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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  T'than und Sandoval verfolgen beide ihre eigenen Ziele, und Jemen hat ein Wiedersehen mit ihrem Bruder
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  T'than, Sandoval, Da'an, Liam Kincaid, Zo'or, Tom Brix, Hendriks, Augur und andere
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 5

 

T'than und Sandoval befanden sich auf dem Rückweg zum Mutterschiff. Während sich der Kriegsminister bereits mit seinen nächsten Terminen beschäftigte, ließ Sandoval in Gedanken das Gespräch zwischen T'than und dem australischen Companion Revue passieren.

„Ich weigere mich, derart heikle Themen in Gegenwart eines Menschen zu erörtern”, erklärte der australische Companion kategorisch.

T'than lächelte kalt. „Agent Sandoval ist ein loyaler Companion-Beschützer, Ka'li. Seine Anwesenheit muß dich weder beunruhigen noch dich dazu verleiten, ihm gegenüber unhöflich zu sein.”

„Aber er ist Zo'ors Beschützer. Und ich habe wenig Lust, mich kompromittieren zu lassen.”

„Er dient allen Taelons. So wie auch wir stets nur im Sinne des Gemeinwesens handeln. Fürchtest du Zo'or so sehr? Womöglich siehst du auch in meiner Gegenwart eine Falle.”

Ka'lis Hand fuhr unwirsch durch die Luft, und er zischte etwas in der Taelonsprache, das einem Fluch sehr ähnlich klang. „Ich weiß, warum du hier bist, T'than”, sagte er und beäugte seinen Artgenossen mißtrauisch. „Du suchst Verbündete. Aber du unterschätzt Zo'or und seine Macht.”

Der Kriegsminister verzog verächtlich den Mund. „Macht ist vergänglich. Und manchmal geht es schneller, als man denkt, Ka'li. Auch Da'an besaß einmal Macht. Und was ist aus ihm geworden? Wo ist seine Stärke jetzt!” Zweifel säen. In dem Augenblick, wo sich Ka'li darauf einließ, hatte er, T'than, schon gewonnen. Und deshalb folgten seine Worte einem genau durchdachten Kalkül. „Da'an ließ sich von den Menschen beeinflussen. Das Gleiche könnte auch mit Zo'or geschehen.”

Diesmal klang der australische Companion beinahe amüsiert. „Für Zo'or sind die Menschen doch nichts anderes als irgendein niedriges Gewürm. Verachtenswert. Manipulierbar.”

„Manipulierbar, ja”, wiederholte T'than bedeutungsvoll. „Und darin liegt die Gefahr. Du wirst sie erkennen, wenn du dir die Mühe gibst, hinter die Dinge zu sehen. Zo'or vergeudet wertvolle Zeit und Ressourcen, aber im Grunde ist es nur ein Spiel, ein amüsantes - gewiß, das ihn jedoch verleitet, sein tatsächliches Ziel aus den Augen zu verlieren.”

„Du willst mich nur gegen Zo'or aufbringen”, sagte Ka'li widerwillig.

T'than lächelte wissend. „Diese Mühe muß ich mir gar nicht erst machen. Denn jeder Taelon wird sich über kurz oder lang fragen, wohin uns Zo'ors Strategie führen wird.”

„Du vergißt die Synode”, wandte der australische Companion ein. „Sie steht hinter ihm. Solange er sie auf seine Seite hat, wirst du kaum etwas gegen ihn ausrichten können.”

Abermals lächelte der Kriegsminister überlegend. „Die Synode folgt demjenigen, der Stärke und Entschlossenheit vorweist. Zo'ors Sturz ist bereits vorprogrammiert. Es ist nur noch eine Frage der Zeit...”

 
* * *
 

Sandoval kam nicht umhin, sich einzugestehen, daß T'than sehr geschickt vorging. Er hatte ihn bei weitem unterschätzt. Er würde seine eigenen Pläne überdenken und neu bewerten müssen, um sich der veränderten Situation anzupassen. Aber das Spiel mit dem Feuer hatte er nie gescheut. Er bewegte sich schon zu lange nahe dem Abgrund, um sich jetzt davon noch irritieren zu lassen. Zo'or. T'than. Sie streiten um Macht. Aber sie wissen gar nicht, worin wirkliche Macht besteht. Sie haben ja gar keine Ahnung. Unterschätzt ihr nur ruhig die Menschen. Aber unterschätzt niemals Ronald Sandoval, dachte er selbstgefällig. Oder es gibt ein böses Erwachen...

 
* * *
 

In der Botschaft angekommen, nahm Da'an in seinem Stuhl Platz und kontaktierte Kincaid. „Major, gibt es etwas Neues?”

„Nein”, erklärte Liam mißmutig. „Die Polizei durchkämmt gerade die Umgebung des Krankenhauses. Es wurden auch bereits Straßensperren errichtet. Allerdings haben wir wenig Hoffnung, daß wir den Flüchtenden noch erwischen.” Es schien, als wollte er noch etwas hinzufügen; der Ärger in seinen Augen war unübersehbar. Aber er schluckte es hinunter. „Ich mache mich jetzt auf den Rückweg.”

„Gut. Ich erwarte Sie hier in der Botschaft.” Der Taelon unterbrach die Verbindung, während er zu Jemen hinübersah, die nervös vor ihm auf und ablief. „Ihre erste Bewährungsprobe haben Sie bestanden. Ihre Sorge war also unberechtigt. Sie sind eine gute Companion-Beschützerin.” Er wirkte zufrieden.

Jemen hielt zwar in ihrem unruhigen Lauf inne, konnte ihn aber nicht ansehen. Sie fühlte sich alles andere als wohl in ihrer Haut. Sein Lob hätte sie stolz machen müssen, aber unter diesen Umständen rief es nur ein schlechtes Gewissen in ihr hervor. Da'an schien jedoch davon nichts zu bemerken. „Worüber denken Sie nach?”

Jemen hatte gerade an ihren Bruder gedacht. „Ich frage mich, ob es zwischen dem heutigen Anschlag und Di'mags Ermordung eine Verbindung gibt”, sagte sie.

Der Taelon verließ seinen Platz. „Diese Frage habe ich mir ebenfalls gestellt. Wenn es uns gelänge, den Fremden zu identifizieren, könnte das eine wirkliche Spur bedeuten.” Er hob plötzlich seinen Kopf, lauschte kurz und wandte sich dann dem Eingang zu. Jetzt hörte auch die Companion-Beschützerin die energischen Schritte, die schnell auf sie zukamen.

Ein höchst aufgebrachter Liam Kincaid bog um die Ecke. „Es ist mir unbegreiflich, wie Sie so leichtsinnig sein konnten!” rief er. Dabei vermied er, Jemen direkt anzusprechen, solange er nicht wußte, ob die Initiative nicht von Da'an selbst ausgegangen war. „Wofür gibt es Sicherheitsprotokolle, wenn sich niemand daran hält!”

„Mäßigen Sie Ihren Ton, Major”, sagte der Taelon ruhig.

Kincaid schnappte nach Luft. „Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben? Sie gehen neuerdings ja ziemlich leichtfertig mit Ihrem Leben um. Wahrscheinlich werden Sie demnächst dann völlig auf Schutz verzichten wollen”, fügte er sarkastisch hinzu.

Da'an entschied, daß es besser war, wenn er sich erst gar nicht auf ein verbales Wortgefecht einließ. „Der Verdächtige ist geflohen”, sagte er, „aber möglicherweise gibt es irgendwelche Spuren. Videoaufzeichnungen. Jemand könnte ihn gesehen haben.”

„Unsere Leute sind schon dabei, alles zu untersuchen, was uns weiterhelfen könnte.” Kincaid hatte sich ein wenig beruhigt. Er warf einen Blick auf Jemen, die ihm seltsam still erschien. Das erweckte erneut den Argwohn in ihm. „Wer von Ihnen beiden ist überhaupt auf die verrückte Idee gekommen, ohne ausreichenden Schutz in der Klinik herumzuspazieren?”

„Das war ich”, sagte Jemen.

Liam schaute zu Da'an hinüber. Sein Blick wies den Taelon nur allzu deutlich darauf hin, daß er ihn gewarnt hatte.

„Major”, sagte Da'an und ging zu seinem Stuhl, „Miss Tylers Verhalten mag vielleicht gegen die Sicherheitsbestimmungen verstoßen haben. Aber möglicherweise rettete dies mein Leben.”

„Das müssen Sie mir schon genauer erklären”, sagte Kincaid, und auch Jemen horchte interessiert auf.

„Nun, der Attentäter konnte nicht voraussehen, daß wir den Empfang verlassen würden. Der Umstand, daß mich keine weiteren Sicherheitsbeamten begleiteten, hat ihn vielleicht dazu verleitet, seine Pläne zu ändern, weil er eine leichte Beute witterte.”

„Und Sie meinen, Tyler konnte Sie auf diese Weise besser beschützen, als wenn der Verdächtige Sie vielleicht auf dem Rückweg zum Shuttle ins Visier genommen hätte.”

„Das ist korrekt, Major.”

Eine feine Theorie, dachte Kincaid, und ihm wurde ganz übel bei der Vorstellung, daß Da'ans Beschützerin das Attentat nur inszeniert hatte, um sich das Vertrauen des Taelons zu erschleichen. „Im Augenblick gibt es hier für mich nichts mehr zutun”, sagte er. „Ich werde zum Mutterschiff zurückkehren und Zo'or Bericht erstatten.”

„Wir halten Sie auf dem laufenden, Major”, erwiderte Da'an.

„Wenn Sie mich jetzt nicht mehr benötigen, würde ich mich auch gern zurückziehen”, sagte Jemen, nachdem Kincaid gegangen war.

„Gehen Sie ruhig, Jemen.”

„Ich muß noch meine Sachen auspacken”, fügt sie mit einem schiefen Lächeln hinzu. „Im Moment sieht es in meiner neuen Wohnung noch ziemlich unordentlich aus.”

„Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie benötigen.”

„Und anschließend sollte ich noch einmal zum Krankenhaus fliegen. Vielleicht liegen schon erste Ergebnisse der Spurensicherung vor.”

Da'an nickte ihr zu.

 
* * *
 

„Nun, Agent Sandoval, was haben Sie mir zu berichten?” Zo'or musterte seinen Vasallen mit einem durchdringenden Blick.

„Ich befürchtete, es wird Sie nicht sonderlich erfreuen, Zo'or”, antwortete Sandoval.

„Das überlassen Sie getrost mir”, entgegnete der Führer der Synode. Neugierde blitzte in seinen blauen Augen auf, die Gier nach Informationen, die ihm eine Handhabe gegen seinen Feind T'than ermöglichen würde.

„T'than führte all seine Unterredungen in der Taelonsprache. Ich kann Ihnen also nichts darüber berichten.”

Zo'ors Faust donnerte auf seine Armlehne, und er stieß einen lauten Fluch aus. Einige Freiwillige drehten sich überrascht nach ihm um. Sein scharfer Blick ließ sie jedoch augenblicklich wieder an ihre Arbeit zurückkehren. „Diese Antwort ist allerdings nicht das, was ich erwartet habe”, zischte er. Sein zorniger Blick bohrte sich in Sandovals dunkle Augen.

„Möglicherweise haben Sie ihn unterschätzt.” Der FBI-Agent war bemüht, seine gleichmütige Fassade aufrechtzuerhalten, um dem Taelon keinen Ansatz zu bieten, mißtrauisch zu werden.

„Möglicherweise”, sagte Zo'or grimmig. „Ich erwarte jedoch von Ihnen, daß Sie sich auf die veränderte Situation einstellen.” Er verließ seinen Platz und stellte sich dicht vor seinen Vasallen. „Sie müssen bei T'than den Eindruck erwecken, als seien Sie mit Ihrer derzeitigen Position nicht besonders zufrieden”, sagte er mit gesenkter Stimme. „Wenn Sie es nur halbwegs glaubwürdig darstellen, wird er versuchen, Sie auf seine Seite zu ziehen. Gewinnen Sie sein Vertrauen, Agent Sandoval.” Und mit normaler Stimme fügte er hinzu: „Das wäre zunächst alles.”

Sandoval nickte ihm zu und verließ die Brücke. Etwas Besseres konnte ihm gar nicht passieren. Zo'or hatte ihm gerade die perfekte Trumpfkarte zugespielt. Nun konnte er die Karten neu mischen und ganz nach Belieben verteilen. Unterwegs lief ihm Kincaid über den Weg. „Major, ich habe erfahren, daß ein Attentat auf Da'an verübt wurde.” In seiner Stimme schwang ein besorgter Unterton mit. „Konnte der Verdächtige festgesetzt werden?”

„Nein”, antwortete Kincaid einsilbrig.

Sandoval spürte seinen Ärger. „Es könnte eine Verbindung zwischen dem Attentat und Di'mags Tod geben”, überlegte er.

„Davon bin ich überzeugt.”

Sandoval musterte sein Gegenüber. „Ich bin nur noch kurze Zeit auf dem Mutterschiff. Ich werde schon bald wieder mit T'than aufbrechen. Sie werden also allein zurechtkommen müssen.”

„Befürchten Sie, es könnte meine Fähigkeiten überfordern?” Diesmal war der Ärger auch hörbar.

„Ich fürchte lediglich um das Leben Da'ans”, erwiderte der FBI-Agent scharf.

„Das sollten Sie ihm vielleicht selber sagen. Er ist nämlich überzeugt, daß ihm keine Gefahr droht, zumal er ja jetzt eine ausgezeichnete Beschützerin hat.”

Jetzt wurde Sandoval stutzig. „Was für eine Beschützerin?” fragte er.

„Jemen Tyler”, preßte Kincaid hervor.

„Tyler?” wiederholte der FBI-Agent verblüfft. „Tyler stand doch unter Verdacht.”

„Für Da'an auf jeden Fall nicht.”

„Und Zo'or hatte nichts dagegen einzuwenden?” fragte Sandoval ungläubig.

„Sagen wir es mal so: Er traut Tyler nicht. Aber er stimmte zu, daß Da'an sie als Beschützerin einstellt.”

„Nun... Sie sollten sie auf jedem Fall im Auge behalten, Major.” Damit ließ er Kincaid stehen, der ihm kopfschüttelnd nachsah, bevor er seinen Weg zur Brücke fortsetzte.

 
* * *
 

Jemen fuhr nicht auf dem kürzesten Weg zu ihrer Wohnung, sondern hielt vor einem öffentlichen Kommunikations-Terminal, das sowohl die Möglichkeit bot, zu telefonieren als auch Zugriff zum weltweiten Datennetz zu nehmen. Sie schob ihre Geldkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz und tippte eine Adresse ein, die sie auf die Homepage eines Brieftaubenzüchters brachte. Unter der Rubrik „Kontakt” gab sie ihre neue Telefonnummer an und bat um Rückruf. Sie hatte kaum ihre Wohnung betreten, als es auch schon läutete.

„Hallo, Schwesterherz”, sagte eine Männerstimme, nachdem sie sich gemeldet hatte.

„Tom.” Ihre Stimme klang viel erleichterter, als sie es tatsächlich war. Seit über zwei Jahren hatte sie ihn weder gesehen noch von ihm gehört. „Können wir uns irgendwo treffen?”

„Ich habe damit gerechnet, daß du dich bei mir melden würdest”, sagte er statt einer Antwort. Und nach einer kurzen Weile des Schweigens fügte er hinzu: „Wir treffen uns vor dem Capitol... in einer Stunde.”

„Wie willst du mich dort finden?” wandte sie ein. „Bei all den Touristen... Soll ich nicht besser...”
Aber er unterbrach sie: „Ich finde dich.” Danach verriet ihr ein leises Knacken in der Leitung, daß er aufgelegt hatte.

Jemen war sehr aufgeregt, als sie sich von einem Taxifahrer zum Capitol fahren ließ. Tom würde sich zwar dort mit ihr treffen, aber das eigentliche Gespräch fand an einem anderen Ort statt. Und deshalb konnte sie sich die Mühe sparen, sich mit dem eigenen Auto durch den Stadtverkehr zu quälen. Wie erwartet war der Platz, ja das ganze Capitol überschwemmt mit Touristen. Sie hatte wenig Hoffnung, daß er sie finden würde. Tatsächlich tauchte er aber schon zehn Minuten später an ihrer Seite auf und führte sie zu einem Auto. „Schön, dich wiederzusehen”, sagte er, und das war das einzige, was er während der gesamten Fahrt von sich gab. Sie fuhren durch die Stadt und hielten vor einem kleinen belebten Cafe. Tom Tyler führte seine Schwester zu einem Tisch, an dem bereits ein Mann mittleren Alters saß und an einer Coke nippte. Jemen setzte sich ihnen gegenüber und musterte sie stumm.

„Was möchtest du trinken, Jemen?” fragte Tom.

„Nichts”, sagte sie einsilbrig. Sie war nicht hier, um eine Plauderstunde zu halten. Sie suchte Antworten auf ihre Fragen. Ihr Blick schweifte durch das Cafe. Die Tische standen weit genug auseinander, als daß jemand ihren Gesprächen hätte lauschen können. Außerdem war es viel zu laut.

„Wie du willst.” Tom nahm die Sonnenbrille ab und musterte sie nun seinerseits. Jemen erschrak, als sie in seine Augen sah und das unheimliche Glühen in seinen Pupillen wahrnahm. Er erschien ihr plötzlich fremder denn je. Schon als kleines Kind hatte sie sich vor diesem Blick gefürchtet. Der Kellner erschien, und er bestellte sich ein Bier. „Ihr seid sehr vorsichtig”, sagte sie und warf dem fremden Mann an seiner Seite einen prüfenden Blick zu. „Oder braucht mein Bruder neuerdings einen Aufpasser?”

Aber Tom lachte nur. „Frech wie immer, die Kleine. - Das ist Hendriks. Er war neugierig auf dich.”

Der ältere Mann beugte sich nun etwas vor. „Sie sind also Toms Schwester”, stellte er einleitend fest. „Eine Companion-Beschützerin. Haben Sie ihn verschont, weil er Ihr Bruder ist?”

Tom verzog verächtlich das Gesicht und murmelte dabei etwas vor sich hin. Ein scharfer Blick brachte ihn allerdings sofort zum Verstummen. Tom ist die Waffe, dachte Jemen schaudernd. Und Hendriks derjenige, der sie beherrscht. „Wenn ich mit ihm nichts mehr zutun haben wollte, dann säße ich jetzt wohl kaum hier”, wandte sie sich direkt an Hendriks.

„Ich frage mich allerdings, wie ein Dark Blue-Mitglied plötzlich zur Companion-Beschützerin wird”, erwiderte der Mann und betrachtete sie abschätzend.

„Manchmal muß man eben andere Wege beschreiten, um an sein Ziel zu kommen”, sagte sie.

Hendriks Blick zeigte jetzt eine gewisse Irritation. „Sie sind also nach wie vor auf unserer Seite?” vergewisserte er sich.

„Jemen ist keine Verräterin”, zischte da Tom. „Das habe ich dir schon einmal gesagt.” Und abermals erntete er dafür einen scharfen Blick. Doch diesmal ließ sich der junge Mann nicht beirren. „Also lassen wir diese Spielchen.”

„Sie hat dir dein Spielchen aber vermasselt”, erwiderte Hendriks erstaunlich ruhig. Wieder musterte er Jemen. Offensichtlich versuchte er, sie einzuordnen. „Und ich will wissen, wieso.”

Jemen erwiderte seinen fixierenden Blick ungerührt. „Ich habe es nicht so gern, wenn man mir dazwischenfunkt. Das ist bereits einmal geschehen. Aber diesmal passe ich auf.”

Der Kellner erschien und fragte sie nach ihren Wünschen. Tom bestellte sich ein Bier.

„Der Taelon-Wissenschaftler in Kyllburg”, sagte Hendriks, nachdem der Kellner wieder gegangen war.

„Zwei Jahre habe ich investiert”, fuhr sie fort, als sie sein Interesse bemerkte. „Ich hatte bereits sein Vertrauen...”

„Dann ging das nicht auf Ihr Konto?”

„Verdammt, nein!” stieß sie ziemlich überzeugend hervor.

Ihr Bruder wühlte in seiner Jackentasche herum und zog ein Päckchen Zigaretten hervor. Er bot ihr davon an, aber sie lehnte ab. Innerlich vibrierte sie so vor Nervosität, daß sie befürchtete, ihre Finger könnten zittern und sie dadurch verraten. „Ich dachte, ihr hättet dahintergesteckt, weil es keinerlei Spuren gab...”

Hendriks schwieg.

„Jetzt muß ich wieder von vorn anfangen. Aber diesmal sind die Umstände nicht so günstig.”

„Du hast es auf Da'an abgesehen?” fragte Tom und kicherte.

„Nicht Da'an”, sagte sie und verzog verächtlich das Gesicht. „Es gibt weit lohnendere Ziele. Außerdem... Was bringt es, wenn man die Taelons einzeln abserviert. Oder glaubt ihr, daß ihre ganze Spezies nur aus achtzig Wesen besteht? Sie können doch jederzeit Nachschub ordern. Außerdem ist die Gefahr, daß man dabei erwischt wird, viel zu groß. - Nein, man muß das schon etwas geschickter anfangen.”

Jetzt besaß sie Hendriks volle Aufmerksamkeit.

„Da'an ist nur Mittel zum Zweck.” Jemen war über ihre eigene Kaltblütigkeit erstaunt. „Durch ihn komme ich auf das Mutterschiff. Ich erhalte Einblicke in ihre Interaktionen, in ihre Pläne. Ich kann herausfinden, wo ihre Schwachpunkte sind, bevor ich zuschlage. Wenn ihr es mir nicht wieder vermasselt. Also - Hände weg von Da'an!”

„Mit Kyllburg hatten wir nichts zutun”, sagte jetzt Hendriks, ohne den Blick von ihr zu nehmen. „Und die Sache mit Da'an...” Er sah kurz zu Jemens Bruder hinüber. „In dieser Richtung ist von uns nichts mehr geplant”, sagte er.

Jemen merkte an seiner veränderten Stimmlage, daß es nicht das war, was er eigentlich sagen wollte. „Um so besser.” Sie machte Anstalten, sich zu erheben. „Dann dürfte damit alles geklärt sein.”

„Einen Moment noch!” Hendriks bedeutete ihr, sich wieder zu setzen. „Sie gehören zwar nicht mehr unserer Organisation an... aber wie es scheint, verfolgen wir nach wie vor dieselben Ziele. Wir sollten eine Basis der Zusammenarbeit finden.”

„Kein Interesse”, sagte sie sofort.

„Sie sollten in aller Ruhe darüber nachdenken.” Es war jetzt offensichtlich, daß ihre Andeutungen Hendriks neugierig gemacht hatten.

„Es gibt keine Basis”, erklärte sie abweisend.

„Das ist vielleicht ein Fehler”, warf Tom ein. Das unheimliche Glühen in seinen Augen verstärkte sich zusehends.

„Es wäre ein Fehler, mich auf euch einzulassen”, sagte Jemen an Hendriks gewandt. „Eine Zusammenarbeit interessiert Sie in Wirklichkeit doch gar nicht. Es geht Ihnen nur darum, etwas über meine Pläne herauszufinden, um zu prüfen, ob Sie sie für sich nutzen können.”

Tom kicherte unnatürlich, und sie fragte sich unwillkürlich, ob ihr Bruder dem Wahnsinn verfallen war. Es ist bei ihm viel stärker ausgeprägt als bei mir, dachte sie mit einem Schaudern. Wer weiß, ohne Di'mags Hilfe wäre ich vielleicht auch schon durchgedreht.

„Wir brauchen deine Pläne gar nicht”, flüsterte Tom gespielt wichtigtuerisch. „Wir haben etwas, das...”

„Halt deinen Mund!” fuhr ihn Hendriks grob. Seine Hand griff nach dem Arm des jungen Mannes. „Noch einen Laut, und ich breche dir deinen Unterarm”, fügte er warnend hinzu. Es bestand keinen Zweifel daran, daß er seine Drohung wahr machen würde.

„Wie dem auch sei”, Jemen trachtete danach, das Gespräch zu beenden, „ich habe kein Interesse an einer Zusammenarbeit.”

Hendriks sah sie wieder an. Einen Augenblick lang glitzerte Brutalität in seinen Augen. Dann glätteten sich seine Züge, und er brachte sogar so etwas wie ein Lächeln zustande. „Schade.” Er nahm sein Glas und betrachtete es nachdenklich. „Sehen Sie, wir haben uns in den vergangenen Jahren weiterentwickelt...”

„Davon habe ich nichts bemerkt”, entfuhr es ihr. Innerlich verfluchte sie sich für ihre Gedankenlosigkeit. Sie hatte doch bereits ihre Antworten. Je länger das Gespräch aber andauerte, um so größer wurde für sie die Gefahr, daß Hendriks doch noch mißtrauisch wurde.

„Wie Sie selbst so treffend bemerkten, hat es wenig Sinn, Jagd auf einzelne Taelons zu machen. Im übrigen haben wir festgestellt, daß diese Aliens untereinander nicht immer sehr friedlich agieren. Es gibt Tendenzen, die zeigen, daß es innerhalb der Führungsspitze zu einem Machtkampf gekommen ist. Was uns natürlich nur dienlich ist. Ich bin jetzt sogar davon überzeugt, daß hinter dem Attentat auf den Taelon-Wissenschaftler in Kyllburg der Synodenführer steckt.”

„Zo'or?” wiederholte Jemen und versuchte ihre Überraschung nicht allzu sichtbar werden zu lassen. An diese Möglichkeit hatte sie noch gar nicht gedacht. Aber ein Taelon tötete doch niemals einen seiner eigenen Art. Nicht auf diese Weise. Das war völlig ausgeschlossen. Di'mag hatte ihr mal einen langen Vortrag über den Ehrenkodex der Taelons gehalten. Es war wie ein Naturgesetz.

Hendriks lächelte erneut. „Das verändert die Situation, nicht wahr? Möglicherweise bleibt Ihnen gar nicht so viel Zeit, wie Sie dachten. Vielleicht denken Sie jetzt über unser Angebot noch einmal nach. Wie Sie mit uns Verbindung aufnehmen, wissen Sie ja.”

Jemen starrte ihn nachdenklich an. Zo'or, flüsterte es in ihren Gedanken. Zo'or...

 
* * *
 

Als Jemen das Cafe verließ, versuchte sie das Unbehagen abzuschütteln, das sie angesichts ihres Bruders und Hendriks empfunden hatte. Sie stellte sich an die Straße, um sich ein Taxi zu suchen. Natürlich hatte ihr Tom angeboten, sie zur Botschaft zu fahren, aber Jemen fühlte sich jetzt außerstande, ihn noch länger zu ertragen. Zum ersten Mal in ihrem Leben mußte sie sich eingestehen, daß sie sich vor ihrem Brüder fürchtete. Seufzend betrachtete sie die Passanten, die an ihr vorbeieilten. Vielleicht hatte sie auch etwas an sich, daß auf andere furchteinflößend wirkte. Sie fing den Blick eines vorbeigehenden Mannes auf. Eine Sekunde lang sah sie ihm direkt ins Gesicht. Dann schaute er verlegen und irgendwie schuldbewußt zur Seite, so als hätte er ihr die Bestätigung auf ihre stumme Frage gegeben. Tatsächlich empfand der Mann jedoch Unbehagen aus einem völlig anderen Grund. Wenn man jemanden beschattete, sollte man es tunlichst vermeiden, dabei aufzufallen. Er konnte nur hoffen, daß sie ihn nicht erkannt hatte. Während Jemen weiterhin Ausschau nach einem Taxi hielt, suchte er rasch eine geschützte Stelle auf und zog ein Global hervor. „Sandoval! Ich habe hier etwas, das sie interessieren könnte”, sagte er. „Ich schicke Ihnen ein paar Aufnahmen zu, die ich machen konnte. Allerdings war es mir nicht möglich, das Gespräch aufzuzeichnen. Die hatten einen Störsender dabei...”

„Schon gut”, unterbrach ihn der FBI-Agent.

„Agent Sandoval...” T'than stand plötzlich hinter ihm und sah ihm neugierig über die Schulter. „Ich hoffe, es gibt keine unangenehme Neuigkeiten.”

Der Asiate steckte rasch das Global weg. „Nein, T'than”, sagte er und bemühte sich um ein aufgeschlossenes Gesicht. „Welches ist unser nächstes Ziel?”

„Deutschland”, sagte der Taelon, und es klang fast wie ein Seufzen. „Es wird schwer sein, den dortigen Companion von Zo'ors Unfähigkeit zu überzeugen. Ich muß dort vor allem eine gänzlich andere Strategie anwenden.”

Sandovals Gesichtsausdruck blieb ungerührt, aber in seinen Augen blitzte es amüsiert auf. Das denke ich auch...

 
* * *
 

„Jemen! Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?” Da'an sah interessiert zu seiner Beschützerin hinüber, als diese in der Botschaft erschien.

„Wie? - Oh..., nein, Da'an.” Jemen fiel plötzlich ein, daß sie eigentlich vorhatte, noch einmal zum Krankenhaus zu fliegen. Über das Treffen mit ihrem Bruder hatte sie es völlig vergessen. „Ich bin bisher noch nicht dazu gekommen. So ein Umzug ist doch ziemlich zeitaufwendig.”

Da'an musterte sie. „Beunruhigt Sie Major Kincaids Verhalten?” fragte er nach einer Weile. Jemen erschien ihm irgendwie zerstreut.

„Er hatte ja nicht ganz unrecht”, erwiderte sie. „Meine Idee, Sie zu den Kindern zu führen...”

„War eine gute Idee”, fiel ihr der Taelon ins Wort. „Sie haben mir damit eine Freude bereitet.”

„Aber ich habe Sie auch in Gefahr gebracht. - Da'an, der Umstand, daß Ihnen nichts passiert ist, ändert nichts an der Tatsache, daß ich unbedacht gehandelt habe.”

„Major Kincaid mag sich mehr an das Sicherheitsprotokoll halten, aber ich sehe trotzdem keine Veranlassung, Ihr Verhalten zu kritisieren. Jemen, eines sollte Ihnen bewußt sein. Auch als meine Beschützerin besitzen Sie nicht die Macht, das Schicksal zu beeinflussen. Das ist eine Tatsache, der Sie sich bewußt werden müssen. Lassen Sie uns also nicht mehr davon sprechen. Das war heute ein anstrengender Tag für Sie.” Da'an verließ seinen Platz. „Bitte begleiten Sie mich in den Garten!” Es war keine Bitte, mehr ein sanfter Befehl. „Wir Taelons sind zwar nicht von frischer Luft und Sonnenschein abhängig, aber wir wissen es durchaus zu schätzen. Wir können uns ebenso daran erfreuen wie die Menschen.”

Jemen wanderte artig neben ihm her, obwohl sie alles andere als Lust auf einen Spaziergang hatte. Wenn es wenigstens Gartenstühle geben würde! Verstohlen gähnte sie. Wie viele Stunden am Tag mußte sie Da'an eigentlich zur Verfügung stehen? Sie hatte in ihren Unterlagen nichts darüber gefunden. Nun, immerhin dämmerte es schon. Also würden sie keine allzu große Runde machen. Warum war sie eigentlich in die Botschaft zurückgekehrt? Jemen wußte es nicht mehr.

„Erzählen Sie mir von Di'mag.”

„Warum?” entfuhr es ihr, und im gleichen Augenblick, da es ihr bewußt wurde, wie unhöflich es war, blickte sie ihn entschuldigend an. „Ich meine, er war einer von Ihnen. Sie müßten ihn doch am besten gekannt haben.”

Da'an lächelte. „Wegen des Gemeinwesens? Tatsächlich habe ich Di'mag so gut wie gar nicht gekannt. Wir Taelons sind zwar alle miteinander mental verbunden, aber das bedeutet nicht, daß wir auch die Gedanken eines jeden Einzelnen kennen. Ich bin ihm nur einige Male persönlich begegnet. Das war kurz nach unserer Landung auf der Erde. Und das geschah zudem noch innerhalb eines offiziellen Rahmens.”

„Di'mag war für mich praktisch der erste Taelon, den ich kennenlernte”, erzählte Jemen. „Es gab für ihn nichts anderes als seine wissenschaftlichen Studien, und am Anfang habe ich gedacht: Oh, Gott! Hoffentlich sind sie nicht alle so verrückt.” Sie mußte lachen. „Entschuldigen Sie, Da'an. Das war unhöflich von mir.”

„Nein, erzählen Sie bitte weiter. Es interessiert mich sehr.”

„Di'mag sprach gern über seine Studien. Ich mochte die Art, wie er redete. Und deshalb ging er wohl davon aus, daß es mich auch interessierte. Ich muß gestehen, zuerst habe ich nicht viel von dem verstanden, was er mir da näherbringen wollte. Aber irgendwie sind wir trotzdem Freunde geworden.” Jemens Blick wurde melancholisch. „Er hat mir sehr viel gegeben. Ohne ihn... Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre.” Ihre Stimme wurde immer leiser.

Impulsiv streckte Da'an die Hand aus, um sie ihr auf die Schulter zu legen. Eine Geste des Mitgefühls, aber entzog sich ihm sofort, noch bevor seine Finger den Stoff ihrer Jacke berühren konnte. Ihre Ablehnung verletzte ihn. „Vertrauen Sie mir so wenig, Jemen?” fragte er niedergeschlagen. „Ich gab Ihnen doch mein Wort.”

Die widerstrebendsten Gefühle zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab. Er sah, welche ungeheure Beherrschung es sie kostete, nicht einfach davonzulaufen. „Ich... ich... kann nicht, Da'an”, kam es gequält von ihren Lippen. „Bitte, verzeihen Sie mir.”

Bekümmert sah er sie an. „Dann helfen Sie mir, es zu verstehen.”

Jemen atmete angestrengt. Wieder kamen ihr Di'mags Worte in den Sinn. Seine Warnung: Du mußt dein Geheimnis hüten. Dein Leben hängt vielleicht davon ab. Als er noch lebte, hatte sie dieses Geheimnis nie als Belastung empfunden, weil sie über ihre Gedanken und Empfindungen sprechen konnte. Aber jetzt war sie zum Schweigen verdammt. Mehr als je zuvor fehlte ihr der Freund, der Vertraute. „Ich kann es Ihnen nicht erklären, Da'an”, sagte sie. „Bitte verlangen Sie nicht, daß ich etwas preisgebe, was mein innerstes Selbst ausmacht.”

„Ich verlange nichts von Ihnen, Jemen. Aber ich hatte gehofft, daß wir Freunde werden könnten.”

Die junge Frau senkte den Blick. Freunde? wiederholte sie in Gedanken. Ich wünsche es mir mehr, als Sie ahnen, Da'an. Aber ich verdiene Ihre Freundschaft nicht. Wenn ich meinen Weg fortsetze, werden Sie mich eines Tages als Ihren Feind betrachten...

„Vielleicht erwarte ich zuviel”, sagte der Taelon jetzt. „Freundschaft wie Vertrauen kann man nicht erzwingen. Es muß sich entwickeln.” Damit wandte er sich ab und ließ sie stehen.

Jemen fühlte eine plötzliche Kälte, die sie frösteln ließ. Sie hatte ihn abgewiesen. Damit hatte sich zwischen ihnen eine Kluft aufgetan, unüberwindbar, wenn sie ihn jetzt im Glauben beließ, daß sie seine Freundschaft nicht wollte. „Da'an!” rief sie. „Ich... ich...” Hilflos brach sie ab.

Er drehte sich langsam um und musterte sie forschend. In diesem Augenblick erschien er ihr wahrhaftig wie ein Außerirdischer. Unnahbar und fremd. Das ängstigte sie mehr als ihre heimliche Sorge, daß er die Wahrheit über sie herausfinden könnte. Ihr Widerstand zerbröckelte und zeigte sie nun in ihrer ganzen Verletzlichkeit. „Ich fürchte mich davor, Sie zu enttäuschen.”

„Sie können mich nicht enttäuschen, Jemen”, sagte er sanft.

In diesem Augenblick piepste ihr Global. Liam Kincaid meldete sich. „Tyler! Kommen Sie bitte umgehend auf das Mutterschiff. Zo'or will Sie zu sprechen.”

„Ich habe verstanden”, sagte sie und warf Da'an einen nachdenklichen Blick zu.

„Wenn Sie es wünschen, werde ich Sie begleiten”, sagte der Taelon sofort, aber sie winkte ab. „Schon gut, Da'an. Ich werde es schon überstehen.”

 
* * *
 

Nachdem Liam Jemen informiert hatte, zog er sich in einen der stilleren Nebengänge zurück und nahm Verbindung zu Augur auf. „Augur, hast du inzwischen etwas herausgefunden?”

Der Hacker hatte wohl keinen guten Tag gehabt. Er machte einen ziemlich schlechtgelaunten Eindruck, und auch seine Stimme war alles andere als freundlich: „Sag mal, was denkst du, was ich den ganzen Tag hier mache? Faul auf dem Sofa herumliegen? Verdammt, Liam, es geht um meine Existenz. Langsam sehe ich wieder so etwas wie einen feinen Silberstreifen am Horizont. Ein ganz kleiner, aber doch vielversprechend. Ich habe keine Lust, mir das alles wieder kaputtmachen zu lassen.”

„Augur!” Liams Stimme wurde drängender. „Das ist sehr wichtig.”

„Wichtiger als mein Leben?” echote dieser beinahe fassungslos. „Wohl kaum.”

„Wir müssen wissen, wo diese Dark Blue ihre Standorte haben.” Kincaid stellte sich stur. Entweder interessierten ihn Augurs Einwände nicht oder er wollte sie absichtlich nicht sehen. „Das kannst du doch neben deinen Geschäften machen.”

„Diese Suche blockiert aber meine Computer. Das kann ich mir nun mal nicht erlauben. Liam, ich war in der Vergangenheit mehr als gefällig. Und ich bin auch weiterhin bereit, dir zu helfen. Aber hör endlich auf, so zu drängeln.”

„Verdammt, Augur!” Diesmal wurde Liam wütend. „Diese Dark Blue haben wahrscheinlich den Transmitter aufgebaut und Kontakt zu den Jaridian aufgenommen. Vielleicht kannst du ja mal darüber nachdenken, wenn sie demnächst vor deiner Tür stehen.” Damit unterbrach er die Verbindung. Er mußte kräftig durchatmen, um sich halbwegs wieder unter Kontrolle zu kriegen, bevor er seinen Weg zum Hangar fortsetzte. Dort wartete er, bis Jemen eintraf.

„Sie bringen mich persönlich zu Zo'or?” fragte sie statt einer Begrüßung. Spott glitzerte in ihre Augen. „Welche Ehre. - Oder dient das mehr zur Überwachung?”

Kincaid verzog keine Miene. „Das können Sie halten, wie Sie wollen.”

„Aus welchem Grund will er mich sprechen?” fragte sie nach einer Weile. Sie gingen nicht den üblichen Weg zur Brücke, und das machte sie stutzig.

„Kriegt da jemand kalte Füße?” Liam musterte sie nun seinerseits spöttisch.

„Für Sie muß das ja eine Genugtuung sein”, sagte sie verächtlich. „Ihnen bin ich doch sowieso nur ein Dorn im Auge.”

Er packte sie grob am Arm und zwang sie, ihn anzusehen. „Ich bin Da'ans Beschützer”, preßte er zornig zwischen den Zähnen hervor. „Es gefällt mir nun mal nicht, daß Sie so leichtfertig mit seinem Leben umgehen.” Er ließ sie wieder los und deutete auf eine Verhörzelle. „Dort hinein!” Er wartete erst gar nicht ab, daß sie den Raum betrat, sondern ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.

Jemen starrte in die Zelle. Ein einzelner Stuhl stand mitten in dem kleinen Raum, angestrahlt von einem Scheinwerfer oberhalb der Decke. Vage Furcht schnürte ihr die Kehle zu.

„Treten Sie näher, Miss Tyler.” Zo'or war aus dem Schatten hervorgetreten und sah sie unheilverkündend an. „Es wird Zeit, daß wir uns einmal unterhalten.”

Jemen nahm all ihren Mut zusammen und betrat die Zelle.

Zo'ors Hand fuhr zur Seite und aktivierte das Kraftfeld. „Major Kincaid hat mich über den Vorfall im Krankenhaus aufgeklärt.” Er deutete auf den Stuhl, aber sie ignorierte seine stumme Aufforderung. Wenn sie schon mit ihm sprechen mußte, dann wollte sie es von Angesicht zu Angesicht tun und nicht zu ihm hinaufschauen müssen. „Wie konnten Sie es wagen, Da'ans Leben zu gefährden?” fuhr der Taelon sie an. „Das ist eine grobe Pflichtverletzung, die ich nicht tolerieren kann.”

„Bei allem Respekt, Zo'or”, erwiderte sie trotzig, „ich bin Da'ans Beschützerin. Wenn er...”

„Beschützerin!” unterbrach er sie heftig. „Eine kompetente Beschützerin wäre nicht so leichtfertig mit seiner Sicherheit umgegangen.”

„Wenn er”, begann sie erneut, „der Meinung gewesen wäre, daß ich leichtfertig mit seiner Sicherheit umgegangen wäre, dann hätte er mich zurechtgewiesen. Aber das war nicht der Fall.”

Zo'or trat auf sie zu und musterte sie aus funkelnden Augen. „Da'an ist sich leider nicht immer der Gefahr bewußt, in die er sich begibt, denn sonst hätte er Sie kaum eingestellt. Das läßt sich auch daran erkennen, daß er Major Kincaids Einwände ignoriert hat. Sie sind unfähig, den Posten eines Beschützers wahrzunehmen, Miss Tyler!”

Jemen preßte die Lippen zusammen. „Ich weiß, daß ich einen Fehler gemacht habe, Zo'or”, sagte sie mühsam beherrscht. „Es wird nicht wieder vorkommen.”

„Sehr richtig! Sie werden nämlich keine Gelegenheit mehr bekommen, Ihre Inkompetenz unter Beweis zu stellen.”

„Dazu haben Sie kein Recht”, entfuhr es ihr. „Da'an hat mich eingestellt...”

„Mit meiner Zustimmung”, herrschte er sie an. „Doch die werde ich zurücknehmen. Ich werde nicht zulassen, daß ihn das gleiche Schicksal wie Di'mag ereilt, nur weil Sie in Ihrer grenzenlosen Selbstüberschätzung Ihre Objektivität verloren haben.”

Wütend starrte sie ihn an. „Ich trage keine Schuld am Tode Di'mags!” verteidigte sie sich.

„Das wird sich noch zeigen, Miss Tyler. Und sollten sich meine Befürchtungen bewahrheiten, werden Sie den Tag verfluchen, an dem Sie geboren wurden.”

Jemen fühlte, wie ihre Selbstbeherrschung zersplitterte. „Ich wäre für Di'mag gestorben!” schrie sie den Taelon an.

„Sie sind es aber nicht”, erwiderte er feindselig. „Sie ließen ihn feige im Stich.”

Nur die Tatsache, daß Zo'or kein menschliches Wesen war und ihm physische Gewalt kaum etwas anhaben konnte, hielt Jemen zurück, sich auf ihn zu stürzen und ihm die Hände auf die Kehle zu pressen. Aber unbändiger Haß glühte in ihren Augen auf und ließ sie erzittern. „Das ist eine infame Unterstellung, Zo'or! Und die muß ich mir von Ihnen nicht bieten lassen.”

„Ke'esh!” Seine Hand fuhr unwillig durch die Luft. „Ihr Menschen seid nicht einmal fähig, zu euren Fehler zu stehen. Immer versteckt ihr euch hinter Entschuldigungen und Ausflüchten.” Er musterte sie voll Verachtung. Dann wandte er sich überraschend von ihr ab und trat hinter den Stuhl. „Welche Zeitverschwendung...” Er war unzufrieden, weil er sich von seinen ursprünglichen Vorhaben entfernt hatte. Während er über seine weiteren Schritte nachsann, beobachtete ihn Jemen. Sie fragte sich, warum er das Gespräch unter vier Augen gesucht hatte. Warum ausgerechnet hier in dieser Zelle? Er hätte ebenso die Kommandobrücke nutzen können oder einen der anderen Räume.

„Ich habe eine Entscheidung getroffen”, sagte er schließlich. „Ich werde Sie implantieren lassen. Dann können Sie Da'an weiterhin dienen, und ich erspare mir die peinliche Kündigung.”

„Gegen meinen Willen? Das wagen Sie nicht, Zo'or!” Jemen konnte nur mühsam ihr Entsetzen verbergen.

„Dann sollten Sie kooperieren”, sagte er gefährlich ruhig. „Ich will wissen, in welcher Beziehung Sie zu Di'mag standen.”

Jemen sah ihn überrascht an. „Di'mag?”

„Spreche ich unverständlich?” fragte er barsch zurück. „Ja, ich meine Di'mag.”

„Wir waren Freunde”, sagte sie zögernd. Was wollte er eigentlich hören? Warum fragte er sie danach, wenn er sie insgeheim verdächtigte, den Taelon-Wissenschaftler ermordet zu haben?

„Freunde?” wiederholte er abfällig. „Im Sinne, wie auch Da'an Freundschaften pflegt? Offensichtlich verstehen die Menschen etwas anderes unter diesem Wort als wir Taelons.”

„Wir waren Freunde”, beharrte Jemen. „Eine Freundschaft, die sich auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen begründete.”

„Ke'esh!” Zo'or machte eine abwertende Handbewegung. „Di'mag hat außer seinen Studien kaum etwas anderes um sich herum wahrgenommen. Er hat Sie nur benutzt, Tyler. Vielleicht empfand er Ihre Anwesenheit manchmal als amüsant, um sich zu entspannen. Aber Freundschaft bedeutet das nicht. Da muß ich Sie leider enttäuschen.”

„Nein, Zo'or”, sagte sie, „ich muß Sie enttäuschen.” Und obwohl Di'mag sie nachdrücklich darauf hingewiesen hatte, niemals in Gegenwart eines Taelons darüber zu sprechen, fuhr sie jetzt voller Genugtuung fort: „Ich war sein La'ha'shii.”

Ein Beben ging durch Zo'or. „Wie können Sie es wagen, sich als Di'mags La'ha'shii zu bezeichnen!” schrie er völlig außer sich. „Das ist absolut absurd! Niemals... niemals würde sich ein Taelon derart erniedrigen...” Er verlor die Kontrolle über seine menschliche Fassade. Blauweiße Energieströme durchzuckten seinen Körper. Es war derart beängstigend, daß sich Jemen, die nur das sanfte Pulsieren Di'mags in Erinnerung hatte, erschrocken fragen mußte, ob sie nicht doch zu weit gegangen war. Sie hatte da etwas ausgelöst, ohne sich im entferntesten über die Konsequenzen bewußt zu sein. Und über allem hinweg fühlte sie seinen glühenden Blick, der entfesselte Zorn eines Taelons, der sich tief in sie hineinbohrte. Sein Wunsch, sie zu töten, stand greifbar zwischen ihnen. Gleichzeitig nahm sie eine Veränderung in ihrem Inneren wahr. Eine fremde Macht, die sich ihren Weg bahnte, verlangend, brennend...

„Eine Lüge... 'shii... Es ist nicht wahr... 'ha'shii... Sagen Sie es!” Seine Stimme war nur ein furchterregendes Zischen. Menschliche Laute, durchbrochen von einer fremden Sprache. Langsam näherte er sich ihr; sein Körper zuckte unnatürlich, und sie bemerkte seinen Kampf, die Kontrolle über sein Selbst zurückzuerlangen. Seine Schmach, weil er sich vor ihr entblößt fühlte. Sie wußte, es war nur ein kleiner Schritt, ihm die Erlösung zu geben. Nur ein Lüge. Sie mußte nur lügen. Aber sie konnte nicht. Schwindel erfaßte sie. Irgendwo unter den Schichten des bewußten Ichs forderte ein fremder Kosmos sein Recht.

Zo'or sprang plötzlich vor und packte sie am Arm. Er hatte einen Teil seiner menschlichen Fassade wiedererlangen können. „Sagen Sie es...”, keuchte er. „Sagen Sie es, daß es nicht stimmt.” Im nächsten Augenblick wich er zurück, überrascht von der Intensität ihrer Gefühle. Fremde, unverständliche Emanationen, die den Kokon seines rationalen Denkens sprengte und sein Bewußtsein mit einer fremden und zugleich vertrauten Sphäre konfrontierte. Wie konnte ein Mensch über derartige Fähigkeiten verfügen? Fassungslos riß er sich los. Er schwankte heftig, und schließlich wich er zur Rückwand der Zelle zurückwich. „Was sind Sie?” stieß er keuchend hervor. Aber sie starrte ihn nur bebend an. Laß nicht zu, daß dich diese Macht beherrscht, Jemen, bevor du sie nicht verstehst und mir ihr umgehen kannst. Di'mags sanfte Stimme kam aus der Tiefe ihres Selbst und bahnte sich mühsam den Weg an die Oberfläche. Benommen wankte sie zurück. Ihr Blick fiel auf Zo'or, der sich an die Zellenwand preßte.

„Sie sind ein Replikant”, hauchte der Taelon entsetzt.

„Nein, nur ein Mensch.” Sie hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand sämtliche Kraft entzogen. Ihre Beine schienen nachzugeben. Zo'or musterte sie fassungslos. Seine Hand tastete nach dem verborgenen Mechanismus, der das Kraftfeld betätigte. Langsam wich sie bis zur Wand zurück, um sich daran abzustützen. „Nur ein Mensch”, wiederholte sie tonlos, „den Sie nicht bis zum Äußersten treiben sollten.”

Zo'or schaltete hastig das Kraftfeld ab und stürzte hinaus, um es anschließend sofort wieder zu aktivieren. Sein gehetzter Blick streifte sie ein letztes Mal. Dann wankte er davon.

 

Ende von Kapitel 5

 

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