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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Da'an nimmt Jemen in seinen Dienst, sehr zu Liams Missfallen
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Zo'or, Sandoval, Da'an, Jemen Tyler, Liam Kincaid, Lassiter, T'than, Augur und andere
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 3

 

Zo'or saß im Sessel seines Befehlsstandes und studierte ungehalten die neuesten Pressemeldungen. Ein blaues Leuchten ging über sein Gesicht. Sandoval, der sich abseits aufhielt, um seinem Herrn sowohl die notwendige Privatsphäre zu gewähren als auch greifbar in seiner Nähe zu sein, musterte ihn. Es geschah äußerst selten, daß sich der Taelon derart „vergaß”. Nichts war Zo'or mehr verhaßt, als wenn die Menschen seine emotionale Befangenheit sahen. Mit einer ungeduldigen Handbewegung schloß der Außerirdische den Datenstrom, und es schien, als wollte er damit die unliebsamen Nachrichten wegwischen. „Agent Sandoval!” rief er barsch.

„Zo'or?” Der FBI-Agent war fast augenblicklich zur Stelle.

„Diese Nachrichten sind ein Affront gegen die Taelons.”

Sandoval zog einen Datenträger aus der Jacke. „Ich habe mir erlaubt, eine entsprechende Pressemitteilung fertigzustellen.”

Zo'or betrachtete seinen Vasallen und empfand plötzlich Widerwillen. Es mochte manchmal ganz praktisch sein, einen Implantierten als Beschützer zu haben. Aber Sandovals Unterwürfigkeit war an manchen Tagen einfach unerträglich. Es machte ihn zudem mißtrauisch. Wie loyal war sein Untergebener tatsächlich? „T'than hat mich darüber informiert, daß Sie heute nach Südamerika fliegen, um dem dortigen Companion Ram einen Besuch abzustatten.”

„Sie können versichert sein, daß alles in Ihrem Sinne geschieht”, erwiderte Sandoval mit seinem undurchdringlichen Gesichtsausdruck.

„Ich frage mich, was Sie hier auf der Brücke suchen”, sagte Zo'or ungnädig. „Oder befürchten Sie, daß ich von einem Freiwilligen niedergestreckt werden könnte? Vergessen Sie nicht: Sie sind jetzt T'thans Beschützer. Konzentrieren Sie sich besser darauf. Und was die Pressemitteilung anbelangt, so sollten Sie es mir überlassen, welche Nachricht weitergeleitet wird.”

„Ganz wie Sie wünschen, Zo'or”, erwiderte Sandoval, ohne mit der Wimper zu zucken. Er steckte die Datendisc wieder in seine Jackentasche und verließ die Brücke. Als er den Shuttle-Hangar betrat, wartete T'than bereits auf ihn. „Agent Sandoval!” Er warf Zo'ors Vasallen einen langen undefinierbaren Blick zu. „wir werden in Kürze aufbrechen. Ich sehe unserer Reise mit großer Spannung entgegen. Ich denke, sie wird in jeder Hinsicht bemerkenswert.”

Sandoval erwiderte seinen Blick ungerührt. „Das denke ich auch.”

 
* * *
 

Da'an stoppte und betrachtete die junge Frau jetzt beinahe verwundert. „Ich sollte meine Frage vielleicht wiederholen”, sagte er. „Könnten Sie sich vorstellen, für mich zu arbeiten? Wir sind uns mittlerweile nicht mehr so fremd, und ich wäre Ihnen dabei behilflich, sich in Ihrem neuen Arbeitsgebiet zurechtzufinden.”

Tyler schluckte und begriff plötzlich, daß sie sich geirrt hatte. Da'an hatte die Präsenz gar nicht wahrgenommen. Beinahe erleichtert fragte sie: „Als Ihre Beschützerin? Ich denke, Major Kincaid ist Ihr Beschützer?” setzte sie sogleich hinzu.

„Ja, das ist er, und er wird es auch bleiben. Nicht, daß der Irrtum entsteht, ich wollte Sie austauschen.”

„Aber wofür brauchen Sie mich?”

Da'an begann durch die Botschaft zu wandern. „Wie Sie meinem Gespräch mit Zo'or sicher entnehmen konnten, wird er hin und wieder auf Major Kincaids Hilfe zurückgreifen müssen. In dieser Zeit könnten Sie für ihn einspringen. Es ist eine Art Aufgabenaufteilung, die mir vorschwebt. Bei einigen Anlässen könnte die Anwesenheit eines weiblichen Beschützers vorteilhaft sein. Ich müßte zudem meine Termine nicht verschieben.”

Jemen fuhr sich durch das Haar. „Major Kincaid wird von Ihrem Plan nicht begeistert sein”, sagte sie gerade heraus. „Wir stehen uns zudem nicht sonderlich freundschaftlich gegenüber.”

Da'an zeigte den Ansatz eines kleines Lächelns. „Er wird sich daran gewöhnen.”

„Aber er mißtraut mir”, wandte sie ein. „Da'an, ich weiß es zu schätzen, daß Sie mir helfen wollen, aber wenn dadurch Probleme entstehen, dann ist das keine so gute Idee.”

„Überlassen Sie es getrost mir. Wichtiger ist es für mich zu wissen, ob Sie auf meinen Vorschlag eingehen werden.”

Jemen zögerte noch immer. Es war ihr, als griffe eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen. Bei Di'mag hatte sie sich sicher und geborgen gefühlt. Sie hatte ihm vertraut. Sie spürte, daß Da'ans Gegenwart einen Teil des Verlustes ausgleichen konnte. Aber wenn sie nun die Kontrolle darüber verlor? Der Weg, der ihr jetzt offeriert wurde, barg unbekannte Risiken. Es war gänzlich neues Terrain, das sie betrat, ohne zu wissen, was sie erwartete. Da'an wanderte langsam um sie herum. „Ich will Sie keinesfalls drängen, Jemen. Wenn Sie Bedenkzeit benötigen, so will ich sie Ihnen gern gewähren. Und sollten Sie noch irgendwelche Einwände haben, dann würde ich sie gern erfahren.”

„Ich denke nach wie vor, daß ich nicht geeignet bin, in Ihre Dienste zu treten”, sagte sie ausweichend.

Der Taelon musterte sie mit einem unergründlichen Blick. So hatte sie Di'mag damals auch angesehen, bevor er damit begann, ihr behutsam das Geheimnis zu entlocken. Di'mag... Er fehlte ihr. Konnte sie jemals wieder einem Taelon so sehr vertrauen? Durfte sie Da'an vertrauen?

„Sie könnten an besonderen Schulungsmaßnahmen teilnehmen”, schlug ihr Da'an jetzt vor. „Das Training für Companion-Beschützer ist sehr effizient. Sie könnten in Ihre neue Aufgabe hineinwachsen. - Und was den Sold anbelangt, so werden Sie damit allemal zufrieden sein.” Es war offensichtlich, daß er sie für seine Dienste gewinnen wollte. Doch wieso? Der Posten eines Beschützers war sehr begehrt. An qualifizierten Bewerbern konnte es nicht mangeln.

„Zo'or wird sich nicht damit einverstanden erklären”, sagte sie, überzeugt, daß ihm jetzt die passenden Gegenargumente fehlen würden.

„Nun”, sagte Da'an und strebte seinem Stuhl entgegen, „das können wir sofort klären.” Er aktivierte den Datenstrom zum Mutterschiff. Zo'ors Gesicht erschien in dem energetischen Wasserfall. Er ließ seinen Artgenossen gar nicht zu Wort kommen, sondern sagte: „Ich habe die Presseberichte gesehen, Da'an. Du mußt mich nicht daran erinnern, daß unser Ansehen gelitten hat. Ich habe bereits eine Gegendarstellung in Auftrag gegeben.”

Da'an wirkte für einen Augenblick beinahe verlegen. Tatsächlich hatte er es versäumt, die neuesten Nachrichten abzurufen. „Ich bin überzeugt, daß du dabei ganz in unserem Sinne gehandelt hast”, sagte er hintergründig. „Doch deshalb wollte ich dich nicht sprechen. Ich beabsichtige, einen zweiten Beschützer in meine Dienste zu nehmen.”

Zo'or winkte ungeduldig ab. „Meinetwegen.”

„Es ist Miss Tyler.”

Jetzt wurde der Synodenführer hellhörig. „Miss Tyler? Di'mags Beschützerin?” wiederholte er.

„Ja. Ich glaube, Sie könnte eine perfekte Ergänzung zu Major Kincaid bilden. Ich müßte zudem keine meiner Termine verschieben, solltest du den Major gerade benötigen. In Anbetracht der augenblicklichen Lage ist es erforderlich, daß wir uns in der Öffentlichkeit mehr denn je zeigen, um den Verdächtigungen uns gegenüber Einhalt zu gebieten.”

Zo'or neigte ein wenig seinen Kopf und bedachte Da'ans Worte. „Du hast recht. Die Menschen müssen sehen, daß wir nichts zu verbergen haben und die Konfrontation mit ihnen nicht scheuen. Aber es ist völlig ausgeschlossen, daß du Miss Tyler in deine Dienste aufnimmst. Dazu kann ich nicht meine Zustimmung geben.”

„Und warum?”

„Sie steht nach wie vor unter Verdacht”, antwortete Zo'or in der Taelonsprache.

„Du solltest offen reden, Zo'or”, sagte Da'an in der Menschensprache. „Ich habe Miss Tyler angeboten, für uns zu arbeiten. Ich kann dieses Angebot aber nicht aufrechterhalten, wenn es Vorbehalte gegen sie gibt.” Kühn erwiderte er den ungehaltenen Blick des Synodenführers.

„Also gut”, sagte Zo'or schließlich. „Die Umstände, die zu Di'mags Tod führten, sind nach wie vor ungeklärt.”

„Ich glaube kaum, daß sich Miss Tyler weigern wird, uns auch weiterhin bei der Untersuchung zu unterstützen.” Da'an umging geschickt Zo'ors Absicht, ihn aufzufordern, den Verdacht zu widerlegen. Denn in diesem Fall wäre er tatsächlich gezwungen gewesen, die Einstellung bis zur endgültigen Klärung zurückzustellen. „Ihre Personalakte weist sie als loyale Mitarbeiterin aus.”

Zo'or mußte erkennen, daß seine subjektive Ablehnung keine Möglichkeit bot, Da'ans Wunsch auszuschlagen, ohne dessen Mißtrauen zu erwecken. Aber er würde eine andere Gelegenheit finden. Wenn Jemen Tyler nur das Geringste mit Di'mags Tod zutun hatte, würde er es herausfinden und sie dafür büßen lassen. „Nun, wie du willst, Da'an. Du trägst ja ohnehin die Verantwortung für Sie, nachdem du ihr erlaubt hast, das Mutterschiff ohne meine Zustimmung zu verlassen. Schick sie in ein Ausbildungslager und sorge dafür, daß sie implantiert wird.”

Jemen zuckte zusammen. Sie schüttelte heftig den Kopf, als Da'an in ihre Richtung sah.

„Ich glaube nicht, daß ein CVI erforderlich sein wird, Zo'or. Du weißt, ich habe bezüglich Major Kincaid keine negativen Erfahrungen gemacht, die eine Änderung rechtfertigen würde.”

„Es ist deine Entscheidung, Da'an”, sagte der Synodenführer und brach die Verbindung ab.

„Nun?” Da'an drehte sich erwartungsvoll um. „Jetzt sollten Ihre Bedenken zerstreut sein.”

Tyler sah ihn seltsam an. „Hoffentlich meinen Sie das mit dem CVI auch ernst.”

Der Taelon machte ein paar Schritte auf sie zu. „Als wir seinerzeit die ersten Beschützer implantierten, taten wir es, um deren Fähigkeiten zu steigern”, sagte er.

„Daß sich dabei die Menschen veränderten und empfänglicher für Ihre Wünsche machte, konnte Ihnen nur dienlich sein. Ich möchte aber nicht, daß meine Persönlichkeit verändert wird. Wenn ich Sie beschützen soll, dann möchte ich dies aus freien Stücken tun und nicht, weil ein CVI eine moralische Verpflichtung daraus macht.”

Da'an erkannte, daß er ihr nichts vormachen konnte. Deshalb sah ihr fest in die Augen. „Ich habe nicht vor, Sie implantieren zu lassen, Jemen. Mein Wort sollte Ihnen genügen.” Sein Blick wurde wieder sanft. „Kann ich jetzt auf eine positive Antwort von Ihnen hoffen?”

Jemen atmete tief durch. „Offensichtlich soll es so sein. Also gut, Da'an, ich bin einverstanden.”

Der Taelon streckte ihr die Hand entgegen. „Dann lassen Sie uns diese Vereinbarung besiegeln.”

Jemen erschrak. Du solltest die Berührung mit einem Taelon vermeiden, hörte sie in ihren Gedanken Di'mags Stimme.

In diesem Augenblick kam Liam Kincaid um die Ecke. Er stoppte jäh, als er Da'an und Jemen Tyler sah. Sekundenlang verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck, dann hatte er sich wieder gefangen. „Da'an, kann ich Sie sprechen?”

„Natürlich, Liam”, sagte der Taelon freundlich und machte eine einladende Handbewegung. Kincaid kam langsam näher. „Allein”, sagte er.

Da'an musterte ihn kurz und nickte dann. Er wandte sich wieder an Jemen und sagte: „Ich werde Ihnen ein Shuttle zur Verfügung stellen, das Sie nach Europa bringt.” Er öffnete den Datenstrom und aktivierte die interne Kommunikation. „Agent Lassiter, machen Sie das Shuttle startklar und folgen Sie den Anordnungen Miss Tylers.”

„Sehr wohl, Da'an”, sagte Lassiter.

Der Taelon begleitete die junge Frau zum Ausgang des Raumes. „Nun, Major”, sagte er anschließend, „wir sind ungestört.”

„Da'an, ist Ihnen bekannt, daß Zo'or wünscht, daß ich für die nächste Zeit sein Beschützer sein soll?” Kincaid flog immer gleich mit der Tür ins Haus. Diplomatie war nun mal nicht gerade seine Stärke.

„Es ist mir bekannt”, erwiderte Da'an. „Ich habe dem zugestimmt.”

„Aber meine Pflicht gilt Ihnen...”

„Ihre Pflicht gilt allen Taelons, Major!” erinnerte ihn der Außerirdische sanft.

„"Aber wer wird dann für Ihre Sicherheit zuständig sein?”

„Miss Tyler.”

„Jemen Tyler?” wiederholte Kincaid beinahe fassungslos. „Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?”

„Sie erstaunen mich, Liam. Was ist an Miss Tyler auszusetzen?”

„Nun... Sie ist keine richtige Companion-Beschützerin.”

„Was verstehen Sie unter 'richtig'?”

„Sie wurde nicht implantiert.” Es rutschte Liam heraus, bevor er es verhindern konnte.

Da'an bedachte ihn mit einem langen Blick. „Bei Agent Sandoval hätte ich diese Reaktion erwartet. Doch bei Ihnen erstaunt es mich, Liam. Sie selbst wurden ebenfalls nicht implantiert. Betrachten Sie sich deshalb als ungeeignet?”

„Ein Beschützer muß gewisse Forderungen erfüllen.”

„Was Jemen Tyler Ihrer Meinung nach nicht tut”, sagte der Taelon ironisch. „Liam, ich habe Sie damals ausgewählt, ohne den bürokratischen Weg einzuschlagen. Ich habe nicht erst gewartet, ob Sie den Anforderungen gerecht werden würden. Di'mag wird ebenso intuitiv entschieden haben, und deshalb habe ich keine Bedenken, daß sich meine Entscheidung als falsch erweisen könnte.”

Kincaid faßte sich an die Stirn. Wie konnte Da'an derart leichtsinnig handeln? „Wir wissen doch so gut wie gar nichts über diese Tyler!” sagte er aufgeregt.

„Nun, ich nehme an, Sie haben bereits Erkundigungen über sie eingeholt”, erwiderte Da'an. „Wenn es etwas Negatives gewesen wäre, dann hätten Sie es sofort gesagt.”

Liam lief ärgerlich auf und ab. „Di'mags Tod wurde bisher noch nicht aufgeklärt. Wir wissen noch immer nicht, wer hinter dem Attentat steckt und ob der Anschlag wirklich Di'mag oder einem anderen Companion galt. Tyler gehört aber zu dem Kreis der Verdächtigen. Und deshalb finde ich, daß ein wenig Vorsicht durchaus angebracht wäre.” Er war unwillkürlich immer lauter geworden.

Da'an wandte sich seinem Stuhl zu. „Tyler zu verdächtigen... ohne irgendwelche Indizien, erscheint mir reichlich spekulativ, Liam.”

„Und ich finde es reichlich spekulativ, wenn man sie einfach freispricht, bevor der Fall geklärt ist. Fehlende Indizien heißt noch lange nicht, daß es da nicht doch etwas gibt. Das ist meines Erachtens sehr blauäugig betrachtet...” Er hielt inne, aber der Taelon schien diese Redewendung nicht auf die Taelons zu beziehen; wahrscheinlich kannte er sie gar nicht.

Kopfschüttelnd nahm Da'an in seinem Stuhl Platz. Auch wenn ihn letztendlich sehr persönliche Gründe dazu bewogen hatten, Tyler in seine Dienste aufzunehmen, so war es doch sehr verwunderlich, daß Kincaid dieser neuen Anstellung so ablehnend gegenüberstand. Wußte er mehr, als zugeben wollte? „Miss Tyler und Di'mag verband eine Freundschaft. Da fällt es mir schwer zu glauben, daß sie ihn hintergangen haben soll.”

„Bei allem Respekt, Da'an - die Menschen besitzen viele Masken, mit denen sie ihre Gegner täuschen können. Tyler kann Ihnen praktisch alles vorgaukeln. Wenn sie es nur perfekt macht, werden Sie ihr Spiel nicht durchschauen können.”

„Und Sie sind der Meinung, daß Tyler ein solches Spiel mit uns treibt?”

„Ich rate nur zu ein wenig mehr Vorsicht”, sagte Kincaid und ging zu Da'an hinüber. Er machte sich wirklich Sorgen um seinen Companion, und deshalb unterdrückte er seine Verärgerung und schob auch den Gedanken an Tyler energisch beiseite. Er mußte dem Taelon seine Unvernunft vor Augen führen und ihm bewußt machen, daß er sich in große Gefahr begab. „Ich habe geschworen, Sie zu beschützen, Da'an. Aber das kann ich nicht, wenn Sie sich plötzlich nicht mehr beschützen lassen wollen.”

Da'an schwieg, sah ihn aber aufmerksam an.

„Da'an”, bat Liam jetzt sehr inständig, „ich verlange doch nichts Unmögliches. Es ist nicht zwingend notwendig, daß Sie sich gerade jetzt einen zweiten Beschützer nehmen. Sie könnten es doch noch eine Weile... verschieben. Solange, bis wir den Fall aufgeklärt haben.”

Der Taelon senkte den Blick, schien über seine Worte intensiv nachzudenken. Dann sagte er: „Tut mir leid, Liam, aber ich werde meinen Entschluß nicht ändern. Zo'or ist bereits informiert.”

„Zo'or”, kam es verächtlich über die Lippen des jungen Mannes. Er wandte Da'an den Rücken zu und ballte wütend die Fäuste. „Zo'or steckt doch vermutlich hinter dem Ganzen.”

„Wie meinen Sie das, Major?”

Liam wollte nicht mit Da'an über seine Theorie sprechen, solange sie so hypothetisch war. Aber vielleicht genügte es, wenn er seinen Companion zum Nachdenken brachte. Vielleicht konnte er so erreichen, daß Da'an zur Einsicht kam. Er drehte sich langsam um. „Es ist doch seltsam, daß Zo'or Ihrem Wunsch stattgegeben hat, obwohl Tyler eigentlich immer noch unter Verdacht steht”, sagte er bedeutungsvoll.

Da'an schwieg. Aber sein Blick fuhr besorgt hin und her. Liam war überzeugt, daß er einen entscheidenden Schritt vorangekommen war und setzte an, das Mißtrauen des Taelons weiter zu schüren, als dieser plötzlich sagte: „Zo'or hat mit dem Mord nichts zutun.”

„Verdammt! Warum sind Sie so stur!” brach es zornig aus Liam. „Wie können Sie so sicher sein, daß Zo'or nichts damit zu tun hat? Und erzählen Sie mir jetzt nichts von Ihrem Kodex, daß ein Taelon niemals einen seiner eigenen Art tötet. Darüber haben wir uns schon einmal unterhalten.”

Da'an nahm seinen Ausbruch gelassen hin. „Zo'or hat nichts damit zu tun, Major”, beharrte er.

Liam sehnte sich plötzlich nach etwas, das er kurz und klein schlagen konnte, irgend etwas, um seine Wut abzureagieren. Alles in ihm drängte danach, einfach aus der Botschaft zu stürzen und Da'an seinem Schicksal zu überlassen. Und doch hielt es ihn gleichermaßen hier fest. Er verfluchte sein Pflichtbewußtsein. Aufgebracht starrte er seinen Companion an. Er hatte alles getan, was in seiner Macht stand. Er hatte Da'an gewarnt. Doch der Taelon ignorierte ihn einfach, kam ihm nicht einmal einen kleinen Schritt entgegen. Niemand konnte ihm einen Vorwurf machen, wenn er jetzt ging. Aber die wispernden Stimmen in seinem Inneren waren stärker als sein verletzter Stolz, und er begriff, daß er sich davor fürchtete, versagt zu haben. Diese Erkenntnis ließ ihn erschaudern.

Da'an betrachtete ihn schweigend. Liam suchte seinen Blick, überzeugt, dort Kühle und Distanz zu sehen, aber statt dessen erwartete ihn Sanftheit. Verwirrt wandte er sich ab. Konnte Da'an seine innere Zerrissenheit spüren und sendete ihm auf diese Weise eine stumme Botschaft? Sie müssen hinter die Dinge sehen! hörte er in Gedanken den Taelon sagen. Ein gänzlich anderer Zusammenhang, und doch stand dieser Satz plötzlich wieder klar und deutlich vor ihm, so als wäre er laut ausgesprochen worden. Liam fühlte, wie es tief in seinem Inneren zu vibrieren begann. „Und wenn Tyler nun doch etwas mit dem Mord an Di'mag zutun hatte?” fragte er nach einer Weile.

„Dann ist sie hier um so besser aufgehoben, Liam. Einer Gefahr auszuweichen, bedeutet doch nichts anderes, als sie zu ignorieren. Ihr aber zu begegnen, gibt einem die Möglichkeit, rechtzeitig reagieren zu können.”

„Aber Ihr Leben ist in Gefahr”, begehrte er auf.

„Ich sehe das etwas anders”, erwiderte Da'an.

Wieder wollte heißer Zorn in ihm aufwallen, aber Liam kämpfte dagegen an. „Dann versprechen Sie mir wenigstens, daß Sie vorsichtig sind.”

Ein kleines Lächeln schien über Da'ans Gesicht zu huschen, aber der junge Mann war sich nicht sicher. Es konnte auch nur ein Schatten gewesen sein. In diesem Augenblick piepste sein Global. Er zog den Kommunikator aus seiner Jacke und meldete sich. Zo'or erschien auf dem Bildschirm. „Major Kincaid, ich erwarte Sie umgehend auf dem Mutterschiff!” befahl der Synodenführer.

„Wie Sie wünschen, Zo'or”, erwiderte Liam. Er wandte sich zum Gehen, hielt aber noch einmal inne und warf Da'an einen langen Blick zu. „Ich hoffe wirklich für Sie, daß Sie sich nicht in Jemen Tyler täuschen.”

 
* * *
 

Sandoval saß auf einem Stuhl im Konferenzzimmer der lateinamerikanischen Botschaft und tat gleichgültig. In Wirklichkeit aber war er sehr unzufrieden. Seit einer geschlagenen Stunde unterhielten sich Ram und T'than nun schon, und er hatte keine Möglichkeit, diesem Gespräch zu folgen - nicht, weil sie ihm den Zutritt verwehrt hätten. Nein, sie standen nur wenige Schritte von ihm entfernt. Aber die beiden Taelons unterhielten sich in ihrer eigenen Sprache. Damit blieben ihm wichtige Einsichten verwehrt. Abgesehen davon, daß sich Zo'or damit nicht zufrieden geben würde, so hatte sich Ronald Sandoval ganz persönlich einige wertvolle Informationen erhofft. Das ärgerte ihn jetzt um so mehr, da es nur zu offensichtlich war, daß T'than Geheimnisse vor dem Synodenführer hatte. Er verfluchte seine Unfähigkeit, die Taelonsprache zu erlernen. Wie hatte es Boone damals nur schaffen können, diese seltsamen Laute zu verstehen? Und warum war es ihm selbst verwehrt geblieben?

Die beiden Taelons beendeten ihr Gespräch und verabschiedeten sich formell. T'than wandte sich seinem neuen Beschützer zu und gab ihm das Zeichen zum Aufbruch. Sandoval folgte ihm schweigend durch die Botschaft. „Ich nehme an, Ihre Unterredung mit Ram war... zufriedenstellend”, erkundigte er sich nach einer Weile.

„In der Tat, Agent Sandoval. In der Tat”, erwiderte der Kriegsminister. „Wir werden deshalb gleich weiterfliegen, damit ich möglichst noch heute ein Treffen mit dem australischen Companion arrangieren kann.”

Sie hatte den Shuttle-Landeplatz erreicht, und Sandoval winkte sogleich jemanden vom technischen Personal herbei. Aufgrund der örtlichen Begebenheiten konnten die Shuttle hier nicht geparkt werden. „Holen Sie unser Shuttle!”

„Sofort, Sir”, sagte der Mann und eilte davon.

Sandoval gab sich gleichgültig, als er neben T'than wartete, aber er fühlte den Blick des Taelons auf sich ruhen. Er sah sich um, tat so, als interessierte er sich für die Umgebung.

„Agent Sandoval, ich bemerke bei Ihnen eine gewisse Unzufriedenheit”, sagte T'than plötzlich.

Sandoval sah ihn überrascht an. „Ich verstehe nicht ganz, T'than.”

„Nun, Sie konnten dem Gespräch nicht folgen und demzufolge wird Ihr Bericht an Zo'or entsprechend dürftig ausfallen.” T'than sah ihn spöttisch an.

„Ich begleite Sie als Beschützer”, erwiderte Sandoval mit unbeweglichem Gesicht, „nicht als Berichterstatter.”

„Sie sollten mich nicht unterschätzen, Agent Sandoval. Mir ist sehr wohl bewußt, daß Sie von Zo'or instruiert wurden, mich zu beobachten. Vermutlich hätte ich an seiner Stelle ebenso gehandelt. Er ist der Führer der Synode, und er weiß, daß ich mit seiner derzeitigen Strategie nicht einverstanden bin. Er hat sich auf relativ einfache Weise eine Machtposition geschaffen. Doch es bedarf ein wenig mehr, um sie zu behalten.”

„Ich diene Zo'or und somit allen Taelons”, sagte Sandoval steif.

„Sie sind ein loyaler Mitarbeiter”, flüsterte T'than verschlagen. „Zo'or besitzt dadurch ein sehr großes Potential. Aber ich schätze Sie so clever ein, daß Sie rechtzeitig die Zeichen erkennen und - wie sagt Ihr Menschen - das sinkende Schiff verlassen.” Damit ließ er den FBI-Agent stehen.

 
* * *
 

Als Kincaid das Mutterschiff betrat, erhielt er einen weiteren Anruf. Diesmal war es Augur. „He, Liam, kannst du vorbeikommen? Es ist sehr wichtig.”

„Was gibt es denn, Augur?” fragte Liam leise. „Ich bin gerade auf dem Mutterschiff. Zo'or erwartet mich.”

„Dann solltest du mal vielleicht deine Mittagspause vorziehen. Ich habe hier nämlich Neuigkeiten über Jemen Tyler.”

 
* * *
 

Jemen hatte nicht viele Sachen, die sie aus ihrem Appartement mitnehmen mußte. Ihr wurde plötzlich bewußt, daß sie in den letzten zwei Jahren mehr Zeit im Laboratorium bei Di'mag verbracht hatte als in ihrer eigenen Wohnung. Seufzend starrte sie auf das Buch in ihrer Hand, bevor sie es in den Koffer warf, um es anschließend wieder herauszunehmen und zurück in das leere Regal zu stellen. Sie hatte es nicht einmal angelesen. Sie wünschte sich plötzlich, Di'mags wunderbare Geschichten, mit denen er sie immer unterhalten hatte, niederschreiben zu können, um ab und zu darin zu lesen und sich zu erinnern. Er hatte so gut erzählen können, hatte ihr von der Taelonheimatwelt berichtet und von dem Leben dort. Er kannte viele Fabeln und Legenden aus einer längst vergangenen Zeit, die ihm mittlerweile selbst fremd vorkam und ihn zugleich faszinierten. Wie oft war Jemen abends bei ihm geblieben, hatte sich auf der kleinen Liege in seinem Laboratorium zusammengekuschelt und seinen Worten gelauscht.

Und nun war er fort...

Jemen bekämpfte ihre Traurigkeit und konzentrierte sich wieder auf die Wohnung. Sie verstaute ihre wenigen Habseligkeiten und schloß den Koffer. Den Datenträger, der Di'mags sämtliche Forschungsergebnisse beinhaltete, verstaute sie in ihrem Rucksack. Bisher hatte sie sich nur wenige persönliche Aufzeichnungen ansehen können, weil sie jedesmal in Tränen ausgebrochen war. Aber ihr war bewußt, daß dort irgendwo die Antwort auf ihre Fragen sein konnte.

Die Türglocke läutete. Sicher die Vermieterin, die den Schlüssel abholen wollte. Jemen atmete tief durch und öffnete. Ein fremder Mann stand vor ihr und betrachtete sie lächelnd. Er war schon älter und trug eine Strickjacke und Hausschuhe. Dunkel erinnerte sie sich daran, ihn schon einmal im Haus gesehen zu haben.

„Guten Tag, Miss Tyler”, grüßte er sie freundlich. „Ich bin Peter Venturi. Ihr Nachbar.”

„Mr. Venturi”, sagte sie und gab sich alle Mühe, ebenso freundlich zu wirken. „Was kann ich für Sie tun?”

„Hm, der Postbote war schon einige Male hier, um Ihnen Briefe zuzustellen”, erklärte der Mann. „Aber Ihr Briefkasten ist schon überfüllt... und er wußte nicht, wohin damit. Er wollte sie aber auch nicht zurückgehen lassen. - Nun, da habe ich mir die Freiheit erlaubt, sie in Ihrem Namen entgegenzunehmen.” Er schaute sie aufmerksam an, so als sei er sich nicht sicher, ob sie darüber vielleicht ungehalten sein könnte.

„Der Briefkasten”, wiederholte Jemen gedankenverloren. Es war jetzt fast zwei Wochen her, seit sie ihre Wohnung das letzte Mal aufgesucht hatte. Di'mag hatte mit seinen Versuchen an den Implantaten ein entscheidendes Stadium erreicht. Er war nervös und aufgeregt gewesen, und sie hatte gespürt, daß er ihre Nähe brauchte. Es war ihr deshalb nicht schwergefallen, im Laboratorium zu übernachten. Venturi brachte sich räuspernd in Erinnerung und hielt ihr das kleine Päckchen gebündelter Briefe entgegen.

„Danke, sehr freundlich von Ihnen”, sagte sie beinahe monoton.

„Tja... dann kann ich Ihnen nur noch einen schönen Tag wünschen, Miss Tyler”, sagte Venturi.

„Ihnen auch.” Jemen nahm das Päckchen und schloß die Tür. Sie öffnete das Bündel und sah die Briefe durch. Eine Einladung zu einem wissenschaftlichen Vortrag, eine Danksagung für eine Spende an einem wohltätigen Verein, die sie im Auftrage Di'mags vorgenommen hatte; ein Schreiben ihres Vermieters, in dem er ihre Kündigung bestätigte und ihr Fortgehen bedauerte und ein dickerer Umschlag, der ihre letzte Gehaltsabrechnung und ihre Lohnsteuerkarte sowie ein paar schriftliche Unterlagen und Discs aus dem Forschungsinstitut beinhaltete. Hauptsächlich handelte es sich jedoch um Werbung, die sie gleich in den Mülleimer warf. Den Rest packte sie in ihren Rucksack. Noch einmal sah sie sich in dem kleinen Appartement um. Dann nahm sie entschlossen ihre Sachen und verließ die Wohnung.

 
* * *
 

„Major Kincaid! Wieweit sind die Ermittlungen im Fall Di'mag fortgeschritten?”

„Tut mir leid, Zo'or. Aber es gibt noch keine weiteren Erkenntnisse.”

Der Taelon erhob sich ungeduldig. „Das ist ein Zustand, den ich nicht mehr länger tolerieren kann”, herrschte er den Companion-Beschützer an.

„Dann hat Agent Sandoval als auch noch nichts erreichen können”, erwiderte Kincaid spitz.

Zo'or wanderte aufgebracht über die Brücke. Die Freiwilligen in seiner Nähe erstarrten unwillkürlich, trachteten danach, unsichtbar zu werden. „Sie werden ab sofort den Fall übernehmen.”

„Erhalte ich auch Zugriff zu den Daten, die Sandoval bisher gesammelt hat?”

Zo'or warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. Dann hob er die Hand in einer ungeduldigen Bewegung. „Sie sollten keine Zeit damit verschwenden, alte Daten zu studieren.”

„Ich kann wesentlich effektiver arbeiten, wenn mir sämtliche Daten zur Verfügung stehen”, sagte Kincaid fordernd. „Sandoval könnte bei der Untersuchung etwas übersehen haben”, fügte er nach einer Weile hinzu. Der Taelon kehrte zu seinem Stuhl zurück. „Ich werde veranlassen, daß Sie Zugriff zu der Datenbank erhalten”, sagte er und fixierte sein Gegenüber mit einem langen Blick. „Ich erwarte jetzt umgehend Resultate, Major. Und ich brauche wohl nicht ausdrücklich betonen, daß Sie Ihre Anstrengungen zunächst auf den Widerstand richten.”

Der junge Companion-Beschützer schob die Hände in die Hosentaschen und begann jetzt seinerseits auf der Brücke auf und abzuwandern. „Zunächst einmal brauchen wir eine Spur, Zo'or. Derzeit haben wir nichts, was uns weiterbringen können. Wir haben lediglich die Implantate, die von Di'mag persönlich manipuliert wurden...”

„Weil er dazu gezwungen wurde!” unterbrach ihn der Taelon heftig.

„Das hilft uns aber nicht weiter, Zo'or, denn es führt uns nicht automatisch zu den Attentätern.” Kincaid stoppte. „Hat die Spurensicherung eigentlich etwas erbracht? Wissen wir, mit welcher Bombe das Archiv in die Luft gesprengt wurde? Das könnte uns nämlich ein Stückchen weiterbringen.”

Die Hand des Taelons fuhr über seine Armlehne und berührte verschiedene Sensoren. Ein Datenstrom erschien, und Zo'or überflog den Bericht. „Mir wurde versichert, daß es sich um normalen Sprengstoff gehandelt hat. Und auch der Zeitzünder bestand aus den üblichen Teilen.” Er war jetzt nicht mehr so ungehalten. Kincaids Auftreten war zwar in seinen Augen höchst ungebührlich, aber in seinen Gedankengängen lag eine logische Konsequenz, die er anerkannte.

Liam fuhr sich durchs Haar. „Dann ist das also auch eine Sackgasse. War denn nichts mehr von dem Archiv zu retten?” fragte er augenblicklich weiter.

Zo'or lud sofort einen anderen Bericht in den Datenstrom und schüttelte dann den Kopf. „Diese Informationsquelle ist uns verlorengegangen, Major”, sagte er mit einem deutlichen Vorwurf. „Sie hätten eher daran denken sollen, dort nach Informationen zu suchen.”

„Wir hatten keinen Zugriffscode”, verteidigte sich der junge Mann. „Während ihn Miss Tyler holte, flog ich noch einmal zum Freiwilligencamp. Als ich zurückkam, war das Archiv zerstört.”

„Wollen Sie damit andeuten, daß es durchaus möglich gewesen sein kann, daß Miss Tyler für die Explosion verantwortlich ist?” fragte Zo'or und erhob sich erneut von seinem Stuhl.

„Ich will gar nichts andeuten”, sagte Kincaid unwillig. „Aber merkwürdig ist es schon.”

Zo'or stellte sich neben ihn. „Das ist die Spur, die Sie benötigen, Major Kincaid”, sagte er und sah ihn von der Seite an. „Und dort sollten Sie beginnen.”

Liam kniff ein wenig die Augen zu. „Miss Tyler ist jetzt Da'ans Beschützerin”, bemerkte er.

„Sie mißbilligen diese Anordnung?”

„Nun, sagen wir es mal so: es wundert mich schon.”

Zo'or taxierte ihn mit einem sondierenden Blick. „Ich habe Da'an zugestimmt, weil es sein Wunsch war. Aber das bedeutet noch lange nicht, daß Miss Tyler dadurch irgendeine Immunität besitzt. Ich erwarte, daß Sie dem Fall größte Aufmerksamkeit widmen. Deshalb werden Sie jeder Spur nachgehen. Jeder! - Und, Major Kincaid... Sie werden Da'an nicht über unser Gespräch unterrichten!”

„Ich verstehe”, sagte Liam langsam. Er fühlte sich nicht ganz wohl dabei. Irgendwie hatte er das Gefühl, als würde er sich mit Zo'or gegen Da'an verschwören. Aber er besaß jetzt die Verantwortung für den Fall. Daß ihn Zo'or damit beauftragte, konnte nur bedeuten, daß Sandoval noch eine ganze Weile mit T'than beschäftigt sein würde. Es geht um die Sicherheit Da'ans, sagte er sich, als er die Brücke verließ. Aber er wußte, daß dies nur ein schwacher Trost war, sollte sein Companion die Wahrheit herausfinden.

 
* * *
 

Als Liam Augurs Quartier aufsuchte, war er beinahe froh, ihn zu sehen. Ihm wurde plötzlich bewußt, daß es nicht viele Menschen gab, denen er vertraute. Augur kannte ihn praktisch von der Geburtsstunde an. Wenn man sich innerhalb weniger Stunden von einem Säugling zu einem erwachsenen Mann entwickelte, dann war das wahrhaftig keine leichte Sache. Aber Augur hatte die Lage souverän gemeistert, nachdem ihm Doors die Fürsorge „übergeben” hatte. Er hatte sich direkt Mühe gegeben, Liam über das Leben aufzuklären. Nur beim Thema Sex wollten ihm irgendwie nicht die richtigen Worte über die Lippen kommen. Liam verließ den Fahrstuhl und blieb stehen. Augur stand vor einen seiner vielen Computer und war völlig vertieft in seine Arbeit. Der junge Companion-Beschützer schmunzelte. Seine ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht hatte er bereits gemacht, und er wußte jetzt auch, daß sich Männer nicht gern auf diese Weise über Sex unterhielten.

„Tja, Augur, dann schieß mal los!”

„Oh... Liam. - Ich hatte dich gar nicht bemerkt. Hallo.” Der Hacker unterbrach seine Arbeit und ging zu einem kleinen Tisch hinüber, um sich ein Glas frischgepreßten Orangensaft einzuschenken. „Willst du auch was? Ist sehr gesund.”

Liam verdrehte grinsend die Augen. „Augur, du hast mir schon einige Vorträge über Obst und Gemüse gehalten.”

Der Hacker nahm einen kräftigen Schluck, behielt den Saft in der Mundhöhle und prüfte anscheinend Temperatur und Jahrgang der Orangen, bis er ihn endlich herunterschluckte und genießerisch von sich gab: „Exzellent.”

„Was hast du für mich?” Liam musterte ihn neugierig.

Augur strich über sein quietschgelbes T-Shirt und atmete tief durch. Dann preßte er die Handflächen zusammen. „Also... ich habe über diese Jemen Tyler nachgedacht. Du hast ja angedeutet, daß die Daten über sie möglicherweise gefälscht sind. Weißt du, es ist nicht besonders schwer, sich eine neue Identität anzueignen - vorausgesetzt man weiß natürlich wie. Schwieriger wird es da schon, die ursprüngliche Person zu finden. Aber irgendwo findet man immer einen Hinweis, wenn man nur lange genug sucht.”

„Und du hast was gefunden?” fragte Liam überrascht.

Augur verdrehte die Augen. Er mochte es nicht, wenn man ihn unterbrach. Dadurch ging die ganze Spannung verloren. Er konzentrierte sich wieder und fuhr fort: „Ich habe also angefangen, richtig zu suchen, nicht in den offiziellen Bereichen. Du verstehst, was ich meine?”

Diesmal nickte Liam nur.

„Okay. Ich habe mir insbesondere verschiedene Widerstandszellen angesehen. Du erinnerst dich doch noch an Dark Night?”

„Wie könnte ich das vergessen! Ich bin dort dem echten Liam Kincaid begegnet.”

„Nun - ich konnte mir Zugang zu ihrem Computersystem verschaffen. Dieser Bettis und ich haben damals doch versucht, aus dem unvollständigen Datenmaterial der Jaridiansonde schlauzuwerden.”

„Du hast aufgegeben”, konnte sich Liam nicht verkneifen. Damit wollte er Augur ein wenig hochnehmen, der es jedesmal als persönliche Beleidigung ansah, wenn man seine Fähigkeiten anzweifelte. Aber der Hacker ging auf seinen Spaß nicht ein. Sein Gesicht wurde mit einen Male sehr ernst. „Ich war damals ziemlich von der Rolle”, sagte er. „Lilis Tod. Die Gläubiger im Nacken. Mir stand weiß Gott nicht der Sinn nach einer Entschlüsselung von Jaridian-Daten. - Nun, Bettis und ich hatten vorher einige Daten ausgetauscht”, fuhr er etwas lebhafter fort.. „Das war so eine Art Deal, nicht ganz sauber, aber jeder erhoffte sich dadurch natürlich einen Vorteil. Was Bettis vermutlich aber nicht ahnte...nun, ich klinkte mich bei ihm ein und kopierte seine gesamten Daten. So bekam ich den Zugriffscode für Dark Night.”

„Für einen Spezialisten wie dich war das bestimmt eine Kleinigkeit. - Augur, ich will dich ja nicht drängen. Aber du solltest langsam auf den Punkt kommen. Ich habe nicht soviel Zeit.”

Für einen Augenblick schaute Augur jetzt ziemlich sauer drein. Er schien ernsthaft zu überlegen, ob er den Rest der Geschichte nicht einfach für sich behalten sollte. Aber dann wischte er diesen Gedanken beiseite. Er war viel zu gespannt auf Liams Reaktion. „Ich habe mich also bei Dark Night praktisch ein wenig umgesehen. Und jetzt halte dich fest, Liam! Jemen Tyler steht auf der Mitgliederliste von Dark Night - als Tyler Brix.”

„Tyler gehört zu Dark Night?” wiederholte Liam ungläubig.

„Um genau zu sein: nur für eine kurze Zeit. Mich wundert, daß sie überhaupt dabei war. Dark Night ist doch eine militärische Organisation. - Naja, vielleicht brauchten sie auch ein paar Zivilisten... Der echte Kincaid hat dir damals erzählt, daß Dark Night eine Art Rettet-die-Menschheit-Plan entwickelt hatten. Sie lebten im Untergrund und bereiteten sich auf den Tag X vor. Das war aber einigen von ihnen offensichtlich nicht genug. Es bildete sich eine separate Gruppe, die sich später von der Gesamtheit absplitterte. Diese Gruppe läuft unter verschiedene Namen, hauptsächlich aber unter Dark Blue.”

Liam ließ sich auf das Sofa fallen. „Dark Blue?” Sein Blick war skeptisch auf Augur gerichtet. „Und Tyler ist zu dieser Gruppe übergewechselt?”

„Genau. Sie blieb laut Eintragung aber nur ein Jahr. Dann wechselte sie ihre Identität und wurde Jemen Tyler.”

Liam sprang auf und ging nachdenklich auf und ab. „Erzähle mir mehr von dieser Dark Blue-Gruppe!”

Augur ging zurück zu seinen Computern, verglich Daten und tippte Zahlen ein, während er seinem Freund einen möglichst umfassenden Bericht abgab. „Es ist eine sehr verdeckt operierende Gruppe. Die Informationen, die mir zur Verfügung standen, waren natürlich veraltet. Zu diesem Zeitpunkt waren sie auch noch nicht so organisiert. Aber dann bin ich ihren Spuren mal ein bißchen gefolgt. Fest steht, sie sind mittlerweile zu einer beachtlichen Größe herangewachsen. Und sie sind absolut radikal, wenn es um die Umsetzung ihrer Ziele geht.”

„Was sind das für Ziele?” fragte Liam.

„Die Taelons mit allen Mitteln aus unserem Sonnensystem zu vertreiben.” Augur blickte ihn ernst an. „Sie kennen keine Skrupel, nicht einmal denen gegenüber, für die sie eigentlich kämpfen - nämlich die Menschen.”

„Gibt es denn Ereignisse, die den Dark Blue zugeschrieben werden können?” fragte Liam weiter.

„Oh ja, eine Menge. Sie agieren vor allem in Europa und in Asien.”

„Das müßte doch dann bekannt sein. Zo'or und Sandoval müßten darüber Bescheid wissen. Aber der Name Dark Blue ist noch nie irgendwo gefallen.”

„Ich sagte doch, sie treten unter verschiedenen Namen auf. Es ist gut möglich, daß weder Sandoval noch Zo'or weiß, daß sie es immer mit derselben Gruppe zu tun haben. Wie viele Aktionen werden dem amerikanischen oder europäischen Widerstand zugeschrieben, obwohl sie nicht von ihnen ausgingen? Sehr oft wurde es Zo'or angelastet. Nun, wir wissen ja, daß ihm einiges daran liegt, den Widerstand zu verunglimpfen. Aber wer kann jetzt schon sagen, wann und wie oft er seine Finger tatsächlich im Spiel hatte oder ob nicht doch Dark Blue dahintersteckt.”

Liam rieb sich besorgt das Kinn. Dann fiel ihm etwas ein. „Du wolltest doch unsere Widerstandszellen überprüfen, ob sie etwas mit dem Tod Di'mags zutun haben. Hast du etwas herausgefunden?”

Der Hacker lehnte sich gegen eine Computerkonsole. „Ich habe mich umgehört. Aber keiner konnte mir was sagen. Schließlich habe ich Julia darauf angesetzt. Sie ist ziemlich pfiffig und in der letzten Zeit viel herumgekommen. Sie sagte sofort, daß es völlig ausgeschlossen sei, daß unsere Leute etwas damit zutun haben könnten. Aber auch sie wollte sich umhören.”

Liam nahm seine unruhige Wanderung wieder auf, während er in tiefe Nachdenklichkeit verfiel. Augur nutzte die Gelegenheit und setzte seine Computerarbeit fort. Auf einer großen Monitorscheibe ließ er ein Bild der Erde erscheinen. Auf verschiedenen Kontinenten leuchteten kleine rote Kreise auf. Er betrachtete sie interessiert und tippte anschließend wie wild auf seiner Tastatur herum. Das störte den Companion-Beschützer beim Nachdenken. „Augur! Mußt du so einen Krach machen? Ich kann mich nicht konzentrieren.”

„Bin gleich fertig, Liam. Das hier wird dich interessieren.” Aber Kincaid war mit seinen Gedanken schon wieder woanders. „Ich habe eine Theorie, Augur. Hör mir mal einen Augenblick lang zu.” Er preßte die Handflächen gegeneinander und imitierte damit unbewußt seinen Freund. „Tyler gehörte zu Dark Night und anschließend zu Dark Blue. Dann ist sie aus irgendeinem Grund ausgestiegen. Sie nahm eine neue Identität an und arbeitete für den Taelon-Wissenschaftler. Zo'or hat von ihrer Vergangenheit Wind bekommen und zwang sie, seinen Mordkomplott gegen Di'mag auszuführen.”

Augur verschränkte die Arme. „Ich habe zunächst auch gedacht, daß Zo'or dahintersteckt! Aber wer sagt uns, daß Tyler nicht mehr zu Dark Blue gehört?” Er blickte ihn bedeutungsvoll an. „Vielleicht hat sie ihr Ausscheiden nur vorgetäuscht.”

„Du meinst, sie hat sich Di'mags Vertrauen erschlichen, mit dem einzigen Ziel, ihn zu töten?” Liam fühlte, wie sich etwas in seiner Magengrube verkrampfte. „Weißt du, was das bedeutet, Augur? Da'an ist in Lebensgefahr!”

Der Hacker sah ihn verständnislos an.

„Da'an... Er hat Tyler... zu seiner Beschützerin gemacht.” Liam konnte es kaum aussprechen. Die Wut schürte ihm die Kehle zu. „Ich habe ihn gewarnt, aber er wollte nichts davon hören. Er scheint ja geradezu vernarrt in sie zu sein.”

„Dann ist es wirklich ernst”, murmelte Augur. Liam stürmte an ihm vorbei. „Ich muß sofort zu ihm.”

„Halt, warte!” Augur packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. „Bevor du verschwindest, muß ich dir noch etwas zeigen. - Zu einem, das hier!” Er deutete auf die Weltkarte. „Das Hochplateau von Nazca. Cuzco. Und hier Irland oder besser gesagt... Strandhill. Die Pyramiden von Gizeh. Die chinesischen Pyramiden. - An all diesen Orten ist Tyler eine Weile gewesen, kurz bevor sie sich Dark Night anschloß.”

Liam zwinkerte überrascht. Sein Finger deutete auf Peru „Ma'els Schiff.” und wanderte dann nach Irland weiter. „Sein Grab. - Was hat das zu bedeuten, Augur?”

„Tja, das kann ich dir leider auch nicht verraten. Aber nach einem Zufall sieht mir das nicht aus. Ich habe zwar keine Ahnung, was die Pyramiden in diesem Puzzle zu suchen haben. Aber es muß eine Verbindung geben. Und diese Verbindung heißt Ma'el.”

Liam überlegte. „Von Ma'els Grab könnte Tyler theoretisch wissen. Zu diesem Zeitpunkt war es schon entdeckt. Aber woher wußte sie von seinem Schiff?” Er hielt inne, als er sich daran erinnerte, daß Doors Ma'els Schiff bereits ein Jahr vor Ankunft der Taelons entdeckt hatte. Leise stöhnte er auf. „Das wird immer verworrener, Augur.” Er sah seinen Freund an, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen und die Erklärung zu finden. Der Hacker klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter. „Das geht es dir wie mir. - Und leider war das noch nicht alles, was ich herausgefunden habe, Liam.” Sein Gesichtsausdruck wurde jetzt sehr ernst. „Da hat jemand vor ein paar Monaten Zugriff auf Bettis Daten genommen und sämtliche Informationen über den Bau des Transmitters kopiert. Und die Spur führt zu direkt Dark Blue.”

Liam brauchte eine Weile, um zu begreifen, was er damit ausdrücken wollte. „Du meinst, sie wollen Verbindung zu den Jaridians aufnehmen?” fragte er schließlich entsetzt.

„Ja, Liam. - Und wer weiß, vielleicht haben sie es schon getan.”

„Aber das ist ja verrückt!” Liam hatte das Gefühl, in einen Alptraum zu geraten. „Wenn ich Da'an warne und er Tyler in Gewahrsam nehmen läßt, dann sind die bei Dark Blue doch sofort gewarnt.”

„Ja”, erwiderte Augur. „Und deshalb solltest du dir genau überlegen, was du jetzt unternehmen willst.” Er wandte sich wieder seinen Computern zu. „Ich lasse derzeit verschiedene Programme alle gesammelten Informationen durchgehen, um Verbindungen zu finden. Vielleicht gelingt es mir, die Zentrale von Dark Blue aufzuspüren.” Er warf seinem wie erstarrt wirkenden Freund einen Blick über die Schulter zu. „Dann besteht zumindest eine reelle Chance, sie aufzuhalten.”

 

Ende von Kapitel 3

 

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