Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Blick übers Wasser” von Veria  (Emailadresse siehe Autorenseite),   März 2016
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Liam, Ron und Ava besuchen Irland in der Vergangenheit. Nachdem sie mit einer Begleiterin in die Gegenwart zurückkehren, beauftragt T'than den Mord an Zo'or.
Zeitpunkt: vor 27 Jahren sowie in der Jetztzeit / nach „Blick ins Tal”
Charaktere:  Liam, Ron, Ava
 
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Adventskalenders 2015 geschrieben.
 

 

BLICK ÜBERS WASSER

Kapitel 6

 

Ron kannte kein Lokal in Washington, das so gemütlich klein und persönlich war wie jenes, in das ihn Ava auf den Seychellen geführt hatte. Nichtsdestotrotz war das Essen sehr gut, Ron hatte Lasagne, Ava Spaghetti mit einer Muschelsauce, und auch der Wein konnte sich durchaus sehen lassen.
„Du hast mir erzählt, dass wir essen waren”, ergriff Ava nach einigen Bissen das Wort, „Du hast mir nicht erzählt, worüber wir uns unterhalten haben.”
„Es war nicht sehr ...” Ron starrte einen Moment an ihr vorbei und rekapitulierte die bisherigen Gespräche. „Fast alles, was wir dort angesprochen haben, haben wir auch in einer Zeit, an die du dich erinnern kannst, angesprochen”, sagte er, „Davon ausgenommen ist nur, dass Marty sich von dir immer erklären lässt, wie man Knöpfe annäht, Grasflecken aus Hosen bekommt oder das Flusensieb reinigt.”
„Oh ja, oh ja, das fragt er immer.” Sie schmunzelte. „Seit beide Töchter aus dem Haus sind ist er alleine - und kein Stück auf Hausarbeit vorbereitet. Nur kochen kann er natürlich.”
„Und das ausgezeichnet”, stimmte Ron zu, „Seit wann führt er sein Lokal?”
„Hm. Zehn Jahre oder so. Ich kenne ihn aber erst seit ... fünf, etwa.” Sie runzelte die Stirn und dachte nach. „Damals hat seine ältere Tochter, Maria, auch in Hotels geputzt, und über sie habe ich ihn kennengelernt.”
Ron nahm einen heißen Bissen und hechelte ein wenig, bis er Geschmack statt Schmerz spürte.
„Sie hat dann reich geheiratet, studiert und ein Architekturbüro eröffnet”, erzählte Ava weiter, „Die jüngere Tochter, Anita, ist Krankenschwester auf La Digue.”
„Und deine Familie?”
„Mein Vater trocknet Kokosnüsse, auch auf La Digue. Meine Mutter ist Rezeptionistin in einem kleinen Hotel dort.” Sie sah einen Moment auf die auf ihrer Gabel aufgewickelten Nudeln. „Deine Familie?”, fragte sie dann.
„Zwei Onkel mauern Häuser, eine Tante führt in einem Kino die Filme vor, meine Mutter ist bei der Flughafensicherheit, alle in Manila. Meinen Vater habe ich nie gekannt.”
„Oh. Ist er jung gestorben?”
„Nein, nur ein paar Monate anwesend gewesen und dann wieder nach Hongkong verschwunden.”
Ava blinzelte. „Dass du halber Chinese bist habe ich nicht erwartet.” Er runzelte die Stirn, die Puzzleteile passten alle zusammen, was Liam gesagt hatte, was Melody gesagt hatte, ... - aber er schob den Gedanken fort, das konnte ja doch nicht stimmen. „Worüber denkst du nach?”, fragte Ava.
„Ach, nichts. Mir ist nur ein überraschender kleiner Zufall aufgefallen.” Er nahm eilig einen Bissen Lasagne.
„Ja, das kommt vor.” Sie lächelte. „Die Welt besteht aus Zufällen, und manche davon sind sehr überraschend”, sagte sie, „Dass ich zum Beispiel am Strand einen in einer Zeitschleife steckenden Companionbeschützer anspreche. Möchte nicht missen, was ich seitdem erlebt habe.”
„Ich auch nicht.” Er legte seine Gabel ab. „Mir ist eine Idee gekommen”, sagte er, „Beim letzten Mal gab es zwei verschachtelte Schleifen. Zo'or und Liam hatten die äußere, Liam und ich die innere.”
„Ja, das weiß ich.”
„Aber Zo'or weiß es nicht, ihm ist ein Rätsel, was schief gegangen ist.”
„Ja.”
„Wir könnten ihn in eine kleine Schleife mitnehmen und sehen, was er macht, wenn er glaubt, zeitreisende Verbündete zu haben”, erklärte Ron, „Natürlich würden wir nach dem Ende der kleinen Schleife noch einen Durchgang der großen Schleife anhängen, damit er sich nicht mehr daran erinnert.”
Ava nickte. „Das klingt interessant und könnte sehr informativ werden.”
„Ich werde es Liam nachher vorschlagen”, beschloss Ron, dann widmete er sich wieder seiner Mahlzeit.
Auch Ava beschäftigte sich die nächste Zeit vor allem damit, Nudeln auf die Gabel zu wickeln und dann in den Mund zu stecken, hörbar schmeckte ihr die Muschelsauce sehr gut. Als der Kellner kam, die leeren Teller abzuräumen, bestellte Ron spontan noch ein Stück Erdbeercremetorte und bot Ava ebenfalls eine Nachspeise an. Sie entschied sich für einen großen Eisbecher.
Und dabei blieb es nicht. Es folgte je ein Verdauungsschnaps, danach je ein zweiter, und schlussendlich noch eine kleine Käseplatte. Es schlug immerhin nichts davon dauerhaft auf Hüften, Geldbeutel oder gar die Leber.
Also sprach auch nichts dagegen, auf dem Weg zurück zum Auto bei einem kleinen Stand noch gebrannte Mandeln, Toffee und Zuckerwatte mitzunehmen.
„Zeitschleife im Dezember hat Vor- und Nachteile”, stellte Ava schließlich fest, „Es ist zwar recht kalt in Washington, aber es gibt tolle Leckereien.”
„Das ist wohl wahr.” Ron riss mit den Zähnen etwas von seiner Zuckerwatte ab und hatte prompt eine Flocke davon recht hartnäckig auf der Nasenspitze. Selbst als er die Flocke entfernt und verspeist hatte, fühlte sich seine Nase noch gut klebrig an. „Ich muss mir nachher dringend das Gesicht waschen”, bemerkte er.
„Und ich zum Zahnarzt gehen und überprüfen lassen, ob noch alle Plomben drin sind”, ergänzte Ava, „Diese Toffee-Dinger sind da möglicherweise problematisch.”
Ron lachte herzlich und schüttelte den Kopf. „Nein, bestimmt nicht”, sagte er, „Im letzten Schleifendurchgang werde ich Toffee meiden wie die Pest.”
„Auch wieder wahr.” Sie schob sich einen der süßen Würfel in den Mund und kaute zufrieden. „Man könnte Toffee auch in Kaffee auflösen”, überlegte sie dann, „So beißt man sich keine Plomben aus. Das merke ich mir für nach der Schleife.”
Sie erreichten das Auto und stiegen ein, wobei sie wenig Rücksicht auf die Sitze nahmen - die Alternative wäre gewesen, vor dem Auto stehend im Schnelldurchlauf reichlich Toffee, gebrannte Mandeln und Zuckerwatte zu essen. Im nächsten Durchgang wären die schönen Sitze ja auch wieder sauber.
Wenig später kamen sie, noch immer gut mit Süßigkeiten ausgestattet, wieder unter der Kirche an. Liam lag dick vermummt und in Decken eingepackt auf dem Sofa und schlürfte Tee. „Dr. Belman meint, es liegt daran, dass ich in diesem Durchgang mit nassen Haaren aus dem Haus bin”, sagte er und nieste.
„Gesundheit. Wollen wir hoffen, dass es das ist, dann besteht das Problem im nächsten Durchgang nicht mehr”, sagte Ron, „Möchten Sie Zuckerwatte? Wir haben uns sehr gut ausgestattet.”
„Danke, nein. Ich bin eher versucht, mich zu erschießen.”
„Das kann ich auch nochmal erledigen, wenn Sie es wünschen”, sagte Ron und ließ seinen Skrill aufglühen und zischen.
Liam rollte mit den geröteten Augen. „So verzweifelt bin ich noch nicht! Bis morgen früh werde ich es schon überstehen.”
„Wo sind Augur, Lili und Melody?”, fragte Ava.
„Lili und Melody sind zur Botschaft gefahren, weil Melody sich Da'an offenbaren will - weiß nicht, was es soll, wenn keiner dabei ist, der sich erinnert. Augur schmollt irgendwo, weil niemand sein Kalbsragout wollte.”
„Ah”, machte Ron, „Nun, wir hatten eine Idee für Zo'or.” Liam stellte seine Teetasse ab und sah neugierig auf. „Ich dachte mir, wir starten eine kürzere Schleife, an die er sich erinnern kann, und verhelfen ihm zur Flucht - ohne uns zu zeigen, versteht sich. Mich würde sehr interessieren, was er mit einem mysteriösen zeitreisenden Verbündeten anfängt.”
„Er wird vermuten, dass der mysteriöse Zeitreisende etwas mit seinem Scheitern zu tun hat.”
„Vielleicht”, gab Ron zu, „Das werden wir dann ja sehen. Ava, was machen wir ...”
„Hinsetzen und fertignaschen”, bestimmte sie, „und abwarten, ob Lili und Melody uns dann vielleicht erzählen wollen, wie es mit Da'an lief.”

All die Süßigkeiten schmeckten sehr gut, und auch Augur bekam davon etwas ab, als er mit dem Schmollen fertig war und wieder auftauchte. Liam hustete und schniefte und Ron brachte ihm immer wieder eine neue Kanne kochendes Wasser für neuen Tee, Ava versorgte den knurrenden Magen des Patienten einmal mit Milchreis.
„Ich erinnere mich, Liam”, sagte Ron schließlich, „dass Sie erwähnt haben, den Sicherheitsmechanismus bereits einmal unfreiwillig getestet zu haben. Was haben Sie da gemacht?”
„Ich bin zurück und habe mir angesehen, wie Ha'gel durch Washington gestreift ist.”
„Was hat den Sicherheitsmechanismus ausgelöst?”
Liam seufzte leise, nieste kurz und erklärte dann: „Die Feuertreppe über dem Müllcontainer. Zunächst war ich gut versteckt in meinem Karton mit Augenlöchern, aber dann ist das blöde Ding von Treppe zusammengekracht und Sie und Ha'gel haben mich beide ziemlich verdutzt angesehen, wie ich da mit gebrochenen Knochen und blutigen Schrammen rumliege.”
Es half nichts, Ron musste bei der Vorstellung lachen. „Hat er etwas gesagt? Habe ich etwas gesagt?”
„Sie haben angesetzt, den Notarzt zu rufen”, sagte Liam, „Ha'gel wollte mich kurzerhand erschießen.”
„Also hat er Sie auch auf direkte Sicht nicht als Kimeramischling erkannt.”
„Doch.” Der Kimera grinste schief. „Aber erst, als ich angesetzt habe, mich zu verteidigen. Da wollte er mich dann nicht mehr erschießen.” Er zeigte seine Hände und hell leuchtendes Shaqarava in beiden Handflächen. „Hätte gerne gewusst, was weiter noch passiert wäre, aber da war ich dann zurück im Portal.”
„Sollten Sie wieder einmal die Idee haben, Ha'gel zu beobachten, dürfen Sie mich gerne mitnehmen”, sagte Ron, „Ehrlich gesagt interessiert mich der Kerl nämlich auch, und ich habe nicht den Vorteil, dass ich mich daran aus seiner Sicht erinnere. Meine Sicht ist da recht ... lückenhaft.”
„Das ist wohl wahr.”
„Ich wüsste gerne, wie er auf Lieutenant Beckett getroffen ist.” Er sah Liam auffordernd an.
„Ähnlich, wie es Ihnen ergangen ist”, sagte der Kimera, „Zunächst ein Gespräch per Global, dann das persönliche Treffen.”
„Mit Folgen.”
Liam sah an sich herunter und schmunzelte. „Voilà.” Danach nieste er zweimal und schnäuzte ausgiebig.
„Du solltest besser heiß duschen oder so”, schlug Augur vor, „Ich bin dir nicht mal böse, wenn du das stundenlang machst, ich muss das dank der Zeitschleife ja eh nicht zahlen.”
Liam winkte ab. „Wenn ich dusche habe ich nachher bloß nasse Haare.”
„Ich frage mich, was Ha'gel über mich dachte”, überlegte Ron.
„Er hielt Sie für kompliziert”, sagte Liam, „und fragte sich tatsächlich, was die Taelons zu Ihren Geheimnissen sagen würden.”
„Tja, das ist nun durchaus, was ich mich inzwischen nicht mehr fragen muss - foltern würden sie mich.” Ron seufzte leise. „Und dabei hatte ich damals ...” Er runzelte die Stirn.
Woher wusste Liam das? Woher wusste Liam, was Ha'gel über Ron gedacht hatte?
„Liam”, sagte er fest, „Woher wissen Sie das?”
„Was?”
„Was Ha'gel über mich gedacht hat.”
„Äh, warum denn nicht? Ich bin sein Kind, ich habe sein Gedächtnis.” Zweimaliges Niesen folgte, danach wurde die Teetasse geleert und auf dem Tisch abgestellt. Ron starrte ihn durchdringend an, was dem Kimera offenbar erst nach einer ganzen Weile auffiel. „Was?”, fragte Liam dann mit einem Gesicht, aus dem beachtliche Verwirrung sprach.
„Er hat Beckett danach getroffen”, sagte Ron, „ist es nicht so?”
„Äh, ja?” Liam kratzte sich am Kopf.
„Ha'gel hat drei Leute übernommen. Randy McDonald, James Reid, und mich - nach mir keinen mehr.” Es dauerte einige Momente, bis es zu Liams Verstand durchsickerte - und dann sah der Kimera nicht überrascht aus, sondern eher ertappt. „Sie wussten es und es waren Ihnen die Konsequenzen klar”, stellte Ron fest.
Der Kimera nieste und nickte dann.
„Und nichts gesagt.”
„Nein. Ich befürchtete ... einiges.”
„Und Sie haben es nicht in einer kleinen Schleife ausprobiert?”
„Ich hätte Ihre Reaktion dennoch gewusst - und wenn es eine üble gewesen wäre, hätte sich alles geändert.”
„Verstehe.” Ron neigte knapp den Kopf. „Was ich gesagt habe, als wir aus der Steinzeit zurückkamen, hat Sie verunsichert.”
„Äh, ja, auch.”
„Tut mir leid. Das war mir natürlich nicht bewusst.”
Liam nieste.
„Gesundheit.” Ron stand auf, ging in die Küche und kehrte mit einer Kanne voll mit kochendem Wasser zurück. Er füllte Liams Tasse und legte einen Teebeutel hinein.
„Danke”, sagte der Kimera, „und so übel ist Ihre Reaktion ja doch nicht. Ich bin froh darüber.”
Ron schmunzelte. „Ja, ich auch.” Er setzte sich und musterte Liam. „Ich verstehe jetzt einiges, was mir zuvor sehr unklar war.”
„Was?”
„Sie sagten: Ich suche mir selbst aus, wessen Freund ich bin.” Er lächelte. „Jetzt weiß ich, warum.”
Liam nieste, einmal, zweimal, dreimal.
„Gesundheit”, sagte Ron, „Langsam sehe ich mich genötigt, Sie ins Bett zu bringen, gut zuzudecken und Ihnen Wadenwickel zu machen.”
„Bloß nicht!„ Liam rollte seine geröteten Augen. „Aber zu schlafen wäre bestimmt keine schlechte Idee, ich denke, das mache ich.” Er raffte die Decken zusammen, griff nach der Teetasse und schlurfte ins Gästezimmer, dessen Tür dann hinter ihm zuknallte.
„Ron?”, fragte Ava.
„Tja”, sagte Ron, „ich bin Vater.”
„Das habe ich verstanden”, sagte sie, „und?”
„Und nichts.” Er sah zu Augur, der sich recht ungeniert an den Toffees bediente. „Sie wussten davon auch die ganze Zeit schon.”
Der Hacker lachte laut auf. „Natürlich - das ist alles direkt vor einer meiner Überwachungskameras passiert.”
Ron starrte ihn an. „Wie bitte?”
„Keine Sorge, war alles jugendfrei, mehr Bienchen und Blümchen als Rambazamba.” Augurs Grinsen fiel in sich zusammen. „Danach hat Ha'gel allerdings die Kirche zerlegt und Boone übel zugerichtet.”
Ron nickte langsam. „Ja, davon weiß ich, und Zo'or hat ihn dann getötet.” Er zögerte einen Moment. „Ich habe ihm dabei zugesehen und nichts dagegen unternommen.”
„Schämen Sie sich was.”
„Das tue ich, Augur.”
„Ach ...”
„Ich war der Ansicht, gegen die Taelons sei nur von innen anzukommen”, erklärte Ron, „also versuchte ich, Zo'ors Vertrauen zu erlangen. Das gelang natürlich nicht - zum einen weil der Kerl sowieso niemandem traut, und natürlich auch, weil Liam mich regelmäßig wie ein Trottel aussehen hat lassen.” Augur steckte sich amüsiert einen weiteren Toffeewürfel in den Mund. „Das verwundert mich allerdings überhaupt nicht”, ergänzte Ron, „da Liam ja all die Zeit mein Gedächtnis hatte.” Ein weiterer Würfel Toffee landete in Augurs grinsendem Mund.
Ava nahm dem Hacker kurzerhand das Säckchen weg. „Verlachen Sie seinen Irrtum nicht so”, tadelte sie ihn, „und essen Sie nicht alles weg - Sie können sich an das süße Erlebnis dann ohnehin nicht mehr erinnern.”
„Das sagen Sie jetzt - aber vielleicht nimmt mich Liam ja doch noch in die Schleife auf.”
„In seinem Zustand kommt er bis morgen früh nicht zum Portal”, widersprach Ava, „und das kann er nur von dort machen.”
„Ich könnte das Portal hierher bringen lassen.”
„Nur zu”, sagte sie, „machen Sie das. Aber ich esse die Toffee-Dinger!„
Augur sah einen Moment lang fast wehmütig auf das Säckchen, dann sprang er auf und zückte sein Global. „Charlie? Du musst mir was transportieren.” Er stapfte Richtung Garage von dannen.
Ron sah ihm nach und wandte sich dann schmunzelnd zu Ava. „Danke.”
„Keine Ursache. Du hast genug nachzudenken, da brauchst du dich nicht von ihm noch ärgern zu lassen.”
Er schüttelte den Kopf. „Ich meine nicht, dass ich da groß nachdenken muss”, sagte er, „Vor der ersten Schleife haben wir einander das Leben äußerst schwer gemacht, das ist nicht zu leugnen, aber auch definitiv vergangen.”
„Gut. Dann schlage ich ein paar Partien Schach vor.”

Während der fünften Partie öffnete sich die Lifttüre und Lili und Melody kamen heraus - und das nicht alleine, sie brachten Da'an mit. Ron schlug noch schnell Avas Läufer, der seinen König bedrohte, und stand dann auf. „Ist das klug, Lili?”, fragte er.
„Da'an war bereits hier”, sagte die Pilotin.
„Aber er hat mich und Ava nicht hier gesehen.”
„Liam sagte, das geht in Ordnung.”
„Liam ist in seinem derzeitigen Zustand nicht zurechnungsfähig.”
„Oh”, sagte sie, „ist es schlimmer geworden?”
Ron trat einige Schritte näher zu ihr. „Das ist kein Schnupfen mehr, sondern beinahe ein Delirium.”
„Ich hoffe, es liegt wirklich nicht am Qiya'lai”, sagte Melody.
„Hat Liam sich dem ausgesetzt?”, war Da'an mit einem Mal besorgt.
„Möglicherweise.” Ron wies auf die Sofastühle. „Setzen Sie sich, Da'an, Melody. Lili, auf ein Wort, bitte.” Die Pilotin folgte ihm in die Küche. „Wie ist es gelaufen?”
„Sobald sie Da'an überzeugt hatte, dass sie ist, wer sie ist”, erzählte Lili, „war er geradezu begeistert. Wussten Sie, dass Da'an Ma'els Kind ist?”
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Also gibt es bei Taelons doch auch Familienbande.”
„Offensichtlich.” Sie nahm ein Glas aus dem Geschirrschrank, füllte es mit Wasser und nippte daran. „Es erscheint dann allerdings unwahrscheinlich, dass weitere uns bekannte Taelons miteinander verwandt sind - so wie Da'an vorhin benimmt sich da keiner auch nur annähernd.”
„Das sagt nichts aus - ich habe vor wenigen Stunden festgestellt, dass es auch Familien gibt, die sich nicht familiär verhalten.”
„Ah? Wen denn?”, fragte sie.
Er runzelte die Stirn. Wusste sie denn davon nicht? „Ich meine Liam und mich.”
Beinahe ließ Lili ihr Wasserglas fallen. „Oh!„
„Sie wussten es nicht?”
„Doch”, gab sie zu, „aber es überrascht mich, dass Liam es Ihnen gesagt hat.”
„Hat er nicht. Er hat allerdings ...” Ron suchte einen Moment lang die richtige Formulierung. „Er hat in seinem wirren Zustand Dinge gesagt, die mir zusammen mit einer Äußerung von Melody in Irland genug Anhaltspunkte waren.”
Lili musterte ihn konzentriert.
„Ich nehme es ihm nicht übel”, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage, „und ich verstehe auch, warum er es nicht sagen wollte.”
„Ah.”
Er machte einen Schritt zur Seite und wies aus der Küche hinaus in den Hauptraum. „Kommen Sie, Lili. Es sind auch noch gebrannte Mandeln und Toffees da.”
Die Pilotin ging voraus, setzte sich und naschte sogleich von den Mandeln. Ron setzte sich Ava gegenüber und sah auf das Schachbrett - Ava hatte seine Dame geschlagen und lehnte nun mit verschränkten Armen und breit grinsend in den Sofakissen: Matt in drei Zügen, unabwendbar.
Und das ihm! Das fünfte Spiel hatte er hiermit verloren, sein Implantat gegen ihre Erfahrung.
Sie war im Schachclub von Victoria, hatte sie ihm gestanden, und spielte durchaus auf erstaunlich hohem Niveau.
Ron tippte seinen König an, worauf dieser umfiel.
Da'an betrachtete das Schachbrett interessiert. „Agent Sandoval, würden Sie mich dieses Spiel lehren?”, fragte er.
„Ich hoffe, Sie haben Zeit, Da'an - es ist ein sehr komplexes Spiel.”
„Die habe ich, Agent”, sagte er, „beginnen Sie bitte.”

Ron öffnete seine Augen, streckte eine Hand aus und tippte seinen Wecker an, dessen nervtötendes Piepsen sofort verstummte. Es war halb fünf und er fühlte sich alles andere als ausgeschlafen, aber die Zeitschleife hatte ein Ende und er wollte noch wissen, wie T'than auf Zo'ors Entkommen reagierte.
Energisch stemmte er sich aus seinem Bett hoch, wanderte ins Badezimmer, wo er sich rasierte, kämmte und die Zähne putzte, und begab sich dann an den Kleiderschrank, wo selbstverständlich bereits ein Anzug außen an der Schranktür bereit hing. Knapp eine Minute später war er angezogen und tappte in Socken in den Vorraum und von dort aus in die Küche.
Ava saß dort, in ihren Händen der stärkste Kaffee, den Ron je gerochen hatte, und dennoch hingen ihre Augenlider und Mundwinkel gleichermaßen, was mit der schwarzsilbernen Freiwilligenkluft stark kontrastierte.
„Du musst nicht mitkommen”, sagte der Implantant, „Es spricht nichts dagegen, dass ich die Meldung nur mit Lili mache.”
„Ich komme mit”, murmelte Ava, „Ich bin angezogen, gib mir nur ein paar Minuten für den Kaffee, dann bin ich halbwegs lebendig.”
Ron nickte, öffnete den Kühlschrank und starrte hinein. Wenig später setzte er sich beutelos Ava gegenüber an den Küchentisch. „Hast du gut geschlafen?”
„Zu kurz - aber das ist offensichtlich.” Sie gähnte verhalten und nahm einen großen Schluck Kaffee. „Aber dein Sofa ist ganz ordentlich.”
