Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Revolution vs. Evolution” von Sythazen/Bianca Nunberger   (Emailadresse siehe Autorenseite),   6. Oktober 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Agent Sandoval wird zu Dr. Belman geschickt, um dort nach Commander Boone zu sehen, was unerwartete Nebenwirkungen mit sich bringt.
Zeitpunkt:  erste Staffel - einige Monate nach 1x12 „Sandoval's Run”
Charaktere:  Agent Ronald Sandoval, Zo'or, Dr. Belman
 
Anmerkung der Autorin: Über Feedback jeglicher Art würde ich mich sehr freuen. Auch gegen Kritik habe ich nichts, solange sie konstruktiv ist. Lest bitte auch meine anderen Stories, wenn euch diese hier gefallen hat. Mein besonderer Dank gilt AlienVibe, meiner stets treuen Betaleserin.
 

 

REVOLUTION VS. EVOLUTION

Kapitel 9

 

„Glauben Sie wirklich daran? Lebe frei oder stirb? ”
(Da'an in: 1x10 - ‚Live free or Die’)

Ronald Sandoval öffnete langsam die Augen und sah sich um, dabei seine stechenden Kopfschmerzen so gut er es vermochte beiseite schiebend. Verwirrt stellte er fest, dass er auf der Krankenstation des Mutterschiffes lag. Doch weshalb er dort war, wusste er nicht genau zuzuordnen. Das Letzte, an das er sich erinnerte, war, dass er von Da'an den Auftrag erhalten hatte, nach dem verschwundenen Commander Boone zu suchen. Er hatte die Befürchtung geäußert, dass dessen CVI versagt haben könnte, und Da'an hatte dem zugestimmt und ihm befohlen, den Vermissten umgehend und unter allen Umständen aufzugreifen.

Doch was war danach geschehen? Er wusste noch, dass er sich sofort an die ihm gestellte Aufgabe machen und alle nötigen Maßnahmen zur Auffindung und Ergreifung Commander William Boones hatte einleiten wollen. Doch dann ...
Er runzelte die Stirn. Mehrere Stunden fehlten ihm. Stunden, die - würde ihm sein Zeitgefühl dank seines CVIs nicht sagen, dass es jetzt bereits später Nachmittag war - als nicht existent erschienen. So als wäre er ohnmächtig gewesen ... Ja, genau, das musste es sein. Eine andere Erklärung konnte es für dieses Phänomen nicht geben. Doch fühlte er sich nicht krank. Nun gut - bis auf die starken, stechenden Kopfschmerzen, die ihn seit seinem Aufwachen vor 1:43 Minuten quälten. Doch diese hatte er weder vor noch während seiner Besprechung mit Da'an gehabt. Was konnte also geschehen sein?

Dann fiel ihm sein Auftrag wieder ein. Erschrocken zuckte er zusammen, was einen erneuten heftigen Stich auslöste, und setzte sich mit einem Ruck kerzengerade auf. Diese übereilte Handlung bedauerte er jedoch umgehend, da ihn eine Welle aus Übelkeit und Schwindel schier zu überwältigen drohte und er fast wieder auf die aus einer der lebendigen Schiffswände herausgewachsenen Taelonliege zurückgefallen wäre. Nur mit Mühe konnte er sich in seiner sitzende Position halten. Den Kopf nach vorn auf die Brust sinken lassend und die verschwommene und sich drehende vor seinen Augen befindliche Welt für wenige wertvolle Atemzüge aus seinem Geist ausgeschließend, bemerkte er nicht, dass sich ihm jemand näherte.

Er sammelte seine Kräfte, um einen neuen Versuch zu starten, sich vollends aufzurichten, um sich den ihm aufgetragenen Pflichten und Aufgaben widmen zu können, als plötzlich eine ruhige, vollkommen gefühlskalte Stimme direkt vor ihm erklang. „So, Sie haben es also geschafft, zu überleben. Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut, Agent Sandoval. Sie haben einen außerordentlich starken Überlebenswillen. Das werde ich bestimmt noch zu nutzen wissen.”

