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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite),   November 2002
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Während Liam und Da'an auf der Raumstation mit unerwarteten Problemen zu kämpfen haben, geraten Sandoval und der Jaridian Go'rik in tödliche Gefahr.
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Liam, Da'an, Sandoval, Go'rik, Ra'nun, Ke'rak, eine jaridianische Ärztin
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 17

 

Liam war der Rampe gefolgt, die ihn auf eine tiefere Ebene der Raumstation brachte. Da'ans Ermahnung, nichts anzufassen, klang ihm noch in den Ohren und ließ ihn unwillig die Lippen schürzen. Tatsächlich gab es da aber nichts, was einer intensiveren Untersuchung wert war. Die Wände bestanden aus dem selben Material wie auf dem Schiff, nur dass es hier viel heller wirkte; stellenweise war es sogar grau. Durchsichtige Röhren verbanden die Wände untereinander, aber es war nicht ersichtlich, welchem Zweck sie dienten. Liam hatte gehofft, weitere Räume zu finden, die ihm Aufschluss über die Größe der Raumstation gaben. Aber er fand nicht einen einzigen Durchgang. Die gesamte untere Ebene schien überhaupt keinen besonderen Zweck zu dienen. Unzufrieden starrte er in den dunklen Weltraum, während er ihre seltsame Lage bedachte. Mit einem Male nahm er eine leichte Irritation im virtuellen Glas wahr. Sie war nur erkennbar, wenn man indirekt hinsah. Es schien, als würden sich verschiedene Phasen des Kraftfeldes überlappen und eine Verzerrung bilden. Sobald er seinen Blick darauf konzentrierte, verschwand die Störung. Zunächst glaubte er, mit seinen Augen würde etwas nicht stimmen. Er sah sich in dem großen Raum um, fokussierte seinen Blick auf bestimmte Stellen und prüfte dadurch sein Sehvermögen. Alles war normal erkennbar. Doch sobald er sich dem virtuellen Glas zuwandte, bemerkte er wieder die seltsame Verzerrung. Entweder gab es dort etwas, dass seine Wahrnehmung beeinflusste oder es lag tatsächlich eine Störung vor. Besorgt stieg er wieder die Rampe hinauf, um Da'an zu informieren. Der Taelon unterbrach sofort seine Arbeit, um sich selbst ein Bild zu machen. „Ich habe so etwas schon befürchtet”, sagte er nach einer Weile. „Die Station wurde mit einer Minimalenergie betrieben, um sowohl den Tarnschild zu stabilisieren als auch die Station an ihren gegenwärtigen Platz zu halten. Aber offensichtlich war nicht vorgesehen, diesen Zustand über einen längeren Zeitraum zu halten.”

„Könnte das für uns gefährlich werden?”

„Es ist mir bisher noch nicht gelungen, ein ausreichendes Energiepotential zu erreichen”, antwortete Da'an ausweichend und kehrte in das Labor zurück.

Liam folgte ihm. „Ma'el hatte wohl erwartet, dass wir diese Station früher entdeckten”, bemerkte er ironisch. „Und das wäre ja wohl der Fall, wenn sich die Taelons etwas aufgeschlossener gezeigt hätten.”

„Sie können sich Ihre Spitzfindigkeiten ersparen”, sagte der Taelon und warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Ihr ‚Was wäre wenn’ nützt uns nämlich nicht viel.” Er eilte zwischen den einzelnen Stationen hin und her. Seine Handgriffe wirkten präzise, aber es war offensichtlich, dass er unter Zeitdruck stand.

„Kann ich Ihnen helfen?” bot sich der junge Beschützer an.

„Ich wüsste nicht, wie”, erwiderte Da'an. „Sie kennen sich mit dieser Art Taelon-Technologie nicht aus. Das hier sind keine Modifikationen, Liam, so wie Sie sie vom Mutterschiff kennen.” Er legte seine Hand auf die Konsole und schien sich zu konzentrieren, denn ein blaues Leuchten durchlief seinen Körper. Die Konsole geriet plötzlich in Bewegung. Ein Teil von ihr schien sich zu verselbständigen und bildete im unteren Bereich eine Platte, die sich dann in eine Art Stuhl transformierte. Der Taelon nahm darauf Platz. Seine Hände umschlossen kugelförmige Auswüchse. Fast übergangslos nahm er seine natürliche Form an.

Liam sah ihm mit gemischten Gefühlen zu. Mit wem oder was kommunizierte Da'an? Mit der Station? Wenn sie dem grundsätzlichen Muster des Mutterschiffes entsprach, musste es sich ebenfalls um einen lebenden Organismus handelt. Erhoffte er sich vielleicht Rückschlüsse auf ihren Gesamtzustand oder suchte er nur nach den Fehlerquellen im System? Liam schwankte zwischen Faszination und Unbehagen.

Da'an blieb nur wenige Minuten in dem Kontakt. Dann beendet er die Verbindung. Der Stuhl verschmolz wieder mit der Konsole, während er selbst wieder sein menschliches Aussehen annahm. Erneut begann er, zwischen den einzelnen Stationen zu wechseln, Daten abzurufen, zu vergleichen und Korrekturen vorzunehmen.

Liam kam sich überflüssig vor. Er hasste es, derart untätig dabeistehen zu müssen. „Glauben Sie, dass Sie die Probleme in den Griff kriegen?” fragte er nach einer Weile.

„Ich denke schon”, erwiderte Da'an abwesend. „Ich habe das System veranlasst, eine Selbstdiagnose zu starten. Es ist in der Lage, selbständig Fehler zu entdecken und gegebenenfalls mit den alten Protokolldateien zu überschreiben.”

„Aber uns bleibt nicht mehr viel Zeit, nicht wahr?” Liam wurde langsam nervös, und das blieb dem Taelon nicht verborgen. „Warum sehen Sie sich nicht ein wenig um?” schlug er deshalb vor.

„Das habe ich bereits. Aber hier scheint es nirgends eine Tür oder einen Durchgang zu geben. - Lassen Sie mich Ihnen doch helfen, Da'an. Es muss doch etwas geben, worin ich Sie unterstützen kann, selbst wenn es nur die Überwachung irgendwelcher Daten ist.”

