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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Während Jemen zunehmend Da'ans Vertrauen gewinnt, gerät Liam immer mehr ins Abseits
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Da'an, Liam Kincaid, Zo'or, Jemen Tyler, Sandoval, T'than
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 6

 

Am nächsten Morgen wartete Da'an vergeblich in der Botschaft auf Jemen. Er ließ eine angemessene Zeit verstreichen, denn er wußte, daß sich Menschen aus vielerlei Gründen verspäten konnten. Dann rief er sie über ihr Global. „Eine Verbindung ist derzeit nicht möglich”, wurde ihm mitgeteilt. Und als er die Nummer ihrer Wohnung wählte, meldete sich nur der Anrufbeantworter. Langsam begann er sich zu wundern. Kurze Zeit später ertappte er sich dabei, daß er in der Botschaft auf und abging. Der menschliche Ausdruck dafür war „Nervosität”. Aber ein Taelon wurde nicht nervös, allenfalls ungeduldig. Offenbar hatte er unbewußt menschliche Verhaltensweisen übernommen. Eigentlich hätte ihn diese Feststellung amüsieren müssen und dazu aufgefordert, ihre beiden Spezies miteinander zu vergleichen, aber Da'an hatte schon vor langer Zeit aufgehört, sich diesem kleinen Vergnügen hinzugeben. Er nahm wieder in seinem Stuhl Platz und aktivierte die Energiedusche. Sein Geist öffnete sich einem eigenen Kosmos, fernab der Kontrolle des Gemeinwesens. Eine Weile ließ er seine Gedanken treiben, aber er konnte die Entspannung nicht finden, nach der es ihm verlangte. Die Last der Verantwortung schien ihn zu erdrücken, mehr noch, sie wurde zu einem Phantom, das ihn jagte und ihm seine eigenen Verwerflichkeiten vor Augen führte. Aber wo begann der Verrat? Wo endete seine moralische Verpflichtung gegenüber seiner eigenen Spezies? Ihm schauderte bei dem Gedanken, daß am Ende alles vergebens war.

Da'an schlug die Augen auf und betrachtete das vertraute Energiemuster, das ihn umgab. Aber es spendete ihm nicht den Trost, den er sich ersehnte. Also schloß er die Augen wieder. Träumen. Im Traum konnte er die Realität vergessen. Im Traum konnte er auch seine Schuld vergessen.

Ma'el.

Mentor. Freund. Vertrauter.

Da'an fühlte, wie etwas seinen Geist berührte, ihn in eine warme mentale Umarmung hüllte. Du bist im Zorn gegangen, Ma'el, dachte er. Und ich werde niemals die Gelegenheit haben, dir zu sagen, daß du Recht hattest, daß ich es war, der sich irrte. Vor seinem inneren Auge erschien die schemenhaften Umrisse Ma'els, die langsam an Stabilität gewannen, bis er den Eindruck hatte, daß er nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu berühren.

Mentor... Freund... Vertrauter...

Und es läge mir soviel daran, dich um Verzeihung zu bitten.

Schritte ertönten und rissen Da'an aus seinen Träumen. Das Energiefeld erlosch, als er sich aufsetzte.

„Major!”

„Zo'or schickt mich. Er wünscht, daß Sie auf das Mutterschiff kommen”, sagte Kincaid. „Er hat mehrfach versucht, Verbindung zu Ihnen aufzunehmen.”

Da'an wirkte jetzt ein wenig desorientiert.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Da'an?” Es war unüblich, daß sich ein Taelon um diese Zeit regenerierte. Sie hatten sich mittlerweile dem Tagesrhythmus der Menschen angepaßt und die Erholungszyklen auf die Nacht verlegt.

„Es geht mir gut, Liam”, winkte Da'an ab und erhob sich von seinem Stuhl. „Haben Sie etwas von Miss Tyler gehört?”

„Nein.” Der junge Companion-Beschützer sah ihn verwundert an. „Ist sie denn nicht zum Dienst erschienen?”

Da'an schüttelte den Kopf. „Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?”

„Gestern abend. Ich empfing sie auf dem Mutterschiff und führte sie zu Zo'or.” Mensch und Taelon machten sich nun auf dem Weg zum Shuttle-Platz. „Nun, dann ist sie vielleicht noch dort.” Auf dem Hangardeck des Mutterschiffes trennten sich ihre Wege wieder. Da'an suchte allein die Brücke auf.

„Da bist du ja endlich.” Zo'or wirkte angespannt.

„Was gibt es denn, Zo'or?”

„Ich habe ein Treffen mit Präsident Thompson vereinbart. Du weißt, ich beabsichtige, ihn als Berater der Synode vorzuschlagen.”

„Du kennst meine Meinung darüber.”

„Trotzdem hätte ich dich gern bei diesem Gespräch dabei.”

Da'an musterte sein Kind und stellte fest, daß es Zo'or vermied, ihn anzusehen. Irgend etwas schien ihn zu beschäftigen, und soviel stand fest, es war nicht die neue Rolle des Präsidenten. Hatte es vielleicht mit Jemen Tyler zutun? Da'an beschlich ein ungutes Gefühl. Wenn Zo'or zufällig Ma'els Präsenz wahrgenommen hatte, dann war die junge Frau in Gefahr. Unter einem Vorwand verließ er die Brücke, um Ausschau nach Kincaid zu halten. Er steuerte die nächste Kom-Konsole an. „Aufenthaltsort von Major Kincaid”, befahl er.

Ein roter Punkt in der Nähe der Verhörzellen leuchtete auf. Da'an eilte davon. Auf halbem Weg kam ihm sein Beschützer entgegen. „Liam, haben Sie Miss Tyler gefunden?” fragte der Taelon hastig.

„Ja... Sie befindet sich in einer Verhörzelle.”

„Folgen Sie mir!” befahl Da'an.

„Da'an!” rief Kincaid und mußte sich beeilen, um Schritt zu halten. „Zo'or wird einen Grund gehabt haben, wenn er Tyler unter Arrest stellte.” Doch der Companion ignorierte seinen Einwand. Zielstrebig durchschritt er die Korridore, bis er den Bereich der Sicherheitsverwahrung erreicht hatte. „Da'an”, versuchte es Kincaid erneut, und abermals erhielt er keine Antwort. Der Taelon warf jeweils einen kurzen Blick in jede einzelne Zelle, bis er sein Ziel erreicht hatte. „Öffnen Sie!” forderte er seinen Beschützer auf. Beunruhigt starrte er in den Raum. Jemen saß vor dem Stuhl, einen Arm und den Kopf auf die Sitzfläche gelegt. Offensichtlich schlief sie.

„Haben Sie mit Zo'or gesprochen?” fragte Liam. „Ich meine, Sie sollten nicht einfach über seinen Kopf hinweg entscheiden...”

„Öffnen Sie, Major!” Da'ans Stimme klang jetzt ungeduldig. Einen weiteren Widerspruch schien er nicht zu tolerieren. „Oder muß ich es selbst tun?”

