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  „Revolution vs. Evolution” von Sythazen/Bianca Nunberger   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Entstehungsdatum: 12. Februar 2003
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Andrej Pientkow hat einen wirklich schlechten Tag ...
Zeitpunkt:  erste Staffel - einige Monate nach 1x12 „Sandoval's Run”
Charaktere:  Hope, Andrej Pientkow
 
Anmerkung der Autorin:  Über Feedback jeglicher Art würde ich mich sehr freuen. Auch gegen Kritik habe ich nichts, solange sie konstruktiv ist. Lest bitte auch meine anderen Stories, wenn euch diese hier gefallen hat.
 

 

REVOLUTION VS. EVOLUTION

Kapitel 12

 

Nur langsam erwachte sie aus ihrem Dämmerschlaf, in den sie gefallen war, nachdem sie mit diesem großen metallischen Wesen zusammengeprallt war, welches sie vollkommen überraschend erfasst und mit sich gerissen hatte. Fast schon glaubte sie, einem hiesigen Raubtier zum Opfer gefallen zu sein, welches die gute Gelegenheit nutzte und ihre Verwirrung zu seinem eigenen Vorteil machte, nämlich dem Schlagen einer, wie sie zugeben musste, nun doch recht umfangreich gewordenen Beute. Denn im Gegensatz zu ihrem früheren Körper war der, in welchem sie sich nun befand, um einiges größer und stärker und gab so natürlich wohl auch ein weitaus reizvolleres Ziel für die hiesige Population ab. Instinktiv blieb sie regungslos, angespannt auf die Geräusche um sich herum lauschend, um aus diesen die genaue Art der Bedrohung zu erfassen und entsprechend reagieren zu können.

Es überraschte sie nach der Wucht des erfolgten Angriffes doch sehr, dass sie zu einer solchen Handlungsweise überhaupt noch fähig war, doch nahm sie die Gelegenheit, die sich ihr hiermit bot, natürlich voller Erleichterung und Dankbarkeit an und versuchte nun, das für sie möglichst Beste daraus zu machen.
Plötzlich verwirrt, verharrte sie in ihren Gedankengängen. Noch nie zuvor war es ihr derart bewusst gewesen, dass sie überhaupt ‚dachte’. Bisher hatte sie einfach immer aus ihren angeborenen und angesungenen Instinkten heraus reagiert und auf die verschiedensten sie direkt betreffenden Situationen hin unbewusst gehandelt.

Doch das, was sie jetzt gerade im Begriff war zu tun, war etwas vollkommen anderes. Es war überlegter, durchdachter ... Es war einfach nicht mehr rein instinktiv, und diese Tatsache stürzte sie in einen wahren Strudel aus sich ineinander verschlingenden Emotionen, welche sie als ebenso neu und ihrem eigentlichem Wesen widersprechend empfand, wie die Tatsache selbst, dass sie überhaupt dazu in der Lage war, solche präzisen Überlegungen anstellen zu können.

Ehe sie jedoch weiter über diese neuen Erkenntnisse nachdenken und sie näher erforschen konnte, um sie dann besser für sich einzusetzen und weiteren solcher Gefahren wie der, in welcher sie sich gerade befand, entkommen zu können, lenkte sie ein dicht neben ihrem ... Verwirrt suchte sie nach dem passenden Begriff für - ja dieses Körperteil, durch welches sie eben jene auf sie einbrechende Geräuschkulisse identifizieren oder gar überhaupt erst wahrzunehmen in der Lage war. Weiterhin nach einer passenden Umschreibung in dem sie auf einmal mit immer mehr Wissen und neuen Begriffen durchflutenden Geist suchend, den sie nun erst, wie es schien, so richtig zu nutzen verstand, konzentrierte sie sich zugleich darauf, den nun immer dringlicher werdenden Lauten irgend eine Art von Bedeutung beimessen zu können.

Entfernt erinnerten diese dicht neben ihrem Haupt ausgestoßenen Laute sie an das, was sie zuvor an dem Ort empfunden und - ja, auch gehört hatte, an welchem sie zuerst erwacht war. Dem Ort, an dem man versucht hatte, sie festzuhalten und an dem man sie mit den Langen Spitzen gepeinigt hatte. Kurz erfasste sie Panik bei dem Gedanken, dass sie sich ihre erfolgreiche Flucht nur eingebildet hatte, dass diese nicht mehr als ein Traum gewesen war, der durch ihren sich nun langsam verändernden Verstand geweht war und ihr eine nur von ihr erwünschte und erhoffte Illusion vorgegaukelt hatte.

