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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Die Morduntersuchung wird von Misserfolgen begleitet, und T'than bekommt einen neuen Beschützer
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Zo'or, T'than, Sandoval, Liam Kincaid, Jemen Tyler, Da'an, Augur, Renée Palmer
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 2

 

„Wie weit sind die Untersuchungen fortgeschritten?” T'than stand plötzlich neben Zo'or und ließ den Führer der Synode zusammenfahren. Spöttisch schürzte er die Lippen, als er hinzusetzte: „So gedankenverloren, Zo'or? Die Menschen nennen so etwas ein schlechtes Gewissen. Nun, du hast ja auch allen Grund dazu. Immerhin kannst du noch keine Resultate vorweisen.”

Zo'or blickte ihn kalt an. „Du irrst dich, T'than”, sagte er herablassend. „Wir verfolgen bereits mehrere Spuren. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir Di'mags Mörder zu fassen bekommen.”

Der Kriegsminister lächelte arrogant. „Findest du das nicht ein bißchen weit hergeholt? Ich war gerade bei Agent Sandoval. Sie haben noch immer keine Erklärung dafür gefunden, wie die Implantate manipuliert wurden. Du solltest dir besser ein Beispiel an Da'an nehmen.”

„Wieso?”

„Nun. Er hat Major Kincaid und Di'mags Beschützerin nach Europa geschickt, um vor Ort nach den Terroristen zu suchen. Eine Entscheidung, der ich nur beipflichten kann.”

Zo'or preßte die Lippen zusammen. „Dazu hatte er keine Berechtigung.” Hastig stellte er eine Kom-Verbindung zur Washingtoner Botschaft her. „Da'an, wie kommst du dazu, Miss Tyler nach Europa zurückzuschicken?” fragte er barsch.

Da'an blickte ihn herausfordernd an. „Nun, ich denke, daß wir vor Ort weit bessere Chancen haben, die Täter zu finden.”

„Miss Tyler steht nach wie vor unter Verdacht. Sie könnte die Gelegenheit nutzen und ihre Verbündeten warnen.”

„Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, die deinen Verdacht bestätigen würden”, entgegnete Da'an. „Miss Tyler scheint mir im übrigen sehr motiviert, Di'mags Mörder zu finden. Außerdem befindet sie sich in Begleitung von Major Kincaid. Wenn es irgendwelche Anhaltspunkte gibt, die ihre Vertrauenswürdigkeit in Frage stellen, dann wird er das merken.”

„Dann hoffe inständig, daß du dich nicht irrst, denn ich werde dich persönlich zur Verantwortung ziehen.” Zo'or unterbrach die Verbindung, bevor Da'an noch etwas entgegnen konnte, und wandte sich wieder an T'than. Er rechnete mit einer spöttischen Bemerkung, die seine Kompetenz als Führer der Synode in Frage stellte. Aber der Kriegsminister schwieg, sehr wohl wissend, daß die unausgesprochenen Worte weit größere Wirkung erzielten. Zo'or starrte ihn an. Nein, er würde ihm nicht die Genugtuung bereiten und seine Wut offen zeigen. Aber T'than war durchaus zufrieden mit dem Ergebnis. Mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen verließ er die Brücke.

Zo'or öffnete erneut einen Kom-Kanal. „Agent Sandoval! Bericht!” forderte er seinen Vasallen auf.

Sandoval bemerkte die Unduldsamkeit in den Augen seines Companions. „Bedaure, Zo'or. Es gibt noch nichts Neues”, sagte er zögernd.

„Agent Sandoval, offensichtlich haben Sie etwas mißverstanden. Ich erwarte Ergebnisse. Umgehend.”

„Natürlich, Zo'or.”

 
* * *
 

Kincaid und Tyler untersuchten als erstes Di'mags Laboratorium, fanden aber keinerlei Hinweise, die ihnen weiterhalfen. Auch der Assistent des getöteten Taelons war ihnen keine große Hilfe. Aber in dieser Hinsicht hatte sich Kincaid eh keine große Hoffnung gemacht; Ti'la war bereits von Sandoval befragt worden. Zudem wirkte der Taelon noch immer sehr verstört. Anschließend überprüften sie das Sicherheitsteam und das Camp, das die sechs Freiwilligen für Di'mags Forschungen zur Verfügung gestellt hatte. „Nichts, aber auch gar nichts”, preßte Liam verärgert zwischen den Zähnen hervor, als sie zum inzwischen verlassenen Institut zurückkehrten.

„Was haben Sie denn erwartet? Daß wir gleich etwas finden werden?” fragte ihn Tyler spöttisch. „Wenn es nur darum gegangen wäre, einen Taelon zu töten, dann hätten sich die Attentäter wohl kaum die Mühe gemacht, ihre Spuren zu verwischen. Offensichtlich steckt doch mehr dahinter.”

„Und was?” Liam stand der Companion-Beschützerin nach wie vor ablehnend gegenüber. Sie hatte sich zwar bisher sehr kooperativ verhalten, aber wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er die Untersuchung allein geführt. Er konnte nicht einmal Augur einschalten, weil er nicht wußte, wie Tyler der Widerstandsbewegung gegenüberstand.

Tyler zuckte mit den Schulter. „Was weiß ich. Ein Komplott! Eine Aktion des Widerstandes! Die Taelons haben genügend Feinde.”

„Wir müssen noch einmal von vorn beginnen”, sagte Liam entschlossen. „Vielleicht haben wir etwas übersehen.” Er sah sich seufzend um, schob halbherzig Flaschen und Ständer mit Reagenzgläser hin und her, während er sich fragte, wonach er eigentlich suchen sollte. Tyler lehnte sich mit verschränkten Armen gegen einen Untersuchungstisch und sah ihm zu. „Sie könnten sich ruhig an der Suche beteiligen.”

„Major”, Tyler stieß sich von dem Tisch ab und schlenderte durch das Laboratorium. „Es gibt hier keine offensichtlichen Beweise. Ansonsten hätten wir sie gefunden. Und solange wir nicht wissen, wonach wir suchen sollen, hat das hier doch wenig Zweck.”

„Na, Sie machen es sich ja einfach. Wahrscheinlich ist der Fall für Sie schon erledigt. Ein Taelon wurde getötet. Aber was soll's, es gibt ja genügend”, sagte er ironisch. „Ich dachte nur, Sie wären mit Di'mag befreundet gewesen. Aber es interessiert Sie in Wirklichkeit gar nicht, seinen Mörder zu finden. Sie spielen nur die betroffene Beschützerin.”

Tyler wurde bleich. Sie biß sich heftig auf die Unterlippe, aber ihr Zorn war zu groß, um ihn beherrschen zu können. Mit einer unglaublich schnellen Bewegung wirbelte sie herum und hielt ihm eine Pistole vor die Nase. Dabei starrte sie ihn aus funkelnden Augen an. Liam hatte noch nie zuvor einen derart wütenden Menschen gesehen und blieb erschrocken stehen.

„Sie werden niemals verstehen, was es bedeutet...” Tyler brach unvermittelt ab, als ihr bewußt wurde, was sie beinahe gesagt hätte. Sie nahm die Waffe herunter und steckte sie zurück in das Halfter unter ihrer Jacke. Dann trat sie einen Schritt zurück und verschränkte ruhig die Arme.

Kincaid blinzelte überrascht. Einen Augenblick lang überlegte er ernsthaft, ob sie ihn gerade tatsächlich bedroht hatte oder ob dies nur eine Art Vision gewesen war.

„Ich denke, es ist besser, wenn ich zum Mutterschiff zurückfliege”, schlug die Companion-Beschützerin vor. „Ich bin Ihnen keine große Hilfe.”

Liam räusperte sich verlegen. „Es tut mir leid”, murmelte er. „Ich wollte nicht...” Aber Tyler winkte ab. „Vergessen Sie's”, sagte sie schroff. Sie rüstete zum Aufbruch. „Ich werde Da'an bitten, daß er mir ein Shuttle schickt. Sie brauchen Ihres bestimmt noch.”

„Warten Sie, Tyler!” rief er ihr hinterher, als sie das Laboratorium schon fast verlassen hatte. Er hatte ihre Gefühle verletzt, und das tat ihm im Nachhinein leid. Im Grunde hatte er sie wie Sandoval behandelt. Aber sie besaß kein CVI. Es war ihre eigene freie Entscheidung gewesen, für Di'mag zu arbeiten. Wahrscheinlich hatte sie den Taelon sehr gemocht und litt unter seinem Tod.

