Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Juni 2005
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Liam ist auf der Jagd nach Informationen über die Kimera.
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Liam, Da'an, Jemen, Zo'or
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 23

 

Gleichermaßen überrascht wie fasziniert, starrte Liam die gleißende Gestalt an, die keine Armlänge von ihm entfernt vor ihm stand. Sie war von humanoider Form und auch die Gesichtszüge wirkten sehr menschlich. Auf eine gewisse Weise war sie sehr vertraut, obwohl er dafür keine Erklärung hatte. Ein Kimera, dachte er, es könnte ein Kimera sein. Aber wie war das möglich? Mit Ha'gel war der letzte seiner Art gegangen.

Als er sah, dass Da'an das Interface verlassen hatte, signalisierte er ihm automatisch stehen zu bleiben. Die seltsame Energiegestalt - nein, es waren mehrere ... fünf, sechs ... annähernd zehn Lichtwesen hielten sich nun in dem Labor auf... mochten friedlich sein, mussten aber zunächst als Gefahrenpotential für den Taelon eingestuft werden. Eine Standardvorgehensweise, die das Sicherheitsprotokoll vorgab.

„Was haben Sie gemacht, Liam?” fragte Da'an und eilte zu der Konsole, an der sein junger Beschützer zuvor den Energiefluss kontrolliert hatte. Die Gestalten schien er entweder nicht wahrzunehmen oder aber er ignorierte sie schlichtweg, ebenso den überraschten Gesichtsausdruck seines Beschützers.

Liam kniff kurz die Augen zusammen. Bildete er sich am Ende alles nur ein und die Gestalten waren gar nicht real, sondern nur das Produkt seines Unterbewusstseins? So wie damals, als er während seiner Suche nach Augur und Maja in dem „psychokinetischem Gefängnis der Taelons”, wie er den Bewusstseinskorridor seinerzeit bezeichnet hatte, seinem Vater Ha'gel begegnet war?
Als er wieder hinsah, waren die schimmernden Lichtwesen noch immer präsent, aber ... ihr Erscheinungsbild erzitterte für den Bruchteil einer Sekunde und ein sehr charakteristisches Merkmal wurde sichtbar: die Gestalten waren Hologramme. „Ich habe nichts gemacht, Da'an”, sagte er, als ihn der Companion erneut ansprach und ihn dabei mit einem durchdringenden Blick bedachte. „Zumindest nichts, was mir bewusst wäre. Ich habe Ihren Anweisungen gemäß lediglich das Programm überwacht.”

Graphische Zeichnungen erschienen auf dem Monitor und wechselten in rascher Folge mit diversen Untermenüs, bis der Taelon fand, wonach er gesucht hatte. Mit einem kurzen knisternden Laut, so als hätte es irgendwo eine elektrische Entladung gegeben, verschwanden die Hologramme. „Sie haben tatsächlich nichts damit zutun ... wenigstens nicht direkt”, sagte er, und er wirkte deutlich entspannter. „Eine Fehlfunktion der Datenbank.”

Liam starrte noch immer in den Raum. „Das waren Kimera”, sagte er und atmete tief durch. „Ma'el hat auch über sie Daten gesammelt...”

„Ma'el”, fiel ihm der Taelon ins Wort, „hat sich hauptsächlich mit der menschlichen Spezies beschäftigt.”

„Sie wollen mir doch nicht etwa weismachen, dass das gerade Menschen darstellen sollten?”

Da'an begegnete seinem Spott mit unerschütterlicher Ruhe. „Ich will Ihnen gar nichts weismachen, Liam. Wie ich schon sagte, das Programm hatte eine Fehlfunktion. Daten wurden verstümmelt. Es kam vermutlich zu einer Überlagerung. Das erzeugt manchmal überraschende Bilder.”

Doch sein Beschützer blieb skeptisch. „Nach einem technischen Fehler sah mir das aber nicht aus. Da hätte es irgendwelche Verzerrungen geben müssen.”

„Normalerweise würde ich Ihnen Recht geben, aber unter den gegebenen Umständen...” Der Taelon beugte sich erneut über die Konsole. „Die Datenbank ist, wie der größte Teil dieser Station, auf der Basis der Biomasse hergestellt. Sie bildet den Energieträger, der auf der Grundlage eines biokinetischen Organismus funktioniert.
Biomasse ist vielseitig einsetzbar, man sie kann sie sowohl zur Speicherung großer Datenmengen verwenden, als sie auch zur Steuerung komplexer Vorgänge verwenden. Die Daten werden mit sehr speziellen Energiesignaturen erfasst und gespeichert. Schon minimale Veränderungen können einzelne Datenblöcke erheblich schädigen. Allerdings besitzt das System einen Schutzmechanismus. Bei einer Beschädigung werden alle unversehrten Daten automatisch auf eine neue Sequenz gesetzt. Wie Sie wissen, hatten wir es bereits mit erheblichen Störungen zutun. Komplexe Systeme, wie sie in dieser Station verwendet werden, sind nicht darauf ausgelegt, längerfristig ohne jeglichen Eingriff zwecks Korrektur und Überprüfung zu funktionieren. Aus welchen Gründen Ma'el diese Station letztendlich auch erbauen ließ, er war sehr weitsichtig was seine Forschungsergebnisse anging. Er hat den größten Teil davon auf den Datalogs gespeichert. Datalogs sind weit weniger anfällig. Veränderte Energiesignaturen entfallen, da sie nicht an dem internen Energiekreislauf angeschlossen sind...”

