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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Während Liam und Da'an um Jemens Leben kämpfen, geht Sandovals eigener Plan gründlich schief
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Da'an, Jemen Tyler, Sandoval, T'than, Zo'or, Hendriks, Liam Kincaid
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 8

 

Einen vagen Moment lang glaubte er, nur einer Täuschung zu erliegen. Doch das Trugbild blieb. Das Trugbild namens Jemen. Sie stand im rückwärtigen Teil der Botschaft, halb im Schatten verborgen. Dann machte sie langsam einen Schritt vorwärts.

„Sind Sie zurückgekommen, um auch mich zu töten?” fragte Da'an anklagend und deutete auf die Waffe in ihrer Hand. „Reicht es Ihnen nicht, was Sie mir bisher angetan haben? Mein Vertrauen und meine Freundschaft zu mißbrauchen?”

Jemen blieb stumm. Dann machte sie einen weiteren Schritt nach vorn, trat nun endgültig aus dem Schatten heraus. Da'an erschrak, als er ihr bleiches Gesicht sah.

Seine Verachtung wollte er ihr entgegenschleudern, seinen ganzen Zorn über ihren Verrat. Doch ihre seltsame Reaktion, die so gar nicht zu einem Menschen passen wollte, der vorhatte, einen kaltblütigen Mord zu begehen, ließ ihn erkennen, daß sie etwas anderes von ihm erwartete. In einer plötzlichen Gefühlsaufwallung rief er: „Sie hätten so viel mehr sein können. So viel mehr, Jemen...” Die Enttäuschung über das, was nun nicht mehr sein konnte, überwog jeden Zorn, erfüllte ihn mit tiefer Bitterkeit. „Warum haben Sie es zerstört?”

Sie schwieg noch immer und sah ihn nur an.

„Ich habe Ihren Worten Glauben geschenkt, Jemen. Aber Sie haben mich die ganze Zeit über nur belogen. Ihre Trauer um Di'mag war nur vorgetäuscht, um an mein Mitgefühl zu appellieren, weil Sie fühlten, daß ich...” Da'an brach abrupt ab, als er begriff, daß er in seiner Erregung beinahe etwas von seinem Innersten preisgegeben hätte. Ein blauer Schimmer lief über sein Gesicht und zeigte für einen Augenblick sein wahres Erscheinungsbild.

„Da'an”, sagte sie leise. Ihre Stimme klang schwach, unendlich schwach.

„Was wollen Sie, Jemen?” rief er verletzt. „Mein Verständnis, daß Sie mein Kind umbringen wollen? Denken Sie, daß ich Ihnen verzeihen könnte, was Sie zutun beabsichtigen? Daß ich Ihre Haltung verstehe? - Wie können Sie so etwas von mir erwarten?”

Jemens Hand hob sich wie in Zeitlupe. „Helfen Sie mir, Da'an”, flüsterte sie. Dann brach sie zusammen. Wie ein Marionette, deren Fäden durchschnitten worden waren, sank sie zu Boden. Ihr Kopf schlug hart auf dem Boden auf. Selbst für ein Energiewesen wie Da'an klang das gräßlich. Dennoch rührte er sich nicht von der Stelle. Er blieb wie angewurzelt stehen.

 
* * *
 

Sandoval starrte fassungslos auf die Anzeige. Der fremde Slipstream überlagerte den eigentlichen Transferstrahl und trachtete danach, ihn in eine neue Bahn zu zwingen. Durch die vermehrte Energiezufuhr kam es zu heftigen Fluktuationen innerhalb des Feldes, das nun zu kollabieren drohte. Für Zo'or und die Sicherheitsleute bestand akute Lebensgefahr. Doch dies war eher eine Tatsache, die er nur am Rande wahrnahm. Seine Bestürzung galt den neuen Koordinaten, die schrittweise von dem System erkannt und auf dem Monitor angezeigt wurden. Seine Faust donnerte auf das Kontrollpult. Verdammt, Hendriks! schrie er in Gedanken. Das wirst du mir büßen.

T'than hatte interessiert die Anzeigen studiert. Er war zwar in der Portaltechnik nicht sonderlich bewandert, aber er schien doch zu begreifen, was da vor sich ging. „Unterbrechen Sie den Transfer!” befahl er.

„Das wäre Zo'ors Tod!” rief Sandoval und warf ihm einen ungläubigen Seitenblick zu.

„Besser tot, als daß er in die Hände des Feindes gerät”, sagte der Kriegsminister ungerührt. „Und das ist hier offensichtlich der Fall. Wir können das nicht riskieren, Agent Sandoval. Also folgen Sie meiner Anordnung.”

„Sie vergessen, daß mich mein Motivations-Imperativ dazu zwingt, alles Erforderliche zu unternehmen, um Zo'ors Leben zu retten!”, entgegnete der Companion-Agent heftig. Er rief neue Daten ab und stellte fest, daß das energetische Potential innerhalb des Hauptstromes einen kritischen Bereich erreicht hatte. Das Sicherheitsprotokoll hatte einen derartigen Zwischenfall nicht eingeplant. Bei all seinen Bemühungen mußte er sich nun auf seine eigenen Fähigkeiten verlassen. Und ihm blieb nicht viel Zeit. Wieder glitten seine Finger über den Schirm auf der Suche nach einer Alternative. „Wir haben keine andere Wahl”, sagte er schließlich. „Wir müssen den Transferstrahl freigeben oder es zerreißt sie.”

„Dazu werde ich Ihnen keine Erlaubnis erteilen! Zo'or darf auf keinen Fall in die Hände des Widerstandes geraten. Er würde damit zu einer tödlichen Bedrohung aller Taelons.”

„Aber wir haben bereits einen Teil der neuen Koordinaten empfangen”, wandte Sandoval ein. „Damit können wir seinen Aufenthaltsort bestimmen und ihn befreien, T'than.”

Der Kriegsminister beugte sich zu ihm hinüber und fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick. „Zo'ors Schicksal ist besiegelt. Seien Sie jetzt ein cleverer Mann, Sandoval. Beweisen Sie mir, daß die Menschheit nicht nur eine primitive Spezies ist, die nur bis zum Horizont schauen kann. Lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft verändern. Wir haben es jetzt in der Hand.”

Sandoval musterte ihn. Für einen Augenblick schien er tatsächlich über eine Allianz nachzudenken. Stumm wandte er sich wieder seinen Kontrollen zu, wirkte aber nach wie vor unentschlossen. Ein triumphierendes Lächeln umspielte T'thans Lippen. Er war seinem Ziel so nah wie noch nie zuvor. Doch in der nächsten Sekunde riß er ungläubig die Augen auf, als er die kalte Stimme des Companion-Agenten vernahm: „Bedaure, T'than. Aber an Ihrem Angebot bin ich nicht interessiert.”

