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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Sandoval trifft eine weitreichende Entscheidung, Jemen gelangt an das Ende ihrer Kräfte und Liam stellt eigene Theorien auf
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Sandoval, Liam Kincaid, Jemen Tyler, Zo'or, [Da'an, T'than, Ivanek]
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 12

 

„Wie konnte der Widerstand so etwas bauen?” fragte Liam, als er Sandoval in den kleinen Raum folgte, in dem das Portal stand. „Woher hatten sie die Informationen?”

„Erinnern Sie sich an die Jaridian-Sonde, die vor einem Jahr von den Taelons abgeschossen wurde?” Sandoval entnahm seiner Jackentasche ein kleines Gerät, das er mit dem Bedienpaneel des Portals verband. „Bevor wir sie bergen konnten, hatte der Widerstand sie schon gefunden. Bis heute wußten wir allerdings nicht, welchen Zweck die Sonde erfüllte.”

„Sie meinen, das war keine Aufklärungssonde?” Liam spielte den Ahnungslosen. Natürlich wußte er, was sich damals in dem Bunker abgespielt hatte. Er selbst hatte damals Kontakt mit dem Replikanten aufgenommen. Aber um sich seinem Kollegen gegenüber nicht verdächtig zu machen, mußte er so tun, als wüßte er von nichts. Sandovals ruhige Art konnte sehr schnell dazu verleiten, daß man sich zu sicher fühlte. Aber dem Asiaten entging nichts, so wie er auch nie etwas vergaß.

„Es handelte sich offensichtlich um eine fortgeschrittene Version, die in der Lage war, Kontakt aufzunehmen und Informationen auszutauschen.”

Liam machte eine weit ausholende Handbewegung. „Ein derartiges Versteck zu errichten und zu betreiben, um dann letztendlich nur einen einzigen Taelon auf die Reise zu schicken... Wo bleibt da die Logik?”

„Major... Sie gehen davon aus, daß dieses Portal einmalig ist. Ich denke aber, daß es sich hierbei nur um einen Prototypen handelt, der für einen einmaligen Transfer gedacht war. Sie haben doch diesen Jungen gehört. Zo'or ist ein Geschenk. Der Widerstand beabsichtigt offensichtlich, die Jaridians zur Erde zu holen.”

Liam sah ihn überrascht an. „Das ist doch wahnsinnig.”

„Sicher ist es das”, erwiderte Sandoval und zog sein Global hervor. „So wahnsinnig wie diese ganze Widerstandsgruppe.”

„Eines verstehe ich aber nicht. Wenn die Jaridians derartige Portale besitzen... warum sind Sie dann nicht schon längst auf der Erde? Wozu brauchen sie die Hilfe der Menschen?”

„Ganz einfach. Die Jaridians verfügen nicht über die Interdimensionstechnologie. Ihre Portale sind vermutlich nur begrenzt einsetzbar. Dieser Prototyp hier vereint Jaridian-Technik und Taelon-Technologie. Allerdings läßt sich ohne eine genaue Untersuchung nicht feststellen, ob es tatsächlich funktioniert.”

„Wissen die Taelons schon davon?”

„Bisher noch nicht.” Sandoval starrte stirnrunzelnd auf sein Global und trat dann an das Bedienpaneel des Portals. „Ich hatte gehofft, daß ich irgendwie an die Daten des Transferprotokolls komme. T'than wird eine Bestätigung der Koordinaten erwarten.”

„T'than? Hat er jetzt die Führung übernommen?”

Sandoval schaute auf. Ihm war die Mißbilligung in Kincaids Stimme nicht entgangen. „Es steht uns nicht zu, die Anordnung der Synode zu kritisieren, Major”, sagte er. „Ich schlage vor, daß Sie die Gefangenen zum Mutterschiff begleiten. Es ist wichtig, daß wir die Standorte der anderen Portale erfahren. Das hat Priorität.”

Aber Liam wollte sich nicht so einfach wegschicken lassen. „Sandoval, wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren. Wir müssen sofort etwas unternehmen, wenn wir Zo'or retten wollen. Und das bedeutet, daß wir ebenfalls durch das Portal gehen müssen.”

Sandoval musterte ihn. Es war nicht ersichtlich, ob er sich gerade eine passende Antwort überlegte oder absichtlich schwieg, denn in diesem Augenblick piepte sein Global. Auf dem kleinen Display erschien das Gesicht T'thans. „Agent Sandoval”, begann der Taelon, „kann ich davon ausgehen, daß Ihre fehlende Berichterstattung bedeutet, daß Ihre Suche bisher erfolglos verlaufen ist?”

„Wir haben das Versteck der Widerstandsgruppe gestürmt und die Mitglieder der Dark Blue gefangengenommen, T'than”, entgegnete Sandoval ausweichend.

„Doch Zo'or haben Sie anscheinend nicht gefunden?”

„Er wurde durch ein Portal geschickt, das die Widerstandskämpfer mittels jaridianischer Technik nachgebaut haben. Wir sind noch dabei, die Daten auszuwerten, um die genauen Koordinaten festzustellen, aber wir müssen davon ausgehen, daß der Zielort Jaridia ist.”

Überraschung zeigte sich im Gesicht des Taelons. „Jaridia?” wiederholte er. „In diesem Fall müßte er längst tot sein. Seine Präsenz ist im Gemeinwesen aber nach wie vor vorhanden.”

Das Bild schwenkte abrupt um und zeigte nun einen besorgt wirkenden Da'an. „Agent Sandoval, ist es möglich, Zo'or zur Hilfe zu kommen?”

Sandovals Stimme veränderte sich auf subtiler Weise, wurde um eine Nuance weicher. „Ich weiß es nicht, Da'an. Das Portal funktioniert nur im Sendemodus. Es kann jemand hindurchgehen, aber nicht zurückkommen.”