Doch dann schob sie diesen Gedanken wieder beiseite - ein Umstand, der sie aus mehrerlei Hinsicht abermals erstaunte, da sie nicht gewusst, nein nicht einmal geahnt hatte, dass sie zu so etwas überhaupt in der Lage war - dass so etwas wie das Ignorieren unerwünschter oder gerade in diesen oder anderen speziellen Situationen nicht benötigter oder sogar gefährlich werdender ablenkender Gedanken existierte. Dann plötzlich wusste sie auch, was es mit den auf sie eindringenden Geräuschen auf sich hatte. Es waren Worte, durch das lautgebende Organ aneinander gereiht hervorgestoßene Geräusche, mit denen das Wesen, das sie offenbar nach ihrem Sprung und dem Zusammenstoß mit ihr gefangen genommen hatte, zu kommunizieren zu versuchen schien. Doch zu welchem Zweck dies geschah - um weitere seiner eigenen Art herbeizurufen, um die doch recht große Beute, die sie darstellte, mit ihnen gemeinsam zu vertilgen, oder einfach nur, um seinen Triumph über seine erfolgreiche Jagd mitzuteilen - wusste sie nicht zu sagen.

 
* * *
 

Dieser Tag heute war nun beileibe wirklich nicht das, was Andrej Pientkow als einen seiner besten bezeichnen konnte. Nicht nur, dass sich sein Flug nach Washington DC vom Airport Pulkovo aus um ganze vier Stunden verspätet hatte, nein, auch der Bus von seinem Wohnort Pushkin aus, welcher nur fünfzehn Minuten vom Flughafen entfernt lag, war wegen eines Betriebsschadens ausgefallen und so hatte er erst den übernächsten nehmen können. Dann, endlich in Washington DC angekommen, war das Erste, das er erlebte, dass sein bereits seit zwei Wochen im voraus bezahlter Mietwagen nicht zur Verfügung stand und er sich nun mit einem gelben statt dem gewünschten roten Ferrari zufrieden geben musste. Sicher hätte er auch eines der viel gerühmten Interdimensionsportale der Taelons nutzen können, dann wäre er innerhalb von Minuten über die Kontinente und den großen Ozean hinweg am gewünschten Zielort gewesen, doch wollte er der Technologie dieser Außerirdischen einfach nicht so recht über den Weg trauen. Nun, am Ende hatte er sich dann doch noch mit seinem neuen Auto angefreundet und gerade, als er begonnen hatte, dessen beachtliche PS und die Möglichkeiten, die diese boten, zu genießen, fiel direkt vor seinen Augen eine Frau von einer Brücke auf den Highway.

Oh, was für ein Schreck es doch gewesen war, als diese Frau - ‚diese bildhübsche Frau’, wie er sich selbst sofort in Gedanken verbesserte - auf die Straße gestürzt war, sich dann, so unglaublich es war, wieder aufgerappelt hatte und ihm direkt vor die Kühlerhaube gesprungen war. Er war noch auf die Bremse getreten, war mit seinem doch recht ungewohnten Auto ins Schleudern geraten und hatte die sich gerade wieder aufgerichtet habende Frau - was ohnehin schon an ein Wunder grenzte - doch noch angefahren. Voller Entsetzen hatte er sie unter die Räder geraten sehen und rechnete schon damit ...
Aber nein, an so etwas durfte er nicht einmal im Entferntesten denken.

Laut fluchend war er, kaum dass der Wagen endgültig zum Stehen gekommen war, daraus hervor gesprungen, um ihn herum geeilt und hatte sich über die nun bewegungslos auf dem Asphalt liegende weißblonde Frau gebeugt, in der Annahme, dass diese, still und bleich wie sie aussah, bereits tot war.
In Gedanken hatte er sich bereits überlegt, was nun zu tun sei. Hastig sah er sich nach den anderen sich auf dem Highway befindlichen Autofahrern um, doch keiner schien Notiz von ihm oder von dem Unfall zu nehmen. Die Ignoranz und die Angst, in etwas, das einen nichts anging, hineingezogen zu werden, waren Dinge, auf die man sich meist uneingeschränkt verlassen konnte. Was Eigenschaften waren, welche er zumeist zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen wusste, so, wie auch dieses Mal wohl. Es blieb nur zu hoffen, dass keines der vorüber fahrenden Autos - oder besser dessen Insassen - die Polizei verständigten. Das war etwas, das er nun absolut nicht gebrauchen konnte.
So bückte er sich also noch tiefer über die Frau, schob seine Arme unter sie und hob sie hoch, sie anschließend mit schnellen Schritten zu seinem Wagen tragend und dort auf den Beifahrersitz legend. Um die Blutflecken auf den Sitzen konnte er sich auch später noch kümmern.

