martínez, klang ja nicht schlecht, befand Harmony. „Liam, wink doch bitte Mabel raus, ja?”, bat Ronald und löste sich aus dem Griff seiner Enkelin.
Tante Mabel? Eine dunkelhaarige Weisse kam aus dem Partykeller und lächelte freundlich. „Harmony, das ist Isabel Martínez, genannt Mabel, deine Stiefgrossmutter.”
„Hallo”, hob Harmony unsicher eine Hand.
„Wir haben schon einige Male telefoniert”, sagte Mabel, „nett, dich endlich wirklich zu treffen.”
„Ja.” Zwar hatte Harmony bisher nur Leute getroffen, die sie schon gewissermassen kannte, aber dennoch fühlte sie sich nicht ganz wohl. „Musst du dich auch verstecken?”, fragte sie.
Mabel schüttelte den Kopf. „Nicht direkt”, erklärte sie, „Ich bin nicht tot und die unangenehme Episode auf dem Mutterschiff wird allein Maiya zugeordnet, Isabel Martínez ist fein raus. Aber ich lebe eben hier bei Ron.” Warum redete sie von sich in der dritten Person? „Was es mit Maiya genau auf sich hat, erkläre ich dir besser später, ja?”
„Warum nicht jetzt?”, hob Harmony ihr Kinn ein wenig.

Mabel wechselte kurz einen Blick mit Ron, dann auch einen mit Liam. „Also gut”, sagte sie, „Es gibt nicht nur ein ... Universum, sondern mehrere, in denen es die Erde gibt und auch dieselben Menschen, jedenfalls fast.” Harmony war zwar verwirrt, aber sie nickte einfach. „Liam geriet einmal in ein solches anderes Universum und von dort brachte er Maiya mit zurück”, fuhr Mabel fort, „Nur konnten Maiya und Isabel nicht im selben Universum leben, sie mussten verschmelzen, und deshalb bin ich sie beide, eben Mabel.”
„Ah ... ja.” Noch eine Besonderheit, wenngleich Mabel immer noch ein Mensch war. Ein Mensch, ja, nicht zwei. „Gibt es da ... noch etwas, was ich wissen sollte?”, fragte Harmony vorsichtig nach und sie hörte ihren Vater seufzen, „Dad? Was?”

Liam war deutlich verlegen und kratzte sich am Kopf. „Ja also”, murmelte er, „am Besten winke ich deine Mutter heraus, dann kann sie es dir erklären.” Er öffnete die Türe und heraus kam Mum - die nie dagewesen war. Welchen Grund hatte sie vorzubringen? Harmony rührte sich kein Stück, diese Frau war ihr fremd. Rons Hand lag beruhigend auf ihrer Schulter.
„Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da sein konnte.”
„Und?”, fragte Harmony mit möglichst gelangweiltem Unterton, obwohl sie eigentlich schon neugierig war.
„Tja ... Liam, wie sagt man das schonend?” Dad antwortete Mum nicht, da war wohl schon lange Funkstille. „Liam!”
„Woher soll ich das wissen? Ich habe es auch vergeigt!”, gab er gereizt zurück.
„Ja, das habe ich bemerkt”, sagte sie, „also gut ...” Sie atmete tief durch, dann ging ein Schimmern über ihre Haut und selbige war nicht mehr bronzefarben sondern rosig. Mum war weiss. „Hallo, Harmony, ich bin Joyce Belman, deine Mutter.”
Joyce Belman ... Belman!

Harmony spürte, dass sich der Boden neigte, jemand hielt sie um die Taille fest, sonst wäre sie wohl gefallen. Ihr Grossvater? Ja, er hielt sie fest. Sie versuchte, ruhig zu atmen, aber ihre wirren Gedanken liessen dies kaum zu. Belman! Das bedeutete, dass Julianne Belman ihre Grossmutter war und nicht nur eine gute Freundin, die immer für sie dagewesen war.
Joyce Belman! - Oh ja, Harmony wusste vom Evolutionsserum, ihre Grossmutter hatte das durchaus oft genug erzählt. Nur, was bedeutete das jetzt für sie? Wo stand sie in der Evolution?
Langsam beruhigte sich ihr Verstand und sie sah ihre Mutter nur einfach fragend an.
„Du bist zum Teil Taelon und zum Teil Jaridian”, sagte Joyce, „wie ich.”
Okay, das war keine grosse Überraschung mehr. Das war im Serum immerhin drin gewesen. „Von wem stammt die Taelon-DNS?”, fragte Harmony, bevor sie überhaupt bewusst soweit gedacht hatte.
„Da'an.”
Wow, sie war mit Da'an verwandt! Vielleicht hatte sie ihn deshalb spüren können - oder konnte sie das bei jedem Taelon und es war ihr nur bei ihm aufgefallen, weil sie bei ihm so oft war? Irgendwie fand sie ihre neue Alienseite doch recht ... cool.