„Tatsächlich helfen Sie mir am besten, wenn Sie mich meine Arbeit machen lassen. Ich schlage vor, dass Sie noch einmal nach einer Möglichkeit suchen, Zutritt zu den anderen Ebenen zu erlangen.”

„Aber ich habe Ihnen doch gerade erklärt, dass das nicht möglich ist”, sagte Liam und musste sich zwingen, nicht unhöflich zu werden. „Also kann ich mir das auch sparen.”

Da'an berührte seinen jungen Beschützer am Arm und bemerkte, wie sich dieser versteifte. „Bitte”, sagte er nun beinahe sanft. „Wenn wir das Portal nicht mehr benutzen können, benötigen wir Alternativen. Es war Ma'els Absicht, dass Menschen und Taelons kooperieren müssen, um auf dieser Station etwas zu erreichen. Lassen Sie uns damit beginnen.”

Liam runzelte missmutig die Stirn, wohl wissend, dass er diesem Argument nichts entgegenzusetzen hatte. „Also gut, ich werde es noch einmal versuchen”, sagte er und verließ das Labor. Hastig wandte sich Da'an wieder der nächsten Konsole zu. Eine Weile konnte er seinen Beschützer auf diese Weise beschäftigen, aber schon bald würde dieser wieder erscheinen, und dann musste er sich etwas Besseres einfallen lassen, um ihn auch weiterhin von den Kontrollsystemen und Datenbanken fernzuhalten. Wahrscheinlich blieb ihm sogar nichts anderes übrig, als Liam den Zutritt zu den anderen Räumen zu ermöglichen. Da'an betrachtete aufmerksam die grafische Darstellung der Raumstation. Je länger er die einzelnen Bereiche studierte, um so mehr verdichtete sich in ihm ein ganz bestimmter Gedanke. All das hier war nur zu einem einzigen Zweck erschaffen worden: Ma'els Nachlass zu bewahren. Zudem war das Labor so konzipiert worden, dass es sowohl von Taelons und Menschen genutzt werden konnte, und Liam würde das sicher bald erkennen.

Da'an trat an die gegenüberliegende Konsole und prüfte den Status der Systemdiagnose. Es beruhigte ihn keineswegs, dass keine Fehlermeldungen vorlagen, denn noch immer hatte er nur einen begrenzten Zugriff auf die Systemkontrollen. Nachdenklich betrachtete er die Zeichen, die in kontinuierlicher Folge über den Bildschirm wanderten. Verschlüsselte Codes, basierend auf einem alten wissenschaftlichen Idiom, der, wie die wissenschaftliche Kaste immer ausdrücklich betont hatte, ausschließlich dazu diente, heikle Daten vor einem feindlichen Zugriff zu schützen. Aber Da'an wusste ebenfalls, dass auf die Weise auch Forschungsprojekte vor dem Gemeinwesen verborgen wurden. Jede Kaste hatte ihre eigene Methoden, spezielle Informationen nur den jeweiligen Mitgliedern zugänglich zu machen. Allerdings erschien es ihm seltsam, dass Ma'el auf diese Weise das System gesperrt haben sollte. Warum verlangte er einen derartigen Aufwand, der zweifelsohne erforderlich wäre, da man zunächst einen entsprechenden Wissenschaftler, der das alte Idiom beherrschte, ausfindig machen und zur Station bringen musste?

Da'an wandte sich ab und ließ seinen Blick durch das Labor schweifen, bis er das Energiegitter erreichte. Das unstete Leuchten der Matrix war in ein beständiges Pulsieren übergegangen. Aber die eigentlichen Probleme begannen erst. Die für den normalen Betrieb benötigte Energie war so gut wie aufgebraucht und reduzierte sich zusätzlich durch den Online-Modus der Kontrollen. Was er brauchte, war ein bisschen mehr Spielraum, damit er sowohl nach den Manuskripten suchen als auch den Zugriff auf den Hauptcomputer und sämtliche primären Unterprogramme vorantreiben konnte, wobei letztgenanntes vorrangig behandelt werden musste. Mit dem Zugriff war alles verknüpft, die internen Energiereserven ebenso wie das Portal und das Kraftfeld. Systematisch ging er die Möglichkeiten durch, die ihm blieben. Die Deaktivierung des Tarnschildes schied nach reiflicher Überlegung aus. Es erschien ihm zu riskant, die Existenz der Station preiszugeben. Dabei war weniger der Umstand ausschlaggebend, wie die Menschen darauf reagierten. Da'an war überzeugt, dass sich mit ein wenig diplomatischem Geschick eine drohende Krise hätte abwenden lassen. Notfalls hätte man etwas nachgeholfen, um die Gemüter zu beruhigen - mit der Offerierung neuer Technologien zum Beispiel. Dank ihrer Neugierde und dem natürlichen Begehren, das eigene Wissen ständig zu erweitern und sich neue Erkenntnisse anzueignen, sowie einer gewissen latent vorhandenen Bestechlichkeit, war die Menschheit wesentlich einfacher zu beeinflussen als manch andere Spezies. Wichtig war nur, dass man ihnen etwas anbot, was einen gewissen Reiz darstellte und dem sie nicht widerstehen konnten. Viel unsicherer waren dagegen die Reaktionen seiner eigenen Artgenossen, wenn sie von der Station erfuhren. Ma'el nahm in der Geschichte ihres Überlebenskampfes zweifelsohne eine besondere Stellung ein. Von Zo'or als Träumer verachtet, verehrt und bewundert von vielen Wissenschaftlern, war sein Name ein Synonym sowohl für die Rettung als auch für den Untergang. Mit der Suche nach seinen Manuskripten verknüpfte ein großer Teil des Gemeinwesens noch immer eine letzte verzweifelte Hoffnung, dem Unausweichlichen doch noch zu entkommen.
Aber hatte Ma'el mit dem Bau der Raumstation und seiner Verheimlichung tatsächlich im Sinne der Gemeinschaft gehandelt? Wer waren die Taelons, die ihn dabei unterstützten und dabei ein enormes Risiko eingingen? Verbarg sich dahinter womöglich eine Verschwörung ungeahnten Ausmaßes? War Ma'el am Ende der Schutz der menschlichen Spezies wichtiger gewesen als das Überleben der eigenen Art? Das waren schwerwiegende Fragen, die das ohnehin labile Gefüge des Gemeinwesens in seinen Grundfesten erschüttern konnte. Da'an spürte, dass selbst er sich nicht von jedem Zweifel freisprechen konnte. Wie mochte es dann den anderen ergehen? Unter diesen Umständen wäre es geradezu fatal, Ma'els Geheimnis zu offenbaren, zumal die Synode derzeit nicht die erforderliche Kraft und Stärke besaß, um eine solche Krise zu bewältigen.

Die nächste Möglichkeit, die sich Da'an bot, Energie einzusparen, war das Ambientesystem, das auf menschliche Bedürfnisse eingestellt war und für atembare Luft und angenehme Temperaturen sorgte. Hier gab es keine Zugriffsbeschränkung. Offensichtlich wollte Ma'el eine Gefährdung der Menschen, die sich einmal auf der Raumstation aufhielten, von vornherein ausschließen. Wärest du hinsichtlich der Energieversorgung nur ebenso sorgsam vorgegangen, dachte der Taelon und begann die Temperatur zu senken. Ein paar Grad weniger würden Liam nicht schaden. Die Einsparung war zwar minimal, aber vorerst musste er sich damit begnügen. Erneut rief er graphische Informationen der einzelnen Systeme ab. Wahllos wechselte er von einem Diagramm zum anderen, erhoffte sich eine Inspiration, irgend etwas, das ihm weiterhalf.

In diesem Augenblick betrat Liam das Labor. „Wieder nichts. Wenn es dort unten Durchgänge gibt, dann bleiben sie mir auf jeden Fall verborgen.” Frustriert schob er die Hände in die Hosentasche.

„Wir werden uns diesem Problem später widmen”, erwiderte Da'an, ohne von der Konsole aufzuschauen. Mehr sagte er nicht.

„Hatten Sie wenigstens Erfolg?” fragte Liam nach einer Weile und eigentlich auch nur, um überhaupt etwas zu sagen. Er kannte weder die genauen Einzelheiten ihrer Probleme, noch gab es für ihn eine Möglichkeit, an einer Verbesserung mitzuarbeiten, und das war noch frustrierender als sein vergeblicher Rundgang.

„Nur zum Teil”, erklärte der Taelon.

„Aha.” Der junge Beschützer marschierte unruhig auf und ab. „Das kann man sowohl positiv als auch negativ sehen.”

„Liam, Sie machen mich nervös, wenn Sie hin und her laufen. Wie soll ich mich da auf meine Arbeit konzentrieren?”

„Na, Sie haben wenigstens etwas zu tun!”

„Dann beobachten Sie inzwischen das Kraftfeld.”

„Das ist stabil. Die Fluktuationen sind noch da, haben sich aber nicht verstärkt.” Stöhnend fuhr er sich durch das Haar. „Verdammt, Da'an, ich kann doch nicht einfach nur untätig herumstehen. Ich habe die ganze untere Etage Zentimeter für Zentimeter abgesucht, nur um das Gefühl zu haben, etwas Sinnvolles zu tun. Das einzig Auffällige da unten sind die Farben der Wände, die langsam zu verblassen scheinen ...”

„Die Station konzentriert ihre Energie auf den Kern”, murmelte Da'an abwesend. „Eine normale Reaktion ...” Er unterbrach sich plötzlich und richtete sich überrascht auf. Sein Blick fuhr zwischen dem Energiegitter und der Konsole hin und her. Offensichtlich hatte er eine Idee. Doch entweder war sie sehr kühn oder er bezweifelte ihre Effektivität, denn in seinem Gesicht zeigten sich die widerstrebendsten Gefühle. Gespannt wartete Liam ab.

Die ureigenste Lebenskraft der Station stellte eine unabhängige Energiequelle da, die an einer keinerlei Systemkontrolle gebunden war. Sie war nicht dafür vorgesehen, etwas anderem als der eigenen Versorgung zu dienen, und normalerweise war das auch nicht notwendig. Aber diese besonderen Umständen erforderten besondere Maßnahmen, und Da'an war fest entschlossen, nichts unversucht zu lassen. Er wusste nicht, ob sein Plan überhaupt funktionieren würde, denn es gab keinerlei Erfahrungswerte, auf die er sich stützten konnte. Zudem war es nur ein Notlösung. Die drohende Katastrophe konnte er dadurch lediglich hinauszögern. Die natürlichen Reserven der Station würden die nächsten Stunden überbrücken, bevor ein kritisches Level erreicht wurde und sie in einen schockähnlichen Zustand verfiel, was zur Folge hatte, das sämtliche Systeme automatisch heruntergefahren wurden, um einen bleibenden Schaden oder gar den völligen Zusammenbruch zu vermeiden. Aber es würde ihnen den notwendigen Spielraum verschaffen.

 
* * *
 


Vorsichtig bewegte sich Sandoval den schmalen Vorsprung entlang. Schweiß lief ihm den Rücken herunter und verursachte unter der Jacke ein unangenehmes, juckendes Gefühl. Er versuchte es zu ignorieren, indem er beharrlich auf den vorausgehenden Jaridian achtete. Eine falsche Bewegung nur und ... Nervös schielte er nach dem Abgrund. Wenn er sich wenigstens mit einer Hand an der Felswand hätte abstützen können. Aber mit seinem noch immer gefühllosen Arm war das nicht möglich. Seine einzige Sicherheit war ein ruhiger gleichmäßiger Schritt und ein ständiger Blick nach vorn, um vorbereitet zu sein, sollte sein Begleiter auf die Idee kommen, ihn überraschend anzugreifen. Allerdings bewegte sich Go'rik ebenfalls unsicher und griff immer wieder Halt suchend nach dem Felsen.
Nachdem sie den Pfad passiert hatten, gönnte sich der Asiate eine kleine Pause. Der Jaridian sagte zwar kein Wort, aber Sandoval war überzeugt, dass er insgeheim belächelt wurde. Belächelt deshalb, weil er sich durch die gezückte Waffe die Situation zusätzlich erschwerte. Tatsächlich war er alles andere als begeistert über seinen Vorteil, der sich nun eindeutig in einen Nachteil gewandelt hatte. Vielleicht wäre der Versuch einer kooperativen Zusammenarbeit wirklich effektiver gewesen, statt sich nun gegenseitig zu belauern. Aber im Nachhinein machte es wenig Sinn, darüber nachzudenken. Er hatte sich die ihm bietende Gelegenheit genutzt, weil er sich in dem Moment den größten Nutzen davon versprochen hatte. Wie hätte er ahnen können, dass ein Defekt am Shuttle sie zwingen würde, die Suche zu Fuß fortzusetzen, noch dazu in diesem unwegsamen Gelände!

Sandoval sah zu dem Jaridian hinüber, der ruhig und mit geschlossenen Augen gegen die Felswand lehnte. Er wirkte eher besonnen als aggressiv. Doch wer konnte schon sagen, welche Gedanken einem Wesen wie ihm durch den Kopf gingen. Der FBI-Agent richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung und stellte fest, dass ein neues Problem auf ihn wartete. „Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, dürfte es bald dunkel werden”, wandte er sich an den Krieger. „Es wäre ausgesprochen leichtsinnig, wenn wir uns dann noch in dieser Felsenwand befinden würden.”

„Es wäre leichtsinnig, sich überhaupt nachts in den Schluchten aufzuhalten”, sagte der Krieger. Die Art, wie er dies betonte, ließ in Sandoval ein ungutes Gefühl aufsteigen. Aber er verzichtete darauf, Einzelheiten zu erfragen. „Nun, dann sollten wir unseren Weg vielleicht fortsetzen.”

Go'rik nickte. Bevor er sich jedoch in Bewegung setze, deutete er auf den Strahler in Sandovals Hand. „Ich rate Ihnen, die Waffe wegzustecken. Das nächste Stück ist nicht ganz ungefährlich.”

Nicht ganz ungefährlich? wiederholte der FBI-Agent in Gedanken. War das andere etwa ein gemütlicher Spaziergang? Er versuchte seitlich an dem Jaridian vorbeizusehen, um eine Vorstellung von dem Schwierigkeitsgrad des neuen Pfades zu bekommen, aber Go'rik war zu groß und zu massig und versperrte ihm das Blickfeld. Einige Sekunden lang bedachte er die Empfehlung des Kriegers und entschied sich dann dagegen - vorläufig. Es erschien ihm einfach zu riskant, die Waffe wegzustecken. Sie war vielleicht das einzige, was den Jaridian davon abhielt, ihn zu packen und in die Tiefe zu stoßen.

Go'riks Hinweis auf das „nicht ganz ungefährliche” nächste Stück war eine Untertreibung, und zum ersten Mal empfand der Asiate wirkliche Angst, als er den schmalen Sims sah. Der natürliche Vorsprung aus rotbraunem Kalkstein war nicht ganz einen halben Meter breit und fiel zum Rand hin ab. Es war nicht möglich, ihn vorwärts zu begehen. Der unebene Untergrund ließ keinen ruhigen, gleichmäßigen Schritt zu, und schon ein relativ leichter Stoß gegen die Seitenwand konnte sie derart aus dem Gleichgewicht bringen, dass sie sofort abstürzen würden. Ihnen blieb also nichts anderes übrig, als seitlich zu gehen. Während Go'rik ohne Zögern den Sims in Angriff nahm, brauchte der FBI-Agent ein wenig länger, um sich dazu durchzuringen. Es fehlte ihm weniger an Mut, vielmehr beschlich ihn das dumpfe Gefühl, eine Dummheit zu begehen. Allerdings hatte er keine andere Wahl, denn der Rückweg konnte sich als ein noch viel größerer Fehler herausstellen. Immerhin hatte er dann den Jaridian im Rücken, musste sowohl auf den Weg nach vorn achten als auch damit rechnen, dass ihn der Außerirdische angriff.

Go'rik beschäftigte sich mit ähnlichen Gedanken. Ihm waren die Canyons bestens vertraut. Mit seinen Gefährten hatte er sie mehrfach durchquert, um in einem spielerischen Wettstreit Geschicklichkeit und Kraft zu messen. Jede Schlucht und jeder Berg besaß seinen eigenen Schwierigkeitsgrad und half ihnen so, ihre Fähigkeiten zu prüfen und zu schulen. Die Landschaft vermittelte den trügerischen Eindruck, dass sich hier nie etwas veränderte. Tatsächlich gab es aber sehr häufig kleinere Erdbeben, die die Felsen instabil werden ließen und Einbrüche zur Folge hatten. Es konnte sehr gut möglich sein, dass der Pfad, dem sie jetzt folgten, um auf das Hochplateau zu kommen, an irgendeiner Stelle unpassierbar wurde und sie zur Umkehr zwang. Go'rik begann sich insgeheim zu fragen, ob er ein zu großes Wagnis eingegangen war, den Menschen hierher zuführen. Zweifelsohne hatte er ihre Lage nicht wirklich bedacht. Wenn sie auf unerwartete Schwierigkeiten stießen, waren sie auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Aber das setzte Vertrauen voraus. Wie sollte er jemanden vertrauen, der die Waffe auf ihn richtete? Und würde wiederum der Mensch ihm vertrauen?

Der Jaridian blickte beharrlich nach vorn, als er sich langsam die Felswand entlang tastete, so als wollte er dem Menschen eine gewisse Sicherheit anbieten. Aber selbst wenn Sandoval gewollt hätte, er wagte längst nicht mehr, die Hand herunterzunehmen und die Waffe in das Holster zurückzustecken. Zentimeter für Zentimeter schoben sich beide vorwärts, bis sie das Ende des Sims erreichten und Go'rik in einen Spalt greifen konnte. Allerdings war es ein sehr unsicherer Halt. Zwischen ihm und dem nächsten Felsen klaffte ein tiefer, wenn auch nicht breiter Abgrund. Als geübter Kletterer wusste er sich jedoch zu helfen. Er stemmte den rechten Fuß gegen das gegenüberliegende Gestein und bekam so einen guten Stand. Das nächste Stück würde nicht so schwierig werden; es bot ausreichend Spalten und Löcher, um sich hochzuarbeiten. Außerdem war der Felsen nicht sehr steil.

Sandoval war seinem Blick gefolgt. Sein Gesicht war von der Anstrengung gerötet und glänzte vom Schweiß. Aus Furcht, das Gleichgewicht zu verlieren, hatte er sich dicht an die Wand gepresst. „Wir haben viel Zeit verloren”, stieß er hervor. „Schaffen wir es vor Einbruch der Nacht überhaupt?”

„Bis zum Plateau? Nein. Aber unterhalb dieses Felsen, auf der anderen Seite, befindet sich eine Art steinerner Bogen, der uns ziemlich nahe heran führt.”

Sandoval runzelte unsicher die Stirn. „Sagten Sie nicht, es sei zu gefährlich, nachts weiterzugehen?”

Der Jaridian musterte ihn. „Ein besonders gutes Gedächtnis scheint ihr Menschen nicht zu haben”, stellte er überrascht fest. „Ich sagte, es wäre leichtsinnig, sich überhaupt nachts in den Schluchten aufzuhalten.” Er deutete in Richtung Canyons, aber Sandoval wagte nicht, seinen Kopf zu drehen. „Damit meine ich, dass es dort unten relativ finster wird.” Go'rik befand seine Erklärung für ausreichend genug. Er drückte sich mit Schwung von dem Sims weg und griff geschickt in die natürlichen Vertiefungen des Felsens, um Halt zu finden. Ein kurzer Blick zur Orientierung - dann kletterte er behände weiter. Der FBI-Agent sah ihm neidvoll hinterher und bedachte dann seine eigene weniger günstige Situation. Leise stöhnte er auf.

Go'rik hatte etwa die Hälfte geschafft, als er sich daran erinnerte, dass er sich gegenüber dem Menschen im Vorteil befand, da er beide Hände zum Klettern benutzen konnte. Vorsichtig drehte er sich um und hielt Ausschau nach Sandoval. Der Asiate hatte sich langsam bis zum äußersten Punkt des Sims vorgearbeitet und stand nun vor dem klaffenden Abgrund. Unbewusst rutschte der Jaridian ein Stück nach unten, obwohl er dennoch zu weit entfernt war, um seinem Begleiter notfalls zur Hilfe zu kommen. Sandoval hatte zuvor den Jaridian genau beobachtet und trachtete nun danach, es ihm gleichzutun. Er versenkte Zeige- und Mittelfinger in dem Spalt, den Go'rik ebenfalls benutzt hatte, und brachte anschließend seinen Körper in die richtige Position. Dann stieß er sich mit dem gesunden Arm ab und nutzte den Schwung, um sein rechtes Bein auf die andere Seite des Loches bekommen. Einen kurzen Augenblick lang geriet er gefährlich ins Wanken, und er ruderte heftig mit dem Arm, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Der Jaridian hielt unwillkürlich die Luft an. Als er sah, dass keine unmittelbare Gefahr mehr bestand, seufzte er auf. Das wesentlich schwierigere Stück stand dem Menschen aber noch bevor, denn jetzt musste er Halt an dem Felsen finden, noch dazu mit einer Hand. Go'rik rutschte ein weiteres Stück nach unten. Es irritierte ihn, dass Sandoval nach wie vor den Strahler in der Hand hielt. Soviel Unvernunft erschien ihn einfach unmöglich. „Stecken Sie endlich die Waffe weg!” rief er. „Sie müssen gleich beim ersten Mal genügend Halt am Felsen finden, sonst stürzen Sie ab.”

Sandoval sah zwar kurz hoch, schien sich aber allein auf sich zu konzentrieren.

„Er ist verrückt”, knurrte der Jaridian fassungslos. „Er wird abstürzen.”

Sandoval verlagerte sein Gewicht ein wenig auf das linke Bein und wollte sich dann mit Schwung nach vorn katapultieren. In letzter Sekunde - Go'rik hatte sich unwillkürlich angespannt - steckte er die Waffe zwischen die Zähne. Dann stieß er sich ab und schnellte nach vorn. Seine Finger fanden Halt, ebenso seine Füße, so dass er sich anschließend ein Stück nach oben ziehen konnte. Wieder atmete der Jaridian tief durch. „Geben Sie mir Ihre Hand”, rief er und streckte Sandoval seine entgegen. Doch der schüttelte den Kopf und bedeutete ihm, weiter zu klettern. „Seien Sie nicht so unvernünftig!” sagte Go'rik, ärgerlich werdend. „Ich will Ihnen nur helfen.”

Abermals schüttelte der Asiate den Kopf, und zu allem Überfluss presste er sich gegen den Felsen und nahm die Waffe wieder in die Hand. In diesem Augenblick verlor Go'rik die Geduld. Ein gewisses Maß an Unvernunft konnte er tolerieren, dieser Mensch aber benahm sich derart töricht, dass er handeln musste. Schneller als Sandoval je für möglich gehalten hätte, kletterte der Jaridian ihm entgegen. Bevor er jedoch reagieren konnte, hatte ihm dieser den Strahler aus der Hand gekickt. Völlig fassungslos starrte er starrte er der Waffe nach, die in einem hohen Bogen durch die Luft sauste. „Vielleicht gebrauchen Sie jetzt endlich wieder Ihren Verstand”, knurrte ihn Go'rik an. „Ich hätte Sie längst töten können, wenn es mein Wunsch gewesen wäre.” Er hob kurz eine Hand. Die Energie des Shaqarava begann bereits wieder abzunehmen, aber der Anblick war noch immer respekteinflößend. Sandoval erbleichte. Er hatte den Jaridian nicht nur völlig falsch eingeschätzt, sondern durch sein Verhalten zusätzlich dafür gesorgt, dass ihn dieser für einen ausgesprochenen Narren hielt. Gedemütigt sah er zur Seite.

„Kommen Sie!” sagte Go'rik und bot ihm erneut die Hand. „Unser Weg ist noch nicht zu Ende.”

Es war gar nicht so einfach, gemeinsam den Felsen zu erklimmen. Der Jaridian konnte nicht Sandovals intakten Arm nehmen, denn der Mensch hatte anschließend nicht mehr die Möglichkeit, sich abzustützen und schlug mit der verletzten Schulter immer wieder gegen den Felsen. Aber auch der gelähmte Arm war keine wirklich Alternative. Go'rik packte ihn schließlich an der Jacke, und so kämpften sich beide nach oben.

War es die Erschöpfung, die sie ablenkte und weniger aufmerksam ihrer Umgebung gegenüber werden ließ?

Als Go'rik realisierte, das etwas nicht stimmte, war es bereits zu spät. Der Boden unter ihnen brach plötzlich weg. Der Jaridian ruderte wie wild mit den Armen, suchte verzweifelt nach einen Halt, bevor es ihn unwiderruflich in die Tiefe riss. Seine Finger ertasteten ein Stück Felsen, und er packte entschlossen zu. Der anschließende Ruck kugelte ihm fast den Arm aus. Voller Pein stöhnte er tief auf. Er konzentrierte sich auf seine andere Hand, aber er fand nichts, um sich festzuhalten. Immer wieder rutschte sie an dem glatten Felsen ab. Endlich fand er einen winzigen Spalt und bohrte seine Finger hinein. Seine Füße traten wiederholt ins Leere, aber er wagte nicht, nach unten zu sehen, weil er instinktiv spürte, dass sich dort nur ein riesiger Abgrund auftat. Go'rik schloss für einige Sekunden die Augen, um seine Gedanken zu ordnen und zu begreifen, was passiert war. Irgend etwas hatte den Felsen instabil werden lassen. Vielleicht ein Erdrutsch... Vorsichtig drehte er den Kopf zur anderen Seite und fühlte tiefe Erleichterung, als er den Menschen sah. Sandoval hatte ebenfalls in letzter Sekunde noch Halt gefunden. Aber in seinem Gesicht stand ein namenloses Entsetzen. Offensichtlich hatte er nicht mehr die Kraft, sich länger festzuhalten. Sein Absturz stand unmittelbar bevor. Es gelang dem Jaridian, ein Stück Klippe zu ergreifen und sich etwas höher zu ziehen. Seine Füße stießen gegen Felsen. Immer wieder ließ er sie über die raue Oberfläche gleiten, bis er eine geeignete Stelle fand, die ihm den notwendigen Halt gab. „Halten Sie durch!” rief er Sandoval zu. „Ich habe Sie gleich.” In diesem Augenblick begann der Asiate zu rutschen und drohte nun auch ihn mit in die Tiefe zu ziehen. Beherzt griff Go'rik zu. Wenn es ihm gelang, Sandoval dicht an sich zu ziehen, konnte er sie vielleicht beide halten. Aber der Mensch entglitt ihm, rutschte an seinem Körper herunter. Sandoval prallte mit dem Rücken auf einen Vorsprung. Sein gelähmter Arm geriet in einen Spalt, verkeilte sich dort und verhinderte so den drohenden Sturz. Go'rik schob rasch seinen Fuß unter das Bein des Asiaten und führte ihn so zur gegenüberliegenden Wand, bis Sandovals Stiefel auf einem kleineren Vorsprung zu liegen bekam. Durch dieses Manöver verlor er aber selbst seinen Halt und hing nunmehr an einem Arm mit dem Rücken zur Felswand. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seinen Fuß auf Sandovals Bein zu stellen. Erneut drohte ihr Unterfangen in eine Katastrophe zu enden. Sandovals gesunder Arm fand keinen Halt, da auf seiner Seite nur glatter Felsen war. „Geben Sie mir Ihre Hand!” stieß der Jaridian atemlos hervor. „Rasch!”

Die augenblickliche Gefahr war damit gebannt, aber langsam sickerte in ihr Bewusstein, in welcher prekären Lage sie sich befanden. Sofern Go'rik die Hand Sandovals losließ, würde dieser seitlich wegrutschen und in die Tiefe stürzen ... und Go'rik mit ihm. Aber wie lange konnten sie in dieser Position aushalten? Ein Teil seines Gewichtes ruhte auf dem Oberschenkel des Menschen, und an seinem gequälten Gesichtsausdruck konnte er erkennen, dass er ihm bereits jetzt große Schmerzen bereitete. Aber derzeit sah er sich außerstande, daran etwas zu ändern. Go'rik sah in den dunklen Augen Sandovals die Todesangst und wusste, dass der andere das gleiche in seinen Augen sah.

 
* * *
 


„Ich weiß nicht ...” Unentschlossen starrte Ke'rak auf die Tür, hinter der sich ihr Anführer momentan aufhielt. „Er wird uns die Erlaubnis nicht geben.”

„Er muss!” Die Stimme der weiblichen Jaridian an seiner Seite klang trotzig und zugleich fest entschlossen. „Zumindest werde ich mich nicht mit der Erklärung begnügen, dass Go'rik auf sich selbst aufpassen kann. Er hätte schon vor Stunden hier sein müssen. Da ist etwas passiert, Ke'rak. Das spüre ich genau.”

„Mehr als wir müsste Ra'nun doch spüren, wenn etwas mit Go'rik nicht stimmen würde”, erwiderte Ke'rak und musterte die Ärztin. Sie war nicht gerade das, was man unter einer attraktiven Weiblichen verstand, und ihr fehlte es auch an einer gewissen Motivation, einen Männlichen für sich zu interessieren. Die meisten hielten sie für langweilig, weil sie ihre Forschungen dem geselligen Beisammensein vorzog. Aber Ke'rak sah sie mittlerweile mit anderen Augen. Seit Ra'nun verstärkt seine Fähigkeiten als Techniker benötigte, ergab es sich zwangsläufig, dass sie häufiger miteinander zutun bekamen. Sehr schnell erkannte er, dass sich hinter ihrer Verschlossenheit ein überaus reger Verstand verbarg.
Sich mit einer Weiblichen körperlich und geistig zu messen, besaß einen nicht unerheblichen Reiz und war meist ein erster Prüfstein für eine mögliche ernsthafte Bindung. Aber aus einem unbestimmten Grund war Ke'rak überzeugt, dass diese Art der gegenseitigen Eroberung nicht auf die Zustimmung der Ärztin stoßen würde. Um ihr zu imponieren, bedurfte es schon mehr, und das fand er sehr viel reizvoller. Ke'raks Blick glitt beinahe zärtlich über den Körper der Jaridian. Ihre schmale Statur vermittelte den Eindruck von Zerbrechlichkeit, aber sie war alles andere als schwach. Wo die Kraft der Muskeln fehlte, setzte sie die Geschicklichkeit ihres Körpers ein und damit war sie im Ernstfall ein ebenso verlässlicher Kamerad wie alle anderen.

„Ra'nun und Go'rik sind beide sehr große Sturköpfe”, sagte die Ärztin und riss den Techniker aus seiner Versunkenheit. Er bemerkte das warnende Funkeln in ihren Augen, und ihm wurde schlagartig bewusst, dass er die Grenze des Erlaubten überschritten hatte. Verlegen wandte er sich wieder der Tür zu. Offensichtlich trug sie ihm jedoch sein Benehmen nicht nach, denn sie sprach völlig ruhig weiter. „Aus Furcht, er könne sich Go'riks Unwillen zuziehen, riskiert er das Leben seines ... Gefährten.” Ursprünglich hatte sie ein anderes Wort gewählt, eines, dass die intensive Nähe der beiden beschrieb. Aber sie sprach es nicht aus.

„Es steht uns nicht zu, über die Freundschaft der beiden zu urteilen”, wurde sie von dem Techniker kritisiert.

„Das war auch nicht meine Absicht”, beeilte sie sich zu sagen. „Ich verstehe nur nicht, dass Ra'nun uns seine Einwilligung verweigert, wenn ihm Go'rik so viel bedeutet...”

„Gerade weil er ihm viel bedeutet”, betonte Ke'rak. „Go'rik ist ein sehr stolzer Krieger, der es als Schande empfände, wenn sich jemand seinetwegen aufmachte, um ihm zu Hilfe zu kommen.” Erneut betrachtete er die Tür zum Labor. Die Ärztin schien zu ahnen, dass er kurz davor war, die ganze Sache abzublasen. Rasch sagte sie: „Stolz? Ich sehe da nichts, das ehrenvoll wäre. Außerdem ist Ra'nun kein Jaridian. Wie will er da erkennen können, welches Verhalten angemessen und welches töricht ist? - Nun, wie dem auch sei ... Wenn es dir unangenehm ist, Ra'nun ein weiteres Mal zu bitten, unseren Kameraden suchen zu dürfen, dann sag es frei heraus und gehe, anstatt mich aufzuhalten. Ich werde Go'rik auf jeden Fall nicht im Stich lassen, gleichgültig wie Ra'nuns Antwort lauten wird. Selbst wenn ich seinen Anordnungen zuwiderhandeln und mich heimlich auf dem Weg machen müsste.”

Ke'rak erkannte, dass er in der Zwickmühle saß. Die Anordnungen der Führenden zu missachten, war ein schwerwiegender Delikt. Auch wenn es hier auf Muruwi keine militärische Erfordernis gab, so war die Hierarchie doch geblieben. Ein Verstoß musste geahndet werden, damit das empfindsame Gefüge ihrer Gemeinschaft nicht zusammenbrach. Wenn er jedoch im Sinne eines gehorsamen Gefolgsmannes handelte, würde er zwangsläufig in den Augen der Ärztin wie ein Feigling dastehen. Und selbst wenn nicht, so war sein Rückzug zumindest nichts, um sie für sich einzunehmen. Und irgendwie war in ihm der vage Verdacht entstanden, dass die Ärztin an Go'rik ein Interesse hatte, das über das übliche Maß hinausging. Wenn er seine eigenen Chancen nicht völlig zunichte machen wollte, musste er jetzt das Risiko eingehen.

Fest sah er der Jaridian in die Augen. „Keiner lässt einen der Unseren im Stich”, sagte er würdevoll. Dann betätigte er den Türöffner an der Seitenwand. Ra'nun, der mitten im Labor stand, wandte sich ihnen augenblicklich zu. Bevor sie jedoch etwas sagen konnten, hob er die Hand, „Ihr habt ja recht. Ich kann nicht länger ignorieren, dass Go'rik überfällig ist. Es muss etwas Unerwartetes passiert sein, sonst hätte er sich schon längst gemeldet.”

Die Ärztin drehte sich augenblicklich um und wollte schon losstürmen, bemerkte dann aber, dass Ke'rak zögerte und blieb stehen. „Wo sollen wir ihn suchen?” fragte der Techniker.

„In den Schluchten.”

Der Jaridian überlegte kurz. „Es wird bald dunkel. Da wird es schwierig werden, ihn zu finden.”

„Wir benutzen die Suchscheinwerfer des Shuttles”, warf die Ärztin ein. „Nun komm schon, Ke'rak!” fügte sie ungeduldig hinzu. „Wir wollen nicht noch mehr Zeit verlieren.”

„Einen Augenblick noch”, sagte Ra'nun. „Go'riks Schwierigkeiten sind vermutlich nur technischer Art. Aber er hatte diesen Menschen dabei, über den wir nicht viel wissen und ein weiterer befindet sich bei dem Taelon. Ihr könntet also auf eine unerwartete Situation stoßen. Go'riks Sicherheit geht vor und eure selbstverständlich auch, aber Sinn und Zweck dieser ganzen Unternehmung ist, diesen Taelon zu finden und hierher zu bringen.”

Die beiden Jaridian wechselten einen überraschten Blick. Sie hatten in der Aufregung die Existenz der Fremden ganz vergessen. „Wir werden Unterstützung brauchen”, meinte Ke'rak. Er hatte sich auf die Reparatur des Shuttles eingestellt, nicht aber auf die Jagd nach einem Taelon und zwei fremden Wesen, die ihm nicht besonders geheuer waren. Als er nach seinem Kommunikator griff, trat die Ärztin an seine Seite und berührte ihn unauffällig, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Als er irritiert aufschaute, stellte sie sich so, dass Ra'nun ihr Gesicht nicht sehen konnte, und flüsterte eindringlich: „Der nächste Energietransfer muss in Kürze stattfinden.”

Der Techniker verstand sofort. Mit Go'rik würden sie bereits drei sein, die in der Kolonie fehlten. Jeden, den sie für die Suche abzogen, bedeutete für die anderen eine zusätzliche Last. Unter diesen Umständen würde Ra'nun den Transfer hinauszögern. Er war aber bereits erheblich geschwächt, und die Ärztin befürchtete, dass er ein zu hohes Risiko einging. Sie alle waren sich der besonderen Schwierigkeit ihrer Situation auf Muruwi bewusst. Aus freien Stücken hatten sie sich damals für Ra'nun und seine Gefährten entschieden, und mittlerweile hatte sich daraus eine wirkliche Verbundenheit entwickelt. Deshalb empfanden die Jaridian ihr Tun auch nicht als Opfer, sondern als unabdingbaren Bestandteil zum Wohle ihrer Gemeinschaft. Obwohl Ra'nun seinerzeit das Angebot der Jaridian angenommen und damit mögliche Konsequenzen ebenfalls akzeptiert hatte, war es ihm noch immer unerträglich, wenn andere ihretwegen in Gefahr gerieten.

Ke'rak nickte der Ärztin dankbar zu. Er hätte sich später große Vorwürfe gemacht, wenn seinetwegen der Energietransfer verschoben worden wäre. „Da wir die Suche ohnehin nur vom Shuttle aus vornehmen können, hat es eigentlich wenig Sinn, wenn wir noch jemanden mitnehmen”, sagte er, und schob den Kommunikator zurück in die Halterung. „Wir können ja Verstärkung anfordern, sollte es notwendig werden.”

„Wie du meinst. Ich verlasse mich da ganz auf euer Urteilsvermögen.”

„Ich schätze, wir werden Go'rik sehr schnell finden. Es wäre ja nicht das erste Mal, wenn die Kommunikationsanlage des Shuttles ausgefallen wäre. Wahrscheinlich wartet er schon ungeduldig auf uns.” Ke'rak zeigte sich derart optimistisch, dass er von der Ärztin einen energischen Rippenstoß erhielt, mit der deutlichen Ermahnung, nicht so zu übertreiben.

„Dann rechnet nicht mit einer allzu freudigen Begrüßung”, scherzte Ra'nun. Er wandte sich von ihnen ab und trat vor einen Überwachungsschirm. „Ich werde mit euch in Verbindung bleiben”, sagte er und stützte sich mit der Hand an einer dicken Verbindungsstrebe ab, so als wollte er der Darstellung auf dem Monitor einer besonders intensiven Untersuchung unterziehen. Die Jaridian erschrak, als ihr bewusst wurde, dass er sich in einem weitaus schlechteren Zustand befand, als sie angenommen hatte. Besorgt wandte sie sich Ke'rak zu. „Ich kann ihn jetzt unmöglich allein lassen. Er braucht umgehend meine Hilfe”, raunte sie ihm zu, „Denkst du, dass du ohne mich zurechtkommst?”

Ke'rak hatte Ra'nuns Schwäche ebenfalls bemerkt. „Mach dir keine Gedanken”, beruhigte er sie. „Ich werde Go'rik finden und ihn schnellstens zurückbringen.” Es klang wie ein Versprechen.

 
* * *
 


Liam hatte keinen blassen Schimmer, was Da'an beabsichtigte, aber je länger sein Blick zwischen dem Energiegitter und dem in Gedanken versunkenen Taelon hin und her fuhr, um so mehr verdichtete sich in ihm ein ungutes Gefühl. „Was haben Sie vor?” fragte er schließlich.

Da'an hob den Kopf und sah ihn an. „Da ich keinen Zugriff auf den Hauptcomputer erhalte, ist es mir nicht möglich, die Energiereserven zu aktivieren. Und deshalb werde ich versuchen, eine direkte Verbindung zur Station herzustellen, um ...”

„... um deren Energie zu benutzen”, kam ihm Liam zuvor. „Ist das nicht gefährlich?”

„In gewisser Weise schon. Aber ich rechne eigentlich nicht mit Schwierigkeiten.” Der Taelon streckte seine Hände aus, doch seinem Beschützer war die Erklärung ein wenig zu dürftig. „Halt! Warten Sie! Was sind das für Schwierigkeiten?”

„Nun .... es birgt immer ein gewisses Risiko, in einen ... derartigen Kreislauf einzugreifen. Aber wir haben keine andere Wahl.”

„Wer sagt das? Haben Sie nicht vorhin selbst davon gesprochen, dass wir Alternativen benötigen? Die Lebensenergie der Station anzuzapfen ist eine davon, aber sicher nicht die einzige. Sollten wir also nicht zuerst einmal prüfen, welche Möglichkeiten sich uns noch bieten? Vielleicht existiert ein weiteres Portal. Ma'el wird doch Vorkehrungen getroffen haben. Und sicher gibt es hier für den Notfall auch ein Shuttle. Wichtig ist doch erst einmal, dass wir einen Weg finden, von hier wegzukommen.”

Da'an hatte ihm aufmerksam zugehört, schüttelte aber dann den Kopf. „Liam, es ist nur eine Frage der Zeit, wann das Kraftfeld zusammenbricht und die Station sichtbar wird.”

„Nun, ich denke mal, dass Sie nicht vorhaben, ihre Existenz zu verschweigen”, entgegnete er prompt. „Ma'els Manuskripte dienen schließlich dazu, das Verhältnis zwischen Taelons und Menschen zu verbessern. Wenn Sie daraus wieder ein Geheimnis machen wollen, erreichen Sie nur das Gegenteil.”

„Ich mache mir ehrlich gesagt weniger Sorgen darum, wie die Menschheit auf diese Station reagiert ...”

Liam runzelte die Stirn. „Sie befürchten Komplikationen? Welcher Art?” Doch Da'an hüllte sich bereits wieder in Schweigen. Der junge Beschützer seufze lautlos, unternahm aber keinen Versuch, weitere Details aus seinem Companion hervorzulocken. Er überlegte einen kurzen Moment. „Wie viel Zeit bleibt uns?”

„Eine Stunde, vielleicht auch zwei.”

„Das sollte genügen, um uns ein wenig umzuschauen. Finden wir keine bessere Alternative, können wir immer noch auf die Energie der Station zurückgreifen.” Abwartend sah er seinen Companion an, und schließlich nickte dieser. „Einverstanden, Liam.”

 

Ende von Kapitel 17

 

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