Nur langsam klärte sich sein Blick, als er seinen schmerzenden Kopf hob, um dem Sprecher entgegen zu sehen. Doch hätte er die visuelle Bestätigung nicht gebraucht, um zu wissen, wer sich da ihm gegenüber befand. „Zo'or, ich ...”, murmelte er mit belegter Stimme und bemühte sich, sich aus seiner nun endlich sitzenden Position in eine stehende zu erheben. Doch wollte es ihm nicht so recht gelingen. So beendete er zumindest seinen begonnenen Satz noch, ehe ihn sein Companion für gänzlich unfähig erachten würde: „Ich werde sofort ... mit der Suche beginnen”, wobei er sich in Gedanken fragte, was um alles in der Welt diese Aussage zu bedeuten hatte. Doch wenn er eines gelernt hatte in den vergangenen Jahren, dann dies - dass man niemals zu viele Fragen stellen durfte. Erst recht nicht, wenn man als Ergebnis als unfähig erachtet werden könnte, seine Pflichten zu erfüllen.

„Das wird nicht nötig sein, Agent Sandoval”, unterbrach Zo'or seine Gedankengänge und riss ihn somit wieder in die Gegenwart zurück. „Die Suche war bereits erfolgreich.”

Nun musste er es wohl doch aussprechen, auch wenn er sich viel lieber die Zunge abgebissen hätte: „Ich verstehe nicht, Zo'or - hat sich Commander Boones Verschwinden mittlerweile aufgeklärt?”

„Das hat es sich in der Tat”, erklärte ihm sein Companion, für Sandoval vollkommen überraschend. Doch der nächste Satz ließ jeden Gedanken an diese höchst seltene Gnade augenblicklich wieder im hintersten Winkel seines Verstandes verschwinden: „Dr. Belman teilte uns vor einer halben Zeiteinheit mit, dass Commander Boones CVI zusammengebrochen sei. Sie werden sich umgehend zu ihr begeben und sich um das Problem angemessen kümmern.”

Verwirrt runzelte Ronald Sandoval die Stirn. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als erneut eine Frage zu stellen. Selbst wenn ihn das in den Augen seines Companion noch weiter erniedrigen würde, so musste er es einfach tun, um ihm besser dienen zu können. Gleichzeitig versuchte er krampfhaft die in ihm herrschende Übelkeit und die nur allmählich nachlassenden Kopfschmerzen zu verdrängen: „Konnte Dr. Belman ihn erneut implantieren?”

„Das herauszufinden, Agent Sandoval, ist Ihre Aufgabe”, gab der Taelon, schon im Gehen begriffen, zur Antwort. „Ich erwarte, dass angemessene Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden und dass Sie Commander Boone, sobald Sie seiner habhaft geworden sind, umgehend einem Verhör unterziehen.”

„Natürlich, Zo'or.”, willigte Sandoval umgehend ein, sich der Tatsache, dass ein Verhör in Boones jetzigem Zustand mit bis zu einhundert Prozent Sicherheit dessen Tod bedeuten würde, durchaus bewußt. Doch Befehl war Befehl, und er war sich sicher, dass, wenn noch genug von Commander Boones Motivationsimperativ vorhanden sein sollte, auch dieser diese Notwendigkeit verstehen würde. Es war einfach zu wichtig, dass sie erfuhren, wo er sich die letzten beiden Tage über aufgehalten hatte. Ob er vielleicht gefangen worden war ... was auch zugleich eine Erklärung für den Zusammenbruch seines CVIs wäre. Kein Implantant würde - egal, wie schlimm das Verhör oder wie intensiv die Folter wäre - die Taelons jemals verraten. Eher bräche das CVI zusammen, als das ein Implantant etwas preisgeben würde können.

