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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Liams und Jemens Rettungsaktion entwickelt sich für beide sehr problematisch
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Liam Kincaid, Jemen Tyler, Gordon Winsloe, Nils Peltzer, (Hendriks, Tom Brix, Sandoval, Da'an, Zo'or)]
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 10

 

Nachdem sie die Biegung des Baches erreicht hatten, lichtete sich der Wald etwas, und sie kamen zügiger voran. Plötzlich stoppte Winsloe. „Da ist etwas.” Er knipste seine Taschenlampe aus. Die anderen folgten sofort seinem Beispiel und starrten angestrengt in die Finsternis. Zwischen den dunklen Bäumen schimmerte ein schwaches Licht.

„Das muß es sein.” Jemen schob sich aufgeregt an seine Seite.

Winsloe schaltete seine Taschenlampe wieder ein. „Es ist noch ein ganzes Stück weit entfernt. Wir müssen näher heran, um sicherzugehen. Es könnte auch eine Waldhütte sein.” Er setzte sich wieder in Bewegung.

„Vor allem müssen wir vorsichtig sein”, warf Liam ein. Er und Peltzer schalteten ihre Lampen jetzt ebenfalls ein. „Vielleicht haben sie Wachen aufgestellt.”

Peltzer warf ihm einen prüfenden Blick zu. „Können Sie uns etwas mehr über diese Anlage erzählen? Bis jetzt wissen wir lediglich, daß es sich um einen militärischen Bunker handelt.”

„Ich hatte noch keine Gelegenheit, mir weitere Informationen zu beschaffen.”

„Aha”, machte der Sicherheitsmann vielsagend und folgte den anderen.

„Es ging alles ein wenig schnell”, fügte Liam rasch hinzu. „Vielleicht weiß Tyler...” Er brach wütend ab. Wieso mußte er sich eigentlich rechtfertigen? Schließlich führte er diese Rettungsmission an. Peltzer und Winsloe waren lediglich die Begleitung. Niemand verlangte von ihnen, daß sie sich den Kopf darüber zerbrachen, wie die Geisel befreit werden konnte. Er würde ihnen schon im richtigen Moment sagen, was sie zutun hatten.

Er sah, daß sich die anderen bereits ein gutes Stück von ihm entfernt hatten, und er mußte sich beeilen, um nicht den Anschluß zu verlieren.

 
* * *
 

Je näher sie dem Licht kamen, um so größer wurde die Gewißheit, daß sie ihr Ziel gefunden hatten. Durch die Bäume hindurch konnten sie einige Flachbauten erkennen, die von Scheinwerfern angestrahlt wurden. Die gesamte Anlage selbst schien nicht besonders groß zu sein. Winsloe sah immer wieder prüfend durch sein Fernglas. „Sieht ziemlich ruhig an. Entweder rechnen sie nicht mit unverhofftem Besuch oder sie sind entsprechend ausgerüstet...”

„Ich schätze, wir müssen auf alles vorbereitet sein”, sagte Liam und schaute konzentriert nach vorn.

Vorsichtig schlichen sie weiter. Der Boden unter ihren Füßen war fester geworden. An manchen Stellen ragte nacktes Felsengestein heraus, ein Zeichen, daß sie bergiges Gebiet erreichten. Trotzdem waren sie überrascht, als sie erkannten, daß die Anlage in einen steilen Abhang gebaut worden war.

Winsloe hatte eine kleine Vertiefung entdeckt, zu der er sie hinführte. Von dort aus hatten sie einen besseren Blick auf das Gelände, ohne befürchten zu müssen, selbst entdeckt zu werden. Jemen und Liam waren ganz froh über die kleine Pause. Sie hätten es gegenüber den anderen zwar niemals zugegeben, aber der Marsch war doch recht anstrengend gewesen. „Wie geht es nun weiter?” fragte der Sicherheitsmann nach einer Weile. Er zündete sich eine Zigarette an und betrachtete Liam aufmerksam.

„Wir müssen uns östlich halten”, erklärte Jemen. „Der Zugang befindet sich etwa hundert Meter vom äußersten Ende des Geländes entfernt.”

„Was ist das für ein Zugang?” fragte Winsloe weiter.

„Eine Art Notausgang. Vom Bunker führt ein Fluchttunnel dort hin.”

„Dieser Ausgang wird vermutlich bewacht”, überlegte der Sicherheitsmann. „Aber solange wir nicht wissen, wie die örtlichen Gegebenheiten aussehen, können wir uns noch keine Taktik überlegen.”

„Wir brauchen keine Taktik”, begann Jemen, doch bevor sie weiterreden konnte, fiel ihr Liam ins Wort. „Laßt uns zuerst diesen Zugang finden.”

„Einverstanden.” Winsloe kletterte sofort aus der Vertiefung und suchte dann nach einem Weg, der sie in östlicher Richtung führte und dabei nah genug an dem Militärgelände lag, um nicht die Orientierung zu verlieren. Peltzer und Jemen folgten ihm, während Liam diesmal das Schlußlicht bildete.

„Sie sind wie der Major ein Companion-Beschützer, nicht wahr”, sagte Peltzer. Das Gehen auf dem felsigen Untergrund war weit angenehmer als auf dem weichen Waldboden. Und obwohl das Gelände langsam, aber stetig anstieg, kamen sie gut voran.

„Ich bin zur Zeit Da'ans Beschützerin”, erwiderte sie bereitwillig. Sie empfand es als wohltuend, mal zur Abwechslung nicht ständig Kincaids Verstocktheit ertragen zu müssen.

„Ein bemerkenswerter Job.” In Peltzers Stimme schwang ein wehmütiger Unterton mit. „Ich habe mich auch mal als Beschützer beworben. Aber leider... ohne Erfolg.”

Darauf wußte Jemen nichts zu entgegnen, denn immerhin hatte sie ihre Arbeitsstelle aufgrund besonderer Umstände bekommen. Ohne Ma'els Botschaft in ihrem Unterbewußtsein hätte Da'an wohl kaum soviel Interesse an ihrer Person gezeigt.

„Und vorher? Was haben Sie gemacht, bevor Sie Da'ans Beschützerin wurden?” fragte Peltzer weiter.

„Da war ich Di'mags Beschützerin.”

„Oh.” Diesmal war es der Sicherheitsmann, der verlegen schwieg. Er wußte um den seltsamen Tod des Wissenschaftlers. Die Taelons hatten zwar versucht, den Vorfall zu vertuschen, konnten aber letztendlich nicht verhindern, daß er an die Öffentlichkeit trat. Peltzer gehörte nicht zu den Leuten, die den Medien großen Glauben schenkten, aber er hatte sich so seine eigenen Gedanken dazu gemacht. „Di'mags Tod ist doch nach wie vor ungeklärt. Eine seltsame Geschichte. Glauben Sie, daß es ein Unfall war?”

„Ich...”, Jemen brach ab. „Können wir von etwas anderem reden?”

„Natürlich. Entschuldigen Sie.”

„Schon gut.” Jemen atmete tief durch. Es ist eine Farce, dachte sie. Ich bin hier, um Di'mags Mörder zu retten.

 
* * *
 

Liam folgte Peltzer und Tyler mit einem gewissen Abstand. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß sie über ihn redeten, und er wollte nicht, daß der Eindruck entstand, daß er sie heimlich belauschte. Sicher beklagte sich Tyler gerade über ihn. Nicht daß ihm das etwas ausgemacht hätte! Im Grunde war es bedeutungslos. Er legte keinen großen Wert auf ihre Freundschaft. Und deshalb mußte er sich weder verstellen noch irgendwelche Rücksichten nehmen. Je eher er wieder Da'ans alleiniger Beschützer wurde, um so besser. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, wann T'than das Mutterschiff verließ, um an die Front zurückzukehren. Und dann würde auch Sandoval wieder seinen rechtmäßigen Platz an Zo'ors Seite einnehmen. Wenn erst einmal alles seinen normalen Gang nahm, gab es für Da'an auch keine Veranlassung mehr, zwei Beschützer zu beschäftigen. Immerhin war Tyler nur ersatzweise eingesprungen. Und bei allem Verständnis für die schwierige Situation, in der sie sich befunden hatte, so durfte man darüber nicht die Tatsache ignorieren, daß sie keine ausgebildete Beschützerin war. Für Di'mag, den Wissenschaftler, mochte es ausreichend sein, aber nicht für den nordamerikanischen Companion, der im Mittelpunkt der Öffentlichkeit stand und Mitglied der Synode war. Möglicherweise würde Da'an eine andere Beschäftigung für sie suchen, um sie in seiner Nähe zu behalten. Aber genauso gut konnte sein Interesse an ihrer Person wieder abflauen, jetzt da er dem Geheimnis von Ma'els Botschaft auf die Spur gekommen war. In dieser Beziehung war Da'an so undurchschaubar wie alle anderen Taelons, und letztendlich konnte niemand mit Sicherheit sagen, welche Beweggründe hinter seinen Handlungen steckten.

Liam schüttelte den Kopf, so als wollte er seine Gedanken wie lästige Insekten verscheuchen. Jetzt war nicht der richtige Augenblick, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Noch hatten sie Zo'or nicht gefunden. Er bemerkte plötzlich, daß sich Peltzer von Tyler wegbewegte und plötzlich eine andere Richtung einschlug. „He, Peltzer!” rief er gedämpft. „Wo wollen Sie hin?” Er erhielt keine Antwort, und schloß er rasch zu Jemen auf. „Was hat das zu bedeuten?” fragte er sie

„Er will sich ein bißchen umsehen.”

„Und wer gab ihm dazu die Erlaubnis?”

Jemen sah ihn arglos an. „Ich.”

Liam packte sie am Arm und zwang sie, stehenzubleiben. „Damit wir uns richtig verstehen - ich habe hier das Kommando. Und ohne meine Zustimmung verläßt niemand die Gruppe. Verstanden?” Verärgert starrte er in die Richtung, in der Peltzer verschwunden war. Daß Jemen relativ unbekümmert reagierte, konnte er noch in einem gewissen Maße tolerieren, da sie offensichtlich die Gefahr unterschätzte. Aber Peltzer untergrub mit seiner Eigenmächtigkeit seine Autorität, und das konnte er sich nicht bieten lassen. „Sie warten hier!” befahl er energisch.

Inzwischen war auch Winsloe zu ihnen zurückgekehrt. „Was ist los?” fragte er.

„Ihr Kollege hat sich unerlaubt entfernt.”

Winsloe schien das weder zu überraschen noch zu beunruhigen. „Er wird ein Stück zurückgegangen sein, um zu überprüfen, ob man uns schon entdeckt hat. Wir haben hier zwar viel Unterholz und dichtes Gebüsch, aber möglicherweise sieht man doch das Licht unserer Lampen.”

„Das mindeste, was ich wohl verlangen kann, ist, daß er mich darüber informiert”, ereiferte sich Liam. „Außerdem verlieren wir unnötig Zeit, weil wir gezwungen sind, auf ihn zu warten.”

„Peltzer ist ein erfahrener Waldläufer, Major”, erwiderte der Sicherheitsmann ruhig. „Wir müssen nicht auf ihn warten, er findet uns schon.”

Liam starrte ihn verärgert an, schluckte aber eine Erwiderung herunter, da er einsah, daß er seine Wut nur an den Falschen verschwendete. Er würde sich Peltzer später vorknöpfen. „Gehen wir also weiter”, preßte er hervor. Er ignorierte Jemens Blick, als er an ihr vorbeischritt. Vermutlich hatte er sich gerade wieder ein paar Minuspunkte bei ihr eingehandelt. Nun, sollte sie ihn ruhig für unmöglich halten. Was zählte, war allein der Erfolg dieser Mission. Menschenleben stand auf dem Spiel. Menschenleben, das keinen Pfifferling mehr wert war, wenn Sandoval erst einmal auftauchte.

Wenig später machte sie Winsloe darauf aufmerksam, daß sie das Ende des militärischen Geländes erreicht hatten. Da sie sich die ganze Zeit über parallel zum Zaun bergauf bewegt hatten, lag er jetzt unterhalb von ihnen und war gut einsehbar.

„Wir müssen jetzt praktisch geradeaus gehen”, sagte Jemen. „Etwa hundert Meter weiter sollten wir dann auf einen Abhang stoßen.”

Das Licht ihrer Taschenlampe fiel auf dichtes Gestrüpp. „Geradeaus ist gut”, murmelte Winsloe, machte sich aber sofort auf die Suche nach einem geeigneten Durchgang. Er fand zwar eine günstigere Stelle, trotzdem waren sie gezwungen, sich mühsam ihren Weg zu bahnen. Immer wieder blieben sie in den Sträuchern und zwischen dünnen Bäumchen hängen. Und bei allem mußten sie noch möglichst leise sein. Jemen, die bisher ohne Murren Schritt gehalten hatte, konnte nicht verhindern, daß sie wütend aufstöhnte, als sie sich den immer steiler werdenden Aufstieg hochkämpfte. Das Keuchen der beiden Männer verriet ihr, daß es ihnen nicht besser erging. Dieser Marsch zerrte an ihren Kräften und an ihren Nerven. Doch schließlich hatten sie es geschafft, und erschöpft und erleichtert ließen sie sich auf der Anhöhe zu Boden sinken. „Wir sollten besser die Taschenlampen ausschalten”, sagte Winsloe. „Ich vermute, daß wir uns unterhalb des Abhangs befinden, in dem die Bunkeranlage gebaut ist. Vielleicht haben die da oben einen Beobachtungsposten. Ich werde mich mal ein bißchen umschauen”, fügte er hinzu und holte sein Nachtsichtgerät hervor. Dann verschwand er hinter dem nächsten Busch.

„Komisches Gefühl... so im Stockfinstern zu sitzen”, sagte Liam nach einer Weile.

„Wenigstens sieht man ein paar Sterne”, meinte Jemen mit einem Blick auf den Himmel und veränderte vorsichtig ihre Sitzposition. Der Boden unter ihr fühlte sich feucht und weich an, aber sie widerstand dem Drang, herumzutasten. Wahrscheinlich war es ganz gut, daß es so dunkel war.

„Ich frage mich nur, ob wir den Eingang entdecken.”

„Wenn es so schwierig wäre, hätte mir mein Bruder sicher...” Sie brach ab, als Liam nach ihrem Arm griff.

„Psch! Ich höre was”, flüsterte er und zog seine Waffe hervor. „Da kommt jemand den Abhang hinauf.”

„Peltzer?” wisperte sie leise und lauschte.

„Ich hoffe es. - Hat Winsloe eigentlich seinen Rucksack mitgenommen? Ich habe nämlich kein Nachtsichtgerät dabei. Schauen Sie mal nach. Vielleicht hat er noch eins.”

Jemen tastete vorsichtig herum. Sie griff in etwas Weiches, Lebendiges, das unter ihren Fingern wegrutschte, und hätte beinahe aufgeschrien. Rasch hielt sie den Atem an, um zu verhindern, daß man ihr entsetztes Keuchen hören konnte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals herauf. Nur unter Aufbietung all ihrer Kräfte konnte sie den heimlichen Ekel und das Angstgefühl überwinden und weiter nach dem Rucksack suchen. Das Geräusch brechender Äste kam immer näher und trieb sie zur Eile an.

Plötzlich leuchtete ihnen eine Taschenlampe ins Gesicht. Entschlossen riß Liam seine Waffe hoch.

„Ich bin's, Major!” stieß eine vertraute Stimme hervor. Peltzer löschte das Licht seiner Taschenlampe und kroch vorsichtig zu ihnen hinüber. „Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe, aber ich konnte ja schlecht rufen.”

„Schon gut.” Liam war viel zu aufgeregt, um ihn für seinen Alleingang zurechtzuweisen.

„Wo ist Winsloe?”

„Ich bin hier”, ertönte da die Stimme seines Kollegen in der Finsternis. Sie hörten ihn rasch näherkommen. „Ungefähr zehn Meter von hier entfernt geht es ziemlich steil bergab. Ich nehme an, daß wir dort den Eingang finden. Am besten ist es, wenn wir uns anfassen. Ein paar Schritte weiter finden wir genügend Schutz, um wieder eine Taschenlampe benutzen zu können.”

Rasch erhoben sie sich, stießen gegeneinander und tasteten herum, bis jeder von ihnen die Hand des anderes hielt und sie eine Reihe bildeten. Dann führte sie Winsloe aus dem Dickicht.

Blind und hilflos tappten sie hinter Winsloe her. Jemen versuchte das Unbehagen zu ignorieren, das sich ihrer bemächtigte, bis ihr klar wurde, daß es nicht die Finsternis war, die sie beunruhigte. Es war auch nicht Kincaid, der dicht hinter ihr schritt und fürsorglich - oder sollte sie besser sagen: energisch? - ihre Hand hielt und sie dabei mehr schob als sich von ihr führen ließ. Tatsächlich wurde sie langsam aber sicher nervös. Warum wollte sie unbedingt die Heldin spielen? Ebenso gut hätte sie die Anweisungen, die sie von ihrem Bruder erhalten hatte, an Kincaid weitergeben können, anstatt sich durch diesen Wald zu quälen und sich einem nicht unerheblichen Risiko auszusetzen. Was kümmerte sie Zo'ors Schicksal? Es war ihr im Grunde doch völlig egal, was mit ihm passierte. Aus Dankbarkeit und Respekt gegenüber Da'an hatte sie das Versteck der Dark Blue und damit ihren eigenen Bruder verraten. Um Tom tat es ihr nicht wirklich leid, da er ihr immer fremd geblieben war. Sein Leben zu schützen konnte also nicht der Grund sein, warum sie ihr eigenes riskierte. Wollte sie am Ende gar Kincaid etwas beweisen? Er hatte kein Geheimnis daraus gemacht, daß er sie nicht mochte, und die Tatsache, daß Da'an sie als seinen Ersatz ausgewählt hatte, schien er sogar als persönliche Beleidigung aufzufassen. Dabei war sie gar nicht so von sich eingenommen, daß sie behauptet hätte, eine ebenbürtige Kollegin zu sein.

„Wir haben es gleich geschafft”, sagte Winsloe, als er sie seufzen hörte. „Noch ein paar Schritte... Okay, das war's.” Er schaltete die Taschenlampe an.

Sie befanden sich wieder mitten im Wald. Dieser Eindruck drängte sich ihnen zumindest auf, als sie die hohen Kiefern erblickten, von denen sie umgeben waren, bis sie ebenfalls ihre Taschenlampen hervorholten und umherleuchteten. Tatsächlich war es nur ein schmaler Baumgürtel, der sich am Rand der Schlucht entlangzog. Aber er bot ihnen ausreichend Schutz. Allerdings war der Boden hier sehr uneben und fiel zur Schlucht leicht ab. Winsloe führte sie deshalb zur Sicherheit zu einer kleinen Senke.

Liam überlegte kurz, als ihn die anderen erwartungsvoll ansahen. Dann sagte er: „Tyler! Peltzer! Sie beide warten hier! Winsloe - Sie kommen mit mir. Wir werden uns mal ein bißchen umsehen.”

„Es muß da irgendwo einen Weg geben, der hinunter führt”, rief ihm Jemen nach. „Und seien Sie vorsichtig. Sie dürfen dem Eingangsbereich nicht zu nahekommen.” Liam hob kurz die Taschenlampe zum Zeichen, daß er sie verstanden hatte. Vorsichtig tasteten sich die beiden Männer näher an den Abgrund heran. Abwechselnd suchten sie mit dem Nachtsichtgerät die Schlucht nach einem möglichen Eingang ab. Aber das Gelände war viel zu unübersichtlich, um irgend etwas erkennen zu können. „Lassen Sie es uns da vorn mal versuchen”, schlug Winsloe vor und deutete zur Seite. Er glaubte dort etwas entdeckt zu haben.

„In Ordnung.”

Jemens Blick folgte ihnen aufmerksam. Das Licht von Winsloes Taschenlampe huschte eine Weile hin und her und war dann plötzlich verschwunden, so als hätte irgend etwas die beiden Männer verschluckt. Seufzend setzte sie sich zu Peltzer in die Vertiefung. Der Boden war hier trocken und sandig und deshalb weit angenehmer als vorher zwischen den Büschen. Was das wohl für ein Tier war, das sie versehentlich berührt hatte? Womöglich eine Schlange? Ihr schauderte bei dem Gedanken. Im allgemeinen hatte sie keine Phobie gegen irgendeine Tierart - solange sie ihr nicht inmitten eines stockfinsteres Waldes begegnete.

Nils Peltzer hatte sich seinen Rucksack geschnappt und entnahm ihm nun verschiedene Einzelteile, die er zu einem Gewehr zusammenbaute. Er tat dies sehr ruhig und gewissenhaft wie alle Schützen, deren Leben von dem ordnungsgemäßen Zustand ihrer Waffe abhängig war. Jemen sah ihm dabei interessiert zu, lauschte dem mechanischen Klicken und Einrasten. Sie war gleichermaßen fasziniert von dem Perfektionismus einer solchen Waffe wie abgeschreckt von deren Gewalttätigkeit.

Peltzer schaute auf und betrachtete sie lange. Dann lächelte er. Jemen spürte, daß sie rot wurde. Hatte sie irgendwelche Signale ausgesendet, die ihn zu der irrigen Annahme verleiteten, sie könne irgendwelches Interesse an ihm haben? „Darf ich das Gewehr mal sehen?” fragte sie rasch, um die Dinge wieder ins richtige Licht zu rücken. Der Sicherheitsmann lächelte noch immer, als er ihr die Waffe herüberreichte. Sie hatte von dieser Art Gewehr keinerlei Ahnung, und das wurde sichtbar allein in der Art, wie sie es in den Händen hielt. Peltzer setzte sich neben sie und begann zu erklären: „10 mm-Impulsgewehr. Doppellauf für verschiedene Kaliber. Lasertechnik. Elektronische Zielerfassung. Schnellschußautomatik...” Er rutschte noch etwas näher, um ihr die Handhabung zu zeigen.

„ich glaube, ich habe etwas gehört!” Jemen drückte ihm hastig das Gewehr in die Hand, sprang auf und starrte in die Dunkelheit.

Peltzer setzte sich wieder zurück auf seinen ursprünglichen Platz. Seinem geschulten Ohr wäre nicht das leiseste Geräusch entgangen, wenn es da eines gegeben hätte. Aber er akzeptierte die Tatsache, daß sie dies nur als Vorwand benutzt hatte, weil er ihr zu nahe gekommen war. Als sie sich wieder setzte, war sein Gesichtsausdruck noch immer freundlich, aber deutlich zurückhaltender. Jemen verspürte das plötzliche Bedürfnis, sich bei ihm für ihr seltsames Verhalten zu entschuldigen. Aber das hätte auch eine Erklärung erfordert, und die konnte sie ihm nicht liefern. Also schwieg sie.

„Darf ich Sie mal etwas fragen?” sagte er nach einer ganzen Weile.

Sie nickte ihm zu.

„Wie kommt es, daß Sie den Widerstand verlassen haben, um für die Taelons zu arbeiten? Ich meine, Sie haben praktisch die Seiten gewechselt. Das ist doch eigentlich recht ungewöhnlich.”

Er mißtraut mir... wie Kincaid, dachte sie, konnte es ihm aber nicht einmal verübeln. Bei jeder Art von Rettungsversuchen mußte man sich auf sein Team verlassen können. Sie war offensichtlich eine Variable, die niemand so richtig einzuschätzen vermochte. Die Wahrheit konnte und wollte sie ihm nicht sagen. Doch auch eine Lüge vermochte ihren Zweck zu erfüllen, wenn sie nur überzeugend genug klang.

„Wenn die Frage zu persönlich war, dann entschuldigen Sie bitte”, sagte Peltzer, der ihr Zögern anders deutete. „Es geht mich im Grund auch nichts an.”

„Es ist nicht zu persönlich”, entgegnete sie. „Ich wollte die Wahrheit über die Taelons herausfinden. Deshalb ging ich zum Widerstand. Später habe ich dann erkannt, daß man nicht unbedingt gegen sie sein muß, um sie zu verstehen. Viele Dinge erklären sich erst dann, wenn man sich die Mühe macht, sich wirklich damit auseinanderzusetzen.”

Er nickte zustimmend. „Auf der einen Seite sind sie so fremdartig und für uns völlig unbegreiflich und auf der anderen so überraschend menschlich. Aber ungeachtet dessen, was uns die Zukunft bringt, denke ich, daß wir wichtige Erfahrungen machen, die uns später nützlich sein können. Die Rohstoffe auf unserem Planeten sind begrenzt, ebenso der Lebensraum. Irgendwann bleibt uns nichts anderes übrig, als neue Kolonien auf anderen Welten zu gründen. Und je weiter wir uns ausbreiten, um so größer wird die Chance, auf weitere fremde Spezies zu treffen.”

Jemen umschlang ihre Knie. „Dann wird sich zeigen, ob die Menschheit etwas gelernt hat”, murmelte sie. Im nächsten Augenblick sprang sie auf, denn jetzt hatte sie wirklich etwas gehört. Auch Peltzer hob den Kopf. Sie sahen das Licht einer Taschenlampe rasch auf sie zukommen. „Und?” fragte sie aufgeregt, als sie Kincaid und Winsloe erkannte.

„Wir haben den Eingang gefunden”, verkündete Liam. „Er ist wirklich verdammt gut versteckt, weder von oben noch innerhalb der Schlucht zu entdecken, wenn man nicht direkt davor steht.” Er setzte sich zu ihnen. „Kommen wir nun zum nächsten Schritt.”

„Einer von Ihnen muß mir den Weg in die Schlucht zeigen”, sagte Jemen und blickte kühn in die Runde. Die drei Männer starrten sie an. „Nun, ich bin noch immer bei den Dark Blue registriert. Und deshalb wird man mich hineinlassen.”

„Ist das nicht ein wenig riskant?” fragte Peltzer zweifelnd.

„Mein Bruder hat mir versichert, daß ich jederzeit zurück könnte.”

„Das kann aber genauso gut eine Falle sein”, wandte Liam ein. „Nein, Tyler. Es ist völlig ausgeschlossen, daß Sie da hineingehen.”

„Dann bin ich gespannt, welche Alternative Sie anzubieten haben.”

„Der Zugang wird möglicherweise gar nicht so scharf bewacht, und Winsloe ist der Ansicht, daß wir die Tür nicht einmal aufsprengen müssen...”

Jemen schüttelte den Kopf. „Sie haben nicht einmal die leiseste Chance auch nur in die Nähe der Tür zu kommen. Glauben Sie mir - ich weiß, wovon ich spreche! Ich habe genaue Anweisungen erhalten, wie ich vorzugehen habe.”

„Und die könnten Sie an uns weitergeben”, warf Winsloe ruhig ein.

„Aber das nützt Ihnen doch nichts”, sagte sie ungeduldig. „Im Eingangsbereich befindet sich ein Scanner, der sofort den Alarm auslöst, sobald eine nichtautorisierte Person auftaucht.”

„Einen Scanner kann man ausschalten”, erwiderte Winsloe. „Hören Sie, Miss Tyler! Ich will Sie nicht beleidigen, aber Peltzer und ich sind für solche Situationen ausgebildet und trainiert worden. Sie aber nicht. Sie haben uns hierhergeführt und damit Ihren Teil der Arbeit geleistet. Jetzt ist es Zeit, daß wir unseren Teil übernehmen.”

Jemen fuhr sich aufgeregt durchs Haar. „Warum Gewalt anwenden, wenn ich ohne Probleme in den Bunker hineinkomme?”

„Ganz einfach: Weil es zu riskant ist”, sagte Liam stur. „Und deshalb werden wir darüber nicht weiter diskutieren.” Ebenso hätte er sagen können: Wir sind hier drei Männer, und Sie glauben doch nicht im Ernst, daß wir zusehen, wie Sie die ganze Arbeit erledigen.

„Wollen oder können Sie mich nicht verstehen?” fuhr sie ihn hitzig an. „Was glauben Sie, wird passieren, wenn Sie sich mit Gewalt den Weg freimachen? Bevor Sie auch nur in die Nähe von Zo'or gelangen, hat man ihn schon getötet...”

Winsloe und Peltzer wechselten einen überraschten Blick. Kincaid hatte ihnen vor ihrem Abflug lediglich mitgeteilt, daß sie eine Geisel befreien mußten, nicht aber, daß es sich dabei um den Synodenführer handelte. „Zo'or?” wiederholte Winsloe, so als müßte er sich vergewissern, daß er richtig gehört hatte. „Bei allem Respekt, Major - warum sind wir dann nur zu zweit?”

Liam erlebte einen sehr unangenehmen Augenblick, als sich alle Augen auf ihn richteten. Er wußte, daß Winsloes indirekter Vorwurf berechtigt war. Im Umgang mit den Taelons gab es umfangreiche Sicherheitsprotokolle, die nur von höchster Instanz geändert werden konnten. Er hatte sich jedoch über die Vorschriften hinweggesetzt und damit seine Kompetenzen überschritten. Und das alles nur, weil er Sandoval zuvorkommen wollte. Das war aber etwas, was niemand erfahren durfte, und deshalb brauchte er eine gute Erklärung, die sein Verhalten rechtfertigte. „Es war eine... taktische Entscheidung”, sagte er, und seine Gestalt straffte sich. Er durfte jetzt keine Unsicherheit zeigen. Wenn in Winsloe oder Peltzer nur der kleinste Zweifel zurückblieb, würden sie ihm nicht weiter folgen. Und obwohl es ihm widerstrebte, war er gezwungen zu lügen. „Eine großangelegte Rettungsmission würde Zo'or bei weitem mehr gefährden. Es war deshalb Da'ans Wunsch, daß wir sehr umsichtig vorgehen.”

Die beiden Sicherheitsmänner schienen seine Erklärung zu schlucken, denn sie erhoben keinen Einwand. Jemen jedoch geriet ins Grübeln. Sie rief sich die Gespräche, die in der Botschaft stattgefunden hatten, zurück ins Gedächtnis. Da gab es nichts, was seine Aussage bestätigt hätte. Aber etwas anderes fiel ihr auf, und plötzlich sah sie eine Möglichkeit, wie sie doch noch ihren Willen durchsetzen konnte. „Tatsächlich wissen wir gar nicht, ob Zo'or in diesem Bunker gefangengehalten wird”, sagte sie. „Es ist das einzige Versteck, was mir bekannt ist, aber das bedeutet noch lange nicht, daß es keine weiteren gibt.”

Liam schien zu ahnen, worauf sie hinaus war. „Ich werde meine Meinung nicht ändern, Tyler”, sagte er unnachgiebig. „S i e gehen da nicht hinein.”

„Warten Sie, Major!” rief Winsloe da. „Wenn wir den Bunker stürmen und Zo'or nicht finden, haben wir unsere einzige Chance vertan. Vielleicht ist es wirklich besser, wenn wir Tyler vorschicken. Sie könnte für uns die Lage auskundschaften.”

Liam starrte ihn an, als wäre ihm der Sicherheitsmann gerade in den Rücken gefallen. Verärgert preßte er die Lippen aufeinander.

„Ich schätze, wir haben keine andere Wahl”, sagte jetzt auch Peltzer. Man sah ihm an, daß er sich dabei alles andere als wohl fühlte. „Tyler ist die Einzige, die herausfinden kann, wo sich Zo'or aufhält.”

„Begreift ihr denn nicht, wie riskant das ist! Sie könnte ebenfalls gefangengenommen werden.” Kincaid lief unruhig hin und her, während er krampfhaft nach einem Ausweg suchte. Wenn Jemen etwas geschah, würde ihm das Da'an sicher nie verzeihen. „Wir werden praktisch abgeschnitten sein. Wie sollen wir ihr im Notfall helfen, wenn wir nicht wissen, was da drinnen vor sich geht?”

Winsloe, Peltzer und Jemen sahen ihn schweigend an. Für sie war die Entscheidung bereits gefallen. Es gab keine Alternative. Liam wußte das ebenfalls. Trotzdem sträubte er sich dagegen. Es schien ihm irgendwie nicht richtig. Er fühlte sich so hilflos dabei.

„Können Sie mir mal verraten, wie wir erfahren sollen, ob Sie Zo'or gefunden haben?” begehrte er erneut auf.

„Geben Sie mir ein Global”, sagte Jemen.

„Das könnte man Ihnen wegnehmen.”

Sie sah ihn ruhig an, und schließlich gab er auf. „Okay, Tyler, Sie haben gewonnen”, preßte er leise hervor. „Ziehen Sie Ihr Ding durch.”

 
* * *
 

Jemen starrte auf die unscheinbare graue Tür, die unter dem tiefhängenden Felsvorsprung tatsächlich kaum zu entdecken war. Sie schob die Hände in die Jackentasche und ertastete Liams Global. Winsloe hatte ihr genaue Anweisungen gegeben, wie sie vorgehen sollte, sobald sie Zo'or gefunden hatte. Der Kommunikator war so eingestellt, daß sie ein einfaches Signal absetzen konnte, wenn die Zeit nicht ausreichte, um Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Jede Zelle in ihrem Körper vibrierte vor Aufregung, als sie den Strahl der Taschenlampe über den Boden gleiten ließ. Tom hatte sie ausdrücklich davor gewarnt, einfach auf die Tür zuzugehen, weil dann augenblicklich der Alarm ausgelöst wurde. Sie entdeckte zwei faustgroße Steine, die wie zufällig herumlagen. Das war die Markierung des Bereiches, der vom Scanner erfaßt wurde. Warum tue ich das? fragte sie sich erneut, als sie sich genau neben die Steine stellte. Warum will ich Zo'ors Leben retten? Obwohl sie den Scanner weder sah noch spürte, wußte sie, daß sie bereits überprüft wurde. Unwillkürlich drängte sich ihr die Frage auf, ob sie die dunkle Macht in ihrem Bewußtsein wirklich beherrschen konnte. Jahrelang hatte sie im Verborgenen gelauert, hatte geduldig auf den Augenblick gewartet, der ihr den Weg ebnete. Einen Teil ihrer Kraft hatten sie ihr entziehen können. Aber war sie dadurch kontrollierbarer geworden? Und wenn sie noch immer aktiv war und ihre Strategie den veränderten Umständen angepaßt hatte? Möglicherweise manipulierte sie sie immer noch, nur daß sie es diesmal raffinierter machte. Jemen lauschte in sich hinein. Bin ich es, die mich dazu brachte, vor diese Tür zu treten oder ist sie es?

Ein leises Geräusch riß sie aus ihren Gedanken. Die graue Eisentür geriet in Bewegung, schob sich einen Spaltbreit auf. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

„Identifizieren Sie sich!” befahl eine Männerstimme.

„Tyler Brix. Anti-Taelon-Aktivist. Code-Nummer 865899 Zeppelin Omega. Kennung: Der Krieg auf einem weißen Pferd”, antwortete sie.

Hinter der Tür blieb es still, dann öffnete sie sich ein weiteres Stück, und der Lauf einer Impulswaffe wurde sichtbar. Jemand leuchtete ihr mit einer Lampe ins Gesicht. „Sind Sie bewaffnet?” wurde sie gefragt.

Jemen hielt die geöffneten Hände hoch. „Eine Pistole. Ich habe sie in meiner Jackentasche.”

„Lassen Sie sie auf den Boden fallen.”

Sie gehorchte widerspruchslos.

„Okay. Sie können hereinkommen”, sagte die unbekannte Stimme jetzt.

Jemen zwängte sich durch den schmalen Spalt und erblickte zwei Dark Blue-Männer. Während der eine weiterhin sein Impulsgewehr auf sie gerichtet hielt, begann der andere damit, sie abzutasten. Er machte es hastig und anscheinend nur der Form halber, denn bei einer gründlichen Vorgehensweise hätte er ihr Global entdecken müssen. „Sauber”, verkündete er und trat zur Seite. Sein Kollege zog einen Kommunikator hervor. „Sir! Wir haben hier Besuch”, meldete er. „Tyler Brix. Ehemaliges Mitglied der Gruppe.” Er erhielt keine verbale Antwort. Trotzdem schien er zu wissen, was er tun mußte. „Folgen Sie mir!” sagte er zu Jemen.

Während Jemen hinter ihm herging, fiel ihr auf, daß sich ihnen auch der zweite Mann anschloß. Wenn sie den Eingang unbeaufsichtigt ließen, mußten sie sich sehr sicher fühlen. Der Tunnel war nicht besonders groß; nur mit Mühe konnten zwei Personen nebeneinander gehen. In Abständen von vier Metern stützten schwere Eisenstreben die Decke, die an manchen Stellen so niedrig war, daß sie ihre Köpfe einziehen mußten. Die wenigen Leuchtstoffröhren spendeten gerade genügend Licht, um den Weg vor sich zu erkennen. Jemen atmete erleichtert auf, als sie das Ende erreichten und einen Raum betraten. Er war vollgestopft mit Kisten und Kartons. Nach zwei weiteren Lagerräumen erreichten sie einen Korridor mit einer Metalltreppe, die nach oben führte. Bisher war ihnen niemand begegnet, und auch sonst war es absolut still in diesem Teil der Bunkeranlage. Das änderte sich jedoch schlagartig, als sie die Treppe hinaufstiegen. Es war die typische Geräuschkulisse, die von emsiger Betriebsamkeit zeugte. Ein monotones Stimmengewirr, untermalt von dem Summen der vielfältigsten Maschinen.

Ein mulmiges Gefühl erfaßte Jemen, als sie das über ihnen liegenden Stockwerk erreichten. Sie erblickte einen langen Gang, der auf der linken Seite in eine Art Kontrollraum mündete. Drei Männer und zwei Frauen verließen ihn gerade und kamen, mit Computerteilen und Monitoren bepackt, an ihnen vorbei. Ein weiterer Wachmann trat jetzt auf sie zu und gab ihr ein Zeichen, ihm zu folgen, während sich die beiden anderen, die sie begleitet hatten, wieder auf den Rückweg machten.

„Sir!” Der Wachmann blieb im Eingangsbereich des Kontrollraumes stehen, weil ihm der Zutritt durch eine große Computerkonsole, die jemand in den Gang geschoben hatte, versperrt wurde. Der Angesprochene, der gerade einigen seiner Leuten Anweisungen gab, drehte sich um und blickte zu ihm hinüber. Jemen erkannte ihn sofort wieder. Es war Hendriks. „Macht den Weg frei!” befahl er sofort und kam ihnen dann entgegen. „Miss Tyler... oder sollte ich besser sagen: Miss Brix? Welch eine Überraschung.”

Jemen schob die Hände in die Jackentasche und gab sich bewußt gelassen. „Tja, ich hätte auch nicht gedacht, daß wir uns so schnell wiedersehen.” Interessiert sah sie sich um und betrachtete die Computer. Sämtliche Monitore, die in ihrem Blickfeld lagen, zeigten komplexe Berechnungen. Irgend etwas ließ die EDV auf Hochtouren laufen, und das war bestimmt kein simples Überwachungsprogramm.

„Was verschafft uns die Ehre?” fragte Hendriks und musterte sie neugierig.

„Ich will es mal so sagen: Die Situation wurde ein wenig brenzlig für mich, und da erinnerte ich mich an Ihren Vorschlag.” Jemen zwang sich, seinem forschenden Blick standzuhalten. Jetzt nur keine Unsicherheit zeigen.

„Brenzlig”, wiederholte er. „Aha.”

Er ist mißtrauisch. Aber das wäre wohl jeder. Er wartet auf eine Erklärung. Auf deine Erklärung, Jemen. Also laß dir was einfallen. „Zo'or stellte mich unter Arrest”, sagte sie. „Ihm mißfiel die Art und Weise, wie ich Da'an beschützte. Aber ich glaube, in Wirklichkeit hatte er herausgefunden, daß ich früher beim Widerstand war.”

Hendriks runzelte andeutungsweise die Stirn. „Zo'or ist dafür bekannt, daß er seine Beute im allgemeinen nicht so schnell wieder aus den Fingern läßt. Wie ist es Ihnen gelungen, trotzdem freizukommen?”

„Ich hatte einen guten Fürsprecher”, antwortete Jemen mit einem leisen Lachen. „Da'an hielt die Vorstellung, ich könnte eine Verräterin sein, für völlig absurd.”

„Dann waren Sie doch auf der sicheren Seite und hatten nichts zu befürchten.”

„Wenn es nicht da Kincaid gegeben hätte, Da'ans früheren Beschützer. Er war von Anfang an gegen mich, und er ließ nichts unversucht, ihn gegen mich aufzubringen.” Ob Hendriks ihr diese Erklärung abnahm? Seinem Gesichtsausdruck war nicht zu entnehmen, was er dachte. Trotzdem wurde Jemen spürbar ruhiger. Was hatte sie schon zu verlieren, außer einem Leben, an dem sie wenig hing - nein, das sie sogar fürchtete.

Hendriks zündete sich eine Zigarette an. „Und Ihre Pläne?” fragte er. „Ich kann mich noch sehr gut an unser Gespräch erinnern, und da lehnten Sie eine Zusammenarbeit ab.”

Jemen wanderte in dem schmalen Gang zwischen den Computerkonsolen langsam auf und ab. Er mißtraute ihr mehr, als ihr lieb war. Offensichtlich reichte es doch eben nicht aus, ein Widerstandsmitglied gewesen zu sein. Aber bevor sich das Blatt gegen sie wendete, mußte sie herausgefunden haben, wo sich Zo'or befand und was hinter seiner ominösen Entführung steckte. „Ich bin kein Märtyrer”, sagte sie. „Und wenn ich merke, daß die Situation keine Möglichkeiten bietet, sehe ich mich nach Alternativen um. Ich schätze, daß meine Informationen über die Taelons für Sie noch attraktiv genug sein müßten, um über eine Zusammenarbeit nachzudenken.”

Jetzt regte sich so etwas wie Interesse in Hendriks Gesichtszügen. Er warf die halbgerauchte Zigarette auf den Boden und zertrat sie. „Und jetzt verraten Sie mir mal, warum Sie tatsächlich hier sind!” sagte er völlig überraschend.

Jemen starrte ihn perplex an. „Ich... ähm... ich”, stotterte sie. Er hatte es tatsächlich geschafft, sie aus der Fassung zu bringen. Er lächelte amüsiert, als er ihre Verwirrung bemerkte. „Sie sind sehr clever, Jemen”, sagte er in einem beinahe wohlwollenden Ton. „Jemanden wie Sie können wir in unserer Organisation gebrauchen. Aber dazu müßte ich Ihnen vertrauen. Und das kann ich nicht, solange Sie mir gegenüber nicht aufrichtig sind.”

In Jemens Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie brauchte eine neue Taktik. Und das sofort, bevor sie Gefahr lief, daß er das Interesse verlor. Es mußte etwas sein, das über jeden Zweifel erhaben war und ihn von ihrer Loyalität überzeugte. Und plötzlich hatte sie eine Idee. Welches Argument konnte einen besseren Anklang finden als ihr Hass gegen Zo'or?

„Okay”, sagte sie langsam und atmete tief durch. Dadurch gewann sie ein paar Sekunden dazu, die sie auch dringend benötigte, um sich die Worte zurechtzulegen. „Zo'or wurde entführt. Wenn es irgendeine der üblichen Widerstandsgruppen gewesen wären, dann hätte man ihn sicher schon gefunden.”

„Und Sie glauben also, wir stecken dahinter?” fragte Hendriks und verschränkte amüsiert die Arme.

„Nun, ich hoffe es doch sehr. Andernfalls...”

„Andernfalls?”

„Müßte ich meine Suche fortsetzen.” Jemen bemühte sich, ihre Stimme möglichst grimmig wirken zu lassen. „Ich habe noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen.”

„Wer hat das nicht?” Hendriks schien nicht sonderlich überzeugt.

Er läßt sich nicht so einfach täuschen, dachte sie besorgt. Er will meinen Haß spüren. Und obwohl sie sich vor dem fürchtete, was sie jetzt tun mußte, konzentrierte sie sich auf ihr Innerstes und dachte mit aller Macht an Di'mag. Vor ihrem geistigen Auge erschien sein Antlitz, das sie niemals wiedersehen würde. Niemals wieder würde sie seine vertraute Nähe spüren können, ihre tiefe Verbundenheit, die für sie gleichermaßen selbstverständlich wie unbegreiflich gewesen war. Der Schmerz brandete in ihr hoch, doch diesmal bekämpfte sie ihn nicht, weil sie nur so auch den Haß fühlen konnte, den Haß auf Zo'or, der ihr alles genommen hatte. Dieser Haß glitzerte jetzt in ihren Augen, sprach aus jeder ihrer Gesten, als sie sich an Hendriks wandte. „Zo'or”, zischte sie, „ging nicht gerade zimperlich mit mir um, als er mich verhörte. Ich brauche Ihnen wohl nicht die Methoden zu schildern, die die Taelons anwenden, wenn es ihnen darum geht, ein Geständnis hervorzulocken. Er demütigte mich auf eine Weise, die ich nicht beschreiben kann.” Krampfhaft atmete sie ein und aus. Hatte sie ihn diesmal überzeugen können?

Hendriks musterte sie nachdenklich. „Zo'or ist eine Bestie, die vor nichts zurückschreckt”, sagte er schließlich. So etwas wie ehrliches Mitleid zeigte sich in seinen Zügen. „Aber ich kann Sie beruhigen, er wird seine gerechte Strafe erhalten.”

„Dann ist er also hier?” preßte sie hervor.

Er nickte.

„Gut.” Ihre Gestalt straffte sich. Erneut atmete sie tief durch, um das emotionale Magma in ihrem Innersten zu bändigen. „Gut.”

Hendriks nachdenklicher Blick ruhte weiterhin auf ihr. „Eines würde mich noch interessieren... woher wußten Sie von diesem Versteck?”

„Von mir!” rief eine Stimme kühn. In der Eingangstür stand Jemens Bruder Tom. Mit langen Schritten kam er jetzt auf sie zu und stellte sich neben Jemen. In einer seltsam anrührenden Geste legte er ihr den Arm um die Schulter und strahlte sie an. „Ich wußte, daß sie kommen würde”, sagte er und sah Hendriks gleichermaßen trotzig wie triumphierend an.

Hendriks Augen verengten sich, und in seinem Gesicht zuckte es unkontrolliert. Trotzdem unterließ er es, Jemens Bruder vor versammelter Mannschaft zu kritisieren, obwohl er die Sicherheit aller durch sein unbedachtes Verhalten ernsthaft gefährdet hatte und eine derartige Mißachtung der Befehle nicht toleriert werden konnte. „Wir werden uns später darüber unterhalten”, verkündete er und bedachte Tom mit einem scharfen Blick. Dann wandte er sich an Jemen. „Sie entschuldigen mich jetzt, Miss Tyler. Aber ich habe noch einige Vorbereitungen zu treffen.”

Tom fuhr sich verlegen durch das Haar. Doch kaum hatte Hendriks den Raum verlassen, als er auch schon unbekümmert auflachte. „Du hast jetzt mächtig Ärger”, sagte Jemen und entzog sich sanft der Umarmung ihres Bruders.

„Nicht mehr als sonst auch”, erwiderte Tom gleichgültig. „Ich kann dich aber beruhigen. Es ist alles halb so wild. Hendriks ist nur deshalb aufgebracht, weil ich es hinter seinem Rücken getan habe.”

„Halb so wild? An Hendriks Stelle hätte ich dich in der Luft zerrissen. Du hattest doch keinerlei Garantie, daß ich euer Versteck nicht einfach verrate.”

Tom grinste breit. „Was soll's”, sagte er mit einem Achselzucken. „In ein paar Stunden sind wir hier ohnehin verschwunden. - Komm, ich führe dich herum und zeige dir alles. Hast du vielleicht Hunger? Wir haben genügend zu essen...”

Jemen folgte ihm langsam. Wie zufällig schob sie die Hand in ihre Jackentasche, tastete nach dem Global und sendete das verabredete Zeichen. „Was habt ihr eigentlich mit Zo'or vor?” fragte sie.

„Oh, etwas ganz Besonderes”, sagte Tom geheimnisvoll. „Du wirst überrascht sein.”

 
* * *
 

„Da ist das Zeichen!” Liam sprang wie von der Tarantel gestochen auf und ballte in einer triumphierenden Geste die Faust. „Zo'or ist in diesem Bunker. Los! Jetzt gilt es, keine Zeit mehr zu verlieren!”

„Warten Sie, Major! Wir sollten Tyler besser noch etwas Zeit geben”, wandte Winsloe ein, und Peltzer nickte zustimmend. „Vielleicht hat sie die Möglichkeit, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Je mehr wir über die Anzahl der Widerständler, ihre Bewaffnung und überhaupt über den Bunker erfahren, um so besser ist das für uns.”

Liam starrte aufgeregt in die Dunkelheit. „Ja, gut”, sagte er dann widerstrebend und hockte sich wieder hin. „Geben wir ihr ein paar Minuten.”

 
* * *
 

Sandoval betrat mit einem lautlosen Seufzer den Hauptkorridor des Mutterschiffs und blieb dann zögernd stehen. Ein schwerer Gang stand ihm bevor. Doch er war nicht besonders erpicht darauf, seinen Bericht schneller als unbedingt erforderlich abzugeben. Er hatte jedoch bereits über Gebühr lange in der Fabrikhalle zugebracht, um das Unvermeidliche noch ein wenig hinauszuzögern. Eine weitere Verspätung konnte man ihm nun als Feigheit anlasten.

Der Asiate atmete tief durch, und seine Gestalt straffte sich. Dann setzte er entschlossen seinen Weg fort. Nicht weit von der Brücke entfernt, bemerkte er plötzlich Da'an. Der Taelon lehnte gegen die Wand, so als sei er von einer plötzlichen Schwäche befallen. Sandoval beschleunigte seinen Schritt, um ihm zu helfen, stoppte jedoch, als er die wahre Ursache von Da'ans Verhalten zu erkennen glaubte. Der Companion kommunizierte mit dem Gemeinwesen. Es mußte etwas von ungeheurer Wichtigkeit sein, daß er es derart sichtbar werden ließ, obwohl die privaten Bereiche nur wenige Schritte von ihm entfernt waren.

Zo'or! Natürlich. Sandoval fühlte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Die seltsamsten Gedanken schossen ihm mit einem Male durch den Kopf. Der Teil seines CVIs, der noch immer funktionierte, versetzte ihn schlagartig in die Vergangenheit, und er erinnerte sich, wie er das erste Mal vor Da'an gestanden und mit ihm gesprochen hatte. Nie zuvor war er so aufgeregt gewesen und hatte sich gleichermaßen so erhaben gefühlt wie in diesem Augenblick, da er den Außerirdischen kennenlernen durfte. Und als ihn Da'an fragte, ob er sich vorstellen könne, für ihn zu arbeiten, da war er vor Stolz und Glück beinahe geplatzt. „Ich werde Sie nicht enttäuschen, Da'an!” hatte er enthusiastisch versprochen.

Eine weitere Erinnerung führte ihn in die Zeit zurück, als William Boone in ihr Team kam und sich zwischen ihn und Da'an drängte. Das CVI verhinderte, daß er ihn offen bekämpfte, und doch war Boone für ihn zu einem Konkurrenten geworden, eine neue Art Konkurrenz um die Gunst des nordamerikanischen Companions.

Die nächste Erinnerung brachte ihn in eine alte Kalklagereinrichtung. Einige abtrünnige Marines hatten Da'an entführt, um damit die Freilassung ihrer Gefährten zu erpressen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Störungen in seinem CVI angefangen, so daß die gewaltsam unterdrückten Emotionen plötzlich sehr lebendig wurden. Er hatte um Da'an gelitten, als sich dieser entschloß, lieber seinem Leben ein Ende zu setzen, als etwas preiszugeben, das ihre Mission gefährdete. Und doch war es Boone gewesen, der Da'an rettete, der ihn mit seinem dringenden Appell zurück ins Leben rief. Boone und nicht er. In seiner Erleichterung über Da'ans Rettung hatte sich ein Gefühl von Haß gesellt. Er empfand nicht das leiseste Mitgefühl, als Zo'or William Boone tötete, obwohl er, Sandoval, längst nicht mehr Da'ans Beschützer war und es deshalb für ihn eigentlich keine Rolle mehr spielte.

Sandovals Blick fiel auf den nordamerikanischen Companion, der ihn noch immer nicht bemerkt hatte. Ich war bereit, für ihn zu sterben.

Von allen Taelons war Da'an derjenige, der die meisten Sympathien der Menschen besaß. Seine faszinierende Ausstrahlung und seine liebenswerte Art ließen ihn überall im Sturm die Herzen erobern.

Und von allen Taelons ist Da'an der gefährlichste, denn er besitzt eine einzigartige Waffe: sein Charisma. Niemand kann in ihn einen wirklichen Feind sehen. Er schafft eine Abhängigkeit, die weit über die Möglichkeiten eines CVIs hinausgeht, dachte Sandoval und erschauderte erneut. Ob sich Da'an dessen bewußt war?

„Agent Sandoval!” Die Stimme Da'ans riß ihn aus seine Gedanken. „Was tun Sie hier?”

Der Asiate sah ihn einen Augenblick lang verwirrt an, dann räusperte er sich. „Ich bin auf dem Weg zur Brücke.”

„Haben Sie Zo'or befreien können?”

Sandoval schüttelte resigniert den Kopf. „Es tut mir leid, Da'an. Ich befürchte, wir haben ihn verloren.”

„Verloren? Ich verstehe nicht.”

„Die Koordinaten, die beim Transfer aufgezeichnet wurden, haben sich leider als Sackgasse erwiesen. Mir ist es nicht mehr möglich, Zo'ors Spur zu folgen.”

„Hat sich Major Kincaid denn nicht mit Ihnen zwischenzeitlich in Verbindung gesetzt? Er und Jemen Tyler sind bereits vor Stunden zu einem Versteck der Widerstandsgruppe aufgebrochen.”

Sandoval starrte ihn völlig überrascht an. „Davon wußte ich nichts.”

„Nun”, sagte der Taelon, der jetzt ebenfalls verwirrt wirkte, „Major Kincaid wird dafür wohl seine Gründe haben. Dennoch schlage ich vor, daß Sie jetzt unverzüglich aufbrechen, um ihn zu unterstützen.”

„Und T'than? Er wartet auf meinen Bericht.”

„Überlassen Sie T'than getrost mir. Er wird einen umfassenden Bericht erhalten... sobald Zo'or befreit wurde.”

Sandoval nickte Da'an hastig zu, drehte sich auf dem Absatz um und eilte zum Hangar zurück. Das Blatt hatte sich zu seinen Gunsten gedreht. Es gab wieder Hoffnung, und diesmal, so schwor sich Sandoval, würde er Zo'or kein zweites Mal verlieren. Noch im Laufen riß er das Global aus der Tasche. „Major Kincaid!” bellte er los. „Wieso wurde ich von Ihnen nicht darüber informiert, daß Sie das Versteck der Dark Blue gefunden haben?”

„Sandoval... ähm...”, Kincaid starrte ihn einen Augenblick völlig entgeistert an, doch er hatte sich schnell wieder gefangen. „Ich wollte erst sichergehen, daß sich Zo'or auch wirklich in diesem Versteck aufhält. Ich hätte mich ohnehin jetzt bei Ihnen gemeldet.”

Sandoval verzichtete darauf, ihn zurechtzuweisen, denn das einzige, was ihn jetzt interessierte, war Zo'or. „Übermitteln Sie mir Ihre Koordinaten!” befahl er und stellte sein Global auf Empfangsmodus. Er hatte inzwischen den Hangar erreicht. „Informieren Sie Ivanek!” rief er einem Freiwilligen zu. „Er und seine Männer haben sich unverzüglich bei mir einzufinden.” Er wandte sich wieder Kincaid. „Und nun geben Sie mir Ihren Bericht.” Während er aufmerksam zuhörte, betrat er sein Shuttle, übertrug die übermittelten Koordinaten in den Computer und rief verschiedene topographische Zeichnungen der von Kincaid benannten Gegend ab.

 
* * *
 

Jemen hatte einen großen Teller mit Eintopf vor sich stehen. Erst in dem Augenblick, da sie das Essen gerochen hatte, war ihr bewußt geworden, wie hungrig sie mittlerweile war. Tom beobachtete sie dabei und grinste. „Typisch meine Schwester”, sagte er zu dem Kameraden, der für das leibliche Wohl aller zuständig war. „Immer vergißt sie vor lauter Arbeit das Essen.” Er reichte ihr ein Stück Brot und füllte ein Glas mit Mineralwasser.

„Wieso brecht ihr eure Zelte hier ab?” fragte Jemen mit vollem Mund. „Ist es zu unsicher geworden? Oder geschieht das meinetwegen?”

Tom schüttelte lachend den Kopf. „Weder noch”, sagte er. „Wir haben die erste Stufe unseres Plans erreicht. Nun müssen wir nur noch Zo'or auf die Reise schicken. Dann kann es weitergehen.”

Jemen schluckte die Frage, die sich ihr aufdrängte, mit dem nächsten Bissen hinunter. Sie durfte ihr Interesse an Zo'or nicht zu sichtbar werden lassen. „Reise”, knurrte sie abfällig. „Dieser Bastard hat auch nichts anderes als den Tod verdient.”

Toms Blick wurde verschlagen, als er sich vorbeugte und mit süffisanter Stimme sagte: „Du wirst erstaunt sein, wohin seine Reise geht.”

„Auf die nächste Ebene”, scherzte sie ahnungslos.

„Das ist das Ende seiner Reise, aber nicht der Anfang”, sagte er zweideutig. Mehr schien er jedoch nicht verraten zu wollen, denn er lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

Jemen versuchte ihre Gedanken zu ordnen, während sie zu Ende aß. Sie brauchte einen Plan, wie sie Kontakt zu Kincaid aufnehmen konnte. Es war wichtig, daß sie ihn über alles, was sie gesehen hatte, aufklärte, obwohl sie insgeheim große Bedenken hegte, was ihre Rettungsaktion anbelangte. Aber Tom klebte wie eine Klette an ihr und ließ sie keinen Augenblick aus den Augen. Nervosität machte sich in ihr breit und schnürte ihr die Kehle zu.

„Du zitterst ja”, sagte Tom, als sie den Teller beiseite schob. Er betrachtete sie aufmerksam. „Kämpfe nicht dagegen an, Schwesterherz. Es ist stärker als wir.”

Jemen strich sich das Haar aus dem Gesicht, erleichtert, daß er ihre Aufregung als eine natürliche Reaktion auf die fremde Präsenz in ihrem Bewußtsein interpretierte. „Das ist gar nicht so einfach”, erwiderte sie. Du mußt was tun, Jemen, sagte sie sich. Du hast nicht mehr viel Zeit. „Wo ist denn hier die Toilette?” fragte sie.

Tom gab keine Antwort. Sein Blick hatte sich auf den Gang gerichtet, und er lauschte. Dann sprang er auf. „Das solltest du auf später verschieben. Ich glaube, es geht los”, sagte er aufgeregt.

Jemen folgte ihm hinaus in den Korridor und wurde beinahe von einer Gruppe Männer und Frauen umgestoßen, die an ihr vorbeihasteten. Sie fühlte die Aufregung, die greifbar in der Luft war. Oh Gott, mir wird schlecht, dachte sie entsetzt und bekämpfte das Würgen in ihrer Kehle. Sie war froh, daß sie sich gegen die Wand lehnen konnte, um einer weiteren Gruppe Platz zu machen. Diesmal waren es bewaffnete Männer, und sie schlugen eine andere Richtung ein. Jemen kam jedoch nicht dazu, sich darüber irgendwelche Gedanken zu machen, denn in diesem Augenblick stieß ihr Tom den Ellbogen in die Rippen und deutete auf das Ende des Ganges. Dort wurde gerade Zo'or sichtbar. Der Taelon bewegte sich langsam und steif, und hin und wieder zuckte er zusammen, wenn ihm einer seiner Bewacher zu nahe kam. Tom packte sie am Arm und zog sie mit sich. Sie betraten einen großen Raum, in dem nichts anderes stand als ein großes, seltsames Gebilde, das Jemen irgendwie an ein Portal erinnerte. Unwillkürlich drängte sich ihr der Eindruck auf, daß dies eine Hinrichtungsstätte sei. Wieder wurde sie von einem heftigen Würgen befallen, und nur unter Aufbietung aller Kräfte konnte sie verhindern, daß sie sich auf der Stelle erbrach. „Was ist das?” preßte sie hervor und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Ein Portal”, antwortete Tom in einem leisen, ehrfürchtigen Ton. Er schob sie in eine Ecke, damit die Techniker ungehindert den Raum betreten und verlassen konnten. Hastig wurden letzte Vorbereitungen getroffen.

„Was ist das für ein Portal?” fragte sie, obwohl sie bereits von einer dunklen Ahnung befallen wurde.

„Ein jaridianisches.”

In diesem Augenblick wurde Zo'or hereingebracht. Das Opfer, das zur Schlachtbank geführt wird, dachte Jemen mit Schaudern. Sie war erschrocken über den Zustand des Taelons. Was um alles in der Welt hatten sie mit ihm angestellt? Er wirkte völlig orientierungslos. Oder war es die Furcht vor dem, was auf ihn zukam, die ihn so verstört wirken ließ?

„Wie ich sehe, hat es Ihnen die Sprache verschlagen”, ertönte da die Stimme Hendriks. Der Anführer der Dark Blue betrat den Raum und betrachtete zufrieden erst das Portal und dann den Taelon. Dann wandte er sich an Jemen. „Nun, was halten Sie davon?”

„Ich verstehe nicht ganz...”

„Das hier”, begann Hendriks mit unverhohlener Arroganz und Selbstgefälligkeit, „ist ein jaridianisches Portal. Wir beabsichtigen, Zo'or hindurchzuschicken - als kleines Willkommensgeschenk für unsere neuen Verbündeten. Noch funktioniert das Portal nur in einer Richtung, aber das wird sich schon bald ändern.”

Langsam begann es Jemen zu dämmern, welch perfider Gedanke hinter dem Ganzen steckte. „Sie wollen die Jaridians zur Erde holen”, sagte sie mit wachsendem Entsetzen.

„Das ist unser Plan. Und Sie müssen zugeben, daß er an Genialität nicht zu überbieten ist.”

„Es ist wahnsinnig”, entfuhr es ihr.

Hendriks lächelte nachsichtig. „Sie sind überrascht... aber das kann ich verstehen. Wenn die Jaridians erst einmal fertig sind mit den Taelons und uns von diesen widerwärtigen Ausbeutern befreit haben, werden Sie erkennen, das es die beste aller Entscheidungen war.”

Jemen konnte und wollte nicht glauben, was sie da hörte. „Und wer sagt Ihnen, daß die Jaridians nicht auch unsere Feinde sind? Sie können Feuer nicht mit Öl bekämpfen.”

„Miss Tyler”, Hendriks schien wirklich etwas daran zu liegen, daß sie seinen Plan verstand. „Wir bieten den Jaridians eine Möglichkeit, wie sie ihre Feinde für immer besiegen können. Sie werden uns dafür dankbar sein.”

Er ist größenwahnsinnig, dachte sie entsetzt. Er muß gestoppt werden. Doch als sie sich umdrehte und in die Gesichter der anderen Widerstandsmitglieder sah, entdeckte sie nur die gleiche fanatische Blindheit. „Das gibt eine Katastrophe, Hendriks”, sagte sie atemlos, „und das wissen Sie. Wir können nicht zulassen, daß der Krieg zwischen den Taelons und den Jaridians auf unserem Planeten ausgetragen wird. Bedenken Sie, welch verheerende Auswirkungen die Waffen der Taelons haben...”

„Sie mißverstehen da etwas”, fiel ihr der Anführer der Widerstandsgruppe ins Wort. „Der Krieg findet nicht auf unserem Planeten statt. Die Jaridians erhalten von uns lediglich die Möglichkeit, an die Informationen über die Interdimensionstechnologie heranzukommen.”

„Warum schicken Sie diese Informationen nicht einfach durch das Portal, anstatt die Jaridians auf die Erde zu locken?”

Für einen Augenblick wirkte Hendriks irritiert, doch dann winkte er in einer herrischen Bewegung ab, so als habe er in diesem Augenblick erkannt, daß es reine Zeitverschwendung war, sie von der Richtigkeit seines Planes zu überzeugen. Er gab seinen Leuten ein Zeichen, Zo'or zum Portal zu führen.

Doch Jemen war noch nicht bereit aufzugeben. „Und wenn die Jaridians zur Erde kommen und dann feststellen, daß dieser Planet eine lohnenswerte Kriegsbeute darstellt? Ich bin nicht so vermessen, daß ich behaupte, die Erde wäre ein Ausnahmeplanet... und daß allein aus diesem Grund jede außerirdische Spezies nur darauf lauert, zuzugreifen. Aber vielleicht haben wir etwas, was in den Augen der Jaridians wertvoll ist. Rohstoffe. Wasser. Nahrung... Was weiß ich...”

Hendriks bekam keine Gelegenheit mehr, zu einer Antwort anzusetzen, denn in diesem Augenblick stürmte einer seiner Wachleute herein. „Sir, wir haben drei Männer gefangengenommen, die draußen herumschlichen. Wenn ich mich nicht täusche, ist der eine davon ein Companion-Beschützer.”

„Sperrt sie ein. Ich werde mich später mit ihnen befassen.”

Jemen schnappte unwillkürlich nach Luft, als sich Hendriks finsterer Blick auf sie richtete. „Ich nehme an, Sie haben dafür eine Erklärung.”

Es ist vorbei, dachte sie. Was immer ich ihm auch sage, er wird mir nicht glauben, nicht, nachdem ich mich so gegen ihn gestellt habe. Doch seltsamerweise verspürte sie keine Furcht. Sie konnte gar nichts mehr empfinden. Es war ihr, als sei sie bereits tot.

Hendriks musterte sie voll Abscheu. „Ich sollte Sie töten”, sagte er hart.

Ich bin bereits tot. Du kannst mir nichts mehr anhaben.

Er griff plötzlich nach ihrem Arm und zerrte sie vor das Portal neben Zo'or. Der Taelon zuckte zusammen, als sich ihre Körper berührten. Abwehrend hob er die Hände und murmelte etwas in seiner Sprache. „Sie werden ihn begleiten”, verkündete der Anführer der Dark Blue. „Dann haben Sie die Gelegenheit herauszufinden, ob die Jaridians unsere Feinde sind oder nicht. Den Taelon wird man nicht am Leben lassen... aber vielleicht Sie. Wenn Sie schlau genug sind.”

Jemen gab keine Antwort. Wie benommen starrte sie auf das Portal. Ich bin bereits tot.

Hendriks trat hinter sie. Mit einem Kopfnicken bedeutete er seinen Leuten, das Portal zu aktivieren. Dann stieß er die junge Frau und den Taelon eigenhändig in den Transferstrahl. „Grüßen Sie Jaridia von uns!”

 

Ende von Kapitel 10

 

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