Als er Tyler erreichte und in ihr abweisendes Gesicht blickte, wußte er plötzlich nicht mehr, was er sagen sollte. Sein Blick fiel auf die Überwachungskamera oberhalb der Eingangstür. Dabei kam ihm eine Idee. „Hat Sandoval eigentlich alle Videoaufzeichnungen mitgenommen?” frage er.

Jemen Tyler zögerte einen Augenblick. „Nein. Er hat nur einen ganz bestimmten Zeitindex gewählt, den betreffenden Tag und die Tage davor. Allerdings waren seine Aufnahmen unbrauchbar.”

„Ja, stimmt.” Liam dachte angestrengt nach. „Jemand wollte seine Spuren verwischen. Allerdings verstehe ich nicht, welche das sein sollen. Sie hatten ja zum Glück eine Kopie der Aufzeichnungen. Aber es hat uns im Grunde kein bißchen weitergeholfen.” Er hielt inne und warf ihr einen undefinierbaren Blick zu.

Die junge Frau gab einen verächtlichen Laut von sich. Sie schulterte ihren Rucksack und trat hinaus auf den Gang. „Es gibt hunderte von Aufzeichnungsdiscs, praktisch von jedem Tag. Viel Spaß beim Studieren.”

„Wo befinden sich diese Discs?” rief ihr Kincaid hinterher.

„Im Keller.” Sie zog ihr Global aus der Jacke. „Mein Name ist Jemen Tyler. Ich möchte gern Da'an sprechen...”

 
* * *
 

„Agent Sandoval, ich hoffe, Sie können mir jetzt die Ergebnisse präsentieren, die Sie schon vor zwei Stunden angekündigt haben!” Zo'or betrachtete ungeduldig seinen Vasallen, als dieser die Brücke betrat.

Sandovals Gesichtsausdruck blieb unverändert ruhig. „Es hat deshalb solange gedauert, weil wir uns erst ganz sicher sein wollten.”

„Womit?”

„Es muß ein Taelon gewesen sein, der die Umprogrammierung vorgenommen hat”, verkündete der Asiate und blieb im gebührenden Abstand vor dem Führer der Synode stehen.

„Ein Taelon?! Ausgeschlossen!” Zo'or erhob sich abrupt von seinem Stuhl.

„Nun... Di'mag könnte dazu gezwungen worden sein. Vielleicht war es gar nicht vorgesehen, ihn zu töten.”

Zo'or blickte ihn starr an.

„Es kommen laufend neue Freiwillige auf das Mutterschiff”, fuhr Sandoval mit seiner Überlegung fort. „Niemand hätte die manipulierten Implantate bemerkt.”

Überraschung zeigte sich in Zo'ors menschlichen Gesichtszügen und auch ein Hauch von Entsetzen. „Wir müssen sofort die Kontrollen verschärfen!” befahl er dann hastig. „Sämtliche Freiwillige müssen umgehend untersucht werden.” Beinahe mißtrauisch sah er sich nach den Freiwilligen um, die ihren Dienst auf der Brücke versahen.

„Zo'or”, wandte Sandoval ein, „das wird Tage dauern. Dadurch verlieren wir aber wertvolle Zeit. Wenn Di'mags Tod nur ein Unfall war, werden diejenigen, die dafür verantwortlich sind, einen anderen Weg suchen, um ihr Ziel zu erreichen.”

Der Taelon sah ihn mißmutig an, kam aber nicht umhin, sich einzugestehen, daß eine gewisse Logik hinter den Worten seines Vasallen steckte. Er aktivierte den Datenstrom und nahm Verbindung zur Washingtoner Botschaft auf. „Da'an, hast du etwas Neues von Major Kincaid gehört?”

„Ich habe soeben mit Miss Tyler gesprochen. Sie haben bisher nichts gefunden, daß uns weiterhelfen könnte.”

„Sie sollen Ihre Anstrengungen verdoppeln!” Nachdem Zo'or die Verbindung wieder unterbrochen hatte, wandte er sich an Sandoval. „Sie werden den Major unterstützen. Das hat oberste Priorität.”

Der Asiate zögerte, wirkte unentschlossen.

„Hier auf dem Mutterschiff sind Sie mir wenig nützlich.”

„Natürlich, Zo'or.” Sandoval seufzte lautlos und wandte sich zum Gehen, während sich der Taelon erneut mißtrauisch umsah.

 
* * *
 

Kincaid betrachtete das Sicherheitsschloß an der Kellertür. „Dafür, daß hier nur Videomaterial aufbewahrt wird, ist der Raum aber gut gesichert”, murmelte er.

„Sie werden dort Di'mags sämtliche Forschungsergebnisse finden”, sagte eine Stimme hinter ihm. Kincaid schrak zusammen. „Ihr Shuttle hat wohl Verspätung”, bemerkte er ironisch, als er Tyler in dem fahlen Kellerlicht erkannte.

Die junge Frau kam langsam näher. „Da'an wünscht, daß ich hierbleibe und Sie unterstütze.” Sie sah ihn nicht gerade freundlich an.

„Tja, dann machen Sie sich gleich mal nützlich und sagen mir, wie ich das Schloß hier aufkriege.”

Tyler griff sich an die Stirn. „Ähm, es gibt dafür einen Code”, sagte sie gedehnt.

Liam zog eine Grimasse. „Wirklich bemerkenswert Ihre Logik! - Und woher kriegen wir den Code?”

„Ich habe ihn...”

„Wunderbar. Dann sind Sie jetzt vielleicht so gütig und...”

„Ich habe ihn aber nicht dabei.” Tyler blickte den Companion-Beschützer entschuldigend an. „Ich brauchte ihn nie. Ich bin in diesen Räumen auch noch nie gewesen. Di'mag hat sein Archiv immer selbst geführt.”

„Konnten Sie das nicht gleich sagen?” Jetzt wurde Liam langsam sauer. „Okay, Sie besorgen sich den Code, und ich werde in der Zwischenzeit das Camp der Freiwilligen noch einmal unter die Lupe nehmen. Wir treffen uns dann anschließend wieder hier.” Tyler folgte ihm rasch, als er hastig über die Kellertreppe eilte. „Kincaid! Warten Sie!” rief sie ihm hinterher. „Warum wollen Sie noch einmal zum Camp? Haben Sie irgendeine Spur?”

„Nein, die habe ich nicht. Nicht einmal die leiseste Vermutung. Im Moment bewegen wir uns in einer ziemlichen Sackgasse. Aber ich weigere mich, so einfach aufzugeben.”

„Vielleicht sollte ich besser mitkommen.”

Liam stoppte so abrupt, daß sie beinahe in ihn hineingelaufen wäre. „Kann es sein, daß Sie mir möglicherweise unterstellen, Beweise vor Ihnen zu verheimlichen?”

„Kann ich mir sicher sein, daß Sie es nicht tun?” erwiderte sie schlagfertig. Sie hielt seinem forschenden Blick stand, ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken oder irgendeine Unsicherheit zu zeigen. Sie wirkte jetzt wie jemand, der sich ein bestimmtes Ziel gesetzt hatte, das er unter allen Umständen erreichen wollte. Ihre Entschlossenheit, die er in ihren Augen zu lesen glaubte, beeindruckte Liam. In diesem Augenblick wußte er, daß er sie niemals unterschätzen durfte. „Ich bin ein Companion-Beschützer”, sagte er. „Mir liegt nur etwas daran, Di'mags Tod aufzuklären, weil dies der Wunsch der Synode ist.”

„Und wenn der Fall aufgeklärt ist, dann gehen Sie einfach zum nächsten Punkt Ihrer Tagesordnung über. Was hinter dem Mord steht, das interessiert Sie gar nicht.” Tylers Stimme klang bitter. Sie ließ ihn stehen und stieg die Kellertreppe hinauf ins Erdgeschoß des Laborkomplexes. Kincaid folgte ihr. „Aber mich, Major, mich interessiert es. Di'mag war mein Companion. Ich will wissen, wer ihn tötete und warum.”

„Weil Sie Ihre persönliche Rache wollen?” fragte Da'ans Beschützer entgeistert. „Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich ruhig daneben stehenbleibe, wenn Sie ein Blutbad anrichten.”