Widerwillig gehorchte der junge Mann und betätigte die Kontrolle. Das Kraftfeld erlosch, und Da'an betrat die Zelle.” Er beugte sich zu Jemen hinunter und berührte sie vorsichtig am Arm. Augenblicklich fuhr sie hoch und sah ihn erschrocken an. „Zo'or!” stieß sie unvermittelt hervor und sah sich hastig um.

„Beruhigen Sie sich, Jemen. Ihnen droht keine Gefahr.”

Benommen strich sie sich das Haar aus dem Gesicht. „Er hat mich eingesperrt.”

„Erzählen Sie mir, was geschehen ist”, forderte Da'an die junge Frau auf und musterte sie besorgt.

Jemen gab einen kurzen Bericht über ihr Gespräch mit Zo'or ab. Daß es dabei auch um Di'mag gegangen war, verschwieg sie allerdings.

„Ich werde nicht zulassen, daß Sie implantiert werden”, sagte Da'an. Er bemerkte Kincaid, der sich ihnen langsam näherte. „Ich gab Ihnen mein Wort, Jemen. Und ich pflege, meine Versprechen zu halten.”

„Das weiß ich, Da'an”, sagte sie leise. „Das ist es auch nicht, was mich beunruhigt.”

„Was dann?” fragte Liam und sah sie argwöhnisch an.

Da'an warf ihm einen kurzen Blick zu. „Er kann Sie auch nicht aus meinen Diensten entlassen”, versuchte er die junge Frau zu beruhigen. „Dazu besteht keine Veranlassung. Ich werde Zo'or aufsuchen und die Angelegenheit mit ihm klären. Kehren Sie jetzt in die Botschaft zurück und warten dort auf mich.”

„Ich werde Sie fliegen”, bot sich Kincaid sofort an. Sein Gefühl sagte ihm, daß er sie keine Sekunde mehr aus den Augen lassen sollte.

„Danke”, murmelte Jemen. „Da'an.” Sie hielt den Taelon zurück, als dieser die Zelle verlassen wollte. „Verzeihen Sie mir die Frage, aber... Ist es möglich, daß Zo'or etwas mit dem Tod Di'mags zutun hat?”

Sowohl Da'an als auch Liam sahen sie jetzt überrascht an. „Wie kommen Sie auf diese absurde Idee?” fragte der Companion.

„Sein Verhalten gestern abend... Er war so merkwürdig. Er fragte mich nach meiner Beziehung zu Di'mag.”

„Dann haben Sie sein Verhalten offensichtlich falsch interpretiert.”

„Trotzdem...” Sie sah ihn mutig an, obwohl sein Gesicht jetzt einen beinahe feindseligen Ausdruck angenommen hatte. „Ist es möglich, daß er es war, der Di'mag tötete.”

Ein blaues Leuchten ging über Da'ans Gesicht. Ein Zeichen seiner emotionalen Erregung. „Niemals - tötet ein Taelon einen seiner eigenen Art, Miss Tyler”, sagte er scharf. Damit wandte er sich abrupt ab und verließ die Zelle. Kincaid bedachte sie mit einem seltsamen Blick. „Kommen Sie”, sagte er. „Ich bringe Sie jetzt zur Botschaft.” In diesem Augenblick piepte sein Global. Auf dem kleinen Sichtfeld zeigte sich Zo'ors Abbild. „Major Kincaid, ich erwarte Sie umgehend auf der Brücke.”

„Zo'or, können wir das um einige Minuten verschieben... Ich...”

Der Synodenführer funkelte ihn ungehalten an. „Major, ich dulde keine Insubordination. Es ist mir einerlei, was Ihre Aufmerksamkeit gerade beansprucht. Ich erwarte Sie auf der Brücke - sofort!” Damit unterbrach er die Verbindung und brachte Kincaid in eine mißliche Lage.

„Tja, Sie werden mir schon vertrauen müssen”, sagte Jemen und betrachtete ihn ausdruckslos.

Kincaid schluckte eine Entgegnung hinunter und aktivierte sein Global. Er nahm Verbindung zum Hangar auf und beauftragte einen der Freiwilligen, Tyler zur Botschaft zu fliegen.

 
* * *
 

„Major Kincaid, Sie werden T'than begleiten”, sagte Zo'or, als Liam auf der Brücke erschien. „Er will sich über einige unserer Projekte informieren.”

Liam runzelte die Stirn. Das gefällt mir ganz und gar nicht, drückte seine Mimik aus. Und es schwang auch in seiner Stimme mit, als er sagte: „Wie Sie wünschen, Zo'or.” Sein Blick schweifte durch die Runde. T'than, Sandoval, Da'an. Sie alle wirkten so, als führten sie etwas gegen ihn im Schilde. Vielleicht werde ich ja schon paranoid, dachte er und folgte dem Kriegsminister, als sich dieser anschickte, die Brücke zu verlassen.

„Agent Sandoval, ich habe für heute vormittag einen Treffen mit Präsident Thompson arrangiert. Bitte kümmern Sie sich darum.”

„Sehr wohl, Zo'or.” Sandoval ging nun ebenfalls.

„Nun zu dir, Da'an.” Zo'or drehte sich in seinem Stuhl. „Ich nehme an, du hast es dir inzwischen anders überlegt.”

Da'an warf ihm einen langen Blick zu. „Ich bin hier, um mit dir über Jemen Tyler zu sprechen.”

 
* * *
 

Je näher Jemen dem Hangardeck kam, um so langsamer wurden ihre Schritte. Irgend etwas hatte sich seit dem gestrigen Abend verändert. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie aus sich selbst heraustreten und sich dann betrachten. Doch das, was sie da sah, erschreckte sie. Das war nicht mehr länger sie, sondern eine fremde Person. Ein fremder Willen. Eine fremde Macht. Mit Di'mags Hilfe hatte sie die dunklen Emotionen bändigen können. Und nun, da er fort war, schien sie die Kraft nicht mehr zu besitzen, sich dagegen aufzulehnen. „Zo'or”, flüsterte eine Stimme hinter ihrer Stirn. „Zo'or.” Sie hatte die Kontrolle über sich verloren, als er sie packte, und ihm damit die Möglichkeit gegeben, in ihr Innerstes zu sehen. Aber wieviel hatte er tatsächlich davon wahrgenommen? „Zo'or.” Die Stimme wurde immer drängender. Sie schnappte unwillkürlich nach Luft, als sie sich dem fremden Bewußtsein entgegenstemmte. Es zwang sie, sich umzudrehen und zurückzugehen. Erneut wollte sie sich dem Zwang widersetzen, aber in dem Maße, wie sie ihre eigene mentale Kraft aufwandte, schien sich diese zu verdoppeln und sich gegen sie zu wenden. Schließlich mußte sie die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens akzeptieren. Sie fügte sich der fremden Macht, die sie zur Brücke hinführte, auch wenn sie nicht wußte, was sie dort erwartete.

 
* * *
 

Zo'or und Da'an hatten einen Nebenraum der Brücke aufgesucht. Sie standen nun beide vor dem virtuellen Glas und starrten hinaus in das All. „Du hast Miss Tyler eingesperrt. Überschreitest du damit nicht deine Kompetenzen?”

Zo'or wirkte für einen Augenblick überrascht. Doch er hatte sich sehr schnell wieder gefangen. „Wenn du so leichtsinnig mit deiner Sicherheit umgehst, mußt du dich nicht wundern, wenn ich mich genötigt sehe, einzugreifen”, erwiderte er kühl.

Da'an streifte ihn mit einem kurzen Blick. „Findest du deine Handlungsweise nicht ein wenig übertrieben?” Er wartete keine Antwort ab, sondern setzte sofort hinzu: „Ich schon. In gewisser Weise kann ich sie sogar nachvollziehen. Jemen Tyler war dir von Anfang ein Dorn im Auge. Aber die Aggression, die du dabei an den Tag legst, erstaunt mich doch. Ich muß mich also fragen, was der Hintergrund ist.”

Zo'or hob die Hand. „Von Aggression kann hier nicht die Rede sein.”

Doch das wollte ihm Da'an nicht abnehmen. „Ich kenne dich, Zo'or. Jemen Tyler war ziemlich verstört, als ich sie aus der Zelle befreite...”

Zo'or fuhr herum. „Dazu hattest du kein Recht.”

„Du hattest kein Recht, sie unter Arrest zu stellen. Ich möchte nicht wissen, wie euer Gespräch abgelaufen ist.”

Doch darauf ging der Synodenführer erst gar nicht ein. „Vielleicht bin ich ihr gegenüber ein wenig mißtrauischer”, sagte er einlenkend. „Doch dazu habe ich auch allen Grund. Schließlich wissen wir noch immer nicht, wer Di'mags Tod zu verantworten hat.”

„Di'mag”, sagte Da'an bedeutungsvoll. Sein Blick ruhte forschend auf Zo'or, und wieder entging ihm nicht dessen Angespanntheit. „Im Grunde dreht sich alles nur um Di'mag.” Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen, und er wandte sich um, konnte aber in dem abgedunkelten Raum nichts Auffälliges wahrnehmen. „Di'mag”, wiederholte er, um das Gespräch erneut aufzunehmen. „Du hast Jemen Tyler gefragt, in welcher Beziehung sie zu ihm gestanden hätte. Nun frage ich dich, in welcher Beziehung du...”

„Schweig!” Zo'or war herumgefahren und starrte ihn nun mit unverhohlener Wut an. „Wage es nicht, Da'an!” warnte er seinen Artgenossen. „Ich lasse mich nicht von dir auf diese Weise beleidigen.”

„Weil es ein Tabu geworden ist?” sagte Da'an und trotzte seinem zornigen Blick. „Eine verpönte Angelegenheit. Ein Rückfall in unsere atavistische Vergangenheit? Du bist mein Kind. Doch du lehnst mich ab. Liegt es daran, weil ich den Weg des Unmöglichen gegangen bin? Gegen alle Vernunft, einem unbestimmten Gefühl folgend? Verachtest du mich deshalb, Zo'or?”

Sein Schweigen war Antwort genug.

„Oh, Zo'or.” Da'ans Stimme nahm nun einen niedergeschlagenen Tonfall an. „Wann endlich wirst du begreifen, daß es gerade die Ablehnung dieser Emotionen war, die uns an den Rand des Abgrunds brachte. ”

„Sie war es, die es uns erst ermöglichte, uns weiterzuentwickeln”, sagte er ungehalten. „Du bist es, der nicht begreift, Da'an. Sieh dir doch die Menschen an. Wohin haben sie ihre Emotionen gebracht? Wir sind ihnen in der Entwicklung eine Millionen Jahre voraus.”

„Aber sie sind es, die weiterleben werden, Zo'or”, bemerkte er scharfsinnig. „Während wir eine sterbende Rasse sind, zum Untergang verdammt, wenn es uns nicht gelingt, diesen Prozeß aufzuhalten.”

„Pah.” Zo'ors Hand fuhr unwirsch durch die Luft. „Du hast aufgegeben, Da'an. Du hast dich von diesen Menschen viel zu sehr beeinflussen lassen.”

„In unserem Streben nach Vollkommenheit haben wir das Gemeinwesen über die emotionelle Nähe zu einem Partner gestellt, weil wir glaubten, die Gemeinschaft könnte diese im gleichen Maße ersetzen, ja sogar vervollkommnen „, erwiderte der Taelon leise. „Wir stellten den Intellekt über das Gefühl. Doch wir vergaßen dabei, daß Liebe die treibende Kraft ist. Jede empfindungsfähige Spezies in diesem Universum besitzt diese Emotion. Doch wir gaben sie auf. Und nun stehen wir vor dem Scherbenhaufen unserer Zivilisation. Wir haben verlernt zu lieben, Zo'or.” Damit ließ er sein Kind stehen und ging davon.

Zo'or hielt ihn nicht auf. Er schaute ihm nicht einmal hinterher. Er starrte nur wütend in die Schwärze des Alls. „La'ha'shii”, flüsterte er rauh. Das verpönte Wort.

 
* * *
 

„Sie sind schon eine ganze Weile Da'ans Beschützer, nicht wahr?” versuchte es T'than mit einem Gespräch, als er und Kincaid durch die Forschungssektion wanderten.

„Das ist richtig”, antwortete Liam und mußte sich bemühen, aufmerksam zu sein, obwohl ihn diese Besichtigungstour langweilte. Zo'or hatte sich auf T'thans Inspektion gut vorbereitet und sämtliche fragwürdigen Forschungen, die einen Ansatz zu Kritik boten, verschwinden lassen. Der wissenschaftliche Bereich war zum Vorzeigeobjekt geworden. Ein Muster ohne Wert. Ihm war klar, daß T'than ähnliche Gedanken hegte, denn der Taelon zeigte kein großes Interesse und unterbrach jeden Projektleiter, sobald diese zu einem längeren Vortrag ansetzte. Er fragte sich allerdings, warum er Zo'ors Spiel mitmachte.

„Es ist eine außergewöhnliche Erfahrung, einen nichtimplantierten Beschützer zur Seite gestellt zu bekommen”, fuhr der Kriegsminister fort. „Aber so langsam kann ich Da'an verstehen. Agent Sandoval mag ja ein loyaler Mitarbeiter sein, aber... ehrlich gesagt, ich finde ihn ein wenig verkrampft.”

Verkrampft? wiederholte Kincaid in Gedanken. Wie Sandoval wohl auf diese Beschreibung reagiert hätte?

„Ich habe genug gesehen”, entschied T'than plötzlich und deutete zum Ausgang. „Lassen Sie uns gehen. Meine Zeit ist zu kostbar, um sie mit Zo'ors Alibi-Projekten zu vertrödeln. Wichtigere Dinge warten auf mich.”

Liam kam seiner Aufforderung nur allzu gern nach. Je schneller er sich wieder seinen eigentlichen Pflichten widmen konnte - und in diesem Fall war es die Überwachung von Jemen Tyler - um so besser. Außerdem mochte er den überheblichen Kriegsminister nicht. Als sie die Sektion verließen, wandte er sich dem Taelon erwartungsvoll zu.

„Es erfüllt Sie bestimmt mit Stolz, Da'ans Beschützer zu sein.” Offensichtlich dachte T'than nicht daran, ihn schon zu entlassen.

Kincaid fühlte, wie die Ungeduld in ihm vibrierte. „Ich arbeite gern für ihn”, sagte er, während er in Gedanken schon auf dem Weg zur Botschaft war.

„Und nun sind Sie Zo'ors Beschützer. Ich hoffe, Sie empfinden mir gegenüber keinen Groll, weil es durch mich zu dieser Änderung kam.” T'thans Blick ruhte selbstgefällig auf seinem Gegenüber.

„Warum sollte ich? Mein Schwur gilt allen Taelons.” Liam gab sich betont gelassen. Allerdings stellte sich ihm die Frage, was T'than eigentlich beabsichtigte. Wollte er seine Loyalität gegenüber seinem Companion testen? Hatte ihn womöglich Da'an selbst dazu beauftragt? Ich versuche ihn zu schützen und er läßt mich zum Dank dafür auszuhorchen, dachte er verstimmt.

„Ich habe mich in meiner Einschätzung möglicherweise geirrt und Sie empfinden Ihre derzeitige Arbeit an der Seite Zo'ors als willkommene Abwechslung.”

„Ich bewerte meine Arbeit nicht daran, ob sie interessant ist oder nicht, T'than”, erwiderte Liam selbstsicher. Jetzt, da er zu wissen glaubte, welche Absicht hinter dem Gespräch steckte, fühlte er sich gewappnet. „Ich diene den Taelons.”

„Und ich erwarte auch nichts anderes von Ihnen, Major Kincaid”, sagte der Kriegsminister, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schritt energisch davon. Liam blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Sie erreichten das Ende des Korridors. Rechts ging es zur Brücke. Der linke Weg führte zum Hangar. Der Companion-Beschützer blieb stehen, weil er annahm, daß ihn T'than nun endlich entlassen würde. Der Taelon bemerkte sein Zögern und verharrte ebenfalls, aber nur um sich umzudrehen und ihn abschätzend von oben bis unten zu betrachten. „Es wird Veränderungen geben, Major.”

„Inwiefern?” Ein Trupp Freiwilliger kam an ihnen vorbei, und Kincaid sah ihnen unwillkürlich hinterher, weil sie genau in die Richtung gingen, in die es auch ihn zog.

„Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die Jaridians in dieses System einfallen. Welche Gefahr daraus für Ihre Spezies erwächst, muß ich Ihnen vermutlich nicht erst noch ausführlich schildern. In meiner Funktion als Kriegsminister bin ich jedoch mit solch einer Situation vertraut und kann Gegenmaßnahmen ergreifen, die Ihre Heimatwelt vor dem sicheren Untergang bewahrt. Doch dazu benötige ich Unterstützung.”

Liams Blick war den Freiwilligen gefolgt, bis sie um die nächste Biegung verschwanden. Er bemerkte plötzlich eine Gestalt, die sich aus dem Schatten der Wand löste und, ohne sich dabei umzuschauen, dem Trupp folgte. Unwillkürlich hielt er den Atem an, als er diese Person erkannte. Jemen Tyler. Sie war nicht in die Botschaft geflogen, sondern trieb sich noch immer auf dem Schiff herum.

„Major, wo sind Sie mit Ihren Gedanken?” ertönte da T'thans mißbilligende Stimme. „Ein solches Verhalten ist sehr unhöflich, auch bei uns Taelons.”

„Verzeihen Sie, T'than”, sagte er hastig. „Aber ich muß sofort...” Er wandte sich schon zum Gehen.

„Bleiben Sie stehen, Major! Ich habe Ihnen nicht die Erlaubnis erteilt, sich zurückzuziehen.”

Kincaid empfand dies als reine Schikane, zumal es dem Kriegsminister anzusehen war, daß er es genoß, Macht über andere Lebewesen auszuüben. Widerwillig gehorchte er.

T'than betrachtete ihn abfällig. Diese Menschen! Sie waren so wenig diszipliniert. So unberechenbar. Im Grund ärgerte er sich jedoch nur darüber, daß er unterbrochen war und daß seine Chancen, den jungen Mann auf seine Seite zu ziehen, dadurch erheblich reduziert wurden. „Was haben Sie Major?”

„Da ist... Ich muß...” Liam brach verärgert ab. Wie sollte er dem Taelon erklären, daß er Da'ans Beschützerin gesehen hatte, daß sie sich trotz eines direkten Befehl immer noch auf dem Schiff befand und er sie insgeheim verdächtigte. T'than sah nicht so aus, als ob er dafür Verständnis aufbringen würde. „Es ist nichts”, murmelte er schließlich.

„Um so besser.” T'than hätte beinahe zufrieden gelächelt. „Dann können wir jetzt unseren Weg und... unser Gespräch fortsetzen.”

 
* * *
 

Jemen war noch immer wie benommen und bemüht, die Kontrolle über ihr Selbst zurückzuerlangen, als sie den Hangar erreichte. Die drängende Stimme in ihrem Kopf war verstummt. Aber sie wußte, daß sie sich nicht der Illusion hingeben durfte, sie besiegt zu haben. Nein, die Stimme hatte sich lediglich zurückgezogen - vorerst, und auch nur, weil auch sie sich gewissen Gesetzmäßigkeiten unterwerfen mußte. Jemen dachte dabei an ihre Waffe. Sie hatte die Pistole gezogen und auf Zo'or gerichtet, ganz wie es von ihr verlangt wurde, bis ihr bewußt wurde, daß eine normale Waffe einem Taelon nichts anhaben konnte. Diese Tatsache hatte das fremde Ich für einen Augenblick irritiert. Es zog sich zurück, um seine Strategie neu zu überdenken. Diese kurze Zeitspanne gab Jemen die Möglichkeit, sich auf ihr eigenes Bewußtsein zu konzentrieren. Instinktiv nutzte sie die einzige Chance, die sich ihr bot, und floh.

Im Hangar herrschte nur mäßiger Betrieb. Die wenigen Freiwilligen, die hier ihren Dienst verrichteten, waren mit der Wartung der Shuttles beschäftigt. Sie nahmen keine Notiz von Jemen, als sie sie bemerkten. Unsicher sah sie sich um. Wo war der Pilot, der sie zur Botschaft fliegen sollte? Oder hatte man ihr Fehlen bemerkt und suchte sie bereits im Schiff? Aber in diesem Fall hätte man wahrscheinlich das Hangarpersonal informiert oder sogar Sicherheitsleute zurückgelassen. Jemen beschloß, keine Zeit zu vertrödeln. Sie mußte so schnell wie möglich vom Mutterschiff, weg von Da'ans Kind. Sie steuerte auf einen Freiwilligen zu, der vor einer Bedienungskonsole stand. „He, Sie! Ich brauche ein Shuttle”, sagte sie und bemühte sich um eine selbstbewußte Stimme. Höflichkeitsfloskel konnte man sich bei einem Freiwilligen sparen. Sie waren wie Marionetten, einzig und allein darauf geeicht, Befehle auszuführen. Der Mann drehte sich langsam um. Seine blauen Augen musterten sie amüsiert. „Wie schön, dich wiederzusehen, Jemen.”

„Tom”, stieß sie verblüfft hervor. „Wie kommst du denn hierher?”

Ihr Bruder musterte sie lächelnd. „Im allgemeinen benutzt man ein Shuttle oder das Interdimensionsportal, um auf das Schiff zu gelangen”, sagte er, obwohl er genau wußte, daß es nicht die Antwort war, die sie erwartete. Er berührte das Implantat, das sich hinter seinem linken Ohr befand. Eine perfekte Imitation.

„Was tust du hier?” fragte sie diesmal direkter und auch eine Spur drängender. Sie verlor zuviel Zeit. Kostbare Zeit.

„Nun, ich hatte niemals Bedenken, was deine Aktionen betraf. Du bist ein cleveres Mädchen, Jemen. Hendriks sieht das allerdings ein wenig anders. Er vermutete, daß du dich durch deinen Alleingang möglicherweise in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könntest. Deshalb bin ich hier. Um dir zu helfen.”

Jemen ersparte es sich, ihn zu fragen, wie er auf die Idee kam, daß sie jetzt in Schwierigkeiten sei. Er kannte sie zu gut. Und er war in der Lage, die Aura der Furcht wahrzunehmen, bevor es die betreffenden Personen selbst bemerkten. „Das Einzige, was ich jetzt brauche, ist ein Shuttle”, sagte sie.

„Das läßt sich arrangieren”, erwiderte er und wandte sich wieder den Kontrollen zu. „Hast du über unser Angebot noch einmal nachgedacht? Bist du jetzt bereit, dich uns anzuschließen?” fragte er nach einer Weile.

„Warum...” Sie brach sofort wieder ab. Er hatte gefühlt, was mit ihr los war. Er hatte es schon bei ihrem ersten Treffen gewußt. Deshalb hatte er sie auch gehen lassen, weil er wußte, daß sie eines Tages sowieso zu ihnen kommen würde, wenn die dunkle Seite ihres Selbst die Oberhand gewann.

„Wir sind unserem Ziel jetzt sehr nahe”, flüsterte er und warf ihr einen langen Blick über die Schulter zu. Seine Pupillen waren unnatürlich geweitet, und für einen Augenblick sah sie das entsetzliche Grauen darin. Doch dieses Grauen schreckte sie seltsamerweise nicht mehr. Es schien ihr auf eine unerklärliche Weise vertraut. Es verkündete Frieden. Unendlichen Frieden. Aber der menschliche Teil in ihr, das, was die Person Jemen Tyler ausmachte, schrie innerlich vor Entrüstung auf. Verwirrt fuhr sie zurück.

„Du solltest nicht dagegen ankämpfen”, sagte ihr Bruder und starrte sie eindringlich an. „Es ist unsere Bestimmung.”

„Bestimmung?” wiederholte sie tonlos, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Alles in ihr lehnte sich gegen diese Unabänderlichkeit auf. „Ich habe das nie gewollt.”

„Wir sind das Werkzeug, Jemen. Vor langer Zeit dazu auserkoren. Und deshalb stellt sich auch nicht die Frage, ob wir es wollen oder nicht. Wir müssen es tun. Wir wurden einzig und allein zu diesem Zwecke geboren.”

„Und wenn wir uns verweigern?” Sie wußte, daß es sinnlos war, diese Frage zu stellen, da sie die Antwort bereits kannte.

„Dann bedeutet es den Tod”, erwiderte er hart.

 
* * *
 

„Wenn ich Sie recht verstehe, dann soll ich mich also auf Ihre Seite schlagen und gegen Zo'or opponieren.” Liam blieb im Hauptkorridor des Mutterschiffes stehen. Damit war es T'than tatsächlich gelungen, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, so daß er sich sogar von Jemen Tyler ablenken ließ. Bisher hatte er angenommen, daß sich der Machtkampf um die Führung der Synode mehr oder weniger auf Zo'or und Da'an beschränkte. Nun konnte er seiner Liste einen weiteren Taelon hinzufügen, und dieser Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht.

T'than maß ihn mit einem ungeduldigen Blick. „Das habe ich damit nicht ausdrücken wollen, als ich Ihnen einen Posten in meinem Mitarbeiterstab anbot, Major.” Er bemühte sich um größtmögliche Diskretion, und dieser tölpelhafte Mensch posaunte es in alle Öffentlichkeit hinaus. „Ich will die Erde vor einer Invasion durch die Jaridians bewahren.”

„Aha”, gab Kincaid mit genau der Menge Spott von sich, die angesichts des Kriegsminister zulässig war.

„Sie könnten sich dabei als recht nützlich erweisen, und Sie täten Ihrer Spezies damit einen großen Gefallen. Ihnen werden zudem Privilegien zuteil, wie sie sonst keinem Menschen gewährt werden.”

„Das mag ein durchaus lohnenswerter Gedanke sein. Aber wissen Sie, ich eigne mich nicht so als Held. Ich bin mit meiner jetzigen Aufgabe zufrieden und möchte sie nicht durch eine andere ersetzen.”

T'thans Lippen preßten sich aufeinander. Warum machte er sich überhaupt die Mühe, sich mit diesen primitiven Erdlingen abzugeben. Bei Sandoval hatte er eine latente Veranlagung von Machtstreben gespürt und diese für sich auszunutzen versucht. Leider entwickelten sich die Dinge nicht so ganz, wie er es erhofft hatte. Vermutlich lag es daran, daß er ein Implantant war. Das CVI ließ nicht zu, daß Sandoval sein Augenmerk zu sehr auf seine eigene Person richtete. Es überlagerte seine persönliche Ambitionen. Und nun schien sich auch Kincaid als Reinfall zu erweisen. Er besaß zwar kein CVI, war aber mit der Aussicht auf Macht nicht zu ködern. Das war alles andere als befriedigend für den Kriegsminister. „Nun, vielleicht waren meine Erwartungen auch zu hoch”, sagte er und musterte Kincaid verächtlich. Dann drehte er sich abrupt um und setzte seinen Weg fort.

Liam erinnerte sich seufzend an Tyler. Sie war inzwischen bestimmt über alle Berge.

„Major!” Aus einem Seitengang tauchte Sandoval auf, der zielstrebig auf ihn zusteuerte. Kincaid sah ihn beinahe erfreut an. „Ich hoffe, Sie sind gekommen, um mich von T'thans Anwesenheit zu befreien”, scherzte er halblaut.

Der FBI-Agent starrte ihn ausdruckslos an. „Ich muß Sie bezüglich Da'ans Beschützerin sprechen. Ich habe erfahren, daß Zo'or Miss Tyler gestern abend unter Arrest stellte und daß Da'an sie gehen ließ.”

Sofort wurde Liams Blick wachsam. „Das ist korrekt. Ich sollte sie eigentlich zur Botschaft begleiten, aber Zo'or hatte ja andere Pläne für mich.” Sein Gesicht drückte jetzt seinen Unmut darüber aus, daß er von dem Synodenführer daran gehindert worden war.

„Ich habe Miss Tyler überwachen lassen”, erklärte Sandoval und musterte ihn aufmerksam. „Sie hatte Kontakt zu einigen Leuten einer Widerstandszelle, die sich Dark Blue nennt.”

Liam mimte den Überraschten. „Dark Blue? Nie von denen gehört.”

„Eine sehr verdeckt operierende Organisation”, erläuterte der FBI-Agent. „Aber das ist im Moment unerheblich. Tyler ist ein Kollaborateur. Sie muß umgehend festgesetzt werden.”

„Ich verstehe. - Ist Da'an darüber schon informiert?”

„Nein. Tyler könnte Verdacht schöpfen und verschwinden. Aus diesem Grund habe ich auch davon abgesehen, mein Team in die Botschaft zu schicken. Ich möchte, daß Sie das übernehmen.”

„Dann rechne ich mit Schwierigkeiten”, sagte Liam und warf einen kurzen Blick in den Korridor. Von T'than war nichts mehr zu sehen. „Immerhin war es Da'an, der sich für Tyler einsetzte und sie zu seiner Beschützerin machte.”

„Sie ist ein Widerstandsmitglied, Major. Ich glaube kaum, daß sie nach dieser Eröffnung noch sein Wohlwollen besitzen dürfte.”

Dessen war sich Liam aber nicht so sicher. Immerhin gehörte er auch dem Widerstand an. Und derzeit waren er und Da'an nicht gerade das, was man Freunde nennen konnte. Er würde in seinen Versuchen, ihn von der Wahrheit zu überzeugen, nur einen Vorwand sehen, Tyler zu denunzieren.

„Jemen Tyler muß festgesetzt werden”, sagte Sandoval energisch, als er die Zweifel in den Augen seines Kollegen sah. „Wenn sich Da'an nicht kooperativ zeigt, müssen Sie einen anderen Weg finden. Haben Sie mich verstanden, Major?” Er wartete keine Bestätigung ab, schien sie als selbstverständlich anzunehmen. „Halten Sie mich auf dem laufenden.” Damit wandte er sich ab.

 
* * *
 

Auf dem Weg zum Hangar nahm Kincaid Kontakt zu Augur auf. „Hast du inzwischen etwas herausgefunden, was uns weiterhelfen könnte?”

„Nein, tut mir leid.”

„Ich hoffe, das lag nicht am fehlenden Ehrgeiz, Augur. Sandoval weiß übrigens von den Dark Blue. Er hat Tyler überwachen lassen.”

„Tja, man sollte seine Fähigkeiten nie überschätzen”, erwiderte der Hacker ungerührt.

„Ich wette, er ist dabei, den Stützpunkt zu lokalisieren. Und was das bedeutet, brauche ich dir wohl nicht zu erklären.”

Augur musterte ihn mit einer gewissen Genugtuung. „Dann wird er wohl eine Überraschung erleben.”

„Wie meinst du das?”

„Ich habe heute morgen die Info hereinbekommen, daß auf dem Schwarzmarkt ein ganz großer Deal mit Taelonwaffen stattgefunden hat. Vielleicht liege ich ja völlig falsch. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, daß die Dark Blue dahinterstecken.” Augur legte seine Stirn in nachdenkliche Falten. „Ist möglicherweise eine echt üble Falle.”

Liam sah ihn fragend an.

„Wir wissen ja nicht, wie lange Sandoval schon etwas von den Dark Blue weiß”, fuhr der Schwarze fort. „Aber nehmen wir mal an, er ist erst kürzlich daraufgestoßen, dann doch nur, weil sie es zuließen, weil sie wollten, daß er auf sie aufmerksam wird.”

Er brauchte nicht weiterreden. Liam verstand auch so. „Augur, du mußt deren Versteck finden”, sagte er drängend. „Das gibt sonst ein fürchterliches Blutbad.”

„Fürchterlich?” wiederholte der Hacker und schürzte die Lippen. „Ich sehe nur Sandoval, ein paar Freiwillige und Widerstandskämpfer, denen es völlig egal ist, wen sie da über den Haufen knallen.”

„Aber es sind Menschen”, erwiderte Liam und sah seinen Freund beinahe entsetzt an. „Menschen, Augur, die sich für die Taelons gegenseitig umbringen.”

Augur preßte die Lippen zusammen. Es interessierte ihn herzlich wenig, ob Sandoval der menschlichen Spezies angehörte oder nicht, da er nur Verachtung für ihn übrig hatte. Aber was Liam über ihn denken könnte, das war ihm nicht so egal. Die Vorstellung, daß er in den Augen seines Freunde erheblich an Achtung verlor, wenn er auf seine Einstellung beharrte, ließ ihn schließlich einlenken. „Ok, Liam... Du hast ja recht. Es gab schon zu viele Tote. Man muß das nicht auch noch forcieren. Ich melde mich bei dir, sobald ich etwas herausgefunden habe.”

„Danke”, sagte sein Freund erleichtert. „Ich wußte doch, daß du mich nicht im Stich läßt.”

 
* * *
 

„Da'an?” Liam kam um die Ecke gebogen und sah sich suchend in der Botschaft um. Auf dem Weg hierher hatte er versucht, das kommende Gespräch auf verschiedene Weise in Gedanken durchzuspielen, um vorbereitet zu sein. Aber wie er es auch anfaßte, immer lief es auf eine Konfrontation hinaus. Dabei war ihm eines klar geworden: Wenn ihre Freundschaft noch eine Zukunft haben sollte, dann mußten sie schleunigst etwas verändern. Unmerklich hatten sie sich immer mehr voneinander entfernt. Das Erschreckende daran aber war für Liam die Tatsache, daß sie es so einfach hingenommen hatten. Wann hatten sie angefangen, so gleichgültig dem anderen gegenüberzustehen? Und warum? Sicher, seine eigene persönliche Entwicklung hatte ihn den Taelons gegenüber kritischer werden lassen. Aber immer wenn es darauf ankam, hüllte sich Da'an in Schweigen. Das verletzte ihn und machte ihn zornig. Ein ohnmächtiger Zorn, der ihm seine eigene Hilflosigkeit um so deutlicher spüren ließ. Er wollte diese Entwicklung nicht. Sie machte ihm Angst.
Und obwohl dies kein günstiger Augenblick war, ihre beider Beziehung einmal einer kritischen Betrachtung zu unterziehen, war Liam diesmal fest entschlossen, reinen Tisch zu machen. Aber tief in seiner Seele fürchtete er sich vor dem Augenblick der Wahrheit.

Als er Da'an nicht auf Anhieb entdeckte, war er beinahe erleichtert, und für einen Augenblick gab er sich der trügerischen Hoffnung hin, daß sich der Taelon in sein Wohnquartier zurückgezogen hatte, weil er nicht gestört werden wollte. Aber dann erblickte er ihn oberhalb der Rampe, in tiefe Nachdenklichkeit versunken. Er wandte sich ihm erst zu, als ihn Liam erneut rief.

„Ich nehme an, Sie suchen Miss Tyler”, sagte Da'an.

„Da sie nicht hier ist, wird sie sich wohl aus dem Staube gemacht haben”, erwiderte Liam. Er versuchte erst gar nicht, den Sarkasmus aus seiner Stimme fernzuhalten.

Der Companion verließ die Rampe und musterte seinen Beschützer schweigend. Ahnte er etwas? Schließlich wandte er sich ab und nahm in seinem Stuhl Platz, während Liam nach den richtigen Worten suchte, um zu beginnen. „Tyler gehört dem Widerstand an.”

„Sie ebenfalls”, entgegnete Da'an, ohne ihn anzusehen.

„Mit dem Unterschied, daß Tylers Widerstandszelle eine sehr radikale Organisation ist, die sich vorgenommen hat, die Taelons von diesem Planeten zu vertreiben, notfalls mit Gewalt. Und mit Gewalt meine ich, daß sie nicht zögern, jeden Taelon und jeden Menschen zu töten, der sich ihnen widersetzt.”

Da'an sah ihn noch immer nicht an, aber auf seinem Gesicht zeigte sich jetzt Überraschung. „Woher haben Sie diese Information?”

„Von Sandoval. Er hat Tyler überwachen lassen und dabei ihre Verbindung zu dieser Gruppe, die sich Dark Blue nennt, aufgedeckt. Aber unabhängig davon ist Augur zu demselben Ergebnis gekommen.”

„Sie haben also seit geraumer Zeit Kenntnis von dieser Gruppe und hielten es nicht für nötig, mich zu informieren?” fragte der Taelon scharf. Sein Kopf fuhr herum, und er fixierte seinen Beschützer mit einem sondierenden Blick. „Können Sie mir das bitte mal erklären!”

Liam versuchte mühsam, sich zu beherrschen. Das emotionale Magma brodelte in ihm und verlangte nach einem Ventil. „Verdammt, Da'an”, preßte er hervor. „Ich habe Sie die ganze Zeit vor Tyler gewarnt. Aber Sie wollten nicht hören.”

„Es geht jetzt nicht um Jemen Tyler, sondern darum, daß Sie sehr leichtsinnig mit der Tatsache umgehen, daß sich da draußen eine Gruppe Fanatiker bilden konnte, die nicht nur eine Gefahr für die Taelons bedeuten.”

„Es geht sehr wohl um Tyler”, erwiderte Liam hitzig. „Denn wenn Sie nicht so voreingenommen gewesen wären, dann bestünde jetzt nicht so eine große Gefahr für Ihr Leben und das der anderen. Dadurch, daß Tyler Beschützerin werden konnte, erhielt sie die Möglichkeit, auf interne Daten zuzugreifen...”

„Sie hatte nur einen beschränkten Zugriff”, unterbrach ihn Da'an. „Das dürfte wohl kaum ausreichend sein, um an relevante Daten heranzukommen.”

„Das wissen wir nicht! Tyler erhielt doch von Ihnen heute morgen die Order, umgehend zur Botschaft zu fliegen. Tatsächlich ist sie aber auf dem Schiff geblieben.”

„Woher wollen Sie das wissen?”

„Weil ich sie gesehen habe. Sie trieb sich in der Nähe der wissenschaftlichen Sektion herum, und das ist verdammt weit weg vom Hangar.” Liam machte ein paar Schritte auf den Taelon zu. „Da'an, Sie haben sich in ihr geirrt”, sagte er eindringlich. „Tyler hat Ihnen die ganze Zeit etwas vorgemacht und Ihre Gutmütigkeit für ihre eigene Zwecke ausgenutzt.”

„Ich halte das für etwas überzogen, Liam.”

„Überzogen?”

„Ja.”

„Halten Sie es auch für überzogen, wenn ich Ihnen sage, daß Tyler Sie bezüglich ihres Alibis angelogen hat? Sie gab an, mit den Vorbereitungen für den wissenschaftlichen Kongreß beschäftigt gewesen zu sein. Ich habe das überprüft. Tatsächlich gibt es einige Leute, die bestätigen können, sie im Kongreßzentrum gesehen zu haben - allerdings nicht zur Tatzeit.”

„Das beweist gar nichts, Liam.”

„Und wieso hatte sie eine Kopie der Aufzeichnung aus der Überwachungskamera, während das Original völlig unbrauchbar war?”

„Sie wird die Kopie angefertigt haben, bevor sie das Labor unter Bewachung stellte.”

„Oh, wie geistesgegenwärtig. Sie hatte gerade festgestellt, daß ihr Companion lebensgefährlich verletzt wurde. Er lag im Sterben. Und doch bewahrte sie einen kühlen Kopf und fertigte diese Kopie an. Wie bewundernswert.” Liams Stimme triefte förmlich vor Sarkasmus.

Da'an senkte den Blick. Die Argumentation seines Beschützers schien ihn nachdenklich zu stimmen. Liam ließ diese Chance nicht ungenutzt. Wenn Da'an anfing, an Tylers Glaubwürdigkeit zu zweifeln, dann hatte er gewonnen. Am Ende mochte sich doch noch alles zum Guten wenden. „Und die Sache mit dem Archiv! Seltsamerweise explodierte es genau in der Zeit, als Tyler ihre Berechtigungskarte holte. Die Spurensicherung hat festgestellt, daß das Schloß nicht aufgebrochen wurde. Außer Tyler hatten aber nur Di'mag und der Sicherheitschef die Möglichkeit, in den Keller zu gelangen.”

Da'an sah ihn jetzt an. Auf seinem Gesicht spiegelten sich die verschiedensten Gefühle wider. Bestürzung und Enttäuschung, aber auch so etwas wie Zweifel, so als wollte er nicht akzeptieren, daß er sich getäuscht haben sollte. „Ist es bewiesen, daß Jemen Tyler dieser Widerstandsgruppe angehört?” wollte er wissen.

Liam zögerte einen Augenblick zu lange. Schon zeigte sich so etwas wie Hoffnung in Da'ans Augen. Wenn er jetzt auf seinem Standpunkt beharrte, verlor er an Glaubwürdigkeit, denn einen Beweis hatte er tatsächlich nicht. „Sie war ein Mitglied, bevor sie Di'mags Beschützerin wurde...”

„Das heißt, sie kann, muß aber keine Verräterin sein.”

„Da'an, Sie selbst müssen zugeben, daß es nicht von der Hand zu weisen ist. Aus welchem Grund sollte Tyler sonst den Kontakt zu ihrer alten Gruppe gesucht haben? Vielleicht hat sie ja auch nie die Verbindung abbrechen lassen.”

Aber Da'an hatte etwas gefunden, an das er sich klammern konnte, auch wenn er nicht so recht wußte, ob dies der richtige Weg war. Er verließ seinen Stuhl und näherte sich langsam seinem Beschützer. „Tyler litt unter dem Tod Di'mags”, sagte er ruhig. „Ich bin überzeugt, daß sie den Mörder suchte. Warum also nicht bei den Dark Blue?”

Liam verzog verärgert das Gesicht. „Sie suchen schon wieder nach Entschuldigungen”, regte er sich auf. „Sie wollen einfach nicht akzeptieren, daß Tyler diese Art von Einsatz gar nicht verdient. Sie verdient nicht Ihr Vertrauen und auch nicht Ihre Freundschaft.”

„Ich denke, Sie irren sich”, erwiderte der Taelon unnachgiebig. „Ich behaupte nicht, daß meine Menschenkenntnis ausreicht, um einen Fehler von vorn herein auszuschließen. Aber Tyler erscheint mir nicht wie eine Verräterin.”

Es erboste Liam, daß sich Da'an so für Tyler einsetzte, daß er ihrer Person mehr Glauben schenkte als seinem eigenen Beschützer. „Verdammt, Da'an, was habe ich Ihnen getan, daß Sie mir nicht einmal, ein einziges Mal nur zugestehen, daß ich Recht haben könnte!”

Der Taelon gab keine Antwort.

„Was macht Sie so verdammt sicher?” Liam starrte ihn an, versuchte in dem undurchdringlichen Gesicht seines Companions etwas zu entdecken, daß ihm weiterhalf. Er hatte das Gefühl, sich im Kreise zu drehen. „Dann nennen Sie mir wenigstens einen Grund, warum Sie sich so für Tyler einsetzen. Damit ich es verstehe.”

Da'an zog es weiterhin vor, zu schweigen, aber für einen Augenblick zeigte sich so etwas wie Bedauern in seinem Gesicht.

„Sie verheimlichen mir etwas!” stieß Liam hervor. „Wieder einmal.” Verbitterung schwang in seiner Stimme mit.

„Sie irren sich, Liam”, erwiderte Da'an, aber er vermied es dabei, ihn anzusehen.

„Aber sicher doch.” Er strich sich verärgert durch das Haar und begann dann, umherzulaufen. „Ich irre mich nur.” Sein Blick schweifte durch die Botschaft. Sie erschien ihm plötzlich fremd und kalt. „Tyler gehört nicht dem Widerstand an”, sagte er sarkastisch. „Und sie hat auch keine wichtigen Daten an die Dark Blue weitergeleitet. Selbstverständlich irre ich mich auch, wenn ich annehme, daß die Taelons in Gefahr sind...”

„Hören Sie auf, Liam. Bitte!”

„Warum?” Er wandte sich kurz seinem Companion zu, musterte ihn auffordernd, um dann seine unruhige Wanderung wieder aufzunehmen. „Es spielt doch keine Rolle, da ich mich sowieso nur irre.”

„Ihr Verhalten ist unangebracht”, sagte Da'an. Es sollte wesentlich resoluter klingen, als es dann tatsächlich der Fall war.

Liam fuhr herum. „Mein Verhalten?” fragte er aufgebracht. „Und wie steht es mit Ihrem Verhalten? Zum Beispiel mir gegenüber? Das Mindeste, was ich verlangen kann, ist ein wenig mehr Offenheit.”

Der Taelon betrachtete ihn stumm.

„Ja, hüllen Sie sich nur wieder in Ihr Schweigen. Das können Sie wirklich gut. Aber mir reicht es langsam, Da'an.” Er kam jetzt auf den Companion zu und stellte sich provokant vor ihn hin. „Ich dachte, wir wären Freunde”, preßte er hervor. „Daß Sie mir vertrauen, so wie ich Ihnen vertraue. Daß wir eine Freundschaft hätten, trotz aller Differenzen.” Er funkelte ihn wütend an. „Aber jetzt sehe ich nur, daß Sie einer Frau, die Sie erst seit kurzer Zeit kennen und über die Sie praktisch nichts wissen, mehr Glauben schenken als mir.” Da'an versuchte ihm auszuweichen, aber Liam stellte ihn erneut. „Ich habe immer das Gute in Ihnen sehen wollen. Ich habe Sie verteidigt, als Sie damals den Widerstand verrieten, nur um Ihre eigene Stellung innerhalb der Synode zu sichern. Ich habe Sie verteidigt, weil ich an das Gute in Ihnen glaubte. Aber mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher, ob es das wert war. Wie Zo'or verfolgen Sie im Grunde nur Ihre eigenen Ziele. Aber im Gegenteil zu Ihnen macht Zo'or kein so großes Geheimnis daraus, daß er die Menschheit nur benutzen will.”

Je länger Liam sprach, um so verärgerter wirkte Da'an. „Es reicht, Liam”, sagte er. Aber Liam dachte nicht daran, aufzuhören. „Ihre Haltung ist verachtenswert, Da'an, weil Sie sie unter dem Deckmantel der Solidarität und Freundschaft verstecken. Aber die Menschheit bedeutet Ihnen in Wirklichkeit gar nichts. Wie Zo'or sind Sie nur daran interessiert, das Überleben Ihrer eigenen Spezies zu sichern. Die Erde wird wie vor ihr viele andere Planeten Ihrem Kampf geopfert. Und wenn nichts anderes übrig bleibt als Schutt und Asche werden Sie weiterziehen...”

„Schweigen Sie, Major!” Da'ans eisige Stimme durchschnitt die Luft wie ein scharfes Messer. „Schweigen Sie, bevor ich mich in dem Maße vergesse, wie Sie es gerade tun.”

„Das ist wohl das Beste”, zischte Liam voll Verachtung. „Ich kann Ihr heuchlerisches Getue nämlich nicht mehr ertragen.” Er drehte sich auf der Stelle um und verließ mit langen Schritten die Botschaft.

Zurück blieb ein völlig fassungsloser Da'an, der in einer hilflosen Geste die Hand hob. „Liam”, flüsterte der Taelon bestürzt. Was hatte er getan? Wie hatte er es soweit kommen lassen können?

„Sie haben ihm nichts verraten.”

Da'an drehte sich um und erblickte Jemen, die langsam aus dem hinteren Teil der Botschaft kam, der zum Garten führte. „Ja”, sagte er dumpf, „und ich frage mich, ob es den Preis wert war.”

 

Ende von Kapitel 6

 

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