„In diesem Fall wird es uns nicht möglich sein, Zo'or zu helfen”, ertönte T'thans Stimme aus dem Hintergrund. „Wir müssen wohl der Tatsache ins Auge sehen, daß er für uns verloren ist.”

„Darüber wird die Synode entscheiden. - Agent Sandoval”, Da'an wandte sich wieder an seinen früheren Beschützer, „wie konnte der Widerstand ein derartiges Portal konstruieren?”

„Ich vermute, daß sie die Informationen aus der Sonde haben, die vor einem Jahr abgestürzt ist.”

Der Taelon überlegte. „Wir werden Ihnen umgehend ein Spezialistenteam zur Verfügung stellen, das dieses Portal genauestens untersucht”, sagte er dann. „In der Zwischenzeit sichern Sie die Anlage, und sorgen Sie bitte dafür, daß die gefangenen Widerstandskämpfer zum Mutterschiff gebracht werden.”

„Sehr wohl, Da'an.”

Das Bild schwenkte erneut zu T'than hinüber. Sein kalter Blick ruhte auf Sandoval, und seine Botschaft war eindeutig. Der FBI-Agent fühlte ein innerliches Frösteln. Dann brach die Verbindung ab. Einen Augenblick lang verharrte er in einer nachdenklichen Pose. Als er aufschaute, fiel sein Blick auf Kincaid, der noch immer auf eine Antwort wartete. „Sie haben Da'an gehört”, sagte er.

„Sandoval, bis die Synode eine Entscheidung getroffen hat, vergehen Stunden.” Es hatte Liam einiges an Mühe gekostet, sich nicht in das Gespräch einzumischen. Da'an kannte ihn zu gut. Er hätte vorausgesehen, welche Gedanken seinem Beschützer durch den Kopf gingen. Solange es aber keinen offiziellen Befehl gab, der es ihnen untersagte, das Portal zu benutzen, war es lediglich eine Sache zwischen ihm und Sandoval. „Wir haben wahrscheinlich nur jetzt die Möglichkeit, etwas zu unternehmen. Aktivieren Sie es”, fügte er entschlossen hinzu.

„Nein, Major!” Der FBI-Agent fixierte seinen jüngeren Kollegen mit einem durchdringenden Blick. „Solange wir nicht die exakten Koordinaten kennen, wäre eine Rettungsmission zu riskant. Sie werden zum Mutterschiff fliegen. - Und ich werde mit Ihnen nicht darüber diskutieren”, fügte er hinzu, um jeden Widerspruchsversuch zuvorzukommen. „Das ist ein Befehl!”

„Na schön”, preßte Liam widerwillig hervor. Ärger brodelte in ihm. Aber er sah ein, daß er auf diesem Weg nichts erreichte. Da mußte er sich schon an eine höhere Instanz wenden. Er konnte nur hoffen, daß sich Da'an aufgeschlossener zeigte.

Nachdem Liam den Raum verlassen hatte, aktivierte Sandoval sein Global. „Ivanek! Kommen Sie zu mir in den Portalraum.” Anschließend trat er hinaus auf den Gang und winkte einen Freiwilligen zu sich. Er musterte den Mann, der ungefähr seine Statur hatte, von oben bis unten und nickte dann zufrieden. „Ziehen Sie sich aus!”

„B-bitte?” Der Freiwillige sah ihn perplex an.

„Ich benötige Ihre Uniform. Rasch!” Sandoval packte ihn und zog ihn in den Raum. Anschließend entkleidete er sich. „Bitte beeilen Sie sich!”

In diesem Augenblick kam Ivanek herein. „Sir?”

„Ich werde durch das Portal gehen”, verkündete der Asiate.

„Soll ich ein Team für Sie zusammenstellen?”

„Ich gehe allein.” Sandoval legte Hemd und Hose, ordentlich gefaltet, zur Seite. Er schien keineswegs gewillt, dem Freiwilligen seinen Anzug zu überlassen, der nun fröstelnd in Unterwäsche vor ihm stand.

„Sir?” Ivanek sah ihn ungläubig an. „Das kann nicht Ihr Ernst sein! Sie können unmöglich allein durch das Portal gehen. Das wäre viel zu gefährlich. Sie brauchen jemanden, der Ihnen den Rücken freihält.”

„Tatsächlich weiß ich nicht, was mich erwartet”, erwiderte der FBI-Agent ruhig und schloß die Uniformjacke. „Aber ich glaube, daß eine Einzelperson weniger aggressiv auf die Jaridians wirkt als eine ganze Gruppe. Waffen nützen mir nichts, Ivanek. Was ich brauche, ist Diplomatie und Verhandlungsgeschick.” Er ging zurück zur Kontrolleinheit, um das Portal zu aktivieren. „Ich habe eine Aufgabe für Sie...”

 
* * *
 

Jemen schleppte sich durch die Wüste. Das Gebirge schien nur widerwillig näherzurücken. Sie wußte nicht, wie viele Stunden mittlerweile vergangen waren. Ihre Uhr hatte bei ihrer Reise durch das halbe Universum den Geist aufgegeben, und in dieser trostlosen Einöde verlor man jedes Zeitgefühl. Ihre Beine schmerzten, und sie hatte Durst. Außerdem war sie so müde, daß sie befürchtete, irgendwann einfach umzufallen und einzuschlafen. Die Felsgruppen, die aus der Ferne betrachtet, sehr dicht beieinanderstanden, waren in Wirklichkeit sehr viel weiter auseinander. Jemen nutzte sie, um zwischendurch zu rasten. Zo'or scheuchte sie jedoch nach wenigen Minuten wieder hoch. „Sie können sich ausruhen, wenn wir die Berge erreichen. Die Sonne geht bald auf. Dann haben wir keinerlei Schutz, und die Jaridians können uns sehr schnell ausmachen.”

Seufzend starrte Jemen in die Ferne. Es war noch so weit, so unendlich weit. Sie hatte ihre Jacke ausgezogen, als sie zu schwitzen anfing. Sie durfte nicht zuviel Flüssigkeit verlieren, solange sie nicht wußte, ob es hier irgendwo Wasser gab. Jetzt zog sie sie achtlos hinter sich her. Sie fröstelte in der kühlen Nachtluft. Die Temperatur mußte um mindestens 5° C abgefallen sein, seitdem sie tiefer in die Wüste kamen. Aber vielleicht war es ganz gut, wenn sie fror. Das hielt sie wenigstens etwas munter. Zo'or marschierte neben ihr. Sein Gang war ruhig, und er drehte sich auch nur selten um. Wie ein Roboter, dachte sie neidisch. Er wird nicht müde, seine Beine schmerzen nicht, und er verspürt auch keinen Durst... Mist! Warum bin ich ein Mensch? Es ist so ungerecht... Nicht denken, Jemen. Einfach nur gehen.

Zunächst war es der einfache Wunsch, ihr Ziel zu erreichen, der sie vorwärtstrieb. Dann war es die Wut auf die Ungerechtigkeit des Lebens, die ihr half, die Schmerzen in den Beinen zu verdrängen. Doch schließlich trottete sie nur stumpfsinnig neben dem Taelon her.

Als sie über eine Unebenheit im Boden stolperte, wäre sie beinahe gestürzt. Nur mit größer Mühe konnte sie ihr Gleichgewicht wiederfinden. „Was ist mit Ihnen?” fragte Zo'or und beäugte sie unfreundlich. „Bilden Sie sich ja nicht ein, daß ich Sie trage.”

„Wie sollten Sie auch!” gab sie verächtlich zurück.

Der Außerirdische betrachtete dies als provokante Unterstellung, die er selbstverständlich sofort richtigstellen mußte. „Wir Taelons sehen vielleicht nicht danach aus, aber wir sind euch Menschen körperlich überlegen...”

Jemen winkte erschöpft ab. Das Letzte, wonach ihr der Sinn jetzt stand, war eine Diskussion. „Ich habe Sie schon verstanden, Zo'or. Ich hatte sowieso nicht vor, zusammenzubrechen.”

„Gut”, erwiderte Zo'or. „Dann können wir unseren Weg ja fortsetzen.” Er verlangsamte jedoch seinen Schritt und paßte sich ihrem Tempo an. Und wenn sie anhielt, um sich etwas auszuruhen, ließ er sie stumm gewähren.

 
* * *
 

Nachdem sich Liam davon überzeugt hatte, daß sämtliche Gefangene auf dem Weg zum Mutterschiff waren, wollte er sich ebenfalls zu einem Shuttle begeben, zögerte aber. Irgend etwas schien ihn zurückzuhalten. Nachdenklich blieb er auf dem großen Platz vor der Bunkeranlage stehen, während er in sich hineinhorchte. Sein Gefühl sagte ihm, daß an Sandovals Verhalten etwas nicht stimmen konnte. Es war eher untypisch für ihn, daß er sich nicht gleich daran machte, die Gefangenen zu befragen. Was war so wichtig, daß er zurückblieb?

Liam beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen und ging in den Bunker zurück. Genau in dem Augenblick, als er den kleinen Raum betrat, stand Sandoval vor dem aktivierten Portal.

„Sandoval!” schrie Liam und sprang vor, ihn zu stoppen, wurde jedoch von Ivanek gepackt und zurückgerissen.

Der FBI-Agent sah kurz über die Schulter und fing den ungläubigen Blick seines jüngeren Kollegen auf. Stumm wandte er sich wieder dem Portal zu und verschwand im gleißenden Slipstream.

„Verdammt! Warum haben Sie ihn nicht aufgehalten?” fuhr Liam Ivanek an. „Das ist doch glatter Selbstmord, was er da macht.” Aufgebracht versuchte er die Hand abzuschütteln, die ihn noch immer festhielt.

„Es war sein Befehl, Major!” erwiderte Ivanek und sah ihn mit unerschütterlicher Ruhe an.

„Dann rufen Sie jetzt sofort all Ihre Leute zusammen, damit wir ihm folgen können...”

„Nein.”

„Was heißt hier nein?!”

„Ich habe strikte Anweisungen von Agent Sandoval erhalten.”

Der junge Companion-Beschützer preßte wütend die Lippen zusammen. Sandovals Gefolgsmann schien fest entschlossen, sich an seine Befehle zu halten. Mit Worten allein würde Liam nichts ausrichten könne. Allerdings war ihm klar, daß er gegen den wesentlich größeren und stärkeren Ivanek kaum eine Chance hatte. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Widerstand aufzugeben. „Können Sie mir mal verraten, was ich jetzt Da'an sagen soll?” knurrte er unfreundlich.

„Ich habe eine Nachricht für Sie. - Agent Sandoval vermutet, daß Zo'or nicht nach Jaridia geschickt wurde, sondern an einen anderen Ort. Daß erhöht die Chance, daß beide gerettet werden können.”

„Ich sehe darin nur keinen Grund, daß er mir dies absichtlich verheimlichen mußte”, warf Liam ein. Ivanek ignorierte seinen Einwand und fuhr fort: „Agent Sandoval ist Zo'ors Beschützer. Er ist für ihn verantwortlich. Doch seiner Meinung nach ist es unnötig, daß Sie sich ebenfalls diesem Risiko aussetzen. Einer von Ihnen beiden ist immer ersetzbar. Aber wenn Sie beide gingen, wäre das äußerst unklug. Im Falle, daß Sandovals Versuch, Zo'or zu retten, scheitert, wird T'than vermutlich der neue Synodenführer. Dann braucht Da'an Ihre volle Unterstützung.”

„Das hat Sandoval gesagt?” vergewisserte sich Liam verwundert.

„Ja, Major. Und er hat mir aufgetragen, Ihnen zu sagen, daß Sie niemanden etwas von seinem Plan verraten sollen... außer Da'an.”

Liam überlegte. T'than lag nicht viel daran, seinem Widersacher Zo'or mehr Hilfe als unbedingt notwendig zu gewähren. Gut möglich, daß er die Situation für sich ausnutzte und der Synode die tatsächlichen Koordinaten vorenthielt, um so zu verhindern, daß eine Rettungsmission stattfand. Der Einzige, der hier helfen konnte, war Da'an. Er gehörte zwar auch zu Zo'ors Gegnern, seine Kritik richtete sich aber meist gegen die Projekte des Synodenführers, und in der Vergangenheit hatte er sich mehr als einmal schützend vor den Artgenossen gestellt. Offensichtlich waren Sandoval ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen, und er hatte sich entschlossen, Zo'ors Leben nicht einem ungewissen Schicksal zu überlassen. Er hoffte, den Taelon zu finden und zu beschützen, bis Hilfe eintraf. Hilfe, die er sich von Da'an und mir erhofft, dachte Liam. Und wir müssen uns beeilen, wenn wir T'than zuvorkommen wollen.

 
* * *
 

Sandoval stolperte, als er den Transferstrahl des Interdimensionsportals verließ. Für einen Augenblick war er völlig orientierungslos, bis sich sein verschwommener Blick klärte und er seine Umgebung wahrnehmen konnte. Ein Laut der Überraschung entfuhr ihm, als er den riesigen Trabanten am Firmament sah. Ein irrationalen Augenblick lang hatte er das Gefühl, er würde mitsamt dem Planeten jeden Moment in diesen Mond krachen.

Als er das Portal durchschritt, hatte er keine genauen Vorstellungen davon gehabt, was ihn erwarten könnte. Hauptsächlich hatte er sich auf eine Begegnung mit den Jaridian vorbereitet. Doch offensichtlich war er allein. Überwältigt und fasziniert zugleich sah er sich um und ließ seinen Blick über den Krater schweifen. Der Planet, auf dem er angekommen war, machte alles andere als einen freundlichen Eindruck, doch auf Sandovals Gesicht erzeugte es ein Lächeln, als er die bizarre Landschaft betrachtete und den Anblick tief in sich aufnahm. Er fühlte sich plötzlich wie ein Forscher, der eine neue Welt entdeckt hatte. Das, was ihn damals zu den Taelons geführt hatte, war nicht nur das Begehren gewesen, eine fremde Spezies kennenzulernen, sondern auch der Wunsch, das Universum zu erforschen und mit eigenen Augen das zu sehen, was bisher nur Teleskopen vorenthalten war. Er hatte immer bedauert, daß sich die Umstände anders entwickelt hatten.

Fremde Gedanken rissen Sandoval aus seiner Verzückung. Die Gedanken seines Skrills, der ihn warnte. Das sensible Lebewesen konnte eine Gefahr viel schneller wahrnehmen als er. Instinktiv preßte er den Arm gegen die Brust, fühlte trotz der dicken Jacke das Pulsieren seines Symbionten, während er sich aufmerksam umsah. Das kleine, vom Licht des riesigen Mondes erhellte Plateau, auf dem er stand, war leer. Aber die langen Schatten der Felsen vermochten sehr wohl jemanden zu verbergen. Sandoval rührte sich noch immer nicht, aber Nervosität machte sich in ihm breit. Nach einer ganzen Weile kam er zu dem Entschluß, daß von ihm vielleicht eine Reaktion erwartet wurde. Langsam verließ er das Portal und bewegte sich auf den Kraterrand zu. All seine Sinne waren bis aufs äußerte gespannt, obgleich er wußte, daß er seinen Skrill unter keinen Umständen benutzen durfte.

Sandoval bemühte sich, die Schatten zu ignorieren. Zum einen konnte er sowieso nichts erkennen und zum anderen wollte er die Jaridian nicht provozieren. Es war wichtig, daß der Eindruck entstand, er gehöre ebenfalls zum Widerstand. Also bewegte er sich möglichst ungezwungen. Doch nichts geschah. Es blieb still in dieser seltsamen, fremden Umgebung.

„Hallo?” Sandovals Nervosität wuchs, als er auf seinen Ruf weder eine Antwort erhielt noch irgendeine Veränderung in seiner Umgebung feststellen konnte. „Hallo!” versuchte er es erneut. „Ich weiß, daß Sie hier sind.” Doch es blieb totenstill.

In ihm machte sich eine unangenehme Ahnung breit. Wenn es auf diesem Planeten nun gar keine Jaridians gab, weil sie ihn mittlerweile längst wieder verlassen hatten... dann war er im wahrsten Sinne des Wortes gestrandet. Wieder sah er sich um, während er darüber nachdachte, was er nun tun sollte. Möglicherweise war das hier sogar eine Falle. Hendriks hatte ihn schon einmal ausgetrickst. Warum nicht auch diesmal? Solange er keine Anhaltspunkte fand, die ihm weiterhalfen, war alles möglich.

Sandoval zog sein Global aus der Jackentasche. Wenn die Jaridians hier gewesen waren, müßte er zumindest Spuren von energetischen Emissionen feststellen können. Er nahm zunächst eine Messung der Atmosphäre vor, um sein Gerät den Umweltbedingungen anzupassen. Er war so vertieft in sein Vorhaben, daß er nicht mehr auf seine Umgebung achtete. Langsam drehte er sich um die eigene Achse, um das Gelände zu scannen. „Jetzt wollen wir mal sehen, was...” Das nächste Wort blieb ihm in der Kehle stecken.

Nur wenige Schritte von ihm entfernt standen regungslos drei dunkle Gestalten.

 
* * *
 

Als Liam auf dem Mutterschiff eintraf, kam ihm Da'an bereits entgegen. „Das wissenschaftliche Team ist informiert und trifft gerade die letzten Vorbereitungen”, teilte ihm der Taelon mit. „Es ist T'thans Wunsch, daß das Portal für eine genaue Untersuchung auf das Mutterschiff gebracht wird.”

„Das war wohl zu erwarten”, bemerkte Liam.

Da'an hob überrascht den Kopf, ging aber nicht darauf ein, sondern fragte: „Konnten inzwischen die Koordinaten ermittelt werden?”

„Nein. Das Portal ist durch eine Sperre geschützt.”

„Wir werden also abwarten müssen, was die Untersuchung ergibt.” Der Taelon überlegte kurz. „In der Zwischenzeit sollten wir mit der Befragung der gefangenen Widerstandskämpfer beginnen.” Er hielt inne, als ihm die ungewohnte Zurückhaltung seines jungen Beschützers bewußt wurde. Normalerweise hatte Liam immer etwas zu sagen, ob es ein Vorschlag war oder Kritik oder auch nur ein einfacher Kommentar. Daß er schwieg, geschah äußerst selten. „Was ist mit Ihnen, Liam?” fragte Da'an. „Sie verschweigen mir doch etwas.”

„Sandoval ist ebenfalls durch das Portal gegangen”, sagte Liam stirnrunzelnd. „Er hielt es nicht einmal für nötig, seinen Plan mit mir zu besprechen.”

„Ich verstehe”, erwiderte Da'an.

„Er ist anscheinend der Überzeugung, daß von der Synode keine allzu große Hilfe in Bezug auf eine mögliche Rettung Zo'ors zu erwarten ist”, fuhr Liam fort. „Vor allem, wenn ihr gewisse Informationen vorenthalten wird.”

„Gewisse Informationen?” wiederholte der Taelon fragend. „Was meinen Sie damit?”

Der junge Mann senkte unwillkürlich die Stimme, obwohl in dem Gang außer ihnen weit und breit niemand zu sehen war. „Sandoval ließ mir ausrichten, daß er vermutet, daß Zo'or gar nicht nach Jaridia geschickt wurde...”

„Was tatsächlich gar nicht so abwegig ist”, warf Da'an ein. „Die Jaridian hätten Zo'or sofort exekutiert, und wir hätten seine Loslösung vom Gemeinwesen gespürt.”

„Solange die Synode aber davon ausgeht, daß sich Zo'or in den Händen seiner Feinde befindet, wird sie einer Rettungsmission wohl kaum zustimmen.”

Da'an sah ihn prüfend an und überlegte. „Folgen Sie mir, Liam”, sagte er schließlich. Rasch verließ er den Hauptkorridor und suchte einen der Seitengänge auf.

„Wo sind wir hier?” fragte Liam, als ihn der Taelon in einen Raum führte, den er noch nicht kannte. Neugierig sah er sich um. Ihm fielen sofort eine Reihe von Apparaturen auf, die ihn irgendwie an die Energieduschen der Taelons erinnerten.

„Liam...” Da'an stellte sich seinem Beschützer geschickt in den Weg, um zu verhindern, daß dieser tiefer in den Raum ging. „Sie haben doch einen bestimmten Verdacht. Wer sollte ein Interesse daran haben, den tatsächlichen Aufenthaltsort Zo'ors zu verheimlichen?”

„T'than”, sagte Liam ohne jedes Zögern. „Es ist immerhin kein Geheimnis, daß er mit Zo'ors Führungsstil nicht einverstanden ist. Aus welchem Grund sollte ein Kriegsminister, dessen Aufgabe es bisher war, die Einsätze an der Front zu leiten, sich über Gebühr auf dem Mutterschiff aufhalten, wenn er dabei nicht ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen hätte? Und wieso hat er jetzt die Führung der Synode und nicht Sie?”

Da'an gab keine Antwort. Ruhig stand er vor seinem jungen Beschützer und sah ihn an. Es war nicht ersichtlich, ob er überrascht war oder ob er selbst bereits zu dieser Schloßfolgerung gekommen war. Wie immer ließ er seine Gedanken außen vor. Von allen Taelons war er der geheimnisvollste, denn er offenbarte sich nie ganz. Sein Handeln blieb stets undurchschaubar, seine Ziele unergründlich.

„Sie sind ebenfalls ein Gegner Zo'ors, Liam. Und doch wollen Sie mir helfen, ihn zu retten. Wieso?”

Liam schwieg. Er hatte sich diese Frage selbst gestellt und darauf keine Antwort gefunden. Fühlte er sich dazu verpflichtet, weil er ein Companion-Beschützer war und sein Schwur allen Taelons galt? Hielt er T'than für gefährlicher und wollte deshalb verhindern, daß dieser an die Macht kam? Oder tat er es für Da'an, der sich immer wieder schützend vor Zo'or gestellt hatte, obwohl ihm der Artgenosse alles andere als freundlich gesinnt war?

Liam wußte nicht, was er seinem Companion sagen sollte. Da'an schien auch keine Antwort zu erwarten, aber für einen Augenblick wirkte er sehr nachdenklich.

„Welche Möglichkeiten stehen uns zur Verfügung?” fragte er nach einer Weile.

„Wir könnten zusätzlich Verstärkung durch das Portal schicken”, schlug Liam vor und spähte neugierig an Da'an vorbei in den Raum. Leider war es viel zu dunkel, um irgendwelche Besonderheiten entdecken zu können.

„Im Augenblick ergibt das wenig Sinn, solange das Portal nur in eine Richtung funktioniert.”

„Sandoval ist völlig auf sich allein gestellt. Da könnte er ein wenig Unterstützung sicher gebrauchen. - Außerdem ist da noch Tyler...”

Da'ans Kopf fuhr hoch. „Was ist mit ihr?” Die offenkundige Besorgnis, die seine Miene ausdrückte und auch in seiner Stimme mitschwang, versetzte Liam einen Stich.

„Sie ist mit Zo'or durch das Portal gegangen.”

„Möglicherweise hielt man sie für eine Verräterin”, überlegte der Taelon.

„Das bezweifle ich, Da'an. Wir trafen auf ihren Bruder, der ebenfalls zu den Dark Blue gehört. Seine Geschichte klang nicht so, als hätte man sie als Verräterin betrachtet.”

„Wie meinen Sie das, Liam?”

„Tyler hat uns... Sie verraten. Von Anfang an hatte sie nur ein einziges Ziel vor Augen: sich an Zo'or zu rächen, den sie für den Tod Di'mags verantwortlich macht. Und deshalb ist sie mit ihm durch das Portal gegangen. Sie ist die wirkliche Gefahr für Zo'or.”

Da'an schüttelte den Kopf. „Liam, wir beide haben gesehen... miterlebt, was Jemens Handeln beeinflußte. Ma'els verzerrte Botschaft hatte die Kontrolle über sie gewonnen, bis wir ihr halfen, sich davon zu befreien. Sie hat Sie doch zu dem Versteck der Widerstandskämpfer geführt. Bereitwillig”, fügte er mit Nachdruck hinzu.

„Tyler hat uns etwas vorgemacht. Begreifen Sie das doch endlich! Sie wollte nicht uns helfen, sondern nur sich selbst. Ihre einzige Chance, auf dem kürzesten Weg in Zo'ors Nähe zu kommen, lag darin, so zutun, als ob sie mit uns kooperieren würde. - Da'an”, Liam sah ihn eindringlich an, „ich habe sie erlebt, als wir in Kyllburg waren. Di'mags Tod ist ihr sehr nahegegangen. Und sie hat selbst zugegeben, daß sie Zo'or töten wollte”, fügte er hinzu, als er die Unsicherheit im Gesicht seines Companion sah. „Die fremde Macht in ihr hat nur verstärkt, was ohnehin ihr Wunsch war. Sie hält Zo'or für den Mörder Di'mags.”

Der Taelon wandte sich ab. Ein blaues Leuchten lief über sein Gesicht, während er vergeblich danach trachtete, seine Emotionen zu unterdrücken. „Sie haben Jemen von der ersten Sekunde an abgelehnt, Liam”, sagte er leise. „Doch mittlerweile bin ich der Auffassung, daß Sie sich von persönlichen Gefühlen leiten lassen, die hier jedoch fehl am Platz sind. Es gibt nichts, was Ihre Vorwürfe in irgendeine Weise rechtfertigt. Ich werde sie zukünftig auch nicht länger dulden.” Seine Stimme war abweisend geworden. „Habe ich mich klar genug ausgedrückt?”

Liam preßte verärgert die Lippen aufeinander. „Klar und deutlich”, sagte er sarkastisch.

„Die vergangenen Tage waren recht anstrengend”, fuhr der Taelon kühl fort. „Sie sollten sich etwas Ruhe gönnen.”

Liam hatte verstanden. Seine Wut wich einer plötzlichen Enttäuschung. Und weil jedes weitere Wort den Konflikt zwischen ihnen nur noch verschärft hätte, verließ er schweigend den Raum.

 
* * *
 

Sandoval hatte sich rasch von seiner Überraschung erholt. Aufmerksam betrachtete er die drei Gestalten, die noch immer bewegungslos vor ihm verharrten, während er seinen rechten Arm unauffällig nach hinten schob. Sein Skrill hatte ihn seltsamerweise nicht vor diesen Fremden gewarnt; das skorpionartige Wesen war entspannt und witterte keine Gefahr. Trotzdem wollte Sandoval kein Risiko eingehen. Sein Leben war sicherlich kein Pfifferling mehr wert, wenn die Jaridians in ihm einen Companion-Beschützer erkannten.

Der Mittlere der drei Gestalten trat einen Schritt vor. Sein Gesicht war nach wie vor durch die Kapuze verborgen. „Wo ist der Taelon?” fragte er leise.

Sandoval riß verblüfft die Augen auf. Es überraschte ihn weniger, daß Zo'or offensichtlich nicht an seinem Zielort angekommen war. Aber diese Stimme! Diese Stimme konnte unmöglich einem Jaridian gehören. „Wer sind Sie?” fragte er.

Sein Gegenüber gab keine Antwort, sondern deutete mit der Hand in Richtung Krater. „Folgen Sie uns!”

 
* * *
 

Jemen blinzelte und kniff sofort die Augen wieder zu, als sie von hellem Licht geblendet wurde. Das war eindeutig zu früh, befand sie. Kein Companion-Beschützer war verpflichtet, schon bei Tageseinbruch aus den Federn zu springen, um zum Dienst zu eilen. Genüßlich wollte sie sich umdrehen und weiterschlafen. Doch im nächsten Augenblick war sie schlagartig hellwach, als ihre Erinnerung einsetzte und ihr bewußt wurde, wo sie sich befand - nämlich nicht in ihrem Bett.

Sie lag im Schatten eines überhängenden Felsvorsprunges in einer Sandkuhle. Doch wie kam sie hierher? Das Einzige, an das sie sich erinnern konnte, war der nie endende Marsch durch die Wüste. Jeder Knochen, jeder Muskel schmerzte, als sie sich mühsam aufrichtete. Ihre Kehle brannte vor Durst. Wasser, dachte sie. Was gäbe ich jetzt für einen Schluck Wasser!

„Wie ich sehe, sind Sie endlich wieder aufgewacht”, ertönte da Zo'ors Stimme. Der Taelon trat vor die kleine Höhle und musterte sie. „Dann können wir unseren Weg jetzt fortsetzen.”

Ungelenk bewegte sich Jemen auf ihn zu und starrte hinaus. „Du meine Güte”, entfuhr es ihr überrascht. Vor ihr lag ein riesiges, sonnenüberflutetes Tal, das von hohen Felsenklippen umgeben war und sie an den Capitol Reef National Park erinnerte, nur das es hier keinerlei Pflanzen gab, sondern nur Geröll und kleinere Verwerfungen. Die verschiedenen Farben der Felsen deuteten auf die unterschiedlichsten Gesteinsarten hin, deren Anblick das Herz eines jeden Geologen hätte höherschlagen lassen. Und über allem spannte sich ein graublauer Himmel, dessen Farbe zum Horizont hin in ein Gemisch aus Braun-, Rot- und Gelbtönen überging. Von der Wüste, die sie nachts durchquert hatten, war nichts mehr zu sehen. Aber Jemen erinnerte sich langsam wieder daran, wie sie das Gebirge erreicht hatten - vielmehr das, was sie als Gebirge angesehen hatte und daß sich tatsächlich dann als ein Sandsteinfelsen entpuppt hatte. Irgendwie war es ihr gelungen, Zo'or zu folgen, obwohl sie am Ende ihrer Kräfte gewesen war. Er hatte sie hinaufgeführt. Und nachdem sie eine kleine Schlucht durchquert hatten, waren sie auf dieses Plateau gekommen, auf dem sie nun standen und daß ihnen jetzt diesen grandiosen Ausblick präsentierte.

„Ich habe eine Passage gefunden, die uns über den Kamm führt”, brachte sich Zo'or in Erinnerung.

Jemen wandte sich um und betrachtete skeptisch die Sandfelsen, die sich vor ihr in die Höhe schraubten. Leise seufzte sie auf.

„Der Aufstieg wird ein wenig... schwierig für Sie sein”, fuhr der Taelon fort und betrachtete sie abschätzend, „aber leider bleibt uns keine Alternative. Ich habe vorhin einen Jaridian-Scout über der Wüste gesehen. Man sucht bereits nach uns. Hinter dem Kamm beginnt ein weiträumiges Gebiet mit tiefen Schluchten, die uns den notwendigen Schutz bieten.”

„Je höher wir kommen, um so schneller wird man uns entdecken”, wandte sie stirnrunzelnd ein.

„Wir müssen uns eben beeilen”, entgegnete er ungerührt. „Ich muß Sie wohl nicht darauf aufmerksam machen, daß wir durch Ihr enormes Schlafbedürfnis wertvolle Zeit verloren haben.”

Jemen starrte erneut den steilen Berghang an, den er erklimmen wollte. Sie würden dafür sicher einige Stunden benötigen, und alles in ihr sträubte sich, sich einer derartigen Quälerei auszusetzen. „Warum gehen wir nicht in diese Richtung?” Sie deutete auf das Tal. „Wir finden dort sicher auch einen Weg, um auf die andere Seite der Felsen zu gelangen.” Und für mich wird es nicht so anstrengend, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Wir würden dafür mindestens einen ganzen Tag benötigen, und das erhöht selbstverständlich das Risiko, entdeckt zu werden.”

„Bei all dem Geröll, das da herumliegt?”

„Die Jaridians verfügen über ausreichend technischen Möglichkeiten, uns aufzuspüren. In den Schluchten dagegen haben wir eine reelle Chance, ihnen zu entkommen.”

„Dann müssen Sie ohne mich weitergehen”, erklärte sie nach einer Weile. „Allein schaffen Sie es vielleicht, die Kolonie zu erreichen. Wenn es dort tatsächlich noch jemanden gibt, können Sie mir Hilfe schicken. Wenn nicht... spielt es ohnehin keine Rolle mehr.”

In einer ungeduldigen Geste hob Zo'or seine Hand. „Miss Tyler”, begann er mit erhobener Stimme, „mir ist sehr wohl bewußt, daß den physischen Kräften eines Menschen gewisse Grenzen gesetzt sind. Aber Sie sich noch recht jung. Der Marsch durch die Wüste mag Sie erschöpft haben, aber nach der Ruhepause müßte es Ihnen möglich sein, weiterzumarschieren. Vielleicht fehlt es Ihnen nur an der notwendigen Disziplin.”

Jemen hätte ihm gern eine passende Antwort gegeben, aber sie fühlte sich einfach zu kraftlos, um mit ihm zu streiten, und wahrscheinlich war es ohnehin sinnlos. Er war schließlich ein Außerirdischer, dem die grundlegenden Bedürfnisse eines Menschen nicht so vertraut waren. Rücksichtsnahme und Verständnis hätte sie von einem Taelon wie Da'an erwarten können, aber nicht von Zo'or, der sich allenfalls gezwungenermaßen mit ihr abgab. „Zo'or”, sagte sie und mußte sich zwingen, nicht unhöflich zu werden, „Kraft allein reicht nicht aus. Was mir fehlt ist Wasser.”

„Wasser?” wiederholte er verblüfft. „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?” Er schüttelte verständnislos den Kopf. „Wenn es weiter nichts ist... Ihr Wasser sollen Sie bekommen.”

Fragt sich nur woher, dachte Jemen ironisch.

„Dieser Planet ist reich an Wasser”, fügte der Taelon hinzu, der ihren skeptischen Blick sehr wohl zu deuten wußte. „Es befindet sich in großen Kavernen tief in der Erde.”

„Klasse”, murmelte sie sarkastisch. „Jetzt müssen wir uns wahrscheinlich nur einen Brunnen graben.”

Zo'or hatte sich bereits zum Gehen gewandt. „Halten Sie Ausschau nach einer Pflanze. Sie wächst direkt am Boden und ist nur schwer zu entdecken, weil sie stets die Farbe des Untergrundes annimmt.” Er folgte einem unsichtbaren Weg entlang der Sandsteinfelsen und war bald ihren Blicken entschwunden. Jemen blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Hastig griff sie nach ihrer Jacke und band sie um die Taille. Obwohl es relativ früh am Morgen war, spürte sie bereits die Hitze. „Wieso gibt es hier noch Pflanzen?” rief sie ihm hinterher. „Ich dachte, die Jaridians haben alles vernichtet?”

„Miss Tyler”, gab er ungeduldig zurück, „Sie erwarten doch jetzt wohl nicht von mir, daß ich Ihnen die hiesige Flora erkläre? Akzeptieren Sie einfach die Tatsache, daß es einer einfachen Pflanze gelungen ist, das Inferno zu überleben.”

Die Aussicht auf Wasser gab Jemen neuen Mut, und sie bemühte sich, nicht den Anschluß zu verlieren. Zo'or bewegte sich erstaunlich behende, obwohl der Sandstein alles andere als leicht begehbar war. Er hatte jedoch keinerlei Schwierigkeiten, während sie mehr als einmal ausrutschte und sich nur mit Mühe jedes Mal vor einem Sturz bewahren konnte. Taelon müßte man sein, dachte sie mißmutig, als sie wieder einmal ins Rutschen geriet und bei dem Versuch, sich festzuhalten, die Hand an dem rauhen Gestein aufriß. „Zo'or!” rief sie nach einer Weile wütend. „So geht das nicht! Wenn Sie immer so weit vorlaufen, finde ich den Weg nicht.”

Er drehte um und kam zurück. „Mein Tempo ist der Situation angemessen, Miss Tyler. Das hier ist schließlich kein Spaziergang.”

Sie starrte ihn verärgert an. „Ich bin ein Mensch und keine Bergziege”, knurrte sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Entweder bleiben wir zusammen, oder ich weigere mich, auch nur einen einzigen weiteren Schritt zutun.”

„Es war Ihre Idee, die Kolonie aufzusuchen. Also beschweren Sie sich nicht.”

Demonstrativ verschränkte sie die Arme. „Keinen einzigen weiteren Schritt”, wiederholte sie mit Nachdruck.

Der Taelon neigte ein wenig den Kopf, während er sie abschätzend betrachtete. „Miss Tyler”, begann er dann in einem belehrenden Tonfall, doch sie schnitt ihm das Wort ab.

„Sie haben keine Beine, die Ihnen wehtun, Zo'or. Und Sie sind auch nicht halb verdurstet, so wie ich. Ich muß meine Kräfte einteilen, sonst komme ich nämlich nicht mehr sehr weit.”

Er gab ein Geräusch von sich, das wie ein ungeduldiges Seufzen klang. „Ich frage mich, wie die Menschen sich überhaupt so weit entwickeln konnten. - Nun, Sie scheinen kein besonders belastbares Exemplar Ihrer Spezies zu sein.”

„Ich erwarte nur ein bißchen mehr Rücksicht”, erwiderte sie ärgerlich. „Wir sind beide auf diesem Planeten gestrandet. Wir sollten das Beste daraus machen und uns gegenseitig helfen.”

„Helfen? Ich wüßte nicht, welche Hilfe ich von Ihnen in Anspruch nehmen müßte”, erwiderte er arrogant. Er wandte sich zum Gehen. Nach einigen Schritten hielt er aber inne und schaute zurück. „Es bleibt selbstverständlich Ihnen überlassen, ob Sie zurückbleiben. Es ist allein Ihre Entscheidung, ob Sie verdursten wollen.”

Jemen mußte sich wütend geschlagen geben. Ein menschlicher Dickkopf war anscheinend nicht ausreichend, um sich gegen außerirdische Ignoranz durchzusetzen. Stöhnend setzte sie ihren Aufstieg fort.

Wie lange würde sie das durchstehen können? Wie lange würde sie den Willen aufbringen, trotz der Schmerzen weiterzuklettern? Deprimiert blickte sie zum Himmel hinauf und blinzelte in das helle Sonnenlicht. Sie wußte nicht einmal, ob es hier irgendwelche gefährliche Strahlung gab. Vielleicht war sie bereits verseucht, ohne es zu wissen.

Nicht denken, Jemen. Nur laufen...

Zwei Stunden später ging es ihr jedoch immer schlechter. Sie war am Ende ihrer Kräfte. Ihr war heiß, und gleichzeitig fror sie... die ersten Anzeichen der beginnenden Dehydration. Zudem fühlte sie sich benommen und desorientiert. Zo'or, der hin und wieder einen Blick über die Schulter zurückwarf, entging es nicht, daß sie immer häufiger danebengriff, wenn sie sich an dem Felsgestein hochziehen wollte. Schließlich schien er den Ernst der Lage zu begreifen, denn er hielt inne und betrachtete sie prüfend.

Jemen sank völlig erschöpft in den Schatten eines großen Felsenbogens. Ihr ganzer Körper fühlte sich wie einziger riesiger Schmerz an. Schwer atmend starrte sie zu ihm hinüber und wartete darauf, daß er ihr diese kleine Pause gewähren würde.

Eine lange Zeit sah er sie nur an. Nichts in seinem Gesicht verriet, was er dachte. Dann ging sein Blick in die Höhe, fuhr abschätzend den Grat entlang und kehrte zu ihr zurück. Schließlich drehte er sich wortlos um und setzte seinen Weg fort. „Zo'or”, krächzte sie und streckte die Hand nach ihm aus. Panik machte sich in ihr breit. „Zo'or...” Vergeblich versuchte sie auf die Beine zu kommen, während er langsam aus ihrem Blickfeld entschwand.

 

Ende von Kapitel 12

 

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