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  „Blick übers Wasser” von Veria  (Emailadresse siehe Autorenseite),   Mai 2016
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Liam, Ron und Ava besuchen Irland in der Vergangenheit. Nachdem sie mit einer Begleiterin in die Gegenwart zurückkehren, beauftragt T'than den Mord an Zo'or.
Zeitpunkt: vor 27 Jahren sowie in der Jetztzeit / nach „Blick ins Tal”
Charaktere:  Liam, Ron, Ava
 
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Adventskalenders 2015 geschrieben.
 

 

BLICK ÜBERS WASSER

Kapitel 10

 

„Fuv'lasha.”
Ava, Lili und Liam sahen vom geteilten Schachspiel auf Avas Global auf und zu Da'an und Melody. Letztere hatte soeben den gewinnenden Zug angekündigt und grinste bis über beide Ohren.
„Du konntest mich nie schlagen, Da'an, selbst mangelnde Übung meinerseits ändert daran nichts.”
„So gut kann Da'an das gar nicht”, flüsterte Liam, „Ich habe gegen ihn auch schon gewonnen.”
„Lassen Sie die beiden spielen und helfen Sie mir hier lieber”, sagte Lili, „Ich meine, ihr Läufer ist am gefährlichsten.”
„Und ich sage, es ist die Dame. Die haut uns im nächsten Zug den Turm weg!”
„Aber der ist doch nicht so wichtig, Liam, sehen Sie doch, der Läufer kann direkt in die Schneise rein.”
„Egal, dort drin ist alles gedeckt und der König ist auch in Sicherheit. Der Turm ist wichtiger.”
Ava schmunzelte. „Schlagen Sie den Läufer, dann sind Sie Matt in fünf Zügen.”
„Dann doch die Dame!”, sagte Lili energisch.
„Blöde Idee. Matt in vier Zügen.”
Liam tippte kurzerhand den König an und bestätigte die Abfrage, ob er wirklich aufgeben wollte. „Kein Wunder, dass Augur gegen Sie verloren hat, Sie sind ja ein lebender Schachcomputer.” Er seufzte leise und legte ein kapitales Niesen nach.
„Noch ein Spiel”, fragte Ava.
Er seufzte wieder. „Nur wenn Sie sich sehr dumm stellen.”
„Sie haben heute schon das Narrenmatt hingelegt, Matt in zwei Zügen, so dumm kann ich mich nicht mal stellen!”
„Sie liegen ja auch nicht im Sterben.”
Ava sah ihn an und lächelte. „Also gut. Wenn Sie wollen, übersehe ich im nächsten Spiel einfach so gut wie alles.”
Liam zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und putzte sich konzentriert die Nase, dann startete er ein neues Spiel und setzte den weißen Königsbauern zwei Felder vor. Ava konterte mit ... einem Bauern vor einem ihrer Türme. Liam zog mit dem Läufer ins Freie - Ava bewegte den Bauer vor ihrem anderen Turm.
Lili hielt sich die Hand vor den Mund und unterdrückte hörbar ein Lachen.
Ava blickte auf und musterte Liam, der äußerst konzentriert die Dame ins Freie zog und gleich einen Bauern vor einem Turm schlug. Es musste ihm doch schon sehr schlecht gehen, wenn er seine Dame so blind opferte. Ava bewegte einen Springer direkt zwischen Dame und Turm.
Liam nieste, zwei, drei, vier, fünfmal. Dann schlug er mit der Dame den Springer. So blöd konnte er sich aber auch nur stellen!
Ava rollte mit den Augen und schlug die Dame mit dem Bauern. Alles ließ sie ihm nun auch wieder nicht durchgehen.
„Heee...” Sein Protest wurde durch heftiges Niesen unterbrochen - und diesmal löste sich seine Haut auf und seine hellgrüne Energie strahlte grell hindurch. Einen Moment später sah er wieder normal menschlich aus. „Sie haben versprochen, dass Sie ...”
„Liam!”, unterbrach ihn Lili, „Sie haben geleuchtet!”
Der Kimera ließ die Mundwinkel hängen. „Und Ronald ist nicht hier, um mich zu erschießen ...” Nach einem Moment sah er zu Lili. „Sie erschießen mich!”
„Liam, nein!”, protestierte sie.
„Dann Sie, Ava!”
Ava schloss das Schachspiel auf ihrem Global und sagte: „Ich rufe Ron an und sage ihm ... dass der Attentäter gefasst wurde.”
„Was für ein Attentäter?”, fragte Liam verwirrt.
„Der, der den Giftanschlag auf die Botschaft verübt hat.” Sie wählte Ron aus und rief an.
Keine Antwort.
„Das ist nicht gut”, sagte Lili.
Ava wählte ein neues Ziel aus. „Augur? Könnten Sie mir einen Gefallen tun? Ich muss wissen, wo Rons Global ist.”
„Wie geht es Liam?”, kam zurück.
Der Kimera trat näher und grinste müde in die Kamera. „Ich liege im Sterben, danke der Nachfrage. Und jetzt antworte ihr schon, Augur!”
Der Hacker starrte einen Moment lang missmutig aus dem kleinen Bildschirm, dann wandte er sich ab und beschäftigte sich kurz mit seinem Computer. „Sandovals Global ist nicht im Netz, die letzte bekannte Position war auf dem Mutterschiff.”
Wieso war Ron auf dem Mutterschiff? Er wollte doch nur mit R'am reden und dann zurückkommen. Wenn er dort freiwillig wäre, hätte er zuvor Bescheid gegeben.
„Er ist in Gewahrsam”, schloss Ava, „Liam, Sie bleiben hier, ich haue ihn raus.”
„Ich begleite Sie”, sagte Lili.
„Ich sehe, ob ich rausfinde, wo genau er ist”, kam von Augur.
„Ava, eine Frage”, ergriff Melody das Wort, „meinen Sie, so ein Freiwilligen-Strampelanzug steht mir?”

Eine Pilotin und zwei Freiwillige erschienen in einem Portal auf dem Mutterschiff. Die drei Frauen beeilten sich, die häufiger frequentierten Bereiche des Mutterschiffes zu verlassen, und schließlich öffnete Lili ihr Global. „Augur”, wisperte sie.
„Tut mir leid”, sagte der Hacker hörbar unzufrieden, „Nirgendwo ist Sandoval als Gefangener verzeichnet. Ich versuche gerade, abzufragen, welche Zellen verschlossen sind.”
„Was ist mit den Folterkammern?”, fragte Ava.
„Es gibt einen recht frischen Beschluss zur Befragung, aber ich suche noch, wo die durchgeführt wird.”
„Wie frisch?”, fragte Lili, „Von wem?”
„Zwei Stunden, von Sa'mar.”
Ava starrte einen Moment lang ratlos auf das Global. „Wer ist das denn nun wieder?”
„Justizminister”, warf Melody ein, „ein Gegner von T'than.”
Wenn dieser Sa'mar von T'thans Mordauftrag erfahren hatte, würde er dann Ron befragen? Wenn er noch keine Beweise hatte, dann könnte er sich womöglich von der Folter des mutmaßlichen Auftragsmörders einen Beweis erhoffen.
„Das ist die beste Spur, die wir haben”, sagte Ava, „Augur?”
„Ich suche, wo das ist, ja. Ich melde mich.”
Lili nickte. „Danke.” Dann steckte sie das Global weg.
„Wir fangen derweil vorne an und sehen einfach in jede Folterkammer hinein”, beschloss Ava, „Gehen Sie voran, Lili, wir sind nur unwichtige Freiwillige.”
Die Pilotin straffte sich und marschierte den Korridor entlang, einige Schritte hinter ihr Ava und Melody in schwarzsilberner Freiwilligenkluft. Sie begegneten Lindsay, der nur mit einem knappen Nicken als Gruß an ihnen vorbeiging. Schließlich ließ Lili eine Türmembrane öffnen und die drei Frauen blickten in einen leeren Verhörraum.
„Hier mal nicht”, stellte Ava fest.
Lili schloss die Türmembrane wieder und eilte weiter. Auch die nächsten beiden Verhörräume waren leer, weitere waren an diesem Korridor nicht mehr. „Verdammt!” Sie ging voraus in Richtung des nächsten Bereichs, knapp nickte sie einem Implantanten zu, der ihr entgegenkam und wie Lindsay zuvor ohne besondere Aufmerksamkeit an ihr und den beiden Frauen in Freiwilligenkluft vorbeiging.
Die Pilotin stutzte und drehte sich um, sie sah ihm mit gerunzelter Stirn nach, bis er um eine Ecke verschwand. „Ist der nicht ... ? Arie oder so ähnlich ...”
„Antonio Arias?”, fragte Ava, „Das ist R'ams Beschützer! Ron hat von ihm erzählt, im vorletzten Durchgang musste er ihn anschießen.”
„R'am hat Ronald in der Mangel”, sagte Lili.
„Ja, das denke ich auch.” Ava griff nach ihrer Waffe. „Ich erschieße auch R'am, wenn es sein muss”, knirschte sie, „und, Lili, bevor ich gefangen und gefoltert werde, erschießen Sie mich lieber.”
„Ist das in Zeitschleifen allgemein so üblich, zu verlangen, erschossen zu werden?”
„Ich weiß nicht. Aber Ron hat Liam mal erschossen und ich hab Ron mal erschossen. Ron hat sich auch mal selbst erschossen, und seit ich gefoltert wurde, verstehe ich auch sehr gut, warum.”
Lili nickte langsam. „Also gut.” Sie zog ihre Waffe aus dem Gurt und sah zu Melody. „Bereit?”
Der Taelon in Menschenform zeigte die Handflächen, in denen es sanft hellblau glühte. „Immer.”
Die Pilotin ging voran und öffnete den ersten Verhörraum - leer. Beim zweiten drang sofort ein markerschütternder Schrei heraus, dann die eisige Beschwerde eines Taelons: „Verlassen Sie umgehend diesen Raum!”
Ava und Melody stürmten hinein, wie befürchtet war Ron auf die Liege geschnallt. Lili schloss die Türmembrane und richtete ihre Waffe auf den Taelon. Melody deaktivierte das Foltergerät und ließ es die Nadeln aus Rons Schädel ziehen.
„Geht es?”, fragte Ava leise, während sie ihm aufhalf.
„Jetzt wieder ... danke.” Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. „R'am hat es falsch aufgenommen, dass ich das Gift habe”, erklärte er, „Er meinte, das wäre das Gift aus dem Anschlag auf die Botschaft.” Er stützte sich mit zitternden Händen ab und atmete einige Male tief durch. „Wie geht es Liam?”
„Er ... er hat nach dir verlangt”, sagte Ava, damit war es klar und dennoch für den Taelon nicht verständlich.
„So, jetzt wieder hier raus”, ergriff Lili das Wort, „Ideen?”
Melody trat zu ihr und schmunzelte. „Immer.”
„Welche?”
„Meine Berechtigungen wurden nie gelöscht. Das Mutterschiff ist im Quarantänemodus, nur wir vier dürfen uns frei bewegen.”
„Sie sind ein Mensch!”, fauchte R'am, „Sie haben keine Berechtigung, das Mutterschiff zu kontrollieren!”
„Taelon in Menschenform”, korrigierte sie, „Ich bin Ma'el.”
R'ams Haut flackerte, seine Energie schimmerte hindurch. „Ma'el ... ein Mensch. Weshalb?”
„Als Taelon wäre ich seit mindestens 800 Jahren tot.”
Lili öffnete die Tür. „Gehen wir.” Einen Moment später stand ihr Antonio Arias gegenüber, der den Skrill hob und auf sie richtete. Lili zielte ebenso schnell auf ihn. „Gehen Sie beiseite, Arias!”
„R'am?”, fragte dieser.
In Melodys Händen leuchtete es grellblau auf und sie sah den Taelon auffordernd an.
Ohne Zögern befahl dieser dann: „Lassen Sie sie gehen, Teniente Coronel.”
Sowie Arias seinen Skrillarm gesenkt hatte, huschte Lili an ihm vorbei, Ava, die Ron stützte, folgte ihr. Einige Momente später trat auch Melody heraus auf den Korridor.
„Teniente Coronel, bitte treten Sie ein”, sagte sie und wies in den Verhörraum. Arias gehorchte, dann schloss Melody die Türmembran. „So, eingesperrt. Gehen wir.”
Sie gingen - problemlos.

Sowie vier Personen im Portal der nordamerikanischen Botschaft erschienen, piepsten zwei Globals los. Ava und Lili griffen gleichzeitig nach den lärmenden Geräten und ließen sie aufschnappen. Auf zwei kleinen Bildschirmen erschien Augur, zweistimmig erklang: „Dem Himmel sei Dank! Was ist passiert? Ich bin aus dem System geflogen und konnte nicht mehr rein.”
„Melody hat das Mutterschiff in Quarantänemodus versetzt”, sagte Lili, „wie Zo'or in der Schleife damals, vermute ich.”
„Ja, kommt hin. Habt ihr Sandoval gefunden?”
„Und befreit”, bestätigte sie und schwenkte ihr Global, dass der Implantant für Augur zu sehen wäre. Ron winkte matt.
„Gut.” Damit legte der Hacker auf.
Da'an kam durch einen Durchgang und blieb dann stehen, seine Hände formten bedrückte Gesten. „Folgen Sie mir, Agent Sandoval”, sagte er, „Liam fragt nach Ihnen, er hat das Portal gehört.”
Ron setzte sich sofort in Bewegung, er begleitete den Taelon in den angrenzenden Raum, eine Energiedusche war darin und sie war aktiv - ein grellgrüner Energiekörper lag schwach darin, gelegentlich nur war ein Hauch der Haut und der Züge des zugehörigen menschlichen Körpers sichtbar.
„Liam!” Der Implantant lief zum Kimera. „Wie geht es Ihnen?”
„Überraschend gut, wenn man bedenkt, dass ich ohne die Energiedusche schon tot wäre.”
„Das Gift zersetzt seine Energiebahnen, aber die Energiedusche verhindert, dass seine Energie sich verflüchtigt”, erklärte Da'an, „allerdings nur temporär.”
Ein schiefes Grinsen war im grünen Licht erkennbar. „Intensivstation für Kimera.”
„Wie lange wird das reichen?”, fragt Ron besorgt.
„Nicht mehr lange, vielleicht eine halbe Stunde. Aber es lindert den Schmerz.” Der Kimera hob eine Hand aus grellem Licht und wies auf einen der Einstichpunkte an Rons Kopf. „Sie hätten auch Schmerzlinderung gebraucht, sehe ich.”
„Es geht wieder”, sagte Ron, „Denken Sie nicht über mich nach.”
„Was ist passiert? Warum wurden Sie gefoltert?”, fragte Liam dennoch.
Der Implantant seufzte. „R'am meinte, ich hätte den angeblichen Anschlag auf die Botschaft durchgeführt, weil ich erwähnte, das Gift zu haben. Er hat mir T'thans Auftrag nicht abgekauft.”
„Er hatte also in gewisser Weise einen Grund dafür.”
„Zumindest dafür, mich festnehmen zu lassen. Aber zuvor hat er mir noch einige brauchbare Informationen gegeben.”
Liam leuchtete grell auf und wand sich. „Sie müssen mir das nicht erzählen”, sagte er leise, „Ich werde mich ohnehin nicht erinnern.” Ron griff nach Liams Schultern und zuckte mit einem Schmerzenslaut zurück, als seine Handflächen verbrannten. „Was ist?”, fragte der Kimera besorgt.
Der Implantant zeigte eine Hand. „Sie sind wie Feuer.”
„Oh. Sie sollten das verbinden.”
„Wozu? Um zu verhindern, dass es sich entzündet?”
Liam leuchtete zunächst sichtbar belustigt auf, dann erlitt er wieder einen unkontrollierten Ausbruch und wand sich, während die Hitze der Energie Ron zurückweichen ließ. „Das war heftig”, brachte er dann hervor, „Ich denke, auch mit Energiedusche war es das ziemlich.”
Da'an trat einen Schritt näher. „Es tut mir leid, dass ich nicht mehr helfen konnte.”
„Danke, Da'an, es war sehr viel wert”, sagte Liam, „Und Ronald wird mich im nächsten Durchgang ja davon abhalten, die blöde Kugel zu öffnen.”
„Notfalls mit Gewalt”, bestätigte Ron.
Der Taelon lächelte sanft. „Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Agent Sandoval?”
„Bitte.”
„Seit wann gehören Sie zum Widerstand?”
Nun, es war wohl offensichtlich, dass Ron dazu gehörte. „Seit Zo'or mehrfach auf Washington geschossen hat und wir Durchgang um Durchgang mehr von seinen Plänen aufgedeckt haben”, erklärte er.
Da'an leuchtete grellblau auf. „Also wollte er tatsächlich auf Washington schießen!”
„Nicht im letzten Durchgang”, widersprach Ron, „aber wir konnten die Kontrolle über die Schleife übernehmen, daher waren die Koordinaten doch im Zielspeicher.”
„Ich verstehe.” Der Taelon machte eine hübsche Handbewegung und legte den Kopf schief. „Welche Pläne hatte er?”, fragte er dann.
„Er hat die anderen Taelons ausspioniert und auch ein wenig sondiert.”
Grellgrünes Flackern zog die Aufmerksamkeit wieder auf sich, Liams Energie hielt sich weniger und weniger an die Form des Körpers. Auch Lili, Ava und Melody kamen jetzt herbei. Der Taelon in Menschenform legte die Hände gegen die Energie des Kimera und schaffte es tatsächlich, das Verflüchtigen noch etwas aufzuhalten.
„Erinnerst du dich daran, Liam”, fragte Melody, „dass ich deine Mutter einmal nach einem Sturz verarztet habe?”
„Ich erinnere mich ... danke.”
„Sie war ein sehr übermütiges, aktives Mädchen mit vielen Narben an den Knien.”
Liams Energie beruhigte sich etwas. „Erinnerst du dich daran, Melody”, fragte er, „dass ich dich verstanden habe, obwohl du dachtest, ich wäre nur ein gewöhnlicher Mensch vom Naraquia-Stamm?”
„Oh ja.” Sie schmunzelte. „Und dann hast du gefragt: Warum? Warum? Warum?”, sagte sie, „Du hast mich auf Dinge gebracht, die mir lange sehr fern lagen.”
„Und dann hast du die Menschen im Grasland bedroht.”
„Ich brauchte Zeit - und du wusstest, dass ich sie haben würde. Es war keine Entscheidung, es war ein ... Zwang der Geschichte.”
Er wirkte jetzt ebenfalls amüsiert. „Und dann hast du diese blutsaugenden Libellen auf mich gejagt und mich zum Urahn der gesamten Menschheit gemacht, der ich schon immer war.”
„Was?”, kam verblüfft von Lili.
Auch Da'an war sichtbar reichlich perplex.
„Liam, Sie sind nicht der Urahn der gesamten Menschheit”, brachte Ava grinsend ein, „Eve stammt nicht von Ihnen ab.”
„Eve?” Melody runzelte kurz die Stirn und glättete sie dann wieder. „Ah, das Baby, das ihr aus der Steinzeit mitgenommen habt.” Sie krümmte sich, als Liam wieder einen Leuchtausbruch hatte, blaues Schimmern drang durch ihre Haut. „Oh weh ... dir geht es ganz schön dreckig.”
Der Kimera leuchtete greller, weniger grün, mehr weiß als zuvor. „Ronald.”
Ron griff nach seinem Arm und ignorierte den brennenden Schmerz. „Ich bin hier.”
„So übel war Ihre Reaktion wirklich nicht”, flüsterte Liam, „Ich bin froh. Sagen Sie es mir.”
„Das werde ich.”
Völlig ohne Form schwebte für einen winzigen Moment eine Wolke aus weißer und grüner Energie innerhalb des Begrenzungsfeldes der Energiedusche, dann verflüchtigte sich das Leuchten dennoch. Liam war tot.
Diesmal war es anders. Dieser Liam war wirklich tot, mit Beginn des nächsten Tages würde Ron einen Liam treffen, der sich an die letzten fünf Tage nicht erinnern konnte.
Ron spürte einen Arm um sich und wandte den Kopf, es war Ava.
„Ich verstehe dich”, sagte sie ganz leise, „Möchtest du gleich zurück?” Er deutete ein Kopfschütteln an. „Dann komm, ich verbinde deine Hände.”

Es war still unter der Kirche. Zu fünft saßen sie um den Tisch, vier aßen von Melodys Eintopf, nur Da'an verständlicherweise nicht. Zu einer anderen Zeit hätte Ron die Kochkunst gelobt, doch jetzt verspürte er nicht die Freude, die dafür nötig wäre. Dazu taten ihm noch seine Hände beachtlich weh, dass er sehr darauf achten musste, wie er den Löffel richtig hielt.
Augur war entsetzt gewesen, als ihm Liams Tod mitgeteilt worden war, und wie im vorigen Durchgang hatte er beschlossen, sich in die Schleife einfügen zu wollen.
Es würde ihm wieder nicht gelingen, aber er versuchte es dennoch.
Lili griff nach ihrer Serviette und putzte sich die Nase.
Melody tippte mit einem Finger gegen ihren bereits leeren Teller und legte den Löffel hinein. „Ronald, darf ich Sie etwas fragen?”
„Fragen Sie.”
„Was verlangte Liam von Ihnen, ihm zu sagen?”
„Dass ich weiß, dass ich sein Vater bin.”
Sie blinzelte verdutzt, Da'an leuchtete blau auf. „Sie sehen ihm nicht ähnlich”, bemerkte Melody, „aber ... das spielt keine Rolle, sein Kimera-Elternteil hatte zweifellos die volle Auswahl aus sämtlichen Allelen.” Sie tippte wieder mit dem Finger gegen den Teller. „Woher stammen Ihre Eltern?”
Da war also die Frage. Das Indiz. „Manila und Hongkong.”
„Ah”, machte Melody, „verstehe.”
Ava legte nun ihrerseits den Löffel in den Teller. „Sie haben sich R'am offenbart”, wechselte sie das Thema, „Weshalb?”
„Weil es keine Konsequenzen hat. Sie erinnern sich, aber er nicht.”
„Was wären die Konsequenzen?”, fragte Lili.
Melody runzelte einen Moment die Stirn. „Ich weiß es nicht. Allgemein wird das, was ich getan habe, als untaelonisch, unwürdig, sogar als Verrat angesehen - allerdings ermöglichte es das Überleben eines Taelons, dessen Energie zur Neige ging.”
„Manche würden es akzeptieren”, sagte Da'an sanft, „keinesfalls aber T'than.”
„Du hast es akzeptiert. Du hast auch Liam nicht verraten.”
„Ich folgte deinem Wort, die Menschen als gleichwertig zu betrachten.”
Ein Lächeln huschte über Melodys Gesicht. „Wenigstens einer ...”
Ron musterte den Taelon in Menschenform. Welche Taelons würden Melody akzeptieren? Ließ sich diese Frage nicht zum Teil möglicherweise bereits beantworten? „Ist das Mutterschiff noch im Quarantänemodus?”, fragte er Melody also.
„Nein, wieso?”
„Was tun die Taelons jetzt? Suchen sie nach Ihnen, Melody?”
Sie sah ihn einen Moment lang nachdenklich an. „Vermutlich. Aber das ist nicht Ihre Frage.”
„Tatsächlich nicht”, gab er zu, „Suchen die Taelons Sie, um Sie zu richten oder um Sie wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen?”
„Sie können mich nicht wieder aufnehmen”, sagte sie, „Die Annahme eines menschlichen Körpers war eine Einbahn.”
„Das meinte ich nicht.”
„Ich weiß. Aber Gemeinschaft ohne Gemeinwesen ist für einen Taelon undenkbar - außer für Da'an.”
War Da'an wirklich so besonders? War er wirklich der einzige Taelon, der ein wenig über den Tellerrand blickte?
Jedenfalls nickte er zu Melodys Erklärung.
Ron legte den Löffel weg und betrachtete kurz die Verbände um seine Hände. Die verbrannte Haut tat nach wie vor sehr weh, auch die Folter wirkte noch nach und er war müde und erschöpft. Jetzt, wo sein Teller leer war, gab es keinen Grund mehr, hier sitzen zu bleiben. „Ich denke, ich werde mich hinlegen”, sagte Ron.
„Gute Nacht”, wünschte ihm Ava, Lili und Melody schlossen sich ihr an.
Da'an sagte: „Schlafen Sie gut, Agent Sandoval.”
Ron stand auf und begab sich ins Gästezimmer. Er hielt sich nicht damit auf, zu versuchen, sich von seiner Kleidung zu befreien, denn mit den verbrannten Händen ginge das keinesfalls. Vorsichtig zog er die Bettdecke zurück, dann streifte er seine Schuhe ab und legte sich auf die herrlich weiche Matratze.

Es war mitten in der Nacht, als Ron wieder erwachte. Das Zimmer hatte zwar natürlich kein Fenster, aber die Leuchtziffern am Wecker sagten deutlich, dass es kurz vor vier war. Rons Hände schmerzten höllisch, zweifellos wohl, weil er sie im Schlaf zu Fäusten geballt hatte. Er schlüpfte unter der Decke hervor und tappte in Socken in den dunklen Hauptraum und von dort in die ebenso dunkle Küche, wo er den beleuchteten Tiefkühlschrank öffnete.
Erbsen - warum nicht? Ron warf die Packung auf den Tisch, setzte sich und legte seine Handflächen auf den gefrorenen Schmerzstiller.
„Hey.”
Er blickte auf, im fahlen Licht aus dem noch immer offenen Tiefkühlschrank erkannte er Ava. „Du bist wach?”, fragte er.
„Offensichtlich.” Sie setzte sich zu ihm und sah auf seine Hände und die Erbsen. „Schmerzen?”
„Offensichtlich”, sagte er, „es geht wieder. Warum bist du wach?”
„Du hast mich geweckt. Ich habe auf dem Sofa geschlafen und die Gästezimmertür ist nicht so leise.”
„Oh. Entschuldige.”
„Macht nichts.”
Es war still. Nur das Summen des Tiefkühlschrankes war zu hören, das jetzt einsetzte, wo die offene Tür die kalte Luft herausließ. Ron hob seine Hände von den Erbsen und wischte mit seinem Ärmel das Kondenswasser weg, das sonst die Verbände durchfeuchten würde, dann legte er die Hände wieder auf die kalte Packung.
Ava verschränkte ihre Finger und lehnte sich etwas zurück.
Etwas im Tiefkühlschrank knackte, vielleicht ein Eiswürfel, der von der warmen Luft antaute.
„Ich könnte das Licht einschalten”, schlug Ava vor.
Ron zog einen Mundwinkel hoch. „Wenn du aufstehen magst ...”
„Mag ich nicht.” Sie blieb sitzen, das Licht blieb aus.
„Melody, Lili und Da'an?”, fragte Ron nach einer Weile.
„Da'an und Melody sind in der Botschaft, Lili ist nach Hause gefahren.”
„Und noch vier Stunden bis zum nächsten Durchgang.” Er seufzte. „Ich überlege, ob ich mich erschießen soll.”
Ava sah ihm in die Augen. „Kannst du machen. Ich mache es nicht.”
„Dann mache ich es auch nicht”, beschloss er, „Wie geht es dir?”
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin müde. Sonst ... ich rätsle, ob Melody vertrauenswürdig ist.” Er sah sie fragend an. „Sie wusste in fast jedem Durchgang von der Schleife”, erklärte sie, „Nur ein Idiot würde uns in dieser Situation in Schwierigkeiten zu bringen versuchen. Aber was tut sie, wenn keine Schleife besteht? Was passiert nächste Woche, nächsten Monat?”
„Ich denke, wir können ihr soweit trauen, dass sie uns, speziell auch Liam, nicht verrät”, sagte Ron, „Und ich meine auch, dass sie sich nicht mit der Synode verbünden kann, weil sie eben ein Taelon in Menschenform ist. Ich glaube ihr durchaus, dass das als Verrat zählt.”
„Ich auch.”
„Am sichersten ist es für alle, wenn wir ihr eine neue Identität machen und sie als Mensch ohne weiteren Kontakt zum Widerstand lebt”, fuhr er fort, „Also lassen wir sie im letzten Durchgang auch nicht hierher.”
„Ich nehme an, so dachte Liam sich das auch”, überlegte Ava, „Er hat sie wohl hierher gelassen, um zu sehen, ob sie mit diesem Wissen etwas anrichtet.”
Ron runzelte die Stirn. „Im ersten Durchgang hat sie Kontakt zur Synode aufgenommen.”
„Ja, aber die Zeit hat nicht gereicht, um zu sehen, ob sie etwas Übles vorhatte.” Ava verzog den Mund. „Sie war immerhin Qiya'lai ausgesetzt und sicher auf der Suche nach dem Gegengift.”
„Bei der Giftwirkung ... mehr als verständlich.” Ron spürte die Gänsehaut über seinen Rücken wandern. „Liam ist jämmerlich krepiert ... mehrmals ... ich wünschte, ich hätte ihm das abnehmen können. Er soll sich erinnern können, bei mir ist es nicht so wichtig.”
„Manchmal gibt es keine Wahl”, sagte Ava.
„Richtig. Manchmal gibt es keine Wahl.” Er starrte auf die Packung Erbsen und seine Hände. „Und das ist manchmal gut und manchmal schlecht.” Die Kälte kribbelte seine Arme hoch, es war unangenehm, aber besser als der Schmerz der Verbrennung. „Was dann?”
„Was dann?”, wiederholte Ava, „Wann?”
„Im nächsten Durchgang. Wir werden Melody nichts sagen und sie irgendwo absetzen, und dann rede ich mit Liam.”
„Lass ihn entscheiden.”
„Ich weiß, wie er entscheidet - für ihn wird es der erste Durchgang sein.”
„Gab es da keine Gelegenheit, ungestört mit ihm zu reden?”
Er seufzte. „Ja, schon, aber erst spät.”
„Dann wirst du eben für eine frühere Gelegenheit sorgen.”
„Werde ich wohl, ja.” Er blickte auf, als er das Geräusch der Lifttüren hörte. „Da ist jemand.” Er erhob sich und huschte zur Küchentür. Seine Augen brannten einen Moment, als draußen das Licht anging, dann erkannte Ron Augur.
Der Hacker blieb verblüfft stehen, als er den Implantanten sah. „Was sitzen Sie denn nachts in der Küche rum?”
„Hände kühlen.”
Augur musterte die Verbände. „Wie ist das denn passiert?”
„Liams Energie.” Ron straffte sich. „Hatten Sie Erfolg?”
Das Gesicht des Hackers verzog sich zu einer missmutigen Fratze. „Nein. Auslesen kann ich, einfügen könnte ich auch, aber ich kriege die Befehlsblöcke nicht übersetzt, das Wörterbuch ist nicht vollständig.” Er warf eine Pizzaschachtel auf den Sofatisch. „Und Melody will ich nicht fragen”, sagte er, „womöglich übersetzt sie mir etwas so, dass ich dann sie in die Schleife packe statt mich.”
„Verstehe.”
„Ich würde ja gerne sagen, dass ich mich in Zukunft mehr mit dem Zeitportal beschäftige, aber ... den Beschluss werde ich dann ja auch nicht mehr wissen.” Er ließ sich auf das Sofa fallen, klappte den Deckel der Pizzaschachtel auf und fragte: „Wollen Sie auch?”
„Melodys Eintopf war reichlich, danke.”
Ava trat neben Ron und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hallo, Augur”, sagte sie, „Ich werde Ron jetzt wieder ins Bett bringen, wenn Sie keine Einwände haben.”
„Hm? Nein, gute Nacht.”
Sie zog Ron mit sich mit ins Gästezimmer und machte die Tür zu. Er sah sie an, schmunzelte und zog die Brauen hoch. „Was denn?”, fragte sie, „Auf dem Sofa kann ich ja nicht mehr schlafen, bei dem Licht.”
Damit hatte sie natürlich recht. Ron schlüpfte, die Füße ohnehin nur in Socken, gleich unter die Decke, Ava zerrte sich erst noch die Freiwilligen-Schuhe von den Füßen, dann schaltete sie das Licht aus und kam auch ins Bett.

 

Ende von Kapitel 10

 

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