Ronald Sandoval konnte sich eigentlich darauf verlassen, dass Boone nichts preisgegeben hatte. Doch - wie auch immer - schien ihm die Flucht geglückt zu sein, und vielleicht hatte er ja noch einige nützliche Informationen, über diejenigen gesammelt, die ihn gefangen gehalten hatten. Doch ein ‚so gut wie sicher’ schien Zo'or nicht ausreichend zu sein - er wollte einhundertprozentige Sicherheit haben, dass nichts, was den Taelons falsch ausgelegt werden könnte, aus Boone hervorgelockt worden war. Dass der Mann dabei sterben würde, war für den Synodenführer von nur zweitrangigem Interesse.

Nachdem einer der Taelonheiler Sandoval eine Injektion verabreicht hatte, die seine Kopfschmerzen und die Übelkeitsanfälle für die nächsten Stunden unterdrücken würden, machte er sich auf zu Dr. Belmans Praxis. In Gedanken ging er bereits die wichtigsten Fragen durch, die er dem Commander stellen würde, angeordnet und zusammengestellt je nach der diesem noch verbleibenden Lebenszeit. Er flog mit einem Shuttle zur Erde, um den Commander, falls nötig, mit hinauf zum Mutterschiff zu nehmen, was, wenn dieser zu stark verwundet war, durch ein Portal nicht möglich wäre.
Doch endlich bei Dr. Belman angekommen, konnte er nur noch den Tod Commander William Boones feststellen und seinen Leichnam bergen.

 

Nachdem er das Shuttle sicher auf dem Dach des Forschungslabors gelandet hatte, in welchem Dr. Belman sowohl die Implantationen der neuen Beschützer vornahm als auch die Reimplantationen der bereits den Taelons dienenden Menschen, ging er zügigen Schrittes zum dort und bereits oben befindlichen Aufzug, stieg ein und fuhr die zwölf Etagen in Richtung Erdgeschoss hinab. Kaum dass sich die Lifttüren geöffnet hatten, eilte er auch schon den sich gerade vor ihm erstreckenden Gang entlang und trat so, nur fünf Minuten, nachdem er vom Mutterschiff gestartet war, in die von Dr. Belman beherrschten Räumlichkeiten ein.

Wie jedes Mal seit seiner eigenen Reimplantation vor zweieinhalb Monaten verspürte er ein seltsames Gefühl der Beklemmung, der Trauer um etwas, das er an diesem Ort für immer verloren zu haben schien. Flüchtig gestattete er sich die Spekulation, ob diese in ihm auftauchenden Emotionen mit dem Tod seiner Frau zusammenhängen könnten, von welchem er hier erfahren hatte. Doch dann schob er diesen Gedanken ebenso schnell wieder beiseite, wie er ihm gekommen war. Das ihn der Tod von DeeDee derart belastete, war ein Ding der Unmöglichkeit. Er war froh, dass William Boone ihn von der Last, die sie für ihn seit seinem Dienstantritt bei den Taelons bedeutet hatte, endgültig befreite, in dem er sie tötete. Etwas, wozu er selbst nicht stark genug gewesen war. Statt dessen hatte er sie in ein Heim abgeschoben, wo sie, unter Drogen gesetzt, keinen Schaden mehr anrichten und auch keine Ansprüche mehr auf seine Zeit oder gar ihn Selbst erheben konnte. Wenn es also nicht der Tod seiner Frau war, der ihn derart verwirrte und ihm dieses seltsame, undeutbare Gefühl des Verlustes jedes Mal aufs Neue vor Augen führte, sobald er die Räume hier betrat, was konnte dann die Ursache dafür sein?

Ohne sein Zutun galt sein erster Blick, schon vom Flur aus, noch ehe er das eigentliche Labor betreten hatte, der breiten schalldicht verstärkten Zwischentür, welche den Operationsraum - in dem die Implantationen vorgenommen wurden - vom Rest des großen und von mehreren Wissenschaftlern und Forschern zugleich genutzten Labors trennte. Erleichtert - was nur ein weiteres Gefühl war, das er nicht verstand - stellte er fest, dass diese Tür geschlossen war und ihm so der Blick auf den Fixiertisch und den über diesem schwebenden Roboterarm, der das Cyber-Virus-Implantat den damit zu versehenden Menschen ins Gehirn einführte, erspart blieb. Flüchtig blitzte eine Erinnerung, durch sein eigenes CVI hervorgerufen, vor seinen Augen auf.