„Ich hätte dir auch das Bett überlassen.”
Sie winkte ab. „Quatsch. Ich bin keine Prinzessin und Erbsen sind mir auch egal.” Sie schlürfte kurz. „Das heißt, ganz egal nicht. Es gibt in den Hotels immer wieder Gäste, die Essen mit aufs Zimmer nehmen und dann überall hinpatzen. Da waren auch schon Erbsen dabei. Aber meistens ist es Ketchup.”
Ron nickte verstehend.
„Das habe ich jetzt wenigstens zwei Wochen, plus Schleifenzeit und Steinzeitreise, nicht”, sagte sie, „und es gefällt mir. Ich fühle mich beinahe versucht, Vollzeit beim Widerstand einzusteigen.”
„Beinahe?”
„Stählerne Nerven braucht man schon”, sagte sie, „und ich weiß nicht, wie stählern meine Nerven auf Dauer wirklich sind.” Sie schlürfte wieder Kaffee und drehte diesmal die Tasse auch ganz um. „So, fertig.” Sie stand auf, damit war ersichtlich, dass sie auch die kniehohen Stiefel bereits trug.
Ron schlüpfte in Schuhe und Mantel und half Ava in den ihren, dann verließen sie seine Wohnung und liefen die Treppe hinunter. Der Concierge grüßte knapp, Ava und Ron erwiderten den Gruß ebenso knapp, hasteten hinaus und eilten zum nächsten Portal, das glücklicherweise nicht weit weg war.
Ava warf Stiefel und Mantel ins Gebüsch, zog die dünnen Freiwilligenschuhe, die man eigentlich wohl eher als bessere Antirutschsocken bezeichnen müsste, an und heftete sich die Implantatsatrappe an den Hals, dann stellte sie sich neben Ron ins Portal und sie reisten zum Mutterschiff.
„Morgen”, kam begleitet von einem Gähnen von Lili, die sie neben dem Portal erwartet hatte.
„Guten Morgen, Lili”, sagte Ron, „Etwas Neues zu bedenken?”
Sie schüttelte den Kopf und überreichte ihm die unbenutzte Giftkugel. „Nein, überhaupt nichts Unerwartetes. Augur hat Zo'ors Flucht schon inszeniert.”
„Gut, dann gehen wir.” Ron ging voraus, die beiden Frauen folgten ihm auf die Brücke. Ava verdrückte sich sogleich an eine Konsole und tat möglichst beschäftigt, so dass Synodenführer in Vertretung T'than nur Ron und Lili eiskalt von oben herab ansah.
„Ich nehme an, Sie sind gescheitert.”
„Dem ist bedauerlicherweise so, ja”, sagte Ron, „Wir konnten Zo'or zwar besuchen, es war uns allerdings nicht möglich, ihn dem Gift auszusetzen. Als wir schließlich eine Möglichkeit gefunden hatten, war er bereits geflohen.”
„Weshalb sind Sie dann hier? Verfolgen Sie ihn!„
„Er befindet sich nicht mehr auf der Erde, T'than.”
T'than starrte Ron so durchdringend an, dass diesem ganz anders wurde. „Freiwillige, rufen Sie Agent Lindsay”, sagte er mit komplett durchgefrorener Stimme.
„Ja, T'than.” Ava gehorchte, rief den Beschützer an und teilte ihm T'thans Befehl mit. „Er ist unterwegs, T'than”, sagte sie dann.
Da wusste Ron schon, was ihm blühte - Lindsay war ja definitiv ein Spezialist für Folter und hatte sich schon in der letzten Schleife in dieser Art betätigt, auch wenn sich weder Ron noch er daran erinnern konnten, Liams Erzählung war erschreckend bildlich gewesen.
Ava zückte ihre Dienstwaffe - sie, ausgerechnet sie, musste Ron in einen Verhörraum und dann noch Lili in eine Zelle bringen. Sie tat es, es war ohnehin nur noch knapp eine halbe Stunde, bis der nächste Schleifendurchgang begänne.
Ron wurde auf eine Liege geschnallt und wartete zunächst. Er zählte mit und schätzte die Zeit, nach wohl schon zwölf Minuten kam Lindsay an. Hätte er doch noch irgendwo etwas Zeit verplempert, Ava eine zweite Tasse Kaffee getrunken, irgendetwas ...
Lindsay überprüfte die Einstellungen des Schmerzgenerators, dann initialisierte er das Gerät und fünf Nadeln bohrten sich in Rons Schädel. Liam hatte erzählt, dass er ihn einmal so durch die Mangel gedreht angetroffen hatte - schon die Schmerzen jetzt waren beinahe unerträglich, dass Ron sich vor der Aktivierung ernsthaft fürchtete.
Was, wenn Ron einfach die Wahrheit erzählte? Die Wahrheit aus dieser Schleife jedenfalls.
Warum hatte er bei T'than Zo'ors Flucht gemeldet? Das Ergebnis war durchaus vorhersehbar gewesen.
Und jetzt lag er da und Lindsay löste den ersten Impuls aus, dass Ron aus vollem Hals schrie.
„Ich sage es, ich sage es”, rief Ron.
„So?”, fragte Lindsay, „Das bezweifle ich. Ich bin mir sicher, sie haben eine elaborierte Lügengeschichte parat.” Er löste noch einen Impuls, einen stärkeren aus. Ron wollte sich winden, aber er konnte sich keinen Millimeter rühren.
„Ich gehöre zum Widerstand, ich habe die erste Kugel dort abgeliefert und Zo'or aus dem Gefängnis geholt, um eine Befreiung durch die Taelons vorzutäuschen.”
„Das schreit doch wohl nach Strafe.” Noch ein Impuls, noch stärker. Ron schrie auf. Es war absolut nicht vorstellbar, dass dieses Gerät 25 Stufen hatte - das waren zweifellos die drei niedrigsten gewesen.
„Kincaid ist nicht tot”, platzte Ron heraus, „Der Widerstand hat ihn.”
Lindsay musterte ihn und hob die Brauen. „Wo hält der Widerstand ihn und Zo'or fest?”, fragte er.
Das konnte Ron dann doch nicht sagen. Obwohl er in einer Schleife war, ein Widerstandsversteck preisgeben konnte er nicht. „Ich weiß es nicht, ich habe beide nur übergeben.”
„Lügner!”, fauchte Lindsay und löste eine Serie an Impulsen aus, dass Ron nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf stand - und eher wünschte, keinen mehr zu haben.
Die Türmembrane öffnete sich, Ava stand darin. „Sir, T'than erwartet Sie auf der Brücke.”
Lindsay sah bedauernd auf das Foltergerät, dann verließ er den Raum.
„Tut mir leid, ich konnte nicht schneller wieder her”, sagte Ava, „Geht es?”
„Die Nadeln spüre ich gar nicht mehr.” Ron seufzte. „Die Impulse waren übel.”
Sie trat zur Kontrolle und runzelte die Stirn. „Ich fürchte, dafür brauche ich Lindsays oder ein übergeordnetes Kennwort.”
„Da'an.”
„Richtig.” Sie zückte ihr Global und rief den Taelon an.
„Ms. Wilson?” Da'an war hörbar erstaunt.
„Da'an, Ron braucht Ihre Hilfe”, sagte sie und schwenkte kurz das Global, dass Ron ins Sichtfeld kam, „Ich brauche Lindsays oder ein übergeordnetes Kennwort, um ihn zu befreien.”
„Es tut mir leid, Ms. Wilson, ich kann ihnen so nicht helfen. Ich werde aber dafür sorgen, dass er entkommen kann.”
Ava schob das Global langsam zu. „Er hat einfach aufgelegt.”
Hinter ihr betraten Lindsay und auch T'than den Verhörraum. „Freiwillige, erklären Sie sich!”, verlangte der Taelon.
„Ich handle auf Anweisung von Da'an”, sagte Ava fest.
„Sie haben der taelonischen Hierarchie zu folgen”, schnauzte Lindsay sie an, „Verschwinden Sie, ich muss hier arbeiten.”
„Ja, Sir”, sagte sie und wandte sich zum gehen - und dann drehte sie sich um, hob ihre Dienstwaffe und schoss.
Der Schmerz war ... vergleichsweise überschaubar.

 

Ende von Kapitel 6

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang