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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite),   November 2002
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Als Liam Ma'els Schiff aufsucht, muss er zu seinem Entsetzen feststellen, dass er verfolgt wurde, während Zo'or und Jemen ihren beschwerlichen Weg fortsetzen, die Kolonie zu finden.
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Liam, Da'an, Jemen, Zo'or, Sandoval, Go'rik, Ra'nun, Ke'rak
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 15

 

Liam hatte sein Shuttle ein gutes Stück von der Höhle, in der sich Ma'els Schiff befand, abgestellt. Vorsichtig bahnte er sich einen Weg durch das Dickicht. Er war überzeugt, dass Doors, sollte er tatsächlich ein unberechtigtes Eindringen befürchten, Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte. Er zog sein Global hervor und aktivierte ein entsprechendes Programm, das ihm beim Aufspüren von Bewegungsmeldern und ähnlichem helfen sollte. Dann schlich er weiter. Als er den Eingang der Höhle erreichte, hielt er sich zunächst im Gebüsch versteckt, um die Lage zu prüfen. Von einer Wache war weit und breit nichts zu sehen. Hatte man ihn vielleicht schon entdeckt und wollte ihn in Sicherheit wiegen? Oder befand sich der Posten innerhalb der Höhle? Möglicherweise gab es auch mehr als nur eine Wache. Renées Informationen waren kein Garant. Sie konnte von Doors absichtlich getäuscht worden sein, um ihn, Liam, in die Falle zu locken.
Nervös checkte er erneut sein Global und ließ dabei wertvolle Zeit unnütz verstreichen. Als ihm dies bewusst wurde, rieb er sich das Gesicht und atmete tief durch. Diese Art der Unschlüssigkeit war ihm fremd. Vielleicht eine Folge seiner Übermüdung und Erschöpfung. Entschlossen steckte er das Global weg und zog dafür seine Waffe hervor. Gerade als er sich näher an die Höhle heranschleichen wollte, trat aus dem dunklen Eingang eine Gestalt in den Sonnenschein. Der Mann trug die Kleidung der ortsansässigen Miliz. Für seine Umgebung hatte er nur einen flüchtigen Blick übrig. In aller Seelenruhe stellte er sein Gewehr ab und zündete sich eine Zigarette an. Dann streckte er sich ausgiebig, nahm seine Waffe wieder auf und hielt sie locker in den Armen, während er ein paar Schritte umherging. Liam grinste in sich hinein. Leichter konnte man es ihm wirklich nicht machen. Er hob seine Pistole und stellte den niedrigsten Energiepegel ein. Ein gezielter Schuss, und der Mann sackte lautlos in sich zusammen. Rasch eilte er zu ihm hinüber, packte ihn und zog ihn in die Höhle. Nachdem er ihn gefesselt und geknebelt hatte, folgte er dem unterirdischen Gang, der ihn zu Ma'els Schiff führte.

 
* * *
 


Jemen schreckte aus ihrem Schlaf hoch. Im ersten Augenblick wusste sie überhaupt nicht, wo sie sich befand. „Zo'or?” Sie sah sich auf dem kleinen Plateau suchend um. „Zo'or, wo sind Sie?” Furcht machte sich in ihr breit. Hatte er sie nun doch einfach im Stich gelassen?

„Miss Tyler!”

Seine Stimme klang dünn und weit entfernt. Jemen brauchte eine Weile, um die Richtung zu bestimmen. Dann kroch sie an den Rand des Plateaus und starrte in die Tiefe. „Zo'or? Sind Sie da unten?”

„Ja, ich bin hier. Ich glaube, ich habe einen geeigneten Weg gefunden. Sie sollten jetzt ebenfalls herunterkommen.”

„Und wie?” Jemen konnte ihn noch immer nicht entdecken.

„Sie müssen springen.”

„Sind Sie wahnsinnig geworden? Ich bin doch nicht lebensmüde.”

„Es ist bei weitem nicht so schwierig, wie es vielleicht aussieht”, versicherte er.

„Das mag für einen Taelon zutreffen, aber bestimmt nicht für einen Menschen. Ich werde mir alle Knochen brechen oder abstürzen.”

Eine Weile blieb es still, dann meldete sich Zo'or erneut. „In diesem Fall trennen sich wohl unsere Wege.”

„Was soll das bedeuten?” Jemen spähte beunruhigt in die Tiefe.

„Nun... Sie wollen nicht zu mir hinunter, aber ich kann auch nicht mehr zu Ihnen hinauf. Ich schlage vor, dass Sie dem Pfad weiter folgen. Wir treffen uns dann unten in der Schlucht.”

Diesmal war es Jemen, die schwieg. Die veränderte Situation hatte sie völlig überrascht. Völlig ratlos setzte sie sich auf und sah sich um. Dann wandte sie sich wieder dem Abgrund zu. „Der Sims ist viel zu schmal, Zo'or. Das schaffe ich nicht.”

„Selbstverständlich steht es Ihnen frei, umzukehren. Wenn Sie sich beeilen, erreichen Sie vielleicht das Plateau, bevor die Jaridian diesen Teil des Gebirges absuchen. Ich wünsche Ihnen viel Glück, Miss Tyler.”

„Halt! Warten Sie, Zo'or!” Völlig entnervt fuhr sie sich durch das Haar. Sie wusste sehr wohl, was er bezweckte. Er benutzte ihre Angst, um sie dazu zu bewegen, ihm zu folgen.

„Sehr bedauerlich, dass Sie den umständlicheren Weg wählen”, ließ sich der Taelon nach einer Weile vernehmen. „Nach meinen Berechnungen haben wir allenfalls einen Höhenunterschied von hundert Metern zu bewältigen. Leider kann ich jetzt nicht mehr länger warten.”

