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  „Blut” von Veria   (Emailadresse siehe Autorenseite),   November 2010
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Lili Marquette bringt ihre Tochter zur Welt, Ronald Sandoval träumt von Siobhán Beckett und Ha'gel.
Zeitpunkt:  gleich darauf
Charaktere:  Ronald, Liam, Vorjak, Lili, Ha'gel, Siobhán Beckett, Dr. Belman, (Tonio Arias, Da'an)
 

 

BLUT

Kapitel 5: Veränderung II

 


Als Ron seine Augen wieder öffnete, sah er über sich nur die blauviolette Decke eines Verhörraumes, oder vielmehr einer Folterkammer. Das Fesselfeld um ihn war ausserordentlich eng, er konnte nicht einmal den Kopf drehen.
Er brauchte den Kopf nicht zu drehen, Arias beugte sich über ihn und grinste. „Wie schon, Sie wach su sehen, Sandoval, ich hate schon befurchtet, Sie su stark getrofen su haben.” Dass der aber auch immer den Akzent herausstellen musste!
„Was ist passiert?”, fragte Sandoval, vielleicht glaubte man ihm ja, dass er nichts wusste.
„Sie hoffen tatsächlich, dass Ihr Angriff auf Zo'or auf eine CVI-Manipulation zurückgeführt wird”, stellte Tonio fest (und das akzentfrei), „Aber es gab keine Transmissionen auf Ihrer CVI-Frequenz und ebensowenig hätte Ihr CVI auf eine externe Befehlsserie reagiert. Es ist so kaputt, dass es kaputter schon gar nicht mehr geht.”

Kaputt? Es war nicht kaputt, es war brandneu!

„Dr. Belman sagt sogar, dass sie es nicht einmal mehr ersetzen kann”, fuhr der Latino fort, „weil Ihr Gehirn auch kaputt ist und mit einem intakten CVI gar nicht zusammenarbeiten kann.” - Gut, das erklärte es. Julianne hatte freundlicherweise eine Reimplantation mit Motivationsimperativ verhindert. „Nun”, Arias trat um das Kopfende der Liege herum und runzelte die Stirn, „Weshalb haben Sie Zo'or entführt?”
„Weil ich Meister Hochnase nicht ausstehen kann.”
„Meister Hochnase, ja?” Tonio starrte eisig auf Ron herab. „Wo haben Sie ihn hingeschickt? Wohin führte das Portal?”
„Zum Osterhasen”, sagte Sandoval und bäumte sich im nächsten Moment vor Schmerz auf. „Schon gut”, schrie er, „schon gut, zum Weihnachtsmann ... Aaaaaaaaahhh!” Verdammt, drehte Arias den Schmerzgenerator hoch! Ronald selbst hatte die erste Stunde immer bei moderatem Schmerzlevel verhört - und gedacht, er wäre das Parademonster von Implantant gewesen ...
Aber Tonio Arias hatte keine Chance! Sandoval würde den Widerstand und Liam nicht verraten, nichts wäre für ihn schlimmer als seinen Kimera-Sohn samt dessen Tochter (denn darauf liefe es hinaus) in der Gewalt der Taelons zu wissen.

„Wo ist Zo'or jetzt?”, schrie Tonio ihn an, „Wo haben Sie ihn hingeschickt?”
„Ach, steht das nicht in den Portaldaten?”
„Nein”, knirschte Arias, „Sagen Sie es!”
Ron grinste breit: „Nein”, was ihm weitere Schmerzen einbrachte, doch diesmal schluckte er den Schrei hinunter. - Nur leider machten Schreie nicht satt, er hörte schon seinen Magen knurren. Wie lange war er schon hier? Wie lange war die Entführung her?
Wie ging es Lili und ihrem Kind?

* * *

Ronald musste über den Schmerz bewusstlos geworden sein, denn er erwachte aus dem Dunkel. Aus den Augenwinkeln sah er sich um und erblickte eine Person knapp am Rande seines Sichtfeldes. Tonio Arias? Nein, das CVI erkannte nicht den Latino, sondern Liam, und diese Einschätzung bestätigte sich, als der Kimera näher trat.
„Fühlen Sie sich wohl?” Erstaunlich, wie kalt auch Kincaids Stimme klingen konnte.
„Danke, bestens”, nickte Ron mit dem bisschen an Bewegungsspielraum, den sein Kopf hatte, „aber vielleicht könnten Sie dem Zimmerservice sagen, dass im Bad keine Seifen sind. Also, eigentlich ist überhaupt kein Bad da, naja, dann fehlen die Seifen ja nicht wirklich.”
„Wir machen also Spässe, Sandoval”, sagte Liam hart, „dann lachen Sie doch über meinen Witz: Da'an hat Ihre Exekution angeordnet, sollte Zo'or nicht noch heute lebend gefunden werden.” Er umkreiste die Liege halb. „Nun, vielleicht gibt es ja noch ein Wunder und Ihr Meister Hochnase ist trotz Trennung vom Gemeinwesen nicht tot.”
„Hahaha”, folgte Ron der Aufforderung.
„Wer hätte das gedacht, nicht wahr?”, Kincaid lächelte kühl, „Nunja, dass Sie jetzt noch nicht tot sind, verdanken Sie der Tatsache, dass Da'an Zo'or noch zu spüren glaubt, wenngleich kein anderer Taelon das nachvollziehen kann.”
„Ach, und weshalb nicht?”
Liam setzte sich auf den Rand der Liege. „Erzählen Sie mir doch eine Geschichte, Sandoval”, forderte er Ron auf, „Weshalb ist Zo'or noch am Leben? Weshalb sollen Sie also noch am Leben bleiben? Na?”

Verdammt! Ronald war absolut klar, dass sein Sohn eine an den Haaren herbeigezogene Lüge hören wollte, doch was sollte er sagen? Schliesslich sollte es glaubwürdig auch noch sein. Sandoval starrte giftig in Kincaids inzwischen ausserordentlich freundliches Gesicht und dachte fieberhaft nach.
Verstecke eine Lüge immer in der Wahrheit, dann wird sie leichter geschluckt.
„Zo'or wird durch menschliche neuronale Energie vom Gemeinwesen abgeschirmt”, sagte er, „Ich bin sicher, Sie werden nur zu bald die Forderung erhalten!” Tatsächlich brachte er auch einen überheblichen Gesichtsausdruck zustande, bevor er fortfuhr: „Sollte ich sterben, wird sie bestimmt viel höher ausfallen!”

„Sandoval ... Ihre Forderung interessiert mich einen Scheiss.” Liam erhob sich vom Rand der Liege, drehte sich langsam um und stützte sich mit den Händen auf. „Sie kommen hier nicht raus, ganz gleich, ob Zo'or gefunden wird!”, er lächelte eisig, „Sie wissen schon, Experimente ...”
Eine schöne Lüge! Sandoval spürte den Energieverzerrer, den Kincaid mit dem Daumen unter Rons Hand schob. Dieses Gerät würde genügen, das Fesselfeld soweit zu stören, dass er sich ihm entziehen könnte. Aber er wäre weiterhin auf dem Mutterschiff - nicht gut.
„Ich fürchte, ich muss sie kurz alleine lassen”, sagte Liam, „Ich habe Hunger - Sie doch auch? Soll ich Ihnen etwas mitbringen? Einen Orangensaft vielleicht? Zu dumm, dass ich das nicht darf ... damit müssen Sie eben leben.” Ron verstand die Anweisung und nickte leicht, worauf Liam den Verhörraum verliess. Im Kopf zählte der Gefangene bis hundert, dann aktivierte er den Verzerrer und stand auf.

Die Muskeln sträubten sich nach der langen Fixierung, doch Ronald konnte sich keine Streck- und Dehnübungen leisten, er musste sich beeilen. Er trat an die Türmembrane und legte den Verzerrer darauf, und tatsächlich entstand der Durchgang. Wie wollte Liam das nur erklären, ohne sich selbst in eine Zelle zu bringen?
Flott huschte Ron den Korridor entlang, bis er auf der linken Seite eine schmale Nische fand, die ihm dank des Verzerrers den Weg in die eigenen Versorgungsbahnen des Schiffwesens öffnete.
So war das Mutterschiff wirklich, leuchtend blau, ständig in Bewegung und durchsetzt von Lichtpunkten in allen Farben, ganz im Gegensatz zum statischen Violett der von den Taelons bewohnten Bereiche. Sandoval folgte einem schmalen Pfad, manchmal musste er über Auswüchse steigen und nur zu oft sich ducken, einmal sogar kriechen. Schliesslich erreichte er eine halbdurchsichtige Membrane, hinter der er ein Portal sehen konnte.
Er war drauf und dran, diese Membrane zu öffnen, doch er erblickte Da'an gerade noch rechtzeitig.

„Weshalb, Liam?”, fragte der Taelon, begleitet von einer sanften Handbewegung, „Ich sehe keinen Grund, den Sie haben könnten, Agent Sandoval zu helfen. Er gehört nicht zu Ihren Leuten und wird Sie verraten, wenn Sie sich ihm offenbaren.”
„So wie Zo'or Sie verrät?” Kincaid war zwar noch nicht zu sehen, doch seine Stimme war klar und ruhig. „Da'an, sind Sie wirklich sicher, dass Sie das für Zo'or tun wollen?”, fragte er, „Ich verspreche Ihnen, ich bringe Ihnen Zo'or auf jeden Fall zurück.”
„Es geht nicht nur um Zo'or”, widersprach Da'an leise, „auch um Lili.” Soviel bedeutete die Pilotin ihm? Sandoval konnte das kaum glauben. „Bringen Sie mich zu ihr, Liam”, flüsterte der Taelon, „bitte.”
Kincaid nickte und wies auf das Portal, Da'an betrat den Erfassungsbereich und der Kimera stellte sich zu ihm, einen Moment später waren beide verschwunden. Ron öffnete eilig die Membrane und lief ins Portal, der vorige Transport wurde zwar nicht angezeigt, aber Sandoval wusste sehr wohl, wohin er musste.

Einen Augenblick später fand er sich in Augurs Versteck unter der Kirche wieder, allerdings war er alleine. Er war noch nie alleine im ehemaligen Widerstandshauptquartier gewesen, und der Hacker hütete seine Computeranlage wie den heiligen Gral und liess Ronald daran nicht einmal einen Tippfehler ausbessern. Also hiess es nur: Warten.
Ron nutzte die Zeit. Er zog die fürchterliche Gefangenenkluft aus und Jeans und ein hellgrünes T-Shirt an, briet sich eine Packung Fischstäbchen an (natürlich den Inhalt, denn Pappe schmeckte auch angebraten eher bescheiden) und liess einen Espresso aus der Kaffeemaschine. Danach waren die Nachwirkungen der Folter erträglich und er konnte überlegen, ob er sich trotz Augurs stets im Raum stehender Drohung, ihm den Kopf scheibchenweise abzuschneiden falls er es täte, an die Computeranlage wagte.
Er wagte sich an die Computeranlage - und stellte fest, dass ein Zettel auf der Tastatur lag, der ihm in Liams Handschrift eben dies erlaubte und zudem erklärte, wie er die Videoübertragung aktivieren konnte. Sandoval folgte den Anweisungen und sah schliesslich auf dem grössten der Bildschirme Lili, Vorjak und Da'an, trotz eines strategisch angewendeten Unschärfefilters sichtbar im Kampf mit heftigen Wehen. Ein kleinerer Monitor zeigte Augur in tiefem Koma sowie entsprechende medizinische Anzeigen, die glücklicherweise alle im grünen Bereich waren, und im Hintergrund Julianne, die Harmonys Schaukelwagen immer wieder anstiess.
Der dritte Bildschirm schliesslich war in vier Segmente aufgeteilt und zeigte ebenso viele Überwachungsübertragungen aus einem U-Bahn-Schacht, die bei Bedarf auch auf andere Kameras umsprangen. Sandoval beugte sich näher zum Bildschirm und runzelte die Stirn, und da sauste schon Liam an einer Kamera vorbei und zog Zo'or hinter sich her. Dann war kurz Ruhe - und dann folgte eine Horde vermummter Widerständler.

Liam bewies also tatsächlich wieder einmal seine Kompetenz als Companionbeschützer.
Sofern Da'an den Mund hielt war alles in Ordnung, nur musste Augur noch irgendwie aus seinem Koma erwachen ohne Zo'or dadurch zum Atavus zu machen. - Oh, Zo'or auf die Art derart in der Hand zu haben, wäre einfach gut!

* * *

Ronald stand vor der Computeranlage und behielt die Bildschirme im Auge. Zo'ors Befreiung war inzwischen weit genug fortgeschritten, dass Liam und sein Schützling die U-Bahn-Tunnel verlassen hatten und sich nun durch einen leergefegten und von Freiwilligen bewachten Bahnhof bewegten, Augur war stabil wie zuvor und Lili durfte inzwischen pressen.
Wo waren eigentlich die beiden anderen Jaridians?
Sandoval sprang auf und suchte nach einem Global, nach kurzer Zeit fand er eines und rief Julianne an. Auf dem Bildschirm sah er sie in ihrer Handtasche kramen, dann erschien sie auch im Global.

„Julianne, wie lautet der Plan?”, fragte er, „Wo sind Trigal und ... wie heisst der dritte?”
„Keine Ahnung, er hat sich noch nicht vorgestellt”, sagte sie, „Die beiden sind hier. Wir wollten Da'an nur einen Jaridian auf einmal zumuten.” Sie grinste.
Ron erwiderte das Grinsen. „Auf Zo'or habt ihr nicht so viel Rücksicht genommen, nehme ich an.”
„Natürlich nicht.” Sie streckte eine Hand in den Schaukelwagen, von dem nun eine beachtliche Lautstärke ausging. „Aber da Zo'or schon dreimal Energie gespendet hat, wird Da'an nicht in Lebensgefahr geraten”, fuhr sie fort, „Liam hat ihm auch zugesagt, ihm Kimeraenergie zu spenden, und Da'an sollte sie durchaus aufnehmen können.”
„Bekommt Zo'or auch eine Spende?”
„Natürlich nicht, Ron”, rollte sie mit den Augen, „Das wäre ja noch schöner, wenn Zo'or von unserem Kimera wüsste.” Sie legte das Global auf den Knien ab und hob Harmony aus dem Schaukelwagen. „Du hast die Folter gut überstanden?”, fragte sie noch.
„Arias hat ganz schön hochgedreht, aber ich komme klar, danke”, sagte er, „Wie geht es Augur?”
Sie blickte zur Seite und runzelte die Stirn, dann murmelte sie: „Zwanzig Stunden hält er das sicher noch aus, bis dann sollten wir eine Lösung haben.”
„Abwechselnd?”, fragte Sandoval, „Aber dafür bräuchte es noch ein Gerät, oder?”
„Nicht zwangsläufig ... das Gerät kann sich etwas Vorrat speichern.” Julianne sah ihn an und hob ihre Brauen. „Gute Idee, so können wir Zo'or dauerhaft vom Gemeinwesen getrennt halten, ohne dass er Atavus wird”, lächelte sie, „Was für ein Drohpotential! Wenn uns etwas nicht passt, lassen wir ihn einfach zum Atavus werden.”
Hatte der Widerstand jemals zuvor soviel Macht über einen Taelon besessen? Ronald bezweifelte es. „Liam hat nie in Erwägung gezogen, Zo'or sterben zu lassen, vermute ich”, sagte er.
„Das denke ich auch”, nickte Julianne, während endlich die Kleine leise wurde, „aber Zo'or an der Leine zu haben ist ohnehin viel besser als ihn einfach umzubringen.”
„Ja, aber diese Möglichkeit zu sehen ist allein Liams Verdienst.” Sandoval blickte kurz auf die drei Bildschirme. Liam und Zo'or waren nicht mehr zu sehen, Lili presste und keuchte weiterhin fleissig und bei Augur hatte sich auch nur das getan, was auch auf dem Global zu sehen war. „Wie lautet der weitere Plan?”, fragte er dann Julianne, „Wie will Liam meine Flucht erklären.”
„Er hat deine Flucht ermöglicht, ist dir gefolgt, hat dich getötet und Zo'or befreit.”
„Ah, ich bin tot. Tja, da kann man nichts machen.”
„Ich habe noch eine ganze Menge zu tun”, seufzte Belman laut auf, „mir einen Obduktionsbericht aus den Fingern saugen zum Beispiel. Hast du irgendwelche Krankheiten, die ich nachweisen könnte?”
„Ausser der Blutkrankheit?”, runzelte er die Stirn, „Nein, ich weiss nichts.”
„Am besten wäre es, hätte ich ganz aktuelle Untersuchungsergebnisse”, stellte sie fest, „und die hole ich mir!” Ron nickte ergeben, was hatte er denn schon anderes zu tun? „Deine Beisetzung ist übrigens am Freitag”, fügte sie hinzu, „Du wirst dich natürlich nicht blicken lassen.”

Natürlich nicht. Wiederauferstehung war schliesslich nicht sein Ding, zumal er dann ja erst am Sonntag auftauchen dürfte - oder wohl vielmehr aus dem Grab verschwinden, wobei das ja dann gar keiner sähe.
Irgendwie schade, dass er nicht auf der Brücke des Mutterschiffes Zo'or erscheinen konnte ... das wäre ein Spass! Allerdings war tiefster Winter und keineswegs Ostern, also ohnehin nicht die richtige Zeit für eine Wiederauferstehung.
Das Grab auszuheben wäre für die Friedhofsarbeiter sicher auch ein Spass - der Boden war noch durchgefroren. Oder sollte die Attrappe verbrannt werden? Julianne hatte nur Beisetzung gesagt und eine Exhumierung zu verunmöglichen war zweifellos sicherer.
„Einäscherung?”, fragte er also und sie nickte. Sehr gut.

* * *

Endlich, nach gefühlten Tagen, war die Geburt vorbei. Sandoval verfolgte auf dem Bildschirm die weitere Versorgung und stellte verblüfft fest, dass Vorjak sein Halbjaridiankind ohne Zögern an Da'an weitergab, der eine kleine Hand umfasste und damit begann, seine Energie zu übertragen. Es war erstaunlich wenig Misstrauen zwischen den Vertretern der verfeindeten Völker zu sehen. Liam würde bestimmt sofort auf Frieden hoffen, doch Ronald war skeptisch. Denn selbst wenn Da'an dem Frieden nicht abgeneigt war, andere Taelons sähen das wohl ganz anders.
Zudem könnte es auch einfach so sein, dass Vorjak den Taelon nicht als Bedrohung sah und dieser darauf vertraute, dass Kincaid ihn da wieder herausholte.

Und wo Ron gerade an seinen Sohn dachte, kam dieser aus dem Lift und fiel sofort mit einem Riesenseufzer auf das Sofa. „So, das wäre geschafft”, erklärte Liam, „Zo'or wieder auf dem Mutterschiff, tausende Freiwillige auf der Suche nach Lili und den Jaridians, und ein totgeglaubter Verräter.” Er schmunzelte und sah seinen Vater an. „Und wie fühlt man sich, wenn man tot ist?”
Ooohhhh”, griff Ronald sich an die Brust und brach theatralisch zusammen, doch er stand sogleich wieder auf und setzte sich auf den schmalen Streifen Sofa, den Liam nicht belegte. „Naja, es ist die beste Lösung”, sagte er, „So wird nicht nach mir gefahndet und ich gehe bei einer Sichtung als Doppelgänger durch.”
„Jetzt plötzlich einen Doppelgänger auftauchen zu lassen ist riskant!”, bemerkte Kincaid, „Die Attrappentechnologie ist den Taelons nun nicht fremd und dass du sie hast weiss Zo'or, weil er Lili lebend gesehen hat.”
Ron seufzte: „Ja, das stimmt.” Er lehnte sich zurück. „Was weiter? Julianne sagt, dass ein fliegender Wechsel bei der Maschine möglich sein sollte.”
„Sollte, wenn es alleine um Menschen geht”, nickte Liam, „Ich als Kimera kann auch eine längere Zeit sogar ohne Koma überbrücken. Ich könnte Zo'or ja auch ohne Umweg über die Maschine direkt mit mir verbinden, aber dann würde er mich garantiert als Kimera spüren.”
„Aber nicht als Liam Kincaid erkennen.”
„Nein, keinesfalls.”
„Warum tust du es dann nicht einfach?”, runzelte Ronald die Stirn, „Zo'or wird bestimmt niemandem sagen, dass er einen Kimera spürt, wer weiss, was die anderen Taelons dann mit ihm machen würden?” Jedenfalls würden sie ihn aber nicht aus dem Gemeinwesen ausstossen - wie auch?

Kincaid setzte sich ruckartig auf. „Riskant!”, platzte er heraus, „Ich halte es für durchaus möglich, dass er behauptet, den Kimera finden zu können - und mit der offenen Existenz eines Kimera ist Da'an in Gefahr. Und ich auch.” Ronald nickte langsam. „Bedenke, Vater, es gab einige unerklärliche Vorgänge in meiner Nähe, die sich mit Kimera erklären lassen”, fügte Liam hinzu, „Zo'or ist nicht dumm! Ich kann nicht ausschliessen, dass er mich verdächtigen würde.”

Sicherheit ging vor, darin stimmte Sandoval mit seinem Sohn überein, und auch was Zo'ors Intelligenz anging, musste er leider zustimmen. Viel Zeit, faul auf dem Sofa sitzen zu bleiben, hatten sie aber nicht, Liam wollte Da'an keinesfalls zu lange schutzlos in der Nähe des Jaridian lassen. Er liess Ron wieder alleine unter der Kirche zurück und dieser widmete sich den Bildschirmen.
Lili hielt nun das Baby in den Armen und Vorjak stand bei ihr, während Da'an sich bis fast an die Wand zurückgezogen hatte und sich sichtlich nicht wohlfühlte.
Nach wenigen Momenten erschien Liam im Portal, woraufhin es dem Taelon gelang, seine Fassade zu festigen. Liam, derjenige, dem alle vertrauten, in gewisser Weise sogar Zo'or. Vorjak widersprach zwar, doch Kincaid gab nicht nach und liess Da'an gehen, wenig später brachte er die frischgebackenen Eltern samt Sprössling zurück unter die Kirche - falls Da'an das andere Versteck doch noch verraten wollte und konnte.

„Das”, lächelte Lili, „ist unsere Tochter Ariel”, während sie Sandovals Kleidungsauswahl ungläubig musterte.
Einerseits war der Name passend, denn das Kind war rothaarig, andererseits hatte es keine Flossen und stattdessen einen Hauch der Jaridianhaut seines Vaters - Ron schwieg lieber über seine Gedanken zur Meerjungfrau. „Ich gratuliere Ihnen”, sagte er nur.
Lili zögerte einen Moment, dann gab sie sich einen Ruck und kam zu ihm: „Sie haben eine Menge für Ariel riskiert, Sandoval. Zo'or zu fangen ... Sie hätten erschossen werden können.” Sie zupfte kurz das rote Tuch, in das Ariel eingewickelt war, zurecht. „Ich habe keinen Grund mehr, Ihnen nicht zu trauen.”

Tja, da stand Ron jetzt - mit offenem Mund. Was sollte er darauf nur antworten?

Liam erlöste ihn aus seiner Situation und wechselte das Thema: „Schön und gut. Wir sollten jetzt aber nach Augur sehen. Können wir?” Er stellte schon das Portal ein, doch keiner rührte sich. „Stimmt etwas nicht?”
„Liam, wenn immer jemand in der Maschine sein soll”, begann Ronald, „Von einem Jaridian würde ich abraten und Julianne sicher auch, und sie als Ärztin muss den Schläfer überwachen, Captain Marquette sollte sich schonen und hat ein Baby zu versorgen und du bist Kimera ...”
„Es werden sich bestimmt noch viele Widerständler finden.”
„Schon, aber bis dann sind Augur und ich die einzigen”, beharrte er.
„Er hat Recht, Liam”, mischte sich Lili ein. Ein Wunder! Sie gab Sandoval Recht! „Ich muss die Aufbruchsstimmung auch dämpfen ...”, sagte sie, „Kleidung? Windeln?”
„Ich bin sicher, Harmony hat nichts dagegen, wenn Ariel ihre Sachen benutzt”, grinste Liam, „Kommen Sie.” Er winkte sie alle ins Portal und aktivierte es.

Julianne erwartete die Gruppe bereits, in den Händen die vermutlich gesamten medizinischen Untersuchungsgeräte dieses Verstecks, abzüglich vielleicht jener der Geriatrie. Sofort trat sie dann zu Lili und untersuchte Baby und Mutter. „Ich würde auch gerne Blutproben von der ganzen Familie nehmen, dann kann ich besser abschätzen, was normal ist.”
„Natürlich, tun Sie das, Dr. Belman”, nickte Lili und sah kurz zu Vorjak, der ebenfalls zustimmte.
Dem Jaridian Blut abzunehmen gestaltete sich dann aber sichtlich schwierig, offenbar verliefen Jaridianvenen niemals hautnah. Doch schliesslich schickte die Ärztin Lili (ohne Ariel, die nun der Vater trug) energisch ins Bett und brachte drei Blutröhrchen in ihr kleines Labor. Liam unterdessen hatte Harmony aus Augurs Schlafzimmer geholt und grub jetzt in einer Schublade nach einem Strampelanzug für Ariel. Ron seinerseits geleitete Vorjak ins Bad zum Wickeltisch und drückte ihm auch sogleich eine Windel in die Hand.

Einen Moment sah der Jaridian verdutzt auf das bunt mit Autos und Enten bedruckte Ding, dann knurrte er hilflos: „Ich weiss nicht, was das ist. Jaridiankinder haben nichts dergleichen.”

Sandoval musste den Jaridiananatomiekurs wohl verschlafen haben, daher war ihm nun neu, dass Jaridianbabys keine Windeln brauchten. „Eine Windel! Ich zeige es Ihnen, sehen Sie zu”, seufzte er und nahm dem allerdings deutlich widerstrebenden Vorjak die Kleine aus den Armen. Mit seiner sechswöchigen Wickelerfahrung hatte Ronald dem Baby die Windel flink angelegt, dann gab er es an den Vater zurück.
„Und weshalb trägt Ariel diese ... Windel?” Vorjak hatte wohl den Kurs in menschlicher Anatomie auch verschlafen.
„Ausscheidungen”, erklärte Sandoval, „Kinder sind noch nicht in der Lage, den Zeitpunkt zu kontrollieren.” Er sah förmlich die Fragezeichen über dem Kopf des Jaridian tanzen, besser erläuterte Lili ihrem Gefährten die menschliche Anatomie näher. - Allerdings stellte sich Ronald durchaus die Frage, wie Vorjak ohne eine gewisse Kenntnis in diesem Bereich zu einem halbmenschlichen Kind gekommen war.

Lieber nicht fragen, lieber nicht fragen.

Kaum hatten sie das Bad verlassen, stand Liam zufrieden grinsend vor ihnen und hielt dem Jaridian einen gelben Strampelanzug hin. Noch einmal überliess Vorjak seine Tochter keinem anderen, er legte ihr die Kleidung selbst an.
Wenig später lagen beide Kinder gemeinsam im glücklicherweise überdimensionierten Schaukelwagen neben Augurs Liege. Liam schaukelte ebendiesen Wagen und erzählte Vorjak von seinen Erfahrungen als Vater, während Ron aussen vor war, was diesem nicht ganz unrecht war, denn der Jaridian fühlte sich an Lilis neues Vertrauen offenbar nicht gebunden und sah den Implantaten immer wieder kritisch an. Sandoval nutzte seine freie Zeit einfach dazu, Augurs medizinische Anzeigen im Auge zu behalten, auch wenn Julianne diese Daten im Labor bestimmt auch hatte.
Es dauerte nicht lange, bis Belman zufrieden herbeikam und sich setzte. „Ariel hat dieselbe Blutgruppe wie Liam und Harmony”, sagte sie.
„Wie das?”, machte Liam grosse Augen, „Ariel ist doch halb Jaridian.”
„Deine Blutgruppe?”, grinste sie.
„Null negativ.”
„Und du?”, sah sie Ron an.
„AB positiv.”
„Ein Kimeragen verhindert jegliche Blutgruppe - und die Jaridians scheinen dieses Gen auch zu haben”, erklärte Julianne, „Liam, du hast genaugenommen nicht Null negativ, sondern eine Art erweiterten Bombay-Typ, genau wie Harmony, Ariel und inzwischen auch Captain Marquette.” Sie lehnte sich zurück. „Jaridians haben vermutlich alle dieselbe Blutgruppe”, sah sie Vorjak fragend an, „oder gibt es Probleme bei Blutspenden?”
„Keine”, bestätigte der Jaridian ihre Vermutung.
„Das hätten wir also geklärt”, nickte sie, „Ariel ist übrigens bei bester Gesundheit und Captain Marquette auch.” Kurz blickte sie auf die Anzeigen der Nahtodmaschine, dann fragte sie: „Irgendeine Idee, Augur da rauszuholen?”
„Ja”, sagte Ronald, „ich nehme seinen Platz ein.”
„Es hat noch Zeit, Vater”, protestierte Liam.
Ron grinste: „Augur wird sich freuen, wie du seine Nahtodstasis meiner vorziehst.” Liam seufzte leise. „Ausserdem ist es ja nicht so, dass mich hier ein kaputtes Taelongemeinwesen bis zum Tod aussaugen würde”, fügte Sandoval hinzu, „Ihr holt mich da ja wieder raus.”
„Na gut ...” Liam stand auf und hob seine Hände zur Empfangseinheit für neuronale Energie, die wie eine Qualle an der Decke hing. Dünne weisse Energiefäden zogen von seinem Shaqarava hinauf und Julianne deaktivierte die Stasiseinheit.
Langsam öffnete Augur seine Augen, nach einem Moment fand er sich zurecht und sprang von der Liege. Sandoval nickte ihm knapp zu und legte sich selbst hin, dann schaltete Julianne die Maschine wieder ein.

* * *

„Ich bin stolz auf dich.”
Ron stand im feinen Nieselregen, in einem solchen irischen Nieselregen, wie er ihn nie selbst erlebt hatte. Diese Erfahrung kannte er nur durch Liams von Siobhán geerbte Erinnerungen, die er beim Sharing erhalten hatte. Im Moment, wo ihm dies bewusst wurde, wurde ihm auch klar, dass er sich in seinem eigenen Himmel (so hatte es Lili fast zwei Jahre zuvor ausgedrückt) befand. - In seinem Fall allerdings dank der fremden Erinnerungen nicht ganz in seinem eigenen Himmel, denn er klassifizierte Nieselregen nicht als wundervoll. Er drehte sich um und stand Siobhán Beckett gegenüber.
Er hatte einige ihrer Erinnerungen. Konnte er sie also als Echo ihrer selbst ansehen oder war sie nur seine Einbildung?
„Ich bin stolz auf dich”, sagte sie, „Du bist ein Vater für ihn. Er braucht das.”
„Ich vermisse dich.”
„Ich bin doch hier.” Sie lächelte, überbrückte die wenigen trennenden Schritte und umarmte ihn.
Ron erwiderte die Umarmung und schloss die Augen. Er hatte Siobhán wirklich vermisst. Nach einigen Augenblicken griff sie nach seiner Hand und zog ihn mit, den grünen Hügel hoch und auf der anderen Seite wieder hinunter, bis sie an ein buntes Häuschen kamen. Trotz Traum, Nahtod oder Himmel suchte Siobhán deftig gälisch fluchend in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel, bevor sie Ronald einlassen konnte.

Ja, er hatte auch einzelne Erinnerungen von Ha'gel, aber hier eine weiss leuchtende Gestalt drei Guinness einschenken zu sehen, brachte Sandoval aus dem Konzept. Es war ja auch möglich, dass dieser Kimera hier wirklich Ha'gel war! Wortlos nahm Ron ein Bierglas entgegen und setzte sich an den blau angestrichenen Holztisch, Siobhán ebenso.
„Du hast es dir bestimmt schon gedacht”, ergriff Ha'gel das Wort, „ich bin keine Einbildung.” Er nahm ebenfalls Platz und trank einen Schluck, dann wies er auf Siobhán und fuhr fort: „Sie nur teilweise.” Also ein Echo ihrer selbst - musste so sein, denn Sandovals Gälisch war fürchterlich bis inexistent, trotz CVI, nicht mal fluchen konnte er.
„Ach, Ha'gel, rede nicht so viel”, seufzte Beckett, „bring doch lieber das Stew her.” Der Kimera folgte ihrer Bitte und stellte einen Topf und drei tiefe Teller samt nötigem Besteck auf den Tisch, Siobhán schöpfte dann jedem eine Portion. „So”, sagte sie, „jetzt wird erstmal gegessen.”

Ein traumhaftes Essen, im wahrsten Sinne des Wortes - es schmeckte natürlich vorzüglich, wie das allerbeste Stew, an das Siobhán sich überhaupt erinnern konnte. Im Gegensatz zu Siobhán, die sich voll auf ihre Mahlzeit konzentrierte, legte Ha'gel sein Besteck nach der Hälfte weg.
„Du bist definitiv ein besserer Vater als ich”, sagte er.
Ronald sah ihn irritiert an, kaute und schluckte, bevor er widersprach: „Für jemanden, der sich nicht einmischen darf, ist es nicht so leicht, ein Vater zu sein.”
„Das stimmt, seit ich ... tot bin - bleiben wir bei der einfachen Wortwahl - darf ich mich praktisch nicht mehr einmischen”, Ha'gels Gestalt verlor deutlich an Leuchtkraft, „Einmal habe ich mich eingemischt, ich dachte, es wäre besser für ihn, auch so zu leben wie ich. Dafür wurde ich zu Recht von meinen Artgenossen und den anderen gerügt.”
„Wofür gerügt?”, fragte Ron.
„Liam war in deiner Situation”, erklärte Ha'gel, „jedenfalls fast. Er schlief, um die anderen Schläfer zu erreichen und davon zu überzeugen, dass sie nur träumen. Meinetwegen wäre er fast nicht wieder aufgewacht.”
„Hat er ganz toll gemacht”, warf Beckett spitz ein, „und er verschweigt, dass die anderen Liam gerettet haben.”
„Ja, die anderen haben ihn gerettet”, gab Ha'gel zu, „Sie haben die Barriere zwischen den Schläfern völlig eingerissen und Maiya und Augur ermöglich, ihn davon zu überzeugen, dass er zurück muss.” Er hob sein Bierglas und leerte es zur Hälfte. „Ja, ich bin ein schlechter Vater, und nicht nur deswegen. Joyce hat es im Brief angedeutet: Liams Eilzugmodus ist nicht normal.”
„Du hast seine Entwicklung beschleunigt”, verstand Sandoval.
Ha'gel nickte und stellte sein Glas energisch wieder ab. „Energiewesen sagen den Menschen gerne nach, triebgesteuerte Primitive zu sein, aber in triebgesteuerter Primitivität stehen Kimera ihnen in gar nichts nach: Da ich mich selbst nicht mehr auf Dauer retten konnte und zudem der Letzte war, musste ein Kind her, das sich möglichst schnell sowohl zur Wehr zu setzen weiss als auch fleissig fortpflanzen kann. Davon, dass Kimera selbst auf den Energiekörper nicht mehr angewiesen und keineswegs ausgestorben sind, wusste ich nämlich vor meinem Tod auch nichts.”

Sicherheitshalber begann Ronald wieder zu essen, sonst liefe er Gefahr, wenig freundlich in Gelächter auszubrechen. Der ach so weit entwickelte Kimera hatte nicht gewusst, dass er nur einfach eine Schale abwerfen hätte brauchen, um seinem Gefängnis und den Taelons endgültig zu entkommen. - Allerdings war Ron sehr froh, dass Ha'gel das nicht gewusst hatte. Immerhin gäbe es sonst weder Liam noch Harmony.
„Weiss Liam von seinem geplanten Lebenszweck?”, fragte Ronald.
„Er weiss es ... unbewusst”, bestätigte Ha'gel, „sonst hätte er sich nicht so bereitwillig mit Joyce vereinigt.”
„Da hörst du es, Ron”, sagte Siobhán, „unseren Sohn bekommt mit dieser Masche jede Frau ins Bett. Er ist völlig konditioniert!”
„Du übertreibst”, protestierte Ha'gel.
Sie liess ihre Gabel aus zehn Zentimetern Höhe in ihren Teller fallen und sah den Kimera streng an. „Was, glaubst du, hat er mit seinen ganzen riskanten Aktionen kompensiert, hmm? Einen Fortpflanzungstrieb, der nicht mehr durch die Tür passt! Das hat sich erst mit Harmony etwas gelegt.” Ha'gels Gestalt, die inzwischen zur strahlenden Helligkeit zurückgefunden hatte, verdunkelte sich wieder. „Wenn er schon unbedingt so schnell gross werden musste, hättest du ihm wenigstens das Leben als Freuds bestes Beispiel ersparen können. - Aber gut, für die Ödipus-Interpretation konnte er ja nichts.”
„Ödipus?”, machte Ron ein dummes Gesicht.

Siobhán lächelte ihn an und erklärte ihm: „Liam war einfach zu nett zu mir. Was hätte ich da sonst denken sollen, als dass er ein romantisches Interesse hat? Dass ich seine Mutter bin, wusste ich ja nicht.”
„Ah”, machte Ronald, „und weshalb kannst du dich daran erinnern?”
„Deinetwegen - der Teil von mir liegt in deinen Erinnerungen und nicht in Ha'gels, allerdings unvollständig, der Weg über zwei Sharings ist einfach zu weit.”
Ron nickte und sah wieder zu Ha'gel, der allerdings keine Anstalten machte, irgendetwas zu sagen, sondern sich gerade ein weiteres Guinness einschenkte. Nun, die Umgebung war nicht real und das Bier genausowenig, da brauchte Sandoval sich nicht sehr wundern. Dass allerdings der Kimera einen Gutteil verschüttete, verwunderte dann aber doch.
„Siobhán ... gibt es in Irland Erdbeben?”, fragte Ha'gel irritiert.
Sie richtete sich erschrocken auf und Ron tat es ihr gleich, denn der Tisch wackelte, dann tat auch Ronalds Bierglas einen Satz und zersprang auf dem Boden. Wenige Augenblicke später brach plötzlich Sandovals Stuhl unter ihm zusammen - und im Boden des Häuschens tat sich ein tiefes Loch aus schwärzester Nacht auf.

Gerade noch fasste Siobhán seine Hand, doch sie rutschte zunehmend ab.

Alles nur ein Traum, es ist alles nur ein Traum! - Natürlich versuchte er sich das nur einzureden, natürlich war er in Lebensgefahr. Dieses tiefe Loch konnte nur bedeuten, dass auch sein Körper im Sterben lag.
Normalerweise visualisierte der menschliche Verstand den Tod doch durch helles Licht, so erzählten es jedenfalls reanimierte Patienten. Nur Ron visualisierte natürlich atypischerweise den Höllenschlund - aber das war wohl besser, denn singenden Englein gegenüber würde er sich womöglich nicht wehren.
Ha'gel griff nach Ronalds zweiter Hand, der rechten (ohne Skrill), und versuchte, ihn hochzuziehen. Auch Siobhán griff sicherer zu als zuvor, doch tief unten im Nichts zog etwas an Ron, er fühlte sich langgezogen, bestimmt war er (er!) schon zwei Meter gross. Er gab nicht auf, er hielt sich fest, dass seine Fingerknöchel weiss hervortraten.
Dass sein Höllenschlund aber auch wirklich ein schwarzes Loch sein musste ... und es zog ihm gerade die Schuhe aus. Zunehmend vergrösserte sich das Loch und liess Bodenkacheln hinabstürzen, zunehmend kamen sie dem Tisch näher, der dann zweifellos Sandoval treffen und in die Tiefe reissen würde. „Siobhán, lass ihn los!”, rief Ha'gel, „Lass sie los, lass sie los, Ron, ich habe dich!”
Ron! Der Kimera nannte ihn tatsächlich Ron! - Mit einiger Überwindung lockerte Sandoval seinen Griff um Siobháns Handgelenk und schwang gerade rechtzeitig aus dem Weg des nun der Schwerkraft folgenden Tisches. Doch der Tod wollte sich nicht überlisten lassen, nun begann die Umgebung einfach zu zerfasern und sich aufzulösen, als hätte es sie nie gegeben. Ha'gel blieb zwar greifbar, er gehörte nicht zum Traum, doch Siobhán verblasste und verschwand.
Das Häuschen verblasste und verschwand, in tiefster Dunkelheit war Ha'gel das einzige Licht, doch auch er zerfaserte langsam. Kaum später fiel Ron alleine ins Nirgendwo, in fast absoluter Finsternis - irgendwo kam da ein Licht her! Woher? Es war diffus, es kam von überall!

Nein, das war ein Kimera, der nach seinen Händen griff und seinen Fall stoppte.
„Schön hierbleiben”, lächelte Liam und hielt ihn fest, „Es ist alles in Ordnung.”
„Das CVI hat der Maschine einen Strich durch die Rechnung gemacht und dich fast umgebracht”, fügte Julianne hinzu, während sie den Defibrillator abschaltete.

Und was war mit Zo'ors Gemeinwesenersatz?
„Meister Hochnase ist jetzt Mitglied des exklusiven Zwei-Personen-Kimeragemeinwesen-Clubs”, beantwortete Liam die unausgesprochene Frage, „Ob und wie er das Wissen um die Existenz eines Kimera zu nutzen versucht, werden wir ja sehen.”

* * *

Vier Stunden war Ron in Nahtodstasis gewesen, bevor sein CVI zusammenzubrechen begonnen hatte. Julianne hatte das Implantat dann zwar stabilisiert, aber es als brandneu zu bezeichnen kam nicht mehr in Frage.
Er stand noch eine komplette Untersuchung durch und unterstützte die Ärztin dann bei seinem eigenen Obduktionsbericht - soweit er dazu in der Lage war, denn sich selbst leblos und mit Loch in der Brust auf einem Metalltisch liegen zu sehen, war ihm zu viel, obwohl ihm bewusst war, dass die Leiche eine Attrappe war.
Lieber kümmerte er sich um Harmony und machte ihr ein Fläschchen.

Lili Marquette lag bequem mit Ariel auf dem Bauch auf einem Fernsehsessel und zappte durch die Kanäle, wenngleich sie den Fernseher gar nicht ansah, sondern Ron beobachtete. „Sie geben ein Bild ab, das ich mir nie vorstellen hätte können”, sagte sie schliesslich, „der geschniegelte Agent trägt Jeans und füttert ein Baby.”
„Der geschniegelte Agent ist tot”, gab Ronald zurück, „vor Ihnen steht ein Familienmensch.”
„Freitag Beisetzung, hmm?”
„Ja. Fühlt sich merkwürdig an”, nickte er.
„Sagen Sie das nicht mir”, brummte sie und wandte sich dem Fernseher zu, „Dank Ihnen kenne ich dieses Gefühl schon.” Scheinbar aufmerksam folgte sie der Kaugummiwerbung.
Sandoval rückte den zweiten Fernsehsessel mit einem Fuss zurecht und setzte sich vorsichtig, um Harmony nicht zu stören. „Da wären wir also”, bemerkte er, „zwei totgeglaubte Verräter an den Taelons. Ich hätte Sie nicht nach Jaridia schicken sollen.”
„Schon gut”, seufzte sie, „ich habe Vorjak ja überzeugt, hier zu bleiben.”
„Und Sie haben keine Sorge, dass die irdische Atmosphäre Ihnen schadet?”
Lili schüttelte den Kopf: „Wir haben die Ergänzungssubstanzen in rauen Mengen dabei und dann festgestellt, dass wir sie gar nicht brauchen.” Sie zappte einen Sender weiter und von der Gerichtsshow schnell wieder weg, danach kam eine Verfolgungsjagd per Motorrad. „Sandoval, weshalb haben Sie mich eigentlich nach Jaridia geschickt?”

„Das wissen Sie nicht?”, war Ronald verdutzt. Sie hob fragend ihre Brauen. „Ich konnte mit Jaridia kommunizieren”, erklärte er, „Ich sollte eine Kontaktperson nach Jaridia schicken - und dass Sie zum Widerstand gehören, war mir dann ja klar.”
„Und das Überwachungs-CVI?”, fragte Lili weiter.
„Vertrauen war nicht meine Stärke. Ich hätte doch sogar meinen Hamster bespitzelt, wenn ich einen gehabt hätte.” Harmony drehte ihren Kopf und schob das Fläschchen weg, was Ron Milchtropfen auf dem linken Unterarm einbrachte. Vielleicht sollte er beim Füttern doch besser ein Tuch unterlegen. „Wissen Sie, Captain, Sie kennen mich eigentlich nicht”, erklärte er, „Sie sind mir einmal begegnet - und da habe ich Sie als Geisel genommen. Hmm, keine guten Voraussetzungen.” Er stellte das Milchfläschchen auf dem Fernsehtisch ab und legte Harmony aufrecht gegen seine Schulter.
„Sie hielten mich für taelontreu”, bemerkte Lili.
„Ja, allerdings.”
„Da wären wir also”, zitierte sie ihn, „zwei totgeglaubte Verräter an den Taelons.” Sie zappte weiter und erwischte ein Formel-Eins-Rennen. „Wer ist eigentlich Harmonys Mutter? Hat Liam geheiratet?”
„Unverheiratet, alleinerziehend, und Sie sollten Liam fragen.”
„Sollte ich”, nickte Lili und zappte weiter - Duschgelwerbung. „Oder ich frage Sie solange, bis Sie es sagen”, fuhr sie fort.
„Oder Sie fragen einfach Liam”, grinste Ron und wies auf den Kimera, der gerade aus dem Lift kam, „Wo warst du überhaupt?”

„Zo'or hat Alarm geschlagen, weil Ha'gel angeblich doch nicht tot ist”, zwinkerte Liam, „Die Synode berät gerade - unter der Führung von Da'an, denn jemand, der behauptet, mit einem Kimera verbunden zu sein, ist entweder nicht ganz dicht oder unter Kimera-Einfluss.”
„Also ist Zo'or politisch so gut wie ruiniert”, stellte Lili zufrieden fest, „oder was meinen Sie?”
„Da'an ist zwar dagegen, sich das per Sharing mal anzusehen, aber zu sehr kann er nicht dagegen sein”, sagte Kincaid, „Ich fürchte, früher oder später werde ich in der Patsche sitzen, denn ob ich dem mentalen Ansturm der ganzen Synode gewachsen bin, ist zweifelhaft.”
„Wie wäre es mit: Keinen Schritt weiter oder er wird ein Atavus?”
„Ach, Vater, so direkt funktioniert das Gemeinwesen nicht”, seufzte Liam, „Ich weiss nicht, wie ich die letzte Drohung über diese Verbindung übermitteln sollte. Hoffentlich weiss Da'an da eine Lösung oder kann es überhaupt verhindern.” Er trat zu Ron und nahm Harmony hoch, die ihm unglücklicherweise zur Begrüssung ihre Mahlzeit auf die Jacke spie. „Harmony, Spätzchen, was haben wir denn?”, murmelte Liam, „Einfach Papa anspucken, so was. Na komm.” Er zuckte entschuldigend mit den Schultern und eilte mit seiner Tochter ins Bad.

„Treffsicher ist sie ja, ganz wie der Vater”, bemerkte Lili trocken. Ron musste lachen. „Macht sie das oft?”, fragte Marquette.
„Selten”, schüttelte er den Kopf, „Wir haben die starke Vermutung, dass sie gar nicht krank werden kann.”
„Wieso nicht? Liam hat ja doch gelegentlich mal einen Schnupfen eingefangen.”
Sandoval verzog das Gesicht und reckte sich. „Liam!”, rief er, „Du wirst gefragt, warum Harmony nicht krank werden kann!”
„Ja, antworte nur!”, kam begleitet von Wasserrauschen und beleidigtem Babygeschrei zurück.
Marquette hob ihre Brauen und legte ihren Kopf schief. „Harmony ist nicht nur Mensch und Kimera wie Liam”, erklärte Ronald, „sondern auch Taelon und Jaridian wie ihre Mutter, Joyce Belman.” Lili machte grosse Augen. „Aber davon wissen nicht einmal all jene, die Liam als Kimera kennen”, fügte er hinzu, „tatsächlich nur Julianne und Augur, und jetzt Sie.”
„Ah ... ja”, nickte sie, „deshalb also, dass die offizielle und inoffizielle Familie verschieden sind.”
„Offiziell ist die Mutter eine gewisse Irina Colby”, sagte Ron, „und ihr Aussehen erklärt den asiatischen Einschlag.”
„Ahja”, wiederholte Lili, „verstehe.” Sie streichelte Ariel und runzelte die Stirn. „Gibt es eigentlich Untergrundschulen oder so etwas?”, fragte sie wenig später, „Ariel kann sich ja nicht offen zeigen. In ein paar Jahren, meine ich.”
„Bisher noch nicht.” Aber sie stiess ihn auf ein ähnliches Problem mit Harmony. Nicht dass Harmony sich nicht offen zeigen dürfte, es war Ronald, der versteckt leben musste - auch vor seiner Enkelin, sobald sie grösser wäre, denn kleine Kinder können keine Geheimnisse behalten.

Ein Nachteil, wenn man tot war. Ein grosser Nachteil.

Mit leisem Duzidu die Kleine kitzelnd kam Liam nun vom Bad zurück, Harmony gluckste zufrieden und wedelte mit den Armen. Ron sprach ihn auf beide Probleme an, doch Kincaid verwies ihn auf später. Natürlich war die Synode zurzeit das weitaus vordringlichste Problem.
Liam musste sich darauf vorbereiten, eventuell erkannt zu werden. Es durfte weder den Widerstand noch Da'an ins Verderben reissen, dass er Kimera und somit ein Verräter an den Taelons war.

 

Ende von Kapitel 5

 

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