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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Zo'or macht eine gefährliche Entdeckung, Sandoval erlebt eine bittere Überraschung und Jemen erholt sich
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Zo'or, Tom Brix, Liam Kincaid, Da'an, Jemen Tyler, Hendriks, Sandoval, T'than
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 9

 

Als sich die Tür zu seinem Gefängnis öffnete, wandte sich Zo'or erwartungsvoll um. Doch statt des Mannes, der ihn hier eingesperrt hatte, trat nun ein wesentlich jüngerer Mensch in den Raum. Er wirkte unsicher, und er sah auch nicht auf. Offenbar sollte er nur eine Nachricht überbringen.

Zo'or musterte ihn ungeduldig, als sein Gegenüber stumm blieb. „Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?”

„Ich bin hier, um Ihnen zu helfen.”

„Helfen? Mir?” wiederholte der Taelon überrascht.

Der junge Mann sah jetzt auf und strich sich das blonde Haar aus der Stirn. Er lächelte scheu. „Ich bin der Einzige, der das vermag”, sagte er leise.

Sein Verhalten war dem Synodenführer irgendwie suspekt, aber vielleicht war dies einer von Sandovals Männer, die sein Beschützer eingeschleust hatte, um ihn zu befreien. In diesem Fall würde er großzügig darüber hinwegsehen, daß man ihm diesen merkwürdigen Burschen geschickt hatte. Schon strebte er der Tür zu, als ihm dieser den Weg versperrte und anschließend die Tür ins Schloß zog.

„Was hat das zu bedeuten?” fragte Zo'or verwirrt. „Sollten wir diesen Ort nicht schnellstmöglichst verlassen?”

Tom Brix schüttelte den Kopf. „Ich kann Sie nicht gehen lassen”, flüsterte er. „Aber ich kann Ihnen helfen.” Er richtete seinen Blick auf Zo'or und fixierte ihn. In seinen Pupillen gleißte ein seltsames Licht auf. Zo'or wich vorsichtshalber zurück. „Ich verstehe nicht”, sagte er und vergrößerte die Distanz zwischen ihnen. Was ging hier vor sich? Argwöhnisch beobachtete er den Menschen und versuchte aus seinem Verhalten schlauzuwerden. „Ich verlange eine Erklärung.”

Der junge Mann hob seine Hand und streckte sie Zo'or entgegen. „Ich habe eine Botschaft von Ma'el für Sie.”

Die Augen des Taelons weiteten sich überrascht. „Eine Botschaft?” wiederholte er. „Das ist völlig ausgeschlossen.”

„Dann allerdings... kann ich nichts für Sie tun”, sagte Tom und wandte sich der Tür zu. „Vielleicht ist es für Sie auch nicht so wichtig...”

„Warten Sie!” Zo'or kam eilig hinter dem Stuhl hervor. „Ich bin unter Umständen gewillt, Ihren Worten Glauben zu schenken”, räumte er ein, „wenn Sie mir erklären können, wie Sie an Ma'els Nachricht gekommen sind.”

„Sie wurde meinen Vorfahren anvertraut. Es war Ma'els Wunsch, daß sie in einem geeigneten Augenblick überbracht wird. Ich wurde allein zu diesem Zwecke geboren.”

Zo'or betrachtete ihn und versuchte die Falle dahinter zu erkennen. Er war von jeher mißtrauisch, was die Menschen und ihre Ambitionen anging. Allerdings konnte ihm dieser hier wohl kaum gefährlich werden. Er trug ja nicht einmal eine Waffe bei sich. „Wenn Sie der Bote sind, warum haben Sie dann solange gewartet?” wollte er wissen.

Der junge Mann näherte sich ihm langsam. „Ma'els Informationen bringen Ihnen all die Antworten auf die Fragen, die sich die Taelons seit ihrer Ankunft auf diesem Planeten gestellt haben”, flüsterte er geheimnisvoll. „Allerdings können diese Informationen verheerende Auswirkungen auf das Gemeinwesen haben, wenn sie nicht den allgemeinen Erwartungen entsprechen. Sie wurden ausgewählt, weil Sie der Führer der Taelons sind. Es steht allein Ihnen zu, darüber zu entscheiden, wie mit der Botschaft verfahren werden soll.” Tom wußte genau, welche Worte er wählen mußte, um seinen Köder schmackhaft zu machen. Nun mußte Zo'or ihn noch schlucken.

Doch in Zo'or brannte bereits die Neugierde. Er witterte eine Chance, sich gegenüber der Synode einen Vorteil zu verschaffen. Wenn Ma'el das Bewußtsein eines Menschen benutzte, um eine Nachricht zu überbringen, so mußten seine Informationen sehr brisant sein. „Ich erkläre mich einverstanden”, sagte er und hob nun auch seine Hand, um sie in dem Augenblick zurückzuziehen, als sich ihre beider Handflächen gerade berühren wollte. „Ich befürchte, es gibt da noch ein Problem”, sagte er. Trotz seiner Neugierde hatte er nicht seine mißliche Lage vergessen, in der er sich nach wie vor befand. Dieser junge Mann war am Ende vielleicht alles, was zwischen ihm und dem Tod stand.

Sein Gegenüber sah ihn irritiert an. „Was für ein Problem?”

„Was nützt mir die Botschaft Ma'els, wenn ich nicht weiß, ob ich diesen Ort lebend verlasse”, sagte der Taelon scheinheilig. „Immerhin wurde ich entführt. Wenn wir in Kontakt treten, muß ich mein Bewußtsein vom Kollektiv trennen. Danach kann ich die Informationen nur an einem... ganz bestimmten Taelon weiterreichen.” Er musterte sein Gegenüber, um herauszufinden, ob ihm dieser die Lüge abkaufte.

Tom lächelte. Aber es war ein falsches Lächeln, das jeden anderen Menschen gewarnt hätte. „Vertrauen Sie mir, Zo'or. Ich werde dafür sorgen, daß Sie diesen Ort wieder verlassen.”

Daraufhin hob Zo'or seine Hand. „Ich bin bereit”, sagte er und fügte in Gedanken hinzu: Ma'el, wie immer auch deine Botschaft lauten mag, ich werde es sein, der triumphiert. Ich allein. Ich... Ein Laut der Überraschung entsprang seinen Lippen, als sich ihre Handflächen berührten, und blankes Entsetzen zeigte sich jetzt in seinen menschlichen Zügen. „Nein!”

„Ich sagte Ihnen doch, daß Sie diesen Ort verlassen werden”, flüsterte Tom, und das Glitzern in seinen Pupillen verstärkte sich. „Nur leider werden Sie dann nicht mehr leben.”

„Nein!” schrie Zo'or in Todesangst auf. Etwas nahm Besitz von seinem Körper, schien ihn von innen her zu verbrennen. Verzweifelt suchte er nach einer Möglichkeit, die Verbindung zu unterbrechen, während er sich vor Schmerzen krümmte. Doch die mentale Fessel war unerbittlich, schien mit ihm zu verschmelzen.

Der junge Mann weidete sich an dem Anblick des gepeinigten Taelons, genoß die wilde Agonie in seinen Augen. „Dies ist Ma'els Wunsch”, hauchte er beinahe entzückt. „Genießen Sie Ihren Tod, Zo'or.”

 
* * *
 

Gerade hatte er sich noch in einem ausweglosen Kampf mit der Bestie befunden, als eine Druckwelle über das imaginäre Plateau schoß, ihn packte und mit sich riß. Sie katapultierte ihn in eine graue Leere, in der er nichts wahrnehmen konnte außer seinen eigenen Gedanken. Furcht stieg in ihm auf. Furcht vor dem Unbekannten, Furcht vor dem, was als Nächstes kommen würde. Wo war Da'an? Wo war sein Halt, den er versprochen hatte? Sehnsüchtig hielt er Ausschau. Aber da war nichts. Sah so das Ende aus? Er war müde, so unendlich müde...

Als er sich resigniert seinem Schicksal hingab, fühlte er plötzlich, wie Da'an aus der unendlichen Leere zu ihm emporschnellte. Wie ein hilfloses Kind, das sich verlaufen hatte und nun seine Rettung nahen sah, eilte Liam ihm entgegen. Da'an streckte seine mentale Hand aus und legte sie ihm auf die Schulter. Es war eine jener freundschaftlichen Geste, der er sich in der Realität schon lange nicht mehr bediente, aber in diesem Augenblick war sie für Liam alles...

Er schnappte nach Luft, als er jäh in die Wirklichkeit zurückkehrte, so als hätte ihn jemand in eiskaltes Wasser getaucht. Für einen Augenblick war er völlig desorientiert. Doch dann nahm er die vertraute Umgebung der Botschaft wahr. Er befand sich wieder in der Realität, und er hockte neben Da'an auf dem Boden. Jetzt setzte auch seine Erinnerung wieder ein. Sie hatten eine mentale Verbindung zu Jemens Bewußtsein aufgenommen, und er hatte mit einer fremden Macht gekämpft. Aber waren sie erfolgreich gewesen? Sein Blick fiel auf seine Hand, die noch immer Da'ans Finger umschlungen hielt. Hastig, so als sei es ihm irgendwie peinlich, ließ er den Taelon los und rückte ein wenig ab.

Da'an schien dies nicht zu bemerken. Er wirkte sehr ernst, während er Jemen musterte, ernster, als es Liam jemals zuvor gesehen hatte. Er wollte nach dem Grund fragen, wagte aber nicht, die Stille zu durchbrechen. Schließlich wurde für ihn das Schweigen unerträglich. „Habe ich versagt?” fragte er bedrückt. „Ist es meine Schuld, Da'an?”

Da'an schaute flüchtig zu ihm auf. „Nein, Liam, Sie haben nicht versagt”, erwiderte er mit unverändert ernstem Gesicht. „Ihr mutiger Einsatz hat Jemen gerettet.”

„Aber sie ist immer noch bewußtlos”, wandte er ein.

„Sie hat die ganze Zeit über gegen die fremde Macht angekämpft. Ihr Geist muß erst begreifen, daß er befreit ist.”

Liam sah unsicher von seinem Companion zu der jungen Frau. Sie mußten doch irgend etwas unternehmen. Sie konnten doch nicht so einfach darauf warten, daß Jemen wieder erwachte. „Vielleicht...”, setzte er und brach dann doch wieder ab.

Da'an hob seine Hand und legte sie sanft auf Jemens Stirn. Im nächsten Augenblick riß sie erschrocken die Augen auf und rang nach Luft.

„Es ist vorbei”, sagte der Taelon behutsam. Die Ernstheit in seinen Zügen milderte sich etwas.

Sie starrte ihn an, ohne so recht zu begreifen, was um sie herum vorging.

Da'an legte seine Hand auf ihre Schulter und fühlte, wie ein Beben durch ihren Körper ging. In plötzlicher Panik wollte sie sich aufrichten, doch er kam ihr zuvor, zwang sie sanft, aber bestimmt, zurück. „Es ist vorbei”, wiederholte er beruhigend. „Es hat jetzt keine Macht mehr über Sie.”

Sie lauschte in sich hinein und wirkte noch verwirrter. „Ich verstehe nicht...”

„Sie werden schon bald die Klarheit finden. Aber zunächst müssen Sie sich ausruhen, damit Sie wieder zu Kräften kommen.”

Jemen richtete sich langsam auf, und diesmal hielt er sie nicht davon ab. „Ich muß nicht sterben”, sagte sie. Erleichterung zeigte sich in ihrer Miene. „Das verdanke ich Ihnen, Da'an.” Ihr Blick fiel auf Liam, der sie ein wenig verlegen betrachtete. „Und auch Ihnen, Major...” Auf ihrer Stirn bildeten sich nachdenkliche Falten. „Ich weiß zwar nicht, wie Sie es gemacht haben...”

„Es war schon ein Stück Arbeit”, sagte Liam mit einem schiefen Grinsen. Er wollte damit die Situation etwas auflockern, aber Jemen war meilenweit von einem Lächeln entfernt. Gerade noch war ihr Geist von einem fremden Willen beherrscht gewesen, und der Tod schien ihr der einzige Ausweg. Und nun würde sie weiterleben können. „Ist es jetzt für immer... vernichtet?”

Da'an sah sie an und schüttelte nach einer Weile den Kopf. „Nein. Aber es hat jetzt keine Macht mehr über Sie. Ma'els Botschaft hat den Platz eingenommen, der für sie vorbestimmt war.”

„Es kann also jederzeit wieder von vorn anfangen”, stellte sie nüchtern fest.

„Sie haben bereits einmal dagegen angekämpft, Jemen. Jetzt werden sie es kontrollieren können.”

„Und Ma'els Botschaft?” fragte sie. „Ich habe keinerlei Empfindungen darüber. Ich weiß nicht einmal, ob sie vorhanden ist.”

„Sie wird sich Ihnen mitteilen, nicht in der Form, wie ich sie wahrnehmen konnte, sondern auf unbewußter Ebene.”

„Aber wie lautet diese Botschaft?” Liam sah aufmerksam zu dem Taelon hinüber. Er fragte sich, ob Da'an dieses Geheimnis preisgeben würde.

Da'an hob in anmutiger Weise seine Hand. „Ma'els Botschaft ist an die Menschen gerichtet”, verkündete er dann.

„An die Menschen?” wiederholte Liam verblüfft. „Und was sagt er uns?”

Der Taelon wiederholte nun exakt die Worte, die er von dem Abbild seines Mentors erfahren hatte.

Abermals war es der junge Beschützer, der reagierte, während sich Jemen benommen durchs Gesicht fuhr. „Er wollte die Menschheit auf die Ankunft der Taelons vorbereiten”, sagte er überrascht. „Er konnte sicher nur einen geringen Teil von ihnen beeinflussen, aber er hoffte, daß es ausreichend sein würde, wenn der Tag kam.”

Da'an nickte bedächtig.

„Im Kreis der Widerstandsmitglieder könnten sich solche Leute befinden”, fuhr Liam aufgeregt fort. „Sie werden unbewußt von Ma'els Botschaft beeinflußt.”

Jemen sah beide beinahe unwillig an. „Diese Nachricht hat nichts mit dem Zorn zu tun, den ich verspürte”, sagte sie heftig. „Ich wollte die Taelons töten.”

„Ma'els Botschaft wurde im Laufe der Jahrhunderte verzehrt”, versuchte Da'an zu erklären. „Das Ursprüngliche wurde verdrängt und durch den Wunsch, alle Taelons zu vernichten, ersetzt.” Als er bemerkte, daß auch Liam ihn jetzt anzweifelte, beschloß er, ein wenig ausführlicher zu werden. „Ma'el verabscheute die Gewalt. Er suchte immer nach Alternativen, die nicht so grausam waren. Er experimentierte vor allem auf spiritueller Ebene. Bei einigen Planeten, die wir für unseren Kampf gegen die Jaridians... annektierten, verwendete er eine sehr alte Methode der Suggestion, um das Opfer gefügiger zu machen. Die Synode lehnte diese Technik jedoch ab und verlangte modernere und effektivere Mittel. Der Cybervirus ist eine Weiterentwicklung von Implantaten, wie wir sie schon vorher verwendeten.”

„Sie wollen also damit sagen, daß sich Ma'el ganz gezielt einige Menschen herauspickte und sie manipulierte?” fragte Liam ungläubig.

Da'an hob die Hand. „Keine Manipulation, Liam. Wenn Sie Ma'els Worten aufmerksam gefolgt sind, dann werden Sie erkennen, daß er keine Aggression gegen die Taelons schürte. Er pflanzte in jene Menschen den Keim einer friedlichen Verständigung, in der Hoffnung, daß daraus eines Tages eine Pflanze erwuchs, die stark genug war, allen Gefahren zu trotzen.”

„Und was lief schief?”

„Ma'el konnte nicht voraussehen, wie sich die Menschheit weiterentwickelte. Die Geschichte Ihrer Spezies zeigt, daß sie über ein sehr hohes Aggressionspotential verfügt. Blutige Auseinandersetzungen, Kriege, Tod und Zerstörung begleiteten jene Menschen, die Ma'els Botschaft erhielten. Das, was er ihnen eingegeben hat, lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Ihr Verstand konnte es vielleicht nicht mit der Realität im Einklang bringen. Daraufhin schufen sie sich ihre eigenen Erklärungen und übernahmen die Gewalttätigkeit aus ihrer Umgebung. Mythen und Fabelwesen entstehen durch die Phantasie der Menschen, die ihre Ängste in Bilder wandeln, um besser damit umgehen zu können. Jede Generation empfand, interpretierte und veränderte die Botschaft, so daß am Ende eine gänzlich neue Botschaft entstand, die die ursprüngliche verdrängte.”

„Ich habe immer gefühlt, daß da etwas ist”, sagte Jemen leise. „Es war nicht greifbar, aber es bedrohte mich. Es war wie ein dunkler Schatten, der mir folgte. Als die Taelons auf die Erde kamen, war ich überzeugt, daß sie zu einer Gefahr werden würde. Plötzlich bekamen meine Gefühle einen Sinn. Ich schloß mich den Dark Blue an, um gegen diese Bedrohung zu kämpfen”, erzählte sie weiter, „doch die Gewalt war es, die mich zurückschrecken ließ. Der Einzige, bei dem ich Verständnis und Geborgenheit fand, war Di'mag. Er erkannte die dunkle Macht in mir. Und er warnte mich auch davor, mich jemals einem anderen Taelon gegenüber zu öffnen.”

„Kein Wunder, daß Sie nicht mehr Sie selbst waren”, sagte Da'an mitfühlend. „Di'mag hat Ihnen die Augen geöffnet über das, was in Ihrem Bewußtsein war. Seine mentale Verbindung zu Ihnen, das La'ha'shii, konnte die zerstörerische Kraft beherrschen. Durch seinen Tod verloren Sie jedoch die Kontrolle darüber. Sie konzentrierten all Ihre Wut auf den vermeintlichen Mörder - auf Zo'or und damit auf alle Taelons.”

„Das, was mit Jemen passiert ist, könnte das auch mit den anderen Menschen geschehen, die Ma'els Botschaft empfingen?” fragte Liam plötzlich.

„Möglicherweise”, erwiderte Da'an und sah ihn aufmerksam an. Sein Beschützer wirkte plötzlich sehr beunruhigt. „Was haben Sie, Liam?”

„Zo'or”, sagte er gedrückt. „Ich befürchte, er befindet sich in Lebensgefahr.”

 
* * *
 

Die Tür öffnete sich, und Hendriks betrat den Raum. Mit einem Blick erfaßte er die Lage. Er sah einen sich vor Schmerzen krümmenden Taelon und einen jungen Mann, der mit einem diabolischen Grinsen auf dem Gesicht die Pein genoß, die er erzeugte. „Verdammt, Tom!” schrie er ungläubig. „Was tust du da?”

Toms Aufmerksamkeit wurde für einen Augenblick abgelenkt, eine Zeitspanne, die einem Menschen kaum die Möglichkeit gegeben hätte, zu reagieren, doch Zo'or gelang es, die mentale Verbindung zu unterbrechen. Die Kraft seiner Anstrengung ließ ihn zurücktaumeln, und er prallte gegen die Wand.

Hendriks sprang vor, packte Tom am Kragen und schüttelte ihn heftig. „Ich hatte dir gesagt, daß du die Finger von ihm lassen sollst!” rief er wütend.

Tom war so überrumpelt, daß er nicht einmal Anstalten machte, sich zur Wehr zu setzen.

„Wenn ich dich noch einmal in seiner Nähe sehe, breche ich dir sämtliche Knochen. Hast du mich verstanden?” Hendriks ließ ihn los und schubste ihn in Richtung Tür. „Und jetzt verschwinde!”

„Wir sollten ihn besser töten, als durch das Portal zu schicken”, preßte Tom keuchend hervor. „Diese ganze verdammte Taelonbrut gehört ausgemerzt...”

Hendriks scharfer Blick brachte ihn zum Schweigen, und schließlich gehorchte er, wenn auch widerwillig, und verließ den Raum. Der Dark Blue-Anführer warf einen Blick auf den halb besinnungslosen Taelon, der langsam an der Wand heruntergerutscht war und nun auf dem Boden hockte. Er fragte sich, ob Tom ihn ernsthaft verletzt hatte. Doch dann zuckte er mit den Achseln. „Was soll's”, murmelte er. „Sie werden sich auch über einen toten Taelon freuen.”

 
* * *
 

Da'an erfaßte sofort die Bedeutsamkeit von Liams Worten und erhob sich rasch. „Sie haben recht. Wir sollten jetzt keine Zeit mehr verlieren.”

Jemens Blick fuhr zwischen ihnen hin und her. „Was ist mit Zo'or?”

Liam wandte sich ihr zu. „Zo'or wurde entführt”, sagte er und sah sie eindringlich an. „Die Vermutung liegt nahe, daß die Dark Blue dahinterstecken. Sandoval ist gerade dabei, ihr Versteck aufzuspüren, aber da er sich bisher noch nicht gemeldet hat, ist er wohl noch nicht fündig geworden.”

„Ich kann Sie hinführen”, erklärte sie sich sofort bereit.

„Sie sind sicher, daß Sie sich kräftig genug fühlen?” fragte Da'an, und seine Hände bewegten sich aufgeregt.

„Es ist nicht erforderlich, daß sie mitkommt”, warf Liam ein.

„Oh, doch!” Jemen mühte sich auf die Beinen. „Wir haben nämlich keine andere Wahl.” Sie schwankte, und nur Da'ans beherztes Zugreifen bewahrte sie vor einem Sturz. Besorgt musterte er sie. „Sie müssen sich ausruhen.” Er führte sie zu dem Sessel, der vor Liams Arbeitsplatz stand. Gehorsam ließ sie sich nieder und atmete tief durch. „Mir ist nur ein bißchen schwindelig”, murmelte sie.

„Da'an hat recht”, sagte Liam und trat zu ihnen. „Sie helfen uns nicht, wenn Sie unterwegs schlappmachen. Was ist das für ein Versteck? Und wie kommen wir am besten hinein?”

„Es ist ein alter Militärbunker”, erklärte sie. „Oberhalb der Erde gibt es einen kleinen Gebäudekomplex. Aber er dient eigentlich nur der Ablenkung. Wenn es dort zu Kampfhandlungen kommt, verschwindet die ganze Truppe durch einen Fluchttunnel.”

„Dann werden wir eben auch diesen Tunnel benutzen”, sagte Liam.

„ICH... werde dort hineingehen”, betonte sie und sah ihn fest an. „Allein. - Man würde Sie doch sofort töten, weil Sie ein Companion-Beschützer sind”, setzte sie hinzu, als er widersprechen wollte. „Ich gehörte dieser Gruppe einmal an, und deshalb ist das Risiko für mich auch geringer.”

Seine Augen verengten sich ein wenig, doch dann hob er einlenkend die Hand. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir diskutieren darüber, wenn wir vor Ort sind.”

„Da gibt es nichts zu diskutieren, Major.” Aber er hatte sich schon abgewandt. „Ich bereite das Shuttle vor”, sagte er und verließ eilig Da'ans Büro.

Jemen starrte ihn verärgert nach. „Typisch Mann”, knurrte sie leise.

„Seien Sie unbesorgt, Jemen”, sagte Da'an. „Major Kincaid ist auch ein fähiger Mitarbeiter.” Er kehrte in die Mitte des Raumes zurück und hob die Pistole auf, die dort noch immer auf dem Boden lag. „Sie werden Ihre Waffe benötigen”, sagte er und reichte sie an die junge Frau weiter. Nachdenklich betrachtete sie ihre Pistole. „Die Vorstellung, daß mein eigener Zorn, mein Hass, dieser dunklen Macht die Kraft gab, um über mich zu herrschen, erschreckt mich.”

„Sie waren sehr tapfer und mutig, als Sie sich der Bedrohung stellten. Daß es schließlich doch noch zu diesem glücklichen Ende kam, ist auch Ihr Verdienst, Jemen. Das sollten Sie nicht vergessen.”

„Aber ich bin doch schuld daran”, begehrte sie auf. „Ich habe es selbst ausgelöst. Vielleicht wäre es niemals ausgebrochen, wenn ich nicht...” Sie brach ab und seufzte unglücklich auf.

„Sie dürfen sich nicht so quälen”, sagte Da'an und betrachtete sie voll Mitleid. „Es trifft Sie keine Schuld. Betrachten Sie es als eine Verkettung unglücklicher Umstände. Ma'el hatte niemanden schaden wollen, als er seine Botschaft an Ihre Ahnen weiterreichte. So wie auch Ihre Vorfahren keine andere Wahl hatten, als sein Vermächtnis mit ihrer eigenen Realität im Einklang zu bringen. Ihnen wurde ein Erbe aufgezwungen, dem Sie sich nicht entziehen können. Sie müssen nun lernen, damit umzugehen.”

„Ja”, murmelte sie. „Ich bin dazu verdammt, mit der Gewißheit zu leben, daß ein Teil meines Bewußtseins von einer gewalttätigen Macht vereinnahmt wurde, die nur danach trachtet, Tod und Verderben über andere Lebewesen zu bringen.” Sie schaute auf und sah ihn mit einer seltsamen Mischung aus Verbitterung und Resignation an. „Ich fürchte mich nicht davor, gegen diese dunklen Gefühle anzukämpfen. Aber wie lange werde ich diesen Kampf bestehen? Wie lange, Da'an?”

Da'an schwieg bekümmert. Er konnte ihr nicht die Antwort geben, die sie sich erhoffte. Die Zukunft würde zeigen, ob sie stark genug war. „Wann immer Sie meine Hilfe benötigen, ich werde für Sie da sein”, versprach er.

„Das Shuttle ist startklar.” Liam war zurückgekehrt. In der Hand hielt er eine Kampfjacke, die er an Jemen weiterreichte. „Die sollten Sie besser anziehen. Und dann lassen Sie uns aufbrechen. - Da'an”, er wandte sich an den Taelon, „Ich denke, es ist besser, wenn Sie zum Mutterschiff fliegen.”

Da'an nickte abwesend.

„Lassiter wird Sie begleiten. Er ist bereits informiert.”

Jemen erhob sich nun. Sie mußte sich am Schreibtisch festhalten, als sie ein erneuter Schwindel packte. Abermals atmete sie tief durch.

„Wie fühlen Sie sich?” erkundigte sich der Taelon fürsorglich.

„Schon besser.” Sie wagte ein paar vorsichtige Schritte und spürte, wie ihre alte Kraft langsam wieder zurückkehrte. Während sie die Jacke wechselte, ruhte Da'ans Blick auf ihr. Liam fühlte, wie sich etwas tief in seiner Magengrube verkrampfte. Würde sich Da'an auch um ihn so sorgen, wenn es darauf ankam? Er wußte, seine Eifersucht war im Grunde fehl am Platz, aber sie nagte an ihm. Es verletzte ihn, daß der Taelon für Jemen mehr empfinden könnte als für ihn. „Können wir?” fragte er ungeduldig.

Jemen nickte ihm zu und trat dann zu dem Taelon. „Sie haben soviel für mich getan”, sagte sie. „Danke.” Sie formte den Taelongruß. „Leben Sie wohl, Da'an!”

Da'an erwiderte ihren Gruß. „Ich sage nicht Lebwohl, Jemen. Ich sage Aufwiedersehen, denn ich hoffe, daß Sie zurückkehren werden.”

Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Lassen wir das Schicksal entscheiden.” Dann folgte sie Liam. Nach wenigen Schritten hielt sie jedoch inne.

„Da'an?”

„Ja?”

„Hätten Sie es getan?” Sie wandte sich um und sah ihn an.

Er gab keine Antwort.

„Hätten Sie mir geholfen, meinem Leben ein Ende zu setzen?” fragte sie jetzt ganz direkt.

„Nein”, sagte er leise und senkte den Blick. „Verzeihen Sie mir, Jemen.”

Die junge Frau atmete tief durch. „Ich muß Sie um Verzeihung bitten, Da'an. Ich habe sehr viel von Ihnen verlangt. Aber ich hoffe, daß Sie verstehen, daß mir keine andere Wahl blieb. In diesem Augenblick war es die einzige freie Entscheidung, die ich noch hatte.”

Ein letztes Mal trafen sich ihre Blicke. Dann verließ Jemen das Büro.

 
* * *
 

Sandovals Leute huschten lautlos über den Platz zu der leerstehenden Fabrikhalle hinüber und bezogen Stellung. Sie alle verfügten über Nachtsichtgeräte, so daß sie sich trotz der Dunkelheit mühelos orientieren konnten. Der Asiate verfolgte ihre Bewegungen vom Shuttle aus. Aufmerksam studierte er die visuellen Aufnahmen, die von den Helmkameras übertragen wurden. Seine Truppe hatte genaue Anweisungen von ihm erhalten, aber wenn es die Situation erforderte, mußte er sehr rasch umdenken und Alternativen anwenden. Seine Strategie war so ausgelegt, daß er das Versteck der Dark Blue gleichzeitig von vorn und von hinten angreifen wollte. Dabei kam es ihm und seinen Männern zugute, daß er die Gebäude genau kannte. Als er und Hendriks sich zusammentaten, um das Jaridian-Portal aufzubauen, hatte er ihm dieses Grundstück zur Verfügung gestellt. Er besaß mittlerweile eine ganze Reihe diverser Immobilien, deren Erwerb einzig und allein solchen Unternehmungen diente. Bei dem Vorbesitzer hatte es sich um eine sehr junge Investment-Gruppe gehandelt, die den Bau einer großen Textilfertigungsstraße plante. Bei der Sanierung der bestehenden Fabrikhalle stellte sich jedoch heraus, daß sie sich bei den Kosten verkalkuliert hatten. Um nicht ganz in den finanziellen Ruin zu geraten, waren sie gezwungen, das Objekt unter Preis zu verkaufen. Sandoval hatte sofort zugegriffen. Die Lage des Grundstückes war geradezu ideal für seine Pläne. Abseits genug, um Neugierige davon abzuhalten, herumzuschnüffeln, und gleichzeitig nah an der Stadt, um den Transportweg kurz zu halten.

Sandoval wandte sich dem zweiten Team zu, das sich auf einem niedrigen Nebengebäude postiert hatte. Es befand sich vor Kopf der ansonsten freistehenden Halle, so daß sie sowohl die Vorder- als auch die Hinterfront überwachen konnten. Sollte das Unmögliche geschehen und die Widerstandskämpfer Sandovals Netz durchbrechen, würden sie dennoch nicht weit kommen. Sein Befehl diesbezüglich war klar und deutlich: Eine Flucht mußte unter allen Umständen vereitelt werden. Damit wollte er verhindern, daß seine Beteiligung an den Dark Blue bekannt wurde. Bei seinem Deal mit Hendriks hatte er zwar darauf bestanden, daß niemand aus der Widerstandsgruppe erfuhr, wer das technische Equipment für die Errichtung des Portals zur Verfügung stellte, aber wer konnte schon mit Sicherheit sagen, daß sich Hendriks auch daran gehalten hatte.

„Wir sind bereit, Agent Sandoval”, meldete der Anführer des Sturmtrupps.

Sandoval betrachtete die grafische Darstellung des Gebäudes. Wenn sie ihren Angriff starteten, mußte er einen durchschlagenden Erfolg haben. Die Widerstandskämpfer durften nicht einmal den Hauch einer Chance bekommen, sich zu formieren und zurückzuschlagen. Und vor allem mußte gewährleistet sein, daß Hendriks daran gehindert wurde, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Die Möglichkeit, daß man Zo'or bereits durch das Portal geschickt haben könnte, ignorierte er hartnäckig.

„Sir?” brachte sich Ivanek in Erinnerung. „Wir warten auf Ihr Zeichen!”

Sandoval warf dem Mann auf dem kleinen Monitor einen nachdenklichen Blick zu. Bei der ganzen Unternehmung gab es ein Handikap, und das machte ihm zu schaffen. All die Informationen, die er über das Gebäude besaß, die möglichen Schwachpunkte, waren Hendriks ebenso bekannt. Und wenn dieser einen Angriff befürchtete, würde er sich darauf vorbereitet haben.

„Sir! Wir sollten nicht mehr länger warten”, drängte der Freiwillige, „sonst besteht die Gefahr, daß sie uns entdecken.”

Sandoval atmete tief durch und nickte ihm dann zu. „Greifen Sie an!” befahl er.

Eine halbe Minute später ertönten mehrere Explosionen. Gebannt verfolgte der Agent die Bilder, die von den Helmkameras der Freiwilligen übertragen wurden. Die Männer stürmten gleichzeitig von vorn und von hinten in das Fabrikgebäude und schwärmten aus. Trotz ihrer Eile gingen sie routiniert vor. Auf dem Weg zur Fertigungshalle sicherte die erste Gruppe die einzelnen Korridore, während die zweite in den Keller und ins Obergeschoß vorstieß.

Sandovals Blick fuhr zwischen den einzelnen Übertragungen hin und her. Es irritierte ihn, daß seine Männer auf keine Gegenwehr stießen. Wo waren die Widerstandsmitglieder? In welcher Ecke hatte sie sich verkrochen? Doch er sah nur seine eigenen Leute, die herumliefen und die einzelnen Räume durchsuchten und dabei mehr als einmal verwundert mit den Schultern zuckten. Mittlerweile hatten sie die Fertigungshalle erreicht. Durch die halb demontierte Fertigungsanlage war sie unübersichtlich und reich an Versteckmöglichkeiten. Es war der einzige Ort, den sie noch nicht durchsucht hatten. Sandoval spürte, wie ihn die Nervosität packte. Irgend etwas stimmte da nicht. Hendriks würde doch niemals so dumm sein und sich hier verstecken, wo sie praktisch in der Falle saßen.

Seine Männer wagten sich behutsam und zugleich rasch vorwärts, jede Deckung nutzend. Kurze Zeit später meldete sich Ivanek, und er bestätigte Sandovals insgeheime Befürchtung. „Sir, hier ist niemand. Weder hier in der Halle, noch im Obergeschoß oder im Keller.”

Jetzt hielt Sandoval nichts mehr in dem Shuttle. Hastig eilte er zu dem Fabrikgebäude hinüber.

„So wie es aussieht, wurde dieser Unterschlupf schon vor geraumer Zeit von den Widerstandsleuten verlassen”, empfing ihn der Anführer der Freiwilligen.

Ungläubig sah sich der Agent um. „Sie müssen etwas übersehen haben!” rief er ungeduldig. „Einen versteckten Zugang oder ähnliches. Finden Sie es!”

„Sir! Wir haben etwas entdeckt!” rief in diesem Augenblick einer der Freiwilligen aufgeregt. Schnell folgten ihm die Männer in den Keller. Der Freiwillige deutete auf eine Tür, die hinter einem alten Metallschrank versteckt gewesen war. Sandoval fühlte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten, als er den freigelegten Raum betrat.

„Ein Portal”, sagte der Freiwillige hinter ihm überflüssigerweise. „Ich schätze, sie sind uns entwischt.”

 
* * *
 

Schweigend steuerte Liam das Shuttle durch die Nacht. Da ihm Jemen keine exakten Koordinaten geben konnte, mußte er zwischendurch immer wieder auf die Kartographien aus dem Computer zurückgreifen und ihre Flugbahn anpassen. Im rückwärtigen Teil saßen Jemen und zwei Männer aus Da'ans Sicherheitsteam. Liam, der hin und wieder einen Blick über die Schulter zurückwarf, bemerkte die aufmerksame Angespanntheit der Sicherheitsleute, während Jemen völlig in ihre Gedanken versunken schien. Worüber sie wohl nachdachte? „Es wundert mich, daß Sie das Versteck der Dark Blue kennen, obwohl Sie doch kein Mitglied mehr sind”, bemerkte er nach einer Weile. Sie überflogen gerade einen Wald, und deshalb mußte er sich nicht so sehr auf seine Anzeigen konzentrieren.

Jemen schreckte aus ihrer Versunkenheit auf, schwieg aber.

„Das ist doch eigentlich ziemlich riskant für diese Organisation. Immerhin arbeiten Sie jetzt für die Taelons.”

„Sie wissen es nicht... schätze ich.”

Liam sah sie begriffsstutzig an. „Daß Sie bei den Taelons arbeiten?”

„Daß ich ihr Versteck kenne. Sobald die Sicherheit eines Standortes nicht mehr gewährleistet ist, wird er gewechselt. Das war wenigstens zu meiner Zeit so üblich. Ich glaube kaum, daß sie etwas daran geändert haben.”

„Ja, aber...”

„Mein Bruder hat mir den neuen Unterschlupf verraten”, erklärte sie. „Er gehört zu den Dark Blue. Und genau wie ich trägt er Ma'els Botschaft in sich. Aber im Gegensatz zu mir hatte er niemals Bedenken, von einer fremden Macht gelenkt zu werden. Er hat es sogar gutgeheißen.”

„Ihr Bruder”, wiederholte er nachdenklich. „Sie standen mit ihm also die ganze Zeit über in Kontakt?” Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. „Wieso hat er Sie eigentlich nicht als Verräterin angesehen? Sie hatten sich doch von den Dark Blue abgewandt.”

„Er war davon überzeugt, daß ich eines Tages zu ihnen zurückkehren würde.” Jemen dachte an ihre Begegnung mit Tom auf dem Mutterschiff der Taelons. Im Nachhinein wirkte diese Erinnerung seltsam schemenhaft. Sie hätte nicht mehr mit Sicherheit sagen können, über was sie mit ihm gesprochen hatte. Lediglich die Wegbeschreibung zum Versteck und seine genauen Anweisungen waren klar und deutlich vorhanden.

„Er muß von Ihnen sehr überzeugt sein, wenn er ein derartiges Risiko eingeht. Geschwisterliche Bande werden das wohl kaum bewerkstelligen.”

Jemen wandte mißmutig ihren Kopf zur Seite und starrte auf das Display, das sich neben ihrem Sitz befand. „Sie mißtrauen mir noch immer, nicht wahr?”

„Sagen wir es mal so: Ich traue nicht diesem Etwas, das noch immer in Ihrem Bewußtsein herumspukt. Was ist, wenn es plötzlich wieder ausbricht?”

„Da'an sagte doch, daß ich es jetzt kontrollieren kann.”

„Und wenn er sich irrt?”

„Leider kann ich Ihnen keine Garantie geben”, erwiderte sie abweisend. „Entweder Sie vertrauen mir, oder Sie ziehen das Ding alleine durch.” Sie musterte erneut die graphische Darstellung auf dem Display. „Wir sind bald da. Sehen Sie die Lichtung dort in nordöstlicher Richtung. Landen Sie dort! Wir werden uns zu Fuß dem Versteck nähern müssen, andernfalls riskieren wir, daß wir entdeckt werden.”

„Verstanden”, sagte Liam und wandte sich wieder seinen Kontrollen zu. Er verringerte ihre Flughöhe, bis das Shuttle dicht über den Baumkronen dahinflog. Dann drosselte er die Geschwindigkeit. Als sie die kleine Lichtung erreichten, schaltete er die Suchscheinwerfer ein, um einen geeigneten Landeplatz ausfindig zu machen.

„Verdammt, machen Sie die Scheinwerfer aus!” platzte es aus Jemen heraus. „Oder wollen Sie, daß man uns gleich entdeckt?”

„Können Sie mir mal verraten, wie ich sonst landen soll!” gab er gereizt zurück.

„Na, wofür haben Sie denn Ihre Anzeigen? So schwierig kann das wohl kaum sein.”

Liam brummte etwas in sich hinein, schaltete aber gehorsam die Lichter aus. Das Shuttle setzte hart auf und schüttelte sie durcheinander. Er erwartete, daß sie darauf mit einer spöttischen Bemerkung reagierte, aber Jemen war schon von ihrem Platz aufgesprungen. Sie stellte sich hinter ihn, um den beiden Sicherheitsleuten nicht im Weg zu sein, während sie ihre Ausrüstung zusammensuchten. Gespannt starrte sie durch das virtuelle Cockpitfenster. Sie kann es wohl kaum erwarten, dachte Liam spöttisch. Kopfschüttelnd deaktivierte er den Antrieb und öffnete das Shuttle.

