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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Liam und seine Mitstreiter geraten in eine peinliche Lage, während Jemen und Zo'or sich auf einer fremden Welt wiederfinden
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Liam Kincaid, Jemen Tyler, Zo'or, Gordon Winsloe, Nils Peltzer, (Sandoval, Hendriks, Ivanek, Tom Brix)]
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 11

 

Liam vermied es, Winsloe und Peltzer anzusehen. Aber die beiden Sicherheitsleute starrten ohnehin beharrlich auf den Boden, so als würde augenblicklich das Todesurteil über sie ausgesprochen, sobald sie den Kopf um nur einen Millimeter hoben.

Sie hatten es vermasselt. Alle drei. Beinahe lehrbuchmäßig: Wie man es nicht machen sollte...

Am peinlichsten war ihnen jedoch der Gedanke, daß sie sich Tyler gegenüber so aufgespielt hatten. Und nun wußten sie noch nicht einmal, was mit ihr war.

„Wir sind ja solche Idioten”, sagte Liam und brach damit als Erster das Schweigen. Winsloes und Peltzers Köpfe hoben und senkten sich zustimmend. „Wir hätten wissen müssen, daß sie nach Tylers Auftauchen die Gegend überprüfen.” Er schüttelte den Kopf, fassungslos über ihre Dummheit. „Verdammt!”

Die beiden Sicherheitsmänner wechselten einen kurzen Blick. Auch sie hatten ihren Teil dazu beigetragen: Winsloe, der den Vorschlag gemacht hatte, in der Nähe des Eingangs auf das Signal zu warten, und Peltzer, der Jemens Waffe entdeckt und wahrscheinlich einen Alarm ausgelöst hatte. Aber sie vermieden es, nachträglich darüber zu fachsimpeln. Es war ohnehin schon peinlich genug.

Liam sprang auf und begann nervös in der kleinen, zwei mal drei Meter großen Zelle, in die man sie gesperrt hatte, auf und abzulaufen. „Jetzt können wir nur hoffen, daß Sandoval erfolgreicher ist als wir”, preßte er hervor. Er fuhr herum, als er hörte, wie sich jemand an der Tür zu schaffen machte. Sie wurde geöffnet und gab den Blick auf einen Mann mittleren Alters frei. Er war groß und von kräftiger Statur. Seine Haltung und die Art, wie er sie musterte, deuteten darauf hin, daß er der Anführer der Widerstandsgruppe war.

Liam reckte selbstbewußt den Kopf. Die Tatsache, daß sie sich in einer ungünstigen Position befanden, schüchterte ihn keineswegs ein. „Ich bin Major Liam Kincaid, und ich verlange eine Erklärung, warum man uns hier gefangenhält.”

Sein Gegenüber starrte ihn nur schweigend an. Nichts in seinem Gesicht deutete darauf hin, was er dachte. Aber da war ein Ausdruck in seinen Augen... Er machte Winsloe und Peltzer Angst. Liam fühlte ihre Furcht, und er fragte sich, was zwei so hartgesottene Burschen derart beunruhigen konnte. „Wo ist Zo'or?” wandte er sich an den Widerstandskämpfer.

So etwas wie ein Lächeln huschte über das Gesicht des Dark Blue-Mannes und milderte die Strenge in seinen Zügen. „Nur drei Leute”, stellte er fest. „Wir haben mit einer ganzen Invasion gerechnet. Und sie schicken nur drei Leute. Ist den Taelons das Leben ihres Anführers nicht mehr wert?”

Liam dachte an Sandoval. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis er und seine Leute hier eintrafen. Die Dark Blue würden ihre Invasion schon noch bekommen. „Manchmal ist weniger eben mehr”, gab er schroff zurück.

„Aber es hat Ihnen wenig genutzt. Immerhin sind Sie jetzt unsere Gefangenen und nicht umgekehrt. Etwas an Ihrer Rechnung kann also nicht stimmen, Major.”

„Was immer Sie vorhaben, es wird Ihnen nicht gelingen. Ihnen muß doch bewußt sein, daß sich die Taelons nicht erpressen lassen, nicht einmal mit Zo'or.”

„Erpressen?” wiederholte Hendriks, und seine Augen blitzten spöttisch auf. „Wie kommen Sie darauf, daß wir die Taelons erpressen wollen?”

„Nun, Sie werden kaum den ganzen Aufwand betrieben haben, nur um Zo'or zu töten.”

„Das ist richtig.”

„Dann beabsichtigen Sie also doch, ihn gegen irgend etwas einzutauschen. Auch wenn ich das schlichtweg Erpressung nenne.”

Hendriks trat einen Schritt auf ihn zu und fixierte ihn mit einem langen Blick. „Daß Sie als Companion-Beschützer Ihre Augen vor der Wirklichkeit verschließen, ist mir klar. Es gehört sich nun mal nicht, seinem Arbeitgeber auf die Finger zu schauen oder ihn womöglich zu kritisieren. Aber wir sind nicht so blind. Wir sehen, was um uns herum geschieht....” Er unterbrach sich. „Was gibt es?” Ein Untergebener war an ihn herangetreten, und beide zogen sich auf dem Gang vor der Zelle zurück. Da die Tür einen Spaltbreit offenstand, konnte Liam alles verstehen, was draußen gesprochen wurde.

„Es ist alles vorbereitet, Sir.”

„Gut. Wir liegen innerhalb unseres Zeitrahmens. Deaktivieren Sie die Systeme.”

„Jawohl, Sir.”

Winsloe sprang auf. „Die wollen sich aus dem Staub machen, Major”, flüsterte er aufgeregt.

Liam hob die Hand, als ihm bewußt wurde, was er ihm damit zu verstehen geben wollte. Doch ohne ihre Waffen war die Aussicht auf Erfolg gleich null. So schwer es ihnen auch fiel, aber sie mußten notgedrungen auf Sandovals Eintreffen warten. Deshalb schüttelte er den Kopf.

Hendriks kam in die Zelle zurück.

Liam erinnerte sich wieder an das, was ihn bewogen hatte, hierherzukommen. „Hören Sie”, sagte er ernst. „In wenigen Minuten wird es hier nur so von Spezialeinheiten wimmeln, die Ihr Versteck buchstäblich in Stücke reißen. Sie haben keine Chance, und das wissen Sie. Denken Sie aber wenigstens an Ihre Leute, wenn Ihnen Ihr eigenes Leben nichts bedeutet. Sie tragen die Verantwortung für sie.”

Der Widerstandskämpfer lachte verächtlich auf. „Wir kannten das Risiko, Major. Jeder Einzelne von uns. Wenn wir sterben, dann in der Gewißheit, daß es zum Wohle der Menschheit geschieht. Ich erwarte nicht, daß Sie das verstehen. Aber auch Sie werden uns eines Tages dankbar sein.”

„Dankbar? Wofür?”

„Daß wir die Erde von diesen widerwärtigen Kreaturen befreit haben.” Hendriks drehte sich abrupt um und verließ den kleinen Raum.

„Zum Teufel, was meint er damit?” fragte Winsloe.

Liam fuhr sich ratlos durchs Haar. „Wenn ich das nur wüßte...”

 
* * *
 

Der Transferstrahl packte sie, riß sie mit sich und katapultierte sie durch den Weltraum. Sie verließen die Milchstraße, jenen mächtigen Sternenstrom, der sich wie ein schimmerndes Band nachts über den irdischen Himmel zog, und tauchten Millionen von Lichtjahren weiter in eine fremde Galaxie ein. Das Funkeln und Gleißen des Slipstreams verblaßte, und Jemen stolperte in eine fremde Welt.

Für einen Augenblick stand sie noch unter der Auswirkung des Transfers, so daß sie ihre Umgebung nur verschwommen wahrnahm. Doch dann klärte sich ihr Blick, und sie fuhr erschrocken zurück. Aus einem Reflex heraus hielt sie den Atem an, denn sie war überzeugt, soeben ins todbringende Vakuum des Weltraums gestoßen worden zu sein. Sie und Zo'or befanden sich am Rande einer riesigen kraterähnlichen Vertiefung, die schwach im Licht eines großen Trabanten schimmerte. Rechts und links breitete sich eine lange, flache von schroffen Bergen gesäumte Ebene aus, die sich irgendwo in der Dunkelheit verlor. Alles um sie herum wirkte so bedrohlich und furchteinflößend, daß es ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Wie erstarrt war ihr Blick auf das Firmament gerichtet, das neben dem riesigen Mond auch noch einige kleinere Planeten zeigte, während ihr Verstand mühsam diese ersten Eindrücke verarbeitete.

Sie hörte ein zischendes Geräusch und erschrak, als ihr bewußt wurde, daß es ihr eigener Atem war, den sie langsam entweichen ließ. Sie holte langsam Luft, und ihre Lungen füllten sich mit diesem Sauerstoff, der so fremd war wie alles andere um sie herum. Sie war überwältigt, aber auf eine beängstigende Weise. Dies war nicht die Erde, sondern irgendein anderer Planet irgendwo im Universum. Doch ein Teil ihres Verstandes weigerte sich hartnäckig, diesen Ort als real zu akzeptieren. Sie hatte keine Ahnung von Astronomie und Astrophysik, trotzdem schien es irgendwie nicht richtig, so als existiere diese seltsame Welt allen Naturgesetzen zum Trotz. Wieso konnte sie atmen? Wo kam der Sauerstoff her? Vielleicht, dachte sie mit einem Anflug von Galgenhumor, lebe ich gar nicht mehr, und das hier ist das, was uns nach dem Tode erwartet.

Aber was machte dann der Taelon hier? Sie gewahrte seine Präsenz an ihrer Seite, und er erschien ihr realer als jemals zuvor.

„Das ist nicht Jaridia”, sagte Zo'or in diesem Augenblick.

„Wo sind wir dann?” fragte sie und erschrak vor ihrer eigenen Stimme, die ihr seltsam gedämpft vorkam, so als hätte sie sich Watte in die Ohren gestopft.

Zo'or starrte in den Himmel und betrachtete nachdenklich die Sterne. „Es ist ein Planet der Taelons. Hier haben wir eine unserer ersten Kolonien gegründet. Er war das, was ihr Menschen ein Paradies nennt, bevor...”

Doch Jemen hörte ihm schon nicht mehr zu. Kolonie. Nur dieses eine Wort zählte. Es war wie ein Rettungsring, den ihr jemand zugeworfen hatte und der sie aus dieser beängstigenden, unheimlichen fremden Welt rettete. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals herauf, je mehr sie sich ihrer Umgebung bewußt wurde, in die sie nicht hineingehörte. „Eine Kolonie der Taelons”, stieß sie atemlos hervor und kämpfte gegen die Panik an, die sich ihrer bemächtigen wollte. „Wo ist sie? Wie kommen wir dahin?”

„Sie haben mir offensichtlich nicht zugehört”, wurde sie von Zo'or schroff unterbrochen. „Diese Kolonie existiert nicht mehr. Sie wurde von den Jaridians ausgelöscht. Der ganze Planet ist nur noch eine tote Wüste.”

„Was?” flüsterte sie entsetzt. Ihr wurde plötzlich schwindelig. Ein toter Planet! Und bald würden auch sie tot sein. Aber sie wollte nicht sterben. Nicht hier. In dieser fremden bizarren Welt war ihr Leben das einzig Vertraute, das ihr geblieben war, und sie klammerte sich daran wie eine Ertrinkende. Es flimmerte plötzlich vor ihren Augen, und ihre Beine gaben nach. Sie sackte zur Seite, dem Taelon entgegen, und merkte noch, wie Zo'or sie grob wegstieß. Hart schlug sie auf den Boden auf. Dunkelheit wogte ihr entgegen. Doch sie hatte keine Kraft, sich dagegen zu wehren. Es ist vorbei, durchfuhr es sie. Und plötzlich fühlte sie nur noch Dankbarkeit.

 
* * *
 

Liam ging ruhelos in der kleinen Zelle auf und ab. Sein ganzer Körper schmerzte bereits vor Anspannung. Doch er brachte es nicht fertig, sich zu setzen und es Winsloe und Peltzer gleichzutun, die geduldig auf das Eintreffen von Agent Sandoval warteten. Tatsächlich hätten sich die beiden Sicherheitsmänner gern einmal erhoben, um sich zu strecken. Aber das war nicht möglich, solange Kincaid wie ein gereiztes Tier hin und herlief. Alle paar Minuten starrte er dabei auf seine Uhr und fluchte leise. Er war ungeduldig, weil er sich selbst zur Untätigkeit verdammt hatte und ihm damit keine Möglichkeit mehr blieb, in das Geschehen einzugreifen. Bei dieser Rettungsmission hatte so gut wie nichts geklappt: er hatte weder Tyler beschützen noch Zo'or befreien können, und wenn Sandoval dieses Versteck stürmen ließ, dann war auch sein Plan, das Leben der Widerstandskämpfer zu retten, fehlgeschlagen, es sei denn - sie hatten sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Doch Liam konnte jetzt nicht einmal mehr sagen, ob er sich ihre Flucht wirklich wünschte oder nicht, denn der Teil in ihm, der sich den Taelons gegenüber verpflichtet hatte, zwang ihn, an das Wohl des Synodenführers zu denken. Im Grunde war es paradox. Man konnte nicht zwei Herren dienen. In dem Augenblick, als er schwor, Da'ans Leben zu schützen, selbst wenn es sein eigenes kosten würde, hatte er sich für die Taelons entschieden. Und doch war er auch der Anführer des nordamerikanischen Widerstandes, und die Sicherheit der Menschheit stand für ihn an erster Stelle. Für welche Seite er sich auch einsetzte, es ließ sich gar nicht vermeiden, daß es zu Lasten der anderen ging. War sein Bemühen allein dadurch nicht zum Scheitern verurteilt?

Eine dumpfe Explosion erschütterte den Bunker. Winsloe und Peltzer sprangen von der schmalen Bank und stürzten mit Liam an die Tür. „Das muß Sandoval sein!” stieß Peltzer aufgeregt hervor.

„Na, endlich, das wurde auch langsam Zeit”, fügte Winsloe sichtlich erleichtert hinzu.

„Ruhe!” befahl Liam streng. Sie hörten aufgeregte Stimmen. Eilige Schritte näherten sich ihrer Zelle und entfernten sich wieder. Irgend etwas fiel polternd zu Boden. Noch mehr Rufe. Noch mehr Schritte. Eine weitere Explosion ließ das Versteck erbeben. Putz bröckelte von der Decke und rieselte auf sie herab. Liam hatte sein Ohr an die Tür gepreßt und lauschte angestrengt. Maschinengewehrsalven in allernächster Nähe ließ ihn zurückfahren. „Sie sind im Bunker”, kommentierte er überflüssigerweise.

„Wir müssen uns bemerkbar machen”, sagte Peltzer. „Die wissen doch gar nicht, daß wir hier eingesperrt sind.” Er wartete Kincaids Zustimmung erst gar nicht ab, sondern schlug mit der Faust heftig gegen die Tür. „He! Hallo! Hier sind wir! Holt uns raus!”

Liam sah ihn einen Augenblick lang überrascht an, doch dann ließ er sich von dessen Aufregung anstecken und tat es ihm gleich, und beide hämmerten wie wild gegen die Tür. „Sandoval! Hier sind wir! Holt uns raus!”

Sie hielten inne und lauschten erneut. Draußen auf dem Gang schien plötzlich die Hölle loszubrechen, als die Widerstandskämpfer und Sandovals Leute aufeinandertrafen. Das energetische Fauchen der Impulsgewehre mischte sich mit den Salven der Maschinengewehre, untermalt von den energischen Rufen der Anführer, die ihre Kämpfer vorwärtstrieben, und den Schmerzenslauten derjenigen, die getroffen worden waren.

Liam fühlte, wie sich etwas in ihm verkrampfte. Es bereitete ihm beinahe körperliche Pein, miterleben zu müssen, wie da draußen Menschen starben, ohne daß er etwas dagegen unternehmen konnte. Beinahe angewidert betrachtete er die beiden Sicherheitsmänner, die ungeduldig auf die Tür starrten. In ihren Augen sah er das Begehren, an diesem Kampf teilnehmen zu dürfen. Wie konnten sie nur so versessen darauf sein, andere Menschen zu töten? Bis ihm bewußt wurde, daß es ihre Kameraden waren, die da draußen kämpften und daß sie sich ihnen gegenüber verpflichtet fühlten.

„Verdammt”, stöhnte Peltzer auf und begann erneut, gegen die Tür zu schlagen. „Holt uns endlich hier raus!” brüllte er entnervt.

Der Kampflärm draußen auf dem Gang wurde langsam leiser; er schien sich in den rückwärtigen Teil des Bunkers zu verlagern. Trotzdem kam es ihnen wie eine Ewigkeit vor, bis sich jemand an der Tür zu schaffen machte. Automatisch wichen die drei zurück. Die Tür wurde aufgestoßen, und zwei Freiwillige sprangen mit gezückten Impulsgewehren vor.

„Major Kincaid. Companion-Beschützer!” rief Liam sofort und hob demonstrativ die leeren Hände nach oben. Einen Augenblick lang wurden sie gemustert, dann deutete der Freiwillige auf den Gang. „Kommen Sie!”

Liam zwang sich, nicht auf die Toten zu schauen, als er dem Freiwilligen folgte. Dieser führte ihn direkt zu einem Kontrollraum. An den Verwüstungen konnte der Companion-Beschützer erkennen, daß hier ein erbitterter Kampf zwischen den Widerstandskämpfern und Sandovals Leute stattgefunden hatte. So gut wie kein Computer war heilgeblieben. Dunkle Löcher klafften in den Wänden, dort wo die Impulsgewehre ihr Ziel verfehlt hatten. Es roch nach verschmorten Kabeln und Isolierungen. Eine zerborstene Energieleitung versprühte Funken, doch niemand schien sie zu bemerken. Obwohl der Kampf vorbei war, lagen Hektik und Nervosität in der Luft.

„Sandoval!” Liam eilte auf den FBI-Agenten zu, der sich gerade über eine am Boden liegende Gestalt beugte. Der Ärmel an seinem Arm war nach oben geschoben, und man sah deutlich das pulsierende Glühen seines Skrills. Sandoval warf einen Blick über die Schulter. „Major”, sagte er kühl und richtete sich langsam auf. „Was zum Teufel sollte diese Aktion?” herrschte er ihn unvermittelt an. „Und wieso wurde ich von Ihnen darüber nicht informiert?”

Ivanek betrat den Kontrollraum, im Schlepptau zwei Widerstandskämpfer, die er an dem Freiwilligen zum Abtransport weiterreichte. „Sir?”

Sandoval wandte sich ihm zu. Der Zorn, der zuvor in seinen Augen gefunkelt hatte, verschwand augenblicklich hinter einer Maske aus Unnahbarkeit und Ausdruckslosigkeit.

„Sir”, sagte Ivanek ernst. „Wir haben den ganzen Bunker abgesucht...von Zo'or keine Spur.”

„Dann werden Sie mit Ihrer Suche von neuem beginnen”, befahl Sandoval in einem Tonfall, der klar zum Ausdruck brachte, daß er eine Ausrede nicht gelten lassen würde.

„Sir.” Ivanek hielt dem Blick seines Vorgesetzten stand. „Sie werden ihn von hier weggeschafft haben. Vielleicht gibt es noch einen weiteren Fluchttunnel.”

„Sie werden den Bunker durchsuchen. Sofort”, sagte Sandoval kategorisch und zog sein Global hervor. „Wenn ihnen eine Flucht geglückt wäre, wüßten wir davon.”

Ivaneks Gesichtsausdruck zeigte noch immer Skepsis, aber er gehorchte und machte sich auf den Weg.

Kincaid stemmte kopfschüttelnd die Hände in die Hüften. „Sie hätten vielleicht nicht soviel herumballern sollen, als Sie das Versteck stürmen ließen, Sandoval. Dann wäre der Anführer der Widerstandskämpfer noch am leben, und wir könnten ihn befragen.” Er deutete auf die Leiche zu Füße des FBI-Agenten.

Sandovals Miene verfinsterte sich. „Und S i e hätten mich sofort informieren müssen, anstatt auf eigene Faust zu handeln”, sagte er scharf.

„Ich hatte keine andere Wahl”, verteidigte sich Liam. Er sah sich um, aber Winsloe und Peltzer waren nicht zu sehen. „Tyler hatte sich Da'ans Vertrauen erschlichen. Ich mußte so tun, als ob ich ihr glaubte, damit sie nicht mißtrauisch wurde...”

„Da'an war vollkommen überrascht, weil ich nichts von dem Versteck wußte”, fuhr ihn Sandoval an. Er hob drohend den Finger. „Ihre Eigenmächtigkeit wird noch ein Nachspiel haben, Major.” Ein letzter funkelnder Blick, dann drehte sich der Asiate abrupt um und widmete sich seinem Global. „Lagebericht, Zubo!”

Obwohl ihm eine heftige Erwiderung auf der Zunge lag, schluckte Liam sie hinunter. Jetzt war kaum der richtige Augenblick, um einen Streit anzufangen. Sein Blick fiel auf einen toten Widerstandskämpfer, der gegen eine Konsole gesunken war. So jung, dachte er mit einem Schaudern, während er ihn betrachtete. Es schien beinahe so, als schliefe er nur. Sein Gesichtsausdruck war völlig entspannt. Doch im nächsten Augenblick fuhr Liam erschrocken zurück, als die vermeintliche Leiche ihre Augen öffnete und ihn anstarrte. „Ihr werdet ihn nicht finden”, kicherte der junge Widerstandskämpfer, während sich auf seinem Gesicht ein diabolisches Grinsen breitmachte. „Niemals mehr.”

Sandoval wirbelte herum und riß den Arm hoch. „Sandoval! Nein!” rief Liam sofort und stellte sich zwischen ihn und den „Toten”. „Vielleicht kann er uns weiterhelfen.”

Der Asiate starrte ihn empört an. „Wagen Sie nicht noch einmal, sich mir in den Weg zu stellen, Kincaid”, preßte er zornig hervor und schob ihn energisch beiseite. Dann wandte er sich an den jungen Widerstandskämpfer. „Was ist mit Zo'or?”

„Er hat seine letzte Reise angetreten”, flüsterte der Junge in gespielt wichtigtuerischem Tonfall.

„Ihr habt ihn getötet?” fragte Liam ungläubig.

„Nein. Das überlassen wir den anderen.”

„Schaffen Sie ihn auf das Mutterschiff!” befahl Sandoval.

„Nein, warten Sie!” Liam ging in die Hocke. „Er weiß offensichtlich etwas.”

„Das Geplapper eines Wahnsinnigen, Major!” sagte Sandoval ungeduldig. „Vergeuden wir nicht unsere Zeit damit, ihm zuzuhören. Wir werden uns später mit ihm befassen.”

Liam ignorierte ihn. „Was habt ihr mit Zo'or gemacht?” fragte er den Jungen eindringlich.

„Wir haben ihn durch das Portal geschickt.”

„Welches Portal?”

„Daß der Jaridians.” Tom kicherte erneut.

„Und wo ist das Portal?”

„Ihr könnt ihm nicht folgen... es sei denn, euch liegt nicht viel daran, wieder zurückzukehren.”

„Das Portal befindet sich in einem Nebenraum”, mischte sich Sandoval ein. „Wir lassen es bereits untersuchen.”

Liam sah ihn überrascht an. Sein Kollege erschien ihm in diesem Augenblick nicht seltsamer als dieser Junge. „Wir müssen sofort etwas unternehmen. Vielleicht können wir Zo'or zurückholen.”

„Sie haben es doch selbst gehört: Es gibt kein Zurück.”

„Und das glauben Sie?” Irgend etwas stimmte da doch nicht. Liam hatte plötzlich das Gefühl, als verheimlichte ihm Sandoval etwas. Man könnte meinen, er wüßte Bescheid, dachte er verwirrt. Aber Sandoval und die Dark Blue? Wo lag da der Zusammenhang? „Wohin habt ihr Zo'or geschickt?” wandte er sich erneut an den Jungen.

„Nach Jaridia. Er ist unser Geschenk.”

Liam überlegte kurz. „Und Tyler? Was ist mit ihr?”

„Sie begleitet ihn. Für den Fall, daß die Jaridians Zo'or nicht töten, wird sie es tun.” Tom lachte auf. „Sie hat Sie ganz schön an der Nase herumgeführt, nicht wahr? Sie haben ihr geglaubt. Meine Schwester ist sehr talentiert, müssen Sie wissen... Nur schade, daß wir sie nicht mehr wiedersehen.”

Liam fühlte, wie sich etwas in ihm verkrampfte. Er hatte also Recht behalten. Tyler hatte sie verraten. Die ganze Zeit über hatte sie ihm und Da'an etwas vorgemacht. Doch trotz der Genugtuung, die er empfand, weil er nie aufgehört hatte, an ihrer Ehrlichkeit zu zweifeln, verspürte er auch Mitleid mit Da'an, der so sehr getäuscht worden war. Abrupt erhob er sich. „Sehen wir uns das Portal an.”

 
* * *
 

Jemen träumte. Ein Taelon beugte sich zu ihr hinunter. „Wie seltsam ihr Menschen doch seid.” Doch seine Stimme klang nachsichtig. Di'mag, dachte sie mit einem Lächeln. Für ihn waren die Menschen ein großes Rätsel gewesen, dem er sich nur sehr vorsichtig näherte. Jemen hatte ihn einmal gefragt, ob er sich vor ihnen fürchtete. „Fürchten?” hatte er überrascht wiederholt und war dann anschließend in tiefe Nachdenklichkeit verfallen. Erst eine geraumer Zeit später - Jemen hatte ihre Frage schon längst wieder vergessen - gab er ihr eine Antwort. „Ich denke, es ist tatsächlich so etwas wie Furcht, daß ich empfinde, weil mir eure Lebensweise noch nicht so vertraut ist. Euer Umgang untereinander ist sehr stark ritualisiert, eine Anhäufung äußerst komplexer Verhaltensweisen. Dazu sind sämtliche eurer Bereiche mit verschiedenen Tabus durchzogen. Ich fürchte mich wohl davor, etwas mißzuverstehen. - Wie könnt ihr es ertragen, derart kompliziert zu sein?”

„Weil wir damit aufwachsen. Es ist uns so selbstverständlich wie das Atmen.”

„Aber ihr habt keine einheitlichen Rituale. Sie unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. Kommt es da nicht zu Verständigungsproblemen?”

„Doch, natürlich.”

„Ihr seid eine wirklich schwer zu verstehende Spezies.”

„Ja, das ist wahr...”

„So zerbrechlich. So leicht zu zerstören.”

Di'mags Stimme klang plötzlich hart. Zu hart, dachte Jemen. Sein Antlitz zerfaserte in einem Dunstschleier, der sich langsam vor ihren Augen auflöste und den Blick auf einen sternenübersäten Nachthimmel freigab. Schlagartig setzte ihre Erinnerung wieder ein. Sie waren auf diesem Planeten gestrandet. Sie und Zo'or. Das Ende eines ereignisreichen Tages, der ihr Leben auf dem Kopf gestellt hatte. Doch derzeit konnte sie nicht einmal darüber nachdenken, so als weigerte sich ihr Verstand beharrlich, sich mit den vergangenen Stunden zu befassen. Es war ihr, als stünde sie neben sich und betrachte eine fremde Person.

Sie gewahrte den Synodenführer an ihrer Seite. Es schien, als habe er sich während ihrer Bewußtlosigkeit nicht einen Millimeter von ihr fortbewegt. Unbewegt starrte er in die Ferne. Es war ihr ein wenig peinlich, daß sie ohnmächtig geworden war. Zo'or hielt sie sicher für einen Schwächling. Vorsichtig mühte sie sich auf die Beine. Die Aufregung der vergangenen Stunden, die psychische Belastung und die ungewohnte Reise durch das Weltall - jedes einzelne von ihnen hätte schon ausgereicht, sie zusammenbrechen zu lassen. Mühsam ordnete sie ihren Gedanken. Die Taelons müssen uns belogen haben, was den Interdimensionsflug angeht. Sie haben uns weismachen wollen, daß wir organisch angepaßt werden müssen, wenn wir derartige Reisen überstehen wollen. Aber die Portale basieren auf Interdimensionstechnologie. „Wieso kann ich atmen, wenn dieser Planet zerstört ist?” fragte sie.

Ohne sie eines Blickes zu würdigen, antwortete der Taelon: „Die Atmosphäre ist nach wie vor intakt. Den Jaridians ging es darum, alles Leben zu vernichten, nicht aber diesen Planeten unbrauchbar zu machen.”

„Und was machen wir jetzt?” Sie sah sich um. Doch soweit ihr Auge reichte, war nichts als Einöde um sie herum. Erneut wollte Furcht in ihr aufsteigen, aber sie kämpfte dagegen an.

Er trat einen Schritt zur Seite, so als sei ihm ihre Nähe plötzlich unangenehm. „Wir warten auf das Rettungsteam”, verkündete er.

Verwirrt starrte sie ihn an. „Zo'or... es gibt kein Rettungsteam. Die haben Kincaid geschnappt. Haben Sie das schon vergessen? Ich bin mir auch nicht sicher, ob er die Koordinaten des Verstecks an Agent Sandoval weitergegeben hat.”

Den Taelon schien das nicht sonderlich zu berühren. Mit einer grazilen Bewegung hob er die Hand. „Dann werden wir hier sterben.”

„Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?” brach es aus ihr heraus. „Sterben?” Sie sah ihn ungläubig an. „Was haben die mit Ihnen gemacht, daß Sie Ihrem eigenen Leben so gleichgültig gegenüberstehen?”

Zo'or gab keine Antwort, aber sie sah an seinem unruhigen Blick, daß ihm ihre Worte unangenehm waren. „Ach, zum Teufel mit euch Taelons”, sagte sie wütend und wandte sich ab. „Die wollten uns nach Jaridia schicken”, überlegte sie. „Dabei ist irgend etwas schiefgegangen... Warum benutzen wir das Portal nicht, um uns wieder zurückzutransportieren?”

„Weil es außer Funktion ist und nicht mehr in Betrieb genommen werden kann.”

Jemen betrachtete das Portal. Es wirkte tot. Aber vielleicht war es einfach nur ausgeschaltet. „Kennen Sie sich damit aus? Können Sie es reaktivieren?”

„Ich sagte Ihnen doch, es kann nicht mehr in Betrieb genommen werden.”

„Verdammt!” Jemens Geduld war plötzlich zu Ende. Jedes vernunftbegabte Wesen mußte an seinem Leben hängen, und so aussichtslos ihre Situation auch im ersten Augenblick aussah, sie hatten noch nicht einmal die einzige vorhandene Möglichkeit geprüft. Wie konnte sich Zo'or seinem Schicksal so einfach ergeben? „Meinetwegen können Sie auf diesem Planeten verrecken, wenn es Ihnen so egal ist!” schrie sie ihn an. „Aber ich habe vor, noch ein Weilchen weiter zu leben. Wenn Sie also von diesem Portal etwas verstehen, dann bewegen Sie sich gefälligst hierher und helfen mir!”

Endlich kam Leben in den Taelon. Er strich sich über die Brust, so als wollte er damit die Lethargie abstreifen. Dann ging er zu ihr hinüber. „Sie verstehen nicht, Miss Tyler”, sagte er kühl. „Dieses Portal ist so programmiert, daß es nur den Transfer hierher gestattet, aber nicht zurück. Deshalb hat es wenig Zweck, sich an eine Hoffnung zu klammern, die nicht gegeben ist.”

„Woher wollen Sie das wissen? Haben Sie sich das Ding überhaupt schon einmal näher angeschaut?”

„Ja”, sagte er schlicht.

„Nun...” Jemen war nur ganz kurz irritiert, dann verdrängte sie seine Antwort ganz energisch aus ihren Gedanken. Schließlich war es exakt das, was sie nicht hören wollte. Der Taelon mußte sich irren. Natürlich. Das hier war ein Portal, keine Einbahnstraße. „Dann haben Sie wohl nicht genau hingesehen... Wir wissen, daß man uns nach Jaridia schicken wollte. Entweder wurden die Koordinaten falsch eingegeben, oder das Portal funktionierte nicht einwandfrei. Fakt ist, daß wir an einem ganz anderen Ort angekommen sind. Und niemand hat das voraussehen können. Und deshalb ist es auch unlogisch, daß wir davon ausgehen, daß dieses Portal nicht funktionieren sollte.” Ihre Theorie stand mehr als auf wackeligen Füßen. Aber das war ihr egal. Vielleicht würde er als Taelon das nicht einmal bemerken. Wichtig war doch nur, daß er seinen Grips anstrengte. Schließlich war er die überlegende Spezies.

„Ich glaube nicht, daß die Koordinaten falsch waren oder ein technischer Fehler vorliegt”, begann Zo'or. „Ihre Freunde...”

„Es sind nicht meine Freunde”, fiel sie ihm schroff ins Wort.

„Ihre Freunde”, fuhr er unbeirrt fort, „haben die Jaridians unterschätzt. Die Jaridians werden niemals so dumm und so leichtsinnig sein und eine direkte Verbindung zu ihrem Heimatplaneten schaffen. Das wäre so, als öffnete man dem Feind sämtliche Türen.”

Jemen starrte ihn eine Weile nachdenklich an. „Wir wurden also absichtlich auf diesen öden Planeten gelockt, damit man uns und unsere Ehrlichkeit prüfen kann.” Das klang plausibel und bot ihr unerwartet eine neue Möglichkeit. „Die Jaridians beobachten uns vielleicht schon seit einer geraumen Zeit. Sie werden sicherlich bald Kontakt zu uns aufnehmen.”

„Kontakt aufnehmen?” wiederholte er verächtlich. „Sie haben nicht die leiseste Ahnung, wer oder was die Jaridians sind. In Ihrer grenzenlosen Überheblichkeit haben Sie ihr Portal nachgebaut, um sie zur Erde zu locken, und damit Ihre eigene Spezies zum Untergang verdammt, denn Sie besitzen weder die Waffen noch sind Sie darauf vorbereitet, im Kampf gegen sie zu bestehen. Ihre Freunde wollen uns, die Taelons, vertreiben, obwohl wir die Einzigen sind, die Ihnen helfen können.”

„Ich sagte schon einmal: Es sind nicht meine Freunde. Meine Zeit beim Widerstand ist lange vorbei. Ich habe Major Kincaid zum Versteck der Dark Blue geführt, um Sie zu retten, Zo'or. Allerdings frage ich mich jetzt, ob es das wert war, denn Ihnen liegt ja wohl nicht viel an Ihrem Leben.”

„Ich hänge an meinem Leben, genau wie Sie”, erwiderte er schroff, „aber unsere Situation ist aussichtslos. Mittlerweile sollten selbst Sie das begriffen haben. Wir sind auf diesem Planeten gestrandet. Wir können nicht mehr von hier fort. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Jaridians hier auftauchen...”

Jemen preßte verärgert die Lippen zusammen. So sehr es ihr auch mißfiel, er hatte Recht. Aber sie wollte... sie konnte nicht so einfach aufgeben. Alles in ihr sträubte sich dagegen.

Denk nach, Jemen. Gebrauche deinen Verstand, solange er dir noch gehorcht. Sterben wirst du noch früh genug.

Zo'or war ihr keine Hilfe. Er betrachtete die Umstände nüchtern und ohne jede Illusion. Er hatte die Tatsache bereits akzeptiert, daß sie nicht mehr zur Erde zurück konnten. Aber davon durfte sie sich nicht beeinflussen lassen. Er war ein Taelon, und diese lebensfeindliche Umgebung stand in einem krassen Gegensatz zu seinem bisherigen Umfeld. Es überforderte ihn schlicht und einfach. Aber sie war ein Mensch. Ein Mensch mit Instinkten, der selbst unter den widrigsten Umständen überleben konnte, wenn er sich nur seiner eigenen Fähigkeiten bewußt wurde.

Das Portal ist wertlos. Denk nach... Was gibt es noch für Möglichkeiten?

Unruhig trat sie zum Rande des Kraters und ließ den Blick schweifen. Felsen und Sand - soweit das Auge reichte. Doch nur weil sie diese Landschaft mit den Bildern irdischer Wüsten und Einöden verband, mußte das noch lange nicht bedeuten, daß wirklich alles Leben ausradiert worden war. Das Leben findet einen Weg, kam ihr in den Sinn. Diesen Satz hatte sie irgendwann in einem Buch gelesen, dessen Titel ihr entfallen war. Möglicherweise hatte hier mehr überlebt, als sich auf dem ersten Blick erahnen ließ. Vielleicht konnte sie Wasser finden, Pflanzen, von denen sie sich ernähren konnte...

Jemen schaute über die Schulter zurück. Zo'or befand sich noch immer in der Nähe des Portals. Hin und wieder machte er ein paar Schritte. Er wirkte unschlüssig. Im Grunde ist er genauso hilflos wie ich, dachte sie. Wir sitzen beide im selben Boot, ob es uns nun gefällt oder nicht.

Entschlossen wandte sie sich von dem Krater ab. „Wo befand sich die Kolonie?” fragte sie ihn.

Zo'or deutete in nordwestlicher Richtung. Auf der dem Krater abgewandten Seite erstreckte sich ein massives Gebirge fast über den gesamten Horizont. Und so weit sie es in der Dunkelheit erkennen konnte, war davor nichts anderes als Wüste, hin und wieder unterbrochen von kleinen Felsengruppen, die wie Inseln aus der grauen Eintönigkeit ragten. „Aus welchem Grund fragen Sie?” wollte der Taelon wissen.

„Gibt es hier einen Tag-Nacht-Rhythmus wie auf der Erde?”

„Ja. Die Sonne müßte in ein paar Stunden aufgehen. - Miss Tyler, ich sagte Ihnen bereits, daß die Kolonie zerstört wurde.”

„Aber vielleicht gibt es dort Überlebende”, sagte sie, während sie die Landschaft studierte. Die Temperatur war jetzt angenehm, aber wenn es Tag wurde, verwandelte sich die Wüste sicher in einen tödlichen Backofen. Wenn sie den Schutz der Felsen ausnutzten, konnten sie vielleicht rechtzeitig das Gebirge erreichen.

„Niemand hat das Massaker überlebt.”

„Wurde das jemals überprüft?”

Der Taelon schwieg.

„Wir können auf keinen Fall hierbleiben”, sagte sie. „Was wir brauchen, ist ein gutes, übersichtliches Versteck, und das finden wir meiner Meinung nach am besten in den Bergen. - Also?” Sie sah ihn abwartend an.

„Ich werde nicht gehen”, verkündete Zo'or.

Irgendwie hatte sie mit dieser Antwort gerechnet. „Das ist Ihre Entscheidung”, sagte sie gleichgültig. „Ich kann Sie nicht zwingen... und das will ich auch gar nicht.”

„Es ist viel zu gefährlich”, fügte er hinzu.

„Gefährlicher als hier?” Sie sah ihn ungläubig an.

„Und wenn nun doch ein Rettungsteam zu uns unterwegs ist? Major Kincaid...”

„Zo'or, ich bitte Sie! Was nützen uns Kincaid und seine Leuten, wenn er am Ende ebenso hier festsitzt wie wir? Oder glauben Sie etwa, er kommt gleich mit dem Mutterschiff?”

Der Taelon sah sie unnachgiebig an. „Aus welchem Grund sollte ich Ihnen trauen, Miss Tyler?” fragte er spitz. „Vielleicht ist dies nur ein Vorwand, um mich vom Portal wegzulocken.”

„Ach ja? Ebenso gut müßte ich Ihnen mißtrauen. Da Sie mich ja für eine Widerstandskämpferin halten, haben Sie mich vielleicht belogen, was das Portal angeht.” Sie starrte ihn ironisch an. „Bedeutet das nun, das wir hier stehenbleiben, um herauszufinden, wer von uns beiden der Lügner ist?” Sie wartete keine Antwort ab, sondern setzte sich entschlossen in Bewegung. Nach einer Weile bemerkte sie, daß ihr der Taelon folgte. Sie verlangsamte ihren Schritt, bis er aufgeholt hatte.

„Die Einzigen, die triumphierten, wären vermutlich die Jaridians”, sagte er hochmütig.

Jemen verdrehte seufzend die Augen. „Von allen Taelons mußte ich ausgerechnet mit Ihnen auf diesem Planeten stranden!”

„Sie hätten wohl lieber Da'an an meiner Stelle?”

„Ja”, knurrte sie, während sie durch die Sand stapfte. „Der wäre wenigstens nicht so störrisch.”

„Aber auch weniger hilfreich.”

„Das wird sich noch zeigen, Zo'or. Vor uns liegt ein langer Weg.”

Taelon und Mensch marschierten Seite an Seite die Felsen entlang und wandten sich dann der Wüste zu. Zwei Gestalten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten.

„Hoffentlich machen Sie nicht gleich schlapp.”

„Hoffentlich geht Ihnen nicht die Energie aus!”

 

Ende von Kapitel 11

 

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