Er überlegte gerade, wie er die Leiche so rasch und unauffällig wie möglich würde loswerden können, während er sie in eine sitzende Position zurechtlegte und sie anschnallte, um den Eindruck zu erwecken dass es sich bei seiner Mitfahrerin um eine ganz normale Person handelte - schließlich wollte er nicht von der Polizei angehalten und befragt werden - als er bemerkte, wie sich ihr Brustkorb leicht auf und ab zu bewegen schien. Abermals tastete er hastig nach einem Pulsschlag und da, ganz schwach und ein wenig unregelmäßig, konnte er ihn dieses Mal erspüren.
Vollkommen überrascht richtete er sich mit einem Ruck wieder auf.
Um jedoch nicht doch noch unerwünschte Aufmerksamkeiten auf sich zu ziehen - gegen den Mann auf der Brücke, der gerade erschien, konnte er sowieso nichts machen und hoffte, dass dieser nur sah, dass er sich offenbar um seine Beifahrerin kümmerte - stieg er hastig wieder ein, startete den Motor und gab mit laut quietschenden Reifen erst einmal kräftig Gas, um von hier so schnell wie möglich wieder wegzukommen. Er war bereits eine Viertelstunde unterwegs, als die Frau wieder zu sich zu kommen schien.

Während er begann, beruhigend auf sie einzureden, teils um von ihr zu erfahren, wie stark sie verwundet war und ob sie ihn in ihrem Zustand überhaupt verstand und teils, weil er sich je nach Zustand einen Plan zurechtlegen musste, was er als nächstes tun konnte, denn ebenso wenig, wie er die Aufmerksamkeit der Behörden gebrauchen konnte, war er darauf erpicht, nervende Fragen der Ärzte aus den Stadtkrankenhäusern zu beantworten, und so wartete er voller Spannung auf eine wie auch immer geartete Reaktion der sich nun langsam zu bewegen Beginnenden.

Zu seiner großen Erleichterung jedoch schien sie ihn tatsächlich nicht zu verstehen, was wohl bedeutete, dass ihre Verletzungen doch sehr ernsthaft, wenn nicht gar am Ende doch noch tödlich waren. Andrej schüttelte wütend und mit fest zusammen gepressten Zähnen den Kopf. Was sollte er jetzt nur tun? In ein Krankenhaus konnte er sie definitiv nicht bringen - selbst, wenn er sie nur dort abladen würde, wäre es bereits viel zu riskant, denn Überwachungskameras waren heutzutage noch weitaus zahlreicher installiert als vor fünfzehn Jahren, als er das erste Mal hier in good old America gewesen war. Gerade durch die Taelons war viel an diesen Überwachungstechniken gefeilt und verbessert worden. Er hatte sich bemüht, auf dem aktuellem Stand der Dinge zu bleiben - etwas, das ihn in Russland doch ziemlich schwer gefallen war, auch wenn sich dort einiges getan hatte. Dadurch, dass er keine Portale nutzen konnte, war er doch erheblich in seinen Möglichkeiten eingeschränkt.

Abermals leise vor sich hin fluchend trat Andrej Pientkow noch einmal kräftig auf das Gaspedal des gelben Ferraris und ignorierte das nagende Gefühl, dass er so gerade das tat, was er eigentlich vermeiden wollte, nämlich auffallen. Doch wenn er logisch an die Sache heranging, hatte er nur zwei Möglichkeiten. Entweder er konnte einfach weiterfahren und zusehen, wie die Frau neben ihm starb, oder er konnte versuchen, einen Arzt aufzutreiben, der ihr dann half - nur wie dann am Ende mit dem Arzt verfahren? Schließlich durfte er bei niemandem einen bleibenden Eindruck hinterlassen, was etwas war, das bereits so selbstverständlich zu ihm gehörte wie das Atmen. Was war, wenn aber die Frau ihn wieder erkennen würde? So unwahrscheinlich das auch sein mochte, das Risiko bestand trotz allem. Etwas, das er um jeden Preis vermeiden musste.

Eine Idee begann sich aus seinen rotierenden Gedankengängen zu formen, und mit einem erleichtertem Grinsen gab er erneut Gas, riss das Lenkrad und somit den Wagen herum und ...

... bog in die nächste rechtsseitig abführende Ausfahrt ein.
Andrej Pientkow kostete es nur Sekundenbruchteile, den nun abermals ins Schleudern geratenen Wagen wieder unter seine Kontrolle zurück zu bringen, Sekundenbruchteile, die sich, wie man so schön sagte, zu kleinen Ewigkeiten zu dehnen begannen, doch am Ende hatte er es geschafft und raste die kleine Nebenstraße entlang, in Richtung des sich in der Ferne dunkel abzeichnenden und langsam näher rückenden Waldstreifens. Dieses riesige Waldgebiet war zu manchen Teilen noch relativ unübersichtlich. Jedenfalls war dies bei seinem letzen Aufenthalt dort so gewesen, und er hatte auch damals schon den einen oder anderen unerwünschten Beobachter dort von der Bildfläche verschwinden lassen. Ob es dieses Mal auch so funktionieren würde, wusste er nicht, da sich die Zeiten doch sehr geändert hatten - seit dem Auftauchen der Taelons erst recht.

Deutlich zufrieden mit sich und seiner getroffenen Entscheidung schaltete er mit einem Griff nach vorn und einem leichten Dreh an den entsprechenden Knöpfen das Radio ein und lauschte einige Momente den ihm nun entgegen dröhnenden Lärm, welche die Jugend heutzutage wohl als ‚Musik’ bezeichnete. Nun ja, er würde sich auch dieser neuen Modeerscheinung anpassen, so, wie er es auch zuvor schon immer getan hatte. Nur flüchtig warf er einen Blick auf die neben ihm Sitzende, die sich mit einem leisen Stöhnen bemerkbar machte, wandte seine Aufmerksamkeit aber dann sogleich wieder seinem sich nun rasch nähernden Ziel zu. Um die Frau würde er sich so oder so angemessen zu kümmern wissen. Es gab absolut nichts, das er jetzt in diesem Augenblick noch für sie tun konnte, außer so schnell wie nur möglich sein im Wald gelegenes Ziel zu erreichen und damit sogleich auch die Lösung seines Problems, welche diese für ihn darzustellen begonnen hatte.

Licht und Schatten, hervorgerufen durch die durch das Blätterdach fallenden Sonnenstrahlen, begannen sich in rasendem Tempo abzuwechseln, als Pientkow abermals abbog, in einen unbefestigten Waldweg hinein.
‚Nun, zumindest das ist noch gleich geblieben’, dachte er sich und ließ den Wagen zugleich ein wenig langsamer fahren, so das nicht allzu viel Kies und Erde aufgewirbelt würde.
Um ihn war zunehmend dichter werdender Mischwald - hohe grüne Fichten, Kiefern, Eiben und andere Nadelhölzer sowie Ahorn und Birken, welche jedoch, je weiter er ins Waldesinnere vordrang, immer öfter von alten Buchen und ersetzt wurden, die mit ihren riesigen Ästen und undurchdringlichem Blätterdach kaum mehr einen Lichtstrahl durchscheinen ließen. Mitunter wurde es so dunkel, das er sogar gezwungen war, die Scheinwerfer des Ferraris kurz aufblinken zu lassen, um sich so des vor ihm nun immer unwegsamer werdenden Pfades zu versichern. Nur das laute protestierende Zwitschern von ihm aufgescheuchter Vögel erinnerte ihn daran, dass in diesem Gehölz überhaupt etwas anderes als die Bäume und die nun ebenfalls immer häufiger werdenden Schlingpflanzen existierten.

Eine Viertelstunde später hatte er schließlich sein erstrebtes Ziel erreicht, brachte den nun doch recht verschmutzten Wagen zum Stehen, beugte sich kurz zu der Verletzten hinüber, löste den Sicherheitsgurt, öffnete seine Türe, stieg aus und eilte um den Wagen zur Beifahrerseite hinüber, um auch dort die Wagentüre aufzureißen, die weißblonde Frau schließlich, sie auf seine Arme hebend, herauszuholen und drehte sich schließlich wieder mit ihr um, der kleinen und verfallen wirkenden Waldhütte zu, auf welche er nun entschlossenen Schrittes zueilte.

Mit dem Fuß trat er die schlichte und schief in ihren deutlich verrosteten Angeln hängende Holztüre der Hütte auf und betrat ihr Inneres. Der ihn erwartende Raum wurde nur durch das durch die Ritzen in Decke und Wänden hereinfallende Sonnenlicht notdürftig erhellt. Spinnweben und dichter, bei seinem Eintreten aufwirbelnder Staub, der auf dem Boden und den diversen Möbelstücken lag, nahmen ihm kurzfristig die Sicht.
An Mobiliar befand sich hier kaum etwas, das erwähnenswert gewesen wäre. Ein mit Kerben und Rissen übersäter Holztisch in der Mitte des düsteren Raumes, ein schief stehender Stuhl, welcher nur noch drei Beine sein eigen nannte und ein deutlich in sich zusammen gesunkenes und ausgelegenes Bett, das mehr einer Pritsche glich als einem wirklichen Schlaflager, in der rechten hinteren Ecke.

Andrej Pientkow schritt, ohne lange zu zögern oder inne zu halten, auf Letzteres zu und ließ die verletzte Frau auf es niedersinken. Die sicherlich von Motten durchfressene - da mit unzähligen Löchern übersäte - Wolldecke machte er sich nicht die Mühe, vorher zu entfernen. Wie zerschlissen diese auch sein mochte, so stellte sie immerhin eine dünne Unterlage dar, welche der Frau noch ein wenig Wärme und Behaglichkeit liefern würde. Auch wenn er daran zweifelte, das diese das ebenso sehen würde. Obwohl ... Nachdenklich seinen Blick über ihren Körper schweifend lassend, schüttelte der Russe den Kopf. Vielleicht wusste die Frau es trotzdem zu schätzen oder würde es zu schätzen wissen, wenn sie ihn verstanden hätte oder ihre Umgebung etwas besser wahrnehmen würde. Der Kleidung nach zu urteilen, war sie wohl aus irgend einer Klinik abgehauen, oder - was ihm weitaus wahrscheinlicher erschien - aus einer Irrenanstalt, da kein normaler Mensch einfach so mir nichts dir nichts von einer Brücke in den Tod sprang. Jedenfalls keiner, der mit nichts anderem als mit einem dünnen Krankenhauskittel bekleidet war.

Sich schließlich auf den dreibeinigen Stuhl setzend und das fehlende Holzbein mit seinem eigenen Körpergewicht ausbalancierend, ließ sich Andrej Pientkow mit einem leisen Seufzer vor dem provisorischen Lager nieder, die Augen fest auf die inzwischen offenbar wieder fest schlafende Gestalt gerichtet haltend und angestrengt überlegend, was er jetzt noch tun konnte, da der, den er hier eigentlich zu treffen erwartet hatte, nicht anwesend war und dies wohl auch schon länger nicht mehr gewesen war.

Den Kopf auf die auf der Stuhllehne verschränkten Unterarme abstützend, sinnierte Andrej über das ihm nun auferlegte Problem, während er den Blick nicht auch nur für eine Sekunde von der weißblonden Frau vor sich abwandte. Lange, so hoffte er, würde er sich nicht mehr gedulden müssen, bis sich entweder das eine oder das andere, worauf er wartete, einstellte. Nur ob es ihm dann auch passen würde, wäre eine andere noch zu klärende Frage. Aber dafür hatte er jetzt wahrlich keine Zeit. Viel mehr tun außer einfach hier zu sitzen und zu warten, konnte er nun wirklich nicht. Doch was war, wenn der, den er hier zu treffen erhofft hatte, endgültig verschwunden war? Was war, wenn er hier umsonst saß und wartete?
Den Körper der Verletzten aufmerksam musternd, nach weiteren ihm mehr über sie verraten könnende Merkmale suchend und das Für und Wider möglicher Handlungsoptionen gegeneinander abwägend, wurde er schließlich ungeduldig.

Leise seufzend stand er auf, schob den Stuhl wieder an die Wand, so das dieser nicht gänzlich umkippte und ging vor der still daliegenden Frau in die Hocke, das mehr als nur ein wenig zerknitterte, zerrissene und von Blut verschmierte weiße Krankenhaushemd betrachtend. Nachdenklichen Blickes streckte er eine Hand aus und begann damit, die am Hals der Weißblonden befindlichen Bänder, welche das Kleidungsstück zusammenhielten, zu entwirren und schließlich, als das getan war, das sowieso kaum mehr verwendbare Hemd gänzlich von ihrem zerbrechlich wirkenden Körper zu entfernen. Trotz des erfolgten Unfalles konnte Andrej sehr deutlich ihre Schönheit erkennen. Die schlanken, von der Sonne kaum gebräunten Arme, die langen Finger und Beine - wovon nur eines merkwürdig verkrümmt dalag - und nicht zuletzt die ungewöhnliche weißblonde Haarpracht. Ihr bleiches Gesicht war, trotz Schmutz und einer unschönen Platzwunde, beeindruckend anzusehen, und wäre sie erst einmal vollkommen genesen, wäre sie sicherlich eine Frau, von deren Schönheit sich deutlich mehr als nur ein Mann verrückt machen ließe. Richtig eingesetzt und ausgebildet könnte eine solche Person, wenn die nötige Intelligenz vorhanden war, zu einer wertvollen Bereicherung seines derzeitigen Tätigkeitsbereiches heranreifen. Sollte es sich um eine Fehleinschätzung seinerseits handeln oder sollte er seine Erwartungen zu hoch geschraubt haben, konnte man sich immer noch jederzeit und ohne allzu große Probleme von ihr trennen. Doch all das waren Zukunftsgedanken, die jetzt und in diesem Augenblick und an eben diesem Ort keinen Platz hatten.

Die ihr durch den Unfall zugefügten Verletzungen wurden erst jetzt richtig deutlich sichtbar, und erneut wunderte Andrej sich, wie um alles in der Welt die Frau das nicht nur hatte überleben können, sondern sogar, wie es - im Gegensatz zu seiner allerersten Einschätzung - den Anschein hatte, kaum wirklich lebensgefährliche Verletzungen davongetragen hatte. Sicher, einige Körperstellen wirkten doch recht ramponiert, und er konnte deutlich erkennen, dass mindestens eine ihrer Rippen und ein - das rechte, wie er der verkrümmten Lage nach vermutete - Bein gebrochen sein mussten. Nur dass dies auch bei einem schwereren Treppensturz geschehen sein könnte. Bei einem Unfall wie dem mit ihm erfolgten konnte das doch nicht alles an Verletzungen sein, was sie davongetragen hatte. Aber das war etwas, das einfach nicht sein konnte - dass, egal, wie sehr man sich trainierte und wie fit der eigene Körper war, man sich vor den Folgen eines solchen Unfalles einfach - ja, einfach drücken konnte. Sie einfach umgehen konnte, so, als würden die Naturgesetze für einen, nein für diese Person, für diese spezielle Frau, nicht existieren.

Wieder erinnerte er sich an den Aufprall und das Gefühl, dass sie ihm unter die Räder geraten war und er sie ein Stück weit mitgeschleift hatte, ehe er den Wagen hatte herumreißen und abbremsen können. Doch mit all dem, was mit diesem Unfall zusammenhing, mit der Unmöglichkeit, dass sie noch lebte und damit, dass sie nun kaum Verletzungen davongetragen zu haben schien, konnte er sich einfach nicht so ohne weiteres anfreunden.
Angestrengt versuchte Andrej, zu rekonstruieren, was vor dem Unfall gewesen war.
Er war die Straße entlang gefahren, mit seinem neuen - wenn auch andersfarbig als gewünschten - Wagen die Geschwindigkeit auskostend, welche ihm nun zur Verfügung stand. Vor ihm befand sich nur der mehrspurige Highway, der eine oder andere weitaus langsamere Autofahrer, die Häuserfronten der Stadt und - ja, und die Brücke, von der eine Gestalt herabstürzte ...

„Unmöglich!”, murmelte er leise und fassungslos zugleich, den Kopf schüttelnd. Schließlich stand er mit einem Ruck auf.
Das dünne zerrissene Hemd immer noch in den Händen, stürmte er nach draußen, dabei die Hüttentür achtlos hinter seinem Rücken wieder zufallen lassend, und blieb erst vor seinem Auto wieder stehen.
Er begann, langsam und kein noch so kleines Detail desselben außer Acht lassend, um den Wagen herum zu schreiten. An der Vorderseite angekommen, wurde ihm sein Verdacht nur ein weiteres Mal bestätigt. Er hatte sich definitiv nicht getäuscht - er hatte die Frau mit voller Wucht umgefahren. Die Dellen und Beulen und einige dunklere rote Flecken bewiesen ihm dies mehr als nur deutlich. Er bückte sich, um auch unter den Wagen zu sehen, konnte aber dort keine weiteren Spuren des Unfalls entdecken.

Gerade, als er sich wieder aufrichten wollte, erklang eine dunkle Stimme hinter ihm. „Ganz langsam, Freundchen, keine allzu schnellen Bewegungen! Ich mag es nämlich nicht, wenn jemand in mein Haus einbricht.”

 

Ende von Kapitel 12

 

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