„Hat hier jemand einen Kompaß dabei?” fragte Jemen plötzlich.

Einer der beiden Sicherheitsmänner streckte seinen Arm vor und deutete auf seine Uhr. „Da ist auch ein Kompaß integriert. Wenn Sie mir sagen, in welche Richtung wir gehen müssen, kann ich Sie führen.”

Sie nickte ihm zu. „Okay. Wir müssen uns zunächst nordöstlich halten, bis wir auf einen Bach stoßen”, erklärte sie. „Wir folgen seinem Lauf bis zu einer scharfen Biegung. Von dort aus ist es nicht mehr weit.” Sie betrachtete ihn abschätzend. Sein Blick wirkte offen und ehrlich, und das gefiel ihr. Er schien nicht zu der Sorte Männer zu gehören, die erst zuschlugen und dann überlegten. „Es wäre nett, wenn ich Ihren Namen wüßte... Damit ich weiß, wie ich Sie ansprechen soll.”

Der Mann zeigte ein sympathisches Lächeln. „Winsloe. Gordon Winsloe”, stellte er sich vor. „Und mein Kollege heißt Nils Peltzer.”

„Schön, Gordon Winsloe”, sagte sie. „Dann gehen Sie mal voran. Und falls Sie wissen wollen, wie ich heiße... Jemen Tyler.”

Mit einem etwas verkniffenem Gesichtsausdruck verließ Liam das Shuttle. Ihm folgten die beiden Sicherheitsmänner und Jemen. Er fühlte sich auf eine seltsame Art ausgegrenzt, so als hätte Jemen das Kommando übernommen und ihm damit eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Nun - er würde zur gegebenen Zeit die Dinge wieder richtigstellen. Schließlich war sie völlig unerfahren, was derartige Rettungsaktionen betraf.

Das Shuttle schloß sich, und damit versiegte auch die einzige Lichtquelle. Plötzlich war es stockfinster um sie herum. Der Himmel hatte sich zugezogen und kündigte Regen an. Ein kühler Wind kam auf und ließ sie unwillkürlich frösteln. Irgendwo in der Nähe raschelte es, und der Ruf eines Käuzchens ertönte.

„Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich meine Taschenlampe benutze”, bemerkte Winsloe humorvoll.

„Wenn sie nicht gerade wie ein Scheinwerfer leuchtet”, erwiderte sie schlagfertig. Langsam setzten sich die Gruppe in Bewegung. Winsloe voran. Ihm folgten Jemen und Liam, und den Abschluß bildete Peltzer. Sie verließen die Lichtung und betraten den Wald. Hohes Farnkraut und dichtes Unterholz erschwerten ihnen den Weg. Mehr als einmal stolperten sie in der Dunkelheit, obwohl jetzt auch Peltzer seine Taschenlampe hervorgeholt hatte und ihnen leuchtete. Als Jemen auf einem glitschigen Ast ausrutschte und hinzufallen drohte, griff Liam beherzt zu. Er rechnete fest damit, daß sie seine Hand unwillig abschüttelte, aber statt dessen lachte sie kurz auf. „Bei Nachtwanderungen habe ich immer gekniffen. Das habe ich jetzt davon.”

„Vielleicht sollten wir doch besser jeder eine Taschenlampe benutzen”, schlug er vor.

„Ich glaube, das wäre gar nicht so verkehrt.”

Nun kamen sie auch zügiger voran. Hin und wieder blieb Winsloe stehen, um einen Blick auf den Kompaß zu werfen. Doch meist mußte er ihre Richtung nur geringfügig anpassen und auch nur dann, wenn er sie um besonders dichtes Gestrüpp herumführte.

„Sie sagten doch, das Versteck sei ein alter Militärbunker”, bemerkte Liam, als sie über einen mächtigen, umgefallenen Baum klettern mußten. Winsloe stand oben auf dem Stamm, um ihnen hinüberzuhelfen. „Da gibt es doch bestimmt eine Zufahrtsstraße.”

„Das ist richtig.” Jemen bemühte sich, Fuß zu fassen, rutschte an der glatten, feuchten Rinde aber immer wieder ab.

„Geben Sie mir Ihre Hand!” rief ihr Winsloe zu.

„Wäre es da nicht besser gewesen, die Straße zu benutzen?” fragte Liam, der neben ihr stand.

„Schon möglich. - Verdammt!” Jemen rutschte erneut ab.

„Wir hätten uns viel Zeit und Mühe erspart.”

Peltzer drängte ihn kopfschüttelnd zur Seite, packte Jemen am Hosenbund und schob sie hoch, bis Winsloe auch ihre andere Hand ergreifen und sie zu sich hochziehen konnte. „Die Straße wird doch sicher überwacht.” Er deutete einladend auf den Baum. „Kommen Sie, Major?”

„Wir müßten eigentlich schon in der Nähe des Baches sein”, sagte Jemen, als sie auf der anderen Seite angelangt waren. „Oder wir sind weit langsamer vorangekommen, als ich dachte.”

„Wir sind schätzungsweise bisher eine Meile gelaufen”, meinte Liam.

Winsloe gab ihnen ein Zeichen, still zu sein. Dann lauschte er angestrengt. „Ich glaube, ich höre etwas”, sagte er nach einer Weile. „Klingt wie das Geräusch von Wasser.” Er setzte sich in Bewegung, und sie folgten ihm rasch. Plötzlich stoppte er abrupt, und Jemen rannte fast in ihn hinein. „Da ist der Bach”, flüsterte er. „In welche Richtung geht es nun?”

Sie deutete nach links.

Winsloes Taschenlampe folgte ihrem Arm. Das Unterholz auf dieser Seite des Baches war nicht mehr so dicht. Prüfend machte er einige Schritte. „Geben Sie acht”, warnte er die anderen. „Der Boden ist ziemlich morastig.” Tatsächlich versanken sie stellenweise bis weit über die Knöchel in dem Schlamm, so daß sie nur sehr mühsam vorwärts kamen.

In Liam stiegen langsam Bedenken auf, daß sie das Versteck der Widerstandsleute rechtzeitig erreichten, bevor Sandoval auftauchte. Sie waren schon viel zu lange unterwegs. „Winsloe! Warten Sie!” rief er. Die kleine Gruppe stoppte. „Das hat keinen Sinn. Wir müssen uns auf der anderen Seite einen Weg suchen.”

Winsloe leuchtete mit seiner Taschenlampe hinüber. „Da ist ziemlich viel Gestrüpp”, meinte er skeptisch.

„Aber allemal besser als dieser Morast hier.” Liam trat an die Böschung des Baches und starrte auf das dunkle Gewässer.

„Warten Sie, Major!” rief der Sicherheitsmann. „Wir sollten...” Doch Liam hatte schon den ersten Schritt gemacht. Sein Bein versank bis zum Knie im Wasser. „Verflucht!” rief er erschrocken und zog das Bein hastig wieder zurück.

„...erst einmal überprüfen, wie tief es ist”, beendete Winsloe seinen Satz.

„Ja, das habe ich auch bemerkt”, gab Liam verkniffen zurück. Während er das Wasser aus seinem Stiefel schüttete, suchten Winsloe und Peltzer nach einem geeigneten Übergang. Jemen ersparte sich eine Bemerkung. Die Stimmung zwischen ihr und Kincaid war ohnehin nicht die Beste. Da mußte sie es nicht noch zusätzlich forcieren. Sie stellte sich etwas abseits und wartete darauf, daß es weiterging.

Die beiden Sicherheitsmänner fanden eine geeignete Stelle, die es ihnen ermöglichte, ohne nasse Füße auf die andere Seite des Baches zu kommen, und so konnten sie schließlich ihren Weg fortsetzen.

 
* * *
 

Als Da'an die Brücke betrat und T'than im Kommandosessel sitzen sah, fühlte er eine seltsame Befremdung in sich aufsteigen. „Wie ich sehe, hat dir die Synode das Kommando übergeben.”

„Kommissarisch”, entgegnete der Kriegsminister widerstrebend. „Die Synode ist davon überzeugt, daß Zo'or zurückkehren wird.”

„Und du?” fragte Da'an.

T'than erhob sich und machte einige Schritte auf seinen Artgenossen zu, bevor er sich wieder abwandte und die Hände auf den Rücken verschränkte. „Du kennst meine Meinung bezüglich Zo'ors Führung”, sagte er ausweichend. „Mehr als einmal hat er bewiesen, wie wichtig es ihm ist, seine Position zu stärken, und das ungeachtet dessen, ob es für unser Volk, für unsere Zukunft gut ist.”

„Wenn Zo'or seinen persönlichen Ambitionen den Vorrang gibt, warum steht dann die Synode noch immer hinter ihm?”

T'than warf ihm einen Blick über die Schulter zu. „Es steht mir nicht zu, das Urteilsvermögen der anderen zu kritisieren. Nach Quo'ons Dahinscheiden brauchten wir jemanden, der seinen Platz einnahm. Eine Position, die dir zugestanden hätte, Da'an, wenn du noch über die gleiche Stärke verfügt hättest wie zu Beginn unserer Mission. Aber du bist ins Wanken gekommen und hast Sympathie für eine Spezies entwickelt, die uns in jeder Hinsicht unterlegen ist.”

„In jeder Hinsicht? Das wage ich zu bezweifeln. Schon Ma'el...”

„Ma'el!” fiel ihm der andere Taelon heftig ins Wort. „Ma'el war ein Träumer, ein Phantast, der seine Augen vor der Wirklichkeit verschloß. Es ist grotesk, wenn ich bedenke, daß unsere Streitkräfte im Kampf gegen die Jaridians immer mehr aufgerieben werden, während wir hier an einem sinnlosen Unterfangen festhalten und unsere Zukunft von den Menschen abhängig machen. Da'an, wach endlich auf und besinne dich auf deine Fähigkeiten und auf deine Stärke, solange wir noch die Möglichkeit haben, etwas zu verändern. - Ich jedenfalls werde nicht tatenlos mit ansehen, wie wir unserem eigenen Untergang entgegensteuern”, fügte er entschlossen hinzu.

Da'an schwieg - ob aus taktischen Gründen oder weil ihm einfach die Worte fehlten - war nicht ersichtlich. Er trat zu einer der Überwachungskonsolen und rief verschiedene Daten ab, während T'than hinter ihm wieder Platz nahm.

„Haben sich Agent Sandoval oder Major Kincaid inzwischen gemeldet?”

„Nein.” Der Kriegsminister, der ihn genau im Auge behielt, ließ eine kleine Kontrolleinheit aus der Lehne des Stuhles ausfahren. „Aus welchem Grund überprüfst du die Portaldaten?” fragte er herausfordernd, als er sah, auf welchen Bereich Da'an Zugriff genommen hatte.

„Um mir einen Überblick über Zo'ors Transfer zu verschaffen”, entgegnete sein Artgenosse ruhig.

„Ich hätte dir einen detaillierten Bericht zur Verfügung stellen können. Du argwöhnst, daß hinter Zo'ors Entführung noch etwas anderes stecken könnte.”

„Aus welchem Grund sollte ich das tun, T'than?”

Der Kriegsminister starrte ihn an. „Weil du mir mißtraust”, entfuhr es ihm.

Da'an drehte sich langsam zu ihm herum. „Nun, eigentlich sah ich bisher keine Veranlassung, dir zu mißtrauen... Aber vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, mit alten Gewohnheiten zu brechen.”

 
* * *
 

Sandoval schloß für einen Augenblick die Augen, um sie anschließend wieder zornig aufzureißen. Aber das Bild, das sich ihm bot, blieb unverändert. Ein Portal! „Verdammt!” platzte es unbeherrscht aus ihm heraus. Hendriks hatte ihn zum zweiten Mal hereingelegt, und nun würde es ihm unmöglich sein, Zo'or zu finden.

„Sir, vielleicht läßt sich herausfinden, wohin sie sich transferiert haben”, bemerkte der Freiwillige eifrig, doch Ivanek gab ihm ein Zeichen, den Raum zu verlassen. Er konnte eins und eins zusammenzählen. Das Portal war nutzlos. Ein einfacher Störsender genügte, um den Zielort zu verwischen. „Haben Sie irgendwelche Befehle, Agent Sandoval?” fragte er dann und bemühte sich um eine neutrale Stimme.

Sandoval starrte ihn an. Sein Gesicht war wie ein offenes Buch, so schwer fiel es ihm, den Zorn, der sich gegen seine eigene Person richtete, zu bändigen. Wie hatte ihm ein derartiger Fehler unterlaufen können? Er, der seine Aktionen stets sorgfältig plante und nichts dem Zufall überließ. Blindlings war er in Hendriks Falle getappt, wie ein blutiger Anfänger. Er hatte ihn unterschätzt und damit seiner eigenen Zukunft ein ungewisses Schicksal beschert.

Seine Gestalt straffte sich, und sein Gesicht nahm wieder einen undurchdringlichen Ausdruck an. Er wäre nicht Ronald Sandoval, wenn er jetzt kapitulierte. Er würde auch diese Herausforderung annehmen. „Überprüfen Sie das Portal - für alle Fälle!” befahl er. „Selbst der kleinste Hinweis könnte uns schon weiterhelfen.” Dann machte er kehrt und verließ den Raum.

 

Ende von Kapitel 9

 

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