Sie warf ihm über die Schulter einen undefinierbaren Blick zu. „Ich erwarte nicht, daß Sie es verstehen, Kincaid. Di'mag war etwas Besonderes für mich und nicht nur, weil er Taelon war. Vielleicht ist Da'an für Sie auch etwas Besonderes. Vielleicht auch nicht. Sobald Sie etwas finden, daß möglicherweise zu Di'mags Mörder führt, werden die Taelons den Fall übernehmen. Ich werde nie erfahren, warum... warum es geschah.”

Liams Gedanken rotierten. Das letzte, was er gebrauchen konnte, war eine amoklaufende Companion-Beschützerin. „Sie werden Ihre Chance bekommen, wenn Sie mir versprechen, daß es Ihnen nicht darum geht, Rache zu nehmen.”

„Rache!” wiederholte sie düster. „Ich kann Di'mag damit nicht wieder lebendig machen.”

„Dann sind wir uns ja einig.”

„Ich wünschte nur, wir hätten wenigstens irgendeinen Anhaltspunkt.”

„Es gibt nicht so etwas wie den perfekten Mord. Irgendeine Kleinigkeit haben Di'mags Mörder übersehen, und die müssen wir finden.” Liam blickte sie aufmunternd an. „Holen Sie den Code. Wer weiß. So ein Archiv bietet manchmal überraschende Einblicke.” Er ließ sie stehen und eilte hinaus auf den Parkplatz. Wenig später hörte Tyler die Triebwerke des Shuttles, das eigentümliche, laute Fauchen, als es in den Interdimensionsraum sprang. Einige Sekunden lang verharrte sie noch im Foyer des Instituts, sich der plötzlichen Stille bewußt werdend. Es ist tot, dachte sie. Das Gebäude ist tot. Sie schüttelte sich, so als müßte sie die düstere Stimmung von sich abschütteln. Ihre Gestalt straffte sich, und der traurige Blick wich einer festen Entschlossenheit. Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief hinunter in den Keller. Aus der Innentasche ihrer Pilotenjacke zog sie eine kleine Chipkarte hervor und steckte sie in den Scanner. Hastig tippte sie eine Identifikations-Nummer ein und wartete darauf, daß sich die Tür zum Archiv öffnete. Nur einmal schaute sie über ihre Schulter zurück, so als befürchtete sie, daß ihr jemand heimlich gefolgt sein könnte. Dann schlüpfte sie in den dunklen Raum.

Das eigentlich Archiv beschränkte sich auf mehrere Boxen, die mit Datenchips gefüllt waren. Diese Boxen benötigten gerade mal einen Platz von zwei mal zwei Meter. Der Rest des fast hundert Quadratmeter großen Raumes wurde zur Aufbewahrung anderer Sachen benutzt. Di'mag war ein Sammler gewesen. Dabei spielte es für ihn keine Rolle, ob er diese Dinge für seine Forschung überhaupt benötigte. Er ließ sich gern von ihnen inspirieren, wie er Tyler gegenüber lächelnd verraten hatte.

Die erneute Erinnerung an den Taelon schnürte ihr die Kehle zu, und etwas verkrampfte sich in ihrer Magengrube. Warum bin ich nicht bei ihm geblieben? dachte sie verzweifelt.

„Bitte geben Sie Ihre Wünsche an!” Der Archivierungscomputer wurde automatisch nach einigen Minuten aktiviert. Jemen Tyler wurde aus ihren selbstquälerischen Gedanken gerissen.

„Bitte geben Sie Ihre Wünsche an!” wiederholte die nicht menschlich klingende Stimme. Tyler atmete tief durch. Ihre Finger bewegten sich routiniert über die Tastatur. „Computer”, befahl sie dann, „speichere alle relevanten Daten rückwirkend ab dem jüngsten Datum, die sowohl Di'mags Forschungen betreffen als auch seine persönlichen Logbucheintragungen. Zielort der Speicherung ist Datenplatte DI-MAG1.”

„Datentransfer erfolgt. Verbleibende Restzeit: 2 Minuten 16 Sekunden.”

Sämtliche Datendiscs konnten sowohl einzeln entnommen als auch über den Archivierungscomputer kopiert oder bearbeitet werden. „Computer, zeige mir die Datenchips, die Di'mags persönliche Eintragungen beinhalten!”

„Verbleibende Restzeit: 45 Sekunden. Datendiscs werden angezeigt.”

Tyler öffnete die Boxen und entnahm vier Discs, die durch kleine grünleuchtende Dioden angezeigt wurden. Ein Geräusch ließ sie zusammenfahren. Sie hielt erschrocken den Atem an, schlich zur Tür, die sie nur angelehnt hatte, und lauschte. Ein Shuttle! Hatte Kincaid etwas vergessen? Sie kehrte hastig zum Computer zurück und starrte auf die Anzeige. Noch 5 Sekunden. „Transfer abgeschlossen”, meldete das Programm. Tyler zog die Datenplatte aus dem Schacht und schob sie in ihre Jacke. „Computer, sämtliche Daten des Archivs löschen.”

Der Computer forderte eine schriftliche Bestätigung ihres Befehls und einen Autorisationscode. Jemen Tyler betete, daß ihre Karte diesen Code enthielt und zog sie durch den Scanner.

„Autorisation erfolgt. Bestätigung zur unwiderruflichen Datenlöschung erforderlich.”

Der Finger der jungen Frau schwebte über der Taste. Dann atmete sie tief durch. „Verzeih mir, Di'mag.” Entschlossen gab sie die Bestätigung.

„Daten erfolgreich gelöscht.”

Tyler aktivierte ein anderes Programm und gab eine Startsequenz ein. Anschließend stürzte sie aus dem Archiv, während im Hintergrund die Computerstimme verkündete: „System aktiviert.” Sie hatte den Kellerbereich gerade verlassen, als sie entdeckte, daß es nicht Kincaid gewesen war, der mit dem Shuttle gekommen war. „Miss Tyler.” Ein undurchdringliches Gesicht musterte sie. Die Stimme klang unpersönlich.

„Sie sind Agent Sandoval, nicht wahr?”

„Wo ist der Major?” antwortete der Asiate mit einer Gegenfrage.

„Er ist noch einmal in das Freiwilligen-Camp geflogen.”

„Und warum begleiten Sie ihn nicht dabei?”

Wie ein Verhör, dachte Tyler mißmutig. Ihr lag eine patzige Entgegnung auf der Zunge. Aber sie beherrschte sich. Wenn man gerade einen ganzen Satz Daten gestohlen hatte, sollte man vielleicht ein wenig vorsichtig sein. „Arbeitsteilung, Agent Sandoval.”

„Wie darf ich das verstehen?” fragte Sandoval, als sie schwieg. Sein Gesicht wirkte jetzt nicht mehr ganz so unfreundlich. Aber sein Blick offenbarte nach wie vor größte Aufmerksamkeit.

„Wir wollten Di'mags Archiv überprüfen. Aber leider habe ich meinen Zutrittscode nicht dabei. Ich war gerade auf dem Weg nach Hause.”

„In Ordnung. Ich werde hier auf Sie warten.”

Tyler wandte sich zum Gehen. „Warum sind Sie eigentlich hier?” entschlüpfte es ihr neugierig. Sie erwartete, daß er sie anblaffen würde, aber er antwortete überraschend gelassen: „Die Taelons wollen Ergebnisse. Die ganze Untersuchung dauert ihnen schon zu lange.”

„Nun, wenn ich Ihr Shuttle nehmen könnte, würde es wesentlich schneller gehen”, erwiderte sie keck.

„Dann nehmen Sie es”, sagte Sandoval und seufzte.

 
* * *
 

Als Liam mit dem Shuttle zurückkehrte, sah er schon von weitem die kleine Rauchsäule, die über dem Institut aufstieg. Von bösen Vorahnungen gepackt, beschleunigte er noch einmal seinen Flug. Der Parkplatz war überfüllt mit Fahrzeugen der Feuerwehr und der Polizei. Einige Männer waren gerade dabei, das Gelände großräumig abzusperren. Da sich das Institut in einer sehr ländlichen Gegend befand, gab es zum Glück keine Schaulustigen. Liam parkte sein Shuttle etwas abseits und rannte auf das Gebäude zu.

„Major!” Sandoval löste sich aus einer kleinen Gruppe von Feuerwehrleuten und winkte dem jungen Mann zu.

„Was ist passiert?” fragte Liam aufgeregt.

„Eine Explosion im Archiv”, erklärte Sandoval. „Es wurde völlig zerstört. Ein Teil des Erdgeschosses wurde ebenfalls zerstört, so daß wir keinen Zugang mehr zum Laboratorium haben.”

„Eine Explosion?” wiederholte Kincaid erstaunt. Dann fiel ihm die Companion-Beschützerin ein. „Haben Sie Tyler gesehen?”

„Sie befand sich gerade auf dem Weg nach Hause, als ich hier ankam.” Ein Polizeibeamter kam aus dem Gebäude und steuerte auf Sandoval zu. Der FBI-Agent ging ihm entgegen. „Was haben Sie herausgefunden?”

„Das Schloß zum Archiv ist unbeschädigt. Es konnte sich nur jemand Zutritt verschaffen, der über den entsprechenden Code verfügte.”

Sandoval wechselte einen kurzen Blick mit Kincaid. „Di'mag hatte den Zutrittscode und der Chef des Sicherheitsteams.”

„Und Tyler”, fügte Liam hinzu. „Diesen Code holt sie gerade.”

Sandoval ignorierte seine Äußerung scheinbar, indem er sich wieder an den Polizisten wandte. „Und die Explosion?”

„Nun, allen Anzeichen nach muß sich der Sprengsatz bereits im System befunden habe”, antwortete der Beamte zögernd.

„Eine Art Selbstzerstörungsmechanismus?” wiederholte Kincaid verblüfft.

Sandoval schüttelte ungeduldig den Kopf. „Major - ein Selbstzerstörungsmechanismus, der nicht nur das ganze Archiv, sondern auch das halbe Erdgeschoß zerstört, das ist doch wohl ein bißchen übertrieben! - Setzen Sie die Spurensuche fort. Ich will wissen, was das für ein Sprengsatz gewesen ist, wo genau er plaziert und vor allem wie er ausgelöst wurde.”

„Jawohl, Sir!” Der Polizist hätte beinahe salutiert. Rasch eilte er in das Gebäude zurück.

Sandoval rieb sich nachdenklich das Kinn. „Hat Ihre Untersuchung irgend etwas ergeben?” fragte er Kincaid. Dieser schüttelte den Kopf. „Ich hatte, ehrlich gesagt, gehofft, daß wir etwas im Archiv finden, daß uns weiterbringen würde.”

„Nun, das Archiv steht uns jetzt nicht mehr zur Verfügung”, bemerkte der Agent überflüssigerweise. „Im Gegenteil zu Ihnen waren wir ein wenig... erfolgreicher, Major.” Er starrte seinen Kollegen arrogant an. „Die Untersuchung der Implantate hat eindeutige Beweise geliefert. Die Manipulation wurde von einem Taelon vorgenommen. Und da sich Di'mag kaum selbst getötet haben wird, kann das nur bedeuten, daß er dazu gezwungen wurde.”

„Von wem gezwungen?” fragte Liam überrascht.

„Natürlich vom Widerstand”, erwiderte Sandoval ungeduldig. „Meines Erachtens nach ist der Fall eindeutig. Di'mag wurde gezwungen, die Implantate zu sabotieren. Daß er dabei getötet wurde, gehörte offensichtlich nicht zum Plan. Schließlich war er nur ein Wissenschaftler”, fügte er abfällig hinzu. „Das Attentat sollte einem höhergestellten Taelon gelten.” Er wandte sich zum Gehen. „Wenn Miss Tyler hier eintrifft, kehren Sie nach Washington zurück...”

„Um meine Ermittlungen über den Widerstand aufzunehmen”, sagte Kincaid ein wenig zu ironisch. Der FBI-Agent starrte ihn an. „Sie werden damit warten, bis ich zurückkehre!” befahl er barsch.

 
* * *
 

Als T'than die Brücke betrat, stand Sandoval vor Zo'or und erstattete ihm offenbar Bericht. Der Kriegsminister verlangsamte seinen Schritt und betrachtete die beiden. Dabei kam ihm eine - wie ihm schien - geniale Idee. Ein selbstgefälliges Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er seinen Weg fortsetzte.

„T'than.” Zo'or musterte ihn kühl.

T'than warf einen Blick auf Sandoval und gab damit zu verstehen, daß er unter vier Augen mit dem Führer der Synode sprechen wollte. Zo'or war zwar nichts mehr verhaßt, als solchen Befehlen nachzukommen, aber dennoch gab er seinem Vasallen ein Zeichen. „Das wäre vorerst alles, Agent Sandoval.” Je weniger dieser von den internen Machtkämpfen mitbekam, um so besser.

T'than wartete, bis Sandoval die Brücke verlassen hatte. Dann verschränkte er die Arme hinter dem Rücken und ging provozierend auf und ab. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Zo'or und bemerkte dessen Ungeduld. Es amüsierte ihn, wie sein Artgenosse krampfhaft bemüht war, ruhig zu wirken. Beinahe war er versucht, die Situation auf die Spitze zu treiben. „Ich habe gute Nachrichten von der Front.”

„Inwiefern?”

„Unsere derzeitige Strategie erweist sich als vielversprechend. In einigen Sektoren konnten die Jaridians zurückgedrängt werden. Sie haben schwere Verluste erlitten und werden einige Zeit brauchen, um diese auszugleichen.”

„Nun, ich nehme an, daß du in Kürze deine Heimreise antreten wirst”, erwiderte Zo'or und konnte nicht verhindern, daß seine Stimme hoffnungsvoll klang. „Du wirst jetzt an der Front gebraucht”, fügte er rasch hinzu.

T'than schüttelte den Kopf. „Es wäre taktisch unklug. Meine Anwesenheit könnte die Generäle verleiten, allzu enthusiastisch auf die erreichten Erfolge zu reagieren. Sie werden leicht unvorsichtig.”

Zo'or blickte ihn überrascht an.

„Und wir wollen doch nicht unsere Vorteile verschenken.”

„Dann wirst du uns also auch weiterhin mit deiner Anwesenheit beglücken.” Es hätte nicht sarkastischer klingen können.

T'than sah ihn an. Zo'or, wenn du wüßtest, wie erheiternd dein Zorn ist, dachte er amüsiert. Er spricht aus jeder deiner Gesten. Er schwingt in deiner Stimme mit, und du vermagst ihn kaum zu unterdrücken. Du bemerkst nicht einmal, daß deine menschliche Fassade ein Spiegelbild deines Hasses und deiner Verachtung ist. Laut sagte er: „Ich werde die Zeit, die ich hier auf der Erde verbringe, dazu nutzen, um deine Projekte zu studieren.”

„Dazu besteht keine Veranlassung”, entfuhr es Zo'or. „In deiner Funktion als Kriegsminister...”

T'than lächelte provozierend. „In meiner Funktion als Kriegsminister”, unterbrach er ihn aufreizend, „bin ich - um die Menschen zu zitieren - derzeit außer Dienst.”

„Nun, wie du willst. Es steht dir frei, die Projekte zu studieren.” Zo'or schaffte es sogar, gelassen zu wirken. Dennoch ließ er seinen Artgenossen nicht eine Sekunde lang aus den Augen, als dieser schweigend seine Wanderung aufnahm.

„Es versteht sich von selbst, daß mir ein Beschützer zur Verfügung gestellt wird”, sagte T'than nach einer Weile. „Meine Anwesenheit wird sich ja nicht nur auf das Mutterschiff beschränken. Und da du die Angelegenheit mit dem Widerstand noch immer nicht geregelt hast, ist es selbstverständlich zu riskant, wenn ich mich ohne ausreichenden Schutz auf der Erde bewege.”

Zo'or überhörte die Anspielung geflissentlich. Er würde nicht den Fehler machen und sich verteidigen, weil man das als Schwäche auslegen würde. Er betrachtete seinen Widersacher nachdenklich und versuchte herauszufinden, welche Intrige sich hinter dessen Überlegung verbergen mochte. „Ich werde sofort veranlassen, daß dir ein Beschützer zur Verfügung gestellt wird”, sagte er und aktivierte den Datenstrom.

„Du wirst verstehen, daß ich nicht irgendeinen Menschen akzeptieren kann, der mir fremd ist. Ich habe bemerkt, daß Agent Sandoval ein äußerst fähiger und loyaler Beschützer ist.”

Jetzt war Zo'or wirklich überrascht. „Agent Sandoval?” wiederholte er verblüfft. „Er ist mein persönlicher Beschützer.”

„Und deshalb wirst du ihn mir auch sicher gern überlassen.” T'than lächelte verschlagen. „Du wirst in deinem Mitarbeiterstab sicher jemanden finden, der geeignet ist, vorübergehend seinen Platz bei dir einzunehmen.”

Zo'or betrachtete ihn nachdenklich. Dann sagte er - und diesmal hatte sein Blick etwas Verschlagenes an sich: „Du hast recht. Du brauchst einen kompetenten Schutz. Ich kann in der Zwischenzeit auf Major Kincaids Hilfe zurückgreifen, sollte es erforderlich sein. Er ist ohnehin bei Da'an nicht ausgelastet. - Ich werde Agent Sandoval sofort informieren.” Er wirkte jetzt geradezu zufrieden.

Beide Taelons sahen sich an. Sie wußten genau, daß jeder bemüht war, die Schwäche des anderen zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen. Und beide waren davon überzeugt, daß ihnen gerade ein genialer Schachzug geglückt war.

 
* * *
 

Als Tyler zum Laboratorium zurückkehrte, verfrachtete Liam sie in sein Shuttle und flog mit ihr nach Washington. Seine Nachricht, daß jemand das Archiv in die Luft gesprengt hätte, nahm sie überraschend gelassen hin. Aber irgendwie wunderte ihn das nicht. Es bestätigte nur seinen heimlichen Verdacht. In der Botschaft angekommen, erstattete er Da'an Bericht.

„Es gibt also nach wie vor keinerlei Spuren”, kommentierte der Taelon nachdenklich.

„Wenn Sie mich jetzt nicht mehr benötigen, würde ich mich gern zurückziehen”, sagte Kincaid.

Da'an wirkte ein wenig verwundert. Aber dann sagte er: „Nein, ich benötige Sie vorerst nicht, Liam. Ich danke Ihnen.”

Der junge Mann wandte sich zum Gehen. Dabei fiel sein Blick auf Tyler und ihm wurde seine Unhöflichkeit bewußt. „Was geschieht mit Miss Tyler? Soll ich Sie zum Mutterschiff bringen?”

„Nein. Sie bleibt bei mir”, erwiderte der Taelon, ohne ihn anzusehen.

„Ganz wie Sie wünschen.” Liam war zu sehr in Eile, um sich über die Anordnung seines Companions zu wundern. Er nickte den beiden zu und verließ die Botschaft. Da'an erhob sich von seinem thronartigen Stuhl. „Bitte, nehmen Sie Platz, Miss Tyler”, sagte er liebenswürdig. „Ich würde mich gern ein wenig mit Ihnen unterhalten.”

Die junge Frau blickte sich um. Dieser Raum war äußerst spartanisch eingerichtet, so als diente er allein für Audienzen. Und es war offensichtlich nicht vorgesehen, daß sich die Gäste setzen sollten. Lediglich vor dem Computerterminal stand ein Drehstuhl. Jemen Tyler zog ihre Jacke aus, legte sie über die Lehne und setzte sich dann. Sie fragte sich, über was sich der Taelon mit ihr unterhalten wollte. Aber eigentlich spielte das keine besondere Rolle. Da'an strahlte eine Sanftheit aus, wie sie auch Di'mag im Umgang mit ihr gezeigt hatte, und deshalb war es ihr nicht möglich, sich seiner Faszination zu entziehen.

 
* * *
 

Sandoval war unangenehm überrascht, als er von Zo'or darüber informiert wurde, daß er für eine Weile als T'thans Beschützer einspringen müßte. „Ich verstehe nicht, Zo'or.”

„Was gibt es daran nicht zu verstehen?” Die Stimme des Taelons klang ungeduldig. „T'than wird noch eine Weile auf der Erde bleiben, um sowohl Taelon-Projekte zu studieren als auch Kontakt zu anderen Companion aufzunehmen. Und dafür braucht er einen Beschützer. Er wünscht Sie.”

„Aber Zo'or”, wandte der FBI-Agent stirnrunzelnd ein. „Ich bin Ihr Beschützer. Meine Aufgaben auf dem Mutterschiff sind vielfältig. Wenn ich abgezogen werde, kann ich nicht garantieren, daß Sie von einer Krise verschont bleiben. Ganz zu schweigen von der Untersuchung über Di'mags Tod...”

Zo'or hob unwillig die Hand, um den Redefluß seines Vasallen zu stoppen. „Agent Sandoval, ich hätte doch wohl kaum T'thans Wunsch zugestimmt, wenn ich irgendwelche Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Mutterschiffes gehabt hätte”, sagte er tadelnd.

„Natürlich”, erwiderte Sandoval und senkte unterwürfig den Blick.

„T'than glaubt, besonders schlau vorzugehen. Unsere Projekte sind für ihn nur ein Vorwand. In Wirklichkeit sucht er neue Bündnispartner, um seine Macht in der Synode auszubauen. Man muß über seine Feinde immer bestens informiert sein, Agent Sandoval. Und deshalb konnte mir etwas Besseres auch gar nicht passieren.” Der Taelon erhob sich von seinem Stuhl und trat vor Sandoval. Er fixierte den Mann mit einem durchdringenden Blick. „Sie werden Augen und Ohren offenhalten. Und Sie werden mich über alles informieren. Jeder Besuch, jedes Gespräch. Ich will wissen, wen T'than auf seine Seite ziehen will.”

„Sehr wohl, Zo'or”, sagte Sandoval gehorsam.

Ein zufriedenes Lächeln glitt über das menschliche Gesicht des Taelons. „T'than mag durchaus ein fähiger Heerführer sein. Aber das allein reicht nicht aus, ein Volk sicher durch eine Krisenzeit zu führen. Er unterschätzt mich gewaltig, wenn er glaubt, daß ich auf seine plumpen Tricks hereinfalle.”

Das Gesicht seines Vasallen war eine undurchsichtige Maske. Mit keiner Regung verriet er, was er dachte. Und Ronald Sandoval hatte eine Menge Gedanken, die selbst Zo'or überrascht hätten.

 
* * *
 

„Augur, ich brauche deine Hilfe!”

„Wann brauchst du die mal nicht!” erwiderte sein Freund spöttisch, ohne sich von seinem Terminal abzuwenden. „Ist dir schon einmal aufgefallen, daß du noch nie zu mir gekommen bist und zum Beispiel gesagt hast: 'Hi, Augur, laß uns heute einen draufmachen.'?”

Liam ignorierte es absichtlich, als er mit langen Schritten das ehemalige Quartier des Widerstandes durchschritt und sich neben Augur stellte. „Ich brauche Informationen über eine Frau namens Jemen Tyler.”

Augur warf ihm einen kurzen Blick zu. Er stellte fest, daß Liam ausgesprochen nervös und angespannt wirkte. „Du hast dich doch wohl hoffentlich nicht verknallt!” rief er spöttisch, während er weiterhin an seinem Computer arbeitete.

„Ich habe so ein komisches Gefühl bei dieser Frau.” Kincaid rieb sich abwesend den Nacken.

Augur schob ihn energisch beiseite, um ein weiteres Computer-Terminal einzuschalten. „Weißt du, Liam, da gibt es nur ein kleines Problem. Du kostet mich Geld! Eine Menge GELD, um genau zu sein. Ich bin gerade dabei, einen Teil meiner Gläubiger auszuzahlen, bevor mir diese ihre wirklich unangenehmen Freunde ins Haus schicken. Aber dazu muß ich mich auf meine Arbeit konzentrieren.”

„Komm schon, Augur! Du sollst doch nur deine Datenbank aufrufen. Den Rest macht das Programm.” Liams Sturheit ärgerte den Schwarzen. Seine dunklen Augen funkelten zornig. „Du und der Widerstand - ihr habt mich beinahe in den Bankrott getrieben. Benutze eine offizielle Datenbank für deine Recherchen. Meine Computer sind zur Zeit leider alle belegt.” Augur war überzeugt, daß er sich gerade Liams Freundschaft verscherzt hatte. Aber er war nicht bereit einzulenken. Mißmutig tippte er auf der Tastatur herum.

Liam setzte sich stumm in einen der gemütlichen Sessel und verschränkte die Arme. Augur schielte zu ihm hinüber und fluchte leise. Dieser Hybride konnte manchmal fürchterlich stur sein. „Wenn ich daran denke, was ich alles verkaufen mußte, um meine Schulden zu bezahlen”, knurrte der Schwarze leise. „Da waren wirklich ein paar Schätze darunter. Ich wette, daß sich Renee meine ganze Sammlung unter dem Nagel gerissen hat. Damit kann sie mich ja jetzt auch wunderbar ködern.” Er brach sein Zwiegespräch ab, als ihm bewußt wurde, daß er gerade nur sinnloses Zeug in den Computer eingab. Und noch immer saß Kincaid in seinem Sessel und starrte düster vor sich hin. Er wollte gerade nachgeben, als Liam sagte: „Weißt du, das Ganze erscheint mir irgendwie seltsam.”

Verdammt, dachte Augur ärgerlich. Ich kriege ein schlechtes Gewissen, und dabei hat der Kerl mich und meine Einwände einfach ignoriert. Seufzend setzte er sich seinem Freund gegenüber. „Also, schieß los! Was ist seltsam?”

„Ein Taelon wurde getötet. Und außer einer Videoaufzeichnung, die zeigt, wie er von sechs Freiwilligen niedergestreckt wurde, gibt es keine weiteren Spuren.”

Augur spitzte die Lippen. „Na, wenn da mal nicht Zo'or dahintersteckt.”

Liam runzelte die Stirn. „Das war auch mein erster Gedanke. Aber warum sollte er es so öffentlich machen? Und warum hat er keine Spuren hinterlassen, die uns zumindest auf eine falsche Fährte locken würden?”

Da mußte sogar Augur zugeben, daß dies ein ungewöhnliches Verhalten war, daß jeder Logik entbehrte. „Was ist mit dieser Frau, über die du Informationen suchst?”

„Jemen Tyler. Sie war die Beschützerin des getöteten Taelons. Laut Sandoval waren die Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras unbrauchbar. Aber seltsamerweise hatte diese Frau eine einwandfreie Kopie.”

Augur sprang auf. „Dann war es also doch Zo'or. Er hat die Aufzeichnungen unbrauchbar gemacht, um seine Spuren zu verwischen.” Er trat an einen seiner Computer.

„Aber es könnte ebenso Tyler gewesen sein, die uns eine manipulierte Aufzeichnung zuspielt, um den Verdacht von sich zu lenken. - Mist! Und ausgerechnet jetzt muß ich für Zo'or den Aufpasser spielen, weil Sandoval vorübergehend T'thans Beschützer wird.”

„Laß uns mal sehen, was wir über diese Frau herausfinden können. Wie war noch ihr Name?”

„Jemen Tyler.”

„Jemen Tyler”, wiederholte Augur und tippte den Namen ein. Er starrte auf den Monitor. „Buchstabiere mal den Namen”, sagte er nach einer Weile. „Ich muß ihn wohl falsch geschrieben haben. Das Programm findet nämlich nichts.”

 
* * *
 

Da'an betrachtete nachdenklich die junge Companion-Beschützerin. Sie wirkte irgendwie niedergeschlagen und insichgekehrt. Keine Spur mehr von dem Selbstbewußtsein, das sie auf dem Mutterschiff präsentiert hatte. Der Taelon überlegte, wie er mit einem Gespräch beginnen konnte, das sie etwas zugänglicher werden ließ. „Sie empfinden Trauer über den Verlust Di'mags”, sagte er sanft.

Tyler hob langsam den Kopf, schien ihn erst jetzt bewußt wahrzunehmen. „Verzeihen Sie, Da'an. Ich war mit meinen Gedanken woanders.”

„In der Vergangenheit?” fragte der Taelon. Er konnte menschliche Gefühle nur zum Teil nachvollziehen, aber er war ein empfindungsfähiges Wesen. Und obwohl diese Empfindungen seiner Spezies fremd geworden waren, nahm er doch ihren Kummer wahr. Er verspürte deshalb den Wunsch, ihr zu helfen.

„Ich weiß, ich sollte mich der Tatsache stellen, daß er tot ist”, flüsterte sie, „aber ich kann es nicht.”

„Wir Taelons betrachten den Tod nicht als etwas Endgültiges, sondern nur als Übergang in eine andere Ebene. Aber auch wir betrauern den Verlust eines Artgenossen oder eines Freundes, wenn er so plötzlich und unerwartet aus unserer Mitte gerissen wird.”

Jemen sah ihn voll Schmerz an. „Es ist, als ob ein Teil meines Selbst von mir gegangen ist. Unwiderruflich verloren.” Ihr Kopf sank langsam vornüber. „Aber das können Sie nicht verstehen...”

Da'an spürte, wie er von seinen eigenen Gedanken jäh in die Vergangenheit gerissen wurde. Vor seinem geistigen Auge erschien ein verschwommenes Bild, das langsam klarer wurde. Er sah sich selbst, wie er vor dem bläulich schimmernden Regenerationstank stand, der zuvor Boones schwerverletzten Körper geschützt hatte. Seine Hand, die sich langsam auf das Plexiglas legte, um das Unfaßbare zu begreifen. Er erlebte erneut den Schock, als ihm bewußt wurde, daß Boone nicht seinen schweren Verletzungen erlegen war, sondern ermordet wurde.

Langsam kehrte der Taelon in die Wirklichkeit zurück. In seiner Trauer über den Verlust eines Freundes hatten sich auch Schuldgefühle gemischt. Er begriff, daß sich Jemen Tyler ähnlich fühlen mochte - traurig und schuldig. Unbewußt streckte er seine Hand aus, um die Frau zu berühren, doch sie wich ihm aus, indem sie aufsprang und verzweifelt rief: „Ich hätte ihn schützen müssen, so wie es meine Pflicht war. Doch ich habe versagt. Ich war nicht bei ihm, als er mich brauchte. Dabei hätte ich es wissen müssen. Die Zeichen waren da. Er hat es mir signalisiert. Doch ich habe es übersehen. Warum nur?” Sie sank auf die Knie, von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt. „Warum habe ich es übersehen?” schluchzte sie. „Er hat mir soviel gegeben... Doch ich war nicht da.”

Da'an betrachtete sie, aufgeregt und verwirrt. Er versuchte zu verstehen, zu begreifen. Aber er verstand es nicht. Er verspürte plötzlich den irrationalen Wunsch, sie zu berühren, ihr durch seine Präsenz Trost zu vermitteln, und abermals sprang sie auf und wich ihm aus. Da wurde ihm bewußt, daß sie sich ihm absichtlich entzog, das sie diese Berührung nicht duldete. Das stieß ihn erneut in tiefe Verwirrung.

Sekundenlang standen sie sich gegenüber, danach trachtend, das mentale Chaos in ihrem Inneren zu überwinden. Schließlich wandte sich Da'an ab, als er spürte, daß er die Kontrolle über seine menschliche Fassade nicht länger aufrechterhalten konnte. Auf eine unerklärliche Weise konnte er ihre Gefühle wahrnehmen. Sie brachen förmlich über ihn ein, überfluteten ihn, rissen ihn mit sich. Der Taelon floh verstört in den Garten.

 
* * *
 

„Oh, ich hatte mich tatsächlich vertippt.” Augur starrte auf den Monitor und grinste verlegen. „Und hier haben wir sie schon. Jemen Tyler.”

Liam trat überrascht an seine Seite. Eigentlich hatte er vermutet, daß die Datenbank nichts ausspucken würde. Stirnrunzelnd überflog er den Eintrag. „Daten kann man fälschen”, bemerkte er lakonisch.

Augur betrachtete ihn abschätzend. „Kann es sein, daß du vielleicht etwas anderes suchst?”

Liam rannte unruhig auf und ab. „Irgend etwas stimmt nicht mit ihr. Das sagt mir mein Gefühl. Aber ich weiß nicht, was es ist.” Er stoppte plötzlich und sah seinen Freund eindringlich an. „Augur, sie hat für die Tatzeit ein Alibi, das so löchrig ist wie... wie ein Käse. Sie hätte mehrfach die Möglichkeit gehabt, zum Laboratorium zurückzukehren.”

„Um den Taelon zu töten?”

„Wer weiß?” grübelte Kincaid. „Zu dem Laboratorium, in dem Di'mag, der getötete Taelon, arbeitete, gehörte auch ein Archiv, in dem sämtliche Kopien der Videoaufzeichnungen aufbewahrt wurden. Tyler besaß den Zugriffscode. Und genau in der Zeit, als sie ihn holte, ging in dem Archiv eine Bombe los und zerstörte alles.”

„Nun, vielleicht haßte sie ihn. Dann mußt du es ihr jetzt nur noch beweisen. Aber vielleicht ist sie ja auch unschuldig. Vielleicht liegen die Dinge ja ganz anders, und du jagst einem Hirngespinst hinterher.”

Liam sah ihn nachdenklich an. Sein Gefühl sagte ihm, daß irgend etwas nicht stimmen konnte, aber sein Verstand warnte ihn davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Augur hatte es schon richtig auf den Punkt gebracht. Vielleicht irrte er sich. Zerfahren fuhr er sich durchs Haar. Wenn er nur wüßte, wem er nun trauen sollte. Seinem Gefühl oder lieber seinem Verstand?

„Und Sandoval?” fragte Augur nach einer Weile.

„Sandoval hat seine eigene Theorie. Die Freiwilligen, die Di'mag niederstreckten, konnten sich angeblich nicht an den Tathergang erinnern. Daraufhin hat man ihre Implantate untersucht und festgestellt, daß sie manipuliert wurden. Diese Manipulation konnte aber nur von einem Taelon vorgenommen werden. Demnach müßte Di'mag dazu gezwungen worden sein, seine eigene Arbeit zu sabotieren.”

„Und Sandoval macht den Widerstand dafür verantwortlich, nicht wahr? Klingt irgendwie vertraut. - Also, wenn du mich fragst, dann ist das eindeutig Zo'ors Handschrift. Vielleicht war es seine Absicht, daß es so aussieht, als ob diese Jemen Tyler etwas damit zutun hat.”

„Augur”, sagte Kincaid plötzlich, „wir müssen versuchen, Kontakt zu den einzelnen Widerstandszellen aufzunehmen. Ich muß sichergehen, daß sie nichts damit zu tun haben.”

„Hör mal, Liam”, sagte der Schwarze und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Du bist keine große Nummer mehr bei denen. Ich würde sogar sagen, daß du es mit ihnen ganz schön verscherzt hast. Auch wenn du für den Überfall damals nicht verantwortlich warst”, fügte er rasch hinzu, als er merkte, daß sein Freund zu einer scharfen Entgegnung ansetzen wollte. „Sie werden dir kaum auf die Nase binden, daß sie was mit dem Tod dieses Taelons zu tun haben. Sie müssen ja damit rechnen, daß sie erneut verraten werden.”

Kincaid ballte wütend die Faust. „Danke, daß du mich mal wieder daran erinnert hast!” Der Hacker wandte beschämt sein Gesicht ab. Augur, du bist ein Vollidiot, dachte er. Wie würdest du dich denn fühlen, wenn du von deinem besten Freund verraten wirst! Du hattest einfach nur Angst um dein erbärmliches Leben und hast dich hinter Ausflüchten versteckt. Wenn du so gefühllos bist, ihn auch noch daran zu erinnern, mußt du dich nicht wundern, wenn er sauer wird. „Paß auf, Liam”, beeilte er sich zu sagen. „Ich werde mal ein bißchen auf die Suche gehen. So die verschiedenen Kanäle durchforsten. Du weißt schon, was ich meine. Wenn ich was finde, melde ich mich sofort bei dir. Einverstanden?”

„Das ist auch das mindeste, was ich von dir verlangen kann”, knurrte der Companion-Beschützer ungnädig.

 
* * *
 

„Da'an?”

Der Taelon drehte sich um. „Verzeihen Sie mir, Jemen”, sagte er, „ich bin vor Ihnen geflohen.”

Die junge Frau blieb einige Schritte vor ihm stehen, bewahrte aber nach wie vor Distanz. „Ich bin es, die um Verzeihung bitten muß”, sagte sie. „Ich habe die Beherrschung verloren und Sie mit meinen Gefühlen konfrontiert. Es mußte Sie erschrecken. Wir sind uns vollkommen fremd...”

„Und zugleich vertraut”, beendete Da'an impulsiv ihren Satz. Verwirrt fragte er sich, warum er das gesagt hatte. Was hatte ihn dazu veranlaßt?

„Es wird Zeit, daß ich aufbreche. Ich bin keine Companion-Beschützerin mehr.” Jemen drehte sich abrupt um.

„Jemen! Warten Sie!” Da'an folgte ihr. „Wohin werden Sie gehen?” fragte er sie, als sie in der Botschaft waren. Bevor sie ihm eine Antwort geben konnte, wurde der Datenstrom aktiviert. „Da'an!” Zo'ors Stimme kam einen Befehl gleich. „Es gibt eine Änderung im Personalplan.”

Der nordamerikanische Companion wandte sich ihm notgedrungen zu.

„T'than wird eine weitere Zeit auf der Erde verbringen, und ich habe ihm deshalb Agent Sandoval zur Seite gestellt, damit sein Schutz gewährleistet ist. Ich werde hin und wieder auf die Hilfe Major Kincaids zurückgreifen müssen.”

„Ich sehe darin kein Problem”, erwiderte Da'an. „Derzeit habe ich keine wichtigen auswärtigen Termine, die sich nicht verschieben ließen.”

„Gut.”

Da'ans Hand fuhr mit der unnachahmlichen Eleganz der Taelons durch die Luft und deaktivierte den Datenstrom. Dann sah er zu Jemen Tyler hinüber, die sich gerade sehr umständlich die Jacke überzog. „Wohin werden Sie gehen?” fragte er abermals.

Sie machte eine weit ausholende Geste. „Das Universum ist groß.” Es klang resigniert.

„Haben Sie Familie?” fragte Da'an weiter.

Seine Sanftheit war es, die an ihrer Selbstbeherrschung rüttelte, seine unglaubliche sanfte Präsenz, die sie erneut an Di'mag denken ließ und die jene Erinnerung in ihr hervorrief, die sie in den vergangenen Stunden stets aufs neue quälte. Die Forschung ist mein Leben, hörte sie ihn ihren Gedanken. Nicht der Krieg, der alles Schöne zerstört.

„Jemen?” Da'ans Stimme riß sie in die Gegenwart zurück.

„Nein, ich habe keine Familie”, sagte sie rasch.

„Aber doch sicher Freunde?”

Sie schüttelte den Kopf. Aber das kam ihr dann selbst ein wenig dürftig vor. „Ich habe natürlich eine ganze Reihe von Bekannten. Aber tiefere Freundschaften haben sich daraus nicht entwickelt. Ich glaube, ich war einfach zuviel mit Di'mag zusammen.”

„Ich verstehe”, sagte der Taelon. Er ging langsam zur Fensterfront und kehrte dann zurück. „Würden Sie mir die Freude bereiten, mich in den Garten zu begleiten?” fragte er überraschend. Sie zögerte, und fast schien es, als wollte sie seinen Wunsch abschlagen. Aber dann nickte sie. Die Hände tief in ihrer Jacke vergraben, spazierte sie stumm neben ihm her. Aber auch Da'an schwieg. Er schien sich an der Blütenpracht zu erfreuen, an dem tiefen Grün von Büschen und Bäumen, während Jemen eher stirnrunzelnd die Umgebung betrachtete und innerlich den Kopf schüttelte. Wie konnte man an solch einem Garten gefallen finden? Hier wirkte alles künstlich. Exakt geschnittene Hecken, gleichmäßig angelegte Blumenrabatte. Ein englischer Rasen - auf Streichholzlänge gekürzt; keine Spur von Unkraut, aber auch nicht ein einziges Gänseblümchen weit und breit. Alles wirkte so sauber, so ordentlich; selbst der Kies auf den Wegen wirkte wie frisch gereinigt. Da'an steuerte auf einen pompösen weißen Springbrunnen zu. Hier verhielt er eine Weile und betrachtete das muntere Wasserspiel. Jemen erinnerte sich daran, wie sie Di'mag eines Tages mit der Nachricht überrascht hatte, daß es für ihn langsam Zeit wäre, sein Laboratorium zu verlassen, um einmal etwas anderes zu sehen. Natürlich war der Taelon davon ausgegangen, daß sie mit ihm in die Stadt gehen wollte, und dieser Gedanke behagte ihm ganz und gar nicht. Er fühlte sich unter vielen Menschen einfach nicht wohl. Aber er hatte nachgegeben - ihr zuliebe. Jemen konnte sich noch an jede Einzelheit erinnern. Stundenlang war sie mit ihm über Wiesen und Felder gelaufen. Sein anfänglicher Widerwillen war rasch in Staunen umgeschlagen, und schließlich hatte es ihm richtig Spaß gemacht. Noch Tage danach schwärmte er von ihrem gemeinsamen Ausflug.

Ihr wurde plötzlich bewußt, daß Da'an sie beobachtete. Rasch wandte sie sich ab. Seine Aufmerksamkeit machte sie verlegen. „Setzen wir unseren Weg fort”, sagte der Taelon nach einer Weile. Sie erreichten das Ende des Gartens und kehrten wieder um. „Haben Sie schon darüber nachgedacht, wie Sie Ihre Zukunft gestalten werden?” Der Taelon sah sie liebenswürdig an, und Jemen fiel auf, daß er und Di'mag sich sehr ähnlich waren. „Zukunft”, wiederholte sie unschlüssig.

„Miss Tyler”, Da'an war stehengeblieben und sah sie jetzt sehr ernst an, „Sie sind Companion-Beschützerin. Warum wollen Sie in diesem Beruf nicht weiterarbeiten?”

„Ich bin ja nicht wirklich eine Beschützerin”, wandte sie ein. „Ich wurde nicht auf dem üblichen Weg ausgewählt und eingestellt.”

„Di'mag hat Sie ausgewählt.”

„Ich bezweifle, daß er die Kriterien kannte, nach der eine Einstellung erfolgt.”

„Er wählte Sie, weil er Ihnen vertraute. Und damit ist doch wohl das wichtigste Kriterium erfüllt. Ich biete Ihnen an, auch weiterhin für uns zu arbeiten.”

Einen Augenblick lang leuchteten ihre Augen auf. Das Angebot war mehr als verlockend. Wenn man einmal mit einem Taelon zusammengearbeitet hatte, dann gab es kaum etwas Vergleichbares. Aber dann schüttelte sie den Kopf. „Ich danke Ihnen, Da'an. Ich weiß Ihr Angebot sehr zu schätzen. Aber ich kann keine Companion-Beschützerin mehr sein. Di'mag war mir vertraut. Die anderen Taelons sind mir zu fremd.”

„Sie könnten sich an sie gewöhnen.”

„Und doch würde ich wahrscheinlich in ihnen immer Di'mag sehen wollen. Auf lange Sicht wäre das wohl keine gute Basis. Denken Sie nicht auch?”

Da'an bedachte ihre Worte. „Sie haben recht, Jemen. Und eigentlich ist es auch nicht das, was ich Ihnen sagen wollte.” Sie erreichten den Punkt des Gartens, der an einer kleinen Seitenstraße grenzte. Der Taelon beobachtete nachdenklich ein paar spielende Kinder. Dann wandte er sich wieder der jungen Frau zu. „Ich möchte Sie fragen, ob Sie sich vorstellen könnten, für mich zu arbeiten.”

Ein Fußball kam über den Zaun geflogen. Da Da'an nun mit dem Rücken zur Straße stand, konnte er ihn nicht sehen. Jemen reagierte impulsiv. „Vorsicht!” Sie griff nach seinem Arm und zog ihn zur Seite. Der Taelon erstarrte jäh, und ein bläuliches Leuchten ging über sein Gesicht. „Ma'el...”, flüsterte er fassungslos.

Jemen fing den Ball geschickt auf und warf ihn lachend zurück. „He, nicht so wild!” rief sie den Kindern zu. Als sie sich wieder Da'an zuwandte, bemerkte sie seine tiefe Verwirrung. „Da'an?” sagte sie vorsichtig. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?”

Der Taelon kam langsam wieder zu sich. „Es geht mir gut, Jemen. Danke. - Ich... ich wurde nur an jemanden erinnert. Bitte, lassen Sie uns zurückgehen.” Er strebte eilig dem Gebäude zu. Jemen kam es beinahe so vor, als flüchtete er erneut vor ihr. Daß sie ihn berührt hatte, war ihr gar nicht bewußt. Verwundert folgte sie ihm.

 
* * *
 

Als Kincaid Augur verließ, war er irgendwie unzufrieden. Augurs Überlegung, Tyler könnte von Zo'or für seine Zwecke mißbraucht worden sein, war einleuchtend. Aber dennoch weigerte sich sein Gefühl, ihre Unschuld anzuerkennen. „Sie steckt mit ihm unter einer Decke”, murmelte er vor sich hin. „Sie ist der Schlüssel. Irgend etwas in ihrer Vergangenheit gab ihm die Möglichkeit, sie zur Kooperation zu überreden.”

„Liam!” Renee Palmer stand plötzlich vor ihm und starrte ihn überrascht an. „Du meine Güte, wo stecken Sie eigentlich die ganze Zeit? Warum haben Sie Ihr Global abgeschaltet? Ich versuche schon seit einer Ewigkeit, Sie zu erreichen.”

„Hallo, Renee. Ich war ziemlich beschäftigt”, redete sich Kincaid heraus. Natürlich hatte er die Rufe auf seinem Global registriert. „Wir untersuchen gerade den Mord an einem Taelon. Sie haben doch sicher schon davon gehört.”

„Ja, das habe ich”, sagte sie. „Es dauert sicher nicht mehr lange und die Presse kriegt Wind von der Sache. Ein heftiger Schlag für unseren guten Zo'or. Da hat er sich mal gerade ins rechte Licht gerückt - und nun das.”

„Er wird auch hierfür die passende Erklärung finden.”

„Liam”, sagte Renee, „ich habe jetzt gerade nicht allzuviel Zeit. Konnten Sie schon etwas über die gestohlenen Artefakte herausfinden?”

„Wie denn?” gab er nicht gerade freundlich zurück. „Denken Sie, daß irgendein Taelon im Moment daran interessiert ist, mit mir eine Plauderstündchen über alte Artefakte zu halten?”

„Oh”, machte Renee vielsagend. Sie prüfte den Sitz ihres elegantes Kostüm. „Zo'or muß Sie ziemlich unter Druck setzen, wenn Sie so gereizt reagieren. Nun - , ich bin gerade auf dem Weg zu Augur. Er ist mir noch einen kleinen Gefallen schuldig. Vielleicht kann er herausfinden, ob die Artefakte schon auf dem Schwarzmarkt angeboten werden.”

Liam rieb sich verlegen das Kinn. „Tut mir leid”, murmelte er.

„Schon gut.” Sie legte ihm kurz die Hand auf die Schulter und sah ihm tief in die Augen. „Melden Sie sich einfach bei mir, wenn Sie wieder etwas Luft haben.”

 
* * *
 

Da'an war in die Botschaft zurückgekehrt und stand nun vor seinem thronartigen Stuhl. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Für einen Außenstehenden mochte der Eindruck entstehen, als ob er verärgert sei und sich weigerte, mit ihr zu sprechen. Aber Jemen kannte diese Verhaltensweisen von Di'mag, und deshalb wußte sie, daß der Schein trog. Vielmehr beunruhigte sie, daß er zweimal vor ihr geflohen war. Allerdings war es reine Zeitverschwendung, daß sie darüber nachdachte, da sie für die Companions nicht mehr arbeiten würde. Dennoch zögerte sie. Wenn sie ging, war es endgültig. Dann gab es kein Zurück mehr. Keine Möglichkeit, ihre Aufgabe zu erfüllen.

Da'an warf ihr einen kurzen Blick über die Schulter zu, fragend und auf eine gewisse Weise fordernd.

Fühlt er es? fragte sie sich. Konnte er die Präsenz des Unmöglichen wahrnehmen? Oder spürte er nur ihre innere Zerrissenheit?

Er schaute wieder nach vorn, noch immer schweigend. Die Stille zwischen ihnen begann bedrückend für Jemen zu werden, und sie begriff, daß sie eine Entscheidung treffen mußte. Jetzt und hier. Entschlossen sagte sie: „Leben Sie wohl, Da'an.”

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet”, sagte er sanft, ohne sich umzudrehen.

Verwirrt hielt sie inne, und einen irrationalen Augenblick lang glaubte sie, er sei in ihre Gedankenwelt eingedrungen. Unwillkürlich hielt sie den Atem an.

Der Taelon wandte sich ihr jetzt zu und machte ein paar Schritte auf sie zu, ihr die Handfläche entgegenstreckend. Es war eine Geste, die sowohl Geben als auch Nehmen bedeuten konnte. Oder - und dieser Gedanke ließ sie erschauern - die Aufforderung zu einer mentalen Verbindung. Sie war derart schockiert, daß sie ihn nur wie gelähmt anstarrte, obwohl alles in ihr schrie, die Flucht zu ergreifen. Wenn er eine Verbindung mit ihr einging, würde er alles erfahren, alles...

 

Ende von Kapitel 2

 

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