„Sie sollten mich nicht zu Ihrem Feind machen”, preßte der Kriegsminister drohend hervor, doch Sandoval hatte bereits seine Entscheidung getroffen. Er ignorierte das zornige Zischen des Taelons und begann damit, die notwendigen Eingaben durchzuführen, um den Transferstrahl freizugeben. Die akustische Fehlermeldung des Systems verstummte plötzlich. „Transfer durchgeführt.”

T'than richtete sich auf. „Sie werden Ihre Entscheidung eines Tages bereuen, Agent Sandoval”, sagte er eisig. „Zo'ors Leben konnten Sie in diesem Augenblick vielleicht retten. Aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen, daß er auch zurückkehren wird. Schon bald werde ich der Führer der Synode sein, und dann Sandoval - dann werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen.” Damit wandte er sich ab.

 
* * *
 

Da'an starrte regungslos auf die am Boden liegenden Gestalt. Eine Falle, signalisierte sein Verstand. Oh ja, Jemen war schlau, sehr schlau sogar. Sie hatte genau gewußt, wie sie ihn für sich einnehmen konnte, und auch das hier gehörte alles zu ihrem perfiden Plan, ihn umzubringen. Indem sie erneut an seinem Mitleid appellierte, wollte sie ihn näher an sich heranlocken. Die Waffe, die ihr beim Sturz aus der Hand gefallen war, lag eine Armeslänge weg von ihrem Körper. Da'an war jedoch davon überzeugt, daß sie ihn nicht auf die Weise töten wollte. Wenn die Pistole mit Munition bestückt war, die einem Taelon gefährlich werden konnte, dann hätte sie schon längst Gebrauch von ihr gemacht. Nein, sie wollte, daß er sich zu ihr hinabbeugte. Dann würde sie ihn packen, so wie es der Wille jener Entität war, die er in ihrem Geist gespürt hatte, um ihn erneut in die fremde Bewußtseinssphäre zu ziehen, der er zuvor nur mit Mühe entkommen war.

Da'an merkte, wie sich seine Beine wie von selbst vorwärts bewegten, so als besäße er keine Kontrolle über sie.

Jemen war unschuldig. Sie war das Opfer eines blindwütigen, alleszerstörenden Hasses. Aber durfte er tatenlos zusehen, wie es sie vernichtete? Mußte er nicht alles unternehmen, um sie zu retten, solange nur die kleinste Hoffnung bestand?

Sie war unschuldig...

...oder?

Traf hier vielleicht doch das Gegenteil zu? Ma'els Botschaft war auf eine seltsame Art und Weise verzerrt worden. Doch wer oder was gab dieser fremden Macht seine Stärke? Woher bezog es seine Nahrung, um all diesen Haß aufzubauen? Woher kam der unbändige Wunsch, alle Taelons zu töten?

Und wenn es nun Jemens eigener Haß war, der eine Art Eigenleben entwickelt hatte? Er war kein Mensch, um richtig einschätzen zu können, ob sie zu so etwas fähig war. Aber er wußte, daß Liebe eine sehr starke Emotion war. Und Jemen konnte den Tod Di'mags nicht verwinden. „Ich wünschte, wir hätten ein wenig mehr Zeit gehabt”, flüsterte er. „Vielleicht hätte ich deine Zuneigung erringen können. Das hätte mir die Kraft gegeben, dir zu helfen.” Doch so war sie nur eine tödliche Bedrohung für ihn und alle anderen Taelons. Da'an wußte, was er tun mußte, begriff, daß ihm keine andere Wahl blieb, als sie für immer daran zu hindern, ihr Werk zu vollenden.

Und doch beugte er sich wider aller Vernunft zu ihr hinunter. Er kniete neben ihr auf den Boden und betrachtete sie. Er fürchtete sich nicht davor, von ihr angegriffen zu werden. Jeder Gedanke an eine mögliche Gefahr verwischte wie von selbst, so wie auch jeder Gedanke, sie an das Gemeinwesen auszuliefern, plötzlich gegenstandslos wurde. Das Einzige, was er empfinden konnte, war Kummer und Mitleid. Der qualvolle Ausdruck war trotz Bewußtlosigkeit nicht von Jemens Gesicht verschwunden. Sie litt. Um seinetwillen? Oder galt ihre Qual noch immer Di'mag, den sie verloren hatte? Hätte sie ihn jemals auf die Art und Weise ansehen können, wie sie es bei Di'mag getan hatte? Da'an begriff plötzlich, daß er seinen toten Artgenossen beneidete, weil dieser die Zuneigung Jemens besessen hatte, mehr noch - ihre ganze Liebe. Und obwohl er wußte, daß auch seine kühnsten Vorstellungen nur annähernd dem nahekamen, was Liebe tatsächlich bedeutete, fühlte er einen tiefen Schmerz, weil ihm diese Erfahrung verwehrt blieb.

Er streckte seine Hand aus und berührte sanft ihr Gesicht. Wie verletzlich sie wirkte. Ihre Augenlidern flatterten, und dann sah sie ihn plötzlich an. Aber ihr Blick war trüb, und sie schien ihn auch nicht richtig wahrzunehmen. „Da'an”, flüsterte sie schwach. Ihre Hand fuhr tastend umher, suchte und fand ihn. „Da'an...”

„Ich bin bei dir, Jemen. Hab keine Angst.”

„Hilf mir, Da'an... Es... darf... keine Macht... über mich bekommen.” Nur mühsam kamen die Worte über ihre Lippen.

Er nahm ihre Hand und drückte sie leicht, um ihr Mut und Zuversicht zu geben. „Ich werde es nicht zulassen”, versprach er.

„Ich will es nicht, Da'an... Ich will nicht töten... Aber... es zwingt mich... dazu.” Der Schmerz in ihren Augen bewegte ihn zutiefst, und bekümmert sah er auf sie herab. „Kämpfe dagegen an, Jemen”, sagte er eindringlich. „Es hat dich bisher nicht besiegen könne, weil du zu stark warst. Du darfst nur den Mut nicht verlieren.”

Sie schloß die Augen, schien sich ganz auf ihr Innerstes zu konzentrieren. Er sah ihren Kampf, er fühlte ihn beinahe körperlich. Er litt mit ihr.

„Da'an.” Ihr Blick war plötzlich klar und deutlich auf ihn gerichtet. „Ich... ich kann ihm... nicht mehr lange... widerstehen”, flüsterte sie und streckte ihm langsam die Hand entgegen. „Hilf mir!”

In seinen Augen glomm Entsetzen auf, als er begriff, was sie von ihm verlangte. Er sollte sich erneut der wilden Kreatur aussetzen, die ihren Geist beherrschte. Doch dies konnte seinen Tod bedeuten.

„Bitte”, flehte sie. „Es ist meine... einzige...” Ihre Augenlidern flatterten, und nur unter größter Anstrengung gelang es ihr, nicht erneut das Bewußtsein zu verlieren.

Da'an focht einen einsamen Kampf. Sein Selbsterhaltungstrieb drängte ihn zur Flucht, doch zugleich wußte er, daß er es sich niemals verzeihen könnte, wenn er sie jetzt im Stich ließ. Instinkt gegen das Gefühl der Zuneigung.

„Da'an!” Ihr Aufschrei ließ ihn heftig zusammenfahren. Erschrocken starrte er auf sie nieder und sah, wie sich ihr Körper verkrampfte. Er fühlte plötzlich den Hauch des Todes. Seine Kälte durchdrang ihn. „Nein!” Er preßte rasch seine Hand gegen die ihrige. „Ich laß dich nicht im Stich, Jemen. Niemals.” Eine plötzliche Ruhe durchflutete ihn. Was auch geschehen würde, er war dazu bereit.

Da'an hatte sich auf das Schlimmste vorbereitet, als er sein Bewußtsein öffnete, und doch übertraf es alles, was er je an Gewalt und Zerstörungskraft erlebt hatte. Es kam einem Orkan gleich und stürzte auf ihn ein. Mit all seiner Kraft stemmte er sich dagegen. Doch es fegte über ihn hinweg. Es zerriß ihn förmlich. Er war in ein Inferno geraten, dem er nichts entgegenzusetzen hatte. Wenn es ein taelonisches Äquivalent für die Hölle gab, dann mußte es dieser Ort sein. Plötzlich war es nicht mehr der Kampf um Jemens Leben. Jetzt mußte er um sein eigenes fürchten. Diese Erkenntnis ließ ihn vor Angst aufschreien. Doch es waren nur mentale Schreie, die in diesem Kosmos kein Gehör fanden. Als er bereits jeden Mut verlor, fühlte er Jemens Präsenz in seiner Nähe. Sie war an seiner Seite. Sie zog ihn in ihre Arme und vermittelte ihm Wärme und Zuneigung. Jene Zuneigung, die er sich so sehnlichst erhofft hatte. Sie durchdrang ihn, bis sie jede Zelle seines Bewußtseins ausfüllten. Er nahm Empfindungen wahr, die er zuvor noch nie verspürt hatte. Sie waren so mächtig, so berauschend, daß er für einen Augenblick die lebensbedrohliche Sphäre, in der er noch immer gefangen war, völlig vergaß. Er konzentrierte sich einzig und allein auf Jemen und auf die Gefühle, die von ihr ausgingen. Ich kann es nur an diesem Ort erleben, dachte er überrascht. Nur hier ist alles so lebendig - Haß, Wut und...

... Liebe.

Er verstand dieses Gefühl nicht. Es war ihm auf eine seltsame Art vertraut und zugleich doch so fremd. Sein Verstand suchte nach einer Vergleichsmöglichkeit und schuf sich seine eigenen Bilder. Da'an fand sich plötzlich auf der Taelon-Heimatwelt wieder. Sie erstrahlte in dem unverfälschlichen Glanz alter Zeiten, lange bevor die Jaridians sie in Schutt und Asche legten. Wie schön sie doch gewesen war. Im nächsten Augenblick wurde er in seine Jugendzeit versetzt, als ihn Ma'el unter all den vielen Anwärtern zu seinem Schüler erkor. Doch bevor er die mentale Hand nach seinem Freund und Lehrer ausstrecken konnte, war das Bild schon wieder verschwunden und statt dessen hielt er ein taelonisches Baby in seinen Armen. Sein Kind... Aber dann verwehte auch diese Erinnerung.

Da'an merkte, daß das Toben um ihn herum leiser wurde. Die fremde Entität zog sich spürbar zurück, so als wäre sie besänftigt worden. Verwirrt horchte er auf. Ich habe ihr die Nahrung entzogen, dachte er überrascht. Indem ich Jemens Gefühle auf meine Person lenke, nehme ich der dunklen Macht die Kraft. Dieser Gedanke war gleichermaßen faszinierend wie beglückend, denn es bedeutete, daß es für Jemen noch Hoffnung gab. Allerdings währte diese Freude nicht lange. Er fühlte, daß Jemen schwächer wurde. Ihr Kampf hatte ihr zuviel abverlangt. Ihre physische wie psychische Kraft erschöpfte sich. Er mußte sich also beeilen.

Da'ans Bewußtsein breitete sich behutsam aus, streckte sich, um auch die versteckten Bereiche zu erreichen. Irgendwo in dieser Sphäre war Ma'els tatsächliche Botschaft vergraben. Sie war der Schlüssel. Doch trotz all seiner Bemühungen konnte er sie nicht erreichen. So sehr er sich auch anstrengte, er vermochte nicht die Barriere zu durchbrechen. Schließlich mußte er aufgeben. Abrupt kehrte er in die Wirklichkeit zurück.

„Es tut mir leid, Jemen.” Niedergeschlagen blickte er auf sie nieder. „Meine Kraft reicht nicht aus.”

„Sie... haben es... versucht, Da'an”, flüsterte sie so leise, daß er sich tiefer zu ihr herabbeugen mußte, um sie überhaupt zu verstehen. „Aber jetzt...” Ihre Hand fuhr suchend über den Boden, ertastete die Waffe und zog sie an sich. „Da'an, wenn es... siegt, dann... werde ich... für Sie zu einer Gefahr... Ich... kann das... nicht zulassen.” Nur abgehackt und unter großer Anstrengung gelang es, die Worte zu bilden. Aber ihr Blick hielt ihn fest. „Da'an... helfen Sie mir... zu sterben.”

Entsetzt starrte er sie an. „Nein”, hauchte er.

„Es... muß sein.”

Doch er schüttelte heftig den Kopf. Er wollte sie nicht verlieren, er brauchte sie, jetzt, da sich ihm eine unsichtbare Tür zu einer neuen Welt eröffnet hatte. Er wollte mehr erfahren.

„Da'an... ich kann so... nicht mehr weiterleben.”

„Es muß eine andere Möglichkeit geben. Jemen, kämpfen Sie dagegen an! Sie können es schaffen! Sie müssen...”

„Da'an!”

Nie hatte ihn etwas mehr bewegt als dieser verzweifelte Ruf.

Jemens rechte Hand umklammerte seinen Arm. „Wenn Sie etwas... für mich... empfinden, dann helfen Sie mir!”, keuchte sie. „Ich schaffe es nicht allein.” Es gelang ihr, mit letzter Kraft die Waffe auf ihren Körper zu ziehen. Sie sah ihn flehend an. „Bitte!”

Da'an starrte sie bestürzt an. „Verlangen Sie das nicht von mir, Jemen. Ich kann das nicht.”

„Doch”, widersprach sie, tastete nach seiner Hand und preßte sie kurz. „Ich will... so nicht weiterleben. Ich will nicht, daß... mich diese fremde... Macht zwingt, Sie zu töten, Da'an. Erweisen Sie... mir... diesen einzigen... Dienst.” Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und perlte langsam herab. „Bitte!”

Ein bläulicher Schimmer lief über sein Gesicht. Gepeinigt schloß er die Augen. „Jemen”, flüsterte er schmerzbewegt. „Es tut mir so leid.” Seine Hand legte sich auf die Waffe.

 
* * *
 

Zo'or hatte instinktiv gespürt, daß etwas nicht stimmte, noch bevor sich seine Begleiter vor Schmerzen krümmten. Was war geschehen? Vor allem, wie konnte der Transfer auf diese Weise gestört werden? Die Portale gehörten mit zu den sichersten Anlagen. Sie wurden ständig gewartet. Eine Reihe von Sicherheitsprotokollen überwachte den reibungslosen Verkehr. Das System reagierte so sensibel, daß es den Transport erst gar nicht zu gelassen hätte, läge eine technische Störung vor. Demnach konnte es sich nur um Sabotage handeln. Zorn erfüllte ihn, weil er sich wider besseren Wissens von Sandoval und T'than hatte überreden lassen, das sichere Mutterschiff zu verlassen. Seine energetische Körperstruktur schützte ihn vor den Interferenzen, die den Transferstrahl auseinanderzureißen drohten. Doch ihm war sehr wohl bewußt, daß auch er nicht auf Dauer den wechselnden Energieströmen standhalten konnte. Er war auf Gedeih und Verderb demjenigen ausgeliefert, der diese Störung verursacht hatte. Aber alles in ihm sträubte sich gegen den drohenden Tod. Es durfte nicht auf diese Weise enden...

Das energetische Gleißen um ihn herum nahm urplötzlich ab, und er merkte, wie sich der Transferstrahl spürbar stabilisierte. Im nächsten Augenblick rematerialisierte er an seinem Zielort. Doch es war nicht sein New Yorker Büro. Es war eine völlig fremde Umgebung. Sein überraschter Blick fiel auf die Impulswaffe, die unmißverständlich auf ihn gerichtet war. Er schwankte kurz und mußte einen Schritt nach vorn machen, um nicht die Balance zu verlieren.

„Keine Bewegung!” rief jemand scharf, und er erkannte weitere Personen, die seine Eskorte ins Visier nahmen. „Vergeuden Sie nicht einmal einen Gedanken daran, sich zur Wehr zu setzen.” Aber Sandovals Männer standen noch zu sehr unter den Auswirkungen des Transfers, als daß sie überhaupt begriffen, was um sie herum geschah. Aus dem Hintergrund trat ein Mann mittleren Alters hervor. Seine Haltung war selbstbewußt und drückte Überlegenheit aus. „Willkommen bei Dark Blue, Zo'or”, sagte er und schürzte amüsiert die Lippen. „Bringt sie nach hinten”, befahl er dann seinen Leuten und deutete auf die Begleitung des Taelons.

Zo'or, der sich rasch auf die neue Situation eingestellt hatte, wirkte nicht minder selbstbewußt. „Darf ich fragen, was das zu bedeuten hat?”

„Sie sind jetzt unser Gast”, erwiderte Hendriks lächelnd. Er machte eine einladende Handbewegung. „Und ich freue mich schon sehr darauf, Sie näher kennenzulernen.”

„Geisel dürfte wohl zutreffender sein.” Zo'or schritt langsam an ihm vorbei und ließ seinen Blick schweifen, um einen ersten Eindruck von der Umgebung zu gewinnen. Es schien sich um eine unterirdische Anlage zu handeln, vielleicht eine ausgediente militärische Einrichtung. Verschiedene Ausgänge deuteten auf einen großzügigen Komplex hin. In diesem Raum befanden sich hauptsächlich mobile Computerstationen, die untereinander mit dicken Kabeln verbunden waren. Es war allerdings unwahrscheinlich, daß sie ausschließlich für die Benutzung des Portals genutzt wurden. Obwohl er den Eindruck erweckte, als sei er lediglich von der Ausstattung beeindruckt, entging doch nichts seinen scharfen Augen. So bemerkte er auch das schwere technische Gerät im rückwärtigen Teil sowie einige Komponente, die auf taelonischen Ursprung deuteten. Er kam dabei zu folgender Schlußfolgerung: Dies war offensichtlich das Hauptquartier der Widerstandsbewegung. Es mußte sehr gut abgesichert sein, um zu vermeiden, daß man es lokalisierte. Die technische Ausstattung deutete darauf hin, daß man sich hier nicht mit kleineren Aktionen begnügte, sondern ein größeres Ziel anvisierte, vielleicht sogar das Mutterschiff. Aber jede noch so gut durchdachte Organisation hatte Schwachpunkte. Er würde sich darauf konzentrieren müssen. „Sie sind sehr gut ausgerüstet”, stellte er fest und beschloß, bei dem Anführer zu beginnen.

„Alles auf dem neuesten Stand”, erwiderte Hendriks selbstgefällig. „Hier entlang, Zo'or!” Er führte den Taelon zwischen den Computern hindurch und betrat einen langen schmalen Gang. Er stieß die erste von vier Türen auf und ließ Zo'or eintreten. Der Blick des Außerirdischen fiel auf einen hohen Metallstuhl, der am Boden festgeschraubt war und sowohl an dem Armlehnen wie auch im Fußbereich Fesseln aufwies. „Beabsichtigen Sie, mich zu foltern?” fragte er abfällig.

Hendriks verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie mögen mit Ihren Gefangenen auf diese Weise umgehen”, sagte er, „aber uns liegt nichts daran, Informationen aus Ihnen herauszupressen. - Nehmen Sie Platz, Zo'or. Eine andere Sitzgelegenheit kann ich Ihnen im Moment nicht anbieten.” Er machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

„Dann wollen Sie mich also gegen jemanden austauschen?”

Hendriks hielt inne und musterte ihn ruhig. „Nein.”

„Wenn es Ihnen um Lösegeld geht, dann können wir sofort über die entsprechende Höhe verhandeln”, sagte Zo'or hastig.

„Wir brauchen Ihr Geld nicht, Zo'or.”

Der Taelon wirkte leicht irritiert. „Ihnen ist doch wohl hoffentlich bewußt, daß Sie mich nicht als Druckmittel benutzen können. Die Synode wird sich darauf nicht einlassen. Und als Toter nütze ich Ihnen sehr wenig.”

Hendriks Augen funkelten spöttisch. „Sie sollten uns schon ein wenig mehr Phantasie zubilligen.” Er verließ nun endgültig den Raum und schloß hinter sich ab. Überrascht starrte Zo'or auf die Tür.

 
* * *
 

Liam stürzte in die Botschaft. „Da'an!” Er sah den Taelon am Boden knien, sah, wie er seine Hand über eine Pistole legte, so als wollte er sie der vor ihm liegenden Gestalt entreißen. „Weg da, Da'an!” schrie der junge Mann und zog seine eigene Waffe. Bevor er jedoch abdrücken konnte, beugte sich Da'an über die Gestalt und schützte sie mit seinem eigenen Körper. Dann warf er einen gehetzten Blick über die Schulter zurück. „Nein, Liam! Nicht schießen!”

Liam rannte auf ihn zu und starrte ungläubig auf den Taelon und dann auf Jemen. „Was geht hier vor?”

„Sie stirbt, Liam”, sagte Da'an mit brüchiger Stimme.

„Ich verstehe nicht. Warum haben Sie keine Hilfe angefordert? Wieso ist sie überhaupt hier?” Er ging in die Hocke und griff rasch nach der Pistole und entzog sie Jemens kraftloser Hand.

„Eine fremde Macht beherrscht sie und zwingt sie dazu, Dinge zutun, die ihr eigenes Gewissen aber niemals zulassen würde. Aus diesem Grund will sie lieber sterben.”

Wieder fuhr Liams Blick zwischen dem Taelon und der jungen Frau hin und her.

„Als Ma'el damals auf der Erde war, hinterließ er Botschaften für uns”, erklärte Da'an. „Jemens Vorfahren erhielten von ihm eine solche Botschaft. Doch irgendwie ist sie nicht mehr dieselbe, irgend etwas hat sie verfremdet.” Er blickte auf Jemen hinab, die in dem Augenblick bewußtlos geworden war, als er seine Aufmerksamkeit auf Liam richtete, so als hätte unbemerkt noch immer eine mentale Verbindung bestanden, die jetzt abrupt unterbrochen war.

„Sie ist eine Gefahr, Da'an”, stellte er nüchtern fest, „für Sie und für alle anderen Taelons. Sie müssen das endlich akzeptieren.”

„Sie kam hierher in der Hoffnung, daß ich ihr helfen könnte. Aber meine Kraft reichte leider nicht aus.”

„Es liegt jetzt nicht mehr in Ihren Händen. Tyler braucht professionelle Hilfe. Ich werde Lassiter rufen, und dann bringen wir sie in ein Krankenhaus.”

„So begreifen Sie doch, Liam, in Jemens Bewußtsein ist Ma'els ursprüngliche Botschaft nach wie vor vorhanden. Wir müssen sie nur finden.” In Da'an war ein kühner Plan entstanden. „Wenn wir gemeinsam...”

Liam starrte ihn verständnislos an. Er begriff gar nichts, und im Grunde war ihm das sogar ganz recht. Er wollte das Bild, das er sich von Jemen gemacht hatte, nicht nachträglich korrigieren, denn das würde bedeuten, daß er ihre Freundschaft zu Da'an akzeptieren mußte.

„Sie sind zum Teil Kimera und verfügen damit über mentale Fähigkeiten.”

„Sie wollen, daß ich ihr helfe?” fragte Liam perplex. „Oh nein, Da'an!” Er sprang auf und verschränkte demonstrativ die Arme. „Wer weiß, was wir damit anrichten!” Eigentlich hätte er sagen müssen: Wer weiß, was es bei mir anrichtet - denn das hätte eher der Wahrheit entsprochen.

 
* * *
 

Sandoval hatte die Transferdaten des Portals auf eine separate Station transferiert, um ungestört arbeiten zu können. Im Nachhinein war er erleichtert, daß er sich gegen den Kriegsminister entschieden hatte, zumal er für eine Sekunde tatsächlich über dessen Angebot darüber nachgedacht hatte. Zo'ors Führungsstil war von persönlichen Ambitionen geprägt. Bei seinen Bemühungen, den Erhalt der eigenen Spezies zu sichern, vergaß er nie dabei, seine eigene Machtstellung auszubauen und zu festigen. Insofern war er durchschaubar. Was man von T'than nicht behaupten konnte. Zudem betrachtete Zo'or den einen oder anderen Menschen als nützliches Werkzeug, während der Kriegsminister nur widerwillig die Hilfe der irdischen Spezies in Anspruch nahm. Was seine eigenen Pläne anbelangte, so hielt sie Sandoval eher für durchführbar, wenn Zo'or der Führer der Synode blieb.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Anzeigen. Der Computer hatte einen Teil der Koordinaten aufzeichnen können. Für ihn war das unerheblich, da er bereits wußte, wohin man Zo'or entführt hatte. Trotzdem war er gezwungen, das Ende des Programmes abzuwarten. Jede voreilige Rettungsaktion würde verdächtig wirken. Mühsam unterdrückte er seine Wut. Hendriks hatte ihn raffiniert ausgetrickst. Am meisten ärgerte Sandoval jedoch, daß es ihn unvorbereitet getroffen hatte. Ein weiterer Fehler durfte ihm nicht unterlaufen oder er würde sich in naher Zukunft mit einem neuen Synodenführer auseinandersetzen müssen.

Sandoval nahm Verbindung zu seinem Team auf. „Haben Sie die notwendigen Vorbereitungen getroffen?”

„Ja, Sir”, erwiderte der Freiwillige. „Wir können jederzeit los.”

Der Asiate nickte ihm zu und unterbrach die Verbindung. Nachdenklich betrachtete er sein Global. Hendriks mußte doch wissen, daß seine Entführung nicht lange unbemerkt blieb. Entweder war er überraschend leichtsinnig oder größenwahnsinnig. Sein Kommunikator zeigte in diesem Augenblick ein hereinkommendes Gespräch auf einer gesicherten Frequenz an, die Sandoval nur wenigen Leuten mitgeteilt hatte. Seine Augen weiteten sich, als Hendriks Gesicht auf der Sichtscheibe auftauchte. „Was wollen Sie?” fragte er und schaute sich um. Aber in diesem Teil des Mutterschiffs war so gut wie nie ein Taelon zu sehen, geschweige denn ein Freiwilliger.

„Ich will Sie warnen, Sandoval. Wenn Sie unser Versteck stürmen lassen, verlieren Sie das Portal.”

„Und was ist mit Zo'or?”

„Wir betrachten ihn als eine kleine Anerkennung für unsere Arbeit.”

„Wir hatten eine Verabredung”, preßte Sandoval hervor. Seine dunklen Augen funkelten vor Zorn, als er den Dark Blue-Mann fixierte.

„Appellieren Sie jetzt an meiner Ehre?” spottete Hendriks. „Kommen Sie, Sandoval! Sie wären der Erste, der eine Vereinbarung rücksichtslos platzen lassen würde, wenn Sie dadurch einen Vorteil erhielten.”

„Sie haben durch die Entführung unser Projekt in Gefahr gebracht...”

„Es gerät erst dann in Gefahr, wenn Sie meine Warnung in den Wind schlagen.”

„Jetzt hören Sie gut zu! Ich habe nicht mein Geld und meine Zeit investiert, um mir jetzt gefallen zu lassen, daß Sie mir in die Quere kommen.” Sandovals Stimme klang drohend. „Geben Sie Zo'or frei. Andernfalls werde ich Sie töten.”

Hendriks zeigte sich ungerührt. „Und die Zerstörung des Portals in Kauf nehmen? Tz, tz, tz... Sandoval, wo bleibt da die Logik? Es gibt nur das eine Portal. Sämtliche Daten, die für den Bau erforderlich sind, befinden sich hier bei uns. Wenn unser Versteck gestürmt wird, verlieren Sie alles. Ich dachte, es geht Ihnen darum, Kontakt mit den Jaridians aufzunehmen. Also überlegen Sie gut, welche Schritte Sie gegen uns unternehmen.”

„Was nützt es Ihnen, Zo'or auszuschalten?”

„Sie vergessen unser primäres Ziel, Sandoval. Wir wollen die Erde von den Taelons befreien.”

„Indem Sie einen einzelnen Taelon töten?”

„Wer sagt denn hier was von Töten? Er wird lediglich eine kleine Reise unternehmen.”

Sandovals Augen weiteten sich verblüfft. „Sie wollen ihn durch das Portal schicken?”

„Er ist unser Willkommensgeschenk an die Jaridians. Sie sehen, Sandoval, unsere Interessen gehen gar nicht so weit auseinander. Vielleicht sollten Sie die Dinge mal von dieser Seite aus betrachten, dann fällt es Ihnen auch nicht so schwer, auf Zo'or zu verzichten.”

Der Asiate starrte ihn an. „Ich werde darüber nachdenken”, sagte er schließlich. Der leicht vibrierende Unterton in seiner Stimme wies darauf hin, daß er nur mit Mühe seinen Zorn zurückhalten konnte, weil er wußte, daß er die schlechteren Karten hatte.

Hendriks sah ihn beinahe mitleidig an. „Es ist unerheblich für uns, welche Entscheidung Sie treffen, Sandoval. Zo'or wird durch das Portal gehen und mit ihm die Aufzeichnungen für die Interdimensionstechnologie. Sie können unser Versteck stürmen... unser Ziel haben wir dennoch erreicht.” Lächelnd unterbrach er die Verbindung.

Sandoval biß fest die Zähne zusammen, um zu verhindern, daß er vor Wut aufschrie. Dafür würde Hendriks büßen müssen. Unendliche Qualen würde er erdulden müssen und den Tag verfluchen, an dem er den verhängnisvollen Fehler begann, ihn zu unterschätzen.

 
* * *
 

„Wenn wir ihr nicht helfen, wird sie sterben.” Da'an sah zu Liam hinauf.

„Ja, und?” erwiderte er kalt. „Dann sehen Sie mal, wie es ist, Freunde zu verlieren.”

Die Mimik des Taelons spiegelte seine Überraschung wider. Forschend musterte er seinen Beschützer, so als suchte er nach einem Grund für dessen Hartherzigkeit. Schließlich senkte er den Blick. „Ich habe bereits Freunde verloren”, sagte er leise.

„Da'an”, Liam ging wieder in die Hocke, „das hier ist nicht Lili.”

„Aus welchem Grund sollte ich in Jemen eine andere Person sehen wollen?” fragte Da'an.

„Weil Sie sich irgendwie für Lilis Tod verantwortlich fühlen.”

„Es war Captain Marquettes freie Entscheidung, als sie versuchte, das Mutterschiff zu zerstören. Aber Jemen hatte nie eine Wahl. Ihr wurde etwas aufgezwungen.” Da'an musterte die noch immer bewußtlose junge Frau. „Wir sind es ihr schuldig.”

„Wenn es Ihnen so wichtig ist, warum bitten Sie nicht das Gemeinwesen um Hilfe?” fragte Liam.

Da'an wandte sich ihm zu. „Weil das Gemeinwesen in Jemen sofort eine Bedrohung sehen würde. Niemand würde sich die Mühe machen, die wahre Bedeutung von Ma'els Botschaft herauszufinden. - Liam, ich kann es Ihnen nicht befehlen. Ich kann Sie nur darum bitten.”

Liam kniff die Lippen zusammen. Er appelliert an mein Gewissen, dachte er. Unschlüssig fuhr er sich durch das Haar. Als sein Global piepste, zog er es rasch hervor, so als er sei dankbar für einen Aufschub. „Kincaid hier”, meldete er sich.

Auf dem kleinen Monitor erschien Sandoval. Er wirkte irgendwie gestreßt. „Major... befinden Sie sich bei Da'an in der Botschaft?”

„Ja, ich bin gerade gekommen.” Er rückte ein wenig herum, bis das Global ihn und Da'an erfassen konnte.

„Wir haben Zo'or verloren”, berichtete Sandoval.

„Verloren? Was heißt das, Sandoval?” Liam wechselte einen überraschten Blick mit Da'an und sah, wie der Companion besorgt in sich ging und nach Zo'ors Präsenz Ausschau hielt.

„Beim Transfer kam es zu einer Art Unfall”, berichtete der FBI-Agent. „Ein fremder Slipstream legte sich über den Leitstrahl und leitete ihn um. Um Zo'ors Leben zu retten, war ich gezwungen, den Leitstrahl freizugeben. Der Computer konnte einen Teil der Koordinaten aufzeichnen. Ich bin gerade dabei, die Daten aufzubereiten, aber ich bin davon überzeugt, daß der Widerstand dahintersteckt. Mein Team ist bereits in Alarmbereitschaft. Wir werden unverzüglich aufbrechen, sobald ich das Versteck aufspüren konnte. Haben Sie inzwischen etwas über Tylers Aufenthaltsort herausfinden können?”

Liam sah kurz zu Da'an hinüber. „Nein”, log er dann. „Sie hat offensichtlich kein Portal benutzt.”

„Nun, das ist im Moment auch nicht so wichtig. Bleiben Sie vorerst bei Da'an. Ich melde mich, sobald ich das Versteck lokalisieren konnte.”

„Agent Sandoval, bitte seien Sie vorsichtig”, sagte Da'an, aber es war nicht ersichtlich, ob er sich um das Wohlergehen des Mannes sorgte oder um Zo'or.

Liam steckte das Global wieder ein. „Sind Sie immer noch davon überzeugt, daß Tyler unschuldig ist?” fragte er dann den Taelon an seiner Seite.

Da'an gab keine Antwort, sondern schaute erneut auf Jemen nieder. „Wenn sie etwas damit zu tun hat, dann weiß sie auch, wo sich Zo'or befindet”, sagte er nach einer Weile. „Aber in ihrer derzeitigen Verfassung wird sie uns kaum den Aufenthaltsort bekanntgeben können.”

„Was haben Sie also vor?” Mit dieser Frage hatte Liam praktisch sein Einverständnis gegeben, und Da'an nahm es dankbar an. „Wir müssen eine telepathische Verbindung mit Jemens Unterbewußtsein aufnehmen und Ma'els ursprüngliche Botschaft aufspüren”, erklärte er.

„Klingt unwahrscheinlich einfach”, konnte sich Liam nicht verkneifen. „Und was erwartet uns tatsächlich? Ich meine... wie können Sie sicher sein, daß meine mentalen Fähigkeiten ausreichen?”

Da'an legte seine Hand kurz auf Liams Unterarm. „In Ihnen steckt weit mehr, als Ihnen bewußt ist.”

Liam atmete tief durch. „Also gut. Anscheinend habe ich keine andere Wahl. Ich brauche die Koordinaten, um zu verhindern, daß Sandoval ein Blutbad anrichtet.”

„Dann lassen Sie uns beginnen.” Der Taelon ergriff seine Hand. „Wenn wir Verbindung aufnehmen, werden Sie mit einer sehr gewalttätigen Macht konfrontiert. Allerdings weiß ich nicht, mit welchen Mitteln diese Entität gegen Sie vorgehen wird. Es können sowohl Gefühle als auch Bilder sein, mit denen man Sie einschüchtern will. Konzentrieren Sie sich nur auf Ihre eigene mentale Kraft.”

„Und Sie? Was machen Sie?” fragte Liam ein wenig mißtrauisch. In seinen Ohren klang Da'ans Ausführung so, als ob er ihm die Hauptarbeit überließe.

„Ich suche Ma'els Botschaft.”

Der junge Mann betrachtete ihn skeptisch. „Da Sie diese fremde Macht bereits kennen, wäre es doch besser, wenn Sie sich erneut darauf konzentrieren und ich die Botschaft suche.”

Da'an sah ihn sanft an. Er schien gar nicht zu bemerken, daß sich Liam im Grunde nur drücken wollte. „Sie sind in der mentalen Disziplin niemals unterrichtet worden. Es wird für Sie wesentlich einfacher sein, die Aufmerksamkeit der Entität auf sich zu lenken und zu halten. Jemens Unterbewußtsein ist wie ein Labyrinth. Sie würden sich darin verirren.”

Liam war noch immer nicht überzeugt.

„Fürchten Sie sich nicht. Ich bin immer in Ihrer Nähe und werde mentalen Kontakt zu Ihnen behalten.”

Ich fürchte mich nicht, wollte er entrüstet einwenden, sah aber dann ein, daß ihm dies Da'an wohl kaum abnehmen würde. Allerdings wollte er auch nicht wie ein Feigling dastehen. „Ich bin bereit”, sagte er und holte noch einmal tief Luft.

„Nehmen Sie Jemens Hand und lassen Sie Ihre Gedanken treiben.” Da'an nahm nun auch die Hand der jungen Frau und schloß damit den Kreis.

Liam versuchte an nichts zu denken. Vor seinem inneren Auge erschien ein helles Licht, und plötzlich packte ihn etwas und riß ihn mit sich; es war ein Gefühl ähnlich dem Empfinden beim Durchschreiten eines Portals. Im nächsten Augenblick fand er sich in einer imaginären Hügellandschaft wieder. Überrascht drehte er sich um die eigene Achse. Er sah grünes Gras unter seiner Füßen, konnte aber den Boden nicht fühlen, so als schwebte er darüber. Er konnte auch nicht riechen, und seltsamerweise... er atmete nicht einmal. Bevor er jedoch dazu kam, sich bewußt mit seiner Umgebung auseinanderzusetzen, schoß eine riesige Feuerkugel auf ihn zu. Erschrocken schrie er auf und suchte sein Heil in der Flucht, doch die Kugel war schneller, holte ihn in einer irrsinnigen Geschwindigkeit ein. Rasch warf er sich zu Boden, doch als er einen Blick über die Schulter warf, sah er eine riesige Feuerwand auf ihn zukommen. Sie glitt über ihn hinweg, ohne ihn zu verbrennen. Keuchend rappelte er sich auf und fühlte nichts als entsetzliche Angst, als die Feuerwand wieder die Form einer Kugel annahm und sich dann langsam in eine dämonische Gestalt transformierte.

Liam, ich bin bei Ihnen, ertönte da Da'ans Stimme. Sie schien von überall zu kommen. Konzentrieren Sie sich auf Ihre mentale Kraft. Was Sie sehen, ist nicht real. Es kann Ihnen nichts anhaben, wenn Sie sich auf Ihre eigene Stärke besinnen. Sie müssen sich nur konzentrieren.

Die eindringlichen Worte des Taelons zeigten einen ersten Erfolg. Liams Panik ließ nach. Er hatte zwar noch immer Angst, aber sie blockierte ihn nicht mehr länger. Als die Gestalt auf ihn zustürmte, nahm er die Fäuste hoch. Dann zeig, was du kannst! schrie er wütend. Wie wild drosch er auf die Gestalt ein, bis ihm bewußt wurde, dann seine körperliche Kraft in dieser Wirklichkeit nichts auszurichten vermochte. Er begann sich zu konzentrieren und fokussierte seine mentale Kraft auf einen Punkt. Als ihn der Dämon erneut angriff, schlug er zu und diesmal zeigte es Wirkung. Die fremde Wesenseinheit taumelte überrascht zurück und brüllte auf. Jetzt, da sich Liam zunehmend seiner eigenen Stärke bewußt wurde, begriff er auch Da'ans Plan. Dies hier war die fremde Macht, die Jemens Bewußtsein blockierte. Er mußte sie nur lange genug aufhalten, damit Da'an seine Aufgabe erfüllen konnte.

 
* * *
 

„Sie wollten mich sprechen, T'than?” Sandoval hatte die Brücke betreten und bemühte sich um einen unbefangenen Gesichtsausdruck, als er dem Kriegsminister gegenübertrat.

„Die Synode ist über den Vorfall informiert und erwartet die Einleitung sofortiger Rettungsmaßnahmen.” T'than, der im Kommandosessel saß, betrachtete ihn mit einer gewissen Genugtuung. Er hatte kurz vorher eine Computeranalyse vorgenommen und wußte, daß aufgrund der bisherigen Daten keine genaue Zielortbestimmung möglich war. Damit konnte er Zo'ors allzu treuen Vasallen in die Enge treiben und ihm Inkompetenz vorwerfen. Ein taktischer Schachzug, der ihm später die notwendige Handhabe ermöglichte, sich seiner zu entledigen.

„Ich werde mich unverzüglich auf dem Weg machen”, erwiderte Sandoval jedoch zu seiner Überraschung. „Mein Team ist bereits informiert.”

„Wie wollen Sie eine Rettungsaktion starten, wenn Sie nicht einmal wissen, wo Sie hinfliegen sollen?” fragte T'than ungeduldig.

Sandovals Mundwinkel zuckte ein wenig, der Anflug eines Lächeln. Er hätte sich diese Geste gegenüber Zo'or niemals erlaubt. Bei T'than erschien es ihm jedoch angebracht. „Ich werde meiner Intuition folgen.” Im stillen dankte er Siobhan Beckett für diese Eingebung; sie hatte ihn seinerzeit, als sie in Irland Ma'els Grab suchten, mit ihrer Intuition verblüfft. Und nun verschaffte ihm genau diese „zweifelhafte Technik” den Vorteil, den er brauchte. „Im übrigen halte ich unterwegs die Verbindung zum Schiffscomputer aufrecht, so daß ich die fehlenden Daten abfragen kann”, fügte er hinzu und kam somit einem weiteren Einwand zuvor. T'than blieb nichts anderes übrig, als ihn zu entlassen.

„Hoffen wir, daß Ihre Rettungsaktion ebenso erfolgreich verläuft, Agent Sandoval”, sagte er steif.

 
* * *
 

Da'ans Bewußtsein streckte seine Fühler aus. Wie eine Sonde tauchte sein Geist durch die verschiedenen Schichten in Jemens Ich-Sphäre und hielt Ausschau. Jetzt, da sich ihm keine wütende Macht in den Weg stellte, gab es für ihn auch keine Barrieren mehr. Aber unversehens stellte sich ihm ein neues Problem. Durch die Bewußtlosigkeit hatte sich Jemen in einen todesähnlichen Zustand versetzt, wohl um zu verhindern, daß sie für ihn zu einer Gefahr wurde. Doch wenn dieser Zustand zu lange anhielt, konnte ihr Geist einen irreparablen Schaden erleiden, dann blieb sie für immer eine Gefangene ihres Selbst. Da'an vergewisserte sich seiner Verbindung zu Liam und fuhr mit seiner Suche fort, trachtete danach, die Sorge angesichts der Notwendigkeit, Ma'els Botschaft aufzuspüren, aus sich zu verbannen.

Sich auf seine mentalen Kräfte zu konzentrieren und sie gegen die fremde Macht einzusetzen, war eine Sache, aber diesen Kampf auf Dauer durchzuhalten, eine völlig andere. Liam mußte schon bald seine eigenen Grenzen erkennen. Ungestüm war er der Entität entgegengetreten, mit der festen Absicht, Da'an bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Aber er war in der mentalen Disziplin nicht ausgebildet. Er reagierte allein, wie ihm sein Instinkt riet und vergeudete dabei wertvolle Kraft, während ihn sein Gegner immer heftiger attackierte.

Da'an sah in der grauen Umgebung, die nur von wenigen Erinnerungsbilder Jemens durchzogen war, einen schwachen Schimmer. Er fühlte, wie er sich seinem Ziel näherte. Bald... schon bald...Wie hypnotisiert steuerte er darauf zu.

Er spürte eine plötzliche mentale Erschütterung. Liam. Ihre Verbindung wurde schwächer.

Ein kleines Stück noch...

Da'an! hörte er Liams furchtsamen Schrei.

Halten Sie durch, Liam!

Es war zum Greifen nahe...

Obwohl Liam mit all seinen Kräften gegen die Bestie focht, fühlte er, wie ihn sein Mut zusehend verließ. Die fremde Entität wußte, welch abscheuliche Bilder sie ihm vorgaukeln mußte, um ihn zu ängstigen und damit zu schwächen. Sie schleuderte ihm Feuerzungen entgegen, ließ ihn verbrennen, begrub ihn unter einstürzende Geröllmassen, warf ihn in tobende Gewässer und ließ ihn in ein abgrundtiefes Nichts fallen. Und obwohl ihm dies physisch nichts anhaben konnte, mußte er doch all die Qualen erleiden, da ihn nichts vor seiner eigenen Phantasie schützte. Da'an! schrie er gepeinigt auf, als ihm auch noch sein einziger Halt spürbar entglitt.

Doch Da'an ignorierte seine Hilferufe. Wie fasziniert starrte er auf das schemenhafte Etwas, dem er sich näherte. Er bemerkte nicht einmal, daß seine Verbindung zu Liam ganz abriß. Hinter einem seltsamen Gespinst aus sich ständig verändernden Bilder sah er seinen Mentor verborgen. Ma'el hatte seine Menschenform angenommen. Er lag auf einer Art Bahre und schien zu ruhen. Da'an schob den Erinnerungsvorhang beiseite und trat ein. „Ma'el”, flüsterte er ergriffen. Auch wenn dies nicht die Realität war, so wollte er sich doch in diesem Augenblick ganz der Illusion hingeben, daß ihm ein letztes Wiedersehen mit seinem Mentor und Freund gegeben war. Ma'el, der so viel mehr war.

Er streckte seine mentale Hand aus und berührte ihn behutsam. Als hätte er auf dieses Zeichen gewartet, erhob sich sein Mentor und richtete sich auf. „So seid ihr gekommen, um meine Botschaft zu vernehmen. Meine Botschaft für die Menschen.”

Da'an fuhr völlig überrascht zurück. „Und deine Botschaft an uns?” fragte er. „Was hast du UNS zu sagen, Ma'el?”

„Meine Botschaft gilt den Menschen”, erwiderte sein Mentor sanft. Er zeigte keinerlei Reaktion angesichts der Anwesenheit des Taelons. Aber das war nicht weiter verwunderlich. Schließlich war er nur eine Reflexion dessen, was Da'an kannte.

„Wenn SIE kommen, seid bereit”, deklamierte Ma'el. „Begegnet IHNEN ohne Scheu und ohne Furcht, doch verliert niemals eure Wachsamkeit, denn sie werden danach trachten, euch zu hintergehen.” Während er sprach, bauschte der Bildervorhang wie unter einem plötzlichen Windzug auf und zerfiel zu winzigen Energiefunken.

Da'an und Ma'el waren allein in einer grauen Unendlichkeit.

„Zeigt IHNEN den Weg, damit SIE lernen, euch so zu sehen, wie ich es tat. Nicht Feinde sollt ihr sein, sondern Freunde. Wenn der Tag gekommen ist, werdet ihr diejenigen sein, die für die Rechte der Menschen eintreten müssen. - Das ist meine Botschaft. Das ist mein Geschenk. Ihr werdet nicht unvorbereitet sein.”

Das, was Da'an erhofft hatte, war nun eingetreten. Ma'els ursprüngliche Botschaft war erweckt worden und konnte nun den Platz wieder einnehmen, der für sie vorbestimmt war. Dennoch war er enttäuscht. Er hatte auf seine Fragen keine Antwort gefunden.

Ma'els Präsenz wurde spürbarer und breitete sich aus - wie ein Licht, das immer heller wurde und bald alles überstrahlte. Bald erfüllte sie Jemens Bewußtsein bis in den tiefsten Winkel. In ihrem Glanz zerfaserten die machtvollen Angriffe einer überraschten Entität. Die böswillige Macht, die Jemens Geist gemartert hatte, verlor gänzlich an Kraft und zog sich schließlich wie ein verwundetes Tier zurück.

 

Ende von Kapitel 8

 

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