* * *

Harmony konnte ihrem Vater nicht zu böse sein, er war ja da gewesen. Aber bei ihrer Mutter sah das anders aus. Allerdings hatte Harmony das ungute Gefühl, dass das auch noch nicht alles war, denn es gab da noch den Partykeller, der mit Sicherheit viel bequemer als das Garderobenzimmerchen war.
Dort nicht hineinzugehen konnte nur den Grund haben, dass dort noch jemand wartete. Wer?
Mabel lächelte zuversichtlich und öffnete die Türe, sie alle betraten den Partykeller - er war leer. Nun, es standen weiche Ohrensessel herum, eine Diskokugel hing an der Decke und in einer Nische war ein Computer verstaut, aber es war niemand hier.
„Jetzt ist der Kerl schon wieder weg!”, ärgerte sich Joyce.
Wer?
Korrektur: Es war jemand hier. Eine hell leuchtende weisse Gestalt erschien auf einem der Ohrensessel und grinste bis zu den Ohren. „Harmony”, sagte der Kimera freundlich, „ich bin Ha'gel, Liams Vater.”
Sollte der nicht ... tot sein?

„Hallo ...”, murmelte Harmony mit grossen Telleraugen. Wie viele totgeglaubte Verwandte hatte sie denn noch? Es fehlte doch nur mehr Liams Mutter, wer war sie?
„Setz dich doch”, forderte Ha'gel Harmony auf und sie folgte. „Wir, also deine Mutter und ich, sind Wesen, die im multidimensionalen Kontext des Universums zuhause sind”, erklärte er, „es ist uns normalerweise nicht gestattet, uns auf drei Dimensionen abzubilden, also hier zu erscheinen. Das ist der Grund dafür, dass wir nicht in deiner Nähe waren, wir wären es sehr gerne gewesen, das kannst du uns glauben.”
„Und jetzt?”
„Wir haben Jahre um ein Familientreffen gekämpft.”
Jahre, in denen Harmony ihrerseits von ihrem Vater Absagen bekommen hatte, die angeblich von ihrer Mutter stammten. „Ahja”, murmelte sie. Kurz sah sie sich um, auch ihre anderen Verwandten sassen jetzt, ein Tablett mit Brötchen ging rundum und Harmony nahm eines. Was sollte sie sagen? Sie schwieg und überdeckte ihre Ratlosigkeit mit Brötchen.
„Mabel, sag, wie geht es Schwester und Nichte?”, ergriff Liam nach einiger Zeit der Stille das Wort.
„Eigentlich gut”, nickte Mabel, „Ariel stapft aber seit Stunden nur herum.”
„Als du ganz klein warst, Harmony, hast du mit Ariel gespielt”, sagte Liam, „Sie ist eineinhalb Monate jünger als du.”

Ariel? Harmony griff nach einem weiteren Brötchen und ass es. Eine Gleichaltrige zu treffen wäre aber sicher nicht schlecht. So viele Erwachsene um sich herum zu haben, war ... nervositätsfördernd, besonders, da es Verwandte waren.
Sie stand auf: „Kann ich Ariel treffen?”
Ronald lächelte erleichtert: „Natürlich.” Er drückte das Tablett, das bei ihm einen dauerhaften Platz gefunden hätte, Mabel in die Hände und erhob sich. „Ich zeige ihr den Weg, ja?”, sagte er noch, „Ihr wisst ja sicher eine Menge zu besprechen.” Dann wies er auf die Türe und Harmony begleitete ihn durch den Garderobenraum, die Wendeltreppe hoch und hinaus auf die Strasse.
„Puh”, brach Harmony dort die Stille.
„Viel Überraschung in kurzer Zeit, ja”, stimmte ihr Grossvater ihr zu, „Soll ich dir erzählen, wie ich davon erfahren habe, dass Liam mein Sohn ist?” Sie sah ihn irritiert an. „Ich hatte eine Blutkrankheit und bekam eine anonyme Blutspende, das war etwas mehr als ein halbes Jahr vor deiner Geburt”, erklärte er, „Ich zerbrach mir den Kopf, wer der Sohn sein könnte ... ich konnte es mir nicht erklären.”
„Wow ... und dann Kimera.”
„Das hat mir Augur unter reichlich Zwang recht bald verraten, und auch, dass ich an Liam nicht vorbeikomme.” Er überquerte die Strasse und schmunzelte. „Ich habe Liam festgesetzt und zum Aufenthaltsort meines Sohnes befragt, mit Skrill vor seiner Nase”, sagte er, „und dann kam es zu einem kleinen Kampf, bei dem er Shaqarava einsetzte ... ich war fix und fertig, dass ausgerechnet der mein Sohn ist.”
„Ah ... du mochtest ihn nicht?”
„Absolut nicht. Aber ich kannte ihn ja nicht. Als ich ihn kannte, war es leicht, ihn zu mögen.” Er grinste und klingelte an einer Haustüre.

Von drinnen waren schnelle Schritte eine Treppe herunter zu hören, dann wurde die Türe aufgerissen und Harmony blickte in das merkwürdig getigerte Gesicht einer gleichaltrigen Rothaarigen. „Hi, ich bin Ariel”, sagte diese.
„Harmony”, murmelte selbige perplex, „Was ... bist du?”
„Halb Jaridian, halb Mensch.” Ariel zog Harmony ins Haus und warf die Türe zu, Ronald blieb draussen. „Oh Mann, ich hab gar nicht geschlafen ...”, sagte sie, „Du siehst Ron schon ganz schön ähnlich.”
„Ja ... ja, schon”, nickte Harmony und sah neugierig auf ein Bild, das auf einer Kommode stand. Ariels Eltern, vermutete sie, eine menschliche Frau und ein haarloser Mann, der stärker, aber auf dieselbe Art wie Ariel getigert war. Dann blieb ihr Blick am Bild daneben hängen, das zwei Mischlingskinder zeigte.
„Da war ich acht, Cedrik war drei.”
„Ah, cool, du bist nicht die einzige, so, wie du bist”, bemerkte Harmony überrascht.
Ariel zog sie weiter in ein geräumiges Wohnzimmer und warf sich auf eine Plüschcouch. „Guck mal, das hat Mom aufgetrieben.” Sie zeigte ein Bild von einem rothaarigen Halbjaridiankleinkind und einem asiatischen Kleinkind, die an je einem Ohr eines Plüschhasen zogen.
Süss, befand Harmony.
Ariel zog jetzt ein ganzes Fotoalbum vom Tisch und schlug es auf. „Wir kennen uns eigentlich irgendwie schon”, sagte sie, „Ich kann mich aber nicht erinnern. Du?”

Harmony setzte sich auf die Couch, nicht gerade am Ende, sie wollte ja die Fotos sehen, aber auch nicht zu nahe bei diesem Alienmädchen. Alien ... Harmony selbst war ja auch ein Alien, auch wenn man es nicht sah und sie selbst davon auch nichts bemerkte. „Nein, ich weiss nichts davon.”
„Also hast du kein ... genetisches Gedächtnis?”
„Nein? Ich weiss nicht? Noch nicht? Aber du wärst doch auch nicht in meinen Genen, oder?”
„Äh, ja, stimmt ...”, murmelte Ariel, „Kannst du das?” Sie hob eine Hand und liess einen Punkt in ihrer Handfläche hellgrün leuchten.
Harmony blickte in ihre Hand und schüttelte den Kopf. „Wie würde ich das machen, wenn ich es überhaupt kann?”
„Du ... willst es, deine Hand wird heiss ... ich kann es nicht erklären.” Ariel rückte ein Stück zu ihr und zeigte ein Bild von zwei planschenden kleinen Mädchen in hellblauen Badeanzügen in einem aufblasbaren Minipool. Liam und Ariels Eltern grinsten ebenfalls in die Kamera, Ronny hingegen blinzelte blitzgeschreckt. „Mom sagt, das ist das beste Bild ... danach haben wir angeblich um die Ente gestritten.”
„Ah”, runzelte Harmony die Stirn, „aber da sind zwei Enten.” Sie wies mit dem Zeigefinger auf die eine in Ariels linker Hand und mit dem Mittelfinger auf die andere, die zwischen den Kleinkindern im Wasser schwamm.
„Wahrscheinlich wollte ich beide haben”, stellte die Halbjaridian fest, „oder du.”
„Vielleicht”, gab Harmony zu, „aber jetzt sag, wie ist das mit der Hand? Konntest du das immer schon? Was kannst du damit eigentlich machen?”
Ariel blickte in ihre beiden Handflächen und sah die hellgrün glühenden Punkte an. „Glühbirnenkonkurrenz, seit zwei Jahren, aber Dad sagt, ich kann damit später sicher auch schiessen und heilen, wenn ich genug übe”, erklärte sie, „Ich dachte nur, du müsstest das schneller lernen können, immerhin hat dein Vater das ja auch schnell gekonnt.”
„Ich weiss nicht, wie lange er dafür gebraucht hat.”
„Hmm, er hat jedenfalls damit eine der alten Sonden zu Staub geschossen, um den Taelon zu retten”, überlegte Ariel, „Das war ... ein Jahr, bevor Ron Mom weggeschickt hat. Das war ... warte mal, das weiss ich, ganz sicher.” Sie zog die senkrecht dunkler gestreifte Stirn in Runzeln, dass sie regelrecht kariert aussah.

Harmony starrte verwirrt die leuchtenden Punkte in den Händen der Halbjaridian an. Sie konnte sich erinnern. „Meine Güte ...” Ihr Vater war nur vier Tage alt gewesen!
Vier Tage!
Blitzschnell flogen Bilder einer Beerdigung in Harmonys Verstand, Bilder von William Boones Beerdigung. „Das glaube ich nicht ... das ist ... verrückt ...”

„Was?”, blickte Ariel sie an.
„Dad ist gerade mal vierzehn Jahre alt!”
Wow!”
„Das finde ich auch”, murmelte Harmony, „Ich meine, der war nach ein paar Stunden erwachsen!”
Ariel klappte das Album zu und straffte sich. „Das meine ich nicht”, sagte sie, „Shaqarava.” Die Asiatin blickte verblüfft auf ihre Hand, in der ganz leicht, kaum merkbar ein winziger orangeroter Punkt schimmerte. „So ähnlich hat es bei mir auch angefangen”, erklärte die Jaridian, „Du hast Shaqarava.” Sie runzelte die Stirn. „Und ein genetisches Gedächtnis, oder? Du kannst dich erinnern.”
Harmony nickte leicht.
„Cool”, konstatierte Ariel, „das hätte ich auch gern!”
„Ich weiss nicht ...”, seufzte Harmony, „Als erste genetische Erinnerung eine wilde Flucht, als zweite eine Beerdigung ... gewöhnungsbedürftig.”
„Flucht?”, fragte Ariel, „Erzähl doch mal, das interessiert mich.”
„Ja das mit der Sonde ...” Die Asiatin sprang auf und erklärte: „Ich mag nicht rumsitzen, die Erinnerung hat mich ziemlich aufgekratzt.” Das stimmte so zwar nicht, sie war emotional vergleichsweise distanziert, aber die Couch hatte jeglichen Charme verloren.

„Klar, die Ritter spielen draussen, wir können mitspielen ... oder zuschauen, wenn du keine Holzschwerter magst.” Ariel legte das Album achtlos neben sich und lief aus dem Zimmer, in die Küche und dort durch eine Hintertüre ins Freie, immer knapp gefolgt von Harmony. „Bitte sehr, die Ritter”, stellte die Halbjaridian vor, „Links die Ampel-Brüder, rechts die Alien Samurai Kamikaze Turtles.” Leiser fuhr sie noch fort: „Die Namen sind nicht von mir, ja?”
Die Ampel-Brüder waren leicht an ihren Schildwappen zu erkennen, einer roten, einer gelben und einer grünen Ampel, während ihre Gegner Stoffbänder mit Augenlöchern in orange, blau und pink trugen, allerdings kein Wappen auf den Schilden hatten. „Hi”, sagte Harmony.
„Hi”, grüsste der rote Ampel-Bruder, „spielt ihr mit? Dann spielst du bei uns mit und wir sind die Eastern Gang, ja?” Naheliegend, denn die drei waren ebenso Asiaten wie Harmony. „Wir sind Jay, Pepe”, das war der gelbe Ampel-Bruder, „und Neville. Und du?”
„Harmony.”
„Boah, echt? Harmony Kincaid?”
„Äh, ja”, runzelte sie ihre Stirn, „bin ich berühmt hier oder was?”
„Ach, nur ... also, Dad redet in letzter Zeit ständig von dir”, mischte sich Neville ein, der grüne, jüngste Ampel-Bruder.
„Jahaaa”, nickte der mittlere, gelbe Bruder, „Wir sind nämlich verwandt, ja. Wir sind die Onkel und du bist die Nichte. Wir müssen auf dich aufpassen, das machen Onkel nämlich.”

Und da waren die nächsten Verwandten! Zweifellos Kinder von Onkel Ronny und Tante Mabel.

„Und wir ... wir sind Laurie, Vince und Cedrik, ja?”, erklang die piepsige Stimme der pinkbebänderten mittleren Turtle-Ritterin. Der orange jüngste Turtle, der Halbjaridian Cedrik, nickte heftig, Vince in Blau, der älteste, sogar älter als Harmony, grinste sie breit an.
„Seid ihr auch mit jemandem verwandt?”, fragte sie, „Cedrik ja, aber ihr zwei?”
„Klar, ich bin hier eingeboren! Mein Dad ist hier der Sheriff!”
„Meiner kocht aber besser!”, piepste Laurie.
„Ja”, rollte Vince mit den Augen, „man sieht es ihm auch an.” Das Mädchen schmollte sofort. „Also, Harmony, spielst du mit?”, fragte er, „Die Eastern Gang gegen die Alien Samurai Kamikaze Turtles und Ariel, die schlecht fechtende Meerjungfrau.”
„Der Name ist von dir, oder?”, fragte Harmony.
Vince nickte stolz. „Ja, ist genial, gell?”
„Finde ich nicht.”
„Mah, du bist genau wie Ariel”, brummte er ärgerlich, „Du magst ja auch keine coolen Sachen. Du bist gut in der Schule, oder?” Harmony blickte kurz verdutzt zur Jaridian, die nur entschuldigend mit den Schultern zuckte. „Weiber wie euch hab ich gefressen, echt!”, führte Vince seine Beschwerde fort, „Trauen sich nicht auf ein Moped, machen keinen Salto vom Fünfmeterbrett und hauen beim Fechten nicht zu. Weiber sind Weicheier!”
Die Asiatin spürte deutlich, dass er auf dem besten Weg war, sein breites Maul fatal zu bereuen. Sie ballte ihre Fäuste.

„Ah, wirste sauer, ha? Gleich fängt sie an zu flennen und rennt zu Daddy!”
„Vince”, sagte sie kühl, „Vincent, oder?”
„Jahaaa”, verschränkte er lässig die Arme.
„Du bist ein Vollidiot!”, erklärte Harmony, „Jay, reich mir doch bitte dein Schwert.” Sie erhielt das Holzschwert des ältesten Ampel-Bruders und wog es in ihrer Hand. Jedenfalls war Holz leichter als Dads Übungswaffen.
Sie würde beweisen, dass Vincent seinen Namen zu Unrecht trug!

Der Boden war keine weiche Matte, Harmony trug keine Schutzkleidung und keine Drahtmaske, aber Vincent hatte ihr angeboten, dass sie mit Schild kämpfen durfte, während er sich allein mit dem Holzschwert begnügte. Nein, das liess sie nicht mit sich machen! Sie liess den Schild auch weg.
Kurz prüfte sie, wie gut die Schuhe auf dem Boden hafteten, dann hob sie das Schwert vor ihrem Gesicht senkrecht. „Also dann, Vincent ... schlag das Mädchen!”
Wollte er.
Harmony parierte Hiebe, wie man sie mit einem Knüppel besser führen könnte. Vincent konnte nicht fechten, er konnte nur draufhauen - und da hatte sie keine Schwierigkeiten. Nach kaum zehn Paraden hebelte sie ihm sein Holzschwert einfach aus der Hand.
Laurie, Ariel und Cedrik kicherten verhalten, die Ampel-Brüder hingegen kugelten vor Lachen auf dem Boden durcheinander. Harmony stellte zufrieden fest, dass ihr ihre Onkel sehr sympathisch waren.

„Bravo”, erklang Rons Stimme von der nächsten Hausecke, „Hat Liam dir also das Fechten beigebracht.”
„Ein bisschen”, sagte Harmony, „aber für den hätte auch weniger gereicht.”
„Pah!”, warf Vince den Kopf in den Nacken, „Aber den Salto vom Fünfmeterbrett traust du dich nicht.” Damit rauschte er davon.
„Liam lässt ausrichten, dass es Kuchen gibt”, fuhr Ron fort, „also falls du gerne ein Stück hättest ...”
Harmony kniff die Augen zusammen. „Nein, jetzt gerade kann ich keine Ansammlung Erwachsener brauchen. Aber sag mal, du weisst nicht zufällig, wie das mit dem genetischen Gedächtnis geht?”
„Ja hab ich denn eins? Frag Liam!”

„Du könntest auch Zo'or fragen”, warf Ariel ein. Zo'or? Der verschollene Taelon? Harmony machte grosse Augen. „Klar”, fuhr die Halbjaridian fort, „Er wohnt da drüben.” Sie wies an der Hausecke vorbei.
„Wieso wohnt Zo'or hier?”, war Harmony mehr als perplex.
„Frag Zo'or”, grinste Ariel und griff nach ihrer Hand, „Komm schon!” Harmony liess sich mitziehen und auch Ron folgte ihnen. Die Jaridian huschte zwischen zwei Häusern durch und dann über die Strasse, schliesslich drückte sie am Haus gegenüber den Klingelknopf.
Einige Momente warteten sie, dann wurde die Türe gemächlich geöffnet und es kam tatsächlich der verschollene Taelon Zo'or dahinter zum Vorschein.
Harmony runzelte die Stirn und versuchte ihren Kopf leerzuschütteln, doch ihr wurde schwindlig. Alles wurde schwarz vor ihr und doch war da so viel ... wie sollte sie das ordnen, was da auf sie einströmte?

* * *

Sie fand sich auf einer Bank liegend wieder, drei besorgte Gesichter über sich. Die Zimmerdecke war violett gemasert, allerdings sichtbar nicht lebendig sondern nur bemalt. „Was ist passiert?”, murmelte Harmony und versuchte, sich aufzusetzen.
Zo'or drückte sie wieder nieder. „Das war ein Gedächtnisblitz”, sagte er, „Ich nehme an, mein Anblick hat ihn ausgelöst.”
„Ja? Dann sollte ich mich doch erinnern ... tu ich aber nicht.”
„Das ist ... ungewöhnlich.” Zo'or machte eine hübsche taelontypische Handbewegung und richtete sich auf. „Meine Kenntnisse über spezifische Eigenheiten der Kimera sind gering und tatsächlich sind Sie, Miss Kincaid, in jeder Hinsicht ein Unikat”, erklärte er, „Ich kann Sie nur unterstützen, aber Ihnen keine Sicherheit bieten.”
„Irgendwo in meinem Genom versteckt sich aber auch ein bisschen Taelon”, gab Harmony zu bedenken.
Der Taelon hielt in seinen Fingerbewegungen inne. „Tatsächlich? Wie das?”
„Oh ...”, murmelte Harmony und hob ihre Brauen, „Oh!” Sie wandte sich ihrem Grossvater zu: „Er weiss das gar nicht? Ich dachte ... wegen Unikat und so ...”
„Ich wusste das auch nicht”, mischte sich Ariel ein, „Stimmt das überhaupt, Ron? Sie ist ja schön weggetreten.”
Ronald seufzte leise: „Doch, stimmt. Harmony ist die einzige Mensch-Kimera-Taelon-Jaridian-Hybridin.”
„Cool”, war Ariels Kommentar.
„Erstaunlich”, gab Zo'or zu Protokoll, „Es bleibt natürlich die Frage, wie das möglich ist.”
Ron sprang energisch auf. „Himmel, Zo'or, denken Sie doch nach!”, fuhr er den Taelon an, „Wann haben Taelons denn schon ihre Gene rausgegeben? Und Jaridiangene noch dazu?” Jetzt war Zo'or deutlich erstaunt, er musterte Harmony genau, bevor er sich abwandte und sich auf einen taelonisch violetten Stuhl setzte, wie ihn auch Da'an in der Botschaft hatte.

„Ähm”, murmelte die Kimera, „darf ich jetzt wieder aufstehen?” Hilfsbereit reichten ihr Ron und Ariel je eine Hand und kaum später stand Harmony aufrecht vor Zo'ors Thron. „Weshalb leben Sie hier in dieser Stadt, Zo'or?”, fragte sie.
„Sie fragen in Wahrheit, weswegen ich nicht mehr im Gemeinwesen bin und meine Mittaelons nicht wissen, wo ich mich aufhalte und wie es mir geht”, präzisierte der Taelon, „Ist es nicht so?”
„So gesehen ... ja.” Sie runzelte etwas die Stirn. Da'an redete nie so direkt - aber er wedelte genauso mit den Händen.
„Die Antwort lautet: Liam Kincaid. Er bietet mir seinen mentalen Halt statt des Gemeinwesens und gibt mir Grundenergie zum leben.” Die Eleganz in Zo'ors Handbewegungen liess nach und wich energischer Kraft. „Ich bin von ihm abhängig und darf diesen Ort nicht verlassen, allerdings würde ich nicht ins Gemeinwesen zurückkehren wollen, wenn ich könnte.”
„Nicht? Da'an sagt, es ist der Halt, den ein taelonischer Geist braucht.”
„Für ihn vielleicht”, gab Zo'or zu, „für mich hingegen war das Gemeinwesen immer nur eine Pressform, die mich zu etwas machte, was ich im Grunde nicht sein wollte.”
„Und ... was wollten Sie sein?”

Das war wohl eine unangenehme Frage. Der Taelon liess seine Hände sinken und sah Harmony durchdringend an, bevor er sich zurücklehnte und ... was eigentlich? Tief durchatmen konnte man das wohl nicht nennen. Zo'or entspannte sich jedenfalls etwas, schloss auch kurz die Augen, dann legte er den Kopf schief und erklärte: „Ich war der jüngste Taelon, bis General Kincaid begann, Ungeborene aus der Stasis zu holen. Die Wünsche aller Taelons im Gemeinwesen trafen ein wehrloses Kind und machten es zu dem kompromisslosen Anführer, den sie zu brauchen glaubten. Aber im Grunde wäre ich lieber jemand gewesen, der sich seiner Motivation sicher sein und wirklich nach eigenem Willen handeln kann.”
Für Harmony klang das Gemeinwesen nun nicht mehr nach Erziehung und Halt, wie es Da'an darstellte, sondern geradezu nach einem CVI. Sie hatte in der Schule gelernt, was diese Implantate anrichteten, und in Schulvideos über Agent Ronald Sandoval hatte sie es sogar gesehen, noch bevor sie ihn mit Ron vergleichen hatte können.
Es gab auch Schulvideos über Zo'or, der darin nicht dem Zo'or entsprach, den Harmony hier vor sich hatte. Nun, doch, aber alleine der violette Anzug und die Plateauschuhe machten noch keinen wahnsinnigen Synodenführer aus.

„Aber was ist mit den Ungeborenen?”, überlegte sie, „Mit denen passiert das doch jetzt auch.”
„Sie sind nicht alleine!”, widersprach der Taelon, „163 erwachsene Taelons gegenüber 50 Kindern - aber ich stand alleine fast siebenhundert Erwachsenen gegenüber. Ihr Vater tut gut daran, erst die Kinder zu wecken und erst später die erwachsenen Taelons aus der Stasis zu holen.”
Das tat Liam? Darüber hatte Harmony nie etwas erfahren. Da'an hatte nie davon erzählt, was auf dem Mutterschiff geschah, und ihr Vater auch nicht - Geheimsache, sagte er immer. Jetzt durfte sie wohl davon wissen, jetzt, wo sie ja auch wusste, dass sie selbst nicht nur Mensch war.
„Harmony?”, räusperte sich ihr Grossvater, „Wir sollten uns zur Kuchenschlacht gesellen, nicht dass Liam sich noch Sorgen macht.” Sie sah ihn an, er grinste. „Bevor Jay, Pepe und Neville alles aufessen. Wie die Scheunendrescher, alle drei.”

Gutes Argument.

Harmony nickte und sah zur Jaridian: „Ariel?”, und dann zum Taelon: „Zo'or ... Sie essen nicht, oder?”
„Aber schmecken kann er!”, rief Ariel, packte den verdutzten Taelon an der Hand und zog in mit sich aus dem Haus. Harmony starrte perplex auf den jetzt leeren Thron und wandte sich dann Ron zu, der nur wieder schief grinste und auf die sperrangelweit offene Haustüre wies.
Etwas später fanden sie im Partykeller einen von Kuchen überladenen Tisch und essende Verwandte vor. Oder vielmehr nicht nur Verwandte: Auch der etwas korpulente Frank, samt Kochmütze auf dem Kopf, und seine Tochter Laurie zählten zu den Auserwählten, und Ariel hatte auf dem Weg noch ihren Bruder Cedrik aufgesammelt.
Harmony griff nach einem Teller und erbeutete ein Stück Erdbeertorte.
Ariel hatte Zo'or auf einen Ohrensessel verfrachtet, wo er jetzt ihren Teller auf einer Hand hielt und seine andere gegen ihre drückte, während sie einen Bissen nach dem anderen nahm und zwischendurch mit der Gabel gestikulierte.
„Oh, wenn ihr Vater das sehen könnte”, bemerkte Ronald mit einem Grinsen bis zu den Ohren, „Er hasst es, wenn sie ein Sharing mit Zo'or macht, dann poltert er immer von kleinen Schritten und langsamer Annäherung und so.” Harmony wusste nichts zu sagen, also ass sie eben Kuchen. „Aber sieh dir Frank an!”, stupste Ron sie an. Der Koch hatte ein halbes Kuchenstück aufgespiesst und erklärte jetzt lautstark und gabelfuchtelnd Mabel die Geheimnisse des Spezialrezepts. „Pass auf, gleich ...” Harmony runzelte die Stirn. Von hinten schlich sich Pepe an Frank heran, dann schnellte seine Hand hoch und die Gabel war leer. „Na?”
„Und du erziehst deine Söhne nicht?”
„Ich könnte jetzt sagen, bei Liam hat es ohne Erziehung auch gut geklappt, aber das zieht nicht so ganz, oder?”
„Nein.”
„Schade. Nein, klar erziehen wir die Bengel, aber manchmal ist ein Streich schon mal drin.” Er wies knapp auf Frank, der verdutzt seine Gabel betrachtete. „Vor allem bei ihm.”

* * *

Die Kuchenschlacht war in vieler Hinsicht aufschlussreich gewesen. Harmony hatte gelernt, dass Ariel Zo'or als ihren privaten Taelon ansah, dass Familie Martínez bei Streichen zusammenhielt und dass ihr Vater es schaffte, acht Mal Global-bedingt hinauszuhuschen und zuletzt den Aufbruch vorzuziehen. Typisch General. Dabei war es offenbar gar nicht Da'an, der ihn immer störte, sondern General Hendrik.
Also gleich doppelt typisch General! Beinahe schmollte Harmony, aber sie liess es doch. Sie hatte schliesslich einen Grund, sich stattdessen wahnsinnig zu freuen: Sie würde öfter in diese Stadt kommen dürfen!
Dennoch, sie stellte ihren Vater sehr wohl zur Rede. „Was wollte Hendrik denn die ganze Zeit?”, fragte sie auf dem Weg zum Portal.
„Zweimal hat er nach dir gefragt, dreimal hat er durchgegeben, dass die Demonstranten einen weiteren Forschungskomplex eingekreist haben, zweimal hat er gemeldet, dass das südafrikanische respektive das japanische Portalsubnetz komplett ausgefallen ist und einmal, dass er Mit'gai kaum noch davon abhalten kann, selber ein Shuttle zu fliegen.”
„Äh .. okay, das sind wichtige Sachen.” Sie runzelte die Stirn. „Warum hat er nach mir gefragt?”
„Weil er weiss, wer ich bin”, grinste Liam, „aber jetzt sollte ich mich beeilen und Mit'gai zu seiner Forschung bringen.” Er stellte das Ziel ein und trat ins Portal, Harmony musterte ihn kritisch und stellte sich neben ihn. „Wen starrst du nieder?”, runzelte er die Stirn, „Mich?”
„Dad, ist heute ein Katastrophentag?”, fragte sie. Es war doch so! Kaum war General Kincaid nicht verfügbar, kam eine Meldung nach der anderen. „Ich hätte nicht in der Schule erzählen sollen, dass wir heute etwas vorhaben. Stimmt's?”
„Vielleicht ...”, gab er zu, dann trug die Energie sie beide fort. Das Ziel war taelonviolett und schimmerte manchmal blau durch, über das virtuelle Glas eines Fensters zum Weltall zogen vereinzelt bunte Schlieren: Das Mutterschiff. „Harmony, die Taelons wissen nicht, wer ich bin und wer du bist schon gar nicht, also sei menschlich!”, sagte Liam eindringlich, „Aber ich muss dich hierlassen, ich habe keine Zeit mehr. Okay?”
„Okay.”

Damit war ihr Vater davongeeilt und Harmony konnte sich ganz dem Schiff und dem Weltall widmen. Beides war wunderschön. Zu dumm, dass sie jetzt möglichst menschlich sein musste, denn gerade jetzt, gerade jetzt, drängte sich eine genetische Erinnerung auf. Harmony schob sie beiseite. Von rechts flog ein Shuttle in ihr Blickfeld, ihr Vater winkte vom Pilotensitz kurz, dann aktivierte er den Interdimensionsantrieb und das Shuttle war weg.

Auf den ersten Blick war auf dem Mutterschiff nicht viel los - auf den zweiten auch nicht. Die Korridore waren leer, Harmony begegnete auf ihrem Streifzug durch das Schiff überhaupt niemandem. Dabei sagten ihr nicht wenige genetische Erinnerungen deutlich, dass es hier vor ihrer Geburt wie in einem Ameisenhaufen zugegangen war.
Es waren nicht nur Erinnerungen ihres Vaters, sie erinnerte sich auch an Dinge, die ihr Grossvater hier erlebt hatte, allerdings liess sich nichts davon wirklich festhalten, ausser flüchtigen Eindrücken von Beschäftigtsein verschwand alles wieder. Sie bog ab und erblickte den Shuttlehangar.
So viele Shuttles! Es kribbelte in ihrem ganzen Körper. Dad hatte sie nie an die Steuerung gelassen ... ob die Shuttles gesperrt waren? Bestimmt. Besser versuchte sie gar nicht, eines zu starten, es brachte ihr sicher nur Hausarrest. Schade war es trotzdem. Vielleicht könnte sie mit ihrem genetischen Gedächtnis ja tatsächlich recht gut fliegen, schliesslich war ihr Vater der beste Pilot der Welt.

War er wirklich! Immerhin konnte keiner sonst in einem Gebäude aus der Interdimension zurückspringen.

Energisch riss sie sich herum und verliess, gegen die magische Anziehungskraft der Shuttles kämpfend, den Hangar. Es gab bestimmt noch andere interessante Bereiche auf diesem Schiff. Vielleicht die Brücke? Die müsste doch am ehesten ganz vorne im Schiff sein, also hielt sich Harmony in jene Richtung, sie fand auch glücklicherweise immer wieder Räume mit Fenstern, sodass sie die Erde links von sich halten konnte und nicht versehentlich durch irgendeinen krummen Korridor umkehrte.
Tatsächlich erreichte sie die Brücke, auf der ebenfalls nichts los war. Zumindest derzeit, sie war sichtlich durchaus in Betrieb, auf einer der für Menschen eingebauten Konsolen lief eine Berechnung, der Hauptdatenstrom stellte offensichtlich die Positionen aller Taelons auf der Erde dar - ausgenommen natürlich Zo'or. Harmony reckte sich von hinten über den Thron und durchsuchte die Anzeige nach Mit'gai.
Japan.
Hatte ihr Vater nicht gesagt, in Japan wäre das Portalsubnetz ausgefallen? Sie versuchte, sich möglichst keine Sorgen zu machen. Er konnte auf den Taelon und sich selbst aufpassen, als erfahrener General bestens und als Kimera schon mal sowieso.
Sie blieb nicht alleine, nun betraten zwei Generäle und ein ihr unbekannter Taelon die Brücke.

Es gab definitiv mehr Generäle in ihrem Leben als im Leben eines normalen Mädchens. General Mitchell Hendrik und General Antonio Arias waren durchaus überrascht, sie zu sehen, dem Taelon war dergleichen zwar nicht anzusehen, aber vermutlich hatte auch er sie nicht auf der Brücke des Mutterschiffes erwartet. „Miss Kincaid”, grüsste er.
Sie kannte ihn wirklich nicht, auch rührte sich kein bisschen genetisches Gedächtnis. „Hallo”, lächelte sie schüchtern.
„Ich bin Kolonieminister Le'or.” Gut, wenn die Taelons irgendwo eine Kolonie hatten, erklärte es das leere Schiff. „Vermutlich wurde es Ihnen bisher nicht mitgeteilt, aber wir haben beschlossen, den Planeten Mars zu bewohnen.” Mars also. Wer nicht atmen musste, konnte sich dort auch die in Filmen allgegenwärtigen Kuppeln sparen - aber Taelons hatten bestimmt kein Problem, Kuppeln zu konstruieren.
„Ja dann viel Erfolg beim kolonisieren”, murmelte Harmony, recht platt.
„Miss Kincaid, darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?” Auch Le'or hatte die hübschen Handbewegungen drauf, das machten also wirklich alle Taelons. Harmony nickte verdutzt. „Wie ist es, aufzuwachsen, behütet zu sein?”, fragte er, „Sie sind der jüngste Mensch, dem ich bislang begegnet bin.”
„Aber Sie waren doch bestimmt auch einmal Kind ...” - allerdings wohl nicht behütet, wenn sie von Zo'ors Aussage ausging.
„Ich war jung, jedoch niemals Kind”, sagte Le'or, „Sowie ich in der Lage war, mich fortzubewegen, sah kein anderer Taelon mehr eine Notwendigkeit, sich näher mit mir zu beschäftigen. Die Kaste wies mir eine Aufgabe zu, die ich zu erfüllen hatte.”
„Ähhh ...” Harmonys Vorstellungskraft half ihr nicht gerade weiter. Sie sah gerade ein Taelonkleinkind mit Windel eine holographische Kontrolle bedienen, aber das konnte es wohl nicht sein. Mit Mühe verkniff sie sich das Lachen, es sah zu albern aus.
Der Taelon sah sie leicht konsterniert an, dann hob er eine Hand: „Bitte zeigen Sie mir, was es heisst, Kind zu sein.” Ein Sharing? Er würde merken, dass sie kein Mensch war! Harmony wich etwas zurück. „Das ist schade.” Le'or senkte seine Hand wieder.
„Was ist das?” Mitchell wies Richtung Erde, sie blickten hinaus und sahen einen Energieball, der kaum später das Schiff traf und durchschüttelte.
Harmony stürzte, spürte das Bersten von Knochen und schrie auf.

 

Ende von Kapitel 7

 

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