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  „Freundschaft” von Taoynin   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Während Da'ans und Liams Beziehung deutlich abkühlt, erschüttert der Mord an einem Taelon-Wissenschaftler das Gemeinwesen
Zeitpunkt:  dritte Staffel, zwischen „Liebe deinen Feind” und „Die Agentin”
Charaktere:  Da'an, Liam, Sandoval, Zo'or, Jemen Tyler und andere
 

 

FREUNDSCHAFT

Kapitel 1

 

Da'an fühlte sich beunruhigt. Derartig zu empfinden, stieß bei der Synode auf sehr zwiespältige Reaktionen. Einerseits beobachtete sie sehr interessiert das Verhalten ihrer Artgenossen im Umgang mit den Menschen, um daraus wichtige Erkenntnisse zu ziehen, andererseits sah sie darin aber auch eine gewisse Gefahr für das Gemeinwesen - jeder intensive Kontakt mit einer anderen Spezies beeinflußte nachhaltig das Denken und Handeln der eigenen Rasse und bewirkte eine Veränderung in ihrer Entwicklung. Aus diesem Grund schirmte der nordamerikanische Companion, so weit es möglich war, seine Gedanken vom Gemeinwesen ab. Emotionen hatten für ihn seit seiner Ankunft auf der Erde eine gänzlich neue Definition bekommen. Er versuchte zu begreifen, trachtete danach, die Verwirrung, die ihn gefangennahm, zu durchbrechen und Klarheit zu gewinnen. Aber mit jedem verstreichenden Tag - so schien es ihm - entfernte er sich mehr und mehr von seinen ursprünglichen Zielen. Auf der einen Seite war das Gemeinwesen. Es war längst nicht mehr der Hort der Geborgenheit, der ihn einst so anziehend machte. Der Kampf ums Überleben hatte sie entzweit. Es gab Mißtrauen und Feindschaft, Aggressionen und sogar Haß. Und auf der anderen Seite waren da jene Menschen, die ihm Freundschaft und Zuneigung entgegenbrachten. Da'an fühlte sich hin- und hergerissen zwischen der Loyalität seinem Volk gegenüber und seinen Empfindungen gegenüber der Spezies, die von ihnen im Grunde nur bedenkenlos benutzt wurde, um ihren eigenen Zielen näherzukommen.

Da'ans Beunruhigung galt seinem Beschützer, Liam Kincaid. Liam war so ungestüm. Er reagierte, wie ihm sein jugendlicher Verstand diktierte, ohne die Konsequenzen seines Handelns zu bedenken. Doch damit setzte er ihre Freundschaft einer sehr starken Belastung aus. Da'an hatte bereits im Übermaße Geduld und Verständnis aufgebracht, und er spürte instinktiv, daß er die Grenze dessen, was er zulassen - was er ertragen - konnte, erreicht hatte. Warum begriff Liam nicht, daß er ihn in eine aussichtslose Situation trieb, aus der es kein Entrinnen gab?

Voll Wehmut erinnerte sich der Companion an seinen ersten Beschützer. Boone hatte ihm auch skeptisch gegenübergestanden, aber er hatte wenigstens versucht, die Taelons zu begreifen. Trotz ihrer Verschiedenheit hatten sie ein gewisses Verständnis füreinander entwickelt. Sie hatten einander respektiert. Und schließlich war so etwas wie Freundschaft entstanden. Da'an hatte von William Boone mehr gelernt als von jedem anderen Menschen. Er - Da'an - war der Schüler gewesen, so wie er auch einst Ma'els Schüler gewesen war. Er hatte gehofft, Liam ein guter Berater sein zu können, hatte ihm bei seinen ersten unbeholfenen Schritten zur Seite gestanden und über ihn gewacht. Doch der junge Mann hatte allzu schnell die helfende Hand abgelehnt. War ihm - Da'an - dabei ein Fehler unterlaufen? Hatte er sich am Ende gar selbst überschätzt? Oder lag es einfach daran, daß die Menschen eigensinnig und stolz waren und eigene Erfahrungen den gutgemeinten Ratschlägen vorzogen? In solchen Momenten vermißte er Boone auf eine geradezu schmerzliche Weise. Liam entglitt ihm immer mehr. Wenn er nun auch diesen Freund verlor? Es war eine ganz besondere Art von Einsamkeit, die den Taelon erfaßte, und er wußte, daß er keinen Trost im Gemeinwesen finden würde. Diese Einsamkeit konnte ihm nur ein Mensch nehmen.

Da'ans Gedanken schweiften erneut in die Vergangenheit ab. Captain Marquette. Lili. Die junge Pilotin hatte sich ihm lange Zeit gegenüber kühl und distanziert verhalten, und er hatte auf sie ebenso zurückhaltend reagiert, weil er annahm, daß dies von ihm erwartet wurde. Bis zu jenem Augenblick, als sie nach ihrem Absturz inmitten der Wildnis aufeinander angewiesen waren und sie sich nicht mehr hinter irgendwelchen Konventionen verstecken konnten, als sie sich auf eine viel persönlichere Weise näherten. Auch dies war der Anfang zu einer Freundschaft gewesen, die viel zu abrupt endete. Mehr noch als die Tatsache, daß Marquette bereit war, das Taelon-Mutterschiff und mit ihm alle an Bord befindlichen Taelons in die Luft zu jagen, hatte ihn die Erkenntnis zutiefst getroffen, daß sie sich zu einem solchen Schritt genötigt fühlte und sich gezwungen sah, ihn zu opfern. Er hatte sich gefragt, wie er in ihrer Situation gehandelt hätte, und ihm wurde bewußt, daß er nicht das Recht hatte, sie zu verurteilen. Im Kampf ums Überleben verloren Freundschaften plötzlich ihre Bedeutung, waren Gefühle irrelevant. Aber das war der falsche Weg. Welchen Sinn hatte es, rücksichtslos die Wünsche des Individuums zu ignorieren, um dem Volk eine bessere Zukunft zu sichern? Dieses Volk bestand aus einzelnen Wesen, sie machten die Gesamtheit aus und für sie wurde der Kampf doch ausgefochten!

Da'an wußte, daß ihn seine Gedanken in einen Gewissenskonflikt brachten. Er war gefangen zwischen Loyalität und dem Bewußtsein, daß er für sich nichts als Verachtung aufbringen konnte, wenn er versagte.

Niedergeschlagen trat der Companion an das Fenster der Botschaft und blickte hinaus auf die Stadt. Er erinnerte sich plötzlich an Quo'ons Worte. „Wir werden unser Schicksal auf diesem Planeten suchen oder unseren Untergang.” Damals hatte es beinahe ein wenig theatralisch geklungen. Da'an fühlte noch das Unbehagen, das die Mitglieder der Synode seinerzeit erfaßt hatte. Aber jetzt bekamen eben diese Worte eine beinahe prophetische Bedeutung. In ihrem Bestreben, die Jaridian zu vernichten, hatten sie unzählige Welten zerstört, ohne je ihr Tun in Zweifel zu stellen. Sie hatten sich groß und mächtig gefühlt. Die Menschheit war doch auch nur eine von vielen unbedeutenden Spezies, naiv und gutgläubig, manipulierbar... Aber sie hatten sie unterschätzt. Sie hatten zum ersten Mal einen ernstzunehmenden Gegner bekommen, der ihnen ihre Verwerflichkeiten vor Augen führte. Schlimmer noch - er erinnerte sie daran, wie sie einst waren. Auf der Suche nach Vollkommenheit hatten sie einen Weg eingeschlagen, der einer sehr schmalen Gratwanderung ähnlich kam, und Da'an mußte sich heute fragen, ob es das wirklich wert war. Brachte es den Taelons den erhofften Nutzen oder waren sie nur einer verhängnisvollen Vision gefolgt, die nicht nur zu dem Untergang ihrer Spezies führte, sondern die auch so viele andere Völker mit ins Verderben riß?

Da'an wandte sich vom Fenster ab. Der Ausblick, der ihm sonst so viel Freude bereitete, konnte ihn heute nicht trösten. Er hatte niemanden - niemanden, mit dem er seine Gedanken teilen konnte. Boone. Lili. Sie waren nicht mehr da. Und Liam... Es war nur eine Frage der Zeit, wann er auch ihn verlieren würde. Was hatte er noch zu Sandoval gesagt: „Vielleicht werden sich andere Beziehungen stärker entwickeln, die den Schmerz des Verlustes mildern.” Aber es entsprach nicht der Wahrheit. Jede Freundschaft war auf ihre Weise einzigartig und durch nichts zu ersetzen.

Da'an wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er Schritte vernahm. Liam Kincaid bog um die Ecke. „Da'an”, grüßte der junge Mann etwas steif.

Der Companion nahm unterschwellig die Anspannung wahr, ignorierte sie aber. Während er auf seinem Stuhl Platz nahm und den Datenstrom aktivierte, um die neuesten Nachrichten zu studieren, wandte sich sein Beschützer seinem eigenen Computer zu und gab vor, eifrig zu arbeiten. Hin und wieder schaute er auf und warf dem Companion verstohlene Blicke zu. Da'an bemerkte dies sehr wohl, unterdrückte aber jede Neugierde. Menschliches Verhalten war ihm nach wie vor in vielen Dingen ein Rätsel, aber er hatte gelernt, daß es manchmal besser war, abzuwarten, um dem anderen die Möglichkeit zu geben, den Anfang zu machen.

Liam versuchte sich auf seine Analysen zu konzentrieren, ertappte sich aber immer wieder dabei, daß seine Gedanken abschweiften. Zur Zeit gab es für ihn nicht viel zu tun. Da'an zog es vor, überwiegend in der Botschaft präsent zu sein. Er schien das Mutterschiff zu meiden, auf dem sich ein übellauniger Zo'or mit Kriegsminister T'than abgab. Liam hätte durchaus den ihm zustehenden Urlaub nehmen können, aber irgendwie stand ihm nicht der Sinn nach Entspannung und Abwechslung. Er hatte das Gefühl, als würde genau in dem Augenblick etwas Wichtiges passieren, wenn er weg war. Tatsächlich geschah aber gar nichts. Nun mußte er sich mit etwas Neuem befassen, etwas, das ihm bisher gänzlich unbekannt war: Langeweile. Um der Langeweile zu entgehen, hatte er angefangen, Informationen über die Kimera zusammenzutragen. Sehr weit war er damit allerdings nicht gekommen. Liam schaute auf und sah zu Da'an hinüber. Der Companion saß entspannt auf seinem thronartigen Stuhl und ließ seinen Blick durch die Botschaft schweifen.

Liam wurde für einen Augenblick von seinen Studien abgelenkt, als er den Außerirdischen über den Rand seines Monitorschirms beobachtete. Im Moment tat Da'an nichts anderes, als nur dazusitzen. Er hatte den Datenstrom wieder deaktiviert. Er kommunizierte nicht mit seinen Artgenossen, und laut Terminplan waren auch keine Besucher zu erwarten. Wenn er praktisch außer Dienst war - warum suchte er dann nicht sein Privatquartier auf? Oder langweilte er sich ebenfalls? Konnte ein Taelon überhaupt Langweile empfinden? Dabei hätten wir genügend Gesprächsthemen, dachte Liam. Verbittert senkte er den Blick und ließ den Finger über den Monitor gleiten, um neue Verzeichnisse aufzurufen und nach Informationen zu suchen.

Da'an erhob sich plötzlich. Er sah kurz in Liams Richtung, aber der junge Mann tat so, als bemerkte er dies nicht. Der Taelon zögerte. Seine anmutig erhobene Hand, die er nun gegen die Brust drückte, signalisierte Unentschlossenheit. Er schien zu warten. Als Liam weiterhin beharrlich den Kopf gesenkt hielt, stieg er langsam die Stufen, die zu seinem Stuhl führten, hinunter. Dann trat er an das Fenster und sah hinaus.

Liam starrte ihm stirnrunzelnd nach. Verdammt! Wenn Da'an Langeweile hatte, dann sollte er gefälligst zum Mutterschiff fliegen. Wieder wandte er sich seinen Daten zu, und wieder mußte er feststellen, daß er nicht in der gewohnten Weise arbeiten konnte. Es war die Stille, die ihm zu schaffen machte. Die unausgesprochenen Worte zwischen ihm und Da'an. Mit jedem verstreichenden Tag schien die Distanz zwischen ihnen zu wachsen und sie mehr und mehr zu entfremden. Aber was war es, das so falsch lief?

„Sie beschäftigen sich mit den Kimera?”

Liam zuckte zusammen. Er hatte gar nicht bemerkt, daß der Taelon seinen Platz am Fenster verlassen hatte und ihm nun interessiert über die Schulter sah. Für einen Augenblick war er versucht, die Informationen vor dem Companion zu verbergen, bis ihm die Absurdität seiner Gedanken bewußt wurde. Von Da'an wußte er doch erst, daß er ein Kimera war. „Die Informationen sind mehr als dürftig.”

„Was möchten Sie über Ihre Vorfahren wissen?”

Liam warf ihm einen kurzen Blick über die Schulter zu. Täuschte er sich, oder war der Companion tatsächlich gewillt, mit ihm über seine Herkunft zu sprechen? Sein Gesichtsausdruck war entspannt wie schon lange nicht mehr. Und doch versteifte sich unwillkürlich alles in dem jungen Mann. „Wurden die Kimera ebenfalls von den Taelons gejagt und ausgelöscht?” fragte er hart.

Da'ans Gesicht verschloß sich augenblicklich. Er trat von Liam zurück und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Liam kam es einer Flucht gleich. Doch er wollte Da'an diesmal nicht so einfach davonkommen lassen. Er folgte dem Taelon. „Mein Volk war nur eines von vielen, das gnadenlos geopfert wurde, damit Sie Ihren Kampf gegen die Jaridians fortführen konnten, nicht wahr?”

Tatsächlich wollte Da'an einem Gespräch aus dem Wege gehe, aber nur, weil er spürte, daß Liam emotional viel zu befangen war. Erklärungsversuche, gleich welcher Art, würden sich nur ins Gegenteil verkehren und die angespannte Situation zwischen ihnen zusätzlich belasten.

Liam baute sich vor ihm auf. „Es ist Ihnen unangenehm, darüber zu sprechen. Weil Sie dann zugeben müßten, daß ich Recht habe. Sie können sich nicht hinter irgendwelchen Ausflüchten verstecken, und das wissen Sie!”

„Und Sie müssen noch eine Menge lernen, Liam”, entgegnete der Taelon scharf und maß seinen Beschützer mit einem verärgerten Blick. „Es ist leicht, jemanden zu verurteilen, wenn man nur nach dem Offensichtlichen geht. Aber in diesem Fall machen Sie es sich zu einfach. Meine Spezies wird durch die Jaridians in ihrer Existenz bedroht. Wenn wir überleben wollen, müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, um sie zu bekämpfen.”

„Auch wenn das auf Kosten anderer Lebewesen geht?” warf ihm Liam vor.

Da'an senkte den Blick. „Nicht immer sind unsere Entscheidungen klug gewesen”, räumte er leise ein. „Und es betrübt mich, daß wir gezwungen waren, so rücksichtslos vorzugehen. Aber die Umstände zwangen uns dazu.”

„Ihr Kampf hat schon so vielen das Leben gekostet. Sie müssen endlich begreifen, daß das der falsche Weg ist.”

„Das sagen ausgerechnet Sie, Liam? Sie kämpfen doch ebenfalls und sind nicht bereit, damit aufzuhören.”

„Weil ich in erster Linie ein Mensch bin”, erwiderte der junge Mann. „Und ich werde niemals zulassen, daß mein Volk für Ihre Zwecke ausgebeutet wird.”

„So wie ich nicht zulassen kann, daß meine Art durch die Jaridians ausgelöscht wird.”

„Es ist Ihre Sache, gegen wen Sie Krieg führen. Aber Sie sollten damit aufhören, andere damit hineinzuziehen.”

Da'an musterte ihn nachdenklich. Manchmal vergaß er, daß nicht mehr Boone vor ihm stand. Er versuchte sich erneut vor Augen zu halten, daß Liam im Grunde noch ein Kind war, das seine Umwelt sehr subjektiv wahrnahm. Er durfte nicht zu streng sein. Ein wahrer Lehrer zeigte seine Qualitäten dadurch, daß er seinen Schüler behutsam an die Hand nahm und geduldig seinen Blick auf das Wesentliche lenkte. Aber angesichts der Vorwürfe fiel es ihm schwer, Nachsicht zu üben. Langsam erhob er sich und verließ seinen Platz. „Jede Art verändert sich unter dem Einfluß seiner Umwelt. Nur die am besten angepaßten Individuen können sich erfolgreich behaupten. Die Menschen haben sich von Anfang an bekämpft”, sagte er, während er durch die Botschaft wanderte. „Es ging um Nahrung, um Land oder Ansehen. Nur der Stärkere konnte überleben. Diese selektive Evolution hat sie zu dem gemacht, was sie heute sind. Bisher haben sich diese Kämpfe auf Ihre Welt beschränkt. Aber eines Tages werden sich Ihre Artgenossen daran machen, das Weltall zu erforschen. Was gibt Ihnen die Gewißheit, daß sie ihren Überlebenskampf nicht da draußen weiterführen? Nur kämpfen sie dann nicht mehr gegen ihre eigene Art, sondern gegen andere Lebewesen.”

„Ich behaupte ja gar nicht, daß die Menschen besser sind als die Taelons”, konterte Liam.

„Es ist das Leben, Liam”, sagte der Companion eindringlich. „Und das Leben läßt sich nicht aufhalten. Das gilt nicht nur für die Erde, sondern für das ganze Universum. Nur diejenigen haben eine Überlebenschance, die sich am besten den Veränderungen anpassen können. Nur der Stärkere überlebt.”

„Da bin ich aber anderer Meinung”, erwiderte der junge Mann hitzig. „Ich glaube nicht, daß man unbedingt andere Spezies ausrotten muß, um sich weiterzuentwickeln.”

„Das ist es nicht, was ich Ihnen begreiflich machen will, sondern...” Der Taelon wurde unterbrochen, als Agent Lassiter die Botschaft betrat. „Entschuldigen Sie, Da'an”, sagte er. „Das Wartungsteam ist gerade eingetroffen.”

Da'an blickte ihn verständnislos an, und Lassiter fügte erklärend hinzu: „Es gab in den letzten Tagen einige Fluktuationen im Energiekreislauf. Daraufhin wurde angeregt, den Zentralprozessor auf Beeinträchtigungen zu überprüfen.”

Jetzt schien sich der Companion wieder daran zu erinnern. „Beginnen Sie.” Dann wandte er sich wieder Liam zu. Das unerwartete Hereinplatzen des Mannes hatte sie aus ihrem Gespräch gerissen. Es würde schwer sein, dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Aber bevor er die Gelegenheit bekam, an seine Gedanken anzuknüpfen, meldete Liams Kommunikator einen eingehenden Anruf. Es war Renee, und sie verlangte Liam augenblicklich zu treffen. „Verschieben wir unser Gespräch, Da'an”, sagte der junge Mann.

Der Taelon neigte zustimmend den Kopf. „Vielleicht ist diese Unterbrechung ganz angebracht. Es bietet uns die Möglichkeit, über unsere Ansichten nachzudenken.”

Liam preßte die Lippen zusammen. Seinem Gesicht war abzulesen, was er davon hielt. Seine Einstellung würde sich niemals ändern. Entweder würde das Da'an irgendwann begreifen oder ihre Wege trennten sich.

 
* * *
 

Agent Sandoval versah gewohnheitsmäßig seinen Dienst auf der Brücke. Da es im Moment für ihn nichts zu tun gab, widmete er sich dem reibungslosen Ablauf der Tagesschicht. Er wirkte diszipliniert wie immer. Mit keiner Geste verriet er, was er dachte. Wenn Zo'or in seine Richtung sah, erblickte er stets das gleiche undurchdringliche Gesicht. Aber der Außerirdische wußte genau, daß der Asiate seine Gleichgültigkeit nur vortäuschte und daß er jedes Wort, das zwischen dem Kriegsminister T'than und dem Anführer der Taelons fiel, aufmerksam registrierte. Er wußte nicht, ob er darüber ungehalten sein sollte. Sandoval hatte sich stets loyal verhalten, aber er war ein Mensch, und Zo'or wußte genau, daß er keinem Menschen je vertrauen würde. Seine Stimmung war sehr gereizt, und er wünschte sich plötzlich, daß seinem Beschützer ein Fehler unterlief, damit er ihn maßregeln und einen Teil seiner Wut loswerden konnte. T'than stolzierte provozierend vor ihm auf und ab, und mit jeder verstreichenden Minute wurde sein Lächeln arroganter. Nur die Tatsache, daß es seinem Artgenossen ein ausgesprochenes Vergnügen bereiten würde, zu sehen, wie er die Beherrschung verlor, hielt Zo'or davor zurück, seinen Zorn allzu sichtbar werden zu lassen.

„Wie lange gedenkst du, auf dem Mutterschiff zu bleiben?”

T'than verschränkte die Hände hinter dem Rücken und warf ihm ein überlegenes Lächeln zu. „Du wirst es als erster erfahren.” Er genoß seinen Auftritt in dem Bewußtsein, daß Zo'or seinen Haß zwar vor dem Gemeinwesen verbergen konnte, aber nicht vor ihm. Die menschliche Fassade bot in dieser Hinsicht ein reichhaltiges Spektrum an Ausdrucksweisen. Langsam schritt er vor dem Synodenführer auf und ab und unterzog seine derzeitige Strategie einer gründlichen Analyse. Seiner Ansicht nach war Zo'or völlig ungeeignet, die Taelongemeinschaft in dieser schwierigen Zeit zu führen. Er war viel zu jung und zu unerfahren und allzu schnell bereit, seinen eigenen Zielen den Vorrang zu geben. Es ärgerte T'than, daß Zo'or so einfach an die Macht gelangen konnte. Ob es daran lag, daß er ein Kind des Taelons war, dessen geniale Strategie sie vor der sicheren Vernichtung bewahrt hatte? Eigentlich gebührte Da'an der oberste Platz in der Synode. Aber seitdem sie die Erde aufgesucht hatten, war er nicht mehr derselbe wie einst. Zo'or hatte ein leichtes Spiel, die Mitglieder der Synode von seinen Qualitäten zu überzeugen. Er zeigte die Entschlossenheit, die Da'an nicht mehr aufbringen konnte. Meine Absicht, Da'an zu unserem Führer zu machen, könnte sich vielleicht als ein Fehler herausstellen, überlegte T'than.

Zo'or blickte erneut in Sandovals Richtung. Er hätte seinen Beschützer gern unter einem Vorwand hinausgeschickt. Aber damit würde er T'than nur die Möglichkeit zu einer weiteren boshaften Bemerkung geben. Also senkte er nur ein wenig die Stimme und hoffte, daß der Agent zu beschäftigt war, um auf seine Worte zu achten. „Es wundert mich, daß du so viel Zeit hier auf dem Mutterschiff verbringst. Solltest du nicht eigentlich an der Front sein und unsere Generäle beaufsichtigen?”

„In unserer derzeitigen Situation ist es ausgeschlossen, daß wir etwas an der Frontlage verändern. Unsere Generäle wissen, daß sie die Jaridians nicht schlagen können. Aber dennoch kämpfen sie - mit dem einen Ziel: dir den Rücken freizuhalten, Zo'or.”

Zo'or nahm den unterschwelligen Vorwurf in T'thans Stimme wahr und versteifte sich unwillkürlich. „Ich weiß ihre Aufopferungsbereitschaft zu schätzen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß es um unser Überleben geht. Nur unter Einsatz aller Kräfte können wir den Feind endgültig besiegen.” Er präsentierte dem Kriegsminister seine menschliche Fassade als Ausdruck größter Souveränität, weil er wußte, daß ihm dieser solange nicht ernsthaft schaden konnte, wie er seine Sicherheit behielt.

„Nur seltsam, daß deine Handlungsweise zum Ausdruck bringt, als ob wir unendlich viel Zeit hätten.” T'thans arroganter Gesichtsausdruck verschwand und zeigte jetzt dafür unverhohlenen Ärger. „Tatsächlich aber sterben bei jedem Kampf Taelons. Und ich muß dir kaum ausführlich schildern, welche Konsequenzen das auf lange Sicht für uns hat.” Der Kriegsminister sah diesmal in Sandovals Richtung, doch der Asiate hatte ihnen beiden den Rücken zugekehrt und bediente einige Kontrollen. „Leider konntest du uns bisher keine brauchbaren Ergebnisse liefern.”

„Ich bin es nicht, der diesen umständlichen Weg gewählt hat”, sagte Zo'or ungehalten und erhob sich. „Alles ginge wesentlich schneller, wenn wir die Menschen versklavten und in unseren Kampf gegen die Jaridians zwängen. Aber in diesem Punkt ist die Synode offensichtlich eher bereit, Da'ans Vorstellungen zu folgen.”

„Da'an ist nicht der Führer der Synode. Vielleicht solltest du damit aufhören, ihn weiter zu bekämpfen und dich auf deine eigentlichen Aufgaben konzentrieren.” Damit ließ der Kriegsminister seinen Artgenossen stehen und wandte sich zum Gehen.

Obwohl Agent Sandoval Betriebsamkeit vortäuschte, hatte er tatsächlich gelauscht. Dank seines CVIs war ihm dabei nicht ein einziges Wort verlorengegangen. Sie wurden seinen bisherigen Informationen hinzugefügt. Irgendwann würde er darauf zurückgreifen. Dann würden sie ihm wertvolle Dienste leisten, sowohl in Hinsicht auf Zo'or als auch auf T'than.

„T'than!” rief Zo'or wütend. Er haßte es, wenn man ihn so einfach stehenließ. „Da'an ist...”

In diesem Augenblick kam ein Notruf herein, und Sandovals Aufmerksamkeit wurde diesmal tatsächlich gänzlich beansprucht. „Zo'or!” rief er. „Eine dringende Nachricht aus Europa. Di'mag wurde von einer Gruppe Freiwilliger angegriffen.”

Zo'or fuhr herum und starrte Sandoval fassungslos an. Der hatte bereits den Datenstrom aktiviert. In dem bläulichem Energieschauer wurde ein Taelon sichtbar. Es war der Assistent Di'mags. „Ich begreife das nicht... So ohne jede Vorwarnung... Wie konnten sie so etwas tun?” Der Taelon war völlig außer sich und stand offensichtlich unter Schock.

Zo'or erkannte sofort, daß er von ihm keinen zusammenhängenden Bericht erwarten konnte. Di'mag lebte noch. Nur das zählte. Seinen Tod hätte er im Gemeinwesen sofort wahrgenommen. „Agent Sandoval! Brechen Sie unverzüglich auf. Ich will wissen, was passiert ist.”

„Verstanden, Zo'or!” erwiderte der Asiate und verließ mit hastigen Schritten die Brücke.

T'than war zu Zo'or zurückgekehrt, und beide Taelons sahen sich jetzt an. Was war den Menschen diesmal eingefallen, um sich gegen ihre Eroberer zur Wehr zu setzen?

 
* * *
 

"Was gibt es so Dringendes?” fragte Liam, als er sich mit Renee im Flat Planet Cafe traf.

Sie schob ihn zum Tresen hin. Dort konnte man sich wesentlich ungestörter unterhalten als an einem der Tische. „Sie erinnern sich an Ma'els Schiff?”

„Wie könnte ich das vergessen?” fragte Liam zurück und sah sie spöttisch an. „Sie haben mich mit Ihrer Waffe bedroht.”

„Wir konnten uns nicht sicher sein, auf welcher Seite Sie stehen”, sagte sie mit gesenkter Stimme. „Aber ich habe Sie nicht hierhergebeten, um mit Ihnen über meine Waffe zu plaudern.” Sie nahm ihr Glas und führte es an ihre Lippen, während sie ihren Blick möglichst unbefangen durch das Cafe schweifen ließ. Je normaler sie sich verhielten, um so weniger fielen sie auf.

„Was gibt es also?” fragte Liam, der jetzt neugierig geworden war.

„Jemand hat bestimmte Artefakte aus Ma'els Schiff gestohlen.”

„Und haben Sie einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte?”

Renee musterte ihn. „Doors hatte sofort Sie im Verdacht.”

„Das wundert mich allerdings nicht. Er hat mir von Anfang an nicht vertraut.”

„Sie sind noch immer Da'ans Beschützer, obwohl er Ihr Vertrauen mißbraucht und den Widerstand und damit Sie verraten hat. Konsequenterweise fragt sich Doors, wie groß Ihre Loyalität gegenüber den Companions ist.”

Liams Stirn furchte sich bedrohlich. „Da'an wollte mir nicht schaden. Und das glaube ich ihm. Doors kennt da weit weniger Skrupel. Er hat bereits einmal versucht, mich ermorden zu lassen. Wenn er der Überzeugung ist, daß ich die Artefakte gestohlen habe, dann wundert es mich, daß er Sie schickt...” Er brach unvermittelt ab und sah sie nachdenklich an. „Er hat Sie absichtlich geschickt... weil er glaubt, daß Sie eher etwas aus mir herausbekommen.” Er starrte sie finster an. „Aber Doors irrt sich. Er jagt den Falschen.” Er wollte sich abwenden, aber Renees Hand schnellte vor. Ihre Finger bohrten sich in seinem Oberarm und hielten ihn mit erstaunlicher Kraft fest. „Ich bin hier, um mit Ihnen gemeinsam der Sache auf den Grund zugehen”, zischte sie leise. „Setzen Sie sich wieder und hören Sie mir zu!” Sie holte tief Luft. „Doors hat ein sehr enges Sicherheitsgitter geschaffen, um Ma'els Schiff zu schützen. Die Leute, die für ihn arbeiten, wurden alle vorher überprüft. Und das bedeutet, daß da irgendjemand ein falsches Spiel treibt.”

„Was sind das für Artefakte?” wollte Liam wissen.

„Es ist vorerst besser, wenn Sie keine weiteren Informationen erhalten. Versuchen Sie herauszufinden, ob die Taelons hinter dem Raub stecken. Für sehr viel Geld sind die meisten Menschen bereit, Ihre Seele dem Teufel zu verkaufen. Und wir beide wissen, daß Zo'or sehr schnell gelernt hat, menschliche Schwächen für sich auszunutzen.”

Liam rieb sich skeptisch das Kinn. „Es wird sehr schwer sein, darüber etwas in Erfahrung zu bringen. Es würde die Sache wesentlich vereinfachen, wenn Sie mir sagten, wonach ich suchen soll.”

Doch Renee schüttelte den Kopf. „Je weniger Sie darüber wissen, um so besser. So kommen Sie wenigstens nicht in die Bedrängnis zu lügen.”

Liam lächelte spöttisch. „Ich wußte gar nicht, daß Sie so um meine Integrität besorgt sind.”

Sie blieb völlig ernst, als sie sagte: „Nennen wir es Intuition. Ich habe das Gefühl, als ob hinter der ganzen Sache viel mehr steckt.”

Liam betrachtete sie nachdenklich. Ihr Gesicht war eine undurchdringliche Maske, die nichts von der wirklichen Renee zeigte. Obwohl er ihr gegenüber nicht mehr dasselbe Mißtrauen verspürte wie am Anfang, war er nach wie vor skeptisch, was ihre wahren Ambitionen betraf. „Manchmal ist es tatsächlich besser, auf seinen Instinkt zu hören. Ich werde mich also ziemlich bedeckt halten bei meinen Recherchen. Sobald ich etwas herausgefunden habe, melde ich mich.”

 
* * *
 

Ein Aufschrei ging durch das Gemeinwesen. Zo'or fühlte, wie es ihn schüttelte, und für einen Augenblick verlor er die Kontrolle über seine menschliche Fassade. Fassungslos lauschte er dem mentalen Chaos, das jede Zelle seines Körpers erfüllte. Di'mag war tot. Unwiderruflich für immer verloren...

 
* * *
 

Die Stimmung auf der Brücke war sehr gedrückt, als Sandoval zum Mutterschiff zurückkehrte. Zo'or und Da'an erwarteten ihn bereits. „Wir haben den Verlust Di'mags im Gemeinwesen gespürt”, sagte Zo'or leise. Der sonst so gefühlskalt wirkende Taelon zeigte sich angesichts des Todes seines Artgenossen sehr betroffen. So war es dann auch Da'an, der sich an Sandoval wandte. „Wie konnte es dazu kommen? Was ist passiert?”

„Di'mag arbeitete offensichtlich an einem wissenschaftlichen Projekt, das die Effektivität der Implantate bei den Freiwilligen steigern sollte. Laut Aussage seiner Beschützerin, einer gewissen Jemen Tyler, muß jemand ganz gezielt in die Forschungslabors eingedrungen und die Programmierung der Implantate manipuliert haben. Denn genau die Freiwilligen, die an dem vorgesehenen Versuch teilnahmen, haben Di'mag kurze Zeit später angegriffen und tödlich verletzt.”

Zo'or wechselte einen überraschten Blick mit Da'an. „Mir war nichts von einem derartigen Projekt bekannt. Dir etwa?”

„Nein.”

„Was ist mit den Freiwilligen geschehen? Wurden Sie in Gewahrsam genommen?”

Sandoval nickte. „Ich habe Sie bereits hier auf dem Mutterschiff in einer Arrestzelle untergebracht. Allerdings wird ein Verhör kaum Aussicht auf Erfolg bieten. Sie sind allesamt verwirrt und können sich an den Tathergang nicht mehr erinnern. „

„Was ist mit Di'mags Forschungslabor?” wollte Da'an wissen.

„Miss Tyler hatte es bereits unter Bewachung gestellt, als ich eintraf. Ich habe die Implantate und sämtliche Forschungsergebnisse in Sicherheitsverwahrung genommen.”

„Ich will die Daten unverzüglich sehen”, befahl Zo'or. „Und ich möchte Di'mags Beschützerin sprechen.”

Sandoval nickte beflissen. „Miss Tyler befindet sich bereits auf dem Mutterschiff. Ich...” Er unterbrach sich, als in diesem Augenblick T'than die Brücke betrat. Der Kriegsminister bedachte den Agent mit einem durchdringenden Blick, bevor er sich an die beiden anderen Taelons wandte. „Ich verlange eine Erklärung!”

Säße nicht Zo'or auf dem Kommandostuhl und wäre die Hierarchie nicht allgemein bekannt, hätte man annehmen können, er wäre ihr Anführer. Zo'ors Gesichtsausdruck wurde eisig. „Agent Sandoval erstattet uns gerade Bericht. Du wirst dich also in Geduld fassen müssen.”

„Wurde die Synode bereits informiert?” wollte T'than wissen.

„Es hat wenig Sinn, die Synode zu informieren, bevor wir nicht alle Fakten studiert haben”, antwortete Zo'or. „Agent Sandoval, fahren Sie fort!”

Der Asiate zog sein Global hervor. „Ich habe hier Di'mags Forschungsergebnisse. Ich werde sie sofort in die Datenbank herunterladen, damit sie einer gründlichen Analyse unterzogen werden können.”

„Beginnen Sie damit unverzüglich!” befahl Zo'or. Er aktivierte die interne Kommunikation zur Sicherheitsabteilung. „Bringen Sie Miss Tyler auf die Brücke.” Dann wandte er sich wieder an T'than. „Bisher können wir nur mit Sicherheit sagen, daß Di'mag von einer Gruppe Freiwilliger getötet wurde”, erklärte er überraschend. „Wie es dazu kommen konnte, wird erst eine genaue Untersuchung klären können. Du wirst über unsere Ergebnisse ebenso informiert wie die Synode.”

Dieses unerwartete Entgegenkommen brachte den Kriegsminister aus dem Konzept. Er hatte sich auf Konfrontation eingestellt und gehofft, Zo'ors Starrsinn für sich auszunutzen zu können. Aber offensichtlich hatte er ihn unterschätzt. Nun, er würde seine Strategie anpassen. „Ich erwarte deinen Bericht mit großer Spannung”, sagte er und tauschte einen langen Blick mit dem Führer der Synode, bevor er die Brücke wieder verließ.

Da'an, der die beiden aufmerksam beobachtet hatte, trat neugierig näher.

„Es ist unfaßbar, daß uns Di'mag derart hintergangen hat.”

„Wie meinst du das, Zo'or?”

„Er hat seine wissenschaftlichen Versuche vor uns geheimgehalten. Ich frage mich nur, was er damit bezweckte.”

„Solange wir nicht wissen, was seine Arbeit tatsächlich beinhaltet, hat es wenig Sinn, darüber zu spekulieren. Allerdings ist dein Verhalten äußerst aufschlußreich.” Da'an warf ihm einen nachdenklichen Seitenblick zu. „Di'mag hat dir offensichtlich nähergestanden, als du bereit bist, zuzugeben.”

Zo'or setzte zu einer unwirschen Erwiderung an, schwieg aber dann. In diesem Augenblick wurde Di'mags Beschützerin auf die Brücke geführt. Die Aufmerksamkeit der beiden Taelons richtete sich nun auf die junge Frau, die zwar zögernd, aber keineswegs schüchtern auf sie zukam.

Zo'or starrte sie grimmig an. „Sie haben versagt. Als Companion-Beschützerin waren Sie für das Leben Di'mags verantwortlich. Und doch ist er jetzt tot.” Er erhob sich langsam und machte einen Schritt auf sie zu. „Di'mag ist tot.” Seine Stimme durchschnitt die Luft wie ein scharfes Messer.

Jemen Tyler stand in militärischer Haltung vor ihnen, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Ihrer unbeweglichen Miene war nicht zu entnehmen, ob sie sich schuldig fühlte oder unberechtigt angeprangert. Sie hatte sich erstaunlich gut unter Kontrolle. Aber Da'an bemerkte doch einen Unterschied, und ihm wurde bewußt, daß diese Frau keine Furcht vor ihnen verspürte. Ein derartiges Selbstbewußtsein schien ihm für einen so jungen Menschen ungewöhnlich. Das erweckte seine Neugierde, und für einen Augenblick lang vergaß er sogar, aus welchem Grund sie hier war.

„Sie haben einen Eid geleistet, Ihren Companion mit dem eigenen Leben zu verteidigen. Und doch sehe ich nicht einmal einen Kratzer an Ihnen.” Zo'or stand jetzt direkt vor ihr. Sein Blick schien sie förmlich zu durchbohren. Im nächsten Augenblick verlor er beinahe die Fassung, als er bemerkte, daß sie ihn musterte. Sie musterte ihn, so als ob sie etwas ergründen wollte. Zo'or erzitterte vor Wut. Daß sie es wagte, ihn derart anzusehen! Welch ein Affront!

„Miss Tyler, vielleicht erzählen Sie uns, was geschehen ist”, sagte Da'an rasch, bevor Zo'or etwas tun konnte, was er womöglich anschließend bereuen würde.

Die Companion-Beschützerin wandte ihren Blick Da'an zu. „Ich nehme an, Sie wünschen keine Wiederholung des Berichts, den ich Agent Sandoval gab.” Als der Taelon nickte, konzentrierte sie sich einen Augenblick und begann dann. „Di'mag war Wissenschaftler. Ihn interessierten nur seine Forschungen. Er befürchtete stets, zuwenig Zeit zu haben, um ..”

„Miss Tyler”, fiel ihr Zo'or ungehalten ins Wort. „Wir kennen den Status, den Di'mag innehatte. Beschränken Sie sich bitte auf das Wesentliche.” Er hatte sich wieder auf seinen Stuhl niedergelassen und musterte sie ausgesprochen feindselig.

„Um zu verstehen, müssen Sie begreifen, wie wichtig Di'mags Arbeit für ihn war”, erklärte die junge Frau. „Es ist sehr schwierig, ein Wesen zu beschützen, wenn es jedes Sicherheitsprotokoll ignoriert.”

„Er wird sich kaum wissentlich der Gefahr ausgesetzt haben.”

Da'an schob sich rasch zwischen Zo'or und Jemen Tyler. Noch stand die Companion-Beschützerin den Vorwürfen ausgesprochen gelassen gegenüber. Aber irgendwann würde sie sich zur Wehr setzen. Und das war dem Gespräch sicher nicht besonders dienlich. Der Taelon wollte einen Streit vermeiden, zumal Zo'ors Objektivität zu wünschen ließ. „Bitte fahren Sie fort, Miss Tyler”, sagte er.

„Di'mag sah niemals die Gefahr, nur seine Arbeit. Er betrachtete mich auch niemals als seine Beschützerin.”

„Tragen Sie deshalb keinen Skrill?” fragte Da'an, der sie aufmerksam studiert hatte. Die junge Frau sah ihn nur an. „Sie wurden gar nicht implantiert”, fügte der Taelon überrascht hinzu. Zo'or setzte sich abrupt auf und aktivierte den Datenstrom. Er ärgerte sich, daß ihm etwas so Offensichtliches nicht sofort aufgefallen war. „Sie sind nicht einmal in der Liste der Companion-Beschützer aufgeführt. Dafür verlange ich eine Erklärung.”

Diesmal zeigte sich eine erste Regung in dem Gesicht Jemen Tylers. Ein Hauch von Ärger spiegelte sich in ihrer Mimik wider. „Di'mag hat mich persönlich zu seiner Beschützerin gemacht.”

„Es ist unerhört, daß eine inkompetente Person einen solchen Posten einnehmen konnte.”

„Ich bin Polizistin und für den Security-Bereich ausgebildet worden”, sagte die junge Frau mit fester Stimme und erwiderte selbstbewußt Zo'ors ungehaltenen Blick. „Sie können mir vieles unterstellen, aber niemals Inkompetenz.”

„Wir werden Ihre Angaben prüfen”, sagte Da'an beschwichtigend, doch Zo'or war keineswegs gewillt, sich Tyler gegenüber nachsichtig zu zeigen. „Ihrer Inkompetenz haben wir es zu verdanken, daß ein Taelon sein Leben verlor.”

Jemen Tyler wurde bleich. „Ich konnte den Angriff gar nicht verhindern”, verteidigte sie sich, „weil ich überhaupt nicht in der Nähe Di'mags war. Er wollte am nächsten Tag an einem wissenschaftlichen Kongreß teilnehmen. Da seine Zusage sehr kurzfristig erfolgte, war ich vollauf damit beschäftigt, die Vorbereitungen zu treffen. Haben Sie überhaupt das Video, das den Angriff zeigt, gesehen?”

„Welches Video?”

„Es befand sich bei den Dingen, die Agent Sandoval sichergestellt hat.”

Zo'or beäugte sie mißtrauisch. „Von einem Video ist uns nichts bekannt.” Er aktivierte die Kommunikation zur wissenschaftlichen Abteilung, in der Sandoval mit der Auswertung der Daten begonnen hatte. „Agent Sandoval, haben Sie bei der Überprüfung von Di'mags Forschungslabor auch das Video der Sicherheitsüberwachung sicherstellen können?” fragte er seinen Vasallen.

„Ja. Aber die Aufzeichnung war unbrauchbar”, erklärte der Asiate. „Ich habe zwar versucht, das Bildmaterial wenigstens teilweise wieder herzustellen, aber es gibt zu viele Lücken.”

„Danke, Agent.” Zo'or beendet mit einer eleganten Handbewegung die Kommunikation. „Nun, Miss Tyler, Sie haben es selbst gehört. Das Videomaterial ist unbrauchbar. Selbstverständlich stellt sich jetzt die Frage, ob da jemand etwas nachgeholfen hat. Aber vermutlich wollten Sie damit nur Ihr Alibi verbessern.” Für den Taelon stand fest, daß die junge Frau für Di'mags Tod büßen mußte, und für ihn spielte es dabei keine Rolle, ob sie schuldig war oder nicht.

Jemen Tyler preßte für einen Augenblick die Lippen aufeinander, und ihre Brauen zogen sich zornig zusammen. Aber dann fing sie Da'ans Blick auf. Der nordamerikanische Companion wirkte neugierig und irgendwie auch ein wenig überrascht. Di'mag hatte recht. Da'an ist anders, dachte sie, und ihre Wut verflog fast augenblicklich. Sie hatte sich doch von Zo'or nicht provozieren lassen wollen. Hatte sie Di'mags Lehren schon nach zehn Minuten wieder vergessen? Sie beschämte das Andenken eines Wesens, das ihr so viel gegeben hatte.

Tyler straffte die Schultern. „Leider muß ich Sie enttäuschen, Zo'or.” Sie zog aus ihrer Jackentasche eine kleine Datendisc. „Ich habe hier eine Kopie der Aufzeichnung.”

„Wie umsichtig von Ihnen”, bemerkte Zo'or mit beißendem Spott und handelte sich damit einen warnenden Blick Da'ans ein. Dem nordamerikanischen Companion entging nicht, daß Zo'or nicht wirklich an der Wahrheit interessiert war. Und an Jemen Tylers Reaktion konnte er erkennen, daß ihr dies ebenfalls aufgefallen war. Er streckte die Hand nach der Datendisc aus und reichte sie stumm an Zo'or weiter. Nur zögernd legte der Außerirdische die kleine goldene Scheibe in das Abspielgerät in seiner Armlehne. Er wollte nicht sehen, wie Di'mag starb, weil es erneut Wut und Trauer in ihm hervorrief. Aber Da'ans Blick wurde jetzt fordernd, und er sah ein, daß er sich nicht weigern konnte, ohne die Aufmerksamkeit seines Artgenossen zu wecken. Seine Hand hob sich und aktivierte den Datenstrom. Die Aufzeichnung zeigte Di'mags Laboratorium. Der Taelon-Wissenschaftler lief geschäftig hin und her, hielt Phiolen mit verschiedenfarbiger Flüssigkeiten hoch und machte sich Notizen. Die Kamera folgte ihm wie ein hartnäckiger Beobachter und zeigte dabei weitere Bereiche des Labors: hohe Regale, vollgestopft mit Kartons, wissenschaftlichem Gerät und Büchern; Untersuchungstische, auf den verschiedene Flaschen, Flakons und Becher standen, Mikroskope, Reagenzgläser. Ein Durcheinander an Instrumenten, die Di'mag für seine Forschungen benötigte. Nur selten bediente sich der Taelon der Computerkonsole, um Daten einzugeben oder abzurufen. Er zog es vor, seine Notizen handschriftlich vorzunehmen. Aus dem Bereich, den die Kamera nicht erfassen konnte, trat Jemen Tyler hervor. Sie begrüßte Di'mag auf Taelonart, und er erwiderte ihren Gruß. Anschließend ergriff er ihre Hand und redete auf sie ein. Zwar gab es nur eine visuelle Aufzeichnung, aber die Herzlichkeit, mit der der Taelon dem Mädchen begegnete, war nicht zu übersehen. Zo'or verzog das Gesicht. Hastig drückte er auf der Bedienkontrolle in seiner Armlehne, um die Aufzeichnung im Zeitraffer abzuspielen.

„Wählen Sie Zeitindex 15.34”, sagte Tyler, und um ihren Lippen zuckte es spöttisch.

Die nächste Szene zeigte die Companion-Beschützerin, wie sie sich von dem Taelon verabschiedete und das Labor verließ. Di'mag wandte sich wieder seinem Mikroskop zu.

„Zeitindex 16.47”, sagte Tyler.

Zo'ors Gesichtsausdruck wirkte noch verkniffener, aber er folgte ihrer Anweisung. Diesmal zeigte die Szene Di'mag, wie er den Datenstrom aktivierte und sich mit einem Mann unterhielt, der offensichtlich vom Sicherheitspersonal war. Kurze Zeit später betraten sechs Freiwillige das Laboratorium. Der Taelon unterhielt sich mit ihnen eine Weile, schien ihnen etwas zu erklären. Dann ging er von einer Person zur anderen und überprüfte die Implantate, während er weiter mit ihnen sprach. Als er sie abschließend betrachtete. wirkte er zufrieden. Di'mag wandte sich der Computerkonsole zu und aktivierte ein Programm. Im nächsten Augenblick griffen ihn die drei Frauen und drei Männer ohne jede Vorwarnung an und streckten ihn mit einem konzentrierten Energiestrahl aus ihren Implantaten nieder.

Da'an und Zo'or zuckten heftig zusammen, so als seien sie ebenfalls von dem tödlichen Strahl getroffen worden. Während sich Da'an sehr rasch wieder unter Kontrolle hatte, war dem Synodenführer die emotionelle Betroffenheit weit mehr anzumerken. Ein unartikulierter Laut brach aus ihm hervor, und für einen Moment verlor er fast völlig die Kontrolle über seine menschliche Fassade. Als er wieder zu sich kam und ihm bewußt wurde, daß Jemen Tyler seinem Gefühlsausbruch beigewohnt hatte, verfinsterte sich sein Blick. Abermals war es Da'an, der rasch die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. „Miss Tyler”, sagte er und wollte ihr in einer freundschaftlichen Geste die Hand auf die Schulter legen, aber die Companion-Beschützerin machte gerade einen Schritt nach vorn, „wir danken Ihnen für Ihre Kooperationsbereitschaft. Sie werden sicher verstehen, daß wir diesen tragischen Vorfall gründlichst untersuchen müssen.”

„Ich kann Ihnen versichern, daß dies auch in meinem Interesse ist”, sagte Tyler. Sie hatte unbewußt eine militärische Haltung angenommen und fixierte Zo'or, der es vorzog, zu Freundschaft, Kapitel .

„Sie äußerten Agent Sandoval gegenüber, daß die von Di'mag verbesserten Implantate sabotiert wurden”, fuhr Da'an fort. „Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer dahinterstecken könnte?”

„Nein, das habe ich nicht. Aber ich weiß, daß Di'mag bei seinen Forschungen sehr gründlich und vor allem sehr umsichtig vorging. Deshalb halte ich es für ausgeschlossen, daß ihm ein Fehler unterlaufen sein sollte.”

„Das wäre zunächst alles, Miss Tyler. Bis die Untersuchung abgeschlossen ist, müssen Sie auf dem Mutterschiff bleiben. Ich werde veranlassen, daß Ihnen ein Gästequartier zugewiesen wird.”

Die junge Frau erhob keinen Einwand.

 
* * *
 

Nachdem Jemen Tyler die Brücke wieder verlassen hatte, wandte sich Da'an an den Synodenführer. „Dein Verhalten erstaunt mich, Zo'or”, sagte er und bedachte seinen Artgenossen mit einem tadelnden Blick. „Man könnte meinen, daß du Jemen Tyler die Schuld am Tode Di'mags gibst.”

„Da liegst du ausnahmsweise sogar richtig”, gab Zo'or unumwunden zu. „Diese Frau hat sich bereits allein dadurch schuldig gemacht, daß sie es wagte, einen Taelon beschützen.”

„Aber es war Di'mags Wunsch”, wandte Da'an verwundert ein.

„Woher willst du das wissen? Di'mag ist... war Wissenschaftler. Und die wenigsten von ihnen haben einen Beschützer, weil sie nur selten in der Öffentlichkeit auftreten. Jemen Tyler könnte sich ihm durchaus aufgedrängt haben und das auf eine sehr geschickte Art, die er nicht durchschaute. Vielleicht erhoffte sie sich dadurch Ansehen. Daß sie nicht implantiert wurde, beweist doch eindeutig, daß sie nicht wirklich bereit war, ihn zu beschützen.”

Da'an betrachtete ihn nachdenklich. Dann trat er neben Zo'or und aktivierte den Datenstrom. Er ließ sich eine Liste aller auf der Erde stationierten Taelons zeigen. „Ob Di'mag Miss Tyler nun selbst als Beschützerin auswählte oder ob sie sich ihm aufdrängte, es ändert nichts an der Tatsache, daß wir unsere Sorgfaltspflicht vernachlässigten”, bemerkte er.

„Wie meinst du das?” fragte Zo'or, unangenehm überrascht und starrte auf die Liste.

„Di'mag gehörte zu den Taelons, die ohne ausreichenden Schutz gar nicht auf der Erde hätten sein dürfen.” Da'an deutete auf einen entsprechenden Vermerk in der Liste. „Er hat sich der Notwendigkeit gebeugt, allerdings auf seine Weise. Und wir haben das nicht einmal bemerkt. Aus diesem Grund kannst du Jemen Tyler keinen Vorwurf machen.”

Zo'or funkelte seinen Artgenossen verärgert an. „Ich werde den Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft ziehen”, sagte er schließlich.

Da'an enthielt sich eines Kommentars. Er schickte sich an, die Brücke zu verlassen, verhielt dann jedoch und warf Zo'or einen Blick über die Schulter zu. „Mich wundert nur, daß dir nicht aufgefallen ist, daß Di'mag ohne ausreichenden Schutz war”, bemerkte er ironisch.

Zo'or drehte sich mit seinem Stuhl. Obwohl er äußerlich ruhig wirkte, wußte sein Artgenosse doch, daß er nur unter Aufbietung all seiner Kräfte seine plötzlich aufwallende Wut unterdrücken konnte, weil es seine tatsächlichen Gefühle für den toten Taelon verraten hätte. „Bei unserem letzten Gespräch waren Di'mag und ich... nicht einer Meinung”, gestand er widerwillig.

„Ich verstehe”, sagte Da'an bedeutungsvoll und verließ die Brücke.

 
* * *
 

"Sie wollten mich sprechen, Da'an?” Liam Kincaid blickte auf sein Global, das seinen Companion zeigte.

„Ja, Major. Ein Taelon wurde getötet. Und zwar von einer Gruppe Freiwilliger. Sie finden weitere Informationen in Ihrem Computer. Ich erwarte Sie umgehend auf dem Mutterschiff.”

Bevor Liam etwas sagen konnte, verblaßte das Bild des Taelon. Nachdenklich steckte er seinen Kommunikator wieder weg und machte sich daran, die Daten zu studieren. Eine knappe Stunde später traf er sich mit Da'an auf dem Mutterschiff. „Ich nehme an, Sie wünschen, daß ich Sandoval bei seinen Untersuchungen helfe.”

„Nein, Liam. - Haben Sie sich die Daten angesehen, die ich Ihnen übermittelt habe?” Da'an warf seinem jungen Beschützer einen aufmerksamen Blick zu, und als dieser nickte, stellte er die entscheidende Frage. „Halten Sie es für möglich, daß der Widerstand hinter dem Attentat steckt?”

„Nein!” Liams Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. An der Reaktion des Taelons konnte er sehen, daß er zu schnell geantwortet hatte, und deshalb setzte er hinzu: „Wenigstens ist mir nichts darüber bekannt.”

„Sie sind zwar nach wie vor der Anführer des Widerstandes, und doch könnte man derartige Aktionen vor Ihnen verheimlichen.” Da'an hatte die Stimme gesenkt, obwohl sie in dem Korridor völlig allein waren.

Liams Gesicht verdüsterte sich. „Wundern würde es mich nicht”, murmelte er. Dann schaute er auf und blickte seinem Companion fest in die Augen. „Es gibt nicht mehr viele Widerständler, die mir noch vertrauen.” Da'an konnte seinem flammenden Blick nicht standhalten und sah weg. „Ich war seinerzeit gezwungen, den Widerstand zu verraten”, sagte er. „Es stand zuviel auf dem Spiel. Auch wenn Sie das nicht verstehen können.”

„Nein, das kann ich nicht verstehen, Da'an. Um ihre Loyalität gegenüber Zo'or oder der Synode zu bezeugen, hätte Ihnen auch etwas anderes einfallen können.”

Der Taelon wirkte bekümmert. Er hob die Hand, so als wollte er um Verständnis für sein Handeln bitten und ließ sie doch wieder sinken. „Ich verstehe Ihren Zorn, Liam. Ich kann nicht ungeschehen machen, was damals geschah.”

Liam atmete tief durch. „Belassen wir es dabei. Es hat wenig Sinn darüber zu diskutieren. Konzentrieren wir uns lieber auf das Jetzt und Hier.”

Da'an sah ihn an und erkannte sehr wohl, daß dieses Thema zwischen ihnen noch längst nicht abgeschlossen war. Aber er akzeptierte Liams Haltung. Auch für ihn war die Erinnerung an seinen Verrat schmerzhaft. „Ist es Ihnen möglich, Nachforschungen zu betreiben, um herauszufinden, ob der Widerstand hinter dem Attentat stecken könnte?” Nur zögernd stellte er diese Frage, denn er befürchtete, daß der junge Mann erneut ungehalten reagierte.

„Sinn und Zweck des Widerstandes war es immer, die Wahrheit über Ihre Spezies herauszufinden, nicht einen Ihrer Art zu ermorden”, erwiderte Liam überraschend ruhig. „Vielleicht steckt eine militante Gruppe dahinter. Oder wir haben es mit einem zweiten Arnold Creighton zu tun. Sie müssen zugeben, eine Menge Leute hätten einen ausreichenden Grund, einen Taelon töten zu wollen.”

Da'an schwieg. Er setzte sich langsam in Bewegung, und Liam folgte ihm.

„Was ist mit Zo'or? Vielleicht hat er ja wieder seine Finger im Spiel.”

„Nein. Zo'or hat mit dieser Sache nichts zutun”, sagte der Companion rasch.

„Er kennt keine Skrupel, die zu eliminieren, die ihm im Weg sind. Ob Mensch oder Taelon.”

„In diesem Fall ist er unschuldig, Liam.”

„Was macht Sie so sicher?”

Doch Da'an schwieg. Wie immer, wenn es darauf ankommt, dachte der junge Mann verärgert. Sie hatten einen Bereich des Mutterschiffes erreicht, den Liam noch nicht kannte. Hier wurden die „Gäste” untergebracht. Nach Taelon-Maßstäben mochten die Quartiere durchaus luxuriös sein. Bei einer menschlichen Beurteilung hätte man sie wohl eher als Gefängniszelle angesehen. Aber wahrscheinlich ist das auch der Fall. Liam schüttelte den Kopf. Ein einfaches Bettgestell mit einer dünnen Matratze und einer zusammengefalteten Decke, ein Tisch, ein Stuhl, ein kleiner Schrank. Seine Aufmerksamkeit wurde auf eine junge Frau gerichtet, die aus dem Halbdunkel des Raumes trat.

„Da'an.” Sie begrüßte den Companion auf Taelonart. Für Liam hatte sie nur einen knappen Blick übrig.

„Verzeihen Sie die Einfachheit dieses Raumes”, sagte Da'an. „Nun, ich denke, es wird nicht länger erforderlich sein, daß Sie sich hier aufhalten.” Er verließ den Raum wieder. Tyler betrachtete dies als Aufforderung, ihm zu folgen. Der Taelon steuerte die nächste Kommunikationskonsole an und nahm Verbindung zu Sandoval auf. „Haben Sie bereits Fortschritte erzielt bei Ihren Nachforschungen?” fragte er den Asiaten.

Sandoval sah ihn ausdruckslos an. „Die Implantate werden gerade einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Bisher läßt sich nur eines mit Sicherheit sagen: Hier war jemand am Werk, der sich mit der Taelontechnologie bestens auskennt. Ich erwarte ein abschließendes Ergebnis in etwa vier Stunden.”

„Danke, Agent Sandoval.”

„Allerdings haben wir nach wie vor noch keinerlei Hinweis auf den oder die Täter entdeckt. Es... würde wesentlich schneller gehen, wenn ich bei meiner Arbeit unterstützt würde.” Sandovals dunkle Stimme vibrierte leicht. Er war nervös. Offensichtlich wurde er von Zo'or bereits unter Druck gesetzt.

„Ich verstehe”, sagte Da'an. „Major Kincaid wurde von mir bereits informiert. Ich halte es für angebracht, daß er zusammen mit Miss Tyler nach Europa fliegt, um vor Ort tätig zu werden.”

Der Asiate blickte ihn völlig überrascht an. „Zusammen mit Miss Tyler?” wiederholte er. „Obwohl sie nach wie vor unter Verdacht steht?”

Da'ans Gesicht zeigte keinerlei Gefühlsregung, aber in seiner Stimme schwang ein nachsichtiges Lächeln mit. „Wie ich sehe, hat Zo'or Sie bereits informiert. - Agent Sandoval, nur weil Miss Tyler kein CVI implantiert wurde, macht sie das nicht automatisch zu Di'mags Mörderin. Im übrigen übernehme ich die Verantwortung für sie.”

Im Gesicht des FBI-Agenten zuckte es. Er fühlte sich zu Unrecht getadelt und hätte gern dem Taelon seine Unvernunft vor Augen geführt. „Ich verstehe”, sagte er statt dessen gehorsam. Da'an wußte von seinem defekten CVI und tolerierte es. Aber er konnte es sich jederzeit anders überlegen, und deshalb war es wohl besser, wenn er ihn nicht herausforderte.

Liam und Jemen Tyler waren von Da'ans Plan ebenfalls überrascht worden. Sie musterten sich gegenseitig und versuchten sich einzuschätzen. „Sie wurden nicht implantiert?” fragte Liam, als sich die drei auf dem Weg zum Hangar machten, da Da'an ihre Reise von der Botschaft aus koordinieren wollte.

„Sie doch auch nicht”, gab Tyler kühl zurück.

„Gab es dafür einen besonderen Grund?” fragte der junge Mann weiter. Er mochte Tyler nicht. Sie war ihm unsympathisch. Und er konnte nicht einmal sagen, warum. Er musterte sie etwas ausgiebiger. Sie war keineswegs häßlich. Nicht gerade sein Geschmack. Es bevorzugte weiblichere Frauen.

„Ich wollte es nicht, und Di'mag akzeptierte es. Später war er ganz froh darüber.” Als Liam sie fragend ansah, fügte sie hinzu: „Das CVI verändert die Persönlichkeit des Menschen.”

Eigentlich war genau das der Grund, warum Liam ebenfalls das CVI abgelehnt hatte. Er hatte sich nicht zu einem willenlosen Handlanger der Taelons machen wollen.

Da'an hatte seinen Schritt verlangsamt, so daß die beiden zu ihm aufschließen konnten. Als er sich auf gleicher Höhe mit Tyler befand, sagte er: „Sie haben sich mit Di'mag sehr gut verstanden, nicht wahr?”

„Wir waren Freunde”, erwiderte die junge Frau schlicht. Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Trotz seiner wissenschaftlichen Arbeiten verbrachten wir viel Zeit miteinander und unterhielten uns.”

Da'an lächelte.

Und plötzlich wußte Liam, warum er Tyler nicht mochte. Es war offensichtlich, daß Da'an Gefallen an ihr gefunden hatte. Wie lange war es her, daß der Taelon auf diese Weise mit ihm gesprochen hatte? Während er das Shuttle zur Botschaft flog, unterhielten sich Da'an und Jemen Tyler sehr angeregt. Liam schwieg ostentativ. Aber sie schienen es nicht einmal zu bemerken - ja, sie gaben sich nicht einmal die Mühe, ihn in ihr Gespräch mit einzubeziehen.

In der Botschaft bekamen die beiden Companion-Beschützer detaillierte Anweisungen für ihren Weiterflug nach Europa. Liam hörte zwar gehorsam zu, wußte aber schon jetzt, daß er nach seinen eigenen Methoden arbeiten würde. Er fühlte Da'ans prüfenden Blick auf sich ruhen und setzte ein möglichst unbeteiligtes Gesicht auf. Da'an mochte seine Gründe haben, abermals Zo'or zu schützen, aber er, Liam, würde sich davon nicht beeindrucken lassen. Wenn Zo'or in die Sache verwickelt war, würde er es herausfinden. Er konnte jetzt nur hoffen, daß ihm diese Tyler nicht in die Quere kam.

 

Ende von Kapitel 1

 

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