Gehetzt blickte sie in die Richtung, aus der sie gekommen war. Selbst wenn es ihr gelang, das Plateau zu erreichen... wohin sollte sie sich wenden? Wie sollte sie ihn wiederfinden? Und ohne ihn konnte sie auch niemals die Kolonie erreichen. „Okay, ich tue es!” rief sie schließlich mit dem Mut der Verzweifelten. Sie hockte sich ganz nah an den Rand des sandigen Vorsprunges und starrte in die Tiefe. Dann sprang sie. Hart kam sie auf dem Kalksteinfelsen auf. Sie fühlte, wie die Wucht des Aufpralls ihre Knie stauchte. Dann fiel sie auch schon nach vorn. Instinktiv streckte sie die Arme aus. Ihre Hände suchten nach Halt, umklammerten krampfhaft die rauen Kanten, während sie gleichzeitig den Rücken anspannte, um den Schwung abzubremsen. Das war knapp. Nach Luft schnappend und mit wild jagendem Herzen ließ sie sich auf den Felsen nieder.

„Miss Tyler?”

Jemen konnte nicht sofort antworten. Der Schrecken steckte ihr noch in allen Gliedern. Erst als sie sich ein wenig beruhigt hatte, sagte sie: „Ich bin hier.” Vorsichtig richtete sie sich auf und blickte sich um. Das, was sie sah, nahm ein wenig von ihrer Anspannung. Sie befand sich unmittelbar von einer sandigen Aushöhlung, die genug Platz bot, um sich darin ausreichend zu bewegen oder sich auszuruhen. Sie wurde an der einen Seite durch eine Erdspalte begrenzt. Sowohl links als auch rechts entdeckte sie steinige Hänge, die zumindest den Anschein erweckten, dass sie zu bewältigen waren. Von Zo'or gab es jedoch keinerlei Spur. „Wo sind Sie?” rief sie. „Zo'or!”

„Ich bin hier.”

Sie folgte seiner Stimme und entdeckte ihn schließlich in der Erdspalte. Er steckte in einer Verengung fest. Doch es war ihr ein Rätsel, wie er dorthin gekommen war. „Was machen Sie denn da?” fragte sie verblüfft.

„Sie erwarten doch wohl hoffentlich keine Antwort auf eine derart überflüssige Frage”, sagte er gereizt. „Helfen Sie mir hier lieber heraus.”

Jemen kniete sich hin und beugte sich dann zu ihm hinunter. „Und wie ist das passiert?” fragte sie weiter, während sie seine Hand packte, um ihn hochzuziehen.

„Ein Missgeschick”, entgegnete er ausweichend. Es war für ihn schon entwürdigend genug, dass er sich in diese Lage gebracht hatte und nun auf ihre Hilfe angewiesen war. Aber niemand konnte von ihm verlangen, dass er dieses in alle Einzelheiten darlegte. „Strengen Sie sich gefälligst etwas an”, fuhr er sie grob an, als sie vergeblich an ihm zog.

„Sie haben gut reden”, presste sie angestrengt hervor. „Wenn ich mich... wenigstens gegen etwas... stemmen könnte...” Ihre freie Hand tastete über den felsigen Rand, suchte nach Löchern oder Ausbuchtungen, um einen besseren Halt zu bekommen.

„So geht das nicht.” Der Taelon schüttelte unwillig ihre Hand ab. „Sie stellen sich viel zu ungeschickt an. Sie müssen zu mir herunterkommen.”

„Warum haben Sie eigentlich nicht sofort gesagt, dass Sie feststecken?” fragte sie ihn, als sie sich langsam über den glatten Stein in die Tiefe rutschen ließ. Der sandige Boden dämpfte ihren Sprung ein wenig, dennoch fühlte sie einen heißen Schmerz in ihren Knien.

„Wären Sie dann ebenfalls gesprungen?”

Darauf wusste sie nichts zu antworten. Die Angst hatte sie bewogen, ihm zu folgen, weil sie sich davor fürchtete, dass er sie allein zurückließ. Nur deshalb hatte sie den riskanten Sprung gewagt. Sie ergriff seinen Arm und vermied es dabei, ihn anzusehen. Da sie ihn diesmal seitlich zog, hatte sie weit weniger Schwierigkeiten. Sie bohrte ihre Absätze in den sandigen Untergrund und zerrte mit ruckartigen Bewegungen an ihm. Schließlich kam er frei und fiel ihr entgegen. Durch die Wucht des Aufpralls verlor Jemen das Gleichgewicht und stürzte zu Boden, ihn mitziehend. Für einen Augenblick schwanden ihr die Sinne. Als sie wieder klar sehen konnte, starrte sie genau in seine blauen Augen. Und sie entdeckte dort den gleichen Widerwillen, den sie auch empfand. Ihre Hände stießen nach seinen Schultern, um ihn wegzudrängen, doch Zo'or hatte es ebenso eilig, von ihr abzurücken und eine gewisse Distanz zu schaffen.

Mühsam erhob sich Jemen und sah sich um. Die Felsspalte war langgezogen und schmal, bot aber genügend Platz, um sich darin zu bewegen. Unwillkürlich drängte sie ihr der Eindruck auf, dass es sich um einen Pfad handelte, und das erweckte ihre Neugierde. Zudem gab es etwas, das sie wirklich beunruhigte. Die Felsspalte war tief, zu tief. Selbst wenn es Zo'or gelang, hochzuklettern... wie sollte er sie hochziehen? Doch sie hütete sich davor, ihren Gedanken laut auszusprechen. Er hatte sie absichtlich getäuscht, damit sie ihm folgte, und er hatte ebenso rücksichtslos ihre Hilfsbereitschaft ausgenutzt, damit sie ihn aus seiner Falle befreite. Warum sollte er ausgerechnet jetzt Skrupel empfinden und sie nicht einfach zurücklassen? Er war ein Taelon, ein Wesen, das sie viel zu wenig kannte, um irgend etwas vorauszusetzen oder gar ihm zu vertrauen.

„Was tun Sie da?” rief ihr Zo'or überrascht hinterher. „Dafür haben wir nun wirklich keine Zeit.”

„Ich will mich nur ein wenig umsehen.” Sie folgte dem Lauf der Spalte, die plötzlich rechts abknickte und sich dann verzweigte. Und dann entdeckte sie etwas. „Zo'or!” rief sie aufgeregt. „Das müssen Sie sich ansehen.”

 
* * *
 


Vorsichtig tastete sich Liam den dämmerigen Hauptgang entlang. Er hatte eine noch sehr lebhafte Erinnerung daran, wie ihn Renée damals überrascht hatte und wie aus dem Nichts Doors und seine Leute aufgetaucht waren. Er wollte sich kein weiteres Mal überraschen lassen. Deshalb benutzte er auch seine Taschenlampe nicht. Immer wieder hielt er inne und lauschte angestrengt. Doch außer dem Rauschen des Meeres, das stetig anwuchs, je näher er dem Schiff kam, war nichts zu hören. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und eine gewisse Anspannung machte sich in ihm breit. Er war überzeugt, dass er dem Schiff wichtige Informationen entlocken konnte, vorausgesetzt, Doors hatte die Datenbanken nicht zerstört. Er traute ihm das durchaus zu. In seinem Hass gegen die Taelons kannte er keinen Skrupel, ihnen das vorzuenthalten, was sie begehrten, selbst wenn es bedeutete, auf Ma'els Daten zu verzichten.

Liam war jetzt so aufgeregt, dass er automatisch seinen Schritt beschleunigte und nicht mehr so auf seine Umgebung achtete. Als er die Brücke erreichte, hielt er inne und atmete tief durch. Irgend jemand hatte eine Notbeleuchtung angebracht. Zusätzlich mit dem Tageslicht, das durch die Plexiglaskuppel fiel und das auch jetzt noch genügend Intensität besaß, konnte er sich gut orientieren. Behutsam bewegte er sich vorwärts, darauf achtend, dass er nicht versehentlich einen Alarm auslöste. Seiner ersten Erkundung galt einem seltsamen Gebilde im Zentrum der Brücke. Es war ein von mehreren kunstvollen Streben gehaltener Ring mit runden Vertiefungen, in denen sich durchsichtige Kugeln befanden. Liam erinnerte sich an die Aufzeichnung, die ihm Doors präsentiert hatte. Darin hatte Ma'el eine dieser Kugeln einem Inkafürsten überreicht, vermutlich als Zeichen seiner Friedfertigkeit und um die neue Freundschaft zu festigen. Liam widerstand der Versuchung, die Kugeln zu untersuchen. Die Zeit drängte, und zudem war es kaum anzunehmen, dass sie Aufschluss gaben über die wahren Absichten der Taelons auf der Erde. Suchend sah er sich um, bis er jene Konsole entdeckte, an der Doors die Aufzeichnung aktiviert hatte.
Vielleicht konnte er von hier aus Zugriff zu den Datenbanken nehmen. Wie, das wusste er selbst noch nicht so recht, aber er vertraute seinem Instinkt. Da Ma'el sein Schiff wissentlich vor seinen Artgenossen versteckt hatte, war kaum anzunehmen, dass er ein taelonischen Code verwendet hatte, um seine Informationen abzusichern.

Dass Motivation allein nicht ausreichte, musste Liam aber bald feststellen, denn trotz größter Bemühungen gelang es ihm nicht, die Konsole zu aktivieren, bei dieser nicht und bei keiner anderen. Damit bekam nicht nur sein Enthusiasmus einen gewaltigen Dämpfer, es machte sich auch langsam Nervosität in ihm breit. War dies das Werk Doors oder hatte er seinen Fähigkeiten einfach überschätzt? Frustriert fuhr er sich durch das Haar. Er stand unter Zeitdruck, weil ihn Da'an jederzeit über das Global rufen konnte, und das ließ ihn möglicherweise etwas Wichtiges übersehen. „Okay”, sagte er bedächtig, um sich selbst Mut zuzusprechen. „Jetzt gehen wir die Sache einfach mal anders an. Ma'el wollte seine Informationen um jeden Preis geheim halten. Was hat er gemacht, um sie zu schützen? Streng dich an, Liam. Vielleicht denkst du zu kompliziert...”

„Auf diese Weise hintergehen Sie mich also!”

Liam wirbelte erschrocken herum und starrte entsetzt auf die schmale Gestalt, die sich langsam aus dem Schatten des Einganges löste. „Da'an!”

 
* * *
 

„Irgend etwas zu entdecken?” Sandovals Stimme klang unwillig. Er rutschte unruhig in seinem Sitz hin und her, um eine bessere Position zu finden und um seinen Arm abzustützen. Sie flogen jetzt schon eine ganze Weile, und er fühlte, wie die Kraft in seiner Hand langsam erlahmte.

Go'rik warf ihm einen undefinierbaren Blick zu, gab aber keine Antwort.

„Drosseln Sie die Geschwindigkeit”, bestimmte der FBI-Agent.

Diesmal sah ihn der Jaridian überrascht an. „Ihr Menschen müsst über ein außergewöhnliches Sehvermögen verfügen, wenn Sie aus dieser Höhe etwas erkennen können”, sagte er, während er die Geschwindigkeit zurücknahm. Er verließ sich allein auf seine Sensoren und orientierte sich anhand einer topographischen Karte, die auf einem Monitor wiedergegeben wurde. Sandoval hatte ihn ebenfalls im Blickfeld, aber während ihres relativ schnellen Fluges hatte sich die Darstellung ständig verändert, so dass es ihm nicht möglich war, ihr zu folgen. Sollte Go'rik ruhig annehmen, dass er über besondere Fähigkeiten verfügte. Das würde ihn wohl hoffentlich davon abhalten, irgendwelche Tricks anzuwenden. Sandoval befand sich durch die Waffe zwar im Vorteil, aber er war deshalb nicht weniger vorsichtig. Angestrengt starrte er auf den Monitor. Wo mochten sich Zo'or und Tyler versteckt halten? Wie weit konnten sie gekommen sein?

„Nichts. Nicht die geringste Spur”, bemerkte der Jaridian nach einer Weile und kontrollierte erneut seine Instrumente. „Wo sollen wir jetzt suchen? Oder haben sich Ihre Pläne mittlerweile geändert?”

Sandoval starrte ihn finster an. Er spürte die Genugtuung des Kriegers, weil er ebenso erfolglos war wie sie. Nachdenklich rieb er sich die Nase. Als ihm seine Nachlässigkeit bewusst wurde, nahm er rasch die Hand herunter und richtete die Waffe wieder auf Go'rik. Ihre Blicke trafen sich, und er bemerkte das Funkeln in den Augen seines Gegenübers. Der Jaridian hätte die Situation für sich nutzen können, doch Sandoval sah darin nur den Beweis, dass ihn Go'rik für zu gefährlich hielt und kein Risiko eingehen wollte. „Wir werden die gleiche Strecke noch einmal abfliegen”, erklärte er. „Diesmal dicht über dem Boden und mit sehr geringer Geschwindigkeit.”

Der Jaridian gehorchte widerspruchslos, obwohl seiner Haltung zu entnehmen war, dass er dies für reine Zeitverschwendung hielt. Aber Sandoval wusste selbst, dass diese Vorgehensweise alles andere als effektiv war. Er befand sich in einer ungünstigen Lage. Zu einem kannte er das Terrain nicht, und zum anderen saß er zu weit vom Monitor weg, um wirklich alle Einzelheiten erkennen zu können. Seine Chancen stünden beträchtlich besser, könnte er mit dem Jaridian zusammenarbeiten und auf dessen Kenntnisse zurückgreifen. Doch diese Möglichkeit hatte er sich verbaut.

Go'rik hegte ähnliche Gedanken. Im Augenblick profitierte einzig und allein der Taelon. Er konnte sich in aller Ruhe ein sicheres Versteck suchen, um dann einfach abzuwarten. Ra'nun hatte ihm zwar versichert, dass die Synode kein Wagnis eingehen würde, ein Rettungsteam in die neutrale Zone zu schicken, aber er konnte sich dieser Meinung nicht anschließen. Die Taelons waren dafür bekannt, dass sie das eigene Risiko dadurch verringerten, indem sie einfach eine ihrer Söldnertruppen losschickten.

Erneut warf er Sandoval einen Blick zu. Alles in ihm drängte danach, den Menschen an seiner Seite einfach niederzustrecken, um die Suche dann wieder selbst aufzunehmen. Dennoch unterdrückte er dieses Begehren. Den Fremden zu töten, bedeutete letztendlich nichts anderes, als die eigene Unfähigkeit vertuschen zu wollen. Immerhin war es diesem Mann gelungen, ihm trotz seiner körperlichen Unterlegenheit die Waffe abzujagen. Ein Gefühl der Verbitterung regte sich in ihm. Das Leben auf diesem Planeten hatte sie verändert. Wo war der stolze, ruhmreiche Krieger, der er einst gewesen war? Nur die feigen und schwachen Soldaten erlaubten sich den Gedanken einer billigen Rache.

„Ich vermute, dass es dem Taelon und seiner Begleiterin gelungen ist, die Schluchten zu erreichen, denn dort können sie von unseren Sensoren nicht erfasst werden”, sagte er nach einer Weile. Als er sich der Aufmerksamkeit Sandovals sicher war, deutete er auf den Monitor. Dort gab es einen Bereich, der eine weiße Fläche aufwies.

Sandoval sah durch die Frontscheibe des Shuttles, um diesen Punkt zu bestimmen. „Das ist ein weiter und beschwerlicher Weg. Ich glaube kaum, dass wir sie dort finden können.”

„Das werden wir auch nicht”, entgegnete der Jaridian und reagierte mit einem Kopfschütteln auf das verblüffte Gesicht an seiner Seite. „Ich sagte doch: Dieses Gebiet kann von den Sensoren nicht erfasst werden. Es gibt zu viele Störungen.”

„Woher sollte Zo'or wissen, dass er ausgerechnet dort sicher ist?”

„Er ist ein Taelon”, sagte Go'rik, als müsste dies alles erklären.

Erneut versuchte Sandoval die Entfernung zu bestimmen. „Zo'or könnte es vielleicht schaffen, aber nicht Tyler. Es ist zu heiß. Sie braucht Wasser.”

„Es gibt unterirdische Quellen. Außerdem wächst hier eine Pflanze, die in ihrer Frucht Wasser speichern kann. - Ich schlage vor, dass wir dieses Plateau ansteuern. Es ist die einzige Möglichkeit, von dieser Seite aus die Schluchten zu erreichen.”

Sandoval suchte nach der Falle hinter seinen Worten, aber letztendlich blieb ihm nichts anderes übrig, als auf den Vorschlag des Jaridian einzugehen. Sie hatten bereits zuviel Zeit verloren. „Einverstanden”, sagte er. „Fliegen Sie uns dorthin.”

 
* * *
 


Jemen stand vor einer Felswand, auf die anscheinend wahllos einige Schriftzeichen gemalt worden waren. „Was halten Sie davon?” fragte sie Zo'or, als er neben sie trat. Er hatte nur einen kurzen Blick dafür übrig und wandte sich sofort wieder ab. „Es ist bedeutungslos.”

„Bedeutungslos?” wiederholte sie überrascht. „Das sind Taelon-Schriftzeichen.”

Doch Zo'or war schon weitergegangen. „Ihre Neugierde ist manchmal unerträglich, aber diesmal war sie ausnahmsweise einmal nützlich”, verkündete er nach einer Weile. „Hier ist eine ganz passable Stelle, die wir für unseren Abstieg nutzen können.”

Jemen blieb weiterhin vor der Wand stehen und berührte mit ihren Fingern vorsichtig die Zeichen. „Stammt das von den Taelons, die früher diesen Planeten bewohnt haben?”

Zo'or wollte erst abweisend antworten, doch dann sagte er: „Das ist richtig. Es sind sehr alte Zeichen. Sie werden davon noch mehr entdecken, weil wir uns langsam der Kolonie nähern.” Doch Jemen wurde irgendwie das Gefühl nicht los, dass er dies nur sagte, um sie von weiteren Fragen abzuhalten. So als sei ihm das, was er gelesen hatte, unangenehm... Erneut strich sie über die Symbole. Di'mag hatte ihr mal ein paar Schriftzeichen erklärt und versucht, ihr die besondere Art des Lesens beizubringen, das Fühlen der Worte. Aber sie hatte sich dabei nicht besonders geschickt angestellt. Vielleicht, weil es eine besondere Art der Konzentration verlangte, die zu diesem Zeitpunkt nicht aufbringen konnte, und weil sie sich zu schnell von anderen Dingen ablenken ließ. Es war viel interessanter, ihn dabei zu beobachten, wie er die Worte aussprach, weil er dabei besonders vergnügt wirkte. So war es nur bei einem Versuch geblieben, den sie niemals wiederholt hatten. Jetzt bedauerte sie es, dass sie so wenig Interesse gezeigt hatte. Nicht nur, weil ihr jetzt verwehrt blieb, die geheimnisvoll anmutende Botschaft zu lesen. Sie hatte sich auch selbst die Möglichkeit genommen, mehr über ihn zu erfahren. Seufzend wandte sie sich ab.

Der Abstieg war - gemessen an dem, was sie bereits bewältigt hatte - ein Kinderspiel. Dennoch war Jemen völlig erschöpft, als sie die Talsohle erreichte. Sie suchte sich einen schattigen Platz und ließ sich dort nieder. „Wie weit ist es noch bis zur Kolonie?” fragte sie müde.

„Wir haben es bald geschafft”, erwiderte Zo'or, der in einigem Abstand von ihr stehen geblieben war.

„Wie schön...”, murmelte sie und schloss die Augen.

Der Taelon musterte sie kurz und wandte sich dann wieder ab.

„Zo'or?” Jemen hatte sich noch einmal aufgerappelt, um ihre Jacke als Unterlage zu benutzen. „Sie sagten anfangs, dass dieser Planet einer der ersten Kolonien war, die von den Jaridian angegriffen wurde. Ich habe zwar keine Ahnung, wie lange Ihr Krieg schon dauert... aber müssten die Überlebende, wenn es denn welche gab, nicht schon längst tot sein?”

„Sha'bra”, fuhr er sie an. „Ich kenne keinen Menschen, der derart viele Fragen stellt. Nutzen Sie die Zeit, um sich auszuruhen. Andernfalls sehe ich mich gezwungen, Ihre Pausen zu verkürzen.”

Jemen sah ihn überrascht an. Er war sicher nicht der Umgänglichste seiner Art, aber derartig heftig zu reagieren, war nicht nur unangemessen, es wirkte auch im höchsten Maße beunruhigend. Als befände er sich im Stress, überlegte sie. Ob es etwas mit den Schriftzeichen zutun hatte und über die er so leichtfertig hinweggegangen war? Offenbarten sie vielleicht eine Wahrheit, die ihm unangenehm war? - Spekulationen... Sie nützten ihr wenig, und eine weitere Frage an ihn zu richten, wagte sie nun doch nicht mehr. Stirnrunzelnd rollte sie sich auf ihrer Jacke zusammen, während sie ihm einen letzten Blick zuwarf. Er wirkte orientierungslos. Wie konnte er orientierungslos sein, wenn er den Weg kannte? Noch während sie diesem letzten Gedanken nachhing, schlief sie ein.

 
* * *
 


„Da'an!” Fassungslos starrte er auf den Taelon, der langsam näher kam und sich dabei umsah. „Es ist nicht so, wie Sie denken.”

„Ach, nein? Und das hier?” Da'an machte eine ärgerliche Handbewegung, die seiner Umgebung galt.

„Ma'els Schiff”, sagte Liam und hätte sich im nächsten Augenblick dafür ohrfeigen können. Indem er preisgab, dass er wusste, wo sie sich befanden, gab er auch gleichzeitig zu, dieses Wissen bereits seit längerer Zeit mit sich herumgetragen zu haben. Und das war in der gegenwärtigen Situation alles andere als taktisch klug. „Ich hatte keine andere Wahl”, verteidigte er sich, obwohl er wenig Hoffnung hatte, dass ihm sein Companion Glauben schenkte. „Ich musste Doors mein Wort geben, dass ich Ihnen hiervon nichts erzähle.”

Da'an starrte ihn abweisend an.

„Wie sind Sie überhaupt hierher gekommen?” fragte der junge Beschützer und gab sich selbst die Antwort. „Sie haben mich überwachen lassen, nicht wahr?”

„Tatsächlich war das nicht der Fall”, erwiderte der Taelon, „doch muss ich mich jetzt fragen, ob das nicht ein Fehler war. Als Sie mich damals in Ihr Vertrauen zogen und mich zum Quartier der Widerstandsbewegung führten, da glaubte ich, es wäre ein guter Anfang für eine gemeinschaftliche Arbeit, die beiden Seiten dienlich sein würde. Aber tatsächlich hat es Sie nicht davon abgehalten, mir gewisse Informationen vorzuenthalten.”

„So, wie Sie es tun?” entfuhr es Liam impulsiv.

Da'an ignorierte den Vorwurf. „Sie wussten, wie wichtig es war, Ma'els Forschungsergebnisse zu finden”, sagte er mit einer Stimme, die weit davon entfernt war, auch nur den Hauch einer Entschuldigung zu akzeptieren. „Sein Manuskript enthält die Antworten auf unsere Fragen. Es ist der Schlüssel zu einem besseren Verständnis zwischen Taelons und Menschen und im Augenblick auch das einzige Mittel, den derzeitigen Kurs der Synode zu stoppen. Aber in Ihrem fortwährenden Bemühen, hinter jeder meiner Worte ein unehrenhaftes Motiv zu vermuten, verschlossen Sie Ihre Augen vor dem Offensichtlichen.” Noch nie hatte Da'an in diesem Ton mit seinem Beschützer gesprochen. Er schien auch nicht bereit, in irgendeiner Form Nachsicht zu üben, so als habe seine Geduld das erträgliche Maß überschritten.

Und genau das machte Liam stutzig. Bei all seinen verbalen Angriffen gegenüber Da'an in der Vergangenheit war er hauptsächlich darauf aus gewesen, dessen stoische Gelassenheit zu durchbrechen, weil er dahinter ein Desinteresse an dem Schicksal der Menschheit vermutet hatte. Tatsächlich aber hatte sich sein Companion, wie er jetzt erkannte, ihm gegenüber viel zurückhaltender benommen, als es seinem Naturell entsprach, vermutlich um einen offenen Konflikt zu vermeiden und ihre beider Verbindung zu schützen. Doch genau diese Verbindung geriet nun in Gefahr... durch ein 2000 Jahre altes Manuskript. Was an Ma'els Forschungen war so wichtig, dass Da'an derart heftig reagierte? Ging es wirklich nur um die Möglichkeit einer gleichberechtigten Existenz?

„Wie lange?” Da'ans Stimme klang seltsam gepresst, weil er danach trachtete, den Zorn aus sich zu verbannen. „Wie lange wissen Sie schon von dem Schiff?”

Liam zögerte. Er wollte nicht lügen, doch mochte sich die Wahrheit hier als fataler erweisen. In der gegenwärtigen Situation riskierte er nicht nur den völligen Bruch ihrer ohnehin schon stark belasteten Freundschaft, er musste auch davon ausgehen, dass sich Da'an gegen ihn und den Widerstand wandte. Bisher hatte diese Verbindung wie ein Puffer gewirkt und größeren Schaden verhindert. Deshalb wählte er seine nächsten Worte mit größter Sorgfalt aus. „Es ist unerheblich, seit wann ich von dem Schiff weiß”, sagte er und bemühte sich, weder anmaßend noch provozierend zu klingen. „Ich bin zufällig darauf gestoßen... und Sie können mir glauben, wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, Sie darüber zu unterrichten, dann hätte ich das auch getan.”

„Nennen Sie es ruhig bei seinem Namen”, sagte Da'an und fixierte ihn aus unerbittlichen Augen. „Sie misstrauten mir. Sie haben mir nie verziehen, dass ich seinerzeit den Widerstand verriet, um meine Position innerhalb der Synode zu sichern, obwohl dies auch im Interesse der Menschheit geschah.”

„Das hier hat nichts mit Misstrauen zutun”, entgegnete Liam. „Wenn wir eines aus der Vergangenheit gelernt haben, dann doch wohl, dass man gewisse Dinge nicht aufhalten kann. Ab dem Augenblick, da Sie von dem Schiff gewusst hätten, hätte man nicht mehr ausschließen können, dass auch Zo'or davon erfährt. Und selbst, wenn es Sie es für eine Weile vor ihm und der Synode hätten verheimlichen können... was nützt Ihnen das Schiff, wenn Sie nicht an die Daten herankommen?”

„Wir hätten gemeinsam einen Weg finden können.”

Liam schüttelte den Kopf. „Doors hätte das niemals zugelassen, und das wissen Sie.” Aufmerksam musterte er den Taelon, der nun neben ihn trat und auf die Konsole niederblickte, an der sich sein Beschützer zuvor vergeblich abgemüht hatte. Die Hände des Außerirdischen hoben und senkten sich und offenbarten eine unerwartete Unentschlossenheit. Liam bewertete dies als ein positives Zeichen. Offenbar war Da'an mit der Situation ebenso überfordert wie er. Abwartend blickte er seinen Companion an, doch als dieser nicht reagierte, beschloss er, selbst wieder die Initiative zu ergreifen. „Sie müssen das Schiff verlassen, Da'an”, sagte er und fügte sogleich hinzu: „Wenn Sie hier entdeckt werden, riskieren Sie, dass Doors alles zerstört.”

Da'an warf ihm einen kurzen Blick über die Schulter zu.

„Geben Sie mir den Zugangscode für die Datenbanken. Ich werde alles herunterladen und Ihnen dann folgen.” Liam wurde langsam nervös. Irgendwann würde es auffallen, dass der Wachposten nicht mehr vor der Höhle stand. Spätestens dann, wenn er auf einen Kontrollanruf nicht mehr reagierte oder die Ablösung kam. „Da'an... bitte!” drängte er.

„Sie erwarten allen Ernstes, dass ich Ihnen noch vertraue? Wer gibt mir die Garantie, dass Sie nicht mit Doors unter einer Decke stecken? Immerhin haben Sie nie einen Hehl daraus gemacht, dass Sie vor allem anderen ein Mensch sind, der niemals seine eigene Art verrät. Aus welchem Grund sollten Sie mir die Daten überlassen und sie nicht statt dessen als Druckmittel gegen die Synode verwenden?”

„Verdammt, Da'an”, platzte es unbeherrscht aus Liam hervor. „Ich bin nicht Ihr Feind...”

„Aber auch nicht mein Freund”, erwiderte der Taelon kalt. „Und im Augenblick ist es mir nicht möglich, Ihnen zu trauen.” Er wandte sich wieder der Konsole zu und legte seine Hand auf die dunkle Oberfläche. Liam wusste nicht, was er vorhatte, aber in seinem Inneren schrillten sämtliche Alarmglocken. „Nein”, stieß er hervor und legte seine Hand reflexartig neben die Da'ans. Fast augenblicklich aktivierte sich die Konsole. Ein Bildschirm flammte auf, zeigte Taelonzeichen, die ohne jede erkennbare Ordnung auftauchten und verschwanden. Bevor er sich aber darauf konzentrieren konnte, begann die Luft um ihn herum zu flimmern. Die Umgebung löste sich explosionsartig in einem Energieschauer auf. Dann riss ihn etwas fort...

 
* * *
 


Jemen saß am Rande des Plateaus und starrte in das Canyonland, das sich im Schein der tiefstehenden Sonne leuchtendrot verfärbt hatte. *Bist du jemals auf Muruwi gewesen, Di'mag?* fragte sie.
*Nein*, erwiderte er. *Es ist ein Ort des Schreckens, den wir fürchten.*
*Warum fürchtet ihr ihn?* wollte sie wissen. Als er keine Antwort gab, sah sie zu ihm auf und bemerkte, dass er das Gewand der wissenschaftlichen Kaste trug. Sie konnte sich jedoch nicht daran erinnern, dass er jemals etwas Derartiges getragen hatte. Und doch wunderte sie sich nicht. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihr, dass es in dieser Welt keine Rolle spielte.
Sie erhob sich und lehnte sich gegen ihn - etwas, das sie nie getan hatte und das auch nur hier möglich war. *Ich bin froh, dass du hier bist, Di'mag*, sagte sie. *Ich habe dich vermisst.*

An dieser Stelle erwachte Jemen. Seufzend fuhr sie sich durchs Gesicht und versuchte die Benommenheit zu durchdringen, die ihre Gedanken umnebelte. Sie war ihm so nah gewesen, hatte seine Präsenz so wahrhaftig gespürt wie im wirklichen Leben. Sie war durchdrungen von der Wärme, die sie in seiner Gegenwart immer empfunden hatte und zugleich von einer eisigen Kälte, die sie erzittern ließ. Würde sie es jemals ertragen, dass es ihn nicht mehr gab? Niedergeschlagen sah sie sich um. Zo'or saß einige Meter von ihr entfernt auf einem Felsbrocken und starrte gedankenverloren vor sich hin. Es hatte den Anschein, als ruhte er ebenfalls, wenn da nicht seine Hände gewesen wären, die sich auf und ab bewegten. Jemen verhielt sich still, um ihn nicht auf sich aufmerksam zu machen. Zu ihren Füßen bemerkten sie einige „Lebensretter”. Zo'or musste sie gesammelt haben, während sie schlief. Es lag etwas Anrührendes in dieser Geste. Gleichwohl wusste sie, dass sie sich einem Trugschluss hingab, wenn sie annahm, dass etwas anderes als Berechnung dahintersteckte. Und doch...

Irgend etwas hatte sich verändert. Sie hatte sich verändert. Verwirrt horchte sie in sich hinein, lauschte ihren eigenen Empfindungen, die plötzlich so seltsam waren. Einen beängstigenden Augenblick lang glaubte sie, jene fremde Entität in ihrem Geist habe sich erneut bemerkbar gemacht und trachtete nun danach, Macht über sie zu erlangen. Aber die Stimme in ihrem Kopf blieb stumm, und es war auch nichts Bedrohliches zu spüren. Langsam entspannte sie sich wieder. Leise Schritte näherten sich ihr, und sie sah auf und erblickte Zo'or.

Zo'or, flüsterte es in ihr. Zo'or. Dieses undurchschaubare Wesen, das sie eigentlich hassen müsste und das doch zu ihrem Schicksalsgenossen geworden war. Der Teil in ihr, der durch ihre Freundschaft zu Di'mag geprägt war, wollte in Zo'or nicht mehr länger den menschenverachtenden Außerirdischen sehen. Nicht jetzt, nicht hier. Das schien einer anderen Zeit anzugehören. Jetzt ging es nur darum, zu überleben. Sie wollte die Vergangenheit abstreifen und sich nur noch auf den Augenblick konzentrieren. Irgendwie war sie davon überzeugt, dass auch Zo'or sein anderes Leben abstreifen konnte, wenn er nur den Mut dazu fand und dass er ihr dann gegenüber ein freundlicheres Wesen einnehmen würde.

Was war das, was sie so denken und fühlen ließ? Woher nahm sie diesen unerschütterlichen Glauben, dass in jedem Wesen Freundlichkeit und Güte existieren müsste?

Sie sah ihn an, sah ihm direkt in die blauen Augen, und obwohl sie nur eine Fassade waren, waren sie zugleich auch ein Spiegelbild seiner selbst. In diesem Augenblick begriff sie mit erschreckender Klarheit, dass sie in ihm Di'mag zu sehen gehofft hatte. Nach dessen Freundlichkeit und Güte hatte sie sich gesehnt. Sein Tod hatte sie unvorbereitet getroffen, und die darauf folgenden Ereignisse hatten ihr keine Zeit gelassen, sich damit auseinander zu setzen. Der einzige Halt in ihrem Leben war ihr brutal entrissen worden. Und dort, wo sie Sicherheit und Geborgenheit empfunden hatte, war nichts als ein tiefer Abgrund zurückgeblieben und der verzweifelte Wunsch nach einer helfenden Hand, die sie vor einem Sturz in dieses bodenlose Nichts bewahrte. Es erfüllte sich mit plötzlichem Grauen, dass sie sich ausgerechnet Hilfe von dem Taelon erhofft hatte, der für ihren Schmerz verantwortlich war... Di'mags Mörder.

„Was ist mit Ihnen?” fragte Zo'or schroff. „Was sehen Sie mich so an?”

„Es ist nichts”, presste sie hervor und erhob sich abrupt. „Lassen Sie uns weitergehen.”

 
* * *
 


Hoffnungsvoll wandte sich Ra'nun um, als der Jaridian den Leitstand betrat. „Gibt es Neuigkeiten von Go'rik?”

Ke'rak schüttelte den Kopf. „Er hat sich bisher nicht gemeldet. Meine Versuche, ihn zu erreichen, waren ebenfalls erfolglos. Wie mir scheint, ist die Kommunikationseinheit des Shuttles ausgefallen.”

Ra'nun überlegte kurz. Es gab verschiedene Möglichkeiten für Go'riks anhaltendem Schweigen. Das Versagen der Bordgeräte war sicher nur eine davon. Aber er war dankbar, Ke'raks Vermutung aufgreifen zu können, um dem Gefährten die notwendige Zeit zu verschaffen, die Schwierigkeiten selbst zu bewältigen. Eine Einmischung gleich welcher Art hätte Go'rik als Demütigung empfunden. Ra'nun akzeptierte diese Einstellung, auch wenn er sie manchmal schlichtweg für Dickköpfigkeit hielt. Das Festhalten an alten Normen und Vorstellungen war das einzige, was diesen Jaridian geblieben war. „Eine gestörte Kommunikation wird Go'rik kaum veranlassen, seine Suche zu unterbrechen”, sagte er. „Vermutlich hält er sich nicht einmal damit auf, die technischen Schwierigkeiten zu beseitigen.”

„Dann soll ich nicht nach ihm suchen?” fragte Ke'rak vorsichtig.

„Nein. Dazu gibt es keine Veranlassung.” Ra'nun fühlte, wie in ihn jäher Schwindel erfasste, und er begann zu taumeln. Mit einem Satz war der Jaridian bei ihm und stützte ihn. „Verzeih mir, Ra'nun”, murmelte er, bestürzt, dass ihm die offensichtliche Schwäche des anderen entgangen war. „Wir hätten schon längst zur Kolonie aufbrechen müssen.”

„Schon gut”, beruhigte ihn Ra'nun, schwer atmend. „Dich trifft keine Schuld. Ich selbst habe den Regenerationszyklus unterbrochen, um mit meiner Arbeit fortfahren zu können. - Seltsam... selbst nach dieser langen Zeit vergesse ich manchmal, wer oder was ich bin”, sinnierte er.

Kummervoll blickte ihn Ke'rak an. „Du opferst dich auf, Ra'nun, um das Leben für uns erträglicher zu machen. Aber mir erscheint der Preis zu hoch, wenn wir dich dadurch verlieren.”

In einer beschwichtigenden Geste hob der Anführer die Hand. „Ich mag zwar manchmal etwas nachlässig sein, was meinen Zustand anbelangt, aber das bedeutet nicht, dass ich meinem eigenen Schicksal gleichgültig gegenüberstehe. Und nun lass uns in die Kolonie zurückkehren.” Er atmete tief durch und bekämpfte die Schwäche, die ihn erneut zu überwältigen drohte. „Siehst du eine Chance, meine Eigenmächtigkeit vor den anderen zu verheimlichen?” fragte er.

Ke'rak starrte ihn fassungslos an. Doch dann bemerkte er das humorvolle Glitzern in den Augen des anderen. „Nur wenn du mir versprichst, die vollständige Regeneration durchzuführen”, sagte er. „Allerdings glaube ich kaum, dass du Go'rik etwas vormachen kannst.”

Ra'nun wurde wieder ernst. „Go'rik”, seufzte er. „Ja, ihm entgeht nichts...”

 
* * *
 


Ein wenig ungelenk verließ Sandoval das Shuttle und ließ den Blick flüchtig über das Plateau wandern, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Er sehnte sich danach, die Steifheit in den Gliedern durch ein paar Lockerungsübungen zu verscheuchen, aber der Argwohn gegenüber dem Jaridian, der sich im rückwärtigen Teil des Fluggerät aufhielt, ermahnte ihn zur Vorsicht. „Was machen Sie da?” rief er nach einer Weile ungehalten. Go'rik wandte sich ihm zu, den Blick auf einige seltsam geformte Instrumente gerichtet, die er in seinen Händen hielt. „Ich muss die Steuerung überprüfen”, sagte er knapp.

Sandoval gab ihm mit der Waffe ein ungeduldiges Zeichen. „Einverstanden.” Nur allzu deutlich hatte er den missglückten Landeanflug vor Augen. Go'rik war eine großzügige Schleife geflogen, um das Plateau besser ansteuern zu können. Plötzlich hatte das Shuttle gebockt wie ein wildes Pferd und sie hin und her geschüttelt. Dass sie nicht an den Felsen zerschellten, war vermutlich reine Glückssache gewesen. Im ersten Augenblick hatte Sandoval dahinter eine besondere Taktik vermutet. Aber der Jaridian hatte nicht einmal im Ansatz versucht, ihn zu überwältigen, sondern sich einzig und allein darauf konzentriert, die Kontrolle über sein Fluggerät zurückzuerlangen. Demnach waren die Schwierigkeiten echt, aber sein Misstrauen blieb. „Ich will Sie dabei sehen können!” rief er.

Go'rik erschien erneut in der Luke. „Wenn es Ihnen Spaß macht”, sagte er spöttisch, „können Sie mir gern über die Schulter schauen. Sie würden sich aber wesentlich nützlicher machen, wenn Sie Ausschau hielten nach dem Taelon.”

„Damit Sie in der Zwischenzeit Verstärkung anfordern können? Für wie dumm halten Sie mich?” Sandoval erklomm rasch die Rampe. „Fangen Sie mit der Überprüfung an! Los!”

Wenig später gab ihm der Jaridian einen alles andere als positiven Bericht ab. Demnach würde die Reparatur einige Stunden beanspruchen. Für Sandoval entstand eine etwas heikle Situation, denn er musste nun eine Entscheidung treffen. Je mehr Zeit verstrich, um so größer wurde die Gefahr, dass andere Jaridian Zo'or aufgriffen. Damit war dann nicht nur sein eigentliches Vorhaben zunichte gemacht, letztendlich ging es auch um sein Leben. Nichts war ihm verhasster als eine Situation mit so vielen unbestimmten Variablen. „Wir werden uns zu Fuß auf die Suche begeben”, entschied er schließlich, obwohl er wusste, dass sein verletzter Arm in dem unwegsamen Gelände ein gefährliches Handikap darstellte.

Go'rik nickte zustimmend. Auch er zog es vor, keine weitere Zeit zu verlieren. Rasch verließ er das Shuttle und führte den Menschen an den Rand des Plateaus. Unterwegs bemerkte er die Frucht, die Jemen dort liegengelassen hatte. „Das ist der Beweis, dass sie hier gewesen sein müssen”, sagte er beinahe triumphierend. „Jetzt kommt es nur darauf an, dass wir den richtigen Weg wählen.”

Ratlos sah sich Sandoval um. „Ich kann hier überhaupt keinen Weg erkennen”, sagte er.

„Das wundert mich nicht”, bemerkte der Jaridian spöttisch. Er deutete zu seiner Rechten. „In der Felswand dort gibt es einige Pfade, die hinunterführen. Nicht ganz ungefährlich, aber zu schaffen...” Er musterte den Menschen an seiner Seite. „Was halten Sie davon?”

Sandoval betrachtete die schmalen Vorsprünge mit heimlichen Entsetzen und schüttelte entschieden den Kopf. „Ausgeschlossen.”

„Ausgeschlossen für Sie oder für Zo'or?”

Der FBI-Agent zog es vor, die provokante Frage zu ignorieren. „Was gibt es noch für Möglichkeiten?”

„Es führt ein Pfad um den Felsen herum. Allerdings ist dieser Weg weitaus schwieriger und gefährlicher, weil es senkrechte Abstürze zu überwinden gilt. Außerdem ist der Stein durch Verwitterung sehr brüchig und bietet nur wenig Halt. Ein unvorsichtiger Kletterer könnte leicht ein Steinschlag auslösen.”

Also hatte er nur die Wahl zwischen Abstürzen oder Erschlagenwerden. Sandoval zog ein säuerliches Gesicht.

 

Ende von Kapitel 15

 

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