„Und sie sind handlicher”, warf Liam ein. „Ich wüsste zumindest nicht, wie ich eine Taelon-Datenbank unter den Arm klemmen und damit durch das Portal gehen sollte.” Er grinste schief.

Da'an verstand den Witz nicht, aber er machte sich auch keine Mühe, nach der tieferen Bedeutung von Liams Worten zu forschen. Für ihn war erst einmal wichtig, die Aufmerksamkeit seines Beschützers in eine andere Richtung zu lenken.

„Wie sieht es überhaupt aus mit dem Portal?” fragte dieser und kam somit unbewusst dem Wunsch Da'ans nach. „Sind die Werte gestiegen?”

„Nicht in dem Maße, wie ich eigentlich gedacht hatte”, antwortete der Taelon nachdenklich, während er die erforderlichen Informationen abrief. „Allerdings kann das auch mit der Umstellung zusammenhängen.” Da auch eine weitere Selbstdiagnose keinen Hinweis auf die niedrigen Werte erbrachte, suchte er erneut das Interface auf, um nach einer möglichen Fehlerquelle zu suchen. Liam studierte derweilen die Kontrolleinheit. Er war erstaunt, wie anfällig die taelonische Technik war. Auf der Erde hatte man davon eher selten gehört; meist waren es die irdischen Komponente, die nicht einwandfrei funktionierten ... vielmehr, man war immer davon ausgegangen, dass es an der irdischen Technologie lag.

Dass Portal hatte Liam nur kurzzeitig von den plötzlich aufgetauchten Hologrammen abgelenkt. Während er die unterschiedlichen Anzeigen auf dem Monitor betrachtete, musste er plötzlich wieder daran denken. Da'an hatte die Existenz der Daten über die Kimera nicht abgestritten, sondern auf die für ihn so typische Art und Weise reagiert, wenn er von etwas sehr Offensichtlichem ablenken wollte. Und die Hologramme waren etwas sehr Offensichtliches. Hätte er nur im Mindesten daran gezweifelt, dass es sich hier tatsächlich um Kimera handelte, hätte er sich gegenüber seinem Beschützer anders verhalten.

Liam schwindelte es sekundenlang, als ihm bewusst wurde, wie nah er möglicherweise der Antwort auf seine geheimsten Fragen war. Sofort begann er damit, die komplexe Datenstruktur nach Hinweisen zu durchforsten, jedoch ohne Erfolg. Entweder hatte Ma'el diese Daten „versteckt” oder es lag an der Datenbank. Es gab hier keine hierarchische Struktur wie Menschen sie benutzen - zumindest war sie für ihn nicht ersichtlich. Auch die Abfrage-Parameter waren gänzlich anders. Obwohl die gesamte Station darauf ausgerichtet schien, Menschen und Taelons gleichzeitig gerecht zu werden, kam Liam mit diesem Pool an Informationen nicht klar.

Aber wenn Da'an Recht hatte und Ma'el tatsächlich einen großen Teil seiner Forschungen auf den Datalogs gespeichert hatte - und das war aufgrund der großen Mengen an mobilen Speichereinheiten durchaus plausibel -, dann konnte es sehr wohl sein, dass er auch die Kimeradaten auf diese Weise gespeichert hatte. - „Da'an? Ich werde die Datalogs holen.”

„Einverstanden, Liam.”

Liam musste mehrmals gehen, um sämtliche Speichereinheiten aus dem ersten Raum nach oben zu schaffen. Dazu benutzte er seine Jacke. Ein anderes Transportgerät besaß er nicht. „In den anderen Räumen befinden sich ausschließlich irdische Artefakte”, sagte er, als er mit dem letzten Bündel in die Zentrale zurückkehrte. Der Taelon stand bereits wieder an der Konsole und prüfte die Portaldaten. „Das kann aber eigentlich doch nicht alles sein oder?”

„Laut Stationsplan gibt es zwei weitere Archive”, sagte Da'an, „aber uns bleibt wohl kaum die Zeit, sie zu überprüfen.” Als müsste sie seinen Worten Recht geben, erbebte die Station ein weiteres Mal, diesmal jedoch heftiger. Taelon und Mensch hatten Mühe, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Beide wechselten einen kurzen Blick, als das Schlingern nachließ. Normalerweise hätte jedes vernunftbegabte Lebewesen diese in immer kürzeren Abständen auftretenden Beben als Anlass genommen, auf der Stelle die Station zu verlassen, bevor sie in Lebensgefahr gerieten, aber Liam wollte die Kimeradaten und Da'an Ma'els Manuskript. Eine heikle Angelegenheit, denn beide waren sich auch ihrer Verantwortung bewusst. Da'an war es schließlich, der eine Entscheidung traf. „Liam, Sie müssen durch das Portal gehen.”

„Und Sie zurücklassen? Auf keinen Fall. Und wir brauchen darüber auch gar nicht zu diskutieren.”

„Sie könnten Hilfe holen. Ich weiß, als mein Beschützer erachten Sie es als Ihre Pflicht, bei mir zu bleiben, aber derzeit droht mir keine akute Gefahr. Es wäre also vernünftig ...”

„Nein”, sagte Liam sehr nachdrücklich, um die Endgültigkeit seiner Worte zu betonen, dennoch ließ der Taelon nicht locker. „Es ist Ihnen doch bewusst, welche Entdeckung Ma'els Station sowohl für mein Volk wie auch das Ihre bedeutet? Die hier gesammelten Daten sind von sehr großem wissenschaftlichem und kulturellem Wert. Ihre Vernichtung zu riskieren, nur weil Sie sich als Beschützer an ein Wort gebunden fühlen ... ist das nicht übertrieben?”

„Wenn hier überhaupt jemand durch das Portal ginge, dann doch wohl eher Sie, Da'an. Aber wie ich schon sagte: wir brauchen gar nicht darüber diskutieren. Der Energiepegel des Portals befindet sich noch immer unterhalb der Toleranzgrenze. Die Gefahr ist einfach zu groß, überhaupt jemanden da durchzuschicken.”

Der Taelon sah ihn stumm an. Nichts an seinem künstlich erschaffenen menschlichem Äußeren deutete daraufhin, welchen Gedanken er sich hingab. Liam hatte es während seiner ersten Lebensmonate sehr schnell aufgegeben, aus der Mimik seines Companion etwas herauszuinterpretieren. Sogar in Sandovals Gesicht konnte man mehr herauslesen und der Asiate war dafür bekannt, jede Gefühlsäußerung zu unterdrücken. Wo Mimik und Gestik keine ausreichenden Informationen lieferten, musste man sich andere Wege suchen. Und deshalb achtete Liam auf viele andere Zeichen und vertraute seinem Gefühl. Und dieses Gefühl sagte ihm nun, dass Da'an ihn nicht ohne Grund gedrängt hatte, die Station zu verlassen. „Die Trennung der Energiekreisläufe sollte eigentlich den ursprünglichen Zustand wieder herstellen. Dennoch erreicht das Portal nicht seine volle Kapazität. Ist es beschädigt oder besitzen wir einfach nicht genügend Reserveenergie?”

„Weder noch”, sagte der Companion. „Ich befürchte, es liegt an mir.”

„An Ihnen? Wieso?” Liam blickte ihn prüfend an. Dann erinnerte er sich. „Sie meinen die Frequenzverschiebung?”

„Ich habe das System gewissermaßen ... infiziert.”

„Infiziert”, wiederholte der Beschützer und begann nachzudenken. „Okay, dann lassen Sie uns jetzt mal systematisch vorgehen: Wir verfügen zwar über genügend Energie, aber Ihr Kontakt hat die Eigenfrequenz der Station gestört. Das heißt, dass wir das Portal vergessen können...

„Sofern es mir nicht gelingt, den Urzustand wieder herzustellen.”

„Existiert überhaupt eine reelle Chance, dass Sie das auch können? Ansonsten würden wir unsere Zeit an der falschen Sache vergeuden. Wir haben ja schließlich noch das Raumschiff.”

„Dessen Antrieb uns völlig fremd ist. Nur weil wir es als Option besitzen, heißt das nicht zwangsläufig, dass es weniger gefährlich ist als das Portal.”

Aber nicht nur das Verlassen der Station stellte ein Problem dar. Da waren ja noch Ma'els Informationen. Da'an wollte sie nicht zurücklassen, denn er befürchtete, dass die Taelons keine weitere Möglichkeit erhielten, Ma'els Vermächtnis erneut aufzusuchen. Die Frequenzverschiebung war wie ein Geschwür, das sich immer mehr ausbreitete und immer mehr Systeme in Mitleidenschaft zog, bis irgendwann alles irreparabel zusammenbrach. Stationsinterne Sicherheitssysteme würden dem zwar zuvorkommen und rechtzeitig die relevanten Bereiche in einen „schlafenden” Modus herunterfahren - aber wie sollte man eine Station wieder finden, die getarnt war?

Liam war ebenfalls daran interessiert, die Datenspeicher zu retten und schlug deshalb vor, sie mit dem Portal zu transportieren; das war trotz des niedrigen Energiepegels möglich. Davon wollte der Taelon allerdings nichts wissen. „Es gibt keinen unbedenklichen Ort, wohin wir sie transportieren könnten”, sagte er. „In der Botschaft würden sie unverzüglich den anderen Taelons in die Hände fallen.”

„Wie wäre es mit Augur? Er ist verlässlich...”

„Ihr Vertrauen in diesen Mann in allen Ehren, Liam, aber die Informationen auf diesen Datalogs stellen einen unermesslichen Wert dar. Es ist eine Versuchung, der wohl kaum jemand widerstehen kann. Ma'el hat immerhin über einen längeren Zeitraum die menschliche Spezies studiert. Allein die geschichtlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben können, erfordern einen umsichtigen Umgang.”

„Dann nehmen wir die Datalogs eben im Schiff mit. Groß genug ist es ja.” Allerdings stellte sich auch das als problematisch dar. Sobald die kleinen Speichereinheiten nur in die Nähe des Schiffes gebracht wurden, kam es zu negativen Reaktionen: die Außenhülle der Datalogs begann sich zu verformen. Da'an mutmaßte, dass sich die Dichte des Leichtmetalls, aus der die Hülle des Speichers hergestellt waren, in der Nähe der tachyonischen Strahlung erhöhte.

Liam kratzte sich seufzend am Hinterkopf, während er dem Taelon zusah. „Ma'els macht es uns wirklich nicht einfach.” Er war frustriert. Zum ersten Mal hatte er die Möglichkeit, etwas über die Kimera herauszufinden. Eine Datenbank mit mehreren hundert Terabytes an Informationen ... oder waren es vielleicht schon Peta- oder Exobyte? ... und Hunderte von Datalogs und Ma'els Vermächtnis hatte nichts anderes zutun, als es ihnen so schwer wie möglich zu machen.

„Wir können die Datalogs zwar nicht mitnehmen, aber vielleicht ihren Inhalt”, sagte Da'an plötzlich. „Es muss mir nur gelingen, eine Verbindung zur Datenbank des Schiffes herzustellen.” Er überlegte kurz. „Wahrscheinlich ist eine Konvertierung erforderlich. Alles in allem wird auch das sehr viel Zeit benötigen, die wir nicht mehr haben.”

„Aber es wäre doch einen Versuch wert”, sagte Liam sofort, der plötzlich wieder einen kleinen Lichtstreifen am Horizont sah. „Sie könnten mir zeigen, wie die Daten überspielt werden, während Sie sich um die Frequenzveränderung kümmern. Wer weiß, vielleicht gelingt es uns, Ma'els komplettes Archiv zu kopieren.” Er wurde übermütig. „Stellen Sie sich mal vor, wir kommen mit den Daten und einem tachyonischen Schiff zurück. Ich erhalte die höchsten amerikanischen Auszeichnungen und Sie werden vermutlich zum Synoden-Führer aufsteigen.”

Einen Augenblick lang wusste der Taelon nicht, ob sich sein Beschützer einen fragwürdigen Scherz erlaubte oder ob sein Verhalten auf eine ernstzunehmende psychische Störung hindeutete. Eines wusste er jedoch mit Sicherheit: Liam war aufgeregt und dazu gab es einen Grund. Er würde also noch mehr Acht geben müssen.

Wenig später befanden sich der Companion und sein Beschützer wieder in der Zentrale. Da'an überprüfte die Möglichkeiten zur Überspielung der Daten. Neben den Datalogs musste auch die komplette Datenbank kopiert werden. Beide Systeme waren aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit zwar nicht direkt kompatibel, aber jene Wissenschaftler, die Ma'el bei Errichtung dieser Station unterstützt hatten, hatten eine derartige Notwendigkeit offensichtlich vorhergesehen und ein Konvertierungsprogramm zur Verfügung gestellt. „Die Übertragung wird eine Weile dauern”, erklärte Da'an. „Anschließend können Sie die Datalogs überspielen. Ich habe es so eingerichtet, dass Sie das Programm mittels dieses Zeichens aktivieren können. Stellen Sie die Speicher hierzu auf die Fläche. Bei Programmstart wird eine Markierung sichtbar. Bitte beachten Sie, dass jedes Log einzeln eingelesen werden muss.”

Liam nickte. Während er den Kopiervorgang zwischen beiden Datenbanken abwartete, kontrollierte der Taelon das Energiegitter. Ihm war das ganz recht, denn so konnte er sich auf Ma'els Daten konzentrieren. Er hoffte nach wie vor, irgendetwas über die Kimera zu finden. Zwar hatte er keine Ahnung, wie er vorgehen sollte, da auch die Logs offensichtlich ohne jedes System abgespeichert waren, aber er war fest entschlossen, diese Chance nicht ungenutzt zu lassen.

Unverhofft wurde ihm Da'an dabei zu einer wertvollen Hilfe. Der Taelon hatte ein Unterprogramm erstellt, um sämtliche Daten nach entsprechenden Schlüsselwörtern zu durchsuchen - angeblich, um unverfälschte Energie-Backups zu finden und aktivierte dieses, bevor er erneut das Interface aufsuchte. Liam brauchte anschließend der Liste lediglich ein zusätzliches Schlüsselwort hinzuzufügen: Kimera.

 
* * *
 

Sowohl der Companion als auch sein Beschützer arbeiteten in der nächsten Stunde völlig konzentriert und stellenweise vergaßen sie die Anwesenheit des anderen. Liam hatte feststellen müssen, dass das Wort „Kimera” für seine Suche nicht gerade günstig war, da das Programm äußerst gründlich vorging und praktisch bei jedem Querverweis und jeder Indexmarke anschlug und davon gab es eine Menge. Offensichtlich hatte Ma'el nicht nur Studien über Menschen betrieben, sondern auch die Verhaltensweisen unterschiedlicher Spezies miteinander verglichen. Liam las Namen, die er noch nie zuvor gehört hatte; manche von ihnen waren gar nicht aussprechbar, andere bestanden nur aus seltsamen Zeichen, die irgendwelche Laute darstellen sollten, oder aus einzelnen Tonfolgen und schienen gesungen zu werden und wieder andere konnten nur durch eine Art Zeichensprache übermittelt werden. Eines war jedoch allen gemeinsam: sie erschienen ihm seltsam vertraut. Er horchte in sich hinein und hoffte, irgendetwas zu finden, dass diese Vertrautheit erklärte, aber so sehr er sich auch bemühte, er bekam nicht den Zugriff darauf. Dennoch war er felsenfest davon überzeugt, dass er der Wahrheit bereits sehr nahe war.

Da'an war mit seinem Problem nicht weniger intensiv beschäftigt. Im übertragenden Sinn war es auch für ihn die Suche nach seiner Herkunft. Seit zweitausend Jahren hatte sich die Eigenfrequenz der Taelons kontinuierlich verändert und stellte somit eine Bedrohung dar. Damit war sie bei weitem nicht die einzige, aber doch eine, die ernst genommen werden musste. Hinzu kamen die beunruhigenden Erfahrungen, die er gemacht hatte: seine eigene Frequenzverschiebung, die Schwierigkeit der Station, einen normalen Energiefluss herzustellen, die molekulare Veränderung der Matrix. Es war zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht abzuschätzen, welche Konsequenzen das für sein eigenes Leben und das aller Taelons bedeutete.
Doch was hatte die Veränderung innerhalb der Taelongemeinschaft ausgelöst? Und warum hatte sie nicht auch diese Station befallen? Weil sie ein geschlossenes System darstellte?

Da'an konzentrierte sich auf die Energiematrix, die vor ihm im Energiewirbel sichtbar wurde. Er hatte das Interface auch deshalb aufgesucht, um ungestört nachdenken zu können.
Liams Aufmerksamkeit, der kaum etwas entging, war ihm unangenehm geworden. Er wittert hinter allem ein Geheimnis, das ich ihm vorenthalten will. Als bestünden wir Taelons nur aus Lug und Betrug und Verschwörungen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ausgerechnet ihn zu seinem neuen Beschützer ernannt zu haben. Zumindest wäre ihm einiges erspart geblieben, hätte er ihn wenigstens implantieren lassen. Dass sich die Zusammenarbeit mit einem Menschen durchaus auch als etwas Angenehmes darstellen konnte, bewiesen vor allem die Berichte der Taelons, die auf der Erde den unterschiedlichsten Tätigkeiten nachkamen, hauptsächlich im kulturellen Bereich.
Dabei war es mit Liam eigentlich sehr viel versprechend angefangen. Ich kann es ihm nicht einmal verdenken, dass sich seine Meinung so grundlegend geändert hat und er die Taelons viel kritischer betrachtet. Mit vielen Entscheidungen der Synode bin ich ebenfalls nicht einverstanden gewesen. - Ich wünschte nur, er wäre es umgänglicher ... ich wünschte, er wäre wie Jemen Tyler. Überrascht horchte Da'an in sich hinein und vergaß für einen Moment völlig seine Arbeit. Er war nicht zur Erde gekommen, um Freundschaften zu schließen. Ein Beschützer war nicht dazu da, freundlich zu sein. Warum also kam er auf die absurde Idee, Kincaid mit Tyler zu vergleichen? - Ein weiteres Mal horchte der Companion in sich hinein, um den Auslöser für diese seltsame Anwandlung zu finden und war überrascht über das Ergebnis. Es war nicht Liam Kincaid, den er sich anders wünschte. Er, der Diplomat, der kaum wie ein anderer Wahrheit und Lüge geschickt verpacken konnte, war dieser besonderen Diplomatie überdrüssig geworden. Seinem Beschützer konnte er schon lange nichts mehr vormachen. Wie viel einfacher wäre es, ihm gegenüber aufrichtig zu sein... Ich bräuchte seinen Fragen nicht mehr länger ausweichen und vor allem bräuchte ich mich nicht länger hinter irgendwelchen Ausflüchten verstecken..
Überrascht und irritiert brach Da'an den Gedankengang ab. Was bewog ihn, derartige Überlegungen anzustellen? Sie waren destruktiv und gefährlich. Offensichtlich hatte er mehr Schaden angenommen, als auf den ersten Blick sichtbar war. Da'an nahm sich ernsthaft vor, unverzüglich einen Heiler aufzusuchen, sobald er sich wieder auf dem Mutterschiff befand. Um den Schaden zu begrenzen, verdrängte er jegliches Gedankengut daran in den hintersten Winkel seines Selbst. Dann konzentrierte er sich wieder auf seine Arbeit.
Einem Problem konnte man nur dann auf die Schliche kommen, wenn man es von allen Seiten gründlich betrachtete. Der Taelon tauchte tiefer in die bläulichen Schlieren, die ihn umgaben und setzte zunächst dort an, wo ihm zum ersten Mal aufgefallen war, dass etwas nicht stimmte. Ich wünschte, mir stünden unsere Ingenieure zur Verfügung. Sie könnten weit effizienter vorgehen und wahrscheinlich hätten sie auch schon eine Theorie.
Eines verwunderte ihn und brachte ihn immer wieder ins Grübeln. Die Energiefrequenz auf Ma'els Station war gleich geblieben, während sich die der Taelons innerhalb der letzten zweitausend Jahre verändert hatte. Die Station war ohne jeglichen Einfluss und ohne Entwicklung. Bedeutete somit Stagnation Sicherheit und Schutz?
Er verglich erneut die Trägerwelle seiner Energiesignatur mit der der Station. Möglicherweise gab es hier bereits eine sichtbare Veränderung der Frequenz. Vielleicht sollte er es mit einer Modulation versuchen.

Schließlich brach der Taelon seine Arbeit ab und verließ das Interface. Das konzentrierte Schauen bis auf die subatomare Ebene hatte ihn erschöpft. Er musste sich regenerieren. Nur leider stand ihm hier keine Energiedusche zur Verfügung. Es gab zwar entsprechende Vorrichtungen, doch was nutzte ihm Energie, die sein Körper nicht aufnehmen konnte. „Wie kommen Sie voran, Liam?” erkundigte er sich bei seinem Beschützer.

„Dies ist das letzte Datalog”, antwortete der junge Mann und hielt den kleinen Speicher hoch. „Das erste Archiv ist somit vollkommen gespeichert.”

Der Taelon prüfte den Datenfluss zum Schiff und nickte befriedigt. „Der Transfer läuft störungsfrei. Ich werde Ihnen ein weiteres Archiv öffnen und Sie können dort weitermachen.”

„Was meinen Sie ... wie viel Zeit bleibt uns wohl noch?”

„Es ist sehr schwer abzuschätzen, wie lange der interne Energiekreislauf stabil bleibt. Meinen ersten Berechnungen zufolge hätte der Zusammenbruch schon längst erfolgen müssen. Wir können daraus schließen, dass sich der Prozess insgesamt etwas verlangsamt hat. Vielleicht haben wir eine Stunde, vielleicht sogar zwei. Lassen Sie uns aber besser nicht darauf vertrauen.”

„Dann sollten wir uns noch ein bisschen mehr beeilen”, schlug Liam vor und folgte dem Taelon auf die untere Ebene. „Was ist übrigens mit dem Schiff?” fragte er. „Müssen Sie es nicht irgendwie ... überprüfen?”

„Ich werde es mir später ansehen”, erwiderte Da'an. „Vorerst sollte uns genügen, dass es betriebsbereit ist.”

„Wir müssen unter Umständen sehr schnell von hier verschwinden, Da'an. Ich hoffe, Sie fragen dann nicht nach der Betriebsanleitung.”

Der Companion lächelte amüsiert. „Diese Frage erübrigt sich bei Taelon-Technologie”, sagte er dann ernsthaft. „In dieser Hinsicht kann ich Sie also vollkommen beruhigen.”


Es zog Da'an zum Interface. Schönheit und Ästhetik, die er in den filigranen Strukturen der Energiematrix fand, konnte wohl nur von einem Energiewesen als solches empfunden werden. Er wusste, dass er das ursächliche Problem nicht beheben konnte - dazu bedurfte es erfahrener Heiler -, aber wenn er nur etwas mehr davon verstand und in seinen eigenen Gedächtnispuffern abspeicherte, dann konnten die Wissenschaftler davon Gebrauch machen, selbst wenn die Station nicht mehr erreichbar war. Da'an war entschlossen, dem Gemeinwesen dienlich zu sein, wobei „entschlossen” eigentlich nicht der richtige Begriff dafür war; es lag in der Natur der Taelons, dem Gemeinwesen zu dienen.
Darüber hinaus verspürte er ein persönliches Interesse, und das erstaunte ihn. In dem Wohlergehen des Gemeinwesens lag die Befriedigung, nicht in der Verfolgung persönlicher Interessen. Das erinnerte ihn an eine beiläufige Bemerkung seines Beschützers, der ihm gegenüber erwähnt hatte, dass Augur, wann immer er sich mit einem besonders kniffligen Problem herumschlug, nicht eher ruhte, bis er die Lösung dazu gefunden hatte und dabei eine wahre Besessenheit an den Tag legte. War er, Da'an, ebenfalls besessen von dem, was er in dem Interface sah?

Dass die Station erneut erbebte, nahm er nur am Rande wahr. „Da'an?!” Jemand rief ihn. Nur widerwillig entzog sich der Taelon der Faszination von Trägerwelle und Frequenzmodulation. Er hatte jegliches Zeitempfinden verloren. „Wie lange war ich im Interface?” fragte er verwundert, als er sah, dass Liam hinter sich einen weiteren riesigen Berg Datalogs aufgehäuft hatte.

„Eine halbe Stunde bestimmt”, antwortete Liam. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?”

„Mir geht es gut. Ich war sehr vertieft. Darüber muss ich wohl die Zeit vergessen haben.”

„Sie haben die Zeit vergessen?” echote Liam und verließ jetzt doch die Konsole. „Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich.”

Da'an bemerkte die besorgte Falte in Liams Stirn und auch den musternden Blick. Etwas an seinem Aussehen musste diese Reaktion hervorgerufen haben. Er horchte in sich hinein und stellte zu seiner Überraschung fest, dass sich sein Energiefluss verändert hatte. Er war pulsförmig geworden und damit atypisch. Liam hat es gesehen. Ich habe meine menschliche Fassade zu spät wieder hergestellt. Der Taelon konzentrierte sich auf sich Innerstes und bemühte sich um einen gleichmäßigen Fluss. Offensichtlich hatte der Kontakt innerhalb des Interfaces dazu geführt, dass ein fehlinterpretiertes Signal der Trägerschwingung seiner Frequenz aufgeprägt wurde. Normalerweise verhinderte ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem im Interface selbst solche „Eingriffe”. Aber das war entweder nicht ausreichend gewesen oder durch seine eigene veränderte Frequenz gestört oder überlagert worden. Noch wahrscheinlicher war es sogar, dass seine eigene Trägerschwingung ein Echo produziert hatte.
„Ich glaube, ich weiß jetzt zumindest, wie ich das System infiziert habe”, sagte er und begann bereits damit, Überlegungen anzustellen, inwieweit ihm diese Erkenntnis von Nutzen sein konnte.

„Und ich glaube, dass Sie eine Pause brauchen”, sagte Liam ernsthaft. „Was nützen unsere ganzen Anstrengungen, Ma'els Vermächtnis zu retten, wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, das Raumschiff zu fliegen. Außerdem weiß ich nicht, ob es eine so gute Idee ist, dass Sie soviel Zeit in dem Ding da zubringen.” Er deutete auf das Interface. Die energetischen Krakenarme bewegten sich sacht wie in einer leichten Meeresströmung, während irgendetwas einen schillernden blauen Farbschauer hervorrief, der ständig über sie hinwegfloss, beinahe so wie bei einem Kalmar, der sich dem Untergrund anzupassen suchte.

„Ich versuche lediglich, das Energieniveau zu stabilisieren.”

„Aber wir wissen nicht, inwieweit es Ihren eigenen Energiekreislauf schadet.”

Da'an sah ihn an. Die Argumente seines Beschützers klangen vernünftig. Vielleicht sollte er sich tatsächlich eine Weile von dem Interface fernhalten. „Ich werde mir das Schiff ansehen”, beschloss er und verließ das Labor.

Als er nach einer Weile zurückkehrte, war Liam mit dem zweiten Archiv beinahe fertig. Die Beben kamen jetzt in regelmäßigen Abständen, aber sie waren sehr leicht, stellten nur mehr ein Zittern dar. Schüttelfrost, kam Liam in den Sinn. Sie hatten die Station infiziert und nun versuchte diese auf ihre Weise, sich zu heilen.

Da'an trat an eine der Konsolen, um die notwendigen Vorbereitungen für ihren Flug zu treffen. Seine Hände glitten durch die Luft und projizierten ein holographisches Spiegelbild des Monitors.

„Ein künstlicher Horizont?” fragte Liam überrascht. „Navigationskontrollen? Das Schiff scheint wohl für Menschen gedacht zu sein...”

„Nicht nur”, erwiderte Da'an. „Es gibt verschiedene Optionen. - Ich halte es für ratsam, wenn ich einen direkten Kontakt vermeide”, fügte er erklärend hinzu. „Ich habe bereits ein System infiziert. Noch ein weiteres wäre ausgesprochen dumm.” Die schematische Darstellung wechselte in einen anderen Modus und der Taelon überprüfte irgendwelche Werte, die Liam von seinem Platz aus nicht erkennen konnte.

„Wie konnte Ma'el wissen, wie sich die menschliche Zivilisation entwickeln würde und eine Steuerung entwerfen, die den Bedürfnissen menschlicher Piloten angepasst ist und das zu einem Zeitpunkt, lange bevor das erste Flugzeug entwickelt wurde?” fragte Liam weiter.

„Das ist eine berechtigte Frage. Eigentlich lässt sie nur eine Antwort zu: dass nämlich das Schiff sehr viel später gebaut wurde. In einem solchen Fall müssen sich innerhalb der letzten zweitausend Jahre Taelons auf dieser Station aufgehalten haben. Taelons, die aber seltsamerweise nicht den Energiekreislauf infiziert haben.”

„Und wenn es nun gar keine Taelons waren?”

„So überlegen Sie doch, Liam, wie sollten Fremde auf eine getarnte Station kommen?”

„Aber wer sagt, dass es Fremde waren? Vielleicht wird es Zeit, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass Ma'el nicht nur die Menschen als schützenswerte Lebewesen erachtete, sondern jegliches Leben im Universum.”

„Als Wissenschaftler hat Ma'el lediglich wissenschaftliche Fakten analysiert und auf der Basis dieser Daten Empfehlungen ausgesprochen. Ob er darüber hinaus ein persönliches Interesse hatte oder sogar - wie Sie es andeuten - einem pazifistischen Gedankengut folgte, werden wir vielleicht erfahren, wenn wir uns seine Aufzeichnungen ansehen... vorausgesetzt, wir finden diese noch - Ma'el ist weder ein Anarchist noch Kollaborateur gewesen, wenn Sie darauf hinaus sind. Er war ungewöhnlich, in der Tat. Seine Ansichten waren oft Auslöser vieler Kontroversen. Taelons wie Zo'or, die einen geradlinigen Weg bevorzugen, hielten ihn für einen Träumer oder betrachteten ihn sogar als nicht zurechnungsfähig. Aber gerade was diese Station angeht, Liam, sind unsere Überlegungen reine Spekulation. Wir können ja nicht einmal sicher sein, dass er tatsächlich für ihren Bau verantwortlich war. Deshalb sollten Sie sich etwas zurückhalten, etwas in die Angelegenheit hineinzuinterpretieren, was sich später als haltlos erweisen könnte.” Damit ließ er seinen Beschützer stehen und wandte sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe zu.

Eine Weile blieb Liam still und dachte über die Worte seines Companions nach. Ma'el war der einzige Taelon, der bei allen Menschen hoch angesehen war. Selbst ausgesprochene Taelon-Gegner wie der damalige Führer des Widerstandes, Jonathan Doors, sprachen mit Respekt von Ma'el. Tatsächlich war sogar ein regelrechter Ma'el-Kult nach der Entdeckung seines Grabes entstanden, der diesem Außerirdischen als das zusprach, was man bei seinen Artgenossen vermisste. Doch wer war Ma'el tatsächlich? Konnte man anhand einer einzigen Botschaft seine Menschenfreundlichkeit festmachen? „Sie sehen Ma'el sehr ähnlich”, bemerkte er beiläufig.

Da'an sah nur kurz zur Seite. „Unser menschliches Erscheinungsbild dient lediglich einem besseren Verständnis. Mir war seinerzeit nicht bewusst, dass mein Aussehen dem Ma'els ähnlich war. Hätte ich es nachträglich geändert, hätte das sicher für Verwirrung gesorgt...” Er unterbrach sich und sagte: „Ich muss noch einmal in den Hangar und etwas überprüfen.” Damit verließ er das Labor.

Liam sah ihm nach. Wie Ma'el nahm auch Da'an eine Sonderstellung ein. Er war ein beliebter und populärer Taelon, ein Gegner Zo'ors und ein Verbündeter des Widerstandes. Dennoch konnte niemand genau sagen, wer Da'an tatsächlich war. Nachdenklich betrachtete der Beschützer das Datalog, das er zuletzt überspielt hatte und versteckte es dann in seiner Jackentasche. Wenn er Pech hatte, würde der Speicher den Transport mit dem Tachyonenschiff nicht überstehen. Wenn doch, würde ihnen Ma'els Aufzeichnungen vielleicht neue Kenntnisse über die Taelons vermitteln.

 
* * *
 


Jemen schreckte hoch. Ihr Herz raste, als sie sich panisch umsah. Dann setzte die Erinnerung wieder ein und sie ließ sich mit einem Stöhnen zurücksinken. Muruwi. Sie befand sich nach wie vor auf diesem seltsamen Planeten. Erneut richtete sie sich auf und hielt Ausschau nach Zo'or. Der Taelon stand oben auf dem Plateau und starrte in die Ferne. Seine Gelassenheit war etwas, um das sie ihn wirklich beneidete - neben ein paar anderen Dingen... Seufzend massierte sie ihren schmerzenden Oberschenkel. In dieser felsigen Einöde war es wirklich vom Vorteil, ein Taelon zu sein.
Wie lange sie wohl geschlafen hatte? Es war noch immer Nacht. Die Sternbilder am Firmament waren ihr fremd und sie hatte auch nicht so sehr darauf geachtet, um jetzt erkennen zu können, ob sie ein Stück über den Himmel gewandert waren. Aber selbst wenn sie es getan hätte, ohne einen weiteren Anhaltspunkt waren Berechnungen gar nicht möglich.
Sie umschlang ihren Oberkörper mit den Armen und wiegte sich langsam hin und her. Sie mochte die Dunkelheit nicht. Sie machte ihr Angst. Es war eine unerklärliche, tief verwurzelte Angst in ihr, die bis weit in die Kindheit zurückreichte. In manchen mondhellen Nächten hatte ihr Bruder im Bett gesessen und zum Fenster hinausgestarrt und ihr Dinge erzählt, die sie nicht verstand und die ihr Furcht einflößte. Sie hatte sich dann immer unter der Bettdecke verkrochen und den Morgen herbeigefleht. Oder manchmal im Herbst, wenn es draußen stürmte, dann hatte sie in ihrem Bett gelegen und sich verlassen gefühlt. Das Geräusch des Windes, der um die Ecke heulte, hatte in ihren Ohren wie das Klagen eines unendlich einsamen alten Geschöpfes geklungen. Es hatte sie gleichermaßen geängstigt wie fasziniert. Was Einsamkeit bedeutete, konnte sie gut nachvollziehen, und so hatte sie sich in ihrer Phantasie ein einsames Windwesen vorgestellt, dass in den Nächten über das Land zog.
Selbst nach all den Jahren hatten diese Erinnerungen nicht an Kraft verloren.
Dabei war es hier auf Muruwi nicht einmal richtig dunkel. Aber allein die Gewissheit, dass es Nacht war, verursachte bei Jemen eine Gänsehaut.
Da an Schlaf derzeit ohnehin nicht zu denken war, kletterte sie aus dem Graben und nahm an dessen Rand Platz. Zo'or bemerkte ihre Anwesenheit, ohne darauf zu reagieren; er hatte nur einen kurzen flüchtigen Blick für sie übrig und starrte dann wieder in die Ferne.
Jemen betrachtete ihn unschlüssig und tat es ihm dann gleich. Sie hätte sich gern ein wenig unterhalten, um sich abzulenken. Gleichzeitig erschien ihr der Wunsch, sich ausgerechnet mit diesem Taelon die Zeit vertreiben zu wollen, widersinnig und grotesk. „Grotesk”, murmelte sie, „das ist es wirklich.”

„Was sagten Sie, Tyler?”

„Schon gut. Es nichts weiter”, winkte sie ab. „Ich habe nur laut gedacht.”

„Sie empfinden unsere Situation grotesk”, sagte Zo'or. „Das ist sie in der Tat. Es ist grotesk, dass Sie mit mir gemeinsam nach der Kolonie suchten, obwohl Sie mich für den Mörder Di'mags halten, und ebenso grotesk ist es, dass ich durch die Gegend laufe und mich somit der Gefahr einer Entdeckung durch die Jaridian aussetze, anstatt mich in irgendeinen Winkel zu verstecken und auf Rettung zu warten. Doch welche Beweggründe letztendlich für unser seltsames Verhalten auch verantwortlich sein mögen, es scheint eine gewisse Logik hinter dem Ganzen zu stecken. Es ergibt einen Sinn, Miss Tyler, so seltsam das auch klingen mag.”

„Für Sie vielleicht, Zo'or. Für mich klingt das eher wie ein weiterer Versuch, mich davon abzuhalten, zum Portal zurückzukehren.”

„Ich habe Ihnen freie Entscheidungsfindung zugesichert. Wenn es mir damit nicht ernst gewesen wäre, hätte ich Ihnen nicht mein Wort gegeben”, sagte der Taelon. Er richtete seinen Blick wieder nach vorn. Offensichtlich war das Gespräch damit für ihn beendet. „Die Sonne wird in etwa zwei Stunden aufgehen. Nutzen Sie die Zeit und ruhen sich noch etwas aus. Sie werden es benötigen ... gleichgültig, für welchen Weg Sie sich entscheiden”, fügte er hinzu, bevor sie etwas einwenden konnte.

 

Ende von Kapitel 23

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang