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  „Revolution vs. Evolution” von Sythazen/Bianca Nunberger   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Entstehungszeitraum: Oktober 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Boones CVI bricht zusammen, oder doch nicht? Jonathan Doors muss sich zwischen einem einst gegebenen Versprechen und seiner Freundschaft entscheiden.
Zeitpunkt:  erste Staffel - einige Monate nach 1x12 „Sandoval's Run”
Charaktere:  Commander William Boone, Jonathan Doors, Augur, Lili Marquette, Dr. Julianne Belman
 
Anmerkung der Autorin:  Über Feedback jeglicher Art würde ich mich sehr freuen. Auch gegen Kritik habe ich nichts, solange sie konstruktiv ist. Lest bitte auch meine anderen Stories, wenn euch diese hier gefallen hat.
 

 

REVOLUTION VS. EVOLUTION

Kapitel 6

 

„Noch so ein Geschenk ... ”
(Agent Ronald Sandoval zu Lili Marquette in: 1x12 ‚Sandoval's Run’ / ‚Amoklauf’)

Das stete Piepsen der Monitore war das erste, was er während seines Erwachens registrierte. Er hörte sich streitende Stimmen, die für seinen erwachenden Verstand nur sehr langsam an Deutlichkeit zunahmen und wandte das Gesicht in die ungefähre Richtung, aus der er diese wahrzunehmen glaubte. Das hieß, er versuchte es, doch konnte er, egal wie sehr er sich bemühte, seinen Kopf nicht von der Stelle bewegen. Angst begann sich in ihm breit zu machen, als ihm bewußt wurde, daß er weder Arme noch Beine mehr als einige Zentimeter von der langsam in seine Wahrnehmung dringenden glatten Oberfläche anheben konnte, auf welcher er wohl lag, und den Kopf konnte er nicht einmal soweit rühren. Die sich streitenden Stimmen - er glaubte drei verschiedene heraus zu hören, oder waren es doch vier? Er war sich nicht ganz sicher - nahmen allmählich an Lautstärke zu, und er vermochte nun sogar einzelne Worte zu verstehen.

„... das ist die einzige Chance, die er hat!” war der erste deutliche Satz.

Eine dunkle Männerstimme erklang als nächstes: „Eine Chance? Wir reden hier davon, dass Sie uns quasi den Taelons ausliefern und ihnen auch noch den sprichwörtlichen Schlüssel zu unserer gesamten Bewegung in die Hände legen wollen.”

”Wir sprechen hier von Boone und nicht von irgendeinem Ding, Jonathan. Wir müssen einfach versuchen, ihn zu retten”, rief Captain Lili Marquette und durchdrang mit der darin anklingenden Verzweiflung nun endgültig den Nebel um Williams Verstand.

Dr. Belmans Stimme mischte sich nun ebenfalls mit in das Streitgespräch ein. „Das ist seine einzige Chance, zu überleben. Ich habe ihm das Anti-CVI bereits injiziert, und wenn er es die nächsten zwanzig Stunden schafft, am Leben zu bleiben ...”

„Was dann? Wollen Sie ihn erneut implantieren? Ihn zu einem wirklichen Werkzeug der Taelons machen? Zu einer willenlosen Marionette?”, fuhr Jonathan dazwischen. Dass er seine Freundin plötzlich siezte, zeigte mehr als deutlich, wie wütend er war.

Betretene Stille herrschte plötzlich im Raum, und erst das schneller werdende Piepsen von einem der Monitore ließ sie enden. Dr. Julianne Belman eilte mit wenigen raschen Schritten zu ihrem auf dem Operationstisch angeschnallten Patienten und warf einen prüfenden Blick auf die seine Vitalwerte überwachenden Gerätschaften. Dann wandte sie sich dem sich unruhig zu bewegen versuchenden Mann zu. Ihr erster Gedanke war, ihm erneut etwas zur Beruhigung zu geben, doch dann hielt sie - die vorbereitete Spritze schon in der Hand - inne.

„Was ist los?” Langsam trat Jonathan Doors zwei Schritte näher an den auf dem Operationstisch Liegenden heran.

„Wir haben kein Recht, einfach über ihn zu entscheiden ...”, begann Julianne, zuerst zögernd, doch dann mit jedem weiteren Wort immer überzeugter sprechend. „Nur Commander Boone selbst kann über sein weiteres Schicksal bestimmen.”

Augur, der mit ihnen gekommen war und in einer Ecke des Raumes bisher vollkommen in seinen Computer versunken gewesen zu sein schien, murmelte plötzlich leise: „Ähm, Leute - ich glaube, wir haben da ein Problem ...” Keiner schenkte seinen Worte jedoch Beachtung, alle stritten einfach weiter. Er wollte sich schon erneut bemerkbar machen, als er es sich dann doch noch anders überlegte und seine Daten lieber ein weiteres Mal überprüfen wollte. Wenn er Recht hatte, dann ...

Seufzend und auch ein klein wenig bedauernd schüttelte der Anführer der Widerstandsbewegung den Kopf. „Er hat sich bereits entschieden. Erinnern Sie sich noch an seine Worte, als er zu uns kam?”

„Ja, ja ... das wissen wir, denke ich, sehr gut”, warf Lili, verzweifelt nach jedem sich ihr bietendem Strohhalm greifend, ein. „Wir alle wissen sehr genau, was er damals sagte, aber das ist nicht vergleichbar mit der jetzigen Situation!”

„Nein, das ist genau die gleiche Situation, die wir von Anfang an riskiert haben”, erwiderte Jonathan mit ungewohnt ernster Stimme. „Boone hatte nur zugestimmt, für mich zu arbeiten, nachdem ich ihm mein Wort gegeben hatte, ihn, wenn das Experiment schief laufen sollte, sofort zu töten.”

Julianne stand immer noch neben dem nun allmählich zu sich Kommenden und wischte ihm mit einem feuchten Tuch den Schweiß von der Stirn.
„Commander Boone, können Sie mich verstehen?”, sprach sie ihn mit etwas lauterer Stimme an, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, als seine Augenlider zu flattern begannen.

„Dr. Belman ... wieso ...”, murmelte er leise, während sich seine Sicht langsam zu klären begann und er schließlich Juliannes besorgtes Gesicht über sich erkannte. „Was ist ... geschehen?”

Lili trat vor und stellte sich an die rechte Seite des OP-Tisches, so dass er sie sehen konnte. Jonathan Doors stand ihr gegenüber.
„Ganz ruhig, Boone, wir werden Ihnen helfen. Ihr CVI ist zusammengebrochen und ...”

„Das ist nicht korrekt ...”, unterbrach Boone sie mit allmählich fester werdender Stimme und inzwischen klarem Blick. Wieder versuchte er sich von den ihn haltenden, breiten Fixierbändern zu befreien, was ihm aber nicht gelingen wollte. „Ich kann keine Fehlfunktion feststellen.”

„Boone, Sie sind zusammengebrochen. Blut lief aus Ihrem Ohr, und der Bereich, wo sich Ihr CVI befand, war vor lauter Blut kaum zu erkennen”, fiel ihm Julianne Belman sanft ins Wort. „Es ist erstaunlich dass Sie so klar sind, aber das wird nicht mehr lange so bleiben. Das Anti-Cyber-Virus wird in wenigen Minuten damit beginnen ...”

„Nein ...”, wehrte sich Boone. „Es geht mir gut ... Ich muss doch ... Da'an wartet auf mich ... Ich muss ihn doch zu der Veranstaltung fliegen!”

Julianne und Lili tauschten deutlich verwirrte Blicke.
„Boone, es ist alles in Ordnung. Der Termin war bereits gestern und ich habe Da'an zu der Einweihung geflogen”, informierte ihn Marquette.

Williams Augen weiteten sich entsetzt: „Gestern? Aber ... aber das geht nicht ... Ich muss doch bei Da'an sein ... Ich muss ... Ich hätte mich schon längst bei ihm melden sollen. Ich muss doch auf ihn aufpassen!”

Verblüfft schloss Dr. Belman ihren bereits zu einem Widerspruch geöffneten Mund wieder und warf einen hastigen Blick auf die Anzeigen. Das, was sie dort zu sehen bekam, ließ sie einige Male vor Überraschung blinzeln, ehe sie sich wieder soweit fasste, dass sie entsprechend zu reagieren in der Lage war. Mit drei großen Schritten war sie neben Jonathan getreten und hielt ihm den Mund zu, während sie ihn eilig aus dem kleinen Raum schob, dabei sorgfältig darauf achtend, dass er keinen Laut von sich gab. Nachdem sie draußen angekommen waren und sich die Türen geschlossen hatten, ließ sie ihn wieder los. Ihr Gesicht hatte deutlich an Farbe verloren.

„Was ist denn los?”, erkundigte sich der überraschte Doors.

Nervös warf sie einen Blick zurück, versicherte sich, dass die Türen wirklich geschlossen waren und ließ nur noch schnell Augur zu ihnen in den Flur treten, der mit seinem Laptop unter dem Arm zu ihnen hinaus eilte. Erst dann beantwortete sie Doors' Frage. „Ich bin mir nicht sicher, aber es sieht fast so aus, als ob ... als ob das Anti-Cyber-Virus nicht anschlägt. Nur kommt mir keinerlei Erklärung in den Sinn, warum das so ist. Ich habe so etwas noch in keiner einzigen Simulation erlebt.”

„Aber ich!”, meldete sich Augur plötzlich und klappte den Laptop auf. „Boones CVI hat nicht versagt, sondern im Gegenteil damit begonnen, seine ursprüngliche Programmierung zu aktivieren.” Dabei deutete er auf einige auf dem Monitor befindliche Bilder, die eine hoch auflösende Darstellung von William Boones Gehirn aufzeigten.

„Die Blutung und der Anfall waren deutliche Zeichen für eine Zersetzung des CVIs”, widersprach Julianne heftig, stockte jedoch, als sie einen genaueren Blick auf Augurs Bildschirm warf. „Wie haben Sie denn ...” Sich selbst unterbrechend, winkte sie ab und verhinderte so einen jener längeren Vorträge Augurs über seine Genialität „ Es ist auch egal. Aber es stimmt, das ist einfach unglaublich.”

„Und was wäre dies?”, wollte Doors ungeduldig wissen. Er fühlte sich im Moment mehr als nur ein wenig unwohl und wollte diese leidige Sache einfach so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er hatte Commander Boone ein Versprechen gegeben, und er dachte nicht daran, es zu brechen - zumal dessen Einlösung ihm auch gleichzeitig ein großes Problem vom Hals schaffen würde.

„Das bedeutet, dass der Motivationsimperativ sich reaktiviert hat ... Ich habe die Regenerationsfähigkeiten der Taelonmikrobe vollkommen unterschätzt. Aber das Anti- Cyber-Virus muss doch ...” Entsetzt schlug sie sich eine Hand vor den Mund. „Oh mein Gott ... Es hat sich, anstatt das alte CVI zu zerstören, mit diesem verbunden und bildet nun ein vollkommen neues und intaktes solches.”

Langsam nickte Doors: „Verstehe ... Boone ist nun also genau so ein Implantant wie Agent Sandoval und die anderen loyalen Narren.” Entschlossen richtete er seinen Blick auf seine Partnerin. „Ich denke, wir alle wissen sehr genau, was jetzt zu tun ist.”

 
* * *
 

„Mo ... Mo ... Moment mal!”, brach Augur, Computergenie und ältester Freund des hinter ihm im Operationsraum festgebundenen Boones, die auf Doors letzte Worte hin eingetretene Stille und lenkte damit aller Aufmerksamkeit auf sich. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen, die hinter seiner Brille noch größer wirkten, und halb erstickter Stimme stammelte er: „Ihr redet doch nicht etwa ... Ich meine, Ihr wollt ihn einfach so ... einfach so umbringen?”

Die beidem ihm gegenüber Stehenden nickten. „Wir haben keine andere Wahl, Augur. Wenn es ein Trost für Sie ist, er selbst hat es so gewollt.”, antwortete Doors mit betont ruhig gehaltener Stimme.

Voller Abwehr richtete sich der Angesprochene von der Wand, an welche er sich Halt suchend gelehnt hatte, wieder auf und versuchte seine sich langsam trübende Sicht zu ignorieren, als er den Blick auf Doors richtete: „Nein!” Entschlossen schüttelte er den Kopf. „Das glaube ich nicht. William Boone würde niemals kampflos aufgeben - und er würde sich schon gar nicht einfach so ... nicht so ...”

„Er hatte seinen Kampf, Augur”, versuchte es Dr. Belman nun, da sie merkte, dass Jonathan mit seiner Taktik keinen Erfolg erzielte. „Ihr Freund hat sich tapfer gegen den Motivationsimperativ zur Wehr gesetzt und ... und er ...” Julianne stockte, nicht sicher, wie sie ihre Gedanken in Worte fassen sollte. „Nur ... Sie wissen doch, wie weit voraus uns die Technik der Taelons ist. Er hatte ... Niemand hätte eine Chance gehabt, diesen Kampf zu gewinnen.”

„Boone schon ... er würde niemals aufgeben!” Das Gehörte wieder und wieder verneinend, ballte Augur verzweifelt die Hände zu Fäusten. „Ich ... Ich kenne ihn schon viel länger als Sie. Ich habe ihn in den SI-Kriegen kennen gelernt. Er hat mir damals das Leben gerettet und ... und er sagte immer wieder zu mir, dass jemand, der aufhört zu kämpfen ... ” Tränen rannen über sein Gesicht. „Er hat mich drei Tage lang auf seinem Rücken aus diesem verdammten Sumpf getragen ... und er hat - er sagte, ich darf niemals aufhören zu kämpfen. Denn wer nicht mehr kämpfen kann, ist so gut wie ... wie ... tot.” Halb schluchzend presste Augur die letzten Worte zwischen seinen schmerzenden Kiefern hervor, so fest hatte er die Zähne zum Ende des Satzes hin zusammengebissen.

Julianne seufzte leise und wischte sich mit einem ihr von Jonathan gereichten Taschentuch ebenfalls eine Träne aus ihren feuchten Augen, während sie in Gedanken verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, Augur zu verdeutlichen, dass es nichts mehr gab und zwar rein gar nichts mehr, was sie für seinen Freund William Boone tun konnten. Bis auf eines ...
„Augur ... Wir können ihm helfen.” Am liebsten hätte sie sich für ihre letzten Worte geohrfeigt, als sie den plötzlich wieder hoffnungsvollen Blick des farbigen Hackers konzentriert auf sich ruhen sah. „Wir können ihm helfen, seinen letzten Kampf nicht zu verlieren. Captain Boone kann immer noch als Sieger aus diesem ... diesem Kampf hervorgehen und ... und Sie wollen doch auch, dass er gewinnt, oder? Das wollen Sie doch auch, Augur ...”

Kaum fähig zu sprechen, nickte er und zwang dann die nächsten Worte über seine Lippen. Die Frage, von der er wusste, dass Dr. Belman sie erwartete ... dabei die Antwort fürchtend, die er bereits zu kennen glaubte und einfach nicht wahrhaben wollte. „Natürlich will ich, dass er gewinnt ...”

Langsam und vorsichtig sprach sie weiter, genau spürend, dass ein einziges falsches Wort das von ihr erbaute Kartenhaus sofort zum Einstürzen brächte: „Der einzige Weg für Ihren Freund, zu gewinnen, ist, den Taelons nicht das zu geben, was sie sich von ihm erhoffen.”

„Ich ... ich verstehe nicht!”, murmelte Augur. Oh doch, er verstand ... er verstand nur zu gut. Doch wollte er es einfach nicht akzeptieren.

„Boones einzige Möglichkeit, zu gewinnen, ist, sich selbst zu verweigern - sich den Taelons zu verweigern.” Aufmerksam beobachtete sie den deutlich unter Schock stehenden Hacker und sprach dabei mit betont ruhiger Stimme weiter auf diesen und zugleich auch auf sich selbst ein: „William Boone hat uns ... hat mich ihm bei allem .. bei dem Grab seiner Frau schwören lassen, dass wir die Taelons niemals über ihn triumphieren lassen dürften. Dass in jedem Falle er es sein müsse, der am Ende als Sieger dasteht. Er ließ mich bei seiner toten Frau Kathy schwören, dass ich ihm, wenn alles andere misslingen sollte, zu seinem endgültigem Sieg verhelfe.” Nachdem sie einige Male tief durchgeatmet hatte und auch von Augur kein weiteres Wort mehr zu hören war, glaubte sie schon, es trotz ihrer eigenen Zweifel geschafft zu haben. „Ich verspreche Ihnen, Augur, dass er nichts spüren wird.”
Im selben Moment, als sie diese letzten Worte aussprach, wusste sie, dass das ein Fehler gewesen war. Ein sehr großer Fehler.

 
* * *
 

„Nein!”
Seine Hand, schon auf halbem Wege zum Gesicht, um die Ursache seiner sich mit jedem weiteren Atemzug immer stärker trübenden Sicht zu beseitigen, fiel kraftlos wieder herab und fand schließlich an der in den Operationsraum führenden Tür Halt. Dann riss Augur sie wieder zurück, fast, als hätte er sich verbrannt, und richtete sich gerade auf. „Es gibt einen anderen Weg .... Ich weiß einfach, dass es eine Alternative gibt ... Es muss sie geben!” Verzweifelt starrte er Dr. Belman an und deutete schließlich mit zitternden Fingern auf sie. „Sie ... müssen doch einen Weg wissen ...”

Die Angesprochene schluckte sichtbar, ehe sie es fertig brachte, dem anklagenden Blick des Computergenies zu begegnen. „Es tut mir leid, Augur ... aber wir haben ... Er hat keine andere Wahlmöglichkeit mehr.”

Zu allem entschlossen schüttelte Augur den Kopf: „Das akzeptiere ich nicht.”

„Augur ...”, versuchte es Julianne erneut, doch schien er ihre Worte gar nicht zu hören, da er einfach weiter drauflosredete.

„Ich könnte mich in die Medizinische Datenbank der Taelons einhacken und ...”

Jonathan Doors trat einen Schritt auf ihn zu. „Haben Sie nicht verstanden? Es gibt keinen anderen Weg.”

„ ... und wenn das nicht funktioniert, werde ich ...” Augur vollführte fahrige Gesten.

„Und dann werde ich auch noch die Datenbanken des FBI anzapfen und ...”

Jonathan Doors packte den ihn gar nicht wahrnehmenden jungen Mann mit festem Griff an dessen schmalen Schultern - so fest, dass sich seine Finger in das schreiend bunte Hemd des sich selbst gerne als ‚Seher’ Bezeichnenden regelrecht hinein bohrten.

”... nein, das funktioniert auch nicht. Aber da war doch vor kurzem etwas ... ich erinnere mich genau ... nur wie ... das ist es ... genau das könnte klappen!” Aus seinen Überlegungen auftauchend, wandte Augur sich an Doors: „Das ist es ... erinnern Sie sich an das Experiment mit ...”

„Nein”, fiel ihm dieser, nun wieder ganz Konzernchef und Widerstandsgründer, mit scharfer Stimme ins Wort und drückte die Finger noch etwas fester in den feinen Stoff von Augurs Hemd. Der schien erst jetzt zu bemerken, dass Jonathan direkt vor ihm stand. „Wir haben für diese Spielereien einfach keine Zeit mehr, Augur!”

Von diesem unbemerkt, nickte Jonathan der sich langsam der Türe nähernden Julianne zu und schenkte ihr ein - wie er hoffte - tröstendes, wenn auch nur flüchtiges Lächeln. „Ich komme gleich nach ...”, murmelte er leise in ihre Richtung, was von dem ihn entgeistert anstarrenden Hacker offenbar nicht registriert worden war. Langsam ließ er den jungen Mann los, was dieser nicht einmal mitbekam, so beschäftigt war er mit weiteren sinn- und nutzlosen Überlegungen, wie er seinen Freund würde retten können.

Entschieden den Kopf schüttelnd, verneinte Julianne seinen Vorschlag aufs heftigste. Sie wollte auf gar keinen Fall, dass Boones letzte Augenblicke von Hass und Angst erfüllt sein sollten auch, wenn diese Gefühle nicht seine eigenen, sondern nur die ihm vom Motivationsimperativ vorgegebenen waren. Ganz gleich, wie gefährlich er jetzt für sie, für Jonathan und für die ganze Bewegung war - sie würde ihm einen weitestgehend würdigen Abschied bereiten.

Zögernd streckte Doors eine Hand nach ihr aus, ließ sie dann jedoch wieder sinken, als er die Maske sah, die sie bereits aufgesetzt hatte. Es war, wie er sehr wohl wusste, eine Maske, die sie sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte als praktizierende Ärztin angeeignet hatte. Dennoch konnte er nicht anders, als zu fragen: „Soll ich später zu dir kommen?”

„Nein ... Ich ... Ich will den Rest des Tages bitte ungestört bleiben”, brachte Julianne mit gepresster Stimme hervor. „Es ... Es wäre nett, wenn Du dafür sorgen könntest.”

„Natürlich, Julia”, gab er flüsternd zur Antwort, trat, nun doch die wenigen sie noch trennenden Schritte überwindend, zu ihr und nahm sie kurz in die Arme, ließ sie jedoch fast augenblicklich wieder los, als er spürte, wie sie sich zu versteifen begann. Sie hatte bereits begonnen, sich abzukapseln, und da war das, was er gerade tat, das Falscheste, was er überhaupt tun konnte. So zog er sich wieder einen halben Schritt zurück und drückte ihr statt dessen wortlos ein Papiertaschentuch in die Hand, während er ihr mit einem weiteren die Tränen vom Gesicht wischte.

Langsam hob sie eine Hand und ergriff die seine. „Danke, John ...”, sagte sie leise und hauchte ihm einen kurzen Kuss auf die Wange, bevor sie einmal tief durchatmete und sich dann endgültig der hinter der Tür auf sie wartenden Aufgabe zuwandte.

Augur hatte, wie von Doors und Dr. Belman erhofft, von ihrem kleinen Gespräch nichts mitbekommen und hatte ebenso wenig bemerkt, wie sich die Ärztin leise durch die sie von Boone trennende Tür geschlichen hatte. Dabei geholfen hatte wohl auch die Tatsache, dass sich Doors genau zwischen die Tür und ihn gestellt hatte, für den Fall, daß dieser bei seiner derart beschlagenen Brille überhaupt noch etwas zu erkennen in der Lage war.

„Wie bitte?” Einfach nicht glauben wollend, was er da hörte, versuchte Augur, vor dem ihn festhaltenden Mann zurückzuweichen, schaffte es jedoch nicht, da er mit dem Rücken an der Wand des in sanften Blaugrautönen gehaltenen Ganges stand. „Es geht hier doch nicht um ein verdammtes Spiel, sondern um das Leben eines ... meines Freundes und Ihres Mitarbeiters! Ohne ihn hätten Sie niemals derart weit kommen können! Bedeutet das denn rein gar nichts mehr?”

„Jetzt reicht es aber endgültig”, knurrte Jonathan Doors wütend. Mit einem kräftigen Ruck riss er Augur herum, schob ihn die paar Schritte zu der nach innen hin durchscheinenden Türe und presste ihn regelrecht dagegen - so heftig, das diesem sein Laptop, den er immer noch krampfhaft festgehalten hatte, aus den Händen rutschte und mit einem lauten Scheppern zu Boden fiel. Der junge Mann schien diesen Verlust jedoch noch nicht einmal zu bemerken.
„Glauben Sie, ich hätte vergessen, was er für mich, für unsere Bewegung getan hat? Glauben Sie, ich hätte das einfach so vergessen? Für was für einen Unmenschen halten Sie mich eigentlich, Augur?” Voller Zorn schüttelte Jonathan den nun offen Weinenden kräftig durch. „Sehen Sie sich ihn an!”, verlangte er mit bebender Stimme und zwang Augur, auf den auf dem Operationstisch fixiert liegenden Commander zu blicken. „Wollen Sie etwa, dass er den Rest seines Lebens so verbringt? Auf einen Tisch gefesselt und bis oben hin mit Beruhigungsmitteln voll gepumpt?”

„Es gibt Alternativen ...”, presste Augur mit gegen die Scheibe gequetschtem Mund hervor und versuchte vergeblich, sich aus dem eisernen Griff des älteren Mannes loszureißen. Niemals hätte er geglaubt, dass Jonathan Doors in seinem Alter noch über derartige Kräfte verfügte. Aber er musste sich eingestehen, dass er nie besonders sportlich oder kräftig gewesen war, und so war es dann doch wieder nicht allzu überraschend, dass ihn Doors derart fest im Griff hatte. „Er ist ... Er ist mein Freund ... Ich kann ihn nicht einfach so ... Ich kann nicht einfach daneben stehen und nichts tun!”

Frustriert schüttelte Doors den Kopf: „Ich sagte bereits, dass wir dafür keine Zeit haben. Was geschieht, wenn er vollends zu sich kommt? Was glauben Sie, Augur, wird er tun, wenn er, von seinem Motivationsimperativ gelenkt, vollends begreift, dass wir jetzt auf verschiedenen Seiten stehen? Dieser Boone ist nicht mehr Ihr Freund, der Sie gerettet hat ... Augur, er ist jetzt der FEIND!”

Ein tiefes Schluchzen durchlief den Körper des jungen Mannes, und hätte Doors ihn nicht gehalten, wäre Augur zusammengebrochen und an der mit Taelonmaterialien verstärkten Tür herunter haltlos auf den kalten mit PVC ausgelegten Boden gerutscht. Tränen strömten aus seinen Augen, und er musste die Brille absetzen, um überhaupt wieder etwas vernünftig erkennen zu können. Ein Beben und Zittern ergriff von ihm Besitz, so dass er sich - ganz gleich was geschehen wäre - nicht mehr auf den Beinen hätte halten können.

Ganz langsam löste Jonathan seinen Griff um Augur und ließ sich mit ihm zusammen zu Boden gleiten, beider Rücken an die Tür gelehnt, hinter welcher Boone nun sein endgültiges Schicksal erwartete. Kurz zögerte er - der Impuls, den er jetzt verspürte, entsprach eigentlich ganz und gar nicht seiner Art - aber dann seufzte er leise, streckte einen Arm aus, legte ihn um Augurs unkontrolliert zitternde Schultern und drückte den wie ein Kind Weinenden fest an sich, tröstend irgend etwas Unsinniges vor sich hin murmelnd, von dem er selbst nicht genau wusste, was es war.

 

Ende von Kapitel 6

 

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