**Er selbst, wie er auf dem Tisch lag, darum kämpfend, bei Bewusstsein zu bleiben, was ihm die schier unerträglichen Kopfschmerzen jedoch kaum gestatteten und dann, plötzlich, Commander William Boone, wie er sich über ihn beugte und ihm etwas vor die Augen hielt. **

Fast schon automatisch hob er seine rechte Hand und starrte auf den schlichten goldenen Ring, den er seit diesem Tage am kleinen Finger trug. Einen Ring, den er vor, wie es schien, einer halben Ewigkeit DeeDee als Beweis seiner unverbrüchlichen Liebe und ewigen Treue geschenkt hatte.

„Aus dem Weg! Platz da!”, erklang plötzlich eine Stimme vor ihm im eigentlichen Laborraum, welchen er immer noch nicht zur Gänze betreten hatte, begleitet vom lauten Rattern von Rädern, die hastig über den Boden gerollt wurden.

Zwei wie Pfleger gekleidete Männer schoben im Laufschritt ein Krankenbett auf ihn zu, und Ronald konnte gerade noch beiseite springen, um nicht einfach über den Haufen gefahren zu werden. Nur ein flüchtiger Blick auf eine junge Frau mit blasser Haut und weißblonden Haaren war ihm vergönnt, als die beiden Pfleger, oder was immer sie wirklich sein mochten, an ihm vorbei eilten. Nur kurz blieben sie stehen, als einer der beiden Männer die Türe des Fahrstuhles öffnete, so das der Andere das Bett vorsichtig in den Lift schieben konnte. Dann waren sowohl die Männer, als auch das Schiebebett mit der Frau hinter der sich schließenden Aufzugstür verschwunden.

 

Julianne Belman trat gerade aus dem Operationssaal. Müde zog sie sich die Einweghandschuhe von den Fingern und warf sie - ohne weiter hinzusehen - in den nächststehenden Papierkorb. Sie hatte wahrlich nicht viel Zeit gehabt und konnte nur hoffen, dass ihr Vorhaben gelungen war. Einfach zu viel hing davon ab. Anfangs hatte sie sich geweigert, als Jonathan sie gebeten hatte, nur einen Tag nach Boones Tod, ihr schon zuvor begonnenes Experiment fortzusetzen. Sie hätte noch mehr Zeit benötigt. Nicht nur, um sich von dem, was sie hatte tun müssen, zu erholen, etwas Abstand zu finden und die letzten Geschehnisse zu verarbeiten, sondern auch, um wirklich sicher gehen zu können, dass sie mit der nächsten Stufe dieses Experimentes nicht gleich noch einen zweiten Menschen tötete. Erst als sie sich umdrehte, erkannte sie, dass sie nicht mehr allein war.
„Agent Sandoval!”, stieß sie zuerst erschrocken hervor, fasste sich dann jedoch rasch wieder, als sie sich daran erinnerte, dass sie selbst heute Morgen Zo'or über den Tod Commander Boones informiert hatte. Sie hatte eigentlich Da'an informieren wollen, doch war dieser aus ihr unbekannt gebliebenen Gründen nicht ansprechbar gewesen und so war ihr dringender Ruf direkt an Zo'or weitergeleitet worden.

„Dr. Belman”, erwiderte Ronald, nur scheinbar ruhig, da ihn die ihn so plötzlich heimsuchenden Erinnerungen immer noch ziemlich verwirrten. Doch während er sprach, fasste er sich wieder und schob die in ihm aufbrandenden Eindrücke und seltsamen Gefühle hastig beiseite. Was ihn dabei jedoch fast noch mehr schockierte, als diese, war die Tatsache, dass er es nicht schaffte. Jedenfalls nicht sofort. Er benötigte ganze zwei Worte lang, um sich wieder vollends im Griff zu haben. Ronald konnte nur hoffen, dass man ihm nichts anmerkte. Er würde später noch genug Zeit haben, sich damit auseinander zu setzen.
„Zo'or schickt mich, um nach Commander Boone zu sehen. Wie ist sein derzeitiger Zustand?”

Julianne senkte kurz ihren Kopf, um sich zu sammeln: „Es tut mir leid, Agent Sandoval, aber Commander William Boone hat es leider nicht geschafft. Ich habe getan, was ich konnte, doch ...” Kurz stockte sie, als ihr die Stimme zu versagen drohte. ‚Oh ja, du hast ihn eigenhändig umgebracht. Wirklich eine tolle Leistung war das.’ Doch zum Glück schien ihm ihr Zögern nicht verdächtig, denn er fragte gleich darauf, als das Schweigen sich immer weiter in die Länge zog und unangenehm zu werden drohte, was denn genau den Tod verursacht habe.

Aufmerksam musterte er jede Regung in ihrem Gesicht. Dr. Belman schien vollkommen erschöpft zu sein. Wieder einmal konnte er sich glücklich schätzen, dass die Taelons eine so hervorragende Ärztin gefunden hatten. Kurz überlegte er, ob sie nicht mit einem eigenen Implantat - kein CVI, sondern eher eines, wie die Freiwilligen es trugen - besonders körperlich noch weitaus mehr würde leisten können. Vor allem würde sie dann nicht mehr so schnell ermüden und ihre Energien noch weiter intensivieren können, um die Menschen am Leben zu erhalten, die den Taelons dienten. Er beschloss, dieses Thema bei nächster Gelegenheit bei Zo'or zur Sprache zu bringen. Doch was war, wenn Dr. Belman gar kein Implantat wollte?

„Commander William Boones CVI brach zusammen. Ich nehme an, er wurde gefangen genommen und ...”, begann sie die von ihr und Jonathan bereits vorbereitete Geschichte zu erzählen.

Wieder glitten seine Gedanken ab, ohne dass er es überhaupt bemerkte. Es war doch vollkommen unwichtig, ob sie damit einverstanden war oder nicht. Das Einzige, das zählte, war, dass sie noch effektiver würde arbeiten können ...

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Agent Sandoval?”, erkundigte Julianne sich zögernd, als sie sah, wie der vor ihr stehende Mann derart tief in Gedanken versunken war, dass er sie scheinbar überhaupt nicht mehr wahrnahm. Nachdenklich musterte sie ihn erneut. Sie hatte ihn einfach nur so schnell wie möglich wieder loswerden wollen, um sich endlich ihrer Trauer und ... ja, und ihren Schuldgefühlen zu stellen. Doch als sie sah, wie Ronald Sandoval ihr offenbar nicht einmal zuhörte, da übernahmen ihre Instinkte als Ärztin wieder die Kontrolle, und sie begann, ihn genauer zu betrachten. Seine Pupillen waren etwas erweitert und starr auf einen Punkt irgendwo hinter ihr gerichtet. Sein ansonsten immer gleich bleibender Gesichtsausdruck schien um die Augen herum leicht angespannt, und er wirkte insgesamt unruhiger als sonst. Dann fiel ihr plötzlich wieder ein, dass der Beschützer des australischen Companions letzte Woche an einer schweren Grippe erkrankt war. Vielleicht hatte Sandoval sich ja bei diesem auf dem Mutterschiff angesteckt. „Kommen Sie, ich werde Ihnen einige Medikamente geben und in ein, zwei Tagen werden Sie sich schon wieder besser fühlen.”

Sich widerstandslos von Dr. Belman zu einem Stuhl führen lassend, dachte er weiter über die widersprüchlichen Empfindungen nach, die ihn derart gefangen nahmen. Wieder tauchte das Bild der Frau auf, die die Sanitäter bei seinem Eintreffen an ihm vorbei gefahren hatten. Sie musste wohl gerade von Dr. Belman operiert worden sein, da sie aus dem geschlossenen OP geschoben worden war. Nein ... vielleicht war es doch keine so gute Idee, die Ärztin für ein Implantat vorzuschlagen. Es könnte ihre ... ihre Intuition beeinträchtigen und das war das Letzte, das den Taelons half. „Ich bin mir sicher, dass Sie alles nötige getan haben, um Commander Boone zu retten”, brachte er schließlich hervor, als ihm auffiel, dass er auf ihre Antwort bezüglich William Boones noch nicht reagiert hatte.

 

Ronald Sandoval wusste nicht genau zu sagen, wie lange er einfach nur so dagesessen und sich von Dr. Belman hatte untersuchen lassen. Schließlich jedoch schien sie fertig zu sein, und nachdem sie ihn einige Tabletten hatte schlucken lassen, begann er sich ganz langsam wieder wohler zu fühlen. Er war gerade aufgestanden und wollte sich schon bedanken und gehen, als ihm mit einer Plötzlichkeit, die ihm fast schmerzhaft bewusst wurde, wieder einfiel, warum er überhaupt erst zu ihr gekommen war. Zo'or hatte ihn doch geschickt, um Boone zu verhören, oder auf anderem Wege - falls eine Befragung nicht mehr möglich sein sollte - herauszufinden, warum er mehrere Tage spurlos verschwunden gewesen war.

Julianne wollte schon erleichtert aufatmen, als sie sah, wie ihr Patient sich erhob und zum Gehen wandte. Sie hatte nicht geglaubt, dass er sich mit den wenigen Informationen, die sie ihm bisher gegeben hatte, zufrieden geben würde. Doch dann, ganz plötzlich, veränderte er sich wieder. Seine Gestalt straffte sich, und als er sich ihr erneut zuwandte, war seine Mimik so kalt und maskenhaft wie üblich und von einem Implantanten nicht anders zu erwarten. Ebenso hatten seine fast schwarzen Augen ihren zuvor trüben, halb melancholisch wirkenden Blick nun gänzlich verloren - jetzt war ihr Ausdruck distanziert und berechnend.

 

Ronald Sandoval zwang sich dazu, seine Gedanken auf den ihm von Zo'or erteilten Auftrag zu richten. Er war entsetzt darüber, dass er diesen fast vergessen hätte - er, der dank seines Cyber-Virus-Implantates niemals etwas vergaß, weil dieses das nicht zuließ. Trotzdem war genau das geschehen - und seine Pflicht gegenüber seinem Companion war für wenige Minuten in den Hintergrund getreten. Ronald wusste nun auch ganz genau, wie viel Zeit vergangen war. Zeit, in der er einfach nur da gesessen hatte, wie ein ... Ihm wollte nichts Passendes einfallen, das seine Scham auch nur annähernd beschreiben konnte. Scham und Wut, dass er ganze vierzehn Minuten und fünfunddreißig Sekunden lang seinen Pflichten nicht nachgekommen war. Entschlossen, seinen Fehler wieder gut zu machen, falls das überhaupt möglich war, richtete er nun seine ganze Aufmerksamkeit auf die vor ihm stehende und ihn aufmerksam beobachtende Ärztin. „Wie kam es dazu, dass Commander Boone zu Ihnen gelangte, Dr. Belman?”

„Eine Polizeistreife hat ihn in den Slums gefunden”, begann sie erneut die vorbereitete, mit allen nötigen Zeugen untermauerte Geschichte zu erzählen. Jonathan hatte wirklich gute Arbeit geleistet und Augur die nötigen Spuren in den Datenbanken der Polizei hinterlegt. „Commander Boone war zu diesem Zeitpunkt wohl noch einigermaßen ansprechbar. Denn er nannte meinen Namen und die Adresse meiner Praxis und so brachte ihn die Streife hierher.”

 

Ende von Kapitel 9

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang