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  „Blut” von Veria   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Juli 2010
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Ronald Sandoval sucht nach seinem Sohn.
Zeitpunkt:  dritte Staffel, nach der Episode Blutsverwandte
Charaktere:  Ronald, Liam, Augur, (Renee)
 

 

BLUT

Kapitel 1: Blut I

 

Keine Spur von seinem Sohn. Nichts.
Dabei hatte Ronald Sandoval alle Register gezogen, selbst unmöglich erscheinende Dinge möglich gemacht. Er hatte dem Portalsystem die sequenzierte DNS des Sohnes gegeben und für den Fall eines Treffers eine Umleitung veranlasst. Kein Sohn im Portalsystem. Er hatte die Umgebung des Krankenhauses zum Zeitpunkt der Blutlieferung mittels tausender Überwachungsaufzeichnungen modelliert und hatte ... nichts gefunden. Er hatte Spenderkarteien wieder und wieder überprüft, obwohl er schon damals, als die Krankheit ausgebrochen war, keinen Treffer in den Karteien gefunden hatte.
Wenn Ron doch wenigstens wüsste, wer die Mutter war! Er hatte jeder Liebschaft, die er jemals gehabt hatte, nachgeforscht, jeden potentiellen Sprössling aufgespürt und genetisch überprüft.
Nichts.
Sein Sohn wusste aber zweifellos über diese Verwandtschaft Bescheid und wollte?, durfte?, konnte? ihn nicht treffen. Fürchtete, ihn zu treffen? Enttäuscht zu werden?
Inzwischen hatte Ronald sogar kürzlich Verstorbene überprüft und in Chinatown, wo sein Sohn wohl visuell am wenigsten auffallen würde, hingen seine Fragen nur noch jedem zum Hals heraus. Aber auch dort: Kein Sohn.

Ein weiteres Mal ging Sandoval durch, wer alles überhaupt von seiner Krankheit gewusst hatte. Wieder fragte er das Krankenhauspersonal durch, seine Arbeitskollegen - Liam rollte nur mit den Augen und gab aufs Wort dieselbe Antwort wie die bisherigen Male. Ja, Kincaid suchte ja auch nicht, wusste nicht einmal, dass Ron suchte. Wie sollte der Major also diese Frage verstehen können?
Am Ergebnis änderte sich auch diesmal nichts. Kein Sohn.

Jetzt war Ronalds Krankheit schon fast ein halbes Jahr her und er drehte zunehmend durch. Selbst sein CVI half ihm kaum mehr, die Kontrolle zu behalten. Vor den Taelons und all den Menschen da draussen gab er sich keine Blösse, doch Tate bekam die geballte Ladung ab und dummerweise auch Liam, dem Ron durchaus zutraute, dies gegen ihn zu verwenden.
So kindisch es auch war, sie buhlten um die Gunst der Taelons, wenn auch auf verschiedene Weise. Kincaid nutzte jede, jede, wirklich jede einzelne verdammte Gelegenheit, geradezu schmerzhaft kompetent zu sein - und Sandoval als Idioten dastehen zu lassen. Und Ronald? Er war stets zu Diensten und wurde von diesem verfluchten Major ständig richtig genüsslich (was diesem natürlich nie anzumerken war, und zugeben würde er es natürlich auch nie) in die Pfanne gehauen. Und das erst recht, wenn Liam ihm wieder einmal das Leben rettete, mit diesem süffisant überlegenen Blick, der immer gleich verschwand, sobald Sandoval richtig hinsah.
Er hasste Kincaid!
Aber natürlich gab er es nicht zu.

* * *

Ronald unterdrückte ein Gähnen und nahm das bessere Spülwasser aus dem Kaffeeautomaten. Wieder hatte er sich die Nacht mit der Suche um die Ohren geschlagen.
„Guten Morgen”, grüsste Liam putzmunter und ausgesucht höflich.
In Gedanken sah Ronald seine Hände den Hals des Majors zusammendrücken. „Guten Morgen, Major.” Er schlürfte den Kaffee und nur sein CVI hielt ihn davon ab, die Brühe sofort wieder auszuspucken. So schlecht war der Kaffee wirklich noch nie gewesen.
„Die Cafeteria an der Strasse hat fertigrenoviert”, sagte Kincaid wie beiläufig, während er Münzen in den Süssigkeitsautomaten steckte, „Es gibt Kaffee und Hörnchen zum Wiedereröffnungspreis, sollten Sie probieren.”
Sandoval zog für einen Millisekundenbruchteil die Augenbrauen zusammen. „Danke, ich habe bereits Kaffee”, sagte er kühl.
„Wie Sie meinen, Sandoval”, lächelte Liam und marschierte mit dem eben erworbenen Schokoriegel davon.
Der machte das absichtlich, da war Ron sich sicher.
Leise seufzend begab sich der Agent zu seinem Schreibtisch und blickte auf den hohen Stapel an Papierkram. Wehmütig erinnerte er sich an die stets vorbildlich schnell erledigte Arbeit, wie er sie vor einem halben Jahr zuletzt vom Schreibtisch geschafft hatte.

Aber er war dennoch gut in der Zeit, immer noch einen Hauch schneller als der Major, auch wenn es für einen Implantanten eine grauenvolle Leistung war, fast so langsam wie ein gewöhnlicher, nicht implantierter Mensch zu sein. Nun, gewöhnlich war der Major nun wieder nicht, immerhin war es absolut aussergewöhnlich, als Taelonbeschützer nicht implantiert zu sein.
Im Laufe des Vormittags schrumpfte der Stapel deutlich, doch Sandoval spürte förmlich, wie sein Computer ihn anlachte: „Schalte mich ein, suche nach deinem Sohn! Das willst du doch! Papier kann warten, Papier ist geduldig.”
Also gut, nur noch bis er hinter dem Papierstapel seine Teetasse sehen könnte.
Unwillkürlich reckte und streckte er sich, doch das verkniff er sich sofort, immerhin belog er nicht sich selbst und damit würde er gar nicht erst anfangen. Also arbeitete er weiter den Stapel ab.

Schliesslich konnte er nicht nur diese Tasse sehen, sondern auch noch daneben eine weitere, zwei Tage ältere, und lehnte sich zurück. Er begann seine Suche wieder einmal beim Krankenhaus. Irgendjemand hatte das Blut anonym abgegeben, das Modell aus den Überwachungsaufzeichnungen bot nur eine Gestalt mit schwarzer Kapuze, Ron hatte auch die Krankenhausangestellte, die das Blut entgegengenommen hatte, aufgespürt und ausgefragt, mehr noch, sie zu einem Hypnotiseur geschleift.
Eine Frau hatte das Blut gebracht, vermutlich blond, aber das war unter der Kapuze schwer zu sagen und von Hypnose hatte die Angestellte inzwischen die Nase mehr als voll.
Wie viele blonde Frauen gab es allein in dem Viertel, in dem das Krankenhaus war? Und wie viele erst in der ganzen Stadt? Es war Wahnsinn, sich Hoffnungen zu machen, diese Frau zu finden, die dann womöglich auch nur eine angeheuerte Botin wäre.
Aber aufzugeben kam nicht in Frage.

„Sandoval”, balancierte Kincaid drei Kartons voller Akten zur Türe herein, „Das sind die Sicherheitsauswertungen vom letzten Monat, die Übersichtsblätter sind unter Ü eingeordnet.”
„Ich weiss den Anfangsbuchstaben”, sagte Ron eisig, „Stellen sie sie dort in die Ecke!” Er wies auf eine Sammlung weiterer Kartons.
„Gerne”, folgte Liam ächzend und brachte seine Last an den angegebenen Platz, „Da'an möchte die Übersichtsblätter vom vorletzten und vom vorvorletzten Monat gerne spätestens letzte Woche unterschrieben haben.”
„Tut mir leid, mein Fluxkompensator ist in Reparatur.”
Der Major hob beide Brauen fast bis zum Haaransatz, verkniff sich dann aber einen Kommentar und machte, dass er davonkam. Besser für ihn, Ron visualisierte schon wieder zudrückende Hände um den zarten Hals des Majors.
Aber um die Übersichtsblätter kam er wohl nicht mehr herum. Sandoval stand auf und stapelte die Kartons um, öffnete jeden einzelnen und zog die Übersichtsblätter heraus. Schludrig schmierte er seinen Franz Josef überall auf die gestrichelte Linie, ohne die Blätter überhaupt durchgegangen zu sein, dann ordnete er sie wieder ein und kehrte an den Computer zurück.

Er hatte es geahnt, zehntausende, hunderttausende blonde Frauen. Und sie wurden auch nicht weniger, wenn man öfter nach ihnen suchte. Zudem waren in dieser Suche auch nur jene berücksichtigt, die blond geboren oder blond auf einem Ausweisbild waren, nicht kurzfristig gefärbte oder auch Perückenträgerinnen.
Bei seinem Glück war es ein Kerl mit Perücke, der wie der Wolf bei den Geisslein quasi Kreide gegessen hatte.

„Einen schönen Tag”, flötete Renee und strahlte zur Türe herein.
„Kincaids Büro ist gegenüber”, brummte Sandoval nur.
„Oh, heute will ich nicht zu ihm”, lächelte sie, „Ich habe hier einige Informationen zur Zusammenarbeit mit dem Freiwilligencorps, und dafür sind ja Sie zuständig, Agent Sandoval.” Sie klatschte ihm drei dicke Akten auf den Schreibtisch, womit sein Stapel die Hälfte der Höhe zulegte. „Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie die Antwort in den nächsten drei, vier Tagen Doors International zukommen lassen könnten.” Und wie sie strahlte, geradezu augenschmerzend hell. Wo kam nur diese ganze gute Laune her?
Steckte sie mit Kincaid unter einer Decke, um ihm, Ron, den allerletzten Nerv zu rauben?
„Ich sehe es mir an”, teilte er ihr mürrisch mit und scheuchte sie hinaus. Ja, er würde es sich später ansehen. Zuerst überprüfte er, welche der blonden Frauen zum gegebenen Zeitpunkt vor einem halben Jahr ein Portal in der Nähe des Krankenhauses benutzt hatten. Überhaupt ging er die Daten der entsprechenden Portale genau durch.
Aufzugeben kam nicht in Frage, aber er kannte sein Glück: Der Kerl mit Perücke und Kreidestimme war bestimmt nicht per Portal angekommen.
Doch?
Treffer?
Jetzt? Nach einem halben Jahr?

Verdutzt setzte Ron sich kerzengerade auf, er hatte gerade Renee Palmer gefunden. Ja, der traute er fast alles zu und von seiner Krankheit gewusst hatte sie auch. Sie war blond, und eigentlich konnte er sich bei ihr sogar Perücke und Kreidestimme vorstellen.
Er brauchte mehr Überwachungsaufzeichnungen, die dieses Portal zeigten!

* * *

Verbissen arbeitete Ronald an der Erweiterung des Modells auf die Portale, doch an so manche Aufzeichnungen kam er nur mit sehr viel Trickserei heran. Nicht nur einmal spielte er dem Besitzer der Kamera gegenüber die Agent-Karte aus und fuchtelte mit den Buchstaben F, B und I auf dem Ausweis vor den Gesichtern herum. Es wirkte wenigstens, sein Modell zeigte bald tatsächlich Renee Palmer schwarzweiss, dreidimensional, aber von Artefakten durch die schlechte Bildqualität übersät.
Da er genau wusste, wen er vor sich hatte, konnten allerlei mathematische Verfahren ihm auch gut helfen, das Bild ausreichend zu verbessern, um tatsächlich, ja tatsächlich, in Renees Hand den Kühlkoffer zu erkennen.
Er folgte dem Modell zeitlich und Renee örtlich, bis sie, genau sie am Empfangsschalter einen Beutel Blut abgab.
Kannte sie seinen Sohn oder gab es noch einen Mittler?
Er würde ihr gleich ordentlich auf den Zahn fühlen. Er griff nach einer der dicken Akten, die seit nunmehr elf Tagen auf seinem Schreibtisch verstaubten, und liess sein CVI die Informationen darin aufsaugen. Grundsätzlich war das Angebot von Doors International brauchbar, das genügte.
Sandoval sprang auf, streifte seinen Mantel über, klemmte sich die Akte unter den Arm und ... lief prompt Kincaid über den Weg.

„Mittagspause?”, fragte der Major fröhlich.
„Nein, ich fahre zu Doors International”, sagte Ron.
„In deren Kantine gibt es göttliche Schnitzel, sollten Sie probieren.”
Sandoval sah Liam durchdringend an und stellte klar: „Ich fahre nicht zum Mittagessen dort hin!”
„Auf dem Weg gibt es auch insgesamt vier Drive-In-Schuppen, auch wenn die lange nicht so gut sind wie die Kantine.”
War dieser Soldat wirklich so nahrungsmittelfixiert oder legte er es nur darauf an, Ronald zur Weissglut zu bringen? Ron tippte auf Zweiteres. „Danke”, sagte er knapp und flüchtete Richtung Garage.

„Agent Sandoval, wie nett, Sie zu sehen”, machte Renee Zahnpastawerbung Konkurrenz. Sie bot ihm einen Sitzplatz und er liess seinen seit Monaten übermüdeten Körper den weichen Sessel geniessen. „Sie haben sich die Informationen angesehen?”
„Das habe ich”, bestätigte er und glitt in belangloses Verbalgeplänkel über die Einzelheiten ab, Renee konterte stets perfekt. Ron hatte Sorge wie ein Schulkind vor dem Lehrer, dass die mangelnde Vorbereitung aufgedeckt würde.
Die Entscheidung war aber ohnehin nicht seine Sache und Zo'or hielt sowieso nichts von Sandovals Meinung. Also war das alles gar kein Problem, viele weitere Leute würden dieses Angebot noch richtig zerpflücken.
Ron hatte ohnehin einen anderen Plan.
Mit all seinem Geschick verwickelte er Renee in Smalltalk, lenkte das Gespräch subtil auf das Thema Familie. Und da hatte er sie. „Ich erfuhr kürzlich, dass ich doch noch etwas Familie habe”, sagte er, „Einen Sohn.” Er lächelte flüchtig. „Es macht vielleicht keinen sehr ... familienorientierten Eindruck, dass ich nicht einmal weiss, wer seine Mutter ist, geschweige denn, wer er selbst ist, aber ich gedenke das zu ändern.”
Funktionierte es? Renee Palmer hatte zwar mehr Farbe und Puder im Gesicht, als sämtliche Geishas im Kobe-Club zusammen, aber Ronald konnte ihre Reaktion durchaus sehen.
„Ah, so”, lächelte sie dann künstlich und wollte ihn aus dem Büro geleiten.
Sandoval hielt sie am Arm fest, ein Finger drückte einen winzigen Peilsender an ihre Kleidung. „Miss Palmer, Sie haben das Blut zum Krankenhaus gebracht!”, sagte er fest, „Sie kennen meinen Sohn!”
„Ich weiss nicht, wovon Sie sprechen!”, riss sie sich los. Jetzt schob sie ihn endgültig vor die Türe und schloss selbige wenig vorsichtig hinter ihm.
Ron blickte zufrieden auf das leere Fläschchen in seiner linken Hand, der Nanitenstaub würde an Renees Schuhen haften bleiben und eine Peilung selbst dann ermöglichen, wenn sie den Sender an ihrem Arm entfernte.

* * *

Es war nicht leicht, spät abends dann Palmer zu folgen. Sie nutzte mehrere Portale, auf die Ron kaum den Zugriff erhielt, doch er liess sich nicht abschütteln. Als er am Ziel nur wenig nach ihr ankam, fand er in der dunklen Gasse des Industriegebietes nicht nur Renee vor, sondern auch Kincaid.
Was hatte der denn damit zu tun?
„Sandoval sucht nach seinem Blutspender”, sagte Renee.
„Weiss ich, erklärt ja auch seine schlechte Laune”, seufzte Liam, „Ein halbes Jahr und immer noch kein Erfolg.”
„Jetzt hat er die Lieferantin. Er hat auch versucht, mir zu Mittag einen Sender anzuhängen.”
„Oh”, murmelte Kincaid, „hmm, naja, weiter kommt er sowieso nicht, auch wenn es mir für seine Laune leid tut.”

Ach! Es tat ihm leid!
Ron hätte beinahe mit den Zähnen geknirscht, aber er wollte natürlich nicht gehört werden. Dass dieser verdammte Major von seiner Suche die ganze Zeit gewusst hatte und sie vermutlich sogar nach Kräften störte, war aber auch die Höhe. Es war wie damals, als Ron nach Isabel Martínez oder vielmehr nach Maiya gesucht hatte. Er sah wieder seine Hände Liams Hals zudrücken, und sogar das Röcheln, das nur in seinen Gedanken stattfand, brachte eine gewisse Genugtuung.

„Was tun wir?”, fragte Renee.
Kincaid winkte ab. „Nichts”, sagte er, „Weiter kommt er nicht!”
„Augur sollte es trotzdem löschen.”
„Renee, was Augur verschlüsselt, kriegt keiner, das sollten Sie doch wissen.”
Augur. Das war doch ein Anhaltspunkt. Ron kannte diesen Augur, einen Kriminellen, der sich häufig im Flat Planet Café aufhielt und dennoch merkwürdigerweise auf freiem Fuss blieb, sofern nicht gerade die Taelons ihn zu einem Experiment oder einer Nahtoderfahrung entführten.
Flat Planet, dort hatte Ron auch Maiya gefunden, dreimal.

Wie auch immer, Maiya war tot und beerdigt, jetzt war Sandoval auf der Suche nach Augur, denn dieser hatte offenbar knallharte Fakten bezüglich des gesuchten Sohnes auf seiner Festplatte. Vorsichtig und leise schlich Ronald sich davon.
Sein nächstes Ziel war das Flat Planet Café.

Kaum hatte Ron die Lokalität betreten, stach ihm die wandelnde Leuchtreklame schon fast schmerzhaft in die Augen. Wie konnte sich nur jemand derart geschmacklos kleiden? Sandoval stellte sich an die Bar und bestellte einen „Mothership Core Break”, der dem Namen nach das stärkste Zeug überhaupt sein musste.
Als die Bardame ihm sein Getränk gebracht hatte, kam Augur zu ihm und musterte ihn. „Ah, Sie”, stellte der Schwarze offensichtlich wenig erfreut fest.
„Soweit ich mich erinnere, habe ich kein Hausverbot”, sagte Ronald, „Ich habe auch alle Rechnungen bezahlt und nie eine Kneipenschlägerei begonnen.”
Augur grummelte und knallte die Rechnung vor dem Agent auf den Tresen. „Hängt davon ab, wie man eine Kneipenschlägerei definiert. Verschwinden Sie! Sie haben ab jetzt Hausverbot.”
„Darf ich austrinken?”
Der Schwarze zog die Brauen zusammen und kräuselte die Lippen. „Meinetwegen”, schlenderte er dann davon. Sandoval blickte ihm nach, während er den exakten Getränkepreis auf die Rechnung legte. Dann folgte er Augur auf die Herrentoilette und hielt diesem den glühenden Skrill an den Kopf. „Wir werden uns unterhalten, Augur!”
Ärgerliches Stirnrunzeln von Seiten des Buntangezogenen. „Darf ich einordnen?”
„Meinetwegen”, sagte Ron kühl. Einen Augenblick später machte ein Reissverschluss ritsch und Augur durfte sich sogar die Hände waschen, bevor Sandoval ihn aus dem Flat Planet scheuchte. Nicht weit weg hatte Ronald sich einen ruhigen, absperrbaren Raum organisiert, in den er den Kriminellen jetzt brachte.

Auf reichlich staubigen Kisten sassen sie sich gegenüber und versuchten sich gegenseitig darin zu überbieten, böse dreinzuschauen. Ronald war gut darin, nicht nur, weil er ein CVI hatte, aber das Implantat machte es ihm sehr viel leichter. Augur war nicht so gut darin, er gehörte definitiv zur zappeligeren Hälfte der Menschheit. Wahrscheinlich zog er sich deshalb so bunt an, denn bei vernünftig gekleideten Menschen sah Zappelei noch mehr unangebracht aus als ohnehin.
Unwillkürlich strich Ron seinen Anzug glatt.

„Sie wollen reden? Fein, dann reden Sie!”, machte Augur nun seinem Ärger Luft.
„Wer ist mein Sohn?”, kam Sandoval sofort zum Punkt, „Sie reden, und ich höre zu. Also?”

Augur redete. Und wie er redete.
Ron war wenig davon angetan, über verschiedenste Umwege immer wieder unter die Nase gerieben zu bekommen, wie unmöglich er sich verhalten haben musste, dass eine Liebste ihn verliess, obwohl sie schwanger war. Und dass er davon gar nichts wusste, schob Augur fleissig darauf, dass sie Ron eben nicht zutraute, Vater zu sein.
In Gedanken würgte Sandoval den Schwarzen und es brachte ihm fast ebensolche Genugtuung, als hätte er sich vorgestellt, Kincaid zu würgen.

Aber er hatte eine Frage, und Augur hatte sie nicht beantwortet. Also richtete Ronald seinen Skrill auf den Kopf seines Gefangenen und liess ihn aufglühen und zischen.
„Sie wissen, wer mein Sohn ist!”, knurrte er, „Sagen Sie es mir!”
„Was habe ich mit Ihrem verkorksten vergangenen Liebesleben zu tun?”, wehrte Augur ab, „Woher soll ich ...?” Er biss sich auf die Zunge, als Sandoval seinen hell aufglühenden Skrill sehr nahe an den fast völlig kahlgeschorenen Kopf hielt. „Ich kann Ihnen nicht sagen, was ich nicht weiss!”
„Stimmt”, sagte Ron eisig, „aber das, was Sie wissen, können Sie mir sagen. Und Sie wissen, wer mein Sohn ist!”
„Nein!”
Sandoval packte den gewöhnlichen Kriminellen am Kragen und drückte ihm die Skrillfaust gegen das Kinn. „Nein?”
Nein.
Natürlich nicht! Kriminelle wussten in Befragungen nie etwas. „Wer?”, fauchte Sandoval.
„Ich wei... Auuu!
„Wer?”, wiederholte Ron seine Frage.
Augur sah ihn giftig an. „Das weiss ich nicht! Aber zumindest weiss ich, wie Sie zu einem Sohn gekommen sind!”
Na, das war doch etwas. „Erzählen Sie!”, verlangte Ronald und liess ihn los.
Energisch rieb Augur seinen Nacken, dann strich er seine bunte Kleidung glatt. „Ha'gel hat Sie übernommen”, sagte er dann, „und Becketts Gefühle für Sie ausgenutzt.”

Sandoval fühlte sich irgendwie überrumpelt. Siobhán Beckett war die Mutter seines Sohnes? Und ... was war mit Ha'gel? Ein Teil der DNS aus dem Blut hatte sich sehr hartnäckig geweigert, sequenziert zu werden - weil sie nicht menschlich war? Natürlich, das war die einzige Erklärung, wie Lieutenant Beckett in statt neun Monaten nur wenigen Tagen eine komplette Schwangerschaft hatte durchleben können.
Dennoch, Ron gab sich mit dieser Aussage alleine nicht zufrieden. Er packte den Kriminellen wieder am bunten Kragen und zischte: „Beweisen Sie es!”

Damit, den Beweis zu liefern, hatte Augur keine Probleme, in Anbetracht der nicht zu vernachlässigenden Bedrohung durch den Skrill. Sandoval schloss den Kriminellen dann sorgfältig mittels Taelontechnologie ein, er wollte nicht, dass dieser irgendwo gross Alarm schlug und womöglich Ronalds Sohn weit weg gebracht wurde.
Wer versteckte seit fast zwei Jahren einen Kimeramischling? Doch sicher der Widerstand.
Die verschlüsselten Aufzeichnungen der Überwachungskameras in der Sankt-Michaels-Kirche boten Ron mehr Schnulzfilm, als ihm Dee-Dee jemals vor dem Fernseher aufgezwungen hatte. Nein, was Ha'gel ihm da in den Mund gelegt hatte, hätte er niemals gesagt. Aber Ha'gel hatte keine halben Sachen gemacht, nein, es musste ja auch gleich ein Kind gezeugt werden.
Sandoval wusste, dass Lili den Taelons keineswegs zu freundlich gesinnt war, schliesslich hatte sie versucht, das Mutterschiff zu sprengen. Dies, ihre perfekte, fast traumwandlerisch sichere Zusammenarbeit mit Boone und dessen stets im Vergleich zu Sandoval damals recht freie Auslegung der Befehle der Taelons legten Ron den Gedanken nahe, dass beide dem Widerstand angehört hatten.
Kincaid als Boones Lieutenant im SI-Krieg auch? Wahrscheinlich.
Liam hatte jedenfalls ebenso seine Geheimnisse vor den Taelons wie Sandoval selbst (und sie teilten sogar einige), aber dieser machte sich keine Hoffnungen, Kincaid damit dranzukriegen. Der Major wusste einfach auf alles eine Rechtfertigung - oder Ron fand erst gar keine Beweise oder konnte sie nicht nutzen, ohne sich selbst in mindestens ebenso grosse Schwierigkeiten zu bringen - wenigstens ging es Kincaid offenbar ähnlich.
Und jene Personen, die Sandoval in der Aufzeichnung sah, waren allesamt tot oder unterwegs nach Jaridia. Was gäbe er für ein fähiges Medium ... nur leider waren Séancen nur etwas für abergläubische Vollidioten, zu denen Ron sich natürlich nicht zählte. Also blieben ihm Augur, Liam und Renee, die er sich vorknöpfen konnte.

Zunächst der knallbunte Schwarze, der aber angab, er habe das Kind nur schreien gehört und sich überhaupt nicht für es interessiert, aufgezogen habe es daher Captain Marquette. Wie bequem, auf jemanden zu verweisen, der nicht befragt werden konnte.
Aber ... aufgezogen? Also hatte Ronalds Sohn sich auch nach der Geburt derart schnell entwickelt und war womöglich - wahrscheinlich schon erwachsen und passte bestens und ganz ohne Zieheltern auf sich selbst auf.
„Gab Captain Marquette ihm auch einen Namen?”, fragte Sandoval möglichst beiläufig.
„Nein”, grinste Augur, „das hat er selber gemacht.”
„Und?”
„Das war ein wildes Gezische und Gefauche, Kimerasprache, vermute ich”, sagte Augur, „Lili hat ihn dann einfach Junior genannt.” Na, das war ganz offensichtlich eine Lüge, und Ron hielt dem Kriminellen wieder einmal den Skrill an den Kopf. Augur wich zurück und kniff die Augen zusammen. „Kieran!”, rief er dann, „Nach dem Wunsch seiner Mutter.”
Nach dem Wunsch seiner Mutter ...? Wie .... Aber natürlich! Er besass ein genetisches Gedächtnis - und somit auch Rons Wissen. War das der Grund, warum Kieran nichts mit seinem Vater zu tun haben wollte? Sandoval an dessen Stelle als Kimera würde sich jedenfalls hüten, sich einem Implantierten zu offenbaren.

Vorerst genügten diese Informationen zum gesuchten Sohn selbst, aber Ron war mit Augur noch lange nicht fertig. „Was hat Kincaid damit zu tun?”, fragte er also. Die Reaktion alleine im Gesichtsausdruck des Kriminellen sagte schon eine ganze Menge aus: Da war einiges über Liam zu wissen (Oh Wunder!), und Sandoval gedachte, hartnäckig zu sein.
„Was hat Kincaid damit zu tun?”, wiederholte er die Frage.
„Er weiss davon, Lili hat es ihm gesagt.”
Klang sogar glaubwürdig, aber Ron konnte sich nicht vorstellen, dass das alles war. Womöglich war es nicht die beste Vorgehensweise, aber langsam wurde er ungeduldig. „Sie beantworten meine Fragen zu zögerlich, Mr. Augur!”, wurde er lauter, „Ich weiss, dass Sie zum Widerstand gehören, ich weiss auch, dass Kincaid zum Widerstand gehört, ebenso Miss Palmer, und Captain Marquette und Commander Boone zu Lebzeiten ebenfalls. Sie werden meine Fragen beantworten!” Er fixierte den Schwarzen mit seinem sehr, sehr durchdringenden Agentenblick. „Haben Sie mich verstanden, Mr. Augur?”
Ja.
„Sehr gut”, lächelte Sandoval zufrieden. Seine Ahnung hatte sich offensichtlich als zutreffend herausgestellt, er hatte einen wichtigen Teil des Widerstandes aufgedeckt. Zo'or würde sich über diese Informationen zwar ein Loch in den Bauch freuen, aber Ronald dachte nicht im Traum daran, den Taelons diesen Gefallen zu tun (obwohl Zo'or mit Loch im Bauch durchaus reizvoll war). „Also, versteckt Kincaid meinen Sohn?”
„Wieso ausgerechnet er?”, zeigte sich Augur verblüfft über die Frage, Sandoval hielt ihm nur wieder den Skrill an den Kopf. „Hören Sie, Sandoval, ich weiss nicht, wo Ihr Sohn ist.”
Ron hörte in seinem Kopf den quäkenden Ton, der in Quizsendungen auf falsche Antworten folgte, und lud seinen Skrill. Ein wenig Angst schien dem Antworteifer des Schwarzen ja sehr gut zu tun. „Aber Sie wissen, wie Sie ihn finden können!”, stellte Sandoval fest.
„Neiauuuuja.”, brachte Augur hervor, während ihm Ronald den Arm auf dem Rücken verdrehte, „Ja, verdammt, ich weiss, wie ich ihn finden kann.”
„Also?”
Ich frage Liam, wo er ist ...
Dummerweise war das wohl die Wahrheit. Ron kam an Kincaid einfach nicht vorbei, der Major hatte einfach überall seine Pfoten drin. Überall! In Gedanken würgte Sandoval Liam wieder, dann fühlte er sich etwas besser.
Er brauchte einen verdammt guten Plan, sonst würde ihm Kincaid nur wieder die lange Nase zeigen.

* * *

Alles, was Sandoval bisher erreicht hatte, kam ihm so leicht vor, nun, da er sich den Kopf samt fehlfunktionierendem CVI darüber zerbrach, wie er an Kincaid herankommen konnte. Der Plan musste perfekt sein, sonst würde der Major sich aalglatt herauswinden und Ron den schwarzen Peter lassen. Sandoval brauchte eine Falle, eine gute Falle, eine Majorenfalle!
Zwar war Kincaid offenbar reichlich nahrungsmittelfixiert, aber eine Schnappfalle mit Käse würde es keinesfalls tun.
Wie könnte Sandoval ihn anlocken? Welche aktuellen Fälle boten etwas, womit er Kincaid in einen gut verschliessbaren Raum brachte? Er konnte wohl kaum die Gefangennahme eines mutmasslichen Widerstandskämpfers, Augur, als Grund angeben, den Major zu sich zu rufen. Es musste etwas Besseres, etwas Wichtigeres sein.
Etwas Neues! Etwas, das Da'an bedrohte, dann würde Kincaid nur so springen.
Gut. Wie würde er ihn festhalten? Immerhin trug Liam als Beschützer eine Waffe. Türen verschliessen und ein starkes Energiefeld etablieren, gute Idee. Wo bekam Sandoval schnell einen tragbaren Energiefeldgenerator her? Doch, da fiel ihm natürlich auch etwas ein: Tate war sehr nützlich und liess sich tatsächlich dazu einspannen, noch heute eine solche Gerätschaft irgendwo auszuborgen.
Wo würde Ron den Major festhalten? Wo wäre etwas für Da'an Gefährliches glaubhaft? Industriegebiet, Sandoval musste nur aufpassen, dass er keinen Ort nahm, der mit Doors International zu tun hatte, und sich auch von der Stelle, an der er Kincaid und Palmer belauscht hatte, fernhalten.
Guter Plan. Gute Majorenfalle. Ronald grinste erwartungsvoll. Diesmal würde sich Kincaid nicht rauswinden, nein.

Schliesslich hatte Sandoval alles vorbereitet und liess sein Global aufschnappen. „Major Kincaid, ich benötige Ihre Hilfe”, sagte er, „offenbar ist es dem Widerstand gelungen, Skrills für sich nutzbar zu machen, sie planen ein Attentat auf Da'an.”
„Ich bin unterwegs.”
Sehr gut.

* * *

Ronald wartete in der Nähe der Halle auf Liam, mit dem er sich dann gemeinsam anschlich, während er ihm flüsternd seine bisherigen Erkenntnisse erklärte. Nein, er wusste nicht, wie der Widerstand überhaupt an Skrills gekommen war. Nein, er wusste auch nicht, wie viele Skrills sie hatten, nur mindestens zwei. Ja, durch dieses gekippte Fenster hatte er gelauscht.
Sollten sie nicht Freiwillige hinzuziehen?
Verdammt!
„Es sind nur zwei Widerstandsmitglieder, Major, ist das ein Problem?”, fragte Ron.
„Nein, kein Problem.”

Gemeinsam spitzten sie die Ohren und lauschten dem Tonbandgespräch drinnen. Schliesslich wurde es wesentlich lauter, die Widerstandsmitglieder begannen zu streiten. Zugegeben, das war absolut Klischee, aber etwas Besseres hatten die Obdachlosen aus der Suppenküche trotz völlig wahnsinniger Bezahlung nicht zustandegebracht.
Kincaid hielt seine Waffe bereit und winkte Sandoval, dieser nickte zur Bestätigung, überbrückte die von ihm selbst nur wenig versteckte Alarmanlage und öffnete die Türe. Der Major stürmte voraus und als er Sicherheit signalisierte, folgte Ronald ihm. Die Halle war von Kisten vollgestellt und wenig gepflegt, aber auch dort hatte Ron einige Überwachungssysteme angebracht. Kincaid überlistete gekonnt eines nach dem anderen, fähig war er, das musste man ihm lassen. Ron folgte ihm und versuchte, sich vor Anspannung nicht überall Muskelkrämpfe zu holen. Dass er überhaupt so aufgeregt sein konnte, war mehr als eine Überraschung für ihn.
Schliesslich trat Liam durch einen Durchgang in eine kleinere Halle und sah sich um. Sandoval, nur knapp zwei Schritte hinter ihm, drückte beim Betreten den Schalter, der den Durchgang mit einer schweren stählernen Schiebetüre verschloss. Es gab keine andere Türe und nur Oberlichter, zusätzlich aktivierte sich nun das Energiefeld.
Schnapp!

Kincaid wirbelte herum, als Sandoval seinen leise zischenden Skrill hob, und richtete seine Waffe auf ihn. „Sandoval!”, rief er ärgerlich, aber sein Finger am Abzug war ruhig.
„Wir müssen reden”, sagte Ron und trat einen Schritt näher, er hielt den Skrill wachsam auf den Major gerichtet.
„Das könnten wir auch gemütlich im Büro tun, Sandoval”, knurrte Liam, „Was soll das?”
Ja, gemütlich im Büro, wo er lügen oder schweigen konnte, wie es ihm gefiel ... nein, danke.
„Ich bin auf der Suche nach meinem Sohn, Kincaid”, erklärte Sandoval, „und Sie wissen, wo er ist. Sagen Sie es mir!”
Liam war nicht so leicht zum reden zu bringen wie Augur.
„Nein, Ihr Sohn will das nicht!”, weigerte er sich, „Er hätte auch vorgezogen, wenn Sie niemals von ihm erfahren hätten!”
„Das sagen Sie!”, verhinderte Ronald knapp ein Zähneknirschen.
„Was glauben Sie denn, warum Sie ihn nicht finden, Sandoval?”, rief Liam, „Denken Sie nach!”
Nachdenken! Was hatte Ron denn das halbe Jahr getan? „Sie verstecken ihn, Kincaid!”, gab er zurück, „Aber ich weiss nicht, wessen Entscheidung das war.” Er sah den Major eisig an, dieser zeigte sich allerdings überhaupt nicht beeindruckt. Die sonst so nützliche Aura des Companion-Agents verfehlte ihre Wirkung auf Liam offensichtlich völlig. Sehr schade.
Kincaid zögerte aber etwas. Bereitete er eine Lüge vor oder überwand er sich, die Wahrheit zu sagen? „Ihr Sohn geht, wohin er will”, sagte er schliesslich, „eine falsche Identität ermöglicht ihm das.”
„Und wohin geht er?”
„Wohin er will”, wiederholte Liam kühl.
„Ohne jemals ein Portal zu benutzen?”, brachte Ron seine Zweifel und seinen Ärger zum Ausdruck, „Unglaubwürdig.”
„Wenn Sie meinen”, zuckte Kincaid mit den Schultern.
Sandoval biss die Zähne zusammen und ballte seine Skrillfaust etwas mehr, sein Skrill reagierte mit einer Energiezunahme. „Wenn ich meine, Kincaid?”, knirschte er, „Meinen Sie nicht, ein Kimera wäre im Portalsystem auch ohne meine Suche recht schnell entdeckt worden?” Einen kurzen Augenblick sah er Erschrecken in Liams Augen. „Oh, ja, Major, ich weiss durchaus, dass auch Ha'gel sein Vater ist.”
„Ha'gel?”, machte Kincaid einen auf ahnungslos.
Ron seufzte und rollte mit den Augen. „Tun Sie es nicht! Geben Sie nicht vor, davon nichts gewusst zu haben!”, fauchte er, „Ich konnte bereits den Beweis begutachten.”
Beweis?
„Überwachungsaufzeichnungen aus einer Kirche”, sagte Ronald, dann hob er sein Kinn und trat einen Schritt näher an Liam heran, „aber das tut nichts zur Sache. Sie sagen mir jetzt, wo er ist!”
„Nein!”

Aber damit gab sich Sandoval nicht zufrieden. Diesmal würde sich Kincaid nicht rauswinden, ohne sein Wissen preiszugeben. Aber wie dieser Soldat ihn durchdringend ansah, gefiel Ron gar nicht, so hatte er ihn noch nie erlebt. Liam meinte sein Nein definitiv endgültig, diskutieren wollte er nicht darüber.
Einen Kriminellen zu befragen war weitaus einfacher, als einen Soldaten, aber Ron war auch mit Soldaten schon fertiggeworden. „Kincaid, antworten Sie!”, verlangte er und liess seinen Skrill aufleuchten, die Reaktion war nur eine kaum merklich straffer gehaltene Waffe. „Kincaid, ich weiss, dass Sie zum Widerstand gehören.”
„Und Sie wollen mich Zo'or ausliefern, wenn ich Ihnen nichts sage?”
Diese Frage war so klar gewesen! Nein, Sandoval lieferte ein so wichtiges Widerstandsmitglied doch nicht aus (wobei ... Zo'or mit Loch im Bauch ..., aber: nein), Liam glaubte es aber offensichtlich. Kincaid nutzte aus, dass sie sich inzwischen so nahe gegenüberstanden, und schlug Rons rechten Arm weg.
Sandoval tauchte seitwärts weg und trat dem Major seine Waffe aus den Händen. Wenigstens keine Gefahr mehr, erschossen zu werden ... sehr erleichternd.
Ronald war allerdings natürlich noch bewaffnet, es gab kein unbewaffnetes Patt, also ging Liam endgültig in den Nahkampf über ... und gewann. Er gewann? Sandoval verlor trotz verbesserter Reflexe und Körperkontrolle? Kincaid kniete auf seinem Rücken und fixierte den Skrillarm, dass der Schmerz heftig durch Ronalds Muskeln und Sehnen schoss.
Diesem Soldaten war einfach nicht beizukommen!

Sandoval hörte ein Global aufschnappen und erklärte ächzend: „Das wird nicht funktionieren, der Raum ist abgeschirmt.”
„Stimmt”, gab Kincaid ärgerlich zu, „wie schalte ich es aus?”
„Gar nicht!”, sagte Ron, „Das kann nur ich!” Vorsichtig blickte er über seine Schulter zurück. „Sagen Sie mir, wo mein Sohn ist!”
Liam war über die Fortsetzung dieser Befragung sichtlich nicht erfreut. „Ich ... könnte Nachrichten überbringen”, schlug er vor. Wenigstens begriff er, dass er mit soldatischer Sturheit nicht weiterkam.
Nicht genug, Kincaid!”, knirschte Sandoval, „Sagen Sie es mir!”
„Nein!”

Nun, der Major war doch stur. Soldat war eben Soldat, auch wenn er zivil (und reichlich leger) trug. Nur ein einziges Mal hatte Ronald ihn in Uniform gesehen, nämlich auf der Beerdigung von William Boone. Schon da hatte Kincaid seine unglaubliche Kompetenz herausgestellt und Da'an gerettet. Jetzt bekam Sandoval genau diese Kompetenz am eigenen Leib zu spüren.
Wie machte Kincaid das? Es war völlig verrückt, dass ein CVI-Träger einem Nichtimplantierten unterlag!

„Sagen Sie mir, wie ich hier rauskomme!”, verlangte Liam.
„Nein!”, weigerte sich nun Sandoval, „Wie lange möchten Sie hierbleiben? Sagen Sie mir, wo mein Sohn ist!” Patt. Das gab es zu Ronalds Erleichterung tatsächlich auch, wenn einer am Boden lag.
„Eine Kontaktmöglichkeit”, versuchte es Kincaid wieder.
Zu wenig!”
„Sie können verdammt froh sein, dass ich das überhaupt erwäge!”, erklärte Liam, „Wie lange möchten Sie denn hierbleiben?”
Dummerweise eine sehr treffende Frage. Sandoval fand seine Lage wenig angenehm, sein rechter Arm schmerzte nicht zu knapp und das Knie im Rücken war ... naja, das Knie war nicht so schlimm, mehr das Gewicht des Majors, das zu einem guten Teil darauf lastete. „Kincaid, sagen Sie mir nur einfach, wo er ist”, seufzte Ronald, „Sie und der Widerstand haben von mir nichts zu befürchten.”
Ach ...”
„Mein Motivationsimperativ ist ausgefallen”, gab Ron zu.
„Das weiss ich, aber es sagt nichts aus”, stellte Liam fest, „Gegen die Taelons zu kämpfen heisst schliesslich nicht zwangsläufig, die Menschheit zur schützen.” Guter Punkt, Soldat, es gibt nicht nur Schwarz und Weiss. Dass Kincaid Graustufen kannte war überraschend, das hätte Sandoval ihm gar nicht zugetraut. „Also: Wie komme ich hier raus?”, wiederholte Liam seine Frage.
„Nicht ohne mir zu sagen, wo mein Sohn ist.”
„Sturkopf!”
„Ebenfalls!”, gab Sandoval zurück und runzelte einen Moment später irritiert die Stirn. Aber es stimmte, sie standen sich was die Sturheit anging in nichts nach. „Sagen Sie es mir! Kincaid!”, bäumte Ron sich energisch auf.
„Nei...” ... und Liam fiel um.

Sandoval drehte sich auf den Rücken und stellte mit einem schnellen Blick fest, dass er zwischen Kincaid und dessen Waffe lag. Für eine erfolgreichere Befragung war aber eine noch klarere Hierarchie nötig, er müsste den Major fesseln, was dieser zweifellos nicht zuliess, solange er bei Bewusstsein war.
Eine leichte Entladung gegen die Brust sollte genügen.
Fehlanzeige. Kincaid wich zur Seite aus, Ronald traf nur den linken Arm, der nun allerdings taub herabhing. Der nächste Schuss ging ganz in die Wand, der dritte traf Liams abwehrend erhobene rechte Hand - sollte seine abwehrend erhobene Hand treffen, doch die Entladung stoppte knapp vor seinem Körper ...
Energie glühte in Kincaids Hand: Shaqarava.

Nein, nein, nein! Nicht er, nicht ausgerechnet Liam Kincaid! Aber eine andere Erklärung für Shaqarava gab es nicht. Ron liess seinen Skrill sinken und starrte seinen Sohn mit offenem Mund an.

Eilig schloss Liam seine Hand zur Faust, doch ihm war sichtlich klar, dass es dafür zu spät war. Sandoval hinderte ihn nicht daran, die Waffe wieder an sich zu nehmen. Wozu brauchte ein Kimera schon eine Waffe? Er war einem Menschen ohnehin stets überlegen - auch einem Implantanten.
Es ergab jetzt alles einen Sinn! Er hatte die Jaridiansonde trotz dafür untauglicher Waffe zerstört, er hatte den Atavus ins Gemeinwesen zurückgebracht - und wer weiss was noch!
Er hatte Sandoval ungezählte Male das Leben gerettet, besonders auch durch die Blutspende, deren Unterlassen ihm niemand hätte ankreiden können. Es war schwierig für Ron, ihn noch zu hassen. Verdammt, er hatte nicht zu knapp gegen seinen eigenen Sohn intrigiert! - Und im Nachhinein war ihm auch nur zu gut klar, dass dieser es vom ersten Tag an gewusst hatte.

Das hätte Sandoval sich alles sparen können. Zo'or traute ihm ohnehin nicht, egal was geschah.

Hätte er sich nicht so taelonunterworfen benommen, wäre er womöglich ohne eine monatelange Suche zu einem Sohn gekommen. Er seufzte laut auf und lehnte sich an die Wand, Liam sah ihn missbilligend an. „Was?”, brummte Ron.
„Ausgang, bitte”, sagte Kincaid.
Die Suche war beendet, Sandoval hatte seinen Sohn gefunden. Zwar hätte er vorgezogen, noch einige Takte zu reden, aber er fügte sich, deaktivierte das Energiefeld und öffnete die Türe. Liam blieb allerdings noch stehen und sah Ron an.

Was denn? Was wollte Kincaid noch?
„Kommen Sie!”, forderte er Ron auf.
„Wohin?”
„Wenn Sie woandershin wollen, gehen Sie eben woandershin!”, rollte Liam mit den Augen, „Ich gehe jedenfalls ins Flat Planet.”

 

Ende